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Weltrevolution - 2002

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Berlin, Zürich : Der 1. Mai und die Revolutionäre

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Es ist wieder so weit: Linke und Gewerkschaften mobilisieren für den 1. Mai, je nach politischer Couleur und lokalen Gepflogenheiten für eine „friedliche Maifeier", einen „politischen 1. Mai", eine „revolutionäre 1.-Mai-Demo" oder eine „machtvolle Nachdemo". An diesem Tag, der heute in den meisten Ländern ein staatlich anerkannter Feiertag ist, finden überall auf der Welt Kundgebungen statt. In verschiedenen Städten wie Berlin, London oder Zürich gibt es abgesehen davon eine Tradition, dass sich die Polizei Straßenschlachten mit Linksextremen liefert, die diese jeweils als wichtiges Ereignis des „Widerstands" feiern.

In Berlin meldet sich die Gruppe Aufbrechen zu Wort mit einem Plädoyer für einen „revolutionären 1. Mai" (‚Politischer 1. Mai’: Neues Befriedungskonzept für Kreuzberg!). Obwohl sich Aufbrechen teilweise auf Positionen der Kommunistischen Linken beruft, kommt in diesem Aufruf eine große Verwirrung darüber zum Ausdruck, was Klassenkampf bedeutet. Was ist der 1. Mai für die Arbeiter, da er doch nicht irgendein Feiertag ist, sondern der „Internationale Arbeiterkampftag"?

Die Bedeutung des 1. Mai

Am 1. Mai 1886 begann in den USA ein mehrtägiger Generalstreik für den Achtstundentag. Vor allem in Chicago wurde die Bewegung von der Polizei blutig unterdrückt, und die Justiz ließ vier Arbeiter hinrichten. Auf ihrem Gründungskongress im Juli 1889 beschloss die II. Internationale, den 1. Mai zum Gedenken an die gefallenen Arbeiter zum internationalen Kampftag für den Achtstundentag zu erklären. Der 1. Mai 1890 wurde mit Demonstrationen, Streiks und Versammlungen in ca. 20 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas zur „ersten internationalen Tat der kämpfenden Arbeiterklasse" (Engels). In jener Zeitepoche, die wir als die aufsteigende Phase des Kapitalismus bezeichnen, war der 1. Mai in der Tat ein wichtiges Datum für die Arbeiterbewegung. Die Klasse kämpfte unter der Leitung ihrer Organisationen, der Gewerkschaften und der Sozialdemokratie, für Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen und war auch in der Lage, substantielle Reformen zu erringen. Dabei war gerade auch der 1. Mai jeweils ein wichtiger Kampftag, da die Arbeiterklasse an diesem Tag ihren internationalen Charakter durch die gleichzeitigen Kämpfe in den verschiedensten Ländern unterstrich. Der Achtstundentag wurde dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts in vielen Ländern mit starken Arbeiterkonzentrationen gesetzlich eingeführt und bedeutete im Vergleich zur Lage des Proletariats im 19. Jahrhundert einen echten Fortschritt. Der Kapitalismus war damals, weil er sich eben noch in seiner aufsteigenden Phase befand, auch in der Lage, gegenüber der Arbeiterklasse Konzessionen zu machen. Dies änderte sich aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als der Kapitalismus in seine Dekadenz eintrat und fortan immer mehr in einer dauernden wirtschaftlichen Krise steckte. Der Kapitalismus schloss um diese Zeit die Eroberung des ganzen Planeten ab, und die Überproduktion war nicht mehr länger nur ein zyklisch auftretendes Problem, sondern zu einer dauerhaften Erscheinung geworden (1). In dieser niedergehenden Phase des Kapitalismus, die mit dem I. Weltkrieg begonnen hat, ist es für die Arbeiter nicht mehr möglich, dem jeweiligen nationalen Kapital dauerhafte Verbesserungen abzuringen. Im Gegensatz zu den Reformen des 19. Jahrhunderts, werden die erkämpften Lohnerhöhungen und andere Verbesserungen im dekadenten Kapitalismus jeweils über kurz oder lang wieder rückgängig gemacht, sei es durch die Inflation, sei es durch direkte Angriffe der Bourgeoisie. Es ist nur folgerichtig, dass damit auch die Gewerkschaften, die Organe der Arbeiterbewegung, die dazu berufen sind, den Kampf um Reformen zu führen, ihrer Funktion beraubt und in das staatskapitalistische Räderwerk integriert wurden(2).

Damit einher ging die Sinnentleerung des 1. Mai als Arbeiterkampftag. Im dekadenten Kapitalismus sprengt der proletarische Kampf zunehmend den ökonomischen Rahmen und wird zum gesellschaftlichen Kampf. Die Arbeiter stoßen direkt mit den staatlichen Organen zusammen und werden auf diesem Wege politisiert. Diese Kämpfe erfordern die massive Beteiligung der gesamten Klasse. Sie sind - auch wenn es „nur" wirtschaftliche Verteidigungskämpfe sind - Vorboten der künftigen revolutionären Erhebungen und Vorbereitung darauf. „Hinter jedem Streik erhebt sich das Gespenst der Revolution." (Lenin). Die Arbeiterkämpfe in der dekadenten Phase des Kapitalismus können nicht von langer Hand organisatorisch vorbereitet werden. Sie brechen spontan aus und streben danach, sich auszuweiten(3). Jedes Jahr am 1. Mai zu demonstrieren und am nächsten Tag wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren, macht für die Arbeiterklasse keinen Sinn mehr. Der Achtstundentag ist längst Gesetz - und gleichzeitig toter Buchstabe: Immer mehr Arbeiter in immer mehr Ländern sind gezwungen, zum Überleben mehr als einen Job auszuüben und damit die gesetzlichen Schranken des Arbeitstages zu überschreiten. Dasselbe geschieht mit den übrigen Errungenschaften der alten Arbeiterbewegung: Sie werden rückgängig gemacht, dauerhafte Reformen sind nicht mehr möglich.

Doch der 1. Mai ist für die Arbeiterklasse nicht nur seines Sinns beraubt worden, vielmehr haben ihn die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie, die zu Organen des Staatsapparates geworden sind, für sich vereinnahmt. Der 1. Mai ist nicht von ungefähr in den meisten Ländern staatlich anerkannter Feiertag. Nicht anders als ein katholischer oder ein Nationalfeiertag ist es ein staatlich organisierter arbeitsfreier Tag, diesmal einfach zur Feier (und zur besseren Integrierung) der Arbeiter. Im Nationalsozialismus wurde der 1. Mai zum „Feiertag der nationalen Arbeit" erklärt. Im „Realsozialismus" wurde er zelebriert als „internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen im Zeichen (ihres) Kampfes für Frieden, Demokratie und Sozialismus" (aus einem Geschichtsbuch des ehemaligen Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED). Diese Feiern haben weder in der faschistischen oder stalinistischen Diktatur noch in der westlichen Demokratie einen Sinn für das Proletariat, auch nicht den geringsten.

Aus diesem Grund ist es kein Zufall, dass es vorab bürgerliche Organisationen sind, die versuchen, die Arbeiter für den 1. Mai auf die Straße zu mobilisieren und hinter sich zu scharen: Gewerkschaften, Sozialdemokraten, Stalinisten, Trotzkisten etc., die alle Teil des Staatsapparats sind (oder geworden sind).

Revolutionärer 1. Mai?

Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Frage der Intervention der Revolutionäre gegenüber den 1. Mai Mobilisierungen nicht von größter Bedeutung wäre. In der Schweiz beispielsweise spielt die Maifeier eine ähnliche Rolle wie die jährliche Fete von Lutte Ouvrière in Frankreich oder die Liebknecht-Luxemburg Demonstration in Deutschland: Es ist der Ort, wo linksgerichtete politische Organisationen ihre Presse und ihre politischen Positionen einer größeren Öffentlichkeit präsentieren können. Deswegen besuchen in der Schweiz, aber auch in anderen Ländern, politisch Interessierte die Maidemonstrationen- und Veranstaltungen, um verschiedene, für sie auch neue politische Argumente und Ausrichtungen kennenzulernen. Deswegen verkauft die IKS beispielsweise in den schweizer Großstädten am 1. Mai regelmäßig hunderte Exemplare unserer Zeitungen und Broschüren. Aber auch in europäischen Metropolen wie Berlin oder London werden zwar keine kämpfenden Abordnungen der Arbeiterklasse, aber doch solche nach politischer Orientierung im Kampf gegen den Kapitalismus Suchende zu den Maimanifestationen angelockt. Daraus folgt, dass die Revolutionäre eine hohe Verantwortung tragen, wenn sie gegenüber solchen 1. Mai Mobilisierungen intervenieren.

Während die traditionellen gewerkschaftlichen Maifeiern schon lange keine Arbeiter und auch kaum politisch Interessierte auf die Beine bringen, scheinen die mittlerweile auch zur „Tradition" gewordenen gewaltsamen Auseinandersetzungen zum 1. Mai in Städten wie Zürich oder Berlin eine „revolutionäre" Alternative dazu zu stellen.

Wir haben in unserer Presse auch schon mehrfach nicht nur den antiproletarischen Charakter der 1.-Mai-Aktionen eines „Revolutionären Aufbaus" oder der Autonomen angeprangert, sondern auch deren Drang, nach politischer Klärung suchende Leute in sinnlose Schlachten mit der Polizei zu ziehen und dabei zu verheizen, indem jede politische Diskussion erstickt und die Leute oft der Repression ausgeliefert und schließlich abgeschreckt werden(4)

Was uns aber dieses Jahr erschüttert, ist die Konfusion, die im eingangs erwähnten Aufruf von Aufbrechen zum Ausdruck kommt, einer Gruppe, die wir nicht zum bürgerlichen Lager zählen und die in gewissen Fragen, z.B. betreffend Antifaschismus, durchaus schon proletarische Positionen vertreten hat. So schreibt nun Aufbrechen in ihrem Beitrag ‚Politischer 1. Mai’: Neues Befriedungskonzept für Kreuzberg!, in Berlin habe sich ein „Personen-Bündnis für einen politischen 1. Mai 2002 in Berlin-Kreuzberg" zur feindlichen Übernahme des 1. Mai formiert. Diese Veranstalter würden eine Hegemonie über den Stadtteil für sich in Anspruch nehmen. Mit einem Befriedungskonzept werde so der revolutionäre Inhalt zugunsten einer „Globalisierungskritik" ausgetrieben. Besonders erschreckt ist Aufbrechen darüber, dass in diesem Bündnis nicht nur die die Stadt regierenden PDS und SPD mitmachen, sondern auch Autonome. „Das Mitmachen im Bündnis ‚für einen politischen 1. Mai’ ist genauso fatal, wie die Teilnahme an Wahlen oder der Versuch, in den Gewerkschaften praktische Politik zu betreiben."

In diesem Beitrag von Aufbrechen kommt zum Ausdruck, dass diese Gruppe (oder Teile davon, die in ihrem Namen auftreten) tatsächlich meinen, der 1. Mai habe etwas „Revolutionäres" an sich, vorausgesetzt, man vertrete die richtigen Inhalte: „Der revolutionäre 1. Mai ist jedoch nicht nur Aktionsfeld für die oben benannten Nachwuchspolitiker, sondern auch ein Zeichen von Revolte. Die gezeigte Wut gegen die herrschenden Verhältnisse, jenseits staatlicher Politikverordnung ist denn auch das Positive." Aufbrechen kritisiert die Autonomen, dass sie mit der Zusammenarbeit im Bündnis ihre früheren Inhalte und Ziele verraten würden und setzen diese Zusammenarbeit mit der Teilnahme am Parlamentarismus und an Gewerkschaftsarbeit gleich. Dabei verkennen die Genossen von Aufbrechen, dass sie mit ihrem Versuch, dem 1. Mai etwas „Revolutionäres" abzugewinnen, auf dem gleichen Terrain gelandet sind: bei der Fortsetzung gewerkschaftlicher (und parlamentarischer) Politik mit anderen Mitteln. Um einen Klassenstandpunkt zu vertreten, ist es nicht genug, sich zum Antiparlamentarismus zu bekennen. Vielmehr müssen die Revolutionäre eine grundsätzlich gegen das Proletariat gerichtete Mobilisierung, wie sie am 1. Mai stattfindet - egal, unter welcher Fahne - als das erkennen, was sie ist: Gewerkschaftspolitik und Vernebelung (u.a. mittels Tränengas) der wirklichen Ziele der Arbeiterklasse.

Klassenkampf oder Revolte?

Die Stellungnahme von Aufbrechen vermeidet es tunlichst, das zu tun, was für Marxisten die erste Pflicht wäre: die Frage nach dem Klassencharakter des „revolutionären" 1. Mai zu stellen. Bezeichnenderweise sprechen sie aber im Zusammenhang mit dem jährlichen Gewaltritual von Kreuzberg nicht von Klassenkampf, sondern von Revolte. Die Genossen scheinen also zumindest zu erahnen, dass solche Maikrawalle mit dem Klassenkampf des Proletariats nichts zu tun haben.

Tatsächlich werden die Maimobilisierungen in Kreuzberg schon seit Jahren maßgeblich von dem dort ansässigen autonomen Milieu getragen, und von linkskapitalistischen türkischen und kurdischen Organisationen tatkräftig unterstützt. Diese Kräfte veranstalten den „revolutionären" und „internationalistischen" 1. Mai im Zeichen der Solidarität mit verschiedenen staatskapitalisichen „Aufstandsbewegungen" vornehmlich in der „Dritten Welt". Innerhalb dieses Milieus wird aus der Frage der Gewaltanwendung eine Art von Kult betrieben, um den reaktionären Charakter solcher „Befreiungsbewegungen" zu vertuschen. Leider haben die Genossen von Aufbrechen sich offensichtlich noch nicht von dieser Logik der Autonomen gelöst, derzufolge eine politische Aktion einen fortschrittlichen Charakter gewinnt, sobald sie gewaltsam wird und sich gegen die bestehende Staatsgewalt wendet.

Es stimmt zwar, dass es schon mal vorgekommen ist, dass Teile der Bevölkerung Kreuzbergs als Reaktion auf die jährliche rituelle polizeiliche Besatzung des Stadtteils sich der „Mairevolte" der Autonomen angeschlossen haben und dadurch ihre Wut zum Ausdruck brachten. Ein solcher Wutausbruch entspricht tatsächlich dem, was Aufbrechen eine Revolte nennt. Eine solche Revolte ist imstande - zumindest für einen Tag - die bürgerliche Ordnung durch eine Art spontane Unordnung zu ersetzen. Doch die Herrschaft des Kapitals wird dadurch nicht mal im Keim gefährdet. Denn der Marxismus hat schon immer aufgezeigt, dass die Anarchie, die Unordnung, ein Wesensmerkmal des Kapitalismus ist, das unzertrennlich zur bürgerlichen Ordnung dazugehört. Im Kern bedeutet die proletarische Revolution die Ersetzung dieser Unordnung durch eine wirklich bewusste und kollektive gesellschaftliche Ordnung. „Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über die Produzenten. Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewusste Organisation." schreibt Engels in „Anti-Dühring" (MEW Bd. 20 S. 264). Das Proletariat ist der Träger eines höheren, bewussteren Organisationsprinzips, weil es Produkt und Verkörperung der Vergesellschaftung der Arbeit im Kapitalismus ist, welches der anarchischen, individuellen, bürgerlichen Aneignung gegenübersteht. Deshalb trägt auch der selbsttätige, spontan vom Zaun brechende Arbeiterkampf stets diesen bewussten und organisierten Charakter. Der proletarische Klassenkampf ist ein Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung, auch wenn dies den unmittelbar Kämpfenden nicht immer bewusst ist. Deshalb ist er stets ein Kampf, um konkrete Arbeiterforderungen durchzusetzen, und ein mehr oder weniger bewusstes Ringen um ein günstigeres Kräfteverhältnis, um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Revolte hingegen, der bloße Wutausdruck, ist die typische Ausdrucksweise von sozialen Schichten, welche ohne Zukunft am Rande der kapitalistischen Gesellschaft dahinvegetieren. Zur Lebzeit von Marx und Engels war es der russische Anarchist Bakunin, der in seinem Kampf gegen die organisierte Arbeiterbewegung eine Revolutionsromantik solcher Revolten stiftete und dabei erklärte, dass die Zerstörung ein „revolutionärer Akt" wäre. Wer es heute als Fortschritt preist, wenn junge Arbeiter in ihrer Ratlosigkeit sich solchen Revolten anschließen, anstatt sich an dem Kampf der eigenen Klasse zu orientieren, tritt jedenfalls in die Fußstapfen Bakunins und nicht in die der marxistischen Bewegung.

Wie kämpfen?

Gegenüber den ständig zunehmenden Angriffen, den unerträglichen Verschlechterungen der Lebensbedingungen können und dürfen die Arbeiter nicht passiv bleiben. Nur indem wir kämpfen, können wir wirklich unsere Wut wirksam zum Ausdruck bringen, unser Gewicht in die Waagschale werfen. Aber dies kann nicht an einem jährlich wiederkehrenden Ritual wie dem 1. Mai geschehen, sondern dann und dort, wo sich die Arbeiter gegen die Angriffe zur Wehr setzen. In der dekadenten Phase des Kapitalismus sind zwar keine Reformen mehr zu erringen, das heißt aber nicht, dass die Marxisten heute gegen die Abwehrkämpfe des Proletariats wären. So bekämpften beispielsweise die Marxisten innerhalb der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) nach dem 1. Weltkrieg die „Essener Tendenz" in den Reihen der Partei, da diese Tendenz alle Streiks und Kampfaktionen verwarf, die nicht unmittelbar zum Aufstand führten. Wer die Presse der IKS über viele Jahre verfolgt hat, weiß, wie wir im Laufe der 70er und 80er Jahre bei unserer Intervention immer bestrebt waren, die Kämpfe der Arbeiterklasse - auch wenn es zunächst Abwehrkämpfe waren - vorwärts zu treiben und die Kommunisten mit an die Spitze der Klassenbewegung zu stellen. Vor allem am Anfang der Kämpfe, wo das Potential am größten war, um der Sabotagetaktik der Gewerkschaften entgegenzutreten, gab die Organisation sehr konkrete Handlungsvorschläge, um die Bewegung jeweils auszudehnen und unter die Kontrolle der Arbeiterklasse zu bringen bzw. unter dieser Kontrolle zu behalten. Es sind gerade diese Abwehrkämpfe, die von einem proletarischen Terrain ausgehen: Hier meldet sich die Klasse mit ihren eigenen Mitteln, mit Streiks und Massendemonstrationen, und mit ihren eigenen Forderungen, die das ganze Proletariat betreffen und vereinen, zu Wort.

Dass wir heute weniger als in den 70er und 80er Jahren direkt in solchen Kämpfen intervenieren, ist nicht durch unsere Haltung bedingt, sondern durch die veränderten Umstände seit 1989: Die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse hat mit der Kampagne über das „Ende des Kommunismus" einen Rückschlag erlitten, so dass wesentlich weniger Kämpfe stattgefunden haben als in der Zeit zwischen 1968 und 1989 und dass die Kämpfe der letzten Jahre zudem unter viel stärkerer Kontrolle der Gewerkschaften stehen.5

Ihre Stärke stellen die Arbeiter dann unter Beweis, wenn sie ihre Kämpfe selber in die Hand nehmen, sie ausdehnen und sich zusammenschließen. Den Kampf in die eigenen Hände zu nehmen, erfordert in Massenvollversammlungen zusammenzukommen, die selbständig handeln können müssen, um gemeinsam zu diskutieren und Entscheidungen zu fällen. Nur so kann verhindert werden, dass die Leitung der Kämpfe von den Pseudospezialisten, den Gewerkschaften, an sich gerissen wird. Den Kampf auszudehnen, heißt die Betriebsgrenzen hinter sich zu lassen, die Gräben zwischen einzelnen Wirtschaftsbranchen und Berufssparten zu überspringen, die aktive Solidarität bei den anderen Beschäftigten zu suchen, die in der Nähe, egal ob in privaten oder staatlichen Betrieben, arbeiten. Das heißt, alle Kämpfe zu einer gemeinsamen Front zusammenzuschmieden und auch die Arbeitslosen in den Kampf einzubeziehen. Vor allem heißt das zu verhindern, dass die Gewerkschaften oder andere (linke) Teile des Kapitals unsere Kämpfe isolieren oder sonst unter ihre Kontrolle bringen.

FS, 10.03.02

  • 1 vgl. dazu die IKS-Broschüre „Die Dekadenz des Kapitalismus"
  • 2 vgl. dazu die IKS-Broschüre „Die Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse"
  • 3 Das bedeutet aber nicht, dass die revolutionäre Organisation nicht nötig wäre oder nur zuschauen würde, vgl. dazu Internationale Revue Nr. 9, Sondernummer, „Die Funktion der revolutionären Organisation"
  • 4 vgl. Weltrevolution Nr. 93 (April/Mai 1999) und Nr. 100 (Juni/Juli 2000)
  • 5 zur aktuellen Analyse des Klassenkampfs vgl. Report on the class struggle (Bericht über den Klassenkampf) in International Review Nr. 107 (engl./frz./span. Ausgabe), demnächst auch in der deutschsprachigen Internationalen Revue

Weltrevolution Nr. 112

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‘Aufbrechen’ - Die Falle des Opportunismus

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Das Eingreifen der "Antiparlamentarischen Linken" und ‘Aufbrechen’ gegenüber den diesjährigen Maifeiern in Berlin wirft erneut die Frage auf, wie Gruppierungen, die sich auf politische Positionen des Proletariats beziehen, intervenieren können, ohne die Interessen der Klasse zu verraten. Die Gruppe ‘Aufbrechen’, die auch das Bündnis der "Antiparlamentarischen Linken" mitträgt, hat gegenüber den wichtigsten imperialistischen Konflikten der letzten Jahre wie dem Kosovokrieg, dem Afghanistankrieg oder dem Nahostkonflikt einen konsequent internationalistischen Standpunkt eingenommen. Doch während die GenossInnen in der Lage waren, sich gegenüber diesen Ereignissen in der ‚Ferne‘ auf die Seite der Autonomie der Arbeiterklasse gegenüber allen Fraktionen der Bourgeoisie zu schlagen, haben sie nun in Berlin Kreuzberg vorübergehend ein Bündnis mit reaktionären, bürgerlichen, nationalistischen Kräften geschlossen.

Zwar ist es unter Umständen unbedingt notwendig für Revolutionäre, eine gemeinsame Intervention mit anderen politischen Organisationen anzustreben. So setzte sich die IKS dafür ein, dass während des Kosovokrieges die linkskommunistischen Organisationen des proletarischen Milieus gemeinsam intervenieren und mit einer Stimme sprechen. Doch handelte es sich hierbei um die erste Pflicht der Kommunisten: Die Verteidigung des proletarischen Internationalismus gegenüber dem imperialistischen Krieg. Bei dem von ‘Aufbrechen’ mit unterschriebenen Aufruf handelt es sich dagegen keineswegs um eine Intervention gegenüber der Arbeiterklasse, sondern um ein Eingreifen gegenüber einer Mobilisierung der Berliner Autonomen. Und die dort ins Auge gefasste gemeinsame Intervention betraf eine Zusammenarbeit nicht mit proletarischen sondern mit bürgerlichen Organisationen.

Zwar widerriefen die ‘Aufbrechen’ - GenossInnen anschließend ihre Unterschrift unter diesem Maiaufruf und bezeichneten dies nachträglich als einen Fehler. Dieser Schritt muss selbstverständlich begrüßt werden. Aber das reicht nicht. Proletarische Selbstkritik hat nichts gemein mit der vom Maoismus propagierten schuldhaften Selbstbezichtigung oder der von der katholischen Kirche angebotenen Dienstleistung der Beichte mit dem Prinzip: Reue zeigen und Schwamm drüber. Für die Arbeiterklasse ist die unerbittliche Kritik der eigenen Schwächen, das Ziehen der Lehren aus den eigenen Niederlagen, die Bedingung der künftigen Siege unserer Klasse, wie Rosa Luxemburg die Aufgabe wiederholt formulierte. Dabei geht es dem Marxismus immer in erster Linie darum, die tiefsten Ursachen der eigenen Fehler und Halbheiten aufzudecken und zu bekämpfen.

‘Aufbrechen’ schließt ein Zweckbündnis mit der Bourgeoisie

Zum "revolutionären 1. Mai" 2002 zirkulierte in Berlin unter dem Titel "Kriegstreiber stoppen! Kapitalismus zerschlagen!" ein Demonstrationsaufruf für ein "linksradikales und autonomes" 1. Mai-Bündnis. Es handelt sich hierbei keineswegs um eine revolutionäre d.h. proletarische Erklärung, sondern um eine pseudoradikale, linkskapitalistische Flugschrift. Zwar wird dort unter scheinbarem Festhalten an dem Ziel einer proletarischen Revolution erläutert: "Am 1. Mai wollen wir demonstrieren, dass es immer noch Menschen gibt, die von einer anderen Gesellschaft träumen und dafür kämpfen." Doch dieser "Utopie einer herrschafts- und gewaltfreien klassenlosen Gesellschaft", von dem der Aufruf spricht, scheint wie beim Stalinismus keineswegs das Weiterbestehen der kapitalistischen Lohnarbeit und damit der Ausbeutung auszuschließen. Denn die Unterzeichner des Aufrufs treten für eine Gesellschaft ein, in der "alte Menschen ihre Rente auf der sonnigen Parkbank genießen" können. Sie stellen die kapitalistische Entfremdung ebenso wenig in Frage wie ein Schröder oder ein Stoiber, die im Wahlkampf "sichere Renten" versprechen.

Um die Einheit dieses "Maibündnisses" verschiedener Organisationen nicht von vornherein zu verunmöglichen, verzichtet diese Erklärung auf die üblichen linkskapitalistischen Aufrufe zur Unterstützung dieser oder jener imperialistischen "nationalen Befreiungsbewegung" oder zur "kritischen" Stimmabgabe für diese oder jene Partei bei den kommenden Bundestagswahlen. Doch trotz des sehr allgemein gefassten Tenors des Aufrufs, der zu den sonst üblichen "Sonntagsreden" des 1. Mai gut passt, fehlen auch hier die bekannten linkskapitalistischen Sichtweisen nicht, womit linksbürgerliche Organisationen reformistische und demokratische Illusionen innerhalb der Arbeiterklasse festigen. Anstatt die bürgerliche Demokratie, die ideale Herrschaftsform des Kapitals heute, an den Pranger zu stellen, werden die "Menschen, die aktiv gegen Faschismus auftreten" als Beispiel des "Widerstandes" angeführt, und somit die imperialistische Kriegsideologie des Antifaschismus mit angeheizt. Das Vorhandensein einer kapitalistischen Krise, welche die Überwindung dieser Gesellschaft zu einer objektiven geschichtlichen Notwendigkeit macht, wird mit keinem Wort erwähnt. Statt dessen wird die wachsende Verelendung der Welt auf die "kapitalistische Profitgier" zurückgeführt, der es Einhalt zu gebieten gilt.

Es überrascht somit nicht, dass die Unterzeichner dieses Demonstrationsaufrufes vor allem aus stalinistischen, trotzkistischen und anderen nationalistischen bzw. staatskapitalistischen Kreisen stammen. Zu den Unterzeichnern gehören: Kommunistsche-Autonome Gruppen, gruppe sabotage berlin, Was tun! - sozialistische Initiative/Sozialistische Liga, müdacele, Berliner Anti-NATO-Gruppe (B.A.N.G.), Rote Aktion Berlin, Initial, FreundInnen Irlands, Autonome Republik Kreuzberg, Gegeninformationsbüro. Auch die Ökologische Linke Berlin werden als "UnterstützerInnen" aufgeführt.

Aber auch der Name ‘Aufbrechen’ sowie die die "Antiparlamentarische Linke" stehen unter diesem Aufruf.

Wie wir wiederholt in Weltrevolution dargestellt haben, ist ‘Aufbrechen’ eine politische Gruppierung von GenossInnen, welche ursprünglich aus linkskapitalistischen Kreisen der K-Gruppen und der Autonomen hervorgegangen sind. Diese GenossInnen fanden sich zunächst Ende der 90er Jahre unter dem Namen "Proletarisches Komitee" in Berlin zusammen, wo sie in der damaligen, hauptsächlich von linksbürgerlichen, basisgewerkschaftlichen Kräften inszenierten "Erwerbslosenbewegung" intervenierten. Nachdem sie die proletarischen Positionen linkskommunistischer Strömungen wie der IKS kennenlernten, traten sie in einen allmählichen, manchmal schmerzlichen Prozess der Annäherung an marxistische Prinzipien ein. So begannen diese GenossInnen den bürgerlichen, konterrevolutionären Charakter des Stalinismus, der Gewerkschaften, der "nationalen Befreiungsbewegungen", des Parlamentarismus, der bürgerlichen Demokratie und des Antifaschismus anzuerkennen. Außerdem gingen die GenossInnen dazu über, ausdrücklich die Notwendigkeit der Selbstinitiative und der Autonomie des proletarischen Klassenkampfes zu befürworten.

Wie ist es also zu erklären, dass eine solche Gruppierung den oben dargestellten Maiaufruf unterzeichnet und dabei ein "Bündnis" mit linkskapitalistischen Kreisen eingeht?

Noch ein Bündnis, diesmal zum Wahlboykott

Tatsächlich hat ‘Aufbrechen’ sich von dem oben genannten Maiaufruf distanziert und es am 1. Mai in Berlin auch nicht verteilt. Dafür haben sie eine andere Flugschrift an diesem Tag in Umlauf gebracht, die unter dem Namen firmiert "Keine Wahl! Zeitung gegen sozialen Frieden." Dies war die dritte Ausgabe dieser Gratiszeitung, die das Sprachrohr eines "antiparlamentarischen" Bündnisses sein will, das sich anlässlich der Landtagswahlen zum Berliner Senat im Herbst 2001 zusammenfand und zum "Wahlboykott" aufrief. Wie die ‘Aufbrechen’-GenossInnen uns mitgeteilt haben, besteht dieses Bündnis derzeit aus der Gruppe ‘Aufbrechen’, der Gruppe "Bone" (ebenfalls Berlin) sowie "Einzelpersonen". Wenn das stimmt, dann handelt es sich bei diesem Wahlboykottbündnis nicht wie bei dem oben dargestellten Maibündnis um ein Zusammengehen mit bürgerlichen Organisationen. Dennoch steckt auch hinter diesem Vorgang unseres Erachtens dasselbe Grundproblem: die Bereitwilligkeit, mit der die Loyalität gegenüber Prinzipien der Arbeiterklasse zugunsten einer vorübergehenden Vermehrung von intervenierenden Kräften geopfert wird.

Die 1. Mai-Ausgabe von "Keine Wahl" besteht aus insgesamt vier Artikeln, von denen kein einziger einer bestimmten Gruppe oder Person zugeschrieben wird, so dass der Eindruck entsteht, dass das "Bündnis" insgesamt die darin geäußerten politischen Ansichten mitträgt. Durch unsere Gespräche mit den GenossInnen wissen wir, dass lediglich der erste und vierte Artikel von ‘Aufbrechen’ geschrieben worden ist und die Ansichten dieser Gruppe wiedergeben. Doch es bleibt das Problem, dass in anderen Artikeln dort geäußerte, offen bürgerliche Ansichten unwidersprochen abgedruckt werden. In dem Artikel "Internationaler Klassenkampf - nur so ist eine andere Welt möglich!" lesen wir beispielsweise: "In ganz Lateinamerika fanden in den letzten Jahren zunehmend Klassenkämpfe statt, die zur Gründung neuer, radikaler Organisationen der Unterdrückten und Ausgebeuteten führten. Damit stehen Mittel zur Verfügung, mit denen die Kämpfe verallgemeinert werden können und eine fundamentale Kritik an den herrschenden Verhältnissen entwickelt kann. So tagt seit zwei Jahren das Weltsozialforum in Porto Allegre, Brasilien, auf dem eine Ausdifferenzierung reformistischer und radikaler Kräfte erkennbar ist, wobei letztere nicht nur das imperialistische Weltsystem sondern auch die den Ausgleich der Klassen suchenden Verbündeten bekämpfen." Wir wissen zwar nicht, wer sich für diesen Artikel verantwortlich zeichnet. Doch es liegt auf der Hand, dass es vornehmlich die extreme Linke des Kapitals ist, z.B. die Trotzkisten, die den reformistischen, nationalstaatlichen Porto Allegre- "Antiglobalisierungsprozess" als ein Instrument des Klassenkampfes hinstellt, und sich selbst dabei als die "radikale Kraft" anpreist. Nicht weniger linksbürgerlich sind in demselben Artikel die Aussagen zu den Gewerkschaften, diesem staatskapitalistischen Totengräber des Klassenkampfes. Im Zusammenhang mit den jüngsten Streiks in Südkorea lesen wir: "Die strukturell verankerte Vermittlerposition von Gewerkschaftsbürokratien, deren Interessen zwischen Kapital und Mitgliedsbasis angesiedelt sind, führt jedoch zu permanenter Kompromissbereitschaft auf Kosten der Lohnabhängigen."

Ein Fehler, der sich seit langem abgezeichnet hat

Auf einer öffentlichen Veranstaltung über die Frage des Antifaschismus am 13. April in Frankfurt am Main referierte ‘Aufbrechen’ zum Thema: "Erfahrungen mit dem modernen Antifaschismus à la AAB im Kontext der Befriedungsversuche zum 1. Mai in Berlin." Dort kritisierte ‘Aufbrechen’ ihre Unterstützung des "linksradikalen und autonomen 1. Mai" Aufrufs. Doch nicht mal andeutungsweise lieferten die GenossInnen eine Erklärung dafür, wie es dazu kommen konnte. Es klang fast so, als ob es sich um einen Zufall gehandelt hätte, wobei die GenossInnen sich quasi in einer Affekthandlung dazu hätten hinreißen lassen, ein eher harmloses aber nichtssagendes Papier mit zu unterschreiben.

Zufälle gibt es im Leben. Nicht vorhersehbare Gefühlsregungen ebenfalls. Doch aus solchen Zwischenfällen kann man nicht viel lernen, um für die Zukunft besser gewappnet zu sein: es sei denn, es gelingt, allgemeine Tendenzen dahinter aufzudecken. "Jede Wissenschaft, als reine Geistesarbeit, ist Systematisieren und Ordnen; sie besteht darin, dass das Regelmäßige, das Allgemeine, gesucht wird in den konkreten Erscheinungen." (1)

Die Arbeiterbewegung hat schon längst die wissenschaftliche Methode des Marxismus angewandt, um das Phänomen der Aufweichung proletarischer Prinzipien zugunsten eines Zusammengehens mit der herrschenden Klasse zu erforschen. Bereits Engels und die Marxistische Linke in der 2. Internationale gaben diesem Phänomen seinen Namen: der Opportunismus. Sein Wesen besteht darin, die revolutionäre Zukunft des Proletariats zu opfern, um einen unmittelbaren, vorübergehenden, vermeintlichen Erfolg zu erzielen.

Wie wenig zufällig und unabsehbar ‘Aufbrechen’s Handschlag mit dem Klassenfeind wirklich war, zeigt die Tatsache auf, dass unsere Organisation in der letzten Ausgabe dieser Zeitung ‘Aufbrechen’ bereits gewarnt hat vor den Konsequenzen einer besonders unklaren Einschätzung der Maikrawalle in Berlin. Die ‘Aufbrechen’-GenossInnen waren darüber erschrocken, dass im Vorfeld der Maifeiern in Kreuzberg auch Kräfte der Autonomen die Bereitschaft zeigten, auf die unter dem Motto "denk Mai neu" von der SPD und PDS propagierte "Befriedungsstrategie" einzugehen, welche sich die Vermeidung der üblichen Maikrawalle im Kiez zum Ziel setzte. "‘Aufbrechen’ kritisiert die Autonomen, dass sie mit der Zusammenarbeit im Bündnis ihre früheren Inhalte und Ziele verraten würden und setzen diese Zusammenarbeit mit der Teilnahme am Parlamentarismus und an Gewerkschaftsarbeit gleich. Dabei verkennen die GenossInnen von ‘Aufbrechen’, dass sie mit ihrem Versuch, dem 1. Mai etwas "Revolutionäres" abzugewinnen, auf dem gleichen Terrain gelandet sind: bei der Fortsetzung gewerkschaftlicher (und parlamentarischer) Politik mit anderen Mitteln." (2)

Der fehlende Bruch mit der Linken des Kapitals

Wenn sich ‘Aufbrechen’ so schnell und leichtfertig auf ein Zusammenwirken mit Stalinisten und Trotzkisten einlassen kann, und nach unserem Eindruck bis heute nicht erkannt hat, wie gefährlich ein solcher Oportunismus ist, dann zuallererst, weil die GenossInnen es immer versäumt haben, klar Stellung zu beziehen gegenüber der Klassennatur der kapitalistischen Linken. Obwohl die GenossInnen erkannt haben, dass beispielsweise die stalinistischen Regimes staatskapitalistisch und imperialistisch waren, haben sie es dennoch stets vermieden, eine deutliche grundsätzliche Aussage über die Klassennatur dieser Strömung zu machen. Stattdessen haben die GenossInnen es stets vorgezogen, in ihren Publikationen "die Linke" anzureden, als ob es sich dabei letztendlich um ein einheitliches "revolutionäres" Lager handeln würde und ohne zu definieren, wer dazu gehört und wer nicht.

So wirft ‘Aufbrechen’ nicht nur den Berliner Autonomen, sondern auch den Grünen und der PDS (vielleicht sogar der SPD?) Opportunismus und die Preisgabe ihrer Ideale vor. In dem Leitartikel der Maiausgabe von "Keine Wahl!", der, wie wir von den GenossInnen wissen, von ‘Aufbrechen’ geschrieben wurde, lesen wir: "Der "grüne Weg" als Metapher für Opportunismus ist auch für die PDS vorgezeichnet. Er ist Beispiel, wie man es schafft, seine Ideale über Bord zu werfen. So sind die pazifistischen Grünen zu Führern zweier Angriffskriege geworden, die SPD setzt die Pläne für eine Rentenreform durch, beide Parteien wollen den Niedriglohnsektor ausbauen usw." Wir aber möchten wissen, wie man der PDS, der Nachfolgepartei der SED, die vier Jahrzehnte lang die staatskapitalistische DDR regierte, Opportunismus vorwerfen kann, weil sie in der staatskapitalistischen BRD auch noch mitregieren will? Und welche angeblichen "Ideale" sollen die Grünen nun verraten haben, indem sie Angriffskriege und Niedriglohnsektor mitorganisieren? Wir meinen vielmehr, dass Pazifismus und "Ökologismus" schon immer zur Rechtfertigung von imperialistischen Kriegen und Verarmung des Proletariats gedient haben.

Die parteipolitischen Lager der Bourgeoisie bestehen nicht nur aus den aktuellen Regierungsparteien, sondern auch aus den politischen Strömungen des Kapitals, die im Verlauf der Geschichte für den imperialistischen Krieg und gegen die proletarische Revolution mobilisiert haben. Dazu gehören die Sozialdemokraten, Stalinisten, Maoisten und Trotzkisten. Wenn man wie ‘Aufbrechen’ diese Klassengrenze lieber nicht beachten will, um für bündnispolitische Spielchen Freiraum zu erhalten, so ist es am Ende unvermeidbar, dass man mit dem Klassenfeind paktiert. Und zwar nicht nur einmal, und nicht nur vorübergehend.

Der fehlende Bruch mit dem autonomen Milieu

Aber auch das Festhalten am Mythos des "revolutionären 1. Mai" in Berlin-Kreuzberg durch ‘Aufbrechen’ bereitete ihre vorübergehende Teilnahme am autonomen Maibündnis vor. Dabei schlugen sich die GenossInnen auf die Seite derjenigen unter den bürgerlichen Linken, die für eine "wütende" anstatt der von "Rot-Rot" propagierten "friedlichen" Maifeier eintraten.

In der 1. Mai Ausgabe von "Keine Wahl!" schreibt ‘Aufbrechen’ in dem Artikel "Zum Tag und über ihn hinaus!": "Der 1. Mai in Berlin-Kreuzberg ist schon seit langem den Regierenden ein Dorn im Auge. Trotz Verbot im letzten Jahr bekamen sie "das Problem" nicht in den Griff."

Wer einer solchen Analyse anhängt, dem wird es schwer fallen, die Ohnmacht und Perspektivlosigkeit der "Kreuzberger Nächte" zu erkennen und sich als Revolutionär ganz und gar dem proletarischen Klassenkampf zu widmen, welchen die Bourgeoisie derzeit ganz gut "im Griff" hat. Doch stimmt es wirklich, dass die Bourgeoisie den jährlich wiederkehrenden Maikrawallen so machtlos gegenübersteht? Obwohl von den Herrschenden immer wieder neue Variationen im Umgang damit ausprobiert werden- von der "Null-Toleranz" bis zur "Maifeier ohne Bullen"- ändert dies am Verlauf der Ereignisse selbst bekanntlich gar nichts. Denn die Maikrawalle von Kreuzberg sind längst zu einer Art Ritual erstarrt, das von allen Seiten hochstilisiert wird und mittlerweile jährlich Scharen von Touristen in die Hauptstadt zieht. Doch die GenossInnen von ‘Aufbrechen’ irren sich, wenn sie glauben, dass dieses Spektakel für die Herrschenden ein Problem darstellt. Was die Straßen von Belfast für das britische Militär sind, das sind in einer Miniaturausgabe die Maiausschreitungen von Kreuzberg für die deutsche Polizei geworden: ein nützliches Übungsfeld ihrer Repressionsorgane, um Erfahrungen zu sammeln und immer neue Polizeistrategien auszuprobieren. Und da diese Krawalle unter der arbeitenden Bevölkerung Berlins überhaupt keine Sympathien genießen, liefern sie dem Staat jährlich eine erstklassige Gelegenheit, um die Öffentlichkeit daran zu gewöhnen, dass bürgerkriegsähnliche Aufmärsche der Staatsgewalt mitten in deutschen Großstädten stattfinden. Außerdem verstärken diese immer wiederkehrenden Ausschreitungen die Eigenidentität des autonomen Milieus. Dies ist für die Bourgeoisie insofern von Vorteil, als die Kreuzberger Autonomen die vielleicht stärkste Hochburg der Ideologien des "Antifaschismus" und der Unterstützung "nationaler Befreiungsbewegungen" in ganz Deutschland sind. Vergessen wir nicht, dass diese Ideologien heute Schlüsselbegriffe deutscher imperialistischer Außenpolitik sind, und dass der deutsche Außenminister selbst dem Milieu der autonomen "Street Fighter" entstammt.

Die Maikrawalle haben überhaupt nichts Revolutionäres an sich, weil sie nichts zu tun haben mit dem Kampf der Arbeiterklasse, der einzigen noch revolutionären Klasse in dieser Gesellschaft. Alle großen Arbeiterkämpfe in der Geschichte, von 1848 in Paris bis Polen 1980 zeigen auf, dass das kämpfende Proletariat Plünderungen, Ausschreitungen, das Anheizen der Stimmung durch Alkoholgenuss usw. niemals unterstützt, sondern stets bekämpft hat. Denn diese Methoden widersprechen und gefährden den kollektiven, organisierten, bewussten Charakter des Arbeiterkampfes.

Das Gewicht der kleinbürgerlichen Ungeduld

Es ist leider typisch für Personen und Gruppen aus dem Lager der Linkskapitalisten oder der Autonomen, welche sich proletarischen Positionen annähern, dass sie oft am Ende den Bruch mit ihrer politischen Vergangenheit deshalb nicht schaffen, weil sie sich nicht von ihrer angelernten bürgerlichen Sicht der Aufgaben und Intervention politischer Gruppe trennen können. Während sie es zunächst vergleichsweise leicht haben, sich bestimmte allgemeine Prinzipien der Arbeiterklasse anzueignen (z.B. die Verwerfung der Gewerkschaften oder die antifaschistischen Einheitsfronten), behalten sie eine Interventionsmethode bei, welche denen der Gewerkschaften oder der Einheitsfronten mit bürgerlichen Organisationen entspricht. Solche Gruppen verschwinden deshalb sehr oft in der politischen Versenkung oder kehren in den Schoß der pseudoradikalen Bourgeoisie zurück.

Besonders typisch dabei ist das Beibehalten einer sehr aktivistischen Haltung gegenüber der Intervention, geprägt durch eine kleinbürgerliche Ungeduld, einen unkritischen Hang, alles zu begrüßen und zu befürworten was nach Aktion aussieht, und eine fatale Unterschätzung der Bedeutung von theoretischer Arbeit und von Prinzipienfestigkeit. Solche Leute neigen beispielsweise dazu, eine Organisation wie der IKS Tatenlosigkeit oder Sektierertum vorzuwerfen, weil wir es ernst nehmen mit dem marxistischen Leitsatz, dass in der jetzigen Epoche allein das Proletariat revolutionär ist, nicht aber die Linksbürgerlichen, die Autonomen oder die Antifaschisten. Solche Leute bedenken auch nicht, dass ganze Generationen von revolutionären Marxisten enorme Opfer auf sich genommen haben, einschließlich Verfolgung, Gefangenschaft und Tod, um beispielsweise eine regelmäßige Presse herauszugeben und zu verbreiten.

Von Anfang an setzte ‘Aufbrechen’ auf den unmittelbaren Erfolg, anstatt auf Klarheit und Prinzipienfestigkeit. Und wenn die GenossInnen doch noch nach Diskussionspartnern Ausschau hielten, ging es zumeist vornehmlich nicht um das Erzielen einer größtmöglichen Klärung, sondern um die Suche nach "Bündnispartnern". So ‚verbündete‘ man sich mit wechselnden Partnern, von der "revolutionären Novemberjugend" über die "Gruppe 4", die Anarchosyndikalisten bis zur Gruppe "Bone". Auch gab es verschiedene Phasen der Intervention, wo der Schwerpunkt nach einander bei der Erwerbslosenbewegung, bei "Volksküchen" und "Straßenfesten", der Intervention gegenüber Berliner Betrieben, dem "kritischen" oder "proletarischen" Antifaschismus bis hin zur antiparlamentarischen Agitation lag. Jede dieser Kampagnen wurde wieder eingestellt, jedes dieser Interventionsbündnisse wurde wieder aufgelöst, ohne dass ‘Aufbrechen’ auch nur ein einziges Mal eine öffentliche Bilanz davon zog. Zuletzt wurde die regelmäßige Publikationsarbeit ohne Erklärung ebenfalls eingestellt. Dahinter steckt ein sinnloser Aktivismus, der nirgends hinführt, nichts klärt und keine wirkliche Loslösung von der eigenen politischen Vergangenheit ermöglicht.

Die Arbeiterklasse ist die einzige revolutionäre Klasse in der Menschheitsgeschichte, deren endgültiger Sieg vorbereitet wird durch eine Reihe von Niederlagen. Weil die Arbeiterklasse als ausgebeutete Klasse kein Eigentum an Produktionsmitteln und somit keine Wirtschaftsmacht innerhalb der bestehenden Gesellschaft erringen kann, dienen ihre Kämpfe vor allem dazu, sie geistig und moralisch auf den Endkampf mit dem Kapital vorzubereiten. In Wahrheit steht das Proletariat nach seinen Niederlagen nicht wirklich mit leeren Händen da, denn diese Kampferfahrungen dienen dazu, die politischen Prinzipien zu erarbeiten, die am Ende einen revolutionären Sieg ermöglichen können. Das Proletariat ist eine historische Klasse, die im Verlauf ihres geschichtlichen Kampfes ihre revolutionären Waffen, ihr Bewusstsein und ihre Organisationen schmiedet. Deshalb ist die Arbeit der Kommunisten per Definition eine langfristige, die niemals die Prinzipien zugunsten des Vorübergehenden und Opportunen opfern darf. Deshalb besteht die vornehmste Aufgabe der revolutionären Kommunisten darin, diese Prinzipien hochzuhalten und niemals zu vergessen oder zu verraten. Für den Marxismus ist es keine Bagatelle, ein Bündnis mit Organisationen des Klassenfeindes zu schließen, sondern das Schlimmste, was Kommunisten überhaupt passieren kann. Weltrevolution

(1) Pannekoek 1917 in "De Nieuwe Tijd". Zitiert auf deutsch in Cajo Brendels Buch über Pannekoek. S. 21.

(2) Weltrevolution 111 S. 8 "Der 1. Mai und die Revolutionäre".

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Der parlamentarische Zirkus [1]

Weltrevolution Nr. 114

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Gefahr des Faschismus in Europa?

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Der Aufstieg der Rechten in Europa: Ist der Faschismus heute eine Gefahr?

Zwei Ereignisse illustrieren in Europa den Aufstieg der extremen Rechten, die oft auch rechtspopulistisch genannt wird: – In Frankreich erzielte Le Pen in den Präsidentschaftswahlen überraschenderweise 17% der Stimmen. – In den Niederlanden stieg die "Liste Pim Fortuyn" (dessen Führer kurz vor den Wahlen ermordet und dessen Begräbnis zu einer nationalistischen Hysterie aufgebauscht wurde) spektakulär aus dem Nichts zu einer politischen Kraft mit 26 von 150 Sitzen im niederländischen Parlament.

Dies sind keineswegs isolierte Ereignisse, sondern Teil einer Tendenz, die sich in den letzten Jahren in anderen Ländern Europas herausgebildet hat

– In Italien profitiert die gegenwärtige Regierung Berlusconi von einer Allianz mit den zwei Rechtsaußen-Formationen, die bereits 1996/97 seine Parlamentskollegen waren: Umberto Bossis Lombardische Liga und die Nationale Allianz (ex-MSI) von Gianfranco Fini.1 [2] – In Österreich teilt Jörg Haiders FPÖ seit Oktober 1999 die Macht mit der Volkspartei. – In Dänemark vertritt die offen fremdenfeindliche Dänische Volkspartei 12% der Wählerschaft, und dank ihrer Unterstützung bleiben die Liberalkonservativen an der Macht. Das neue Gesetz dieser Regierung gegen die Einwanderung wurde am EU-Gipfel in Sevilla als Modell für Europa vorgestellt. - In der Schweiz erzielte die SVP mit einer einzig auf die Immigration reduzierten Wahlkampagne im Oktober 1999 22,5% der Stimmen für die Legislative. - Die Fortschrittliche Partei hat in Norwegen mit mehr als 15% der Stimmen für die Legislative seit 1997 einen wichtigen Einfluss.

Was bedeuten diese Phänomene?

Entwickelt sich in Europa eine neue "braune Gefahr"? Existiert tatsächlich eine faschistische Gefahr? Tatsächlich zielen die Kampagnen der Bourgeoisie darauf ab, der Bevölkerung und insbesondere der Arbeiterklasse dies glauben zu machen, um die "Bürger" gegen die "faschistische Gefahr" für die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie und ihre Parteien zu mobilisieren. Dies geschah in Frankreich hauptsächlich in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen.

Jedoch unterscheidet sich die heutige Situation grundlegend vom aufsteigenden Faschismus in den 30er Jahren. Ein solcher Vergleich wäre total falsch, denn die historische Situation ist eine andere.

Der Aufstieg der extremen Rechten bedeutet keineswegs die Gefahr einer faschistischen Machtübernahme

In den 20er und 30er Jahren wurde die Machtübergabe an faschistische Regimes von breiten Teilen der herrschenden Klasse, vor allem von den großen industriellen Gruppierungen unterstützt. In Deutschland kontrollierten Krupp, Siemens, Thyssen, Messerschmitt, die IG Farben usw., die in Kartellen organisiert waren, Schlüsselbereiche der von den Nazis entwickelten Kriegswirtschaft: den Kohlebergbau, den Maschinenbau, die Stahlproduktion. Auch in Italien wurden die Faschisten von den großen Firmen der Kriegswirtschaft (Fiat, Ansaldo, Edison) unterstützt. Die deutsche und die italienische Bourgeoisie legte großen Wert auf die Entwicklung der Kriegswirtschaften in ihren Ländern, weil sie die Verlierer des Ersten Weltkrieges gewesen waren und sie sich auf einen neuen Weltkrieg zur Neuaufteilung des imperialistischen Kuchens vorbereiten mussten. Die faschistischen Regimes stellten also eine direkte Antwort auf die Notwendigkeiten des nationalen Kapitals dar, insbesondere auch auf die Notwendigkeit, die Arbeiterklasse brutal zu disziplinieren.

Heute stellt sich die Situation ganz anders dar: Die "Wirtschaftsprogramme" der Rechten existieren entweder gar nicht oder sind für die Bourgeoisie schlicht von keinem Interesse. Die Rechtsextremen in der Regierung würden die Fähigkeit des nationalen Kapitals, sich auf dem Weltmarkt zu behaupten, drastisch untergraben. So können sie also auf keine Unterstützung irgendeines verantwortlich handelnden Teils der Bourgeoisie zählen.

Tatsächlich verfolgten die rechten Parteien wie der MSI in Italien oder Haider in Österreich, kaum waren sie an der Regierung beteiligt, eine "vernünftige und gemäßigte" Politik, um einen gewissen Einfluss zu wahren.

Diese Parteien stehen anders als die Faschisten in den 30er Jahren nicht für eine imperialistische Politik zur Vorbereitung eines neuen Weltkriegs. Sie können keine glaubwürdige alternative imperialistische Politik vorweisen.

Vor allem aber fehlt heute im Gegensatz zu den 30er Jahren eine wichtige Vorbedingung für den Aufstieg des Faschismus: die physische und ideologische Zerschlagung der Arbeiterklasse. Der Faschismus und der Stalinismus waren Ausdrücke der Konterrevolution. Sie konnten nur die Macht ergreifen, weil die demokratischen Teile der herrschenden Klasse die Arbeiter bereits geschlagen hatten.

Heute ist dies nicht der Fall. Seit 1968 ist die Arbeiterklasse weder physisch noch ideologisch geschlagen, trotz aller erlittenen Schwierigkeiten und Rückschläge, hauptsächlich auch dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem darauf folgenden ideologischen Angriff.

Aus all diesen Gründen existiert außer in den Kampagnen der herrschenden Klasse die Gefahr von faschistischen Regimes nicht.

Der gegenwärtige Aufstieg der "populistischen" Parteien findet in einem vollständig anderen Kontext statt und bedeutet somit auch etwas ganz anderes als in den 30er Jahren.

Die rechten Ideologien als Ausdruck des Zerfalls des Kapitalismus

Das Auftauchen der populistischen Parteien heute ist ein Ausdruck des verrottenden Kapitalismus, des schwächeren gesellschaftlichen Gewebes und der alle Klassen betreffenden Verschlechterung der gesellschaftlichen Beziehungen. Das Auftauchen der rechtsextremen Parteien geht einher mit dem Auftauchen und der Verschärfung von alten Ideologien: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, die Betonung des Nationalen durch die rückständigsten und marginalisierten Sektoren, hauptsächlich die kleinbürgerlichen Ladenbesitzer und die Bauern. Angesichts der zunehmenden Schwierigkeiten des krisengeschüttelten Kapitalismus wie der Arbeitslosigkeit, der Einwanderung, der Unsicherheit, des Terrorismus usw. reagieren diese Schichten mit Frustration, Groll, Angst vor der Zukunft, Angst vor "Fremden" oder vor Nachbarn mit anderer Hautfarbe, Angst und Hass gegenüber der Andersartigkeit, Fixierung auf Sicherheit, Überlebensdrang, Selbstbezogenheit (was der Herrschaft des "Jeder-für-sich" im kapitalistischen Konkurrenzkampf entspricht), Atomisierung. Dies alles entspricht der Schwächung des gesellschaftlichen Gewebes. Es ist der ideologische Ausdruck einer verzweifelten und zukunftslosen Revolte, die das No-future der kapitalistischen Gesellschaft widerspiegelt und zur Explosion des Nihilismus führt.

Mehrere Faktoren trugen in den letzten Jahren dazu bei, diese durch den Zerfall des Kapitalismus provozierten Themen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken.

Der Kollaps des Ostblocks und der Krieg in Jugoslawien wirkten hier als Katalysatoren. Armut und kriegerische Barbarei bewirkten einen eigentlichen Exodus aus Osteuropa und dem Mittelmeerraum.

Der 11. September verstärkte das Klima der Angst, die Unsicherheitsgefühle, die Tendenz zur Vermischung von Islam und Terrorismus und somit auch zur Fremdenfeindlichkeit. In gleicher Weise hat der Nahost-Konflikt den Antisemitismus verstärkt. Zu diesen Ausdrücken des Zerfalls gehört auch die Entwicklung des religiösen Fanatismus.

Der Zerfall betrifft zuerst und in allererster Linie die Bourgeoisie. Er ist wie ein Stachel, denn er führt nur zu Problemen und erschwert die Kontrolle, wie das Ergebnis von Le Pen gezeigt hat. Zwar hat die Bourgeoisie gerade in Frankreich das Auftauchen von populistischen Formationen im Parlament vorangetrieben, jedoch entgleiten diese zunehmend ihrer Kontrolle.

Die Zunahme von populistischen Themen stimmt mit den hauptsächlichen Charakteristiken der gegenwärtigen Periode überein. In Spanien gibt es beispielsweise heute keine größere rechtsextreme Partei. Jedoch existiert eine starke Fremdenfeindlichkeit, die sich hauptsächlich gegen die Saison-Immigranten in Andalusien richtet, die auch Übergriffen unterworfen sind.

Für die Arbeiterklasse wirkt diese reaktionäre Ideologie wie alle anderen Produkte des Zerfalls wie ein Gift, das das Bewusstseins des Individuums angreift; es ist also auch ein größeres Hindernis für die Entwicklung des Klassenbewusstseins. Der Einfluss und das Ausmaß dieser Ideologie müssen aber in einem allgemeineren Kontext des Verhältnisses zwischen den Klassen eingeschätzt werden. Es braucht eine langfristige Analyse. Die Ideologie des Zerfalls zieht insbesondere die marginalisierten Teile des Proletariats, das Lumpenproletariat, in Mitleidenschaft; die Arbeiterklasse als Ganzes besitzt aber das stärkste Mittel dagegen: die Entwicklung des Klassenkampfs auf einem diesen reaktionären Themen total entgegengesetzten Terrain. Das Proletariat kennt kein Vaterland, es ist eine Klasse von Immigranten, die von einem gemeinsamen Interesse vereint wird, wie auch immer die Herkunft oder die Hautfarbe sei. Die internationale Solidarität der Arbeiter ist die Grundlage des Kampfes.

Die aktuellen antifaschistischen Kampagnen der Bourgeoisie zielen nicht auf eine Mobilisierung der Arbeiter für den Krieg, sondern sollen die Arbeiter in eine Falle locken und sie entwaffnen. Die Arbeiter dürfen sich nicht von diesen demokratischen und antifaschistischen Kampagnen vereinnahmen lassen, sie dürfen sich nicht von ihrem Klassenterrain vertreiben und für die Verteidigung der bürgerlichen Demokratie mobilisieren lassen.

Wim, Juli 2002

 

1 [2] Die Auflösung dieser Koalition im September 02 stellt die vorliegende Analyse nicht in Frage, sondern bestätigt vielmehr, dass die Rechtspopulisten für die “verantwortlicheren” Teile der Bourgeoisie unzuverlässige Partner sind.<

Weltrevolution Nr. 115

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Debatte: Die Ursachen des imperialistischen Krieges und die Gefahr des Vulgärmaterialismus

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Der drohende Militärschlag der USA gegen den Irak wirft die Frage der Kriegsmotive der kapitalistischen Staaten auf. Die IKS vertritt den Standpunkt, dass es den USA vornehmlich darum geht, die übrige “Staatengemeinschaft” ihrer eigenen imperialistischen Führung zu unterwerfen. Der Rest der Welt soll in ein eisernes Korsett der militärischen Kontrolle durch die einzig übriggebliebene Supermacht eingezwängt werden. Dabei soll insbesondere verhindert werden, dass ein neuer, in Ostasien, vor allem aber in Europa angesiedelter, gegen Amerika gerichteter imperialistischer Block führender Industriestaaten entsteht.

 

Dieser Standpunkt unserer Organisation ist in den Ruf geraten, idealistisch zu sein. Es wird von vielen Seiten behauptet, dass die Analyse der IKS - weil sie politischen, strategischen und militärischen Motiven den Vorrang gibt vor unmittelbaren wirtschaftlichen Beweggründen - die materiellen Grundlagen des imperialistischen Krieges verneine oder unterschätze. Es herrscht offenbar vielerorts die Auffassung vor, dass die IKS die Beweggründe des modernen Krieges im psychologischen Bereich suche - als ob wir meinen würden, es ginge Washington lediglich um die Befriedigung eines Geltungsbedürfnisses. Um zu beweisen, dass, wie Bush Jr. sich ausdrückt, Amerika nicht nur über die “besten Menschen” sondern auch über die beste Kriegstechnik verfügt.

Unter den politischen Gruppen und Strömungen, welche einen internationalistischen Standpunkt gegenüber dem imperialistischen Krieg vertreten, ist man hingegen bemüht, den modernen Krieg “materialistisch”, mitunter ausdrücklich “marxistisch” zu erklären. Das wird so ausgelegt. Da der Marxismus die materielle Grundlage der menschlichen Gesellschaft in den wirtschaftlichen Verhältnissen gefunden hat, und da die Triebkraft des Kapitalismus bekanntlich in der Jagd nach Profiten besteht, kann der kapitalistische Krieg logischerweise nichts anderes darstellen als die Suche nach unmittelbaren, materiellen, mit Händen greifbaren wirtschaftlichen Vorteilen. Doch bevor wir die Frage besprechen, ob diese Auslegung des Krieges tatsächlich marxistisch ist, betrachten wir zunächst, wie dieser Erklärungsansatz von verschiedenen mehr oder weniger internationalistischen Gruppierungen auf die heutige Weltlage angewandt wird.

Ein Krieg gegen das Proletariat?

Da gibt es beispielsweise den sog. “operaistischen” Ansatz. Diese Denk-richtung setzt bei dem bekannten Satz des Kommunistischen Manifestes an, demzufolge die gesamte bisherige Geschichte eine Geschichte des Klassenkampfes ist. Dieser Satz wird nun so ausgelegt, dass alles, was in der Klassengesellschaft geschieht, notwendigerweise eine direkte Folge der Interessenskonflikte zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten sein muss. So werden die heutigen imperialistischen Kriege von den politischen Kreisen um Karl-Heinz Roth, von den Gruppen Wildcat, Kolinko und anderen Stimmen des Operaismus ausgelegt entweder als unmittelbare Reaktion auf drohende oder bereits stattfindende Arbeiterkämpfe oder als Versuche, neue Bevölkerungsschichten zu proletarisieren. Im Wildcat-Zirkular 61 (Jan. 2002) erfahren wir, dass bereits der erste Golfkrieg kein imperialistisches Gemetzel, sondern einen Krieg gegen das Proletariat darstellte. “Spätestens seit dem Sturz im Iran 1979 wurde deutlich, wie zerbrechlich die Klassenverhältnisse in den erdölproduzierenden Ländern sind. Die Kriegsführung im Golfkrieg 1991 zielte auf die Eindämmung der Revolte in der Region” schreibt das Editorial. Und es fügt hinzu: “George Caffentris zeigt in ‚Warum diese Verzweifelung‘, (Beilage zum Zirkular) “dass die auf der Kippe stehende soziale Stabilität des wichtigsten Öl-Produzenten Saudiarabien für den Anschlag am 11.9 zentral war” (ibid). Auch die Afghanistankriege der letzten Jahrzehnte sollen mit der modernen Arbeiterfrage unmittelbar zusammenhängen und wundersam dazu beigetragen haben, die Schwierigkeiten der kapitalistischen Akkumulation zu mildern. “Dieser Krieg hat in zwanzig Jahren das bewirkt, was früheren Entwicklungsdiktaturen und Reformprogrammen nicht gelungen war. Der Krieg in Afghanistan läßt sich fast bilderbuchhaft als ein Prozess “ursprünglicher Akkumulation” d.h.. der Losreißung der Menschen aus ihren Subsistenzverhältnissen und der Etablierung kapitalistischer Verhältnisse beschreiben. Die Ethnisierung war nur ein Mittel, um den Krieg am Laufen zu halten.” (S.12)

Auch der jetzt drohende, zweite Golfkrieg sowie die blutigen Auseinandersetzungen im Kaukasus werden logischerweise in diese Perspektive gestellt: Da Saudi-Arabien angeblich seine Ölarbeiter nicht mehr im Griff hat, muss der Weltkapitalismus nach neuen, verlässlicheren Ölquellen Ausschau halten. “Seit Ende der 80er Jahre zeichnet sich ab, was dann Ende der 90er Jahre zur unabänderlichen Gewisstheit wurde: Saudi-Arabien wird diese Rolle aufgrund von veränderten Klassenverhältnissen nicht länger spielen können. Daher diese martialische Jagd nach anderen Ölquellen, die sich in der Bombardierung Afghanistan genauso ausdrückt wie zuvor in den Massakern des russischen Militärs in Tschetschenien.” (S. 22).

Die Genossen mögen sich auf einzelne Marx-Zitate berufen, so viel sie wollen. Ein Erklärungsansatz, der davon ausgeht, dass die bürgerlichen Staaten sich verabreden, so zu tun, als ob sie imperialistische Kriege gegeneinander führen würden, um angeblich jederzeit und überall drohenden sozialen Revolten entgegenzuwirken, und um neue Lohnarbeiter der kapitalistischen Ausbeutung zuzuführen, hat mit dem Marxismus nichts, aber auch gar nichts zu tun. Der operaistische Ansatz mag das Bedürfnis nach einfachen, “wirtschaftlichen” Erklärungen des Krieges befriedigen. Schließlich ist die Lohnarbeit die Quelle des kapitalistischen Mehrwerts! Doch dieser Ansatz wischt eine zentrale Erkenntnis des Marxismus über die kapitalistische Wirtschaft beiseite: die permanente, nie überwindbare Konkurrenz der Kapitalisten untereinander.

Ein Krieg ums Öl?

Doch es gibt einen anderen Ansatz, um ohne den angeblichen Idealismus der IKS den Krieg zu erklären – ihn nämlich als einen Krieg ums Öl aufzufassen. In einem internationalistischen Flugblatt “No War but Class War”, welches scheinbar von “Aufbrechen” und der “Gruppe Internationaler SozialistInnen” herausgegeben wurde, lesen wir: “Es geht um gegensätzliche Interessen. Und zwar darum, wer die Hand auf dem Ölhahn hat.” Auch historische Vertreter der Kommunistischen Linke wie das von Battaglia Comunista und der Communist Workers Organisation gebildete Internationale Büro für die revolutionäre Partei (IBRP) betonten bereits zur Zeit des Golfkrieges von 1991, dass ”...die Krise am Golf sich wirklich ums Öl und darum dreht, wer es kontrolliert. Ohne billiges Öl fallen die Profite. Die Profite des westlichen Kapitalismus sind bedroht, und aus diesem (und keinem anderen) Grund bereiten die USA ein Blutbad im Nahen Osten vor.” (aus einem damaligen Flugblatt der CWO).

Es hat vielleicht den Anschein, als ob diese Analyse im Gegensatz zu der der Operaisten eine wirklich marxistische sei, welche die imperialistischen Rivalitäten der Großmächte untereinander in den Mittelpunkt stellt. Doch diese beiden Ansätze schließen sich keineswegs so sehr gegenseitig aus wie es vielleicht den Anschein hat. Zunächst einmal, weil auch die Operaisten die Ölprofite als Kriegsmotiv keineswegs ausschließen. So gibt es in beiden Lagern einen munteren Streit darüber, weshalb das Öl Dreh- und Angelpunkt des Weltimperialismus sein soll. Während Wildcat meint: “Es geht nicht um diese oder jene Pipeline, sondern um Öl als Stoff” (Zirkular 61, S. 4), stellt das oben erwähnte Flugblatt fest: “Öl ist nicht nur der letzte nicht synthetisch ersetzbare Rohstoff, sondern durch seine zentrale Rolle in der Energiegewinnung geradezu das Schmiermittel der kapitalistischen Wirtschaft.” Auch darüber, zu welchem Preis der begehrte “Stoff” oder das “Schmiermittel” für den Kapitalismus am bekömmlichsten ist, gehen die Meinungen auseinander. Aufbrechen bzw. die GIS stimmen in ihrem Flugblatt der CWO (siehe oben) zu, indem sie behaupten: “Insofern entspricht ein niedriger Rohölpreis den Akkumulationsbedingungen des Kapitals, um die Profitrate hoch und die Reproduktionskosten des Proletariats in den Industrieländern niedrig zu halten.” Das Wildcat Zirkular stellt hingegen fest: “Die Bedeutung des Öls und seines Preises für die kapitalistische Entwicklung bewegt sich daher in Widersprüchen. Das Öl soll nicht “zu teuer” und “zu billig” sein, d.h. es soll den Bedürfnissen der konjunkturellen Zyklen der Weltwirtschaft angepasst werden können.” Wir können also feststellen - ob wegen der Arbeiterkämpfe, wie Wildcat meint, oder wegen der Profitrate und den Reproduktionskosten, wie bei Aufbrechen und der GIS - beide Denkrichtungen teilen die Vorstellung, dass Kapitalisten planmäßig Kriege vom Zaun brechen lassen, um die Ölpreise in eine bestimmte Richtung hin zu justieren. Ob diese nur scheinbar sehr “materialistische” Vorstellung mit der Sicht des Marxismus übereinstimmt, der zufolge der Krieg in erster Linie Ausdruck der Konkurrenz und somit der kapitalistischen Anarchie ist, bleibt noch sehr die Frage.

Die Vertreter der These eines Krieges, um den Ölpreis zu drücken, müssten uns außerdem noch erklären, weshalb diese unterstellte, kriegerische Preiskorrektur gerade jetzt notwendig geworden ist. Freuen sich die Kapitalisten der Industriestaaten denn nicht immer über niedrige Energiepreise? Um dieses Rätsel zu lösen, greift das Flugblatt von Aufbrechen und der GIS eben auf die Argumentationslinie der Operaisten zurück. “Denn gerade die Krise und Verschuldung des saudischen Sozialstaats, der weiten Teilen seines Staatsvolkes auf Kosten vor allem palästinensischer Arbeitsmigranten ein fast sorgen- und arbeitsloses Leben ermöglichte, haben seit 1999 zu einem von Saudi-Arabien initiierten Anstieg des Ölpreises geführt. Daneben liegt hier auch der Schlüssel zum Verständnis der politischen Destabilisierung des Nahen Ostens. Denn die Krise war auch Auslöser der Ankündigung der Freundschaft zu den USA seitens Teilen der arabischen Elite und somit des Aufkommens des Islamismus als Ideologie eines zu schaffenden panarabischen imperialistischen Blocks.” (vgl. dazu das Wildcat-Zirkular Nr. 61 und dessen Beilage).

Wir sehen hier, wie die Manie, den Krieg heute als etwas ökonomisch Vernünftiges, höchst Profitträchtiges hinstellen zu wollen, dazu führt, Zugeständnisse gegenüber der höchst unmarxistischen These eines “Krieges gegen das Proletariat” zu machen. Das ist nicht neu. Als die Linkskommunisten vom IBRP die Balkan-kriege ab Anfang der 90er Jahre erklären sollten - schließlich gibt es keine bedeutenden Ölvorräte auf dem Balkan - fielen sie auf den Erklärungsansatz zurück, dass die jugoslawische Bourgeoisie diese Kriege inszeniert hätte, um die Entwicklung von Arbeiterkämpfen abzuwürgen.

Idealismus und die Unterschätzung der imperialistischen Spannungen

Was hier außerdem auffällt ist, dass der pseudomaterialistische Ansatz von Aufbrechen und der GIS dazu führt, die jetzige Krise um den Irak hauptsächlich aufgrund der lokalen Gegebenheiten vor Ort, in der Region zu erklären. Die Genossen begreifen scheinbar ebenso wenig wie Wildcat, dass die Hauptursache der Krise in der Rivalität der imperialistischen Großmächte untereinander liegt. Zwar betont das Flugbatt - ganz im Gegensatz zu Wildcat - die Bedeutung dieser Rivalität. Doch diese Betonung findet keine theoretische Untermauerung auf der Ebene der von ihnen erstellten Analyse. Denn ginge es bei diesem von den USA vorbereiteten Krieg tatsächlich in erster Linie um niedrige Ölpreise, müssten die deutschen und französischen Kapitalisten eigentlich noch mehr für diesen Krieg sein als ihre amerikanischen oder britischen Konkurrenten, da sie im eigenen Lande ja kaum über eigene Ölquellen verfügen und somit noch mehr von Ölimporten abhängig sind.

In Wahrheit ist die These eines Krieges “ums Öl” letztendlich genauso dazu verdammt wie ihr operaistisches Gegenstück, die wirklichen Spannungen der Hauptmächte untereinander sowie den Ernst der Lage des Weltkapitalismus zu unterschätzen. Das Gespenst eines “panarabischen Blocks”, welches Wildcat, Aufbrechen und die GIS an die Wand malen, zeugt nur von dem Unvermögen, die bestimmende Rolle des Konfliktes zwischen den führenden imperialistischen Mächten zu erkennen. Einen solchen Block hat es in der Wirklichkeit niemals gegeben, kann es auch nicht geben - es sei denn, in den Phantasien eines Bin Ladens. Denn imperialistische Blöcke bilden sich, wenn überhaupt, um die weltweit zwei stärksten Mächte herum heraus, und nicht aufgrund kultureller Identitäten wie Panarabismus, Islamismus usw. Hier laufen die Genossen tatsächlich Gefahr, die materielle Geschichtsauffassung zugunsten des Idealismus aufzugeben.

Die Genossen leiden unter der falschen Vorstellung, dass eine Analyse der kriegerischen Spannungen der Bourgeoisie nur dann materialistisch sei, wenn es gelingt, die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit und damit Rationalität jedes einzelnen Konfliktes nachzuweisen. Wildcat drückt diese Sicht der Dinge in Bezug auf Afghanistan so aus: “Das ständige Wechseln der Koalitionen, Bündnisse und Frontverläufe in diesem Krieg - das genauso für die Warlords wie für die einflussnehmenden Staaten gilt, erscheint nur dem irrational und chaotisch, der die ethnischen, religiösen oder tribalistischen Mäntelchen der Warlords für bare Münze nimmt.” (Ibid S. 15) Dass die Operaisten die Ursache der modernen Kriege in der ständigen, erfolgreichen Ausdehnung der kapitalistischen Weltwirtschaft suchen, wundert uns keineswegs. Bis vor kurzem vertraten die meisten Operaisten die Ansicht, dass es eine objektive Krise des Kapitalismus gar nicht gebe. Bedenklich ist es allerdings, wenn sich ausdrücklich auf den Marxismus berufende Genossen, wenn sogar linkskommunistische Gruppen wie das IBRP nicht begreifen, dass die Kriege von heute Ausdruck nicht der Profitabilität, sondern der Krisenhaftigkeit, ja des historischen Bankrotts des Systems sind.

Der moderne Krieg: Ausdruck der Barbarei eines niedergehenden Systems

Offenbar haben viele Genossen Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass imperialistische Staaten neben wirtschaftlichen auch politische, strategische und militärische Interessen haben, und dass unter bestimmten Bedingungen “Fragen der nationalen Sicherheit” (wie die Bourgeoisie diese Interessen zu umschreiben pflegt), Vorrang haben können vor unmittelbar wirtschaftlichen Erwägungen. Doch haben die Marxisten stets solche politischen und strategischen Erwägungen bei der Erstellung ihre Analysen über kriegerische Auseinandersetzungen mit berücksichtigt. Zwar haben Marx und Engels anhand einer Vielzahl kolonialer Überoberungskriege, aber auch im Hinblick auf nationale Einigungskriege wie im Falle von Deutschland, Italien oder den USA nachgewiesen, dass kapitalistische Militärfeldzüge tatsächlich oft die Befriedigung unmittelbarer wirtschaftlicher Bedürfnisse dienen: der Zugang zu Märkten, Rohstoffen oder Arbeitskräften. Liest man aber ihre Analysen beispielsweise der britischen oder russischen Außenpolitik gegenüber Kontinentaleuropa im Laufe des 19. Jahrhunderts, so wird man feststellen, dass sie nicht minder langfristige, politische wie geo-strategische Faktoren unterstrichen haben, wie die Stützung feudalistischer Regime oder die Aufrechterhaltung eines “Gleichgewichts der Kräfte”. Anstatt pedantisch alles von der Seite der Wirtschaft abzuleiten, haben die Gründer des wissenschaftlichen Sozialismus stets das komplexe Zusammenwirken aller dieser Faktoren untersucht.

Diese grundsätzliche Methode des Marxismus gegenüber allen einseitigen Verflachungen zu verteidigen, ist heute um so wichtiger, da wir uns in einer Geschichtsepoche befinden, in der im Leben des Imperialismus die wirtschaftlichen Erwägungen gegenüber den Fragen der “nationalen Sicherheit” immer mehr zurücktreten. Das kommt daher, dass in der Niedergangsphase des Kapitalismus der Krieg nicht mehr in erster Linie gegen mehr oder weniger wehrlose, vorkapitalistische Gesellschaften geführt wird, um neue Ressourcen des Erdballs der kapitalistischen Ausbeutung zuzuführen, sondern zwischen den kapitalistischen Staaten selbst, und um die Neuaufteilung bereits im wesentlichen durchkapitalisierter Gebiete. Das hat zur Folge, dass die Kriege einerseits immer zerstörerischer werden, andererseits immer weniger wirtschaftliche Vorteile abwerfen. Doch die sinkende Gewinnträchtigkeit des imperialistischen Krieges führt keineswegs dazu, die militärischen Spannungen abzumildern. Genauso wenig, wie in der kapitalistischen Krise allgemein sinkende Profite die allgemeine Konkurrenz mindern. Das Gegenteil ist bekanntlich der Fall. Je enger der wirtschaftliche Spielraum der Konkurrenten, desto brutaler wird ihr Überlebenskampf mit militärischen Mitteln ausgetragen. Die Ursache des Krieges bleibt nach wie vor eine wirtschaftliche: der Konkurrenzkampf der kapitalistischen Staaten untereinander. Doch die Auswirkungen sind nicht mehr die gleichen. Diese Kriege füllen zwar die Kassen der Rüstungsindustrie und anderer Kriegsgewinnler. Doch sie führen nicht mehr dazu, die wirtschaftliche Lage des Kapitalismus zu verbessern. Sie führen immer weniger dazu, die wirtschaftliche Lage der am Krieg beteiligten Staaten zu verbessern. Anstatt ein Mittel zu sein, um die Krise zu lösen oder zumindest abzufedern, wird der imperialistische Krieg immer mehr zum bedeutenden Ausdruck dieser Krise, zum Ausdruck vor allem der Ausweglosigkeit der Krise. Das hat Konsequenzen auf der Ebene der Wechselbeziehungen zwischen wirtschaftlicher Basis und politisch-staatlichem Überbau der Gesellschaft. Denn die militärische Konkurrenz ist nicht bloß eine passive Wiederspiegelung der wirtschaftlichen Konkurrenz, sondern besitzt eine Eigendynamik, eine ganz eigene innere Logik. Die notwendig gewordene Priorität des Militarismus führt dazu, dass die Waffentechnik ein immer bedrohlicheres Zerstörungspotenzial entfaltet. Im Zeitalter von Kernwaffen und Interkontinentalraketen kommen die wirtschaftlichen Hauptrivalen immer mehr in die Lage, sich gegenseitig physisch zu vernichten. Der kapitalistische Staat, dessen Hauptaufgabe schon immer darin bestanden hat, das Eigentum der jeweiligen nationalen Bourgeoisie vor inneren und äußeren Feinden zu schützen, sieht sich gezwungen, immer mehr Ressourcen der Wirtschaft für die Erfüllung dieser Aufgabe zu opfern. Das Vereiteln und die Vernichtung der Zerstörungspotenziale der Gegner wird zur Hauptaufgabe des Staates nach Außen und somit zum Hauptzweck des Krieges. Wir können dem Pentagon also ausnahmsweise ruhig glauben, wenn es öffentlich verkündet, dass das Hauptziel amerikanischer Militärstrategie seit dem Ende des kalten Krieges darin besteht, die Bildung eines neuen, gegen die USA gerichteten Militärblocks zu verhindern.

Nach zwei Weltkriegen und Jahrzehnten eines barbarischen nuklearen “Gleichgewichts des Schreckens” drohen heute immer mehr Staaten - und an erster Stelle die Weltmacht USA selbst - mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen, um ihre strategischen Interessen durchzusetzen. Und die amerikanische Bourgeoisie scheint bereit zu sein, hunderte von Milliarden von Dollar herzugeben, um zu versuchen, sich vor Angriffen dieser Art zu schützen. Der moderne Krieg ist Ausdruck, nicht der Expansion und Profitabilität des Kapitalismus, sondern der bereits fortgeschrittenen Barbarei dieses Systems.

Das Problem des Vulgärmaterialismus

Das weitverbreitete Unvermögen, andere als unmittelbar wirtschaftliche Kriegsbeweggründe zu erkennen, hängt auch mit einer falschen, vulgär-materialistischen Auffassung vom Marxismus zusammen, der zufolge Politik immer nur das passive Abbild der wirtschaftlichen Notwendigkeiten sein kann.

Über die Beziehung zwischen Staat und Wirtschaft schreibt Engels: “Die neue, selbständige Macht hat zwar im ganzen und großen der Bewegung der Produktion zu folgen, reagiert aber auch, kraft der ihr innewohnenden, d.h. ihr einmal übertragenen und allmählich weiterentwickelten relativen Selbständigkeit, wiederum auf die Bedingungen und den Gang der Produktion. Es ist Wechselwirkung zweier ungleicher Kräfte, der ökonomischen Bewegung auf der einen, der nach möglichster Selbständigkeit strebenden und, weil einmal eingesetzten, auch mit einer Eigenbewegung begabten neuen politischen Macht; die ökonomische Bewegung setzt sich im ganzen und großen durch, aber sie muss auch Rückwirkung erleiden von der durch sie selbst eingesetzten und mit relativer Selbständigkeit begabten politischen Bewegung (...)

Die Rückwirkung der Staatsmacht auf die ökonomische Entwicklung kann dreierlei Art sein. Sie kann in derselben Richtung vorgehen, dann geht‘s rascher, sie kann dagegen angehen (...) oder sie kann der ökonomischen Entwicklung bestimmte Richtungen abschneiden und andre vorschreiben (...) Es ist aber klar, daß in den Fällen II und III die politische Macht der ökonomischen Entwicklung großen Schaden tun kann und Kraft- und Stoffvergeudung in Maßen erzeugen kann.” (1)

Die Annahme, dass die politische und überhaupt die “Überbau”faktoren lediglich Abbilder der wirtschaftlichen Basis sind, ist nicht nur gegenüber der Frage des Krieges falsch. Sie stellt vielmehr einen prinzipiellen Bruch mit der marxistischen Methode dar. (2)

So Engels. Und er schließt daraus: “Was den Herren allen fehlt, ist Dialektik. Sie sehn stets nur hier Ursache, dort Wirkung. Dass dies eine hohle Abstraktion ist, dass in der wirklichen Welt solche metaphysischen polaren Gegensätze nur in Krisen existieren, dass der ganze große Verlauf aber in der Form der Wechselwirkung - wenn auch sehr ungleicher Kräfte, wovon die ökonomische Bewegung weitaus die stärkste, ursprünglichste, entscheidendste - vor sich geht, dass hier nichts absolut und alles relativ ist, das sehn sie nun einmal nicht, für sie hat Hegel nicht existiert.” (3) “Auch die materialistische Geschichtsauffassung hat deren heute eine Menge, denen sie als Vorwand dient, Geschichte nicht zu studieren” schreibt Engels und erinnert dabei an einen Spruch von Marx gegenüber der Auslegung seiner Ansichten durch manche sein Anhänger, nach dem Motto, wenn das Marxismus sein soll, dann ist “Alles, was ich weiß, dass ich kein Marxist bin”. (4)

 

Fussnoten

(1) Engels an Conrad Schmidt, 27 Okt. 1890. Marx-Engels-Werke Bd. 37, S. 490.

(2) Engels an Joseph Bloch 21/22 Sept. 1890. MEW 37, S. 463.

(3) Engels an Conrad Schmidt, 27 Okt 1890. MEW 37, S. 494

(4) Engels an Conrad Schmidt, 5 Aug. 1890. MEW 37, S. 436.

 

Drohender Irak-Krieg:

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Gegen dieses System von Krieg und Terror

Täglich konkretisiert sich die Gefahr eines neuen Krieges gegen den Irak. Bush jun. beabsichtigt, einen Schritt weiter zu gehen als sein Vater 1991. Er möchte dem Irak nicht nur eine neue militärische Niederlage bereiten, sondern diesmal auch gleich das Regime von Saddam Hussein zerschlagen.

Ein Jahr nach den Attentaten vom 11. September und dem von den USA der ganzen Welt, insbesondere den als ”Achse des Bösen” bezeichneten Ländern, erklärten ”Krieg gegen den Terror” hat sich die Situation nur verschlimmert.

Seit einem Jahr kann man eine Zunahme von kriegerischen Spannungen in anderen Ländern beobachten. Z.B. zwischen Indien und Pakistan, zwischen Israel und den Palästinensern – wo Terroranschläge, Selbstmordkommandos, Vergeltungs- und Vernichtungsmaßnahmen zum Alltag geworden sind, oder in Tschetschenien.

Und jetzt wollen die USA knapp ein Dutzend Jahre nach dem ersten Golfkrieg einen zweiten Golfkrieg auslösen. ”Die Ära des Friedens”, die uns Bush sen. noch 1989 nach dem Zusammenbruch des Ostblocks versprochen hatte, offenbart sich nun als eine Ära einer seit dem Zweiten Weltkrieg beispiellosen Intensivierung der kriegerischen Barbarei. Die Überlebensprinzipien der bürgerlichen Gesellschaft, das “Jeder-für-sich”, die Verschärfung der Konkurrenz zwischen den großen als auch kleinen imperialistischen Mächten, ein neuer Rüstungswettlauf, bringen für immer mehr Menschen nur noch Zerstörung, Misere und Elend.

Die USA kämpfen um ihre Vormachtstellung

Schauen wir zurück:Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, haben die US-Behörden trotz vorhandener Geheimdiensterkenntnisse gegen die geplanten Attentate vom 11. September nichts unternommen. Im Gegenteil: die herrschende Klasse in den USA hat die Attentate ausgenutzt, um eine Offensive einzuleiten, mittels der die USA ihre Vormachtstellung auf der Welt ausbauen oder verstärken wollen. Mittlerweile haben die USA an wichtigen Positionen im Herzen Zentralasiens Stellung beziehen können: in Afghanistan, Tadschikistan, Usbekistan und auch in Georgien. Die USA steuern aber viel weiterreichende strategische Zielsetzungen an als nur das Herz Zentralasiens.

Das Ziel der amerikanischen Bourgeoisie ist die Sicherung der Kontrolle nicht nur über diese Region, die sich ehemals im Besitz Russlands befand, sondern über den Nahen und Mittleren Osten bis zum indischen Subkontinent. Mit Nordkorea auf der Liste der ”Achse des Bösen” wollen die USA auch China und Japan herausfordern. Dieses Vorgehen zielt letztendlich auf die Einkreisung der westeuropäischen Mächte und vor allem auf die Blockierung des deutschen Imperialismus ab, der der gefährlichste imperialistische Rivale ist und der über den Balkan nach Osten expandieren will. In diesem Kontext stehen die Kriegsdrohungen gegen den Irak.

Die Kriegsziele der USA

Im Gegensatz zu den Behauptungen der Militärs stellt der Irak unter Saddam Hussein heute keine reale Gefahr dar. Während seine Armee noch vor 1991 als die fünftgrößte der Welt galt, wurde sie in der Folge stark dezimiert und hat seit dem Ende des Golfkrieges zwei Drittel ihres Bestandes verloren. Das bestehende Embargo hat nicht nur die Wiederaufrüstung der irakischen Armee sondern auch die Beschaffung von Ersatzteilen verhindert. Beinahe das gesamte militärische Material des Iraks stammt aus der Zeit vor dem Golfkrieg, was selbst die New York Times vom 26.8.2002 zugibt.

Offensichtlich ist die von der Regierung Bush zur Rechtfertigung einer Intervention beschworene allgegenwärtige Gefahr nichts als eine Propagandalüge.

Welche materiellen Interessen stecken hinter dem von den USA angestrebten Krieg?

Stimmt es, wie die bürgerlichen Linken aber auch verschiedene Gruppen im proletarischen Lager behaupten, die USA wollten die Kontrolle über die irakischen Ölreserven, die zweitgrößten der Welt, sicherstellen. Le Monde Diplomatique schrieb im Oktober 2002 dazu: ”Unter einem amerikanischen Protektorat könnte der Irak seine Produktion innert Kürze verdoppeln, was als unmittelbare Folge einen Preissturz nach sich ziehen würde und somit vielleicht zu einer Ankurbelung des Wachstums in den USA führen könnte.”

Zuerst muss man dazu sagen, dass die Idee, das irakische Öl könnte die amerikanische Wirtschaft ankurbeln, einige sehr wichtige Aspekte außer Betracht lässt: die heutige Ölförderung Iraks unterliegt bereits weitgehend einem amerikanischen Diktat: politisch durch die Exportkontrolle unter Führung der UNO; militärisch durch die amerikanischen Bomber, die die ganze Erdölindustrie des Irak im Visier haben; wirtschaftlich durch den Einfluss der großen amerikanischen Erdölfirmen. Zudem herrscht ein weltweites Überangebot an Öl.

Wie wir in einem anderen Artikel in dieser Zeitung erläutert haben, werden aus unserer Sicht heute Kriege nicht mehr einfach um die Eroberung oder Plünderung von Rohstoffen oder um die Eroberung von neuen Märkten usw. geführt. Auch wenn diese Aspekte eine wesentliche Rolle spielen, sind sie nicht ausreichend für die Erklärung der Kriegsstrategie der beteiligten Staaten. Vielmehr haben Krieg und Militarismus eine Eigendynamik angenommen, die typisch ist für eine niedergehende Produktionsform, genauso wie es schon in der niedergehenden Sklavengesellschaft und im Feudalismus der Fall war.

Die Tatsache, dass der Nahe Osten seit Jahrzehnten ein permanenter Kriegsschauplatz geworden ist, kann nicht allein auf Ölvorkommen reduziert werden. Vielmehr ist das Interesse aller großen Mächte am Nahen Osten hauptsächlich ein strategisches. Dieses Interesse ging selbst der Entdeckung des Erdöls in dieser Region voraus. Bereits im 19. Jahrhundert trugen Großbritannien, Russland und Deutschland um Irak, Iran und Afghanistan das seinerzeit so genannte ”Große Spiel” um Einfluss aus. Der Nahe Osten gewann mit dem Bau des Suezkanals, einer strategischen Verbindung Großbritanniens zu seiner Kronkolonie Indien, noch mehr an Bedeutung. Heute bleibt die geostrategische Bedeutung dieser Region bestehen, jedoch ist sie durch die strategische Bedeutung des Erdöls als unabdingbarer Rohstoff für die Wirtschaft und den Krieg erweitert worden. Wenn die USA zu einer absoluten Kontrolle über die Versorgungswege des Erdöls nach Europa und Japan gelangen würden, hieße dies, dass sie in der Lage wären, im Falle einer schweren internationalen Krise starken Druck auf ihre Kontrahenten ausüben zu können. Sie müssten nicht einmal mehr mit nackter Gewalt drohen, um diese Länder gefügig zu machen. Die USA streben einen verstärkten Einfluss nicht vorrangig wegen des Öls als Ware an (und daraus zu schlagender ökonomischer Vorteile aufgrund einer möglichen Monopolstellung), sondern um das Öl als Erpressungsmittel einzusetzen. Die Rohstoffe sind nicht mehr bloße Ware, sondern zu einer Waffe im Krieg geworden (siehe dazu den Artikel auf S. 2).

Die gegenwärtige Situation spiegelt aber die allgemeine Zuspitzung der imperialistischen Spannungen auf einer anderen Ebene wieder.

1991 konnten die USA noch versuchen, die ehemals im Westblock Verbündeten wieder hinter den USA aufzureihen – zudem konnten die USA ein UNO-Mandat für ihren Krieg gewinnen.

Heute müssen die USA in Kauf nehmen, dass sie gegen die Opposition einer Reihe von größeren Ländern (Russland, Frankreich, Deutschland, China) und mehrerer wichtiger arabischer Länder versuchen müssen, den Krieg auszulösen, der selbst das Risiko einer weiteren Destabilisierung der Situation in dieser Region mit sich bringt.

Der von den USA angestrebte Krieg bedeutet ein weiteres Abtauchen ins wachsende Chaos, das immer blutiger wird. Wie wir bereits vor mehr als zehn Jahren angekündigt haben, sind die USA zu einer Flucht nach vorn unter Anwendung ihrer militärischen Kraft genötigt, wenn sie ihre Führerschaft bewahren wollen.

Heute sind nicht nur die “Schwächeren”, die “Unterlegenen”, unter Einsatz aller Mittel (Terror usw.) zur gewaltsamen Herausforderung der anderen getrieben, sondern die einzig übrig gebliebene Supermacht - die USA - treibt die Militarisierung mit am stärksten voran.

Um ihre Gegner zu schwächen, müssen die USA einen taktischen Schachzug machen: sie haben die europäische Front gesprengt. Das ist ein exzellentes Mittel zur Spaltung der europäischen Mächte, wobei sie hauptsächlich Großbritannien auf der einen und Frankreich und vor allem Deutschland auf der anderen Seite gegeneinander ausspielen wollen. Großbritannien bleibt für die USA die Hauptstütze in einem Krieg gegen den Irak. Im Gegensatz dazu hat sich Frankreich immer gegen eine neue militärische Intervention auf irakischem Boden gestellt – und Deutschland hat sich seit einem Jahr zum heftigsten Kritiker der USA gemausert.

Die USA wollen deshalb den Keil zwischen den Europäern vergrößern.

Sind die Risiken des Krieges gegen den Irak nicht größer als die des Krieges gegen Afghanistan?

Auf jeden Fall!. Denn die USA können im Irak die Drecksarbeit vor Ort nicht anderen (wie der afghanischen Nordallianz) überlassen; zudem besteht noch immer die Gefahr des Wiedererweckens des Vietnamsyndroms. Vor Ort werden die USA auf größere Schwierigkeiten stoßen, Verbündete für ihre Ziele zu finden, da die lokale Bourgeoisie im Irak aber auch in der Region dem Druck mehrerer europäischer Mächte ausgesetzt ist. Zudem ist ein Interessenskonflikt mit der Türkei nicht auszuschließen. Das andere Risiko betrifft das Image der amerikanischen Bourgeoisie, deren Ruf als ”Wegbereiter des Friedens” im Nahen Osten in den gesamten arabischen Staaten definitiv getrübt wird und deren Position in dieser Region längerfristig geschwächt wird.

Während 1991 Saddam Husseins Intervention in Kuwait als Vorwand zur Entfesselung des Golfkriegs diente, gibt es heute keine völkerrechtliche Absicherung für einen Präventivkrieg. Mit dem neu von der amerikanischen Bourgeoisie gegen-über dem Irak verwendeten Begriff des ”potenziellen Angreifers” versuchen sie in der Tat, jeglichen rechtlichen Rahmen auf der Ebene internationaler Beziehungen abzuschaffen und neue Regeln durchzusetzen. Diese Regeln, falls geduldet, würden unterschiedslos jede Invasion in beliebige Territorien durch beliebige Nationen rechtfertigen und eine weitere Türe zur Verschärfung des Chaos öffnen. Diese Schwäche in der amerikanischen Strategie wird oft und ausgiebig von denjenigen Großmächten ideologisch ausgeschlachtet, die heute vorgeben, sich an die von der UNO erteilten ”legalen Mandate” zu halten.

Das Dilemma der US-Bourgeoisie

Wie kann man auf dem Hintergrund dieses Dilemmas die politische Landschaft in den USA begreifen, da es dort ziemlich heftige Reibereien innerhalb der US-Bourgeoisie über die Gefahren eines Krieges gegen den Irak gegeben hat?

Abgesehen davon, dass einige bürgerliche Politiker vor den immensen Kosten eines Krieges warnen, meinen andere, die USA würden dadurch zu sehr isoliert, stünden nachher allein da. Und “als einziger allen anderen gegenüberzustehen”, könne doch nicht das Ziel der US-Politik sein!

In der amerikanischen herrschenden Klasse existieren keine Zweifel über die Notwendigkeit, ihre weltweite imperialistische Vorherrschaft bewahren zu müssen, und dies zuallererst auf militärischem Terrain. Die divergierenden Beurteilungen betreffen vielmehr die folgende Frage: Müssen die Vereinigten Staaten die Dynamik akzeptieren, die sie zum Alleingang drängt, oder sollen sie sich um die Gunst anderer kümmern und Rücksicht nehmen auf eine gewisse Anzahl Verbündeter, wenngleich eine solche Allianz heute keinerlei Stabilität hat?

Dieses Dilemma ist unlösbar – es spiegelt in Wahrheit die historische Sackgasse des Kapitalismus wider.

”Gegenüber einer Welt, die von der Dynamik des ”Jeder-für-sich” beherrscht wird, und wo insbesondere die früheren Vasallen des amerikanischen Gendarms danach streben, sich so weit als möglich aus der er-drückenden Vorherrschaft dieses Gendarmen zu befreien, die sie wegen der Bedrohung durch den gegnerischen Block ertragen mussten, besteht für die USA das einzige Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Autorität darin, sich auf das Instrument zu stützen, bei dem sie gegenüber allen andern Staaten eine haushohe Überlegenheit besitzen: die militärische Gewalt. Aber aufgrund dieses Einsatzes geraten die USA selber in einen Widerspruch:

- einerseits, falls sie auf den Einsatz oder die Zurschaustellung ihrer militärischen Überlegenheit verzichten, kann das die anderen, sie herausfordernden Staaten nur ermuntern, noch weiter vorzudrängen bei dieser Herausforderung;

- andererseits, falls sie diese rohe Gewalt anwenden, und selbst und vor allem wenn sie es dank dieses Mittels schaffen, die imperialistischen Appetite ihrer Gegner vorübergehend zurückzudrängen, werden diese aber danach streben, die erstbeste Gelegenheit zu ergreifen, um sich zu revanchieren und wieder versuchen, aus der US-Vorherrschaft auszubrechen.

Wenn die USA diese militärische Überlegenheit als Trumpfkarte ins Spiel bringen, erzielen sie damit sehr gegenteilige Wirkungen – je nachdem ob die Welt in Blöcke geteilt ist wie vor 1989, oder wenn die Blöcke nicht mehr bestehen. Als die Blöcke noch bestanden, neigte das Zur-Schau-Stellen dieser Überlegenheit dazu, das Vertrauen der Vasallen gegenüber ihrem Führer zu verstärken, da er die Fähigkeit besaß, sie wirkungsvoll zu verteidigen; deshalb stellt diese Karte dann einen Faktor des Zusammenhaltes um die USA dar. Wenn die Blöcke nicht mehr bestehen, bewirken die Demonstrationen der Stärke der einzig übrig gebliebenen Supermacht im Gegenteil nur, dass die Dynamik des ”Jeder-für-sich” nur noch verstärkt wird, solange es keine Macht gibt, die mit ihr auf dieser Ebene konkurrieren kann (”Resolution des 12. Kongresses der IKS”, Internationale Revue Nr. 19).

Die Politik des Weltpolizisten wirkt als aktiver Faktor des wachsenden Kriegschaos, des Versinkens in der Barbarei mit zunehmend unkontrollierbaren Konsequenzen. Sie bringt immer destabilisierendere Risiken mit sich, namentlich auf dem asiatischen Kontinent vom Nahen Osten bis Zentralasien, vom indischen Subkontinent bis Südostasien. Derartige Risiken enthüllen die tödliche Gefahr, der die gesamte Menschheit durch die kriegerischen Konfrontationen in der Zerfallsperiode des Kapitalismus ausgesetzt ist.

(für eine umfassendere und vertiefte Analyse der Entwicklung siehe unseren Artkel in Internationale Revue Nr. 30)

 

Ethik und Klassenkampf heute

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Vorwort der IKS

Anlässlich der jüngsten internen Organisationskrise der IKS haben wir eine Reihe von Diskussionen mit unseren engsten Kontakten geführt, um mit ihnen zusammen die politischen Lehren aus dieser Erfahrung zu ziehen und weiterzugeben. Dabei hat nicht nur die IKS Einleitungen zu den Diskussionen gemacht, sondern die Sympathisanten wurden auch ermuntert, Referate zu bestimmten Themen vorzutragen. Nachfolgend veröffentlichen wir eines der von den Sympathisanten der IKS gehaltenen Referate, das zum Thema ‘Ethik und historischer Materialismus’ gehalten wurde. Angesichts der in der letzten Zeit in der IKS aufgetretenen Probleme der Missachtung und Verletzung proletarischer Verhaltensweisen innerhalb einer revolutionären Organisation ist diese Frage von besonderer Relevanz für Revolutionäre gerade heute. Darüberhinaus aber ist die Frage einer proletarischen Moral, wie wir meinen, von sehr großer Bedeutung für die zukünftige Entwicklung des Klassenkampfes insgesamt - und damit für die Zukunft der Menschheit.

* * *

Angesichts der grausamen Dinge, die wir tagein, tagaus als erschreckende Realität des kapitalistischen Systems in den Nachrichten vernehmen, stellt sich einem die Frage, ob es so etwas wie Ethik gibt, und welche Bedeutung sie überhaupt hat. Während so manch einer resigniert den Kopf hängen lässt, mit dem Satz auf den Lippen, dass der Mensch an sich eben schlecht sei, ist dies alles andere als eine befriedigende Antwort. Besonders für die Arbeiterklasse, welche die Trägerin einer neuen, klassenlosen Gesellschaftsform ist, kann und darf eine solch resignative Haltung nicht die Antwort sein. Für den Kampf für den Kommunismus braucht die Arbeiterklasse ein wirkliches Verständnis der gegenwärtigen und vergangenen gesellschaftlich-ökonomischen Entwicklungen. Die Frage der Ethik hatte in der Geschichte der Arbeiterbewegung stets eine äußerst bedeutsame Rolle gespielt. Welche Bedeutung hat Ethik heute für Marxisten und die revolutionäre Arbeiterbewegung insgesamt? Um sich dieser Fragestellung anzunähern, soll eines der bedeutsamsten Werke zur Frage der Ethik in der Arbeiterbewegung zu Rate gezogen werden: Karl Kautskys “Ethik und die materialistische Geschichtsauffassung”. Die drei Leitfragen dieses Artikels sind: 1. Gibt es überhaupt so etwas wie Ethik und Moral? 2. Sind Ethik und Moral unveränderbar, immerzu gleich? 3. Gibt es eine proletarische Ethik, welche im Gegensatz zur bürgerlichen Ethik steht?

Das Wesen der Ethik

Die Ethik handelt vom Wollen und Sollen der Menschen. Seit Jahrtausenden schon suchten die Menschen nach Erklärungen, weshalb der Mensch im Inneren einen Regulator hat, der zwischen Gut und Böse unterscheiden, das Gute anstreben, das Böse verabscheuen kann. Die klassische idealistische Philosophie konnte das Sittengesetz nicht auf natürlichem Wege erklären (im Gegensatz zur materialistischen Sichtweise). Daher suchte sie die Erklärung darin, dass es zwei von einander getrennte Welten gebe, die materielle und die göttliche. Der Mensch aber vereine Teile von beiden Welten in sich und sei daher gut als auch böse. Die reale Welt erschien in diesem zweigeteilten Weltbild als Jammertal, dem Inbegriff des Bösen. Das Gute aber entspringe der übernatürlichen Welt Gottes, dem Paradies. Mit anderen Worten: die idealistische Philosophie versucht das Sittengesetz auf übermenschliche, göttliche Weise zu erklären. Aus dieser Auffassung heraus entstand auch der Monotheismus. Anders als bei der früheren Vielgötterei, wo die Götter Personifikationen der Naturkräfte bildeten, spielt Gott eine ganz andere Rolle. Er steht außerhalb der Natur, also außerhalb der materiellen Wirklichkeit, und hat im philosophischen Sinne keine andere Funktion als den Ursprung des Sittengesetzes zu erklären. Diese Weltauffassung wird z.B. im Christentum sehr deutlich. Erst mit der Durchsetzung dieser Auffassung verschmolzen Ethik und Religion.

Doch ab dem 18.Jahrhundert sah die aufstrebende Bourgeoisie die Welt nicht mehr als Jammertal an. Die Zuversicht, dass ihr die Zukunft gehörte, auf Grund der gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen, spiegelte sich in einer neuen Auffassung von Ethik. Das rasche Aufkommen des Kapitalismus führte zu einer Umwertung aller Werte, einem eifrigen Forschen über das Wesen der Sittlichkeit, was gut und böse ist. Es entwickelte sich der bürgerliche Materialismus. Die bürgerliche Ethik ist die des Egoismus und des Nutzens. Der Grundgedanke ist, dass Individuen und Gruppen immer für ihr eigenes Interesse handeln. Die Philosophie Kants verkörpert am reinsten die bürgerliche Weltauffassung. Während in der christlichen Ethik der Gläubige sittlich handeln soll, weil es das Gebot Gottes ist, erkannte Kant, dass die Ethik unabhängig von der Religion besteht und der Erfahrungswelt entspringt. Doch Kant verließ die materialistische Grundlage seiner Lehre. Sein allseits bekannter Leitsatz: “Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte”, birgt eine idealistische Auffassung in sich. Es ist nämlich unmöglich, unabhängig von allen zur Sinneswelt gehörenden Bedingungen zu handeln. Nach Kant ist Sittlichkeit in der Gesellschaft also nur möglich, indem jeder selbst versucht, sittlich zu leben. Dies aber würde bedeuten, dass Handeln und Verändern nur auf rein individueller Ebene möglich seien. Ist die Sittlichkeit des Einzelnen unvollkommen, so darf man laut Kant die Schuld nicht bei Staat und Gesellschaft suchen, sondern in der Tatsache, dass der Mensch eben halb Engel, halb Tier sei. Kant sieht die Moral als etwas Übernatürliches, außerhalb der Welt stehendes und eröffnet dem Idealismus so wieder Tür und Tor.

Ethik und Materialismus

Erst Darwin machte der Zweiteilung des Menschen und der Welt durch die idealistische, göttliche Erklärung der Sittlichkeit ein Ende. Er entdeckte, dass selbstlose und uneigennützige Gefühle nicht nur bei Menschen, sondern auch im Tierreich zu finden sind. Die sozialen Triebe sind nämlich unerlässlich für Wesen, die am besten als gesellschaftliche Gruppen im Kampf ums Dasein bestehen. Der Kampf ums Dasein bedeutet aber nicht den Kampf mit Lebewesen derselben Art (z.B. Mensch gegen Mensch), sondern vielmehr den Kampf einer Art mit der gesamten Natur. Es ist also ein gemeinsamer Kampf innerhalb der sich ständig verändernden Natur, der es sich best möglich anzupassen gilt. Und eben jene sozialen Triebe sind für das Überleben jeder Art von Gesellschaft unerlässlich: a) Selbstlosigkeit (Hingabe zur Allgemeinheit), b) Tapferkeit (Verteidigung der gemeinsamen Interessen), c) Treue (gegenüber der Gemeinschaft), d) Gehorsam bzw. Disziplin (Unterordnung unter den Willen der Gesamtheit), e) Wahrhaftigkeit (gegenüber der Gemeinschaft), f) Ehrgeiz (die Empfänglichkeit für Lob und Tadel der Gemeinschaft). Somit ist das Sittengesetz seit Darwin endgültig aus der göttlichen Sphäre hinab in die materielle Wirklichkeit geholt worden. Nicht aus unserem Erkenntnisvermögen, sondern aus unserem Triebleben stammt mit dem Sittengesetz auch das sittliche Urteil, sowie das Gefühl der Pflicht und das Gewissen. Doch erklären die sozialen Triebe nicht die sittlichen Ideale der Menschen, die im Reich der Tiere nicht zu finden sind.

Ethik und Entwicklung der Produktivkräfte

Kautsky weist daraufhin, dass die herkömmliche Ethik vom Individuum, nicht aber von der Gesellschaft ausgeht. So übersieht sie jedoch vollständig, dass das Sittengesetz nicht den Verkehr aller Menschen untereinander regelt, sondern nur den Verkehr mit Menschen einer Gesellschaft. Als Beispiele wären zu nennen: Laut dem Christentum sind alle Menschen vor Gott gleich, doch genau genommen gilt dies nur für alle Christen. Den nichtchristlichen Menschen in Kreuz-zügen über Jahrhunderte das Leben auszulöschen, war nicht unsittlich, sondern geschah im Namen des Herrn. In der bürgerlichen Rechtsordnung heißt es, alle Menschen hätten die gleichen Rechte. Davon sehen z.B. die Flüchtlinge nichts, die das Pech haben in sehr armen und kriegsgebeutelten Regionen der Erde geboren zu werden und von den Industrienationen erbarmungslos abgeschoben werden.

Die Grundlage der menschlichen Moral bildet sich nämlich nicht durch die moralische Verbesserung des einzelnen Menschen (Kant), sondern durch die Entwicklung der Produktivkräfte. Diese neue Moral, die alle Menschen umfasst, ist bis heute die Moral des klassenbewussten Proletariats, welche es im Gegensatz zur Moral der Bourgeoisie gebildet hat.

“Erst das Proletariat, das an der kapitalistischen Ausbeutung keinen Anteil hat, [...] wird eine Gesellschaftsform schaffen, in der die Gleichheit aller Menschen vor dem Sittengesetz aus einem frommen Wunsche zur Wirklichkeit wird” (Kautsky, Ethik und die materialistische Geschichtsauffassung).

Die menschliche Gesellschaft war wohl nie geschlossener und einheitlicher als zur Zeit der urwüchsigen Gentilgenossenschaft, denn ein jeder musste seinen Anteil leisten zum Erhalt der gesamten Gruppe. In dem Maße, in dem die Entwicklung der Klassengegensätze fortschreitet, zerklüftet sich die Gesellschaft immer mehr und wird der Klassenkampf die vornehmste, allgemeinste, dauerndste Form des Daseinskampfes der Individuen in der menschlichen Gesellschaft.

Klassenmoral und Klassenbewusstsein

Nun kommen wir zum Schwachpunkt in Kautskys sonst sehr aufschlussreichem Argumentationsstrang. Kautsky legt nämlich dar, dass in demselben Maße, wie die sozialen Triebe gegenüber der Gesamtgesellschaft an Kraft verlieren, würden sie – quasi automatisch, weil ein Trieb – um so kräftiger innerhalb der ausgebeuteten Arbeiterklasse zum Ausdruck kommen, deren Wohl nun immer identischer mit dem Allgemeinwohl ist. Was Kautsky hier völlig übersieht, ist die Frage der Entwicklung des Bewusstseins.

Er übersieht die Notwendigkeit einer aktiven Bewusstwerdung. So erfolgt aus seiner Sicht der Übergang von der Steuerung des menschlichen Verhaltens durch die sozialen Triebe in den Reihen der Ausgebeuteten hin zum bewussten Handeln quasi automatisch. Das Bewusstwerden der eigenen Klasseninteressen und das aktive Verfolgen der sozialen Triebe ist jedoch ein komplexer Prozess im Ringen des Klassenkampfes.

Natürlich werden die sozialen Triebe und Tugenden der ausgebeuteten Klassen im Klassenkampf enorm gestärkt, weil sie vereint für ein gemeinsames Ziel kämpfen, doch muss auch ein (Selbst-) Bewusstsein für die eigenen Klasseninteressen und Ziele vorhanden sein. Aber dieses ist nicht immer vorhanden. Gerade heute, in Zeiten der rückläufigen Klassenkämpfe, und besonders seit 1989, wo nach dem Zusammenbruch des Ostblocks die Bourgeoisie eine riesige Kampagne zum angeblichen Tod des Kommunismus startete, ist das Bewusstsein der arbeitenden Bevölkerung stark geschwunden. Doch damit einher geht auch ein Rückgang der Solidarität und der klasseneigenen Moral, welche von den klassenfremden Ideologien bedrängt werden wie etwa Konkurrenzdenken, die Mentalität des Jeder für sich, Egoismus usw..Dieser historische Kontext erklärt somit beispielsweise das Eindringen von kleinbürgerlichen und/oder lumpenproletarischen Verhaltensweisen in die Reihen der IKS. Dass solche fremden Ideologien die Arbeiterklasse insgesamt gefährden können, zeigt z.B. auch der Fremdenhass, der z.T. auch unter Arbeitern verbreitet ist, welcher in völligem Gegensatz zum internationalen Klassenkampf (‚Proletarier aller Länder vereinigt Euch‘) steht. Die sozialen Triebe des Menschen müssen bewusst gemacht werden, dadurch können sie verändert und verfeinert werden und so die Fähigkeit zur bewussten proletarischen Sicht und Handlung ermöglichen.

Moral und Klasseninteresse

Moralische Satzungen sind also keinesfalls unveränderbar, denn die Ethik entspringt den materiellen Lebensbedingungen. Daher bringt jede bestimmte Gesellschaftsform ihre eigene Ethik hervor. Eine Änderung der Gesellschaft muss auch eine Änderung der moralischen Satzungen nach sich ziehen. Die Arbeiterklasse ist eben die Trägerin einer neuen Gesellschaft, des Kommunismus, und damit auch die Trägerin der proletarischen Ethik. Denn nicht nur jede Gesellschaftsform hat ihre eigene Ethik, sondern auch die sich bekämpfenden Klassen haben ihre eigene, einander entgegengesetzte Ethik, da sie entgegengesetzte Interessen und Ziele haben. Die heute vorherrschenden moralischen Satzungen entsprechen nicht mehr den gesellschaftlichen Bedürfnissen und sind somit ein Hemmschuh des Fortschritts. Vielmehr nutzt die herrschende Klasse die bewusste Aufrechterhaltung überkommener moralischer Satzungen zur Sicherung ihrer Machtposition. Je länger aber diese moralischen Satzungen in Kraft bleiben, während die ökonomische Entwicklung voranschreitet, desto größer wird der Widerspruch zwischen herrschender Moral und Realität. Mit diesem Widerspruch einher geht auch die allgemeine Schwächung der sozialen Triebe, die sich äußert z.B. in einer Verrohung der Gesellschaft.

Je mehr sich die Arbeiterklasse ihres Gegensatzes zur herrschenden gesellschaftlichen Ordnung bewusst (!) wird, desto stärker wächst auch ihre sittliche Empörung. So entsteht ein sittliches Ideal, das zunächst die Negation der bestehenden Verhältnisse ist. Diese sittliche Empörung ist eine unersetzbar wichtige Waffe und Kraft im Klassenkampf. Doch es ist nicht die sittliche Empörung, die zum Kommunismus aufruft; soll heißen, nicht weil der Kommunismus ein hehres Ziel oder Ideal ist, muss die Arbeiterklasse dafür kämpfen (dem utopischen Sozialismus hat Marx längst ein Ende bereitet, indem er den wissenschaftlichen Sozialismus begründete). Nein, der Kampf der Arbeiterklasse für den Kommunismus ergibt sich aus den ökonomisch-gesellschaftlichen Bedingungen. Der Kampf für eine klassenlose Gesellschaft durch die Arbeiterklasse ist heute eine materielle Notwendigkeit. Die Menschheit steht vor der Alternative: Sozialismus oder Barbarei. Das sittliche Ideal ist also nicht das Ziel des Klassenkampfes, sondern eine überaus wichtige Waffe in dem Kampf für eine Gesellschaftsform, in der Tugend und Glück kein Widerspruch mehr sein werden wie im Kapitalismus.

Ethik und die Verteidigung einer proletarischen Verhaltensweise

Der gemeinsame Kampf für die gemeinsamen Klasseninteressen kann nur auf der Basis von tiefem Vertrauen und Solidarität in die Klasse und deren Organisationen erfolgreich sein. Diese aber müssen sich auf die gemeinsam bewusst angewandte proletarische Ethik stützen. Die revolutionären Organisationen sind stark beeinflusst von den Höhen und Tiefen der Klassenkämpfe. Das Problem der Infragestellung proletarischer Funktionsweisen in Organisationen und die rückläufigen Arbeiterkämpfe stehen in einem engen Zusammenhang. In der Entwicklung klassenfremder Verhaltensweisen manifestiert sich ein Vertrauensverlust bestimmter Revolutionäre in die Arbeiterklasse. Im Gegensatz zur bürgerlichen Moral “Der Zweck heiligt die Mittel” bestehen die proletarischen Grundsätze aus: Ehrlichkeit, Offenheit, Treue, Mut, Disziplin, Selbstlosigkeit und Hingabe. Nur auf dieser Grundlage können revolutionäre Organe funktionieren. Die Ethik des Proletariats ist Waffe und Schutz gleichermaßen. Vertrauen entspringt theoretischer Klarheit. Die damit verbundene Solidarität entspringt diesem Vertrauen in die Klasse und manifestiert sich in dem bewussten Anwenden der proletarischen Ethik. Neben dem Einsatz gegenüber klassenfremden, schädlichen Einflüssen und Ideologien spielt die Ethik auch noch auf einer weiteren Ebene eine nicht zu verkennende Rolle: die eigene persönliche Verantwortung gegenüber sich und seiner Klasse zu verdeutlichen. Es gibt Situationen, wo sich das Gewissen meldet und Menschen manchmal gegen ihre persönlichen Interessen, für ein höheres Interesse (z.B. das der Klasse) zurückstecken. Die persönliche Verantwortung für die Klasseninteressen äußert sich auch in Selbstkritik, der Annahme von Kritik sowie Kritik an anderen, wenn Grundsätze verletzt werden. Neben dem politischen Programm kann der Klassenkampf, das Funktionieren proletarischer Organisationen und endlich das Erreichen des Kommunismus nur erfolgreich sein, wenn die Solidarität und die proletarische Ethik aktiv und bewusst im Kampf eingesetzt werden.

Proletarische Moral - bisher höchste Form der Ethik

Die proletarische Ethik ist die höchste Form der Ethik, weil sie die gesamte Menschheit umfasst. Die Arbeiterklasse ist darauf angewiesen gemeinsam für ihr Ziel zu kämpfen. Ohne eine gemeinsame Ethik und Moral ist dies aber unmöglich, da man sich gegenseitig vertrauen und sich aufeinander verlassen können muss.

Gerade in der Zerfallsphase des Kapitalismus ist die Gefahr groß, dass die Arbeiterklasse von feindlichen Moralvorstellungen der Bourgeoisie infiltriert wird. Dies ist eine große Gefahr, da sie den gemeinsamen Klassenkampf erheblich schwächen kann. Die proletarische Solidarität ist begründet auf den Erfordernissen des gemeinsamen Kampfes. Die Solidarität ist als Prinzip für das Erreichen des Kommunismus unverzichtbar. Die Frage der Ethik ist daher für die Arbeiterklasse von größter Wichtigkeit. Angesichts des fortschreitenden Zerfalls des Kapitalismus, dessen Folgen Werteverlust und Verrohung der Menschheit sind, ist es umso wichtiger, Fragen der proletarischen Ethik unter den Arbeitern zu diskutieren und auch bewusst im alltäglichen Leben und Arbeitskampf aktiv einzusetzen. Je bewusster man sich dieser Fragen ist, desto entschiedener kann man sich gegen die bürgerlichen Einflüsse zur Wehr setzen. Nur gemeinsam, unter aktiver, bewusster Anwendung der von Kautsky benannten sozialen Triebe, kann der Kampf und der entscheidende Sieg der Arbeiterklasse erfolgen, damit die Entscheidung zugunsten des Kommunismus und gegen die immer weiter fortschreitende Barbarei ausfällt.

Schweiz: Die Salami-Taktik der Gewerkschaften

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Nun hat ihn auch die Schweiz: den grössten Streik seit Jahrzehnten! Von allen bürgerlichen Medien wurde der Bauarbeiterstreik vom 4. November 2002 als Riesenerfolg gefeiert - und zwar schon eine Woche bevor er tatsächlich stattfand. Rund 15'000 Arbeiter streikten am angekündigten Tag und demonstrierten in verschiedenen Städten gleichzeitig. Die Branchengewerkschaft GBI hatte bereits im Frühjahr eine Demo in Bern organisiert (vgl. Weltrevolution Nr. 112) und mobilisierte dann im Herbst erneut für eine Demo in Zürich und verschiedene gestaffelte und regional verteilte Aktionstage mit Blockaden und Streiks, die v.a. die sogenannten Hardliner unter den Bauunternehmern treffen sollten. Ziel der Kampagne ist die Durchsetzung des Rentenalters 60 im Baugewerbe.

Was steckt hinter dem Streik?

Im Juni 2002 schrieben wir in der Weltrevolution (Nr. 112): "Wir müssen darauf gefasst sein, dass nicht nur die Angriffe der Bourgeoisie auf die Arbeits- und Lebensbedingungen weiterhin zunehmen, sondern auch die gewerkschaftlichen Aktionen, mit denen versucht wird, das Terrain zu besetzen und die Arbeiter daran zu hindern, selbst in den Kampf zu treten, diesen zu organisieren und auszuweiten." - Dies hat sich nun sehr rasch bewahrheitet. Mit der wohlwollenden Unterstützung der Medien von links bis rechts mobilisierten die Gewerkschaften GBI und Syna für diesen Tag und für die eine Forderung: Rentenalter 60 für das Baugewerbe. Wohl darauf bedacht, dass nicht etwa eine branchenübergreifende Forderung gestellt oder eine Ausweitung des Streiks auf andere Bereiche und Regionen propagiert würde.

Obwohl es jeden Tag neue Angriffe auf alle Teile der Arbeiterklasse gibt - bei der Post, bei den Lehrern, bei den Banken und Versicherungen, bei der Milchverarbeitung (SDF) und der Maschinenindustrie (ABB, NAW) - setzen die Gewerkschaften alles daran, dass die Arbeiter der verschiedenen Regionen, Branchen und Betriebe ja nicht zusammen kommen und gemeinsam Kampfmassnahmen ergreifen. Im September 2002 erklärt sich der Milchverarbeiter Swiss Dairy Food (SDF) für zahlungsunfähig und reicht ein Gesuch um Nachlassstundung ein. 1600 Arbeiter sind von der Entlassung bedroht. Die Gewerkschaften organisieren zwei einstündige Warnstreiks in zwei verschiedenen Betrieben - für einen Sozialplan. Am 18. Oktober demonstrieren in Arbon 800 Arbeiter gegen die Schliessung der Fahrzeugbaufirma und DaimlerChrysler-Tochter NAW und den drohenden Verlust von 250 Arbeitsplätzen. Gleichzeitig wird bei der Post ein Abbau von 8500 Stellen angekündigt. Die Gewerkschaft droht zuerst mit Streik und einigt sich dann mit der Post darauf, dass das Sparprojekt "personal- und regionalpolitisch überprüft" werden soll. Die Gewerkschaft empfiehlt "ihren Mitgliedern" einstweilen, keine Kampfmassnahmen zu ergreifen (aus dem Pressedienst des Gewerkschaftsbundes). Am 1. November demonstrieren im Kanton Bern 20'000 Angestellte des öffentlichen Dienstes gegen einen Sparplan der Regierung und Stellenabbau - alles schön portioniert in gut verdauliche Häppchen.

Der GBI-Streik vom 4. November wurde v.a. deshalb zum beinahe "Jahrhundertstreik” hochstilisiert, weil die Gewerkschaften von A bis Z alles fest im Griff hatten. Sie bestimmten das ganze Tagesprogramm, entschieden darüber, wo gestreikt wurde und wo nicht (im Wallis z.B. wurde nicht gestreikt, da die Bauunternehmer dort zugesagt hätten, eine gesamtschweizerische Vereinbarung zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaften zu akzeptieren), sie verteilten die Trillerpfeifen und das Streikgeld (für die Gewerkschaftsmitglieder und diejenigen, die sich bei dieser Gelegenheit als solche einschreiben liessen), und sie fuhren einige Hundert Bauarbeiter in Bussen zum Nadelöhr Bareggtunnel, wo sie dann während anderthalb Stunden den Verkehr zu blockieren hatten.

Es ist keine Frage, dass die Arbeiter auch in der Schweiz unruhiger werden. Die Unzufriederheit wächst angesichts der Lohnsenkungen und Entlassungen in allen Bereichen. Aber diese Unruhe drückt sich heute noch nicht in einer offenen Wut oder gar in einer Bereitschaft aus, massenhaft den Kampf gegen die Angriffe auf- und in die eigenen Hände zu nehmen. Hier treten nun die Gewerkschaften auf den Plan, die ein doppeltes Ziel verfolgen:

- Kurzfristig geht es ihnen darum, die Arbeiter daran zu hindern, selbständig den Kampf zu beginnen. Sie sollen nach dem Willen der Bourgeoisie (und die Gewerkschaften gehören dazu) möglichst getrennt voneinander, in kleinen Tranchen und zeitlich gestaffelt etwas Luft ablassen, damit die Angriffe nicht etwa durch eine massiven und geeinten Widerstand be- oder gar verhindert werden.

- Längerfristig aber verfolgen die Gewerkschaften das Ziel, sich als die einzigen und wahren Verteidiger der Arbeiter darzustellen, d.h. eben das Terrain für die zukünftigen Kämpfe rechtzeitig zu besetzen.

Obwohl auch bei den Bauarbeitern die Unzufriedenheit wächst und hier und dort auch spontan Streiks v.a. wegen Lohnkürzungen und schlechten Arbeitsbedigungen ausbrechen (z.B. am 26. September auf der NEAT-Tunnelbaustelle in Amsteg), besteht heute nicht eine reale Kampfbereitschaft, eine Entschlossenheit, gemeinsam in den Kampf gegen die allgemeine Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen zu treten. So ist denn auch die erhobene Forderung nach der Senkung des Rentenalters in der Baubranche keine wirkliche Konzession, die von den Bauunternehmern verlangt wird. Eigentlich haben der Bauunternehmerverband und die Gewerkschaften GBI und Syna schon alles abgemacht: Die Bauarbeiter sollen mit 60 in die Pension gehen können. Finanziert werden ihre Renten vordergründig zu 4% durch die Unternehmer, zu 1% durch die Arbeiter. Effektiv beinhaltet aber der Deal, dass die Löhne in den Jahren 2003 und 2004 eingefroren werden (so Beat Kappeler, der frühere Boss des Gewerkscahftsbundes in der NZZ am Sonntag vom 10.11.02), was wiederum mindestens 3% Reallohn ausmacht. Diese Differenz wird nie mehr reingeholt, d.h. jedes Jahr bezahlen die Arbeiter zusätzlich mindestens 3% ihres Lohnes für die Rentenalterssenkung, also unter dem Strich mehr als die Unternehmer. Und als sich schliesslich nach durchgeführtem Streik am 12. November der Baumeisterverband und die Gewerkschaften erneut an den Tisch setzen und sich schon bald gegenseitig die Hände über die geglückte Einigung drücken, schaut für die Arbeiter noch einmal eine Verschlechterung heraus: Die Arbeitgeberbeiträge sollen bis 2011 nicht erhöht werden; wenn das Geld nach 2005 für die Pensionen nicht mehr reicht, müssen sie entweder gekürzt oder die Arbeitnehmerbeiträge erhöht werden. Aber die Gewerkschaften frohlocken: "Kampf hat sich gelohnt" (GBI) - "An diesem historischen Tag gibt es nur Sieger" (Syna).

Ein abgekartetes Spiel der Bourgeoisie

Die ganze Show um den Bauarbeiterstreik vom 4. November kann nicht verschleiern, dass nicht nur die linken Teile der Bourgeoisie, d.h. die Gewerkschaften, eine Strategie auf dem Buckel der Arbeiter und gegen sie durchzogen, sondern dass es sich um eine gut inszenierte Farce zwischen dem Bauunternehmerverband und den Gewerkschaften unter Mitwirkung der Medien und der Landesregierung handelte. Der so genannte Anlass des Streiks war nämlich eine "Provokation" der Bauunternehmer, die nach dem abgeschlossenen Deal erklärten, sie müssten sich die Finanzierung der Pensionen noch einmal überlegen. Darauf riefen GBI und Syna zum Streik auf, den Radio, TV und Presse aller Couleur sowohl im Vorfeld als auch während der Durchführung massiv begleiteten. Auch der so genannnte Revolutionäre Aufbau beteiligte sich an dieser Mobilisierung mit dem Aufruf: "Ein Sieg ist bedroht (...) nun weigern sich die Baumeister, das Abkommen auch umzusetzen (...) nur Streik kann jetzt den Baumeistern klar machen, dass sich Angriffe auf die Arbeiter nicht lohnen." Schliesslich erklärte der Wirtschaftsminister Couchepin ganz neutral, er werde sich in den Konflikt nicht einmischen, aber nötigenfalls und auf Anfrage schon für eine Vermittlung zur Verfügung stehen. Eine solche war dann erwartungsgemäss gar nicht nötig. So putzen sich alle heraus: der Baumeisterverband als der böse Kapitalist, die Gewerkschaft und andere linke Teile der Bourgeoisie als die Vertreter der Arbeiterinteressen und schliesslich die Regierung - als neutrale Schlichterin im Hintergrund.

Mit dieser Schlachtordnung sollen das Proletariat in die Irre geführt und die Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen durchgesetzt werden. So rüstet sich die Bourgeoisie für die Zukunft, die der Arbeiterklasse noch heftigere Angriffe bescheren wird. Diesen wird sie nur trotzen können, wenn sie sich geeint und selbstorganisiert zur Wehr setzt - gegen alle Feinde und die falschen Freunde!

Arnold, 14.11.02


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