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Weltrevolution Nr. 184

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Krieg in der Ukraine: Dem imperialistischen Krieg den Klassenkampf entgegensetzen!

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Es dauerte nur eine Nacht, bis der Donner der Kanonen und der Bombenlärm wieder in der Ukraine ertönte, vor den Toren der historischen Wiege eines mittlerweile verrottenden Kapitalismus. Innerhalb weniger Wochen hat dieser Krieg von unerhörtem Ausmaß und Brutalität ganze Städte verwüstet, Millionen von Frauen, Kindern und alten Menschen auf die eisigen Straßen des Winters geworfen und unzählige Menschenleben auf dem Altar des Vaterlandes geopfert. Charkiw, Sumy oder Irpin sind heute nur noch Ruinenfelder. Im völlig dem Erdboden gleichgemachten Industriehafen von Mariupol hat der Konflikt nicht weniger als 5000 Menschen das Leben gekostet, wahrscheinlich sogar noch mehr. Die Verwüstungen und Schrecken dieses Krieges erinnern an die schrecklichen Bilder aus Grosny, Falludscha oder dem zerstörten Aleppo. Doch wo es Monate, manchmal sogar Jahre gedauert hat, bis es zu solchen Verwüstungen kam, gab es in der Ukraine keine "mörderische Eskalation": In nur einem Monat haben die Kriegsparteien all ihre Kräfte in das Gemetzel geworfen und eines der größten Länder Europas verwüstet!

Der Krieg ist ein erschreckender Moment der Wahrheit für den dekadenten Kapitalismus: Indem die Bourgeoisie ihre Todesmaschinen zur Schau stellt, legt sie plötzlich die heuchlerische Maske der Zivilisation, des Friedens und des Mitgefühls ab, die sie mit der unerträglichen Arroganz, die den anachronistisch gewordenen herrschenden Klassen eigen ist, zur Schau zu tragen vorgibt. Sie kämpft sich durch einen wütenden Strom von Propaganda, um ihr hässliches Gesicht als Mörderin besser zu verbergen. Wie kann man nicht erschrecken, wenn man diese armen russischen Jungen, 19- oder 20-jährige Wehrpflichtige, mit ihren pubertären Gesichtern sieht, die wie in Butscha und anderen kürzlich verlassenen Orten zu Mördern gemacht werden? Wie kann man sich nicht empören, wenn Selenskyj, der "Diener des Volkes", schamlos eine ganze Bevölkerung als Geisel nimmt, indem er die "Generalmobilmachung" aller gesunden Männer zwischen 18 und 60 Jahren anordnet, denen es von nun an verboten ist, das Land zu verlassen? Wie kann man nicht entsetzt sein über die bombardierten Krankenhäuser, die verängstigten und hungernden Zivilpersonen, die Massenhinrichtungen, die in Kindergärten vergrabenen Leichen und das herzzerreißende Weinen der Waisenkinder?

Der Krieg in der Ukraine ist eine abscheuliche Manifestation des schwindelerregenden Abstiegs des Kapitalismus in Chaos und Barbarei. Seit zwei Jahren hat die Covid-Pandemie diesen Prozess erheblich beschleunigt, dessen monströses Produkt sie selbst ist.[1] Der IPCC kündigt unumkehrbare Kataklysmen und Klimaveränderungen an, die die Menschheit und die Artenvielfalt auf globaler Ebene direkt bedrohen. Doch aufgrund von Militärausgaben und Umstrukturierungen im Energiesektor hat die europäische Bourgeoisie beschlossen, die Schließung von Kohlekraftwerken zu verschieben. Inzwischen häufen sich die großen politischen Krisen, wie man nach Trumps Niederlage in den USA sehen konnte; das Gespenst des Terrorismus schwebt über der Gesellschaft, ebenso wie das nukleare Risiko, das der Krieg wieder in den Vordergrund gerückt hat. Unaufhörliche Massaker und kriegerisches Chaos, unaufhaltsame wirtschaftliche Angriffe, explodierendes soziales Elend, Klimakatastrophen großen Ausmaßes... Die Gleichzeitigkeit und Häufung all dieser Phänomene ist kein unglücklicher Zufall, sondern zeugt im Gegenteil davon, dass der mörderische Kapitalismus durch die Geschichte verurteilt ist.

Wenn die russische Armee die Grenze überschritten hat, dann sicherlich nicht, um das "russische Volk" zu verteidigen, das "vom Westen belagert" wird, oder um den russischsprachigen Ukrainer:innen, die Opfer der "Nazifizierung" der Kiewer Regierung seien, "Hilfe zu leisten". Die Angriffe aller Art gegen die Ukraine sind auch nicht das Produkt der "Wahnvorstellungen" eines "verrückten Autokraten", wie die Presse in allen Tonlagen wiederholt, wann immer es gilt, ein Massaker zu rechtfertigen[2] und zu verschleiern, dass dieser Konflikt, wie alle anderen, in erster Linie die Erscheinungsform einer dekadenten und militarisierten bürgerlichen Gesellschaft ist, die der Menschheit nichts mehr zu bieten hat außer ihrer eigenen Vernichtung!

"Aggressoren" und "Angegriffene" – alles imperialistische Räuber

Die Toten und die Zerstörungen, das Chaos und die Instabilität an ihrer Grenze waren ihnen egal: Für Putin und seine Clique galt es, die Interessen des russischen Kapitals und seinen Platz in der Welt zu verteidigen, die beide durch die zunehmende Verankerung seiner traditionellen Einflusssphäre im Westen geschwächt wurden. Die russische Bourgeoisie kann sich noch so sehr als "Opfer" der NATO darstellen, Putin hat angesichts des Scheiterns seiner Offensive nie gezögert, eine entsetzliche Kampagne der verbrannten Erde und der Massaker zu führen und alles auf seinem Weg auszurotten, einschließlich der russischsprachigen Bevölkerung, die er angeblich zu schützen gekommen war!

Auch von Selenskyj und seinem Gefolge aus korrupten Politikern und Oligarchen ist nichts zu erwarten. Der ehemalige Komiker spielt nun perfekt seine Rolle als skrupelloser Hetzer für die Interessen der ukrainischen Bourgeoisie. Durch eine intensive nationalistische Kampagne gelang es ihm, die Bevölkerung zu bewaffnen und eine ganze Meute von Söldnern und Schießwütigen zu rekrutieren, die als "Helden der Nation" gefeiert wurden. Selenskyj tourt nun mit seinen Videoauftritten durch die westlichen Hauptstädte und wendet sich an alle Parlamente, um wie ein Aasgeier um die Lieferung von immer mehr Waffen und Munition zu betteln. Der "heldenhafte ukrainische Widerstand" tut das, was alle Armeen der Welt tun: Er schießt, massakriert, plündert und scheut sich nicht, Gefangene zu verprügeln oder gar hinzurichten.

Alle demokratischen Mächte geben vor, sich über die von der russischen Armee begangenen "Kriegsverbrechen" zu empören. Was für eine Heuchelei! Im Laufe der Geschichte haben sie immer wieder Leichen und Ruinen in allen Teilen der Welt angehäuft. Während die westlichen Mächte das Schicksal der Bevölkerung beklagen, die dem "russischen Unhold" zum Opfer gefallen ist, liefern sie gleichzeitig Unmengen an Kriegswaffen, sorgen für die Ausbildung und liefern alle Informationen, die für die Angriffe und Bombardierungen der ukrainischen Armee, einschließlich des Neonazi-Regiments Asow, notwendig sind!

Vor allem aber hat die US-Bourgeoisie durch eine Vielzahl von Provokationen alles getan, um Moskau in einen von vornherein verlorenen Krieg zu treiben. Für die USA ist es am wichtigsten, Russland auszubluten und freie Hand zu haben, um die hegemonialen Ansprüche Chinas, das Hauptziel der amerikanischen Macht, zu brechen. Dieser Krieg ermöglicht es den USA auch, das große imperialistische chinesische Projekt der "Seidenstraßen" einzudämmen und zu durchkreuzen. Um ihre Ziele zu erreichen, hat die "große Demokratie" der USA nicht gezögert, ein völlig irrationales und barbarisches militärisches Abenteuer zu fördern, das die globale Destabilisierung und das Chaos in der Nähe Westeuropas verstärkt.

Das Proletariat hat also nicht die Aufgabe, eine Seite gegen eine andere zu wählen! Es hat kein Vaterland zu verteidigen und muss überall den Nationalismus und die chauvinistische Hysterie der Bourgeoisie bekämpfen! Er muss mit seinen eigenen Waffen und Mitteln gegen den Krieg kämpfen!

Um den Krieg zu bekämpfen, muss man den Kapitalismus bekämpfen

Heute hat das Proletariat in der Ukraine, das von mehr als 60 Jahren Stalinismus überrollt wurde, eine schwere Niederlage erlitten und sich vom Nationalismus betören lassen. In Russland hat sich das Proletariat zwar etwas widerspenstiger gezeigt, aber seine Unfähigkeit, die Kriegsgelüste seiner Bourgeoisie zu bremsen, erklärt, warum die herrschende Clique 200.000 Soldaten an die Front schicken konnte, ohne eine Reaktion der Arbeiterschaft befürchten zu müssen.

In den kapitalistischen Hauptmächten, in Westeuropa und den USA, hat das Proletariat heute weder die Kraft noch die politische Fähigkeit, sich diesem Konflikt durch internationale Solidarität und den Kampf gegen die Bourgeoisie in allen Ländern direkt entgegenzustellen. Es ist derzeit nicht in der Lage, sich zu verbrüdern und massenhaft in den Kampf einzutreten, um das Massaker zu stoppen.

Doch obwohl die Gefahren der Propaganda und Demonstrationen aller Art es in die Sackgasse der Verteidigung des pro-ukrainischen Nationalismus oder in die falsche Alternative des Pazifismus zu treiben drohen, bleibt das Proletariat der westlichen Länder aufgrund seiner Erfahrung mit Klassenkämpfen und den Machenschaften der Bourgeoisie immer noch das wichtigste Gegenmittel gegen die zerstörerische Spirale und Todesspirale des kapitalistischen Systems. Die westliche Bourgeoisie hat sich übrigens davor gehütet, direkt in der Ukraine zu intervenieren, weil sie weiß, dass die Arbeiterklasse das tägliche Opfer von Tausenden von Soldaten, die in kriegerische Auseinandersetzungen eingezogen werden, nicht akzeptieren wird.

Obwohl die Arbeiterklasse in den westlichen Ländern durch diesen Krieg desorientiert und noch immer geschwächt ist, behält sie ihr Potenzial intakt, ihre Fähigkeit, ihre Kämpfe auf dem Gebiet des Widerstands gegen neue Opfer zu entwickeln, die durch die Sanktionen gegen die russische Wirtschaft und die kolossale Erhöhung der Militärhaushalte verursacht werden: die galoppierende Inflation, die dadurch bedingte Verteuerung der meisten Produkte des täglichen Lebens und die Beschleunigung der Angriffe auf ihre Lebens- und Ausbeutungsbedingungen.

Schon jetzt können und müssen sich die Proletarier:innen allen Opfern, die die Bourgeoisie fordert, widersetzen. Durch ihre Kämpfe kann das Proletariat ein Kräfteverhältnis mit der herrschenden Klasse herstellen, um ihren mörderischen Arm zurückzuhalten! Denn die Arbeiterklasse, die den gesamten Reichtum produziert, ist auf lange Sicht die einzige Kraft in der Gesellschaft, die den Krieg beenden kann, indem sie den Weg zum Umsturz des Kapitalismus beschreitet.

Das hat uns die Geschichte gezeigt, als sich das Proletariat 1917 in Russland und ein Jahr später in Deutschland erhob und den Krieg durch einen gewaltigen revolutionären Aufschwung beendete. Während der Weltkrieg tobte, hatten die Revolutionäre den Kurs gehalten, indem sie das elementare Prinzip des proletarischen Internationalismus kompromisslos verteidigten. Heute ist es die Aufgabe der Revolutionäre, die Erfahrungen der Arbeiterbewegung weiter zu vermitteln.  Angesichts des Krieges besteht ihre erste Verantwortung darin, mit einer Stimme zu sprechen und die Fahne des Internationalismus fest zu schwenken – die einzige Fahne, die die Bourgeoisie wieder zum Zittern bringen kann!

IKS, 4. April 2022

 

[1] In China ist die Pandemie wieder auf dem Vormarsch (erneuter Lockdown in Shanghai). In der übrigen Welt ist die Pandemie noch lange nicht unter Kontrolle.

[2] Von Hitler bis Assad, über Hussein, Milosevic, Gaddafi oder Kim Jong-un ... der Feind leidet überraschenderweise immer an schweren psychologischen Störungen.

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Editorial

Die USA, Russland, die Europäische Union, die Ukraine – alle Staaten sind für den Krieg verantwortlich!

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Die bis auf die Knochen verrottete, an sich selbst kranke bürgerliche Gesellschaft spuckt wieder Feuer und Stahl. Das ukrainische Gemetzel zeigt jeden Tag massive Bombardements, Hinterhalte, Belagerungen und Flüchtlingskolonnen, die zu Millionen vor dem Dauerfeuer der Kriegsparteien fliehen.
Inmitten der Propagandaflut, die von den Regierungen aller Länder ausgeschüttet wird, stechen zwei Lügen hervor: Die eine stellt Putin als einen "verrückten Autokraten" dar, der alles tun würde, um der neue Zar eines wiedererrichteten Reiches zu werden und sich die "Reichtümer" der Ukraine unter den Nagel zu reißen; die andere gibt den "Völkermördern" an der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass, welche die "heldenhaften" russischen Soldaten unter Einsatz ihres Lebens schützen müssten, die Hauptschuld an dem Konflikt. Die Bourgeoisie hat stets besondere Sorgfalt darauf verwendet, die tatsächlichen Kriegsursachen zu verschleiern, indem sie sie mit dem ideologischen Schleier der "Zivilisation", der "Demokratie", der "Menschenrechte" und des "Völkerrechts" verhüllte. Doch der wahre Kriegsgrund ist der Kapitalismus!

Ein weiterer Schritt ins Chaos

Seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000 hat Russland große Anstrengungen unternommen, um eine modernere Armee aufzubauen und im Nahen Osten, insbesondere in Syrien, aber auch in Afrika durch die Entsendung von Söldnern nach Libyen, Zentralafrika und Mali wieder Einfluss zu gewinnen und immer mehr Chaos zu stiften. In den letzten Jahren hat es auch nicht gezögert, direkte Offensiven zu starten – 2008 in Georgien und 2014 durch die Besetzung der Krim und des Donbass –, um den Rückgang seiner Einflusssphäre aufzuhalten, wobei es Gefahr lief, an seinen eigenen Grenzen große Instabilität zu schaffen. Nach dem Rückzug der USA aus Afghanistan glaubte Russland, die Schwächung der USA nutzen zu können, um zu versuchen, die Ukraine wieder in seine Einflusssphäre zu holen, ein Gebiet, das für seine Position in Europa und der Welt von entscheidender Bedeutung ist, zumal Kiew drohte, an die NATO anzudocken.

Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks ist dies sicherlich nicht das erste Mal, dass auf dem europäischen Kontinent ein Krieg tobt. Die Balkankriege in den 1990er Jahren und der Konflikt im Donbass im Jahr 2014 hatten bereits Unglück und Verwüstung über den Kontinent gebracht. Doch der Krieg in der Ukraine hat schon jetzt viel schwerwiegendere Auswirkungen als frühere Konflikte und veranschaulicht, wie das Chaos immer näher an die Hauptzentren des Kapitalismus heranrückt.

Russland, eine der führenden Militärmächte, ist in der Tat direkt und massiv an der Invasion eines Landes beteiligt, das eine strategische Position in Europa, an den Grenzen der Europäischen Union, einnimmt. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen soll Russland bereits 10.000 Soldaten verloren haben und noch viel mehr Verwundete und Deserteure. Ganze Städte wurden durch einen Bombenhagel dem Erdboden gleichgemacht. Die Zahl der zivilen Opfer dürfte beträchtlich sein. Und das alles in nur einem Monat des Krieges![1]

In der Region gibt es nun eine enorme Konzentration von Truppen und modernster militärischer Ausrüstung, nicht nur in der Ukraine, wo Waffen, Soldaten und Söldner von allen Seiten herangekarrt werden, sondern auch in ganz Osteuropa, wo Tausende von NATO-Soldaten stationiert und Putins einziger Verbündeter Weißrussland mobilisiert wurde. Mehrere europäische Staaten haben ebenfalls beschlossen, ihre Rüstungsanstrengungen erheblich zu erhöhen, allen voran die baltischen Staaten, aber auch Deutschland, das kürzlich eine Verdoppelung der Ausgaben für seine "Verteidigung" angekündigt hat.

Russland droht regelmäßig mit militärischen Vergeltungsschlägen und stellt schamlos sein Atomwaffenarsenal zur Schau. Auch der französische Verteidigungsminister erinnerte Putin daran, dass er es mit "Atommächten" zu tun habe, bevor er die Wogen glättete und nun einen "diplomatischeren" Ton anschlug. Ohne auch nur von einem Atomkonflikt zu sprechen, besteht die Gefahr eines schweren Störfalls in der Industrie. An den Atomanlagen von Tschernobyl und Saporischschja, wo nach Bombenangriffen (zum Glück nur Verwaltungsgebäude) in Brand gerieten, kam es bereits zu erbitterten Kämpfen.

Hinzu kommt eine große Flüchtlingskrise in Europa selbst. Millionen von Ukrainer:innen fliehen vor dem Krieg und der Zwangsrekrutierung in Selenskyjs Armee in die Nachbarländer. Doch angesichts des Gewichts des Populismus in Europa und des manchmal expliziten Willens mehrerer Staaten, Migrant:innen zynisch für imperialistische Zwecke zu instrumentalisieren (wie man kürzlich an der weißrussischen Grenze oder durch die regelmäßigen Drohungen der Türkei gegenüber der Europäischen Union sehen konnte), könnte diese Massenflucht auf lange Sicht zu ernsten Spannungen und Instabilität führen.

Alles in allem birgt der Krieg in der Ukraine ein großes Risiko für Chaos, Destabilisierung und Zerstörung auf internationaler Ebene. Wenn dieser Konflikt nicht selbst in einen noch tödlicheren Flächenbrand mündet, erhöht er diese Gefahren beträchtlich, mit Spannungen und der Gefahr einer unkontrollierten "Eskalation", die zu unvorstellbaren Folgen führen kann.

Ist Russland allein für den Krieg verantwortlich?

Obwohl die russische Bourgeoisie die Feindseligkeiten eröffnet hat, um ihre schmutzigen imperialistischen Interessen zu verteidigen, ist die Propaganda, die die Ukraine und die westlichen Länder als Opfer eines „verrückten Diktators“ darstellt, nur eine scheinheilige Maskerade. Seit Monaten warnte die US-Regierung immer wieder provokativ vor einem bevorstehenden russischen Angriff, verkündete aber gleichzeitig, dass sie keinen Fuß auf ukrainischen Boden setzen würde.
Seit dem Zerfall der UdSSR wurde Russland an seinen Grenzen kontinuierlich bedroht, sowohl in Osteuropa als auch im Kaukasus und in Zentralasien. Die USA und die europäischen Mächte haben die russische Einflusssphäre systematisch zurückgedrängt, indem sie viele osteuropäische Länder in die Europäische Union und die NATO aufgenommen haben. In diesem Sinne ist auch die Vertreibung des ehemaligen georgischen Präsidenten Schewardnadse im Jahr 2003 während der "Rosenrevolution" zu verstehen, die eine pro-amerikanische Clique an die Macht brachte, ebenso wie die "orangefarbene Revolution" in der Ukraine 2004 und alle nachfolgenden Konflikte zwischen den verschiedenen Fraktionen der dortigen Bourgeoisie. Die aktive Unterstützung der proeuropäischen Opposition in Weißrussland durch die Westmächte, der Krieg in Bergkarabach unter dem Druck des NATO-Mitglieds Türkei und die Abrechnungen auf der höchsten Ebene des kasachischen Staates haben das Gefühl der Not in der russischen Bourgeoisie nur noch verstärkt.
Sowohl für das zaristische als auch für das "sowjetische" Russland war die Ukraine schon immer ein zentrales Thema seiner Außenpolitik. In der Tat ist die Ukraine für Moskau der einzige und letzte direkte Zugang zum Mittelmeer. Die Annexion der Krim im Jahr 2014 folgte bereits diesem Imperativ des russischen Imperialismus, der direkt von der Einkreisung durch zumeist pro-amerikanische Regime bedroht war. Der erklärte Wille der USA, Kiew an den Westen anzugliedern, wird von Putin und seiner Clique daher als echte Provokation empfunden. In diesem Sinne ist die Offensive der russischen Armee, auch wenn sie völlig irrational und von Anfang an zum Scheitern verurteilt zu sein scheint, für Moskau ein verzweifelter "Kraftakt", mit dem es seinen Rang als Weltmacht aufrechterhalten will.

Die amerikanische Bourgeoisie, die sich der Lage in Russland sehr wohl bewusst ist, war in dieser Frage zwar gespalten, ließ es sich aber nicht nehmen, Putin durch eine Vielzahl von Provokationen in die Enge zu treiben. Als Biden ausdrücklich versicherte, er werde nicht direkt in der Ukraine intervenieren, hinterließ er absichtlich ein Vakuum, das Russland sofort nutzte, in der Hoffnung, seinen Niedergang auf der internationalen Bühne zu bremsen. Es ist nicht das erste Mal, dass die USA einen eiskalten Machiavellismus anwenden, um ihre Ziele zu erreichen: Bereits 1990 hatte Bush Senior Saddam Hussein in eine Falle gelockt, indem er vorgab, nicht zur Verteidigung Kuwaits eingreifen zu wollen. Der Rest ist bekannt...

Es ist noch zu früh, um die Dauer und das Ausmaß der bereits enormen Zerstörungen in der Ukraine vorherzusagen, aber seit den 1990er Jahren haben wir die Massaker von Srebrenica, Grozny, Sarajevo, Falludscha oder Aleppo erlebt. Jeder, der einen Krieg beginnt, ist sehr oft dazu verurteilt, sich festzubeißen und in einem Stellungskrieg zu versinken. In den 1980er Jahren zahlte Russland einen hohen Preis für die Invasion in Afghanistan, die zur Implosion der UdSSR führte. Die USA erlebten ihre eigenen Fiaskos, die sie sowohl militärisch als auch wirtschaftlich schwächten. All diese Abenteuer endeten trotz anfänglicher scheinbarer Siege letztlich in bitteren Rückschlägen und schwächten die Kriegsparteien erheblich. Putins Russland wird, wenn es sich nach einer demütigenden Niederlage nicht gleich ganz zurückziehen sollte, einen Stellungskrieg nicht vermeiden können, selbst wenn es ihm gelingt, die großen ukrainischen Städte einzunehmen.

Alle Länder und alle Kriege sind imperialistisch

"Ein neuer Imperialismus bedroht den Weltfrieden", [2] "Die Ukrainer bekämpfen den russischen Imperialismus seit Hunderten von Jahren" ... [3]

"Der russische Imperialismus" – die Bourgeoisie hat nur diese Worte auf den Lippen, als wäre Russland der Inbegriff des Imperialismus angesichts des "wehrlosen Kükens" der Ukraine. In Wirklichkeit sind Krieg und Militarismus seit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenzphase zu grundlegenden Merkmalen dieses Systems geworden. Alle Staaten, ob groß oder klein, sind imperialistisch; alle Kriege, ob sie sich nun als "humanitär", "befreiend" oder "demokratisch" bezeichnen, sind imperialistische Kriege. Das hatten die Revolutionäre bereits während des Ersten Weltkriegs erkannt: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Weltmarkt vollständig in die Jagdreviere der führenden kapitalistischen Nationen aufgeteilt. Angesichts des verschärften Wettbewerbs und der Unmöglichkeit, die Widersprüche des Kapitalismus durch neue koloniale oder kommerzielle Eroberungen zu lockern, bauten die Staaten gigantische Waffenarsenale auf und unterwarfen das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben den Imperativen des Krieges. Vor diesem Hintergrund brach im August 1914 der Weltkrieg aus, ein in der Geschichte der Menschheit bis dahin unerreichtes Gemetzel, das ein neues "Zeitalter der Kriege und Revolutionen" einläutete.

Angesichts des harten Wettbewerbs und der Allgegenwart des Krieges entwickelten sich in jeder Nation, ob groß oder klein, zwei Phänomene, die die Hauptmerkmale der Dekadenzperiode darstellten: der Staatskapitalismus und die imperialistischen Blöcke. "Der Staatskapitalismus [...] antwortet auf das Bedürfnis eines jeden Landes, angesichts der Konfrontation mit den anderen Nationen ein Höchstmaß an Disziplin seitens der verschiedenen Teile der Gesellschaft anzustreben, die Zusammenstöße zwischen den Klassen, aber auch zwischen rivalisierenden Fraktionen der herrschenden Klasse so stark wie möglich zu reduzieren, um insbesondere das gesamte ökonomische Potential zu mobilisieren und zu kontrollieren. Gleichermaßen entspricht die Formierung von imperialistischen Blöcken der Notwendigkeit, eine solche Disziplin auch den verschiedenen nationalen Bourgeoisien aufzuzwingen, um ihre wechselseitigen Antagonismen einzuhegen und sie für die Hauptkonfrontation, nämlich die zwischen den beiden militärischen Lagern, zusammenzuschließen.“[4] So teilte sich die kapitalistische Welt während des gesamten 20. Jahrhunderts in rivalisierende Blö name="_ftnref5" title="">[5], die durch das Verschwinden der imperialistischen Blöcke seit über 30 Jahren gekennzeichnet ist. Der Abstieg des russischen "Gendarmen" und de facto der Zerfall des amerikanischen Blocks machten den Weg frei für eine ganze Reihe von lokalen Rivalitäten und Konflikten, die zuvor durch die eiserne Disziplin der Blöcke unterdrückt worden waren. Diese Tendenz, dass jeder auf sich selbst gestellt ist und das Chaos immer größer wird, hat sich seitdem voll und ganz bestätigt.

Die einzige "Supermacht" USA versuchte ab 1990, ein Mindestmaß an Ordnung in der Welt zu schaffen und den unaufhaltsamen Niedergang ihrer eigenen Führungsrolle zu bremsen – indem sie auf Krieg zurückgriff. Da die Welt nicht mehr in zwei disziplinierte imperialistische Lager aufgeteilt war, hielt es ein Land wie der Irak für möglich, sich einen ehemaligen Verbündeten desselben Blocks, Kuwait, unter den Nagel zu reißen. Die USA starteten an der Spitze einer Koalition aus 35 Ländern eine mörderische Offensive, die jede künftige Versuchung, Saddam Husseins Vorgehen nachzuahmen, entmutigen sollte.

Die Operation konnte jedoch das imperialistische Prinzip des "Jeder-gegen-Jeden", das typisch für den Zerfallsprozess der Gesellschaft ist, nicht beenden. In den Balkankriegen traten bereits die schlimmsten Rivalitäten zwischen den Mächten des ehemaligen Westblocks offen zutage, insbesondere zwischen Frankreich, Großbritannien und Deutschland, die neben den mörderischen Interventionen der USA und Russlands über die verschiedenen Kriegsparteien im ehemaligen Jugoslawien praktisch Krieg gegeneinander führten. Der Terroranschlag vom 11. September 2001 wiederum markierte einen weiteren bedeutenden Schritt in Richtung Chaos und traf das Herz des globalen Kapitalismus. Im Gegensatz zu den linken Theorien über den angeblichen Ölhunger der USA, die durch die astronomischen Kosten des Krieges als Unsinn entlarvt wurden, mussten die USA vor diesem Hintergrund 2001 in Afghanistan und 2003 im Namen des "Krieges gegen den Terrorismus" erneut im Irak einmarschieren.

Amerika befand sich auf einer regelrechten Flucht nach vorn: Im zweiten Golfkrieg schlichen Deutschland, Frankreich und Russland nicht nur hinter Onkel Sam her, sondern weigerten sich regelrecht, ihre Soldaten einzusetzen. Vor allem aber führte jede dieser Operationen nur zu Chaos und Instabilität, so dass die USA sich schließlich so weit verrannten, dass sie 20 Jahre später Afghanistan gedemütigt verlassen mussten und ein Trümmerfeld in den Händen der Taliban zurückließen, die sie eigentlich bekämpfen wollten, so wie sie bereits den Irak verlassen mussten, in dem eine gewaltige Anarchie herrschte, die die gesamte Region und insbesondere das benachbarte Syrien destabilisierte. Um ihren Rang als führende Weltmacht zu verteidigen, wurden die USA daher zum Hauptverbreiter des Chaos in der Zeit des Zerfalls.

Die USA sorgen für Chaos in einem der wichtigsten Zentren des globalen Kapitalismus

Heute haben die USA unbestreitbar imperialistisch gepunktet, ohne auch nur direkt eingreifen zu müssen. Russland, ein langjähriger Gegner, ist in einen nicht zu gewinnenden Krieg verwickelt, der unabhängig vom Ausgang zu einer erheblichen militärischen und wirtschaftlichen Schwächung führen wird. Die Europäische Union und die USA haben bereits Farbe bekannt: Es geht darum, so die EU-Chefdiplomatin, "die russische Wirtschaft zu verwüsten" – und Pech für das Proletariat in Russland, das für all diese Vergeltungsmaßnahmen bezahlen wird, wie auch für das ukrainische Proletariat, das das erste Opfer und die Geisel der entfesselten Kriegsbarbarei ist!

Die Amerikaner haben auch die NATO wieder unter ihre Kontrolle gebracht, die der französische Präsident als "hirntot" bezeichnet hatte. Sie haben ihre Präsenz in Osteuropa erheblich verstärkt und die europäischen Hauptmächte (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) gezwungen, die wirtschaftliche Last des Militarismus zur Verteidigung der Ostgrenzen Europas stärker zu übernehmen – eine Politik, die die USA seit mehreren Jahren, insbesondere unter Präsident Trump und fortgeführt von Biden, umzusetzen versuchen, um ihre Kraft gegen ihren Hauptfeind China zu bündeln.

Für die Europäer bedeutet die Situation eine große diplomatische Niederlage und einen erheblichen Verlust an Einfluss. Der von den USA angeheizte Konflikt war von Frankreich und Deutschland nicht gewollt, da sie aufgrund ihrer Abhängigkeit von russischem Gas und dem Markt, den das Land für ihre eigenen Waren darstellt, absolut nichts von diesem Konflikt zu gewinnen haben. Im Gegenteil, Europa wird unter den Auswirkungen des Krieges und der verhängten Sanktionen eine weitere Beschleunigung der Wirtschaftskrise erleben. Die Europäer mussten sich also hinter den amerikanischen Schutzschild stellen, obwohl die diplomatische Schwächung, die durch Trumps ‚Gleichgültigkeit’ ausgelöst wurde, sie auf eine starke Rückkehr des alten Kontinents auf die internationale Bühne hatte hoffen lassen.

Ist die Tatsache, dass die wichtigsten europäischen Mächte gezwungen sind, sich hinter die USA zu stellen, der Beginn der Bildung eines neuen imperialistischen Blocks? Die Periode des Zerfalls schließt nicht per se die Bildung neuer Blöcke aus, obwohl das Gewicht des Jeder-für-sich-selbst diese Möglichkeit erheblich behindert. Nichtsdestotrotz wird in der Situation der irrationale Wille jedes Staates, seine eigenen imperialistischen Interessen zu verteidigen, weitgehend gestärkt. Deutschland hat die Umsetzung der Sanktionen etwas verschleppt und bewegt sich weiterhin auf dünnem Eis, wenn es darum geht, die russischen Gasexporte, von denen es stark abhängig ist, nicht zu sanktionieren. Außerdem hat es zusammen mit Frankreich immer wieder interveniert, um Russland einen diplomatischen Ausweg anzubieten, was Washington natürlich zu verzögern versucht. Selbst die Türkei und Israel versuchen, ihre "guten Dienste" als Vermittler anzubieten. Langfristig könnten die europäischen Großmächte mit steigenden Militärausgaben sogar versuchen, sich von der amerikanischen Vormundschaft zu emanzipieren, ein Bestreben, das Macron regelmäßig durch sein Projekt einer "europäischen Verteidigung" vorantreibt. Auch wenn die USA unbestreitbar unmittelbar gepunktet haben, versucht jedes Land also auch, seine eigene Karte zu spielen, wodurch die Bildung eines Blocks umso leichter gefährdet wird, als China seinerseits keine Großmacht hinter sich vereinen kann und bei der Verteidigung seiner eigenen Ziele sogar gebremst und geschwächt wird.

China als übergeordnetes Ziel der US-Strategie

Mit diesem Manöver zielte die US-Bourgeoisie jedoch nicht nur und nicht vorrangig auf Russland. Die Konfrontation zwischen den USA und China bestimmt heute die globalen imperialistischen Beziehungen. Durch die Schaffung chaotischer Zustände in der Ukraine versuchte Washington vor allem, Chinas Vorstoß nach Europa zu behindern, indem es die "Seidenstraßen", die durch die osteuropäischen Länder führen sollten, für einen noch unbestimmten Zeitraum blockierte. Nachdem Biden Chinas Seewege im indopazifischen Raum bedroht hatte, unter anderem mit der Gründung der AUKUS-Allianz[6] im Jahr 2021, hat Biden nun einen riesigen Graben in Europa geschaffen, die China daran hindert, seine Waren auf dem Landweg zu transportieren.

Den USA ist es auch gelungen, die Ohnmacht Chinas aufzuzeigen, auf der internationalen Bühne die Rolle eines verlässlichen Partners zu spielen, da China keine andere Wahl hat, als Russland auf sehr weiche Weise zu unterstützen. In diesem Sinne ist die Offensive der USA, die wir gerade erleben, Teil des umfassenderen Rahmens ihrer Strategie, China einzuengen.

Seit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan und im Nahen Osten sind die USA, wie wir gesehen haben, zum Hauptfaktor für das Chaos in der Welt geworden. Bisher war dieser Trend zunächst in den kapitalistischen Randstaaten zu beobachten, obwohl auch die Kernstaaten die Folgen zu spüren bekamen (Terrorismus, Migrationskrisen usw.). Doch nun entfacht die größte Weltmacht das Chaos vor den Toren eines der wichtigsten Zentren des Kapitalismus. Diese kriminelle Strategie wird von dem "Demokraten" und "gemäßigten" Joe Biden angeführt. Sein Vorgänger Donald Trump hatte einen nachvollziehbaren Ruf als Hitzkopf, aber jetzt wird klar, dass sich bei der Neutralisierung Chinas nur die Strategie unterscheidet: Trump wollte Abkommen mit Russland aushandeln, Biden und die Mehrheit der amerikanischen Bourgeoisie wollen das Land ausbluten lassen. Putin und seine Mörderclique sind nicht besser, ebenso wenig wie Selenskyj, der nicht davor zurückschreckt, eine ganze Bevölkerung als Geiseln zu nehmen und sie im Namen der Verteidigung des Vaterlandes als Kanonenfutter zu opfern. Und was ist mit den scheinheiligen europäischen Demokratien, die zwar Krokodilstränen über die Opfer des Krieges vergießen, aber gleichzeitig phänomenale Mengen an militärischer Ausrüstung liefern?

Ob links oder rechts, demokratisch oder diktatorisch, alle Länder, alle Bourgeoisien führen uns mit Gewalt ins Chaos und in die Barbarei! Mehr denn je lautet die einzige Alternative, die sich der Menschheit bietet: Sozialismus oder Barbarei!

EG, 21. März 2022

 

[1] Zum Vergleich: Die UdSSR verlor in den neun Jahren des schrecklichen Krieges, der Afghanistan verwüstet hatte, 25.000 Soldaten.

[2] Contre l'impérialisme russe, pour un sursaut internationaliste (Gegen den russischen Imperialismus, für einen internationalistischen Aufbruch), Mediapart (2. März 2022). Dieser Artikel mit dem vielsagenden Titel grenzt an eine Farce, vor allem seitens seines Autors Edwy Plenel, eines ausgewiesenen Kriegstreibers und großen Verteidigers des französischen Imperialismus.

[3] To understand the Ukraine-Russia conflict, look to colonialism, The Washington Post (24. Februar 2022).

[4] Militarismus und Zerfall, International Review Nr. 13 (1. Quartal 1991), https://de.internationalism.org/content/758/orientierungstext-militarismus-und-zerfall [2]

[5] Zerfall – die letzte Phase der kapitalistischen Dekadenz, Internationale Revue Nr. 13 (4. Quartal 2001), https://de.internationalism.org/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus [3]

[6] Alliance militaire AUKUS : L’exacerbation chaotique des rivalités impérialistes [4] (AUKUS-Militärbündnis: Die chaotische Zuspitzung imperialistischer Rivalitäten), Révolution internationale Nr. 491 (November/Dezember 2021)

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Krieg in der Ukraine

Wer kann den Kriegen und der kapitalistischen Barbarei ein Ende setzen?

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Wir erleben derzeit die intensivste Kriegspropaganda-Kampagne seit dem Zweiten Weltkrieg – nicht nur in Russland und der Ukraine, sondern auf der ganzen Welt. Deshalb ist es für alle, die auf die Kriegstrommeln mit der Botschaft des proletarischen Internationalismus antworten wollen, unerlässlich, jede Gelegenheit zu nutzen, um zur Diskussion und Klärung, zur gegenseitigen Solidarität und Unterstützung und zur bestmöglichen Festlegung der Methode der Revolutionäre gegen die militaristische Kampagne der Bourgeoisie zusammenzukommen. Aus diesem Grund hat die IKS eine Reihe von öffentlichen Online- und physischen Treffen in einer Reihe von Sprachen abgehalten – Englisch, Französisch, Spanisch, Niederländisch, Italienisch, Portugiesisch, Türkisch – und beabsichtigt, in naher Zukunft weitere Treffen zu organisieren.

Im Rahmen dieses kurzen Artikels können wir nicht den Anspruch haben, alle Diskussionen zusammenzufassen, die auf diesen Treffen stattfanden, die von einer ernsthaften und brüderlichen Atmosphäre und einem echten Wunsch, die Geschehnisse zu verstehen, geprägt waren. Stattdessen wollen wir uns auf einige der wichtigsten Fragen und Themen konzentrieren, die sich herauskristallisiert haben. Wir werden gleichzeitig einige Beiträge von Sympathisant:innen auf unserer Website veröffentlichen, die ihre eigene Sicht der Diskussionen und ihrer Dynamik wiedergeben.

Der internationalistische Kompass

Das erste und wahrscheinlich wichtigste Thema der Treffen war die breite Übereinstimmung, dass die Grundprinzipien des Internationalismus – keine Unterstützung für eines der beiden imperialistischen Lager, Ablehnung aller pazifistischen Illusionen, Bejahung des internationalen Klassenkampfes als einzige Kraft, die sich dem Krieg wirklich entgegenstellen kann – trotz des enormen ideologischen Drucks, vor allem in den westlichen Ländern, sich zur Verteidigung der "tapferen kleinen Ukraine" gegen den russischen Bären zu versammeln, nach wie vor gültig sind. Manch eine:r mag entgegnen, dass dies nur banale Allgemeinheiten seien, aber sie sollten keineswegs als selbstverständlich hingenommen werden, und sie sind sicherlich nicht leicht vorzubringen in dem gegenwärtigen Klima, in dem es nur sehr wenige Anzeichen für eine Klassenopposition gegen den Krieg gibt. Die Internationalist:innen müssen erkennen, dass sie im Moment gegen den Strom schwimmen. In diesem Sinne befinden sie sich in einer ähnlichen Situation wie die Revolutionäre, die 1914 die Aufgabe hatten, angesichts der Kriegshysterie, die die ersten Tage und Monate des Krieges begleitete, an ihren Prinzipien festzuhalten. Aber wir können uns auch von der Tatsache inspirieren lassen, dass die schließliche Reaktion der Arbeiterklasse gegen den Krieg die allgemeinen Losungen der Internationalist:innen in einen Leitfaden für die Aktionen verwandelten, die den Sturz der kapitalistischen Weltordnung zum Ziel hatten.

Ein zweites Schlüsselelement der Diskussion – das weniger breit geteilt wurde – war die Notwendigkeit, die Bedeutung des gegenwärtigen Krieges zu verstehen, der nach der Covid-Pandemie einen weiteren Beweis dafür liefert, dass der Kapitalismus in seiner Zerfallsepoche eine wachsende Bedrohung für das Überleben der Menschheit darstellt. Auch wenn der Krieg in der Ukraine nicht den Boden für die Bildung neuer imperialistischer Blöcke bereitet, die die Menschheit in einen dritten – und zweifellos endgültigen – Weltkrieg führen werden, so ist er doch Ausdruck der Verschärfung und Ausweitung der militärischen Barbarei, die in Verbindung mit der Zerstörung der Natur und anderen Erscheinungsformen eines in Agonie befindlichen Systems am Ende das gleiche Ergebnis wie ein Weltkrieg hätte. Unserer Ansicht nach stellt der gegenwärtige Krieg einen bedeutenden Schritt in der Beschleunigung des Zerfalls des Kapitalismus dar, in einem Prozess, der die Gefahr in sich birgt, das Proletariat zu überwältigen, bevor es seine Kräfte für einen bewussten Kampf gegen das Kapital aufbringen kann.

Die Notwendigkeit einer kohärenten Analyse

Wir wollen an dieser Stelle nicht näher begründen, warum wir die These von der Wiederherstellung stabiler militärischer Blöcke ablehnen. Wir möchten lediglich darauf hinweisen, dass wir trotz der realen Tendenzen zu einer "Bipolarisierung" der imperialistischen Gegensätze der Ansicht sind, dass diese durch die entgegengesetzte Tendenz jeder imperialistischen Macht, ihre eigenen Interessen zu verteidigen und sich nicht einer bestimmten Weltmacht unterzuordnen, überwogen werden. Diese letztgenannte Tendenz ist jedoch gleichbedeutend mit einem zunehmenden Kontrollverlust durch die herrschende Klasse, einem Abgleiten ins Chaos, das in vielerlei Hinsicht zu einer gefährlicheren Situation führt als diejenige, in der der Planet von rivalisierenden imperialistischen Blöcken während des Kalten Krieges "verwaltet" wurde.

Mehrere Genossinnen und Genossen, die bei den Treffen anwesend waren, stellten Fragen zu dieser Analyse; und einige, zum Beispiel Mitglieder der Communist Workers Organisation bei den englischsprachigen Treffen, waren eindeutig gegen unser Konzept des Zerfalls des Systems. Aber es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass ein zentraler Bestandteil einer konsequent internationalistischen Position die Fähigkeit ist, eine kohärente Analyse der Situation zu entwickeln, andernfalls besteht die Gefahr, durch das Tempo und die Unvorhersehbarkeit der unmittelbaren Ereignisse desorientiert zu werden. Und im Gegensatz zur Interpretation des Krieges durch die Genossinnen und Genossen der Cahiers du Marxisme Vivant auf einer der Versammlungen in Frankreich glauben wir nicht, dass einfache ökonomische Erklärungen, die Jagd nach kurzfristigem Profit, den wirklichen Ursprung und die Dynamik des imperialistischen Konflikts in einer historischen Epoche erklären können, in der ökonomische Motive zunehmend von militärischen und strategischen Notwendigkeiten dominiert werden. Die ruinösen Kosten dieses Krieges werden zusätzliche Beweise für diese Behauptung liefern.

Ebenso wichtig wie das Verständnis über Ursprung und Richtung des imperialistischen Konflikts ist eine nüchterne Analyse der Lage der Weltarbeiterklasse. Während allgemeines Einvernehmen darüber herrschte, dass die Kriegskampagne dem Bewusstsein einer Arbeiterklasse, die bereits unter einem tiefen Vertrauens- und Selbstbewusstseinsverlust gelitten hatte, schwere Schläge versetzt, neigten einige Teilnehmer:innen des Treffens zu der Ansicht, dass die Arbeiterklasse kein Hindernis mehr für den Krieg sei. Unsere Antwort war, dass die Arbeiterklasse nicht als homogene Masse behandelt werden kann. Es ist offensichtlich, dass die Arbeiterklasse in der Ukraine, die von der Mobilisierung für die "Verteidigung der Nation" faktisch ertränkt wurde, eine echte Niederlage erlitten hat. Anders sieht es in Russland aus, wo es trotz der brutalen Unterdrückung jeglicher Meinungsverschiedenheiten eindeutig eine verallgemeinerte Opposition gegen den Krieg gibt, und in der russischen Armee, wo es Anzeichen von Demoralisierung und sogar Rebellion gibt. Das Wichtigste ist jedoch, dass man beim Proletariat in den westlichen Ländern weder auf wirtschaftlicher noch auf militärischer Ebene auf Opferbereitschaft zählen kann, und dass die herrschende Klasse seit langem nicht in der Lage ist, für ihre militärischen Abenteuer etwas anderes als Berufssoldaten einzusetzen. Im Gefolge der Massenstreiks in Polen 1980 entwickelte die IKS ihre Kritik an Lenins Theorie, dass die Kette des Weltkapitalismus an ihrem "schwächsten Glied" brechen würde – in weniger entwickelten Ländern nach dem Vorbild Russlands 1917. Stattdessen bestanden wir darauf, dass die politisch weiter entwickelte Arbeiterklasse Westeuropas der Schlüssel für die Generalisierung des Klassenkampfes sein würde. In einem späteren Artikel werden wir erläutern, warum wir glauben, dass diese Ansicht auch heute noch gültig ist, trotz der Veränderungen in der Zusammensetzung des Weltproletariats, die in der Folge stattgefunden haben.[1]

Was ist zu tun?

Die Teilnehmer des Treffens teilten die berechtigte Sorge über die besondere Verantwortung der Revolutionäre angesichts dieses Krieges. Auf dem französischen und dem spanischen Treffen stand diese Frage im Mittelpunkt der Diskussion, aber unserer Meinung nach tendierten einige Genossen zu einem aktivistischen Ansatz und überschätzten die Möglichkeit, dass unsere internationalistischen Losungen einen unmittelbaren Einfluss auf den Verlauf der Ereignisse haben. Um das Beispiel des Aufrufs zur Verbrüderung zwischen Proletarier:innen in Uniform zu nehmen: Während er als allgemeine Perspektive vollkommen gültig bleibt, gibt es ohne die Entwicklung einer allgemeineren Klassenbewegung, wie wir sie in den Fabriken und auf den Straßen in Russland und Deutschland 1917-18 gesehen haben, kaum eine Chance, dass die Kämpfer:innen auf beiden Seiten dieses gegenwärtigen Krieges sich gegenseitig als Klassenbrüder und -schwestern sehen. Und natürlich sind die echten Internationalist:innen heute eine so kleine Minderheit, dass sie keinen unmittelbaren Einfluss auf den Verlauf des Klassenkampfes im Allgemeinen zu haben erwarten können.

Dennoch glauben wir nicht, dass dies bedeutet, dass Revolutionäre dazu verdammt sind, eine Stimme in der Wildnis zu sein. Auch hier müssen wir uns von Persönlichkeiten wie Lenin und Luxemburg im Jahr 1914 inspirieren lassen, die die Notwendigkeit verstanden, die Fahne des Internationalismus zu hissen, auch wenn sie von der Masse ihrer Klasse isoliert waren, und angesichts des Verrats früherer Arbeiterorganisationen weiter für Prinzipien zu kämpfen und angesichts der Alibis der herrschenden Klasse eine tiefgreifende Analyse der wahren Kriegsursachen zu entwickeln. Ebenso müssen wir dem Beispiel der Zimmerwalder und anderer Konferenzen folgen, die die Entschlossenheit der Internationalist:innen zum Ausdruck brachten, zusammenzukommen und ein gemeinsames Manifest gegen den Krieg herauszugeben, obwohl sie je an unterschiedlichen Analysen und Perspektiven festhielten. In diesem Sinne begrüßen wir die Teilnahme anderer revolutionärer Organisationen an diesen Treffen, ihren Beitrag zur Debatte und ihre Bereitschaft, unseren Vorschlag für eine gemeinsame Erklärung der Kommunistischen Linken gegen den Krieg zu prüfen.[2] Wir können die spätere Entscheidung der CWO/IKT, unseren Vorschlag abzulehnen, nur bedauern, ein Problem, auf das wir in einem späteren Artikel zurückkommen müssen.

Es war auch wichtig, dass die IKS auf die Fragen von Genoss:innen, was in ihrem jeweiligen Ort oder Land getan werden kann, betonte, dass der Aufbau und die Entwicklung von internationalen Kontakten und Aktivitäten, die Integration lokaler und nationaler Besonderheiten in einen globaleren Analyserahmen von größter Bedeutung sind. Die Arbeit auf internationaler Ebene gibt Revolutionären ein Mittel an die Hand, um gegen Isolation und die daraus resultierende Demoralisierung zu kämpfen.

Ein großer imperialistischer Krieg kann nur die Realität unterstreichen, dass revolutionäre Aktivität einzig in Verbindung mit revolutionären politischen Organisationen Sinn macht. Wie wir in unserem Bericht über die Struktur und die Funktionsweise der revolutionären Organisation geschrieben haben: "Die Arbeiterklasse bringt keine revolutionären Militanten hervor, sondern nur revolutionäre Organisationen: Es gibt keine direkte Beziehung zwischen Militanten und der Klasse".[3] Dies unterstreicht die Verantwortung der Organisationen der Kommunistischen Linken für die Bereitstellung eines Rahmens, eines militanten Bezugspunkts, an dem sich die einzelnen Genoss:innen orientieren können. Die Organisationen wiederum können nur durch die Beiträge und die aktive Unterstützung, die sie von diesen Genoss:innen erhalten, gestärkt werden.

Amos, 8. April 2022

 

[1] Das Proletariat von Westeuropa im Zentrum der Generalisierung des Klassenkampfes [5], International Review Nr. 31 (engl./frz./span. Ausgabe)

[2] Gemeinsame Erklärung von Gruppen der internationalen Kommunistischen Linken zum Krieg in der Ukraine [6]

[3] Bericht zur Struktur und Funktionsweise der Organisation der Revolutionäre [7], Internationale Revue Nr. 22

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IKS-Veranstaltungen zum Krieg in der Ukraine

„Humanitäre“ Propaganda im Dienste des Krieges

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Angesichts der Barbarei des Krieges hat die Bourgeoisie immer versucht, ihre mörderische Verantwortung und die ihres Systems hinter zynischen Lügen zu verbergen. Den Krieg in der Ukraine begleitet eine Flut von Propaganda und eine schmutzige Instrumentalisierung des Leids, die er erzeugt. Es vergeht kein Tag, an dem nicht auf allen Fernsehkanälen und auf den Titelseiten der Zeitungen, die sonst so diskret über das Unglück berichten, das der Kapitalismus über die Menschheit bringt, die Massenflucht und die Not der ukrainischen Familien gezeigt wird, die vor den Bombenangriffen fliehen. Die Medien zeigen Bilder von den traumatisierten ukrainischen Kindern die Opfer des Krieges geworden sind.

Humanitäre Mystifizierung als Kriegswaffe

Mit der propagandistischen Ausnutzung des Schocks, der durch die Verbreitung grausamer Bilder von Übergriffen, Flucht, Schrecken und Bombardierungen ausgelöst wurde, hat der Krieg in der Ukraine es der Bourgeoisie in den demokratischen Ländern ermöglicht, die spontane Welle der Sympathie und des Mitgefühls zu benutzen, um eine gigantische „humanitäre“ Kampagne rund um „Bürgerinitiativen“ für ukrainische Flüchtlinge (und sogar rund um die grausame Unterdrückung russischer Demonstranten und Kriegsgegner duch die russische Polizei) zu inszenieren und die Not und Verzweiflung der Opfer des größten Massenexodus seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zynisch zu instrumentalisieren.1 Überall werden „humanitäre Korridore“ und „Bürgernetzwerke“ zur Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge organisiert, um die Bereitstellung eines riesigen tödlichen Arsenals an Waffen zur „Verteidigung eines Märtyrervolkes“ vor dem „russischen Unhold“ zu rechtfertigen. Selbst in kleinen Dörfern werden von den Behörden Sammlungen, Spenden und alle Arten von „Initiativen“ oder Ausdrücke von Solidarität mit den ukrainischen Flüchtlingen organisiert und gefördert.

Hinter den Huldigungen des Märtyrertums des „ukrainischen Volkes“ verbirgt sich die schmutzige Realität einer schamlosen Ausbeutung von Großzügigkeit durch die Staaten, die allesamt Kriegstreiber sind und sich nicht um das tragische Schicksal einer Bevölkerung scheren, die zwischen russischen Bombenangriffen und der erzwungenen „Generalmobilmachung“ der Regierung Selenskyi als Geiseln gehalten wird. Für die Bourgeoisie dient das „ukrainische Volk“ vor allem als Kanonenfutter in einem „patriotischen Kampf“ gegen „die Invasoren“. Der gleiche Zynismus erklärt, warum die westliche Bourgeoisie die Massaker, die die ukrainische Regierung seit 2014 in den russischsprachigen Regionen Luhansk und Donezk verübte, wo in acht Jahren fast 14.000 Menschen getötet wurden, verschleiert hat.

Der angebliche Humanismus der europäischen Staaten ist eine große Lüge und reine Mystifikation. Die Bemühungen, Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen zu helfen, sind größtenteils auf die Initiative der Bevölkerung zurückzuführen und keineswegs das Verdienst der Staaten. Es ist unbestreitbar, dass es seit Ausbruch des Krieges und seit Beginn des Exodus der Familien eine enorme spontane Welle der Solidarität gegeben hat. Diese unmittelbare und zutiefst menschliche Reaktion, allen Hilfe, Beistand und Unterstützung zukommen zu lassen, indem man denjenigen, die brutal in Not und Verzweiflung geraten sind, ein Dach über dem Kopf anbietet und ihnen Mahlzeiten bringt, ist bemerkenswert.

Aber diese grundlegende Solidarität reicht nicht aus. Sie ist nicht das Produkt einer kollektiven Mobilisierung der ArbeiterInnen auf ihrem Klassenboden. Sie entspringt einer Summe von Einzelinitiativen, die die Bourgeoisie immer wieder vereinnahmt, ausnutzt und für ihre Zwecke instrumentalisiert, so auch heute. Im Übrigen wurden diese Reaktionen sofort auf das Feld der bürgerlichen Propaganda gelenkt, um den Krieg zu rechtfertigen, das tödliche Gift des Nationalismus zu verherrlichen und zu versuchen, wieder ein Klima der heiligen Einigkeit gegen den „berüchtigten russischen Eindringling“ zu schaffen.

Die demokratischen Mächte Westeuropas konnten gar nicht anders, als ihre Grenzen für ukrainische Flüchtlinge zu öffnen, es sei denn, sie würden Hunderttausende von ihnen innerhalb der ukrainischen Grenze unter Zwang blockieren. Damit wäre ihre gesamte antirussische Kriegspropaganda in sich zusammengebrochen. Denn wenn sie sich bereit erklären, Ukrainer aufzunehmen, dann dient dies lediglich der ideologischen Rechtfertigung einer Mobilisierung und vor allem von Waffenlieferungen an die Ukraine gegen „Putins Ungeheuerlichkeiten“ und zur Verteidigung ihrer eigenen nationalen imperialistischen Interessen.

Gleichzeitig dienen diese Kampagnen dazu, zu verschleiern, dass die Verantwortung für diese dramatische Situation bei allen Staaten liegt, bei der Logik der imperialistischen Konkurrenz und Rivalität des Systems selbst, die die Vervielfachung der Kriegsherde, die Ausbreitung des Elends, die Massenflucht der Bevölkerung, Chaos und Barbarei erzeugt.

Der abscheuliche Zynismus einer Klasse von Aasgeiern

Alle Staaten vergießen heute Krokodilstränen über die ukrainischen Flüchtlinge, die sie angeblich im Namen des sogenannten „Rechts auf Asyl“ mit offenen Armen empfangen. Diese schönen Versprechungen zur Aufnahme von Flüchtlingen sind nichts als Augenwischerei. Überall haben die westeuropäischen Staaten Quoten für die Aufnahme von Migranten eingeführt, die vor Elend, Chaos und Krieg flüchten. Diese umherirrenden Flüchtlinge sind nicht wie die Mehrheit der Ukrainer blonde, blauäugige Europäer; sie sind nicht christlichen Glaubens, sondern häufig Muslime. Sie werden wie Vieh zwischen den völlig unerwünschten „Wirtschaftsflüchtlingen“ und den „Kriegsflüchtlingen“ oder „politischen Flüchtlingen“ sortiert. Man müsse also zwischen „guten“ und „schlechten“ Flüchtlingen sortieren... All das mit dem Blankoscheck der Europäischen Union und ihrer großen Demokratien. Eine solche Selektion, eine solche Ungleichbehandlung ist völlig abstoßend. In Frankreich beispielsweise schickte die Macron-Regierung vor weniger als zwei Jahren ihre Polizisten los, um Migrantenfamilien, die ihre Zelte auf dem Place de la République in Paris aufgestellt hatten, mit harter Hand zu vertreiben; die Polizisten verprügelten die unerwünschten Personen und zerschnitten ihre Zelte mit Messerstichen. Erst kürzlich, als irakische Flüchtlinge an die Tür Europas klopften und vom weißrussischen Staat als Druckmittel missbraucht wurden, stießen sie an der polnischen Grenze auf Stacheldraht und wurden von den bis an die Zähne bewaffneten Robocops der Europäischen Union geschlagen. Die „großen Demokratien“ waren damals weit weniger gastfreundlich, trotz des dennoch deutlich sichtbaren Leidens der Menschen, die froren und hungerten.

Welche Realität verbirgt sich hinter der variablen Geometrie des heuchlerischen Mitgefühls, dieser sogenannten Solidarität der Staaten? Die Bourgeoisie hat in den meisten „Gastländern“ darauf geachtet, einen „Sonderstatus“ für Ukrainer zu schaffen, der sich völlig von dem anderer Flüchtlinge unterscheidet, um Gegensätze und Spaltungen in der Bevölkerung und der Arbeiterklasse zu schaffen. In Belgien zum Beispiel hat die Regierung beschlossen, Ukrainern einen ganz anderen Status als anderen Kriegsflüchtlingen zu gewähren. Während Letztere in der Regel erst eine strenge Kontrolle durchlaufen müssen, um eine mögliche Arbeitserlaubnis im „Gastland“ zu erhalten, wird diese Erlaubnis ukrainischen Staatsangehörigen von vornherein gewährt, die außerdem eine weitaus höhere Beihilfe als andere erhalten. Selbst die Höhe ihres Unterhalts ist höher als der Mindestlohn der „einheimischen“ Arbeitnehmer … Dieses schmutzige Manöver im Dienste der imperialistischen Propaganda ermöglicht es der Regierung, nicht nur einen Antagonismus zwischen Ukrainern und anderen Flüchtlingen zu schaffen, sondern auch einen zusätzlichen Faktor der Spaltung und ein Klima der Konkurrenz innerhalb der Arbeiterklasse heraufzubeschwören.

Eine Minderheit der hochqualifizierten ukrainischen Flüchtlinge wird zur Freude der Bourgeoisie in einigen Ländern wie Deutschland, in denen ein großer Mangel an solchen Arbeitskräften herrscht, integriert. Bei den anderen, der überwiegenden Mehrheit, wird der Massenzustrom zu großen Problemen für die europäische Bourgeoisie führen, die nicht in der Lage ist, sie zu absorbieren. Früher oder später werden sie ohnehin in ihrer großen Mehrheit der populistischen Ideologie ausgeliefert sein und als Sündenböcke für die sozialen und wirtschaftlichen Probleme herhalten müssen, die die gesamte Bourgeoisie dann gerne hervorheben wird.

Vor allem dürfen die ArbeiterInnen um keinen Preis den Heucheleien dieser humanitären Kampagnen auf den Leim kriechen, die ideologischen Fallstricke erkennen, und den heiligen Schulterschluss mit ihren Ausbeutern im Angesicht des Krieges kategorisch ablehnen. Wir müssen gleichzeitig kämpfen, unsere eigenen Klasseninteressen gegen die Verschärfung der Angriffe im Zusammenhang mit der Krise und dem Krieg zu verteidigen. Nur durch die internationale Entwicklung dieses Kampfes, über die von der herrschenden Klasse errichteten Grenzen und Konflikte hinweg, können wir unsere Klassensolidarität mit den Flüchtlingen und allen Opfern der zunehmenden Barbarei des Kapitalismus voll zum Ausdruck bringen und ihnen eine Perspektive bieten: die Perspektive einer Gesellschaft, die vom Gesetz des Profits und der tödlichen Dynamik des Systems befreit ist.

Wim, 3. April 2022

1 Allein in den ersten 10 Tagen wurden 1,5 Millionen Flüchtlingen registriert, heute über 4 Millionen, wobei das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) davon ausgeht, dass diese Zahl auf 5 bis 10 Millionen Menschen ansteigen wird.
 

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Ideologische Kampagnen

Zimmerwalder Konferenz 1915 – ein unverzichtbarer Bezugspunkt für die Verteidigung des Internationalismus

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Der Kampf gegen den Krieg kann von der Arbeiterklasse nur durch den Kampf auf ihrem eigenen Klassenterrain und durch ihre internationale Vereinigung in die Hand genommen werden. Revolutionäre Organisationen können nicht passiv auf eine massive Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Krieg warten: Sie müssen als entschlossene Speerspitze bei der Verteidigung des Internationalismus auftreten und auf die Notwendigkeit des Sturzes des kapitalistischen Systems hinweisen. Dies erfordert, dass sich die Arbeiterklasse und ihre revolutionären Organisationen die Lehren und die Haltung früherer Kämpfe gegen den Krieg wieder zu eigen machen. Die Erfahrung der Konferenz von Zimmerwald ist in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich.

Zimmerwald ist ein kleines Dorf in der Schweiz, und im September 1915 fand dort eine kleine Konferenz statt: 38 Delegierte aus 12 Ländern – alle Internationalistinnen und Internationalisten, die in ein paar Taxis anreisten, wie Trotzki scherzte. Und selbst von diesen wenigen vertrat nur eine kleine Minderheit eine wirklich revolutionäre Position gegen den Krieg. Nur die Bolschewiki um Lenin und einige der deutschen Gruppen standen für revolutionäre Methoden und revolutionäre Ziele: die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg, die Zerstörung des Kapitalismus als Quelle aller Kriege. Die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer vertraten eine zentristische Position oder neigten sich sogar stark nach rechts.

Das Ergebnis der heftigen Debatten in Zimmerwald war ein Manifest an die Arbeiterinnen und Arbeiter der Welt, das in vielerlei Hinsicht ein Kompromiss zwischen der revolutionären Linken und der Mitte war, da es die revolutionären Losungen der Bolschewiki nicht aufgriff. Dennoch konnte es mit seiner deutlichen Anprangerung des Krieges und seinem Aufruf zum Klassenkampf gegen den Krieg die Antikriegsstimmung, die in der Masse der Arbeiterklasse wuchs, artikulieren und politisieren.

Der Kampf für den Internationalismus braucht eine politische Organisation

Das Beispiel von Zimmerwald zeigt, dass der Kampf der Revolutionäre gegen den Krieg auf drei verschiedenen, aber miteinander verbundenen Ebenen stattfindet:

- Propaganda und Agitation: Die Revolutionäre warteten nicht, bis sich die Klasse in Bewegung setzte: Sie begannen mit der Agitation gegen den Krieg am ersten Tag der Feindseligkeiten, lange bevor die Klasse in der Lage war zu reagieren. Der Zusammenschluss der Revolutionäre in politischen Organisationen ermöglichte es ihnen, ihre Propaganda und Agitation über eine regelmäßige Presse und massenhaft produzierte Flugblätter zu entfalten und in den Arbeiterversammlungen und -räten, die später entstanden, nicht als Einzelpersonen zu sprechen, die nur sich selbst vertraten, sondern im Namen einer bestimmten politischen Tendenz innerhalb der Klassenbewegung.

- Organisatorisch: Der Verrat der Mehrheit der alten Parteien verlangte, dass die Minderheit der Internationalistinnen und Internationalisten als organisierte Fraktion arbeiten musste, um entweder für den Ausschluss der Verräter zu arbeiten oder, wenn sich dies als unmöglich erwies, was meistens der Fall war, um die Gewinnung einer maximalen Anzahl politisch klarer Elemente zu kämpfen und den Boden für eine neue Partei, eine neue Internationale vorzubereiten. Dies erforderte einen unerbittlichen Kampf gegen Zentrismus und Opportunismus, gegen den ideologischen Einfluss der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums. So war vor allem die Zimmerwalder Linke die treibende Kraft bei der Gründung der Dritten Internationale im Jahr 1919. In einer Situation des Krieges oder der bevorstehenden Revolution, war der Heroismus einzelner Kämpferinnen und Kämpfer wie Luxemburg, Liebknecht, John Mclean oder Sylvia Pankhurst sicherlich von entscheidender Bedeutung, konnte aber für sich allein niemals ausreichen. Er konnte nur im Rahmen einer kollektiven Organisation mit einem klaren politischen Programm eine wirkliche Bedeutung entfalten.

- Theoretisch: Die Notwendigkeit, die Merkmale der neuen Epoche zu verstehen, erfordert eine geduldige Arbeit der theoretischen Ausarbeitung und die Fähigkeit, einen Schritt zurückzutreten, um die gesamte Situation im Lichte der Vergangenheit und der Zukunftsaussichten neu zu bewerten. Die Arbeit von Lenin, Bucharin, Luxemburg, Pannekoek und anderen ermöglichte es der wiedererstehenden politischen Bewegung der Arbeiterklasse zu verstehen, dass eine neue Epoche angebrochen war, eine Epoche, in der der Klassenkampf neue Formen und neue Methoden annahm, um direkt revolutionäre Ziele zu erreichen. In einer Reihe von Fragen gab es beträchtliche Divergenzen, zum Beispiel zwischen Lenin und Luxemburg in der Frage der nationalen Selbstbestimmung, was sie jedoch nicht daran hinderte, eine gemeinsame Position gegen den Krieg einzunehmen, während sie weiterhin so leidenschaftlich und intensiv wie zuvor diskutierten.

Wir können hier nicht näher darauf eingehen, empfehlen unseren Leserinnen und Lesern aber die Lektüre der folgenden Artikel:

https://en.internationalism.org/content/3154/zimmerwald-1915-1917-war-revolution [8] (International Review Nr. 44 [engl/frz./span. Ausgabe], 1986)

https://de.internationalism.org/content/2665/konferenz-von-zimmerwald-die-zentristischen-stroemungen-innerhalb-der-organisationen [9] (IKSonline Februar 2016)

https://de.internationalism.org/content/1177/die-konferenz-von-zimmerwald [10] (Weltrevolution Nr. 72, 1995)

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Die Revolutionäre und der Krieg

Die Arbeiterklasse darf keine Opfer für den Krieg und für die Krise akzeptieren

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Die Entfesselung der Barbarei des Krieges in der Ukraine bedroht uns mit immer mehr "Kollateralschäden", darunter vor allem mehr Elend in der Welt, einer erhebliche Verschärfung der wirtschaftlichen Angriffe auf die Arbeiterklasse: Intensivierung der Ausbeutung, steigende Arbeitslosigkeit, Inflation.

Zusammen mit den Drohungen Russlands mit möglichen Atomschlägen und der Gefahr radioaktiver Wolken, die aus den durch die Kämpfe beschädigten ukrainischen Atomkraftwerken entweichen könnten, bergen die von einer Reihe von Ländern ergriffenen oder geplanten Maßnahmen, um die russische Wirtschaft in die Knie zu zwingen, das Risiko einer Destabilisierung der Weltwirtschaft. Ein weiteres tragisches Beispiel für die derzeitige kriegerische Eskalation ist die starke Tendenz zur Erhöhung der Militärbudgets (insbesondere durch die plötzliche Entscheidung Deutschlands, das Militärbudget zu verdoppeln), die die wirtschaftliche Lage der betroffenen Länder weiter schwächen wird.

Auf dem Weg zu einer neuen weltweiten Wirtschaftsdepression und neuen Kriegen

Die wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen gegen Russland werden in einem Großteil der europäischen Länder zu Rohstoffengpässen führen und für eine Reihe von ihnen den Verlust von Märkten in Russland bedeuten. Die Rohstoffpreise werden dauerhaft in die Höhe schnellen und damit auch die Preise für viele Waren. Die Rezession wird sich auf die ganze Welt ausdehnen, und in diesem Maßstab wird das Elend zunehmen und die Ausbeutung der Arbeiterklasse sich verstärken.

Wir sind weit davon entfernt, zu übertreiben, wie die folgenden Erklärungen deutscher Experten für ein "sachkundiges Publikum" zeigen, das die Zukunft vorhersagen will, um die Interessen der Bourgeoisie bestmöglich zu verteidigen: "Wir sprechen dann von einer schweren Wirtschaftskrise in Deutschland und damit in Europa". „Firmenzusammenbrüche und Arbeitslosigkeit" stünden dann am Horizont - für lange Zeit: "Wir reden hier nicht von drei Tagen oder drei Wochen", sondern eher von "drei Jahren"[1]. In diesem Zusammenhang hätten dauerhaft historisch hohe Energiepreise Folgen, die weit über Deutschland und Europa hinausreichen und vor allem die ärmeren Länder treffen würden. Letztendlich könnte ein solcher Anstieg der Energiepreise, so hieß es vor wenigen Tagen, "zum Zusammenbruch ganzer Staaten in Asien, Afrika und Südamerika führen".[2]

Das Ausmaß und die Tiefe der gegen Russland ergriffenen Maßnahmen erklären jedoch trotz ihrer unbestreitbaren Härte nicht allein den wirtschaftlichen Tsunami, der die Welt treffen wird. Hier muss der aktuelle Grad der Verschlechterung der Weltwirtschaft ins Spiel gebracht werden, der das Produkt eines langen Prozesses der Verschärfung der weltweiten Krise des Kapitalismus ist. Aber zu dieser Frage mussten die "Experten" schweigen, um nicht zugeben zu müssen, dass die Ursache für den Verfall des Weltkapitalismus in seiner historischen und unüberwindbaren Krise liegt, genauso wie sie sich hüten, diesen Krieg, wie alle anderen seit dem Ersten Weltkrieg, als ein Produkt des dekadenten Kapitalismus zu identifizieren. Ebenso wenig gehen sie auf bestimmte Folgen eines weiteren Abgleitens der Wirtschaft in die Krise und der damit untrennbar verbundenen Verschärfung des Handelskriegs ein: eine weitere Verschärfung der imperialistischen Spannungen und eine weitere Flucht in den Krieg der Waffen[3]. In einer ähnlichen Art der Verteidigung des Kapitalismus sorgen sich einige um die sehr wahrscheinlichen Folgen einer schweren Verknappung von Grundnahrungsmitteln, die bislang in der Ukraine produziert werden, nämlich soziale Unruhen in einer Reihe von Ländern, ohne sich offensichtlich um das Leid der hungernden Bevölkerung zu kümmern.

Eine Weltwirtschaft, die von der Anhäufung der Widersprüche des Kapitalismus überwältigt wird

Die Covid-Pandemie hatte bereits eine zunehmende Verwundbarkeit der Wirtschaft angesichts des Zusammentreffens einer Reihe von Faktoren gezeigt, die für die Zeit seit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der anschließenden Auflösung der Blöcke typisch sind.

Eine zunehmend kurzfristige Sichtweise hat den Kapitalismus dazu veranlasst, für die Erfordernisse der Krise und des globalen wirtschaftlichen Wettbewerbs eine Reihe von zwingenden Notwendigkeiten eines jeden Ausbeutungssystems zu opfern, wie etwa die Notwendigkeit, seinen Ausgebeuteten ausreichende medizinische Versorgung zur Verfügung zu stellen. So hat der Kapitalismus nichts unternommen, um den Ausbruch der Covid-19-Pandemie zu verhindern, die selbst ein reines gesellschaftliches Produkt ist, was ihre Übertragung vom Tier auf den Menschen und ihre Ausbreitung über den Globus betrifft, obwohl Wissenschaftler vor ihrer Gefahr gewarnt hatten. Darüber hinaus hat die Verschlechterung des Gesundheitssystems in den letzten dreißig Jahren dazu beigetragen, dass die Pandemie viel tödlicher geworden ist. Das Ausmaß der Katastrophe und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft wurden auch dadurch begünstigt, dass auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens jeder für sich selbst kämpft (ein Merkmal der gegenwärtigen Zerfallsphase des Kapitalismus), was die klassischen Erscheinungsformen des Wettbewerbs verschärft und zu unglaublichen Entwicklungen wie dem Krieg um Masken, Beatmungsgeräte, Impfstoffe usw. zwischen Ländern, aber auch zwischen staatlichen oder privaten Stellen innerhalb eines Landes führt. Millionen von Menschen starben weltweit, und die teilweise Lähmung der Wirtschaftstätigkeit und ihre Desorganisation führten 2020 zur schlimmsten Depression seit dem Zweiten Weltkrieg.

Indem die Pandemie die Wirtschaft weltweit beeinträchtigte, deckte sie auch neue Hindernisse für die kapitalistische Produktion auf, wie die erhöhte Anfälligkeit der Lieferketten für verschiedene Faktoren. Wenn nur ein Glied der Kette aufgrund von Krankheit, politischer Instabilität oder Klimakatastrophen defekt oder funktionsunfähig ist, kann es zu erheblichen Verzögerungen beim Endprodukt kommen, die mit den Anforderungen für die Belieferung der Märkte nicht vereinbar sind. So kam es, dass in einigen Ländern eine beträchtliche Anzahl von Autos wegen Lieferschwierigkeiten von bestimmten Bauteilen nicht fertiggestellt werden konnte, die namentlich aus Russland geliefert wurden. Der Kapitalismus ist somit mit dem Bumerang-Effekt der ins Extrem gesteigerten ‚Globalisierung‘ der Wirtschaft konfrontiert, die die Bourgeoisie seit den 1980er Jahren schrittweise entwickelt hatte, um die Kapitalrentabilität durch die Auslagerung eines Teils der Produktion, die von viel billigeren Arbeitskräften durchgeführt wird, zu verbessern.

Darüber hinaus sieht sich der Kapitalismus zunehmend mit Katastrophen konfrontiert, die aus den Auswirkungen der globalen Erwärmung resultieren (extrem verheerende Brände, gewaltsam über die Ufer tretende Flüsse, ausgedehnte Überschwemmungen ...) und die nicht mehr nur die landwirtschaftliche Produktion, sondern die gesamte Produktion in immer stärkerem Maße beeinträchtigen. Der Kapitalismus zahlt somit seinen Tribut an die seit 1945 forcierte (und seit den 1970er Jahren in ihren Auswirkungen immer deutlicher spürbare) Ausbeutung und Zerstörung der Natur durch die verschiedenen Kapitale, die auf der Suche nach neuen und immer kleineren Profitquellen miteinander konkurrieren.

Das Bild, das wir gerade gezeichnet haben, kommt nicht von ungefähr, sondern ist das Ergebnis von mehr als 100 Jahren kapitalistischer Dekadenz, die mit dem Ersten Weltkrieg begann und in denen das System ständig mit den Auswirkungen der Überproduktionskrise konfrontiert war, die den Kern aller Widersprüche des Kapitalismus bildet. Die Überproduktionskrise war die Ursache für alle Rezessionen dieser Periode: die große Depression der 1930er Jahre und nach einer scheinbaren wirtschaftlichen Erholung in den 1950/60er Jahren, die manche als "Goldene Dreißiger" (Wirtschaftswunder) bezeichneten, trat die offene Krise des Kapitalismus in den späten 1960er Jahren erneut auf. Jede ihrer Ausprägungen führte zu einer Rezession, die schwerer war als die vorherige: 1967, 1970, 1975, 1982, 1991, 2001, 2009. Jedes Mal musste die Wirtschaft mit Schulden angekurbelt werden, die in immer größerem Umfang nur mit neuen Schulden zurückgezahlt werden können, und so weiter... So ist jede neue offene Ausprägung der Krise verheerender, während das Mittel, mit dem sie bewältigt wird, nämlich die Verschuldung, eine zunehmende Bedrohung für die wirtschaftliche Stabilität darstellt.

Eine Verlangsamung des Wachstums zehn Jahre nach dem Finanzcrash von 2008 erforderte eine erneute Ankurbelung der Verschuldung, während der Produktionsrückgang im Jahr 2020, der, wie wir gesehen haben, die Wirtschaft angesichts einer Reihe "neuer" Faktoren (Pandemie, globale Erwärmung, Störungsanfälligkeit der Lieferketten usw.) stützen sollte, einen neuen Rekord der weltweiten Verschuldung bedeutete, der dazu führte, dass sie sich noch weiter von der Realwirtschaft abkoppelte (sie stieg auf 256% des Wertes des weltweiten BIP). Dies hat schwerwiegende Auswirkungen: Sie führt zur Abwertung der Währungen und heizt damit die Inflation an. Ein dauerhafter Preisanstieg birgt die Gefahr sozialer Unruhen verschiedener Art (klassenübergreifende Bewegungen, Klassenkampf) und behindert den Welthandel. Deshalb wird die Bourgeoisie zunehmend gezwungen sein, einen Balanceakt zu vollführen - der ihr zwar vertraut ist, aber immer gefährlicher wird -, um zwei antagonistische Notwendigkeiten zu bewältigen:

-  Die Zinssätze erhöhen, um den Inflationsanstieg zu bremsen, was jedoch zur Folge hat, dass der Kredithahn nicht mehr so stark sprudelt;

-  die Wirtschaft zu stützen, da sie ohne ständige Kreditspritzen nicht in der Lage ist, sich selbst zu erhalten.

Und das in einem Umfeld, in dem die Wirtschaft tendenziell stagniert und die Inflation hoch ist.

Außerdem ist eine solche Situation günstig für das Platzen von Spekulationsblasen, die zur Destabilisierung der Weltwirtschaft und des Welthandels beitragen können (wie im Immobiliensektor in den USA 2008 und in China 2021).

Die Lügen der Bourgeoisie

Angesichts all dieser Erscheinungen (Krieg oder Wirtschaftskrise) bringt die Bourgeoisie immer eine ganze Reihe von falschen Erklärungen in Umlauf, denen allen gemeinsam ist, dass sie den Kapitalismus von den Übeln, die die Menschheit bedrängen, freisprechen.

Im Jahr 1973 (das nur ein Moment in der Vertiefung der offenen Krise war, die seitdem zu einer mehr oder weniger permanenten Krise geworden ist) wurde die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und der Inflation mit dem Anstieg des Ölpreises erklärt. Der Anstieg des Ölpreises ist jedoch eine Begleiterscheinung des kapitalistischen Handels und nicht einer Kraft, die außerhalb dieses Systems liegt.[4]

Die aktuelle Situation ist eine weitere Illustration dieser Regel. Der Krieg in der Ukraine wird auf das Konto des totalitären Russlands und nicht des krisengeschüttelten Kapitalismus geschrieben, als ob dieses Land nicht ein vollwertiger Teil des globalen Kapitalismus wäre.

Angesichts der Aussichten auf eine erhebliche Verschärfung der Wirtschaftskrise bereitet die Bourgeoisie den Boden vor, um die Proletarier dazu zu bringen, die schrecklichen Opfer zu akzeptieren, die ihnen auferlegt und als Folge der Vergeltungsmaßnahmen gegen Russland dargestellt werden sollen. Ihre Rhetorik lautet bereits: "Die Bevölkerung kann durchaus akzeptieren, dass sie aus Solidarität mit dem ukrainischen Volk etwas weniger heizen oder essen muss, denn das sind die Kosten der Anstrengungen, die notwendig sind, um Russland zu schwächen".

Seit 1914 ist die Arbeiterklasse durch die Hölle gegangen: mal Kanonenfutter in zwei Weltkriegen und unaufhörlichen, tödlichen regionalen Konflikten; mal Opfer der Massenarbeitslosigkeit während der großen Depression in den 1930er Jahren; mal gezwungen, die Ärmel hochzukrempeln, um die von zwei Weltkriegen zerstörten Länder und Volkswirtschaften wieder aufzubauen; mal seit der Rückkehr der Weltwirtschaftskrise Ende der 1960er Jahre, bei jeder neuen Rezession in Unsicherheit oder Armut gestürzt.

Angesichts eines erneuten Abrutschens in die Wirtschaftskrise und immer stärkerer Kriegsdrohungen würde sie in ihr Verderben laufen, wenn sie auf die Bourgeoisie hören würde, die von ihr verlangt, immer mehr Opfer zu bringen. Stattdessen muss sie die Widersprüche des Kapitalismus, die sich in Krieg und wirtschaftlichen Angriffen ausdrücken, nutzen, um ihren Klassenkampf für den Sturz des Kapitalismus soweit und so bewusst wie möglich voranzutreiben.

Silvio (26. März 2022)

 

[1] "Habeck: Mittel zur Dämpfung der Energiepreise prüfen", Süddeutsche Zeitung (8. März 2022)

[2] "USA setzen Ölembargo auf die Tagesordnung", Frankfurter Allgemeine Zeitung (8. März 2022)

[3] "Resolution zur internationalen Lage", International Review (engl. Ausgabe) Nr. 63 (Juni 1990)

[4] Lest unseren Artikel, Der Anstieg des Ölpreises: Eine Folge und nicht die Ursache der Krise, International Review Nr. 19 (engl./frz./span. Ausgabe).

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Krieg in der Ukraine

Der Trotzkismus – der große Zutreiber des Imperialismus, Rekrutierer von Kanonenfutter

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Seit seinem Wechsel ins bürgerliche Lager hat der Trotzkismus keine Gelegenheit ausgelassen, das Bewusstsein der Arbeiterklasse anzugreifen, indem er die Proletarier in den seit dem Zweiten Weltkrieg aufeinanderfolgenden Konflikten auf die Seite eines imperialistischen Lagers gegen ein anderes drängte. Seine Positionierung angesichts des kriegerischen Chaos in der Ukraine bestätigt dies einmal mehr. Diese Wachhunde des Kapitalismus schwanken also zwischen offen kriegstreibenden Stellungnahmen, in denen sie dazu aufrufen, sich auf die Seite einer der kriegführenden Seiten zu stellen, und anderen, scheinbar "subtileren" und "radikaleren" Stellungnahmen, die aber genauso die Fortsetzung der kriegerischen Barbarei rechtfertigen. Die Lügen und Mystifikationen des Trotzkismus sind ein wahres Gift gegen die Arbeiterklasse und sollen sie mit den Posen eines Marxismus, der nur dem Namen nach einer ist, verwirren.
Die Position der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) in Frankreich gehört in die Kategorie der Kriegstreiber: "Nein zum Krieg! Solidarität mit dem Widerstand des ukrainischen Volkes! [...] In Situationen wie der gegenwärtigen in der Ukraine, solange die Bombardierungen weitergehen und russische Truppen vor Ort sind, bringt jede abstrakte "pazifistische" Position wie der Aufruf zu "Ruhe", "Einstellung der Gewalt" oder "Feuerpause" die Parteien de facto in Gegensatz zueinander und kommt einer Verneinung des Rechts der Ukrainer gleich, sich selbst zu verteidigen, auch militärisch". Deutlicher kann man sich nicht ausdrücken! Diese bürgerliche Kraft ruft die Proletarier:innen offen dazu auf, als Märtyrer:innen der Verteidigung des Vaterlandes zu dienen. Mit anderen Worten: der Verteidigung des nationalen Kapitals, das sich selbst von seiner Ausbeutung ernährt. Mit der gleichen Verachtung, aber mit größerer Subtilität und der Perfidie ihrer Doppelzüngigkeit, tut Lutte Ouvrière (LO) im Namen der Verteidigung des "Internationalismus" so, als würde sie einen Krieg verurteilen, der "auf dem Rücken der Völker ausgetragen würde", um letztlich die Proletarier:innen dazu aufzurufen, sich im Namen des "Widerstands gegen den Imperialismus" und des "Rechts der Völker auf Selbstbestimmung" die Haut durchlöchern zu lassen und als Kanonenfutter zu dienen – hinter ihrer nationalen Bourgeoisie. Ihre französische Präsidentschaftskandidatin Nathalie Arthaud zögerte übrigens nicht, "die Arbeiter" zur Verteidigung des armen kleinen ukrainischen Staates gegen das "bürokratische" Russland und das "imperialistische" Amerika zu drängen: "Putin, Biden und die anderen Führer der NATO-Länder führen einen Krieg gegen die Völker, für die sie alle die gleiche Verachtung teilen".

Als ob Selenskij und seine korrupte Oligarchenclique nicht selbst für die Zerschlagung der ukrainischen Bevölkerung und insbesondere der Arbeiterklasse verantwortlich wären, deren Männer gezwungen sind, für Interessen, die nicht die ihren sind, in den Kampf zu ziehen. Das Movimiento Socialista de los Trabajadores (MST), ein südamerikanisches Mitglied der sogenannten Vierten Internationale, prangert sowohl die russische Invasion der Ukraine als auch die Einmischung der NATO an. Doch hinter dieser angeblich internationalistischen Stellungnahme verbirgt sich diesmal die Wiederanerkennung des "Rechts auf Selbstbestimmung des Donbass-Volkes", das genau das Alibi ist, das Putin für seine Invasion der Ukraine vorgebracht hat! In Großbritannien und den USA entwickelt die Internationalist Bolshevic Tendency (IBT) eine noch geschicktere Position: In einem Artikel mit dem Titel "Revolutionärer Defätismus und proletarischer Internationalismus" erinnert die IBT an Lenins bereits zweideutige Position, dass "in allen imperialistischen Ländern das Proletariat jetzt die Niederlage seiner eigenen Regierung wünschen muss" (was er als "doppelten Defätismus" bezeichnete), und fügt hinzu: "der doppelte Defätismus gilt nicht, wenn ein imperialistisches Land ein nicht-imperialistisches Land in etwas angreift, was tatsächlich ein Eroberungskrieg ist. In solchen Fällen beschränken sich Marxisten nicht darauf, die Niederlage ihrer eigenen imperialistischen Regierung herbeizuwünschen, sondern sie favorisieren aktiv den militärischen Sieg des nicht-imperialistischen Staates" (aus dem Englischen von uns übersetzt – und unterstrichen). Es reicht also, die Ukraine als nicht-imperialistischen Staat zu definieren, und die Wahl ist schnell getroffen, um die Proletarier:innen ins Schlachthaus zu treiben! Es stimmt zwar, dass die IBT eine Schwäche in Lenins Position zum Imperialismus bis ins Absurde ausnutzt.[1] Der Irrtum der Bolschewiki und der Kommunistischen Internationale, die den Übergang von der aufsteigenden Phase des Kapitalismus in seine Dekadenz zwar direkt erlebten, ohne aber alle Schlussfolgerungen daraus gezogen zu haben, ist verständlich. Aber nach einem Jahrhundert der Angriffskriege jedes Landes gegen jedes andere (Irak gegen Kuwait, Iran gegen Irak usw.) mit derselben Position hausieren zu gehen, ist reine Mystifikation!
Diese ganze Mystifizierung basiert auf der bürgerlichen Parole vom "Selbstbestimmungsrecht der Völker", die den Imperialismus zu einem Kampf zwischen den "Großmächten" allein macht. Doch wie Rosa Luxemburg bereits 1916 in Die Krise der Sozial-Demokratie feststellte: "Die imperialistische Politik ist nicht das Werk irgendeines oder einiger Staaten, sie ist das Produkt eines bestimmten Reifegrads in der Weltentwicklung des Kapitals, eine von Hause aus internationale Erscheinung, ein unteilbares Ganzes, das nur in allen seinen Wechselbeziehungen erkennbar ist und dem sich kein einzelner Staat zu entziehen vermag." Die Kämpfe der sogenannten nationalen Verteidigung können nicht mehr Teil der Forderungen der Arbeiterklasse sein, sondern stellen im Gegenteil ein wahres Gift für ihren revolutionären Kampf dar, eine Mystifizierung, die darauf abzielt, unter revolutionärem Geschwätz die Proletarier:innen unter den Fahnen des Imperialismus zu vereinigen, egal, welche Seite sie wählen!

H., 27. März 2022

 

[1] Da Lenin den Imperialismus als die Politik der kapitalistischen Großmächte begriff, war er in dessen Charakterisierung nicht immer klar, im Gegensatz zu Rosa Luxemburg.

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[1] https://de.internationalism.org/files/de/welt184.pdf [2] https://de.internationalism.org/content/758/orientierungstext-militarismus-und-zerfall [3] https://de.internationalism.org/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus [4] https://fr.internationalism.org/content/10553/alliance-militaire-aukus-lexacerbation-chaotique-des-rivalites-imperialistes [5] https://en.internationalism.org/ir/1982/31/critique-of-the-weak-link-theory [6] https://de.internationalism.org/content/3043/gemeinsame-erklaerung-von-gruppen-der-internationalen-kommunistischen-linken-zum-krieg [7] https://de.internationalism.org/content/1075/bericht-zur-struktur-und-funktionsweise-der-organisation-der-revolutionaere [8] https://en.internationalism.org/content/3154/zimmerwald-1915-1917-war-revolution [9] https://de.internationalism.org/content/2665/konferenz-von-zimmerwald-die-zentristischen-stroemungen-innerhalb-der-organisationen [10] https://de.internationalism.org/content/1177/die-konferenz-von-zimmerwald