Veröffentlicht auf Internationale Kommunistische Strömung (https://de.internationalism.org)

Startseite > Weltrevolution - 1990s > Weltrevolution - 1997

Weltrevolution - 1997

  • 4168 Aufrufe
   

Weltrevolution Nr. 80

  • 2242 Aufrufe

Ehrengericht - eine Waffe zur Verteidigung der revolutionären Organisation - 1996

  • 2722 Aufrufe
Auf ihrem 11. Internationalen Kongress hat die IKS im April 1995 die schwerwiegende Entscheidung getroffen, eines ihrer Mitglieder, den ehemaligen Genossen JJ wegen seines zerstörerischen und mit der Zugehörigkeit zu einer kommunistischen Organisation unvereinbaren Verhaltens auszuschließen. Insbesondere hatte JJ innerhalb der IKS ein geheimes Netz von Anhängern der Ideologie der Freimaurer aufgebaut. Dieser Ausschluss erforderte von unserer Organisation, dass wir eine Warnung an unsere Leser veröffentlichten (siehe Weltrevolution Nr.76), um das ganze proletarische politische Milieu vor den Umtrieben dieses Elements zu warnen. JJ verwarf die Argumente, die uns zu seinem Ausschluss führten, insbesondere leugnet er, dass sein Verhalten  bewusst und absichtlich gewesen sei; er behauptet, die Einschätzung der IKS sei Ausdruck ‘eines kollektiven Deliriums’ und einer ‘interpretativen Paranoia’. Demgegenüber  verteidigt die IKS gemäß der Tradition der Arbeiterbewegung die proletarischen Prinzipien, indem sie dieses ehemalige Mitglied sofort nach seinem Ausschluss aufgerufen hat, ein Ehrengericht zu beantragen, das aus Mitgliedern anderer Organisationen des revolutionären Milieus besteht, um Klarheit über das Wesen seines Verhaltens und die Ursachen seines Ausschlusses zu schaffen.

Dass Mitglieder revolutionärer Organisationen sich gegenüber Verleumdungen und Beschuldigungen, zu deren Zielscheibe sie meinen geworden zu sein, verteidigen müssen, hat immer zu den Prinzipien der revolutionären Organisationen gehört. Diese dürfen nämlich keinen Verdacht in ihren Reihen dulden. Das Vertrauen zwischen Genossen, die Loyalität von Mitgliedern gegenüber der Organisation und ihre Verpflichtung, nur den Interessen der Arbeiterklasse zu dienen, sind die Grundlagen der Organisationsprinzipien der Avantgarde des Proletariats. Auf diesem politischen Vertrauen zwischen Militanten untereinander und eines jeden Militanten gegenüber der Organisation fußt die Einheit und die Solidarität der Kämpfer für die Sache des Kommunismus. Deshalb besteht eine der Waffen der Bourgeoisie zur Zerstörung der revolutionären Organisationen gerade in dem Infiltrieren von Abenteurern oder politischen Provokateuren, deren Funktion darin liegt, dieses Vertrauen zu zerstören (insbesondere indem man hinter den Kulissen gegen die Organisation, gegen ihre vom Kongress gewählten Zentralorgane und gegen ihre Mitglieder Gerüchte und Verleumdungen in Umlauf setzt).

Gegenüber dieser Gefahr, die kommunistische Organisationen immer bedroht hat, ist es deren Verantwortung, eine besondere Kommission mit der Aufgabe zu benennen, jeweils eine Untersuchung dann durchzuführen, wenn sie mit zerstörerischem Verhalten in ihren Reihen konfrontiert werden wie das bei der I. Internationalen der Fall war, die auf ihrem Haager Kongress 1872 eine Untersuchungskommission ernannt hatte, um den Fall Bakunin und seiner Geheimen Allianz zu untersuchen.

Die politische Funktion eines Ehrengerichts

Wenn gegenüber einem Mitglied schwerwiegende Beschuldigungen gemacht werden, ist  es seine Aufgabe und Verantwortung, den Beweis für die Loyalität seines Engagements zu erbringen, indem es die Einberufung eines Gerichts fordert, das aus Genossen zusammengesetzt ist, die zur Aufgabe haben, eine gründliche Untersuchung über seinen Lebenslauf, seinen Werdegang und seine Umtriebe anzufertigen. Jedes Mitglied einer kommunistischen Organisation, das sich gegenüber solchen Beschuldigungen weigert, seine Ehre als kommunistischer Militant zu verteidigen, nährt durch dieses Verhalten der Kapitulation nur den Verdacht, der auf ihm lastet, und es verstärkt damit die Verbreitung des Giftes des Misstrauens innerhalb der Organisation. Eines der Kriterien zur Einschätzung der Loyalität eines Mitglieds ist gerade die Entschlossenheit, die ganze notwendige Klarheit über das Wesen seines Verhaltens vor einem Ehrengericht zu schaffen.

Aber ein Ehrengericht einzuberufen (oder ein revolutionäres Gericht), ist nicht nur erforderlich für die Rettung des Militanten oder für die moralische Gesundheit der Organisation. Diese politische Instanz stellt ebenfalls ein Abwehrmittel des gesamten proletarischen politischen Milieus dar gegenüber den undurchsichtigen Elementen, seien es Polizeiagenten oder einfache Abenteurer, die in ihrem eigenen Interesse handeln.

Wenn eine revolutionäre Organisation die Existenz solcher Individuen in ihren Reihen aufdeckt, hat sie die Verantwortung, den Schutz anderer Organisationen des proletarischen politischen Milieus zu übernehmen. Die Einberufung eines Ehrengerichts zielt deshalb darauf ab zu vermeiden, dass diese Gruppen ihrerseits Opfer der zerstörerischen Umtriebe solcher Elemente werden.

Die Geschichte der Arbeiterbewegung, insbesondere zu Beginn dieses Jahrhunderts, liefert viele Beispiele, wo in bestimmten Situationen, die das Leben der revolutionären Organisationen oder den Ruf von Militanten gefährdeten, revolutionäre Gerichte einberufen wurden, sei es auf Wunsch der Partei oder auf die Initiative hin von Genossen, die Opfer von Verleumdungskampagnen waren (wie das insbesondere bei Trotzki 1937 der Fall war, der von den Stalinisten beschuldigt wurde, ein Agent Hitlers zu sein).

Hier führen wir nur zwei Beispiele eines Ehrengerichts von vielen auf, die es in der Geschichte der Arbeiterbewegung gegeben hat: das Ehrengericht, das von den Sozialrevolutionären (SR) 1908 einberufen wurde, um den Fall Asew aufzuklären und das von der Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens (SDKPiL) 1912 einberufe Ehrengericht zur Aufklärung der ‘Radek-Affäre’.

Der Schutz der revolutionären Organisationen gegenüber dem Eindringen von Staatsagenten

Im Falle Asews, der als Agent der zaristischen Polizei (Okrana) in die Sozialrevolutionäre Partei vorgedrungen war, war es der Journalist und Historiker Burzew, der gleichzeitig den  SR wohlgesonnen war, der Asew auffliegen ließ, nachdem er eine persönliche Untersuchung über den Werdegang und die Umtriebe desselben angestellt hatte (Burzew war zu einem Spezialisten des Aufspürens von Okrana-Agenten geworden, die in russische revolutionäre Organisationen eingedrungen waren)[1]. Als sich sein Verdacht bestätigte, dadurch dass  der ehemalige, mittlerweile zurückgetretene Leiter des Büros der Okrana in Warschau diesen Verdacht bekräftigt hatte, trat Burzew an das Zentralkomitee der SR heran und warnte die SR-Partei. Das ZK beschuldigte Burzew, die Partei diskreditieren zu wollen, indem er den beispielhaft handelnden Asew mit Dreck besudelte. Das ZK der SR dachte nicht im geringsten daran, dass Asew schuldig sein könnte; es betrachtete die Enthüllungen Burzews als ein Manöver zur Destabilisierung der Partei.

In seinem Buch ‘Was jeder Revolutionär über die Repression wissen Muss’ erinnert Victor Serge an die Haltung, die die revolutionären Organisationen gegenüber den Verdächtigungen einnehmen müssen, welche gegenüber einem ihrer Mitglieder geäußert werden: ‘Die Vorbedingung jedes siegreichen Kampfes gegen die wirklichen Provokationen, die jede verleumderische Beschuldigung gegen ein Mitglied darstellt, besteht darin, dass ein Mitglied niemals leichtfertig beschuldigt wird, und niemals darf eine Beschuldigung gegen einen Revolutionär einfach beiseitegeschoben werden. Jedes Mal wenn eine Beschuldigung gegen ein Mitglied erhoben wird, muss ein aus verschiedenen Genossen zusammengesetztes Gericht über die Beschuldigung oder die Verleumdung befinden  und sich dazu äußern. Dies ist eine einfache Regel, die aber mit großer Strenge angewandt werden muss, wenn man die moralische Gesundheit der revolutionären Organisationen bewahren will.’

So beschloss das ZK der SR ein Ehrengericht einzuberufen, das nicht nur aus Mitgliedern der SR bestand, sondern auch aus bekannten Militanten, die anderen politischen Organisationen angehörten (unter ihnen der Anarchist Kropotkin). Dieses Ehrengericht hatte das Hauptziel, Asew von jedem Verdacht reinzuwaschen und die Manöver Burzews zu verwerfen, der einen Artikel in seiner Zeitung ‘Byloe’ (Die Vergangenheit) veröffentlicht hatte, in dem er öffentlich seine Beschuldigungen gegen Asew erhob. Sobald der Artikel erschienen war, verlangte Asew, der Angst hatte vor dem Urteil des Ehrengerichts, von seinem Vorgesetzten, General Gerassimow in Sankt-Petersburg, dass er von seinem Posten bei der Okrana entbunden werde. Aber diese Beendigung seiner Funktion für die Okrana reichte Asew nicht aus, um die Verdächtigungen beiseite zu schieben, die auf ihm lasteten. Um das Vertrauen der SR zu bewahren und um sie weiter zu täuschen, beschloss er, ein Attentat gegen den Zar anzuzetteln. Dieses Manöver ermöglichte Burzew, Asew bei dem ehemaligen Polizeidirektor Lopuchin zu denunzieren, der aufgrund seines mangelnden harten Durchgreifens bei der Repression gegenüber den Arbeiterdemos 1905 abgesetzt worden war. Nach einem vertraulichen Gespräch mit Lopuchin im September 1908, in dem dieser gegenüber Burzew bestätigte, dass Asew sehr wohl ein Agent der Okrana war, konnte Burzew das revolutionäre Gericht von der nicht zu mehr zu leugnenden Schuld Asews überzeugen und die gegen ihn von den SR erhobenen Beschuldigungen aus dem Weg räumen  (Lopuchin, der sich geweigert hatte, gegenüber dem revolutionären Gericht seine Zeugenaussage zu machen, war zumindest damit einverstanden, einen Brief zu schreiben, in dem Asew beschuldigt wurde, und der schließlich von den SR später veröffentlicht wurde).

Diese verantwortliche Haltung der SR, ein Ehrengericht zur Klärung der Beschuldigungen gegenüber Asew einzuberufen, entsprach leider nicht der Haltung Lenins 1914 gegenüber dem Fall Malinowski. Als dieser verdächtigt wurde, für die Okrana zu arbeiten, schlugen die Bolschewiki vor, seinen Fall vor einem revolutionären Gericht zu behandeln. Lenin aber verweigerte die Einberufung solch einer Instanz der Partei, da er sich sicher fühlte, dass Malinowski ein Militant war, der sich der Sache des Proletariats voll und ganz verschrieben hatte. Erst nach der Oktoberrevolution 1917 wurde, nachdem man die Archive der Okrana geöffnet hatte, bewiesen, dass Malinowski ein Agent der zaristischen Polizei war, der in das Zentralkomitee der Bolschewistischen Partei eingedrungen war, und dessen Aufgabe gerade darin bestand, Freundschaftsbeziehungen mit Lenin aufzubauen, um sein Vertrauen zu erschleichen.

So hatte sich sogar Lenin, dessen Sorgfalt und Strenge bei Organisationsfragen bekannt war, von der scheinbaren ‘Aufrichtigkeit’ des Arbeiters Malinowski täuschen lassen.

Die Haltung der Revolutionäre gegenüber organisationsfeindlichem Verhalten

Beim Ehrengericht, das sich mit der Angelegenheit Radek befasste, handelte es sich um eine ganz andere Lage. Dieses Gericht hatte nicht zur Aufgabe, Zweifel aus der Welt zu schaffen, ob Radek ein Staatsagent sei, sondern es ging darum, das politische Verhalten Radeks innerhalb der Partei zu beurteilen. Im Dezember 1911 ernannte die SDKPiL eine Kommission, die den Fall Radek untersuchen sollte, der verschiedener Diebstähle beschuldigt worden war: des Diebstahls von Kleidern eines Genossen, von Büchern aus der Parteibibliothek und von Geld.

Nachdem diese Kommission zu keinem Untersuchungsergebnis kam (obgleich Radek schließlich gestand, die Bücher und die Kleider gestohlen zu haben), wurde sie am 30. Juli 1912 aufgelöst. Im August 1912 wurde ein revolutionäres Gericht der Partei gebildet; es Schloss Radek aus der Partei nicht nur wegen der ihm vorgeworfenen Diebstähle aus, sondern vor allem wegen seiner Umtriebe, denn er stiftete ständig Unruhe, insbesondere indem er die Unstimmigkeiten innerhalb der Sozialdemokratie zu seinem persönlichen Nutzen ausschlachtete.

Innerhalb der SDKPiL waren Leo Jogiches und Rosa Luxemburg am entschlossensten, Radek auszuschließen. Die Führung der SPD, der Radek ebenfalls angehörte, wurde sofort über den Ausschluss informiert; und ungeachtet der Divergenzen Rosa Luxemburgs mit Leo Jogiches über die Behandlung dieser Angelegenheit, erhielt sie die Zustimmung zur Übermittlung einer Zusammenfassung der Beschuldigungen gegen Radek. Auf dem Parteikongress von Jena Schloss die SPD 1913 ihrerseits Radek aus ihren Reihen aus. Die Härte dieser Strafmaßnahme verdeutlicht die Unnachgiebigkeit der revolutionären Organisationen gegenüber den Fragen politischen Verhaltens. So riet Rosa Luxemburg im April mehrere Monate vor der Sitzung des Parteigerichtes ihren Parteigenossen der SPD, den Zetkins, misstrauisch gegenüber Radek zu sein. Sie schrieb: ‘Radek gehört zu dieser Art Huren. Man muss sich auf alles gefasst machen, wenn er in der Nähe ist. Man muss ihn besser fernhalten.’

Unabhängig von den politischen Positionen Radeks (der 1912 den Positionen Rosa Luxemburgs zum Imperialismus sehr nahe stand), und den Dienst, den er der Sache der Arbeiterklasse aufrichtig leistete, insbesondere innerhalb der Bolschewistischen Partei während der revolutionären Periode, mussten sein organisationsfeindliches Verhalten in der Sozialdemokratie, seine Umtriebe als kleiner Dieb, die alle unvereinbar waren mit dem Verhalten eines kommunistischen Militanten, durch eine Instanz der Partei verurteilt und bestraft werden.

Diese beiden Beispiele zeigen unterschiedliche Fälle auf, für die ein revolutionäres Gericht einberufen werden kann und muss. Ein Ehrengericht Muss nicht nur die Ehre und die Loyalität eines Militanten garantieren können, sondern auch die Verteidigung der Organisation gegen das Eindringen von Staatsagenten oder gegen zerstörerisches Verhalten, das Misstrauen innerhalb der Organisation hervorrufen und das Organisationsgewebe zerstören kann.

Diese Art politischer Instanz kann entweder innerhalb derselben Organisation gebildet werden oder durch Mitglieder mehrerer Organisationen, insbesondere wenn die Sorge besteht, dass es zu Parteilichkeit kommen könnte, oder wenn zerstörerisches Verhalten eines Militanten eine Bedrohung für andere revolutionäre Organisationen darstellen kann.

Nachdem die IKS mit dem Falle JJ konfrontiert wurde, hat sie bei der Wiederaneignung der Erfahrung der Arbeiterbewegung in dieser Frage dieses ehemalige Mitglied dringend dazu aufgefordert, da er die Gründe seines Ausschlusses mit dem Argument verwarf, dass diese Entscheidung eine ‘schwerwiegende Entgleisung’ der IKS darstelle, er soll ein Ehrengericht einberufen lassen, das aus Mitgliedern verschiedener revolutionärer Organisationen besteht. Im zweiten Teil dieses Artikels werden wird sehen, wie JJ gegenüber unserem Vorschlag eines Ehrengerichts reagiert hat, aber auch wie die Gruppen der Kommunistischen Linken sich gegenüber der Frage verhalten.      IKS      21.12.1996


[1]Jean Longuet, Georgi Silber, ‘Die Bombe tötete den Großfürsten auf der Stelle, Terroristen und Geheimpolizei im alten Russland’, 1924, Berlin.

 

Theorie und Praxis: 

  • Ehrengericht [1]

Weltrevolution Nr. 81

  • 2287 Aufrufe

Februar 1917: Das Aufkommen der Arbeiterräte öffnete den Weg zur proletarischen Revolution

  • 2381 Aufrufe

 Der Ausbruch der russischen Revolution 1917 bleibt die gewaltigste, bewußteste und an Erfahrung, Initiativen und Kreativität reichste Bewegung der ausgebeuteten Massen, die es jemals in der Geschichte gegeben hat. Millionen von Arbeiter schafften es damals, ihre Atomisierung zu durchbrechen und sich bewußt zu vereinigen. Indem sie die Mittel zur Zerschlagung des bürgerlichen Staates und zur Übernahme der Macht - die Arbeiterräte (Sowjets) - geschaffen hatten, waren sie in der Lage, als gemeinsam handelnde Kraft auftreten zu können. Abgesehen von dem Sturz des Zarenregimes kündigte diese bewußte Massenbewegung nichts geringeres als den Beginn der proletarischen Weltrevolution im Rahmen einer internationalen Welle von Arbeiteraufständen gegen den Krieg und das kapitalistische System insgesamt an.

Die Bourgeoisie hat sich nicht getäuscht. Seit Jahrzehnten verbreitet sie die abscheulichsten Lügen über dieses historische Ereignis. 80 Jahre nach der Machtübernahme durch die Sowjets in Rußland singen die Propagandachefs der herrschenden Klasse immer noch das gleiche Loblied auf die Tugenden der bürgerlich-parlamentarischen ‘Demokratie’ und verbreiten gleichzeitig weiterhin die schlimmsten Verfälschungen über die ‘Diktatur des Proletariats’ in Rußland. Dabei tischen diese im Dienst des Kapitals stehenden ‘Historiker’ eine ganze Reihe von Spitzfindigkeiten auf, um die Februarrevolution 1917 als eine Bewegung für die ‘Demokratie’ darzustellen, die von dem bolschewistischen Staatsstreich abrupt zu Ende gebracht, ja vergewaltigt wurde. Februar 1917 sei eine echte ‘demokratische Revolution’ gewesen, Oktober 1917 ein gewöhnlicher ‘Staatsstreich’, eine Manipulation der rückständigen Massen des zaristischen Rußlands durch die Bolschewistischen Partei. Dieses schamlose ideologische Trommelfeuer ist ein Zeichen der Angst und der Wut, die die Weltbourgeoisie gegenüber dem kollektiven und solidarischen Werk, der bewußten Aktion der ausgebeuteten Klasse empfindet, einer Klasse, die es gewagt hat, ihr die Stirn zu bieten und die bestehende Weltordnung in Frage zu stellen. Der weltweite Widerhall der Revolution von 1917 lastet wie ein Alptraum auf dem Gedächtnis der Bourgeoisie. Deshalb setzt diese heute wie damals alles daran, der Arbeiterklasse den Zugang zu ihrer eigenen geschichtlichen Erfahrung zu versperren. Wenn die Bourgeoisie das Wesen der russischen Revolution und der Arbeiterräte verzerrt, verfolgt sie damit das gleiche Ziel wie bei ihrer hinterlistigen Kampagne zum ‘Tod des Kommunismus’. Indem der Kommunismus mit dem Stalinismus identifiziert wird, sollen revolutionäre Organisationen verleumdet und als Verfechter des Totalitarismus dargestellt werden. So wird die Idee verbreitet, daß jede Revolution nur zu einem neuen Gulag führe. Entgegen diesen Verleumdungen und Lügen ist die Verteidigung der russischen Revolution, dieses gewaltigen Werkes des im Kampf für den Kommunismus vereinten Proletariats, eine Aufgabe der Revolutionäre, um der Arbeiterklasse dabei zu helfen, den ganzen ideologischen Dreck über Bord zu werfen, den die herrschende Klasse verbreitet, und den ganzen Reichtum der Lehren dieser grundlegenden Erfahrung wieder aufzuarbeiten.

Februar 1917: Erste Episode der proletarischen Weltrevolution

Die Erhebung der Arbeiter von Sankt Petersburg (Petrograd) im Februar 1917 erfolgte nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie war eine Fortsetzung der wirtschaftlichen Kämpfe, die die Arbeiter seit 1915 als Reaktion auf das Abschlachten im Weltkrieg, auf den Hunger, die grausame Verarmung und Ausbeutung bis aufs Blut und den ständigen Terror im Kriegszustand geführt hatten, und auf die die Regierung mit einer brutalen Repression antwortete. Diese Streiks und Revolten waren damals keine Besonderheit des russischen Proletariats, sondern ein integraler Bestandteil der Kämpfe und Demonstrationen der Arbeiterklasse weltweit. Die gleiche Welle von Kämpfen der Arbeiter ergoß sich über Deutschland, Österreich, Großbritannien usw. An der Front kam es vor allem unter deutschen und russischen Soldaten zu Meutereien, Massendesertierungen und Verbrüderungen zwischen den Soldaten auf beiden Seiten. Nachdem sie zunächst durch das Gift des Patriotismus verseucht und den ‘demokratischen’ Lügen der Regierungen aufgesessen war, den Verrat der Mehrzahl der demokratischen Parteien und der Gewerkschaften geschluckt hatte, erhob die internationale Arbeiterklasse ihr Haupt und fing an, die Fesseln der chauvinistischen Benebelung abzustreifen. An der Spitze der Bewegung standen die Internationalisten - die Bolschewiki, Spartakisten, die ganze Linke der 2. Internationale -, die seit seinem Ausbruch im August 1914 den Krieg als einen imperialistischen Beutezug brandmarkten und als einen Ausdruck des Debakels des Weltkapitalismus darstellten, als ein Signal, das die Arbeiterklasse dazu zwingen sollte, ihre geschichtliche Aufgabe zu erfüllen: die internationale sozialistische Revolution. Diese historische Herausforderung sollte von der Arbeiterklasse von 1917 bis 1923 auf internationaler Ebene angenommen werden. An der Spitze dieser proletarischen Bewegung, die den Krieg zu Ende brachte und die Tür zum Ausbruch der Weltrevolution aufstieß, stand im Februar 1917 das russische Proletariat. Der Ausbruch der Russischen Revolution war also keine nationale Angelegenheit oder ein isoliertes Phänomen, d.h. eine verspätet stattfindende Revolution, die sich zur Aufgabe gesetzt hätte, den absoluten Feudalismus zu stürzen - diese Bewegung stellte den Höhepunkt der Antwort des Proletariats auf den Krieg und darüber hinaus auf den Eintritt des Systems in die Phase seines Niedergangs dar.


Die Bildung der Arbeiterräte: Die spezifischen Organe der Revolution

Als Reaktion auf das historische Problem des imperialistischen Krieges brach am 22.Februar ein sechstägiger Aufstand der Arbeiter in St. Petersburg aus. Der Krieg war zum Ausdruck der Dekadenz des Kapitalismus geworden. Anfänglich ging die Bewegung von den Textilarbeitern aus; aber innerhalb von drei Tagen dehnten sich die Streiks auf nahezu alle Fabriken der Hauptstadt aus. Am 25. Februar hatten mehr als 240.000 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt. Anstatt passiv in den Werkstätten zu verharren, hielten sie überall Versammlungen und Straßendemonstrationen ab. Ihren ersten Forderungen nach ‘Brot’ wurde schnell eine zweite Forderung ‘Nieder mit dem Krieg’, ‘Nieder mit der Autokratie’ hinzugefügt.

Am Abend des 27. Februar wurde der Aufstand, den die bewaffnete Arbeiterklasse in der Stadt durchgeführt hatte, erfolgreich abgeschlossen. Zum gleichen Zeitpunkt brachen in Moskau Streiks aus, und Demos wurden organisiert. Diese Bewegung dehnte sich in den nachfolgenden Tagen auf die Provinzstädte aus, insbesondere auf Samara, Saratow, Charkow. In die Isolation getrieben, war das Regime des Zars, das sich außerstande zeigte, die vom Krieg selbst angeschlagene Armee gegen die revolutionäre Bewegung einzusetzen, dazu gezwungen zurückzutreten.

Sobald die ersten Teile der Kette zerschlagen waren, wollten die Arbeiter nicht mehr zurückweichen. Und weil man nicht einfach blind in den Kampf treten wollte, stützten sie sich auf die Erfahrung von 1905. Damals waren in den Massenstreiks die ersten Arbeiterräte spontan gegründet worden. Diese Arbeiterräte waren direkt hervorgegangen aus unzähligen Versammlungen der Arbeiter in den Fabriken und Wohnvierteln. Die Versammlungen waren selbständig, die Treffen waren zentralisiert und die frei gewählten Delegierten waren jeweils gegenüber den Versammlungen rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar. Vielen Arbeitern mag dieser gesellschaftliche Prozeß heute als Utopie erscheinen, aber es handelte sich um eine Errungenschaft der Arbeiter selber, die sich von einer unterworfenen und gespaltenen Masse in eine vereinigte Klasse verwandelten, als einheitlicher Körper auftraten und sich als fähig erwiesen, den revolutionären Kampf aufzunehmen.

Trotzki hatte schon nach den Kämpfen von 1905 aufgezeigt, was ein Arbeiterrat ist:

‘Was war der Sowjet der Arbeiterdeputierten? Der Sowjet entstand als eine Reaktion auf ein objektives Bedürfnis - ein Bedürfnis, das im Laufe der Ereignisse entstanden war. Es handelte sich um eine Organisation, die Autorität ausstrahlte und dennoch über keine Tradition verfügte, und sofort eine zerstreute Masse von Hunderttausenden von Menschen zusammenfassen,... die Initiative ergreifen und spontane Selbstkontrolle ausüben konnte’ (Trotzki, 1905). Diese ‘endlich gefundene Form der Diktatur des Proletariats’, wie Lenin sie bezeichnete, bewirkte, daß die ständigen Organisationsformen, die Gewerkschaften, als überholt anzusehen waren. In dem Zeitraum, wo die Revolution historisch auf der Tagesordnung steht, brechen die Kämpfe spontan aus und neigen dazu, sich auf alle Bereiche der Produktion auszudehnen. So geht der spontane Charakter des Entstehens der Arbeiterräte direkt aus dem explosiven und nicht programmierten Wesen des revolutionären Kampfes hervor.

Die Arbeiterräte, die während der russischen Revolution entstanden, waren nicht einfach ein unbeabsichtigtes Ergebnis außergewöhnlicher objektiver Bedingungen, sondern auch das Ergebnis einer kollektiven Bewußtwerdung. Die Rätebewegung hat selber Stoff geliefert für die Bewußtwerdung und Selbsterziehung der Massen. Die Arbeiterräte führten ständig jeweils die ökonomischen und politischen Aspekte des Kampfes gegen die bestehende Ordnung zusammen. Wie Trotzki schrieb:

‘Eine Revolution lehrt, und zwar schnell. Darin besteht ihre Kraft. Jede Woche brachte den Massen etwas Neues. Jeder zweite Monat schuf eine Epoche. Ende Februar - der Aufstand. Ende April - Auftreten bewaffneter Arbeiter und Soldaten in Petrograd! Anfang Juli - ein neues Auftreten in viel breiterem Maßstab und unter entschiedeneren Parolen. Ende August - der Kornilowsche Staatsstreichversuch, von den Massen zurückgeschlagen. Ende Oktober - Machteroberung durch die Bolschewiki. Unter diesen durch die Gesetzmäßigkeit ihrer Rhthymen verblüffenden Ereignissen vollzogen sich tiefe, molekulare Prozesse, die die verschiedenartigen Teile der Arbeiterklasse in ein politisches Ganzes verschmolzen.’ (Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution,’Verschiebungen in den Massen’, S. 353, Bd. I). ‘Treffen wurden in den Gräben, auf Dorfplätzen, in den Fabriken abgehalten. Monatelang wurde in Petrograd und in ganz Rußland jede Straßenecke zu einer öffentlichen Tribüne’ (ebenda).


Die Rolle der Bolschewistischen Partei in den Arbeiterräten

Auch wenn das russische Proletariat sich mit den Arbeiterräten seine Kampfinstrumente geschaffen hatte, so stand es doch ab Februar vor einer sehr gefährlichen Situation. Denn die Kräfte der internationalen Bourgeoisie versuchten sofort, die Lage zu ihren Gunsten auszunutzen. Da sie die Bewegung nicht blutig niederschlagen konnten, versuchten sie, sie auf bürgerlich ‘demokratische’ Ziele zu lenken. Einerseits bildeten sie eine offizielle provisorische Regierung, deren Ziel in der Fortführung des Krieges bestand. Andererseits wurden die Räte sofort von den Menschewiki und den Sozialrevolutionären (SR) ins Visier genommen.

Viele Arbeiter schenkten zu Beginn der Februarrevolution den SR, deren Mehrheit im Laufe des Krieges durch die Unterstützung eben jenes Krieges auf die Seite des Kapitals gewechselt war, noch großes Vertrauen. Von dieser strategischen Position aus versuchten sie mit allen Mitteln, die Arbeiterräte zu sabotieren, sie zu zerstören.

Nach einer Situation der ‘Doppelmacht’ im Februar kam man zu einer Situation der ‘doppelten Ohnmacht’ in den Monaten Mai und Juni 1917, weil der Vollzugsrat der Arbeiterräte der Bourgeoisie als Maske diente, um ihre Ziele zu verwirklichen. Insbesondere ging es ihr darum, die Ordnung hinter der Front und an der Front selbst wiederherzustellen, um den imperialistischen Krieg fortzusetzen. Diese menschewistischen oder sozialdemokratischen Demagogen machten noch immer Friedensversprechungen und versprachen auch eine ‘Lösung des Agrarproblems’, die Einführung des 8-Stunden-Tages usw., selbstverständlich ohne all dies in die Tat umzusetzen.

Zwar waren die Arbeiter, zumindest die von Petrograd, überzeugt davon, daß nur die Macht der Arbeiterräte imstande war, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, zwar erkannten sie, daß ihre Forderungen nicht umgesetzt wurden, doch in den Provinzen und unter den Soldaten glaubte man noch immer an die ‘Versöhnler’, an die Anhänger der angeblichen bürgerlichen Revolution.

Es sollte die Aufgabe Lenins sein, mit Hilfe seiner ‘Aprilthesen’ zwei Monate nach Ausbruch der Bewegung zunächst eine Plattform anzubieten, um die Bolschewistische Partei für die Lage der Dinge zu rüsten, denn auch die Bolschewistische Partei neigte dazu, sich versöhnlich gegenüber der provisorischen Regierung zu verhalten. Lenins Thesen brachten deutlich zum Ausdruck, in welche Richtung das Proletariat gehen mußte, und sie formulierten auch die Perspektiven der Partei:

_In unserer Stellung zum Krieg... sind auch die geringsten Zugeständnisse an die ‘revolutionäre Vaterlandsverteidigung’ unzulässig’.

‘Keine Unterstützung der Provisorischen Regierung, Aufdeckung der ganzen Verlogenheit aller ihrer Versprechungen, insbesondere hinsichtlich des Verzichts auf Annexionen. Entlarvung der Provisorischen Regierung statt der unzulässigen, Illusion erweckenden ‘Forderung’, diese Regierung, die Regierung der Kapitalisten, solle aufhören, imperialistisch zu sein’...

‘Keine parlamentarische Republik - von den Sowjets der Arbeiterdeputierten zu dieser zurückzukehren wäre ein Schritt rückwärts -, sondern eine Republik der Sowjets der Arbeiter,- Landarbeiter- und Baunerdeputierten im ganzen Lande, von unten bis oben’. (‘Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution’, Bd 24, S. 3ff., 4. April 1917).

Mit diesem Kompaß ausgerüstet, konnte die Partei Vorschläge machen, die den Bedürfnissen und Möglichkeiten der jeweiligen Momente des revolutionären Prozesses entsprachen und sich jeweils nach der Perspektive der Machtergreifung ausrichteten. Dabei stützten sie sich auf die ‘geduldige und hartnäckige Überzeugungsarbeit’ (Lenin). Und bei diesem Massenkampf um die Kontrolle ihrer Organisationen gegen die bürgerliche Sabotage wurde es nach mehreren politischen Krisen im April, Juni und vor allem Juli, möglich, die Sowjets zu erneuern, denn die Bolschewiki hatten nunmehr in ihnen die Mehrheit erobert.

Die entscheidenden Aktivitäten der Bolschewiki richteten sich auf die Fortentwicklung des Klassenbewußtseins. Dabei hatten sie großes Vertrauen in die Fähigkeit der Arbeiterklasse zur Selbstkritik, zur Lageanalyse sowie zu ihrer eigenen Vereinigung und Selbstorganisierung. Die Bolschewiki haben nie behauptet, die Massen einem ‘Aktionsplan’ unterwerfen zu wollen, der von vornherein festgestanden habe. ‘Die Hauptstärke Lenins war, daß er die innere Logik der Bewegung begriff und danach seine Politik richtete. Er zwang den Massen seinen Plan nicht auf. Er half den Massen, ihren eigenen Plan zu erkennen und zu verwirklichen’ (ebenda S. 277, Die Umbewaffnung der Partei).

So stellten die Bolschewiki von September an klar die Frage des Aufstands in den Versammlungen der Arbeiter und Soldaten:

‘Der Aufstand wurde sozusagen auf ein festes Datum festgelegt, auf den 25. Oktober. Er wurde nicht von einem Geheimtreffen festgelegt, sondern offen und öffentlich, und die siegreiche Revolution fand genau am 25. Oktober statt’ (ebenda).

Dies weckte eine bis dahin nie dagewesene Begeisterung unter den Arbeitern der ganzen Welt. Die Revolution in Rußland wurde zum Hoffnungsschimmer, der die Zukunft aller Ausgebeuteten erstrahlen ließ..

Heute noch ist die Zerstörung der politischen und ökonomischen Macht der herrschenden Klasse eine Überlebensnotwendigkeit. Die Diktatur des Proletariats, die sich in selbständigen Arbeiterräten organisiert, bleibt der einzige realistische Weg, um die Grundlagen einer neuen, wirklich kommunistischen Gesellschaft zu legen. Im Lichte der Erfahrung von 1917 müssen sich die Arbeiter diese Lehre wieder aneignen. SB

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1917 - Russische Revolution [2]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [3]

Weltrevolution Nr. 82

  • 2228 Aufrufe

Weltrevolution Nr. 83

  • 2207 Aufrufe

Juli 1917: Die grundlegende Rolle der Bolschewistischen Partei gegenüber den Manövern der Bourgeoisie

  • 4781 Aufrufe
 Die Ereignisse im Juli 1917 in Petrograd, die unter dem Namen ‘Julitage’ bekannt wurden, stellen eine der herausragendsten Momente der russischen Revolution dar. Während der Gärung der Arbeiter Anfang Juli 1917 verstand es die Bolschewistische Partei zu verhindern, daß der sich entwickelnde revolutionäre Prozeß nicht in einer tragischen Niederlage endete, wenn es zu einem verfrühten, von den bürgerlichen Kräfte provozierten Zusammenstoß gekommen wäre. Die Lehren, die auch noch heute aus diesen Ereignissen gezogen werden können, sind für den Kampf des Proletariats und des Wegs hin zu seiner Befreiung von grundlegender Wichtigkeit.

Der Februaraufstand hatte eine Doppelmacht entstehen lassen: die der Arbeiterklasse, die in ihren Arbeiter- und Soldatenräten organisiert war, und die der Bourgeoisie, die durch die provisorische Regierung vertreten und von den menschewistischen und sozialrevolutionären ‘Versöhnlern’ unterstützt wurde, insbesondere innerhalb des Exekutivkomitees, das von den Räten gewählt worden war (1). Diese Situation der Doppelmacht wurde umso unhaltbarer, je mehr sich die revolutionären Lage entwickelte.

Die aufsteigende Revolution

Nachdem sie anfänglich von den nie eingehaltenen Versprechungen der menschewistischen und sozialrevolutionären Demagogen über einen Frieden, ‘die Lösung der Agrarfrage’, die Einführung des 8-Stundentages usw. illusioniert und eingeschläfert worden waren, fingen die Arbeiter, insbesondere diejenigen Petrograds an sich bewußt zu werden, daß das Exekutivkomitee der Sowjets in keiner Weise auf ihre Forderungen einging. Sie merkten, daß dieses im Gegenteil als Schutzschild für die provisorische Regierung diente, damit diese ihre Ziele umsetzte, d.h. vor allem die Wiederherstellung der Ordnung hinter der Front und an der Front selber, um den imperialistischen Krieg fortzusetzen. In ihrer radikalsten Hochburg, in Petrograd, wurde sich die Arbeiterklasse mehr und mehr bewußt, daß sie hinters Licht geführt und getäuscht wurden von denjenigen, denen sie die Führung der Räte übertragen hatte. Wenngleich noch auf eine sehr verworrene Art und Weise neigte die revolutionäre Avantgarde dazu, die wirkliche Frage aufzuwerfen: wer übt wirklich die Macht aus, die Bourgeoisie oder die Arbeiterklasse?

Die Radikalisierung der Arbeiter und die Bewußtwerdung darüber, was wirklich auf dem Spiel stand, beschleunigte sich ab Mitte April, nachdem der liberale Minister Miljukow eine provozierende Note verfaßt hatte, in der er die Kriegsbeteiligung Rußlands bei der Fortsetzung des imperialistischen Krieges an der Seite der Alliierten beteuerte. Durch die zahlreichen Entbehrungen aller Art stark angespannt, reagierten die Arbeiter und Soldaten sofort durch spontane Demonstrationen, massive Versammlungen in den Arbeitervierteln und den Fabriken. Am 20. April bewirkte eine Massendemonstration den Rücktritt Miljukows. Die Bourgeoisie mußte bei ihren Kriegsplänen (vorübergehend) zurückstecken. Die Bolschewiki spielten bei dieser Gärung der Arbeiterklasse eine sehr aktive Rolle und ihr Einfluß stieg stetig in den Reihen der Arbeiter an. Die Radikalisierung der Arbeiterklasse vollzog sich um den Schlachtruf, den Lenin in seinen Aprilthesen (1) aufgestellt hatte: ‘Alle Macht den Räten’, auf das sich im Mai und Juni alle Bestrebungen der großen Arbeitermassen ausrichteten. Während des Monats Mai erschien die Bolschewistische Partei immer mehr als die einzige Partei, die an der Seite de Arbeiter kämpft. In allen Teilen Rußlands entfaltete die Partei eine frenetische Aktivität und brachte somit die revolutionäre Gärung zum Ausdruck. Das geduldige Erklären der Parole ‘alle Macht den Räten’ und ihr Engagement dafür, trug ihre Früchte darin, daß die Bolschewiki bei der Konferenz der Industriearbeiter von Petrograd - diesem kämpferischsten Teil des Proletariats - Ende Mai die Mehrheit in den Fabrikkomitees eroberten. Im Juni kam es zu einer intensiven politischen Agitation, die sehr spektakulär ihren Höhepunkt in einer gewaltigen Massendemonstration am 18. Juni erreichte. Obwohl ursprünglich die Menschewiki dazu aufgerufen hatten, um die provisorische Regierung, nachdem diese soeben eine neue militärische Offensive angeordnet hatte, zu unterstützen sowie das Exekutivkomitee des Sowjets von Petrograd, das sie noch beherrschten, wandte sich diese Demonstration gegen die ‘Versöhnler’. Tatsächlich griff die Demonstration in ihrer überwältigenden Mehrheit den bolschewistischen Schlachtruf auf: ‘Nieder mit der Offensive’. ‘Nieder mit den 10 kapitalistischen Ministern’. ‘Alle Macht den Räten’.


Die Bolschewiki vermieden die Falle des verfrühten Zusammenstoßes

Während die Nachrichten vom Scheitern der militärischen Offensive in der Hauptstadt eintrafen und somit das revolutionäre Feuer anfachten, waren sie in den anderen Landesteilen noch nicht eingetroffen. Um gegenüber dieser sehr gespannten Lage zu reagieren, fädelte die Bourgeoisie eine verfrühte Revolte in Petrograd ein, damit die Arbeiter und Bolschewiki dort niedergeworfen würden, und die Verantwortung für das Scheitern der militärischen Offensive dem Proletariat der Hauptstadt aufgebürdet werde, da dieses den an der Front kämpfenden Soldaten ‘einen Dolchstoß verpaßt habe’.

Solch ein Manöver war durch die Tatsache möglich geworden, daß die Bedingungen der Revolution noch nicht reif waren. Obgleich die Unzufriedenheit überall im Land unter den Arbeitern und Soldaten zunahm, hatte diese bei weitem noch nicht das Niveau, die Tiefe und die Homogenität wie in Petrograd erreicht. Die Bauern hatten noch Vertrauen in die provisorische Regierung. Unter den Arbeitern selber, auch unter den Petrogradern, war die vorherrschende Idee noch immer, daß man nicht die Macht ergreifen müsse, sondern daß man durch eine gewaltsame Aktion die ‘sozialistischen’ Führer dazu zwingen müßte, ‘wirklich die Macht zu ergreifen’. Es stand fest, daß eine in Petrograd niedergeschlagene Revolution und zahlenmäßig dezimierte Bolschewistische Partei es ermöglicht hätte, daß das so enthauptete Proletariat in Rußland bald insgesamt besiegt worden wäre.

Petrograd war in Gärung. Die MG-Schützen, die neben den Matrosen von Kronstadt ein Vorposten der Revolution in der Armee waren, wollten sofort losschlagen. Streikende Arbeiter begaben sich zu den Regimenten und forderten sie auf, sich auf der Straße zu versammeln und Treffen abzuhalten. In dieser Situation reichten einige von der Bourgeoisie getroffenen Maßnahmen aus, um die Revolte in der Hauptstadt auszulösen. So beschloß die Kadettenpartei, ihre vier Minister aus der ‘provisorischen’ Regierung zurückzuziehen, um wieder unter den Arbeitern und Soldaten die Forderung nach der unmittelbaren Macht der Sowjets aufzugreifen. Die Weigerung der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre, den Schlachtruf ‘Alle Macht den Räten’ zu übernehmen, weil sie an der Notwendigkeit festhielten, mit den Vertretern der ‘demokratischen Bourgeoisie’ zusammenzuarbeiten, konnte jetzt nicht mehr aufrechterhalten werden. Neben vielen anderen Provokationen drohte die Regierung jetzt damit, sofort kämpferische revolutionäre Regimenter von der Hauptstadt an die Front zu verlagern. Innerhalb weniger Stunden erhob sich die Arbeiterklasse der ganzen Stadt, bewaffnete sich und versammelte sich um den Schlachtruf ‘Alle Macht den Räten’.

Schon bei der Demonstration am 18. Juni hatten die Bolschewiki die Arbeiter öffentlich vor verfrühtem Handeln gewarnt. Da sie meinten, daß es nicht möglich wäre, die Bewegung zu stoppen, entschlossen sie sich, an deren Spitze zu treten durch ihre Unterstützung, indem sie der bewaffneten Demonstration von 500.000 Arbeitern und Soldaten einen ‘friedlichen und organisierten’ Charakter verliehen. Am gleichen Abend merkten die Arbeiter, daß sie in einer vorübergehenden Sackgasse stecken, da es unmittelbar unmöglich war, die Macht zu ergreifen. Am darauffolgenden Tag blieben sie den Anweisungen der Bolschewiki folgend zu Hause. Zu diesem Zeitpunkt trafen in Petrograd ‘neue’ Truppen ein, die die Kräfte der Bourgeoisie und ihre menschewistischen und sozialrevolutionären Anhänger unterstützen sollten. Um sie vor dem Einfluß der Bolschewiki zu ‘impfen’, wurden sie von Provokateuren unter Beschuß genommen, die im Dienst der Bourgeoisie standen, aber als Bolschewiki dargestellt wurden. Daraufhin setzte die Repression ein. Die Bourgeoisie organisierte neben dieser Repression eine Kampagne, die die Bolschewiki als ‘deutsche Agenten’ präsentierte, um die Soldaten gegen sie zu hetzen. Daraufhin mußten Lenin und andere bolschewistische Führer in den Untergrund gehen, während Trotzki und andere verhaftet wurden: ‘Der Schlag, der im Juli den Massen und der Partei zugefügt wurde, war sehr empfindlich. Aber es war kein entscheidender Schlag. Die Opfer zählen nach Zehnern, nicht nach Zehntausenden. Die Arbeiterklasse ging aus der Prüfung weder enthauptet noch verblutet hervor. Sie hatte ihre Kampfkader unversehrt erhalten, und diese Kader hatten vieles gelernt.’ (Geschichte der Russischen Revolution, Bd. 2, S. 475)

Die Lehren aus den Juli Ereignissen 1917

Gegenüber all den gegenwärtigen Kampagnen der Bourgeoisie, die Oktober 1917 als einbolschewistisches Komplott gegen die ‘junge Demokratie’ darstellen, welche die Februarrevolution hervorgebracht habe, und gegen die demokatischen Parteien, welche danach an die Macht kamen, Kadetten, Sozialrevolutionäre und Menschewiki, beweisen gerade die Juli-Ereignisse das Gegenteil. Sie belegen, daß die das Komplott betreibenden Kräfte gerade diese demokratischen Parteien waren, die in enger Zusammenarbeit mit den anderen reaktionären Teilen der russischen politischen Klasse waren und mit der Bourgeoisie der mit Rußland verbündeten imperialistischen Länder, um zu versuchen, der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage beizufügen.


Juli 1917 bewies ebenfalls, daß die Arbeiterklasse gegenüber all den früheren Arbeiterparteien, die verraten haben, mißtrauisch sein und jede Illusion gegenüber ihnen über Bord werfen muß. Während der Juli-Tage gab es noch viele solcher Illusionen in der Arbeiterklasse. Aber die Erfahrung im Juli hat endgültig aufgezeigt, daß die Menschewiki und Sozialrevolutionäre unumkehrbar in das Lager der Konterrevolution übergewechselt waren. Schon Mitte Juli zog Lenin daraus eindeutig die Lehren: ‘Nach dem 4. Juli hat sich die konterrevolutionäre Bourgeoisie, Hand in Hand mit den Monarchisten und Schwarzhunderten, den kleinbürgerlichen Sozialrevolutionäre und Menschewiki einverleibt, nachdem sie diese zum Teil eingeschüchtert hatte, und sie hat die wirkliche Staatsmacht in die Hände der Cavaignac gelegt, in die Hände einer Militärclique, die die Gehorsamsverweigerer an der Front erschießt und die Bolschewiki in Petrograd niederschlägt.’ (Zu den Losungen, Lenin, Ges. Werke, Bd. 25, S. 183)

Die Geschichte belegt, daß eine gefährliche Taktik der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse darin besteht, verfrühte Konfrontationen zu provozieren. 1919 und 1921 kam es dadurch in Deutschland zu einer blutigen Niederschlagung der Arbeiterklasse. Wenn die russische Revolution die einzige große Ausnahme ist, wo die Arbeiterklasse dazu in der Lage war, solch eine Falle und eine blutige Niederlage zu vermeiden, dann vor allem weil die Bolschewistische Partei ihre entscheidende Rolle als Vorhut, als politische Führung spielen konnte.

Die Bolschewistische Partei war überzeugt davon, daß sie ständig das Kräfteverhältnis zwischen den beiden gegnerischen Klassen untersuchen muß, um dazu in der Lage zu sein, zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung des Klassenkampfes richtig intervenieren zu können. Sie wußte, daß sie unbedingt das Wesen, die Strategie und die Taktik der Feindesklasse untersuchen mußte, um ihre Manöver zu erkennen, zu begreifen und ihnen entgegentreten zu können. Sie wurde von dem marxistischen Verständnis geleitet, daß der revolutionäre Aufstand eine Kunst oder Wissenschaft ist, und sie war sich darüber im klaren, daß die Wahl des falschen Zeitpunktes für den Aufstand so fatale Auswirkungen haben kann wie das Scheitern des Versuchs der Machtübernahme zum richtigen Zeitpunkt. Das tiefgreifende Vertrauen der Partei in die Arbeiterklasse und den Marxismus, ihre Fähigkeit, sich auf die Kraft zu stützen, die sie historisch darstellen, ermöglichten ihr, den Illusionen in der Arbeiterklasse entschlossen entgegenzutreten. Auch vermochten sie damit dem Druck der Anarchisten und den Gelegenheitsdeutern der Empörung der Massen, wie Trotzki sie nannte, standzuhalten, die, angetrieben von ihrer kleinbürgerlichen Ungeduld, die Massen dazu aufstachelten, unmittelbar zu handeln.

Aber in den Juli-Tagen war das tiefgreifende Vertrauen der russischen Arbeiter in ihre Klassenpartei grundsätzlich entscheidend, denn dies ermöglichte es derselben, in der Arbeiterklasse zu intervenieren und gar die Führungsrolle zu übernehmen, obgleich für jeden erkennbar war, daß die Bolschewiki weder die unmittelbaren Ziele noch die Illusionen der Arbeiter teilten.

Die Bolschewik traten der Repression entgegen, die am 5. Juli einsetzte. Dabei hatten sie keine Illusionen über die Demokratie und kämpften gegen die Verleumdungen an, zu deren Zielscheibe sie geworden waren. Heute, d.h. 80 Jahre später, hat die herrschende Klasse ihr Wesen nicht geändert, sondern sie ist im Gegenteil noch erfahrener und zynischer; mit der gleichen ‘Logik’ betreibt sie eine Kampagne gegen die Kommunistische Linke, genauso wie die Herrschenden im Juli 1917 solch eine gegen die Bolschewiki anleierten. Im Juli 1917 wollten sie glauben machen, daß die Bolschewiki, weil sie sich weigerten, die Entente zu unterstützen, notwendigerweise auf Seite Deutschlands stünden.

Heute will die herrschende Klasse die Idee verbreiten, wenn die Kommunistische Linke sich weigerte, das imperialistische ‘antifaschistische’ Lager im 2. Weltkrieg zu unterstützen, dann weil sie damals und ihre Nachfolger heute auf Seiten der Nazis stünden. Die Revolutionäre, die heute die Bedeutung solcher Kampagnen unterschätzen, welche nur eine Vorbereitung auf zukünftige Pogrome sind, müssen noch viel aus der Erfahrung der Bolschewiki lernen, die nach den Juli-Tagen alles unternommen haben, um ihren Ruf innerhalb der Arbeiterklasse zu verteidigen.

Während jener Juli-Tage ermöglichte die Intervention der Bolschewiki der aufsteigenden Revolution, die von der Bourgeoisie gestellten Fallen zu umgehen. Dabei gab es keinen vorher festgelegten Plan eines Generalstabs, der außerhalb der Arbeiterklasse gestanden hätte, wie heute die Bourgeoisie beim Thema Oktoberrevolution zu sprechen pflegt. Die Handlungen der Bolschewiki waren im Gegenteil ein lebendiger Ausdruck der Arbeiterklasse. Denn noch drei Monate zuvor hatten die Bolschewiki nicht verstanden, daß die Februarrevolution die Frage der Machtergreifung in Rußland durch die Arbeiterklasse auf die Tagesordnung gestellt hatte; damals steckte sie noch in einer tiefgreifenden Verwirrung. Nachdem sie aber eine klare Orientierung eingeschlagen hatte, wobei sie sich auf ihre eigene Erfahrung stützte und die der gesamten Arbeiterbewegung, konnte sie die Verantwortung erfüllen, indem sie die politische Führung des Kampfes übernahm. KB

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1917 - Russische Revolution [2]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [3]

Weltrevolution Nr. 84

  • 2441 Aufrufe

Weltrevolution Nr. 85

  • 2393 Aufrufe

Dezember 1987: Krupp-Rheinhausen - damals wie heute: Die Arbeiter dürfen den Kampf nicht in die Hände der Gewerkschaften legen

  • 3670 Aufrufe
 

Vor 10 Jahren brach am 27. November 1987 der Kampf der Krupp-Beschäftigten in Duisburg-Rheinhausen aus.

Damals schrieben wir in Weltreovlution Nr. 30: „Zu einer Zeit, als massive Angriffe gegen die gesamte Arbeiterklasse eingeleitet worden waren, wurde die Schließung von Krupp-Rheinhausen und die Entlassung von über 5.000 Arbeitern angekündigt.

Als die Entlassungen bekannt wurden, reagierten die Arbeiter sofort: sie legten die Arbeit nieder und riefen alle Arbeiter der Stadt zu einer Vollversammlung auf. Die Belegschaften von Thyssen und Mannesmann in Duisburg traten sofort in Solidaritätsstreiks.

Somit wurde klar, daß die Entlassungen bei Krupp alle Arbeiter angehen, und daß vor allem im Ruhrgebiet die aktive Solidarität nicht ausbleiben durfte. Am 30.November fand eine Vollversammlung mit 9 000 Arbeitern von Krupp und mit massiver Beteiligung von Delegationen der anderen großen Fabriken in Duisburg statt. Die Versammlung rief zum gemeinsamen Kampf im Ruhrgebiet auf.

Am 1. Dezember fanden in 14 Krupp-Fabriken im Bundesgebiet Demos und Vollversammlungen statt, an denen sich starke Delegationen aus Rheinhausen beteiligten. Am 3. Dezember demonstrierten 10 000 Schüler in Rheinhausen gegen die geplanten Entlassungen. Eine Delegation von Bergarbeitern forderte einen gemeinsamen Kampf von Berg- und Stahlarbeitern. Das gesamte Ruhrgebiet war mobilisiert und große Teile der Arbeiter standen kampfbereit. Am 8. Dezember demonstrierten über 10.000 Bedienstete der Stadt Duisburg in Rheinhausen, um ihre Solidarität zu bekunden.“


Der Versuch des Zusammenschlusses - von den Gewerkschaften torpediert

Die Arbeiter in Duisburg-Rheinhausen hatten bei ihrem Abwehrkampf in ihrem Aufruf an die anderen Beschäftigten betont: „Laßt uns nicht allein kämpfen. Wir wollen nicht das gleiche Schicksal erleiden wie die britischen Bergarbeiter. Schließt euch unserem Kampf an.“ Die britischen Bergarbeiter hatten 1985 über ein Jahr lang alleine verbittert und mutig, aber isoliert gegen die Schließungspläne der Regierung angekämpft. Deshalb die erste spontane Reaktion der Arbeiter in Rheinhausen: sich an die ganze Arbeiterklasse zu wenden, sich gemeinsam zur Wehr zu setzen.

Dieser Abwehrkampf der Arbeiter in Duisburg war ein Teil einer internationalen Welle von Kämpfen in den 80er Jahren, in deren Mittelpunkt 1985 die britischen Bergarbeiter, im Sommer 1986 die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Belgien, 1987 die französischen Eisenbahner und die Beschäftigten des Schulwesens in Italien standen. Im Dezember 1987 traten dann die Arbeiter in Deutschland massiv auf den Plan, um als Teil dieses internationalen Widerstandes der Arbeiter den Angriffen des Kapitals die Stirn zu bieten.

Überall stemmten sich die Gewerkschaften, vor allem ihre sich als besonders radikal ausgebenden Vertreter der Basis gegen die Eigeninitiative der Arbeiter und ihre Versuche, ihre Kämpfe über die Branchengrenzen hinweg zusammenzuschließen.

Die Fähigkeit der Arbeiter von Krupp-Rheinhausen, die Lehre aus dem britischen Bergarbeiterstreik aufzugreifen und zum gemeinsamen Kampf aufzurufen, die Fähigkeit, zu Anfang des Kampfes in Rheinhausen, gemeinsam Vollversammlungen mit Beschäftigten aus anderen Branchen und Betrieben abzuhalten, war sofort von den Gewerkschaften und den anderen Beschützern des Kapitals als eine große Gefahr angesehen worden.

Nachdem die Bewegung anfänglich ohne die Gewerkschaften in Gang gekommen war, versuchten die Gewerkschaften sofort, wieder ‘auf den fahrenden Zug zu springen.’ Am 5. Dezember 1987 kündigten sie einen Aktionstag für den 10. Dezember an. Die Parole der Gewerkschaften lautete: ‘Legen wir den gesamten Verkehr im Ruhrgebiet lahm.’ Verkehrsblockaden als Mittel des Arbeiterkampfes! Die Gewerkschaften errichteten am 10. 12. Straßensperren, die die Möglichkeit der Kontaktaufnahme der Arbeiter der verschiedenen Betriebe untereinander unterbinden sollte. Denn nachdem es anfangs zu ersten gemeinsamen branchenübergreifenden Treffen und Aktionen gekommen war, ging es den Gewerkschaften darum, diesen Kontakt zu unterbinden, die Zersplitterung der Bewegung durchzusetzen. Wie wir in unserer Presse schrieben: „In Wirklichkeit bedeuten diese Art Aktionen, daß die Arbeiter nicht gemeinsam und vereinigt demonstrieren, nicht in Massenversammlungen den weiteren Verlauf des Kampfs diskutieren, sondern, daß sie isoliert voneinander, über das ganze Ruhrgebiet zerstreut, in Gruppen zersplittert Straßen blockierten. Nach einigen Stunden dieser Aktion waren die meisten mit einem miesen Gefühl nach Hause gegangen. Und dennoch hätte es anders kommen können.

An diesem Tag fand eine Vollversammlung um 7.30 h bei Krupp statt, an der 3.000 Arbeiter teilnahmen. Um 10.00 h fand eine weitere Vollversammlung bei Thyssen statt. Postler und Arbeiter aus Süddeutschland kamen nach Rheinhausen. 90.000 Stahlarbeiter standen im Kampf, gleichzeitig legten 100.000 Bergarbeiter aus Solidarität für einige Stunden die Arbeit nieder. An verschiedenen Orten verließen Arbeiter die Fabriken und demonstrierten wie z.B. bei Opel-Bochum. Das Ausmaß der Mobilisierung und der Kampfbereitschaft hätte zu einer riesigen Machtdemonstration der Kraft der Arbeiterklasse werden können.

Der 10. Dezember war der Höhepunkt des Kampfes um Rheinhausen.

Am 11. 12. kündigte Bonn die Entlassung von 30.000 Bergarbeitern an. Es kam aber nicht zu einem gemeinsamen Kampf von Berg- und Stahlarbeitern. Dafür hatte die IG-Bergbau gesorgt, die vor Solidaritätsaktionen gewarnt hatte mit dem Vorwand, daß die Forderungen der Bergarbeiter dann untergehen würden, wenn sich die Bergleute mit den Stahlarbeitern solidarisierten.“ (Weltrevolution, Nr. 30).

Auch wenn der Abwehrbewegung mit dem Aktionstag der Gewerkschaften am 10. Dezember die Spitze gebrochen wurde, nachdem die Gewerkschaften die Bewegung erwürgen konnten, vermochten sie nicht zu verhindern, daß diese wichtigste Kampfreaktion der Arbeiter nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland eine gewaltige Ausstrahlung hatte. Sie war ein Impuls für den Widerstand vieler anderer Beschäftigter geworden.

Angeregt durch das Beispiel der Kruppianer hatten sich in Köln Beschäftigte zusammengefunden, die sich durch den Kampfruf der Rheinhausener - ‘Nicht isoliert kämpfen’ ermutigt fühlten und selbst die Initiative ergriffen. Wir wollen ausführlich aus dem Flugblatt zitieren, das diese Gruppe vor dem Krupp-Werk und vor anderen Betrieben verteilt hat.


Solidarität heißt selber den Kampf aufnehmen

‘Gemeinsam können wir mehr erreichen’

Wir sind eine kleine Gruppe, die sich aus dem Personal der Kölner Krankenhäuser zusammengesetzt hat. Wir sind keiner Gewerkschaft und keiner Partei untergeordnet, sondern wir vertreten hier unsere Meinung. Weshalb wir uns zu Wort melden, ist, daß die Bedingungen in den Krankenhäusern für das Personal sowie für die Patienten immer unerträglicher werden. Den Anstoß für diese Stellungnahme haben uns die Beispiele aus dem Ruhrgebiet gegeben, wo Hunderttausende sich gemeinsam und solidarisch gegenüber den Massenentlassungen im Bereich der Stahlindustrie und dem Bergbau gezeigt haben. Auch der öffentliche Dienst einschließlich der Krankenhäuser hat sich durch Arbeitsniederlegungen und Teilnahme an Demos daran beteiligt, wobei aber noch keine eigenen Forderungen gestellt wurden. Denn es geht nicht darum, aus Mitleid mit den Kruppianern auf die Straße zu gehen, sondern es gilt zu verstehen, daß wir alle den gleichen Angriffen ausgesetzt werden und uns auch nur gemeinsam dagegen wehren können.

Das Gegenstück der Massenentlassungen in der Industrie ist im öffentlichen Dienst der Stellenabbau bzw. Einstellungsstop.

Die Auswirkungen sind jeweils die gleichen: auf der einen Seite die Arbeitslosigkeit, auf der anderen die Mehrbelastung der noch übriggebliebenen. ...

Es hat sich gezeigt, daß ‘Vater Staat’ genauso rücksichtslos und brutal mit seinen Beschäftigten umspringt wie jeder private Unternehmer. Angesichts dieser Tatsache befürworten wir, daß möglichst massive Protestaktionen und Demos zustande kommen, bei denen die Rücknahme der Massenentlassungen, der ‘Gesundheitsreform’ usw. verlangt wird.

Wir sollten dem Beispiel des Ruhrgebiets folgen und uns ebenfalls in Köln solidarisch erklären mit der KHD (2000 Entlassungen).

Dieses Schriftstück soll ein Beispiel dafür sein, daß man auch als kleine Gruppe, ohne die Parteien, Gewerkschaften usw. selbst aktiv werden kann.

Wir sind keine passive Manövriermasse. Jeder kann und muß sich zu Wort melden.“

Diese Beschäftigten hatten angefangen, die Lehre aufzugreifen, die aus der Bewegung gezogen werden mußte. Wie die IKS seinerzeit in unserer Presse schrieb:

„Und die Lehre, die man ziehen muß, ist, daß Sympathiestreiks und Solidaritätsbekundugen zwar ein wichtiger Schritt sind, daß sie aber nicht ausreichen, um die Entlassungen und die Angriffe der Bourgeoisie zurückzudrängen. Die Solidarität muß zur Vereinigung der Kämpfe selber führen. Aber was heißt Vereinigung?: Wenn die Arbeiter in Rheinhausen den Kampf gegen Entlassungen aufnehmen, dann sind ihr Kampf und ihre Forderungen grundsätzlich die gleichen wie in anderen Bereichen und Branchen. Die Bergleute werden wie die Stahlarbeiter von Massenentlassungen betroffen. Aber auch im öffentlichen Dienst werden die Angriffe stärker... Die Solidarität mit Rheinhausen bedeutet den Kampf für die eigenen Forderungen aufnehmen. Der Kampf eines Teils der Arbeiter muß zum Kampf der anderen Arbeiter werden’. Solidarität heißt selber den Kampf aufnehmen“.

Auch wenn die internationale Kampfwelle, die sich in den 80er Jahren entfaltet hatte, durch den Zusammenbruch des stalinistischen Ostblocks beendet wurde, seitdem die Arbeiterklasse einen tiefgreifenden Rückschritt ihres Bewußtseins und ihrer Kampfbereitschaft erlitten hat, die Idee des ‘jeder für sich’ lauthals propagiert wird und die Vorstellung eines gemeinsamen Kampfes heute in den Augen vieler als ‘Utopie’ erscheint, für Zigtausende ‘Beschäftigte war das vor 10 Jahren keine Utopie. Der Ruf nach einem gemeinsamen Kampf, nach Solidarität war das dringendste Gebot der Stunde, um den Angriffen des Kapitals entgegenzutreten. Und die Arbeiter hatten angefangen, dazu selber die Initiative zu ergreifen. Nur dank der Sabotagetaktik der Gewerkschaften gelang es diesen, den Arbeitern wieder die Zügel aus der Hand zu reißen.

Der Rückschlag, den die Klasse seit 1989 erlitten hat, und der einen verstärkten erdrückenden Einfluß der Gewerkschaften ermöglicht hat, wird nicht unüberwindbar sein. Es ist die Aufgabe aller Revolutionäre, die Lehren dieser Kämpfe für die Vorbereitung der Kämpfe von heute und morgen wieder einzubringen.

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [3]

Revolutionäre Welle 1917-1923: Die Isolierung des Proletariats in Rußland versetzte der Oktoberrevolution den Todesstoß

  • 5207 Aufrufe
 Der unglaubliche Erfahrungsschatz, den die Arbeiterklasse sich in Rußland zwischen Februar und Oktober 1917 aneignete, zeigte der Arbeiterklasse der ganzen Welt, daß es möglich war, die Macht der Bourgeoisie zu stürzen. Der Oktoberaufstand hatte den Sieg der Arbeitermassen ermöglicht, welche sich bewußt in Arbeiterräten organisiert hatten, mit ihrer politischen Vorhut in ihren Reihen, der Bolschewistischen Partei. Den weiteren Verlauf der Ereignisse nach dem Oktoberaufstand, d.h. der Prozeß der Entartung der russischen Revolution, der den Stalinismus hervorbrachte, kann man nur durch die Dynamik begreifen, die nach der Niederlage der weltweiten revolutionären Welle einsetzte, nach welcher der Stalinismus entstehen konnte. Dieser Niedergang hat nichts zu tun mit der bürgerlichen Lüge der angeblichen Kontinuität zwischen der Diktatur des Proletariats, die nach dem Oktober 1917 entstanden war und dem Stalinismus, der sich dagegen erst dank der Niederschlagung der Revolution entfalten konnte.

Die russische Revolution war kein isoliertes Phänomen, das nur durch die besonderen Bedingungen in Rußland erklärt werden könnte, sondern der Höhepunkt der ersten weltweiten revolutionären Welle, die die bürgerliche Ordnung von Deutschland bis in die USA, von Europa bis Asien und bis hin in den südamerikanischen Kontinent erschütterte. Diese revolutionäre Welle war die Reaktion auf den imperialistischen Krieg, der den Zeitraum der kapitalistischen Dekadenz eingeläutet hatte. Von da an konnte nur eine Alternative der kapitalistischen Barbarei entgegentreten: die proletarische Weltrevolution.

Ein einziger Ausweg: die Ausdehnung der Weltrevolution

Wenn Lenin und die Bolschewiki zur Vorhut der Revolutionäre werden konnten, dann weil sie davon überzeugt waren, daß die Alternative gegenüber dem Weltkrieg nur die Weltrevolution der Arbeiterklasse sein konnte. Als Internationalisten seit der ersten Stunde betrachteten sie die russische Revolution nur als eine erste Stufe der proletarischen Revolutionen, die unausweichlich als eine Folge des Krieges entstehen werden. Sobald die Übernahme der Macht in Rußland aufgrund der Reifung der Bedingungen auf internationaler Ebene und in Rußland möglich geworden war, wurde von den Revolutionären als eine elementare Aufgabe des russischen Proletariats gegenüber dem Weltproletariat aufgefaßt. Auf die Argumente der Menschewiki eingehend, denen zufolge die Revolution in einem weiter fortgeschrittenen Land beginnen sollte, rechtfertigte Lenin die Notwendigkeit der Machtübernahme folgendermaßen:

„Die Deutschen haben unter verteufelt schwierigen Verhältnissen, mit nur einem Liebknecht (der dazu noch im Zuchthaus sitzt), ohne Zeitungen, ohne Versammlungsfreiheit, ohne Sowjets, angesichts einer ungeheueren Feindseligkeit aller Bevölkerungsklassen bis zum letzten begüterten Bauern gegen die Idee des Internationalismus, angesichts der ausgezeichneten Organisation der imperialistischen Groß-, Mittel- und Kleinbourgeoisie, die Deutschen, d.h. die deutschen revolutionären Internationalisten, die Arbeiter im Matrosenkittel, haben einen Aufstand in der Flotte begonnen - bei einer Chance von vielleicht eins zu hundert. Wir aber, die wir Dutzende von Zeitungen, die wir Versammlungsfreiheit haben, über die Mehrheit in den Sowjets verfügen, wir, die wir im Vergleich zu den proletarischen Internationalisten in der ganzen Welt die besten Bedingungen haben, wir werden darauf verzichten, die deutschen Revolutionäre zu unterstützen. Wir werden argumentieren wie die Scheidemänner und die Renaudel: Das Vernünftigste ist, keinen Aufstand zu machen, denn wenn man uns niederknallt, so verliert die Welt in uns so prächtige, so vernünftige, so ideale Internationalisten!! Beweisen wir, daß wir vernünftig sind. Nehmen wir eine Sympathieresolution für die deutschen Aufständischen an und lehnen wir den Aufstand in Rußland ab. Das wird dann ein echter, vernünftiger Internationalismus sein. Und wie schnell wird der Internationalismus in der ganzen Welt aufblühen, wenn überall eine so weise Politik obsiegen wird! .....“(LW Bd.26, S.191f)

Weniger als ein Jahr nach der Machtübernahme in Rußland konnte es keinen Zweifel daran geben, daß der Rest der Arbeiterklasse der anderen Länder auf den Plan treten mußten, um die Weltrevolution weiterzutragen: „Die russische Revolution ist lediglich einer der Trupps der internationalen sozialistischen Armee, von deren Aktion der Erfolg und der Triumph der von uns vollzogenen Umwälzung abhängt (...). Das russische Proletariat ist sich bewußt, in der Revolution allein dazustehen, und erkennt klar, daß die vereinte Aktion der Arbeiter der ganzen Welt oder einiger in kapitalistischer Hinsicht fortgeschrittener Länder die notwendige Bedingung und grundlegende Voraussetzung seines Sieges ist.“ (Referat auf der Moskauer Gouvernementskonferenz der Betriebskomitees, 23. Juli 1918, LW 27, S. 547). Die russische Revolution begnügte sich nicht damit, passiv ihr Schicksal der Auslösung von proletarischen Revolutionen in anderen Ländern anzuvertrauen, sondern sie ergriff ständig Initiativen, um sie auszudehnen. Der Schlüssel für deren Weiterentwicklung lag in Deutschland. Auf der Arbeiterklasse in Deutschland lastete eine große Verantwortung.

„Die deutsche Arbeiterklasse ist der treueste und sicherste Verbündete der russischen Revolution und der proletarischen Revolution“. (Lenin).

Die Revolutionäre in Deutschland wiederum verstanden sehr wohl, was auf dem Spiel stand: ‘Darin liegt das Schicksal der russischen Revolution, darin ihr Glück und Ende eingeschlossen. Sie kann lediglich als Prolog der europäischen Revolution des Proletariats ihr Ziel erreichen. Werden hingegen die europäischen, die deutschen Arbeiter dem spannenden Schauspiel weiter wohlwollend zuschauen und nur die Zaungäste spielen, dann darf die russische Sowjetherrschaft nichts anderes gewärtigen als das Geschick der Pariser Kommune’ (Spartakus-Briefe, Januar 1918, S. 415).

Das revolutionäre Gären, das sich insbesondere in Deutschland und in Mitteleuropa während des Jahres 1918 entfaltete, ließ Hoffnung auf die unmittelbar bevorstehende Auslösung der Weltrevolution aufkommen.


Die Gegenoffensive der Bourgeoisie gegen die Ausdehnung der Revolution in Deutschland

Die Bourgeoisie ihrerseits hatte schon die Lehren aus der ersten Schlacht gezogen, die ihr Klassenfeind in Rußland gewonnen hatte. Diese Kapitalisten, die einige Monate zuvor noch ihre imperialistischen Rivalitäten auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkriegs austrugen, begriffen die Notwendigkeit ihres Zusammenschlusses und daß sie sich vereinigen mußten, um die in Fahrt gekommene Weltrevolution zu bremsen und niederzuschlagen.

So versuchten die Kräfte der Entente keineswegs, ihren imperialistischen Feind auf den Boden zu schmeißen, als Kaiser Wilhelm im November 1918 einen Waffenstillstand erbitten mußte, denn sie wollten, daß er der aufsteigenden revolutionären Welle in Deutschland entgegentreten konnte (1).

Der Waffenstillstand und die Ausrufung der Republik in Deutschland riefen ein (naives) Gefühl des ‘Sieges’ hervor, was der Arbeiterklasse sehr teuer zu stehen kam. Während es die Arbeiter in Deutschland nicht schafften, die verschiedenen Kampfzentren untereinander zu verbinden, und sich durch die Reden und Manöver der Arbeiterparteien und Gewerkschaften täuschen ließen, die in das Lager der Bourgeoisie übergewechselt waren, organisierte sich die Konterrevolution und koordinierte das Vorgehen der Gewerkschaften, der ‘sozialistischen Parteien’ und des militärischen Oberkommandos.

Von Dezember 1918 an ging die Bourgeoisie zur Offensive über, indem sie ständig das Proletariat in Berlin zu provozieren suchte mit dem Ziel, daß es alleine in den Kampf trat und vom Rest der Arbeiterklasse in Deutschland isoliert blieb. Am 6. Januar 1919 zogen mehr als eine halbe Million Berliner Arbeiter auf die Straße. Am darauffolgenden Tag schlug der ‘Sozialist’ Noske an der Spitze der Freikorps (nach dem Waffenstillstand aus der Armee entlassene Offiziere und Unteroffiziere) die Arbeiter Berlins in einem Blutbad nieder. Um es dem Proletariat so schwer wie möglich zu machen, sich von dieser verlorenen Schlacht zu erholen, schlug die deutsche Bourgeoisie noch stärker zu: sie raubte dem deutschen Proletariat seine Vorhut, als sie die berühmtesten Führen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermorden ließ.

Mit der blutigen Niederlage, die die Arbeiterklasse in Deutschland erlitt, rückte die unmittelbare Perspektive der Ausdehnung der Weltrevolution in Sowjetrußland in immer weitere Entfernung.

Aber die proletarische Bastion in Rußland setzte sich zur Aufgabe, ‘durchzuhalten’ mit der Erwartung, daß neue revolutionäre Erhebungen in Deutschland und den anderen Ländern eintraten. Somit stand das Proletariat in Rußland vor äußerst schwierigen Bedingungen: die ganze Weltbourgeoisie hatte sich zu einem gewaltigen Kreuzzug gegen die Bolschewiki zusammengeschlossen, die Sowjetrepublik war zu einer wirklich belagerten Festung geworden. Vollständig isoliert, kämpfte die Revolution um Leben und Tod. In dieser Lage durchzuhalten, erforderte von der Arbeiterklasse endlose Opfer.

Durch die bürgerliche Koalition isoliert und erwürgt, brach die Revolution in Rußland in sich zusammen

In der Ukraine, Finnland, im Baltikum, in Besarabien, halfen Großbritannien und Frankreich Regierungen an die Macht zu kommen, die die weißen konterrevolutionären Armeen unterstützten, welche sich um die Überreste der russischen Bourgeoisie gesammelt hatten. Die Großmächte beschlossen darüber hinaus, direkt in Rußland zu intervenieren. Japanische Truppen gingen in Wladiwostok an Land, wenig später trafen französische, englische und amerikanische Truppenverbände ein. Drei Jahre lang lösten diese Truppen eine blutige Schreckensherrschaft gegen die Sowjetherrschaft aus, verübten Massaker und Grausamkeiten aller Art, die von den ‘Demokraten’ aller Länder begrüßt wurden und zu denen die ‘Sozialisten’ Europas ihre Zustimmung gaben.

Darüber hinaus kam zum Eingreifen der westlichen Truppen und der Weißen Armeen noch die Sabotage und die konterrevolutionäre Verschwörung der Bourgeoisie und der Kleinbourgeoisie in Rußland dazu. Der schreckliche Bürgerkrieg, der das Land in jenen Jahren verwüstete, zusätzlich zu all den Krankheiten und Epidemien, die durch die Wirtschaftsblockade entstanden waren, welche der Bevölkerung in Rußland aufgezwungen wurde, riß ca. 7 Millionen Menschen in den Tod. Während all dieser Zeit schlugen die Demokraten und Sozialisten die Arbeiteraufstände in Deutschland, Österreich und Ungarn scheibchenweise nieder.

All die Niederlagen, die die Arbeiterklasse in den anderen Ländern erleiden mußten, versetzten somit auch einen Schlag gegen die Arbeiterklasse in Rußland, deren Isolierung noch weiter zunahm. Während die Macht der Sowjets in Rußland nur in dem Maße konsolidiert werden konnte, wie sich die Dynamik der Ausdehnung der Weltrevolution zur Überwindung der weltweiten Herrschaft der Bourgeoisie auf internationaler Ebene verstärkte, führte diese politische Isolierung zusammen mit den Auswirkungen des Bürgerkriegs zu einer beträchtlichen Schwächung der Arbeiterklasse.

Die Arbeiterklasse in Rußland und ihre Avantgarde in Rußland standen sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand. Die Bolschewiki waren unfähig, eine andere Politik zu betreiben als die, welche ihnen durch die ungünstige Entwicklung des Kräfteverhältnis zwischen proletarischer Revolution und herrschendem Kapitalismus aufgezwungen wurde. Die Lösung für dieses Dilemma lag nicht in Rußland selber; sie lag auch nicht in den Händen des russischen Staates und auch nicht im Verhältnis zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft. Die Lösung konnte nur durch die internationale Arbeiterklasse kommen.

Deshalb stellten all die wirtschaftlichen Maßnahmen, insbesondere diejenigen, welche später als ‘Kriegskommunismus’ dargestellt wurden, keineswegs die Einführung einer ‘wirklich’ sozialistischen Politik dar. Sie bedeuteten keineswegs die Abschaffung der kapitalistischen Verhältnisse, sondern waren einfach Notmaßnahmen, die durch die kapitalistische Wirtschaftsblockade gegen die Sowjetrepublik und die aus dem Krieg hervorgegangenen Notwendigkeiten entstanden waren.

Als die revolutionäre Phase von 1921 in ihre Endphase eintrat, war die Einführung der NEP (Neuen Ökonomischen Politik) ungeachtet der heldenhaften Kämpfe, die danach noch stattfanden, keineswegs eine ‘Wiederherstellung’ des Kapitalismus, da dieser in Rußland nie aus der Welt geschafft worden war. Diese ganze Politik und diese Maßnahmen waren aufgezwungen worden durch die Erstickung, welche die Isolierung der Revolution hervorrief.

Lenin war sich dessen voll bewußt, daß trotz der Machtergreifung durch die Arbeiterklasse die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaft in Rußland von der Ausdehnung der Revolution in Europa abhing:

„Wir müssen davon ausgehen, daß, wenn die europäische Arbeiterklasse die Macht vorher ergriffen hätte, wir unser rückständiges Land hätten umwandeln können - ökonomisch sowie kulturell. Wir hätten dies mit technischer und organisatorischer Unterstützung tun können, was uns erlaubt hätte, unseren Kriegskommunismus teilweise oder gänzlich zu korrigieren oder umzugestalten, und uns in Richtung einer wirklich sozialistischen Gesellschaft geführt hätte.“ (2) Gegenüber der Entfaltung des imperialistischen Krieges, dann gegenüber dem Bürgerkrieg mußten viele Soldaten auf dem Schlachtfeld mobilisiert werden, wo sie zu den tapfersten und wertvollsten Kämpfern der Roten Armee gehörten, aber Hunderttausende von ihnen wurden eben auch abgeschlachtet. So wurden die großen Arbeiterballungen, die den fortgeschrittensten Teil der Sowjets in der Revolution stellten, ungeheuerlich durch den Krieg und die Hungersnot geschwächt. Die Isolierung der proletarischen Bastion in Rußland führte zum schrittweisen Verlust der politischen Hauptwaffe der Revolution: des massiven und bewußten Handelns der Arbeiterklasse durch ihre Arbeiterräte. Sie wurden zum Schatten ihrer selbst und wurden durch einen Staatsapparat aufgesaugt, der immer mehr zu einem bürokratischen Geschwulst wurde.

Die Notwendigkeit, ‘die Stellung zu halten’, um auf die Revolution in Europa zu warten, führte dazu, daß die Bolschewistische Partei immer mehr ihre Rolle als politische Vorhut des Proletariats zugunsten der Verteidigung des sowjetischen Staats aufgab. Diese Politik der Verteidigung des sowjetischen Staates geriet sehr schnell in Widerspruch zu den ökonomischen Interessen der Arbeiterklasse (3). Es führte zum vollständigen Aufsaugen der Bolschewistischen Partei durch den Staatsapparat. Die Identifizierung der Partei mit dem Staat bewirkte schließlich, daß die Bolschewiki 1921 den Arbeiteraufstand von Kronstadt gegen die Misere und den Hunger blutig niederschlugen. Diese tragische Episode der russischen Revolution war das spektakulärste Zeichen des Todeskampfes der russischen Revolution.


Der Stalinismus - Speerspitze der Konterrevolution

Tatsächlich kroch die Konterrevolution dort hervor, wo es die Revolutionäre am wenigsten erwarteten - nämlich innerhalb der Sowjetrepublik. Dort wurde die Macht der Bourgeoisie wiederhergestellt aufgrund eines Prozesses des Aufsaugens der Bolschewistischen Partei durch den Staat.

Durch das Aufblühen des totalitären und bürokratischen Apparates vergiftet, neigte die Bolschewistische Partei immer mehr dazu, die Verteidigung der Interessen des Sowjetstaates höher zu stellen als die Verteidigung der Prinzipien des proletarischen Internationalismus. Nach dem Tode Lenins im Januar 1924 half Stalin, der Hauptvertreter dieser Tendenz zur Aufgabe des Internationalismus, der Konterrevolution in den Sattel: dank des Einflusses, den er im geheimen innerhalb des Apparates erworben hatte, behinderte und lähmte er schließlich den Widerstand der Kräfte, die sich den konterrevolutionären Entartungen der Bolschewistischen Partei entgegenstellten.

Das Auslaufen der revolutionären Welle nach 1923, deren letztes Aufbäumen in China 1927 stattfand, verdeutlichte die Niederlage der größten revolutionären Erfahrung der Arbeiterklasse. Die proletarische Bastion in Rußland brach von innen her zusammen und die Jagd auf die internationalistischen Revolutionäre wurde innerhalb der Partei eröffnet. Die stalinistisch gewordene Bolschewistische Partei sollte somit von all denjenigen gesäubert werden, die dem Internationalismus treu geblieben waren, und die sich weiterhin auf die Prinzipien beriefen, die Lenin mit Händen und Füßen verteidigt hatte. Von 1925 an praktizierte Stalin die Theorie des ‘Aufbaus des Sozialismus in einem Lande’, mit der es möglich wurde, daß die furchtbarste Konterrevolution der Menschheitsgeschichte ihren Einzug hielt.

Diese stalinistische Konterrevolution, die jedes revolutionäre Gedankengut zu vernichten suchte, indem jede Regung des Klassenkampfes niedergeschlagen wurde durch die Errichtung einer Terrorherrschaft und der Militarisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens, indem die alte Bolschewistische Garde dezimiert wurde, wurde zu einer Verkörperung der Feindschaft gegenüber dem Kommunismus. Die UdSSR wurde zu einem eigenständigen kapitalistischen Land, wo die Arbeiterklasse unterworfen war, sie mit dem Gewehr im Rücken handeln mußte, den Interessen des nationalen Kapitals im Namen der Verteidigung des ‘sozialistischen Vaterlandes’ zu dienen hatte.

Die Niederlage der weltweiten revolutionären Welle, das Scheitern der Revolution in Rußland und die damit verbundene stalinistische Entartung waren das tragischste Ereignis der Geschichte des Proletariats und der Menschheit, denn sie riefen einen bis dahin nie gekannten Rückschlag der Arbeiterklasse hervor (ein halbes Jahrhundert weltweite Konterrevolution), und sie öffneten den Weg zum 2. Weltkrieg.

Es ist deshalb für die Arbeiterklasse lebenswichtig, all die Lehren aus der Erfahrung der russischen Revolution und ihrem Scheitern zu ziehen.

Nur wenn die Arbeiterklasse dazu in der Lage ist, sich die Lehren ihrer eigenen Erfahrung anzueignen, kann sie sich den Lügenkampagnen der Bourgeoisie entgegenstellen, die diese immer wieder auflegt, um zu verbreiten, daß der Terror des stalinistischen Regimes das ureigene Geschöpf der Oktoberrevolution sei.

Das Ziel solcher Kampagnen und dieser Lügen besteht darin, die Erfahrung des Oktober 1917 zu verzerren und glauben zu machen, daß jede proletarische Revolution nur zum Stalinismus führen kann. Die herrschende Klasse und ihre Priester versuchen somit die Arbeiterklasse daran zu hindern, daß sie die Flamme dieses gewaltigen Kampfes wieder aufnimmt, der von dieser Generation von Arbeitern vor 80 Jahren ausgefochten wurde, als die Arbeiterklasse es damals wagte, den Ansturm auf die kapitalistische Ordnung zu wagen. BS

(1) Man kann sich die ganze Entwicklung der Bourgeoisie veranschaulichen, wen man sieht, daß zwei Jahre zuvor die französische und englische Bourgeoisie die Kerenski-Regierung, die aus der Februar-Revolution hervorgegangen war, diese dazu gedrängt hatten, den Krieg um jeden Preis fortzusetzen, wodurch die provisorische Regierung gezwungen wurde, ihr bürgerliches Wesen vor den Augen der Arbeiter bloßzulegen. Damit hatte sie Öl auf das Feuer der revolutionären Flammen in Rußland gegossen.

(2) Lenin, Die NEP und die Revolution, Kommunistische Theorie und Wirtschaftspolitik beim Aufbau des Sozialismus (französische Ausgabe).

(3) Dieses Problem war der Aufmerksamkeit Lenins nicht entgangen. Dieser vertrat bei der Debatte in der Bolschewistischen Partei zur Rolle der Gewerkschaften Anfang der 20er Jahre den Standpunkt, daß die Arbeiterklasse ihre unmittelbaren Interessen noch gegenüber dem Staat in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus zu verteidigen habe. Aber unter den damaligen Bedingungen konnten die Revolutionäre ihre politischen Überlegungen zu dieser Schlüsselfrage nicht weiter vorwärtstreiben.

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1917 - Russische Revolution [2]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [3]

Wiedererwecken des Mythos "Che" Guevara: Ein neuer ideologischer Kreuzzug

  • 3455 Aufrufe

"Von den Armen der ganzen Welt in ein  Symbol verwandelt, führt und gewinnt Che heute Schlachten wie nie zuvor." Diese Worte von Castro aus seiner Grabrede für den alten Kameraden fassen gut zusammen, wie die Medien in zahlreichen Ländern durch eine Riesenkampagne den verstorbenen Guerillero benützen und ihn als Symbol des Revolutionärs schlechthin darstellen. Was soll diese Flut von Filmen zu seinem Gedenken, von Reportagen, Büchern, Spezialmagazinen, "Guevara-Abenden", organisierten Pilgerfahrten zu seinem Geburtsort oder zum Ort seines Märtyrertums? Wie schon bei den Kampagnen über den Tod des Kommunismus, die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks geführt wurden, geht es der herrschenden Klasse auch jetzt wieder darum, die Bedeutung des Kommunismus und der Revolution zu entstellen; der "Guevarismus" hat weder mit dieser noch mit jenem auch nur das geringste zu tun.

 

Che Guevara ist vor allem bekannt als Guerillaführer in den sogenannten "nationalen Befreiungskriegen" in Kuba, in Afrika, in Südamerika. Wie es die Erfahrung seit Anfang dieses Jahrhunderts zeigt, sind diese "Befreiungskriege" aber nichts anderes als ein notwendiger Bestandteil des Kampfes auf Leben und Tod, den sich die verschiedenen imperialistischen Mächte zur Neuaufteilung der Welt liefern. Auch wenn diese "Befreiungskriege" weniger zerstörerisch sind als der 2. Weltkrieg, so haben sie doch den gleichen Charakter wie dieser mit  Millionen von massakrierten Menschen. Die jeweiligen Generalstäbe arbeiten immer im Dienst der einen oder der anderen Fraktion der Bourgeoisie. In diesem Sinne war der bärtige Guerillero nichts als ein tapferer Leutnant des Kapitalismus.

 

Der viel gefeierte Sieg von Castros Guerilla über den Diktator Battista im Jahre 1958, wo Che mit seiner energischen Kriegführung eine entscheidende Rolle spielte, ist keinesfalls eine Ausnahme, sondern eine glänzende Veranschaulichung dieser grausamen Wirklichkeit. Dieser Erfolg Castros war eigentlich schon sein zweiter Versuch, Battista zu stürzen. Den ersten führte er unter der Fahne des Rechtsextremismus und erlitt dabei eine Niederlage, was ihn ins Exil nach Mexiko zwang. Hier scharte er eine neue Gruppe von Guerilleros um sich, in der sich auch Guevara befand. Diese Schar, die darauhin wieder in Kuba strandete, vereinte die verschiedensten politischen Positionen.

 

Das Unterfangen, das sich auf die Kleinbauern stützte, konnte auch auf die Unterstützung der US-Regierung und das Wohlwollen der rechten Parteien zählen, die die Korruption von Battista anprangerten. Das Waffenembargo der USA verhinderte, sich Battista die notwendigen Mittel beschaffen konnte, um gegen die Guerilla zu kämpfen. Erst einige Monate nach Castros Machtergreifung  verschlechterten sich die Beziehungen zu den USA. Als diese mit einer Intervention drohten, wandte sich Castro dem russischen Imperialismus zu. Er erklärte sich zum "Marxisten-Leninisten" und rief die “Völker Lateinamerikas und der sozialistischen Länder“ zur Unterstützung für seine Regierung auf.

 

Aber das mythische Bild des Che ist nicht allein auf seinen Kämpferqualitäten aufgebaut. Seine "antibürokratischen" Stellungnahmen sind von den Trotzkisten und Maoisten aufgenommen worden, und waren ein Modell für die ganze Jugend, die sich gegen die bestehende Ordnung, auch gegen deren stalinistische Version in den Ostblockländern, stellte. Die damalige trotzkistische Buchhandlung François Maspero in Frankreich charakterisierte Ches politische Vision mit folgenden Worten: „Eine neue Haltung gegenüber der Arbeit, Beseitigung der Warenverhältnisse, Unterdrückung des Wertgesetzes, Ersetzung der materiellen Anreize durch moralische." (Le Monde vom 9. Oktober 1997) Was Che real umsetzte (die Agrarreform) oder was er umzusetzen versuchte, als er an der Spitze der zentralen Industrie- und Wirschaftsministerien der neuen kubanischen Macht stand, waren nichts anderes als Maßnahmen der Verwaltung und Führung einer nationalen Wirtschaft, die voll und ganz kapitalistisch war ebenso wie diejenige in China oder Rußland, einer Wirtschaft, die nichts zu tun hatte mit einem Übergang zum Kommunismus. Die Idee der Abschaffung der Warenverhältnisse unter kapitalistischer Herrschaft ist eine reaktionäre Utopie. Die verschiedenen Arten von Trotzkisten und Stalinisten haben diese Idee immer wieder zur Verschleierung der wahren Natur der stalinistischen Regime benützt.

 

Die Wirtschaftspolitik Che Guevaras änderte die kapitalistische Ausbeutung also nicht im geringsten. Die Einführung der freiwilligen und lohnlosen ”sozialistischen” Sonntage bedeutete vielmehr noch eine Verstärkung derselben. Es war ein Versuch, die Arbeiter an ihrem wöchentlichen Ruhetag zu Gratisarbeit für die ”Errichtung der neuen Gesellschaft” zu bewegen. Obwohl ihn 1964 eine Bürokratie, die er kritisiert hatte, verdrängte, wurde der Charakter seines Wirkens im Dienste des nationalen Kapitals keineswegs in Frage gestellt.

 

In der Folge verstärkte Che seine Kritik an der Bürokratie und richtete sich auch gegen Moskau. So äußerte er sich 1965 in Algier mit folgenden Worten: ”Die sozialistischen Länder sind in einem gewissen Grade die Komplizen der kapitalistischen Ausbeutung.” Könnte man nun daraus schließen, daß beim „Bärtigen mit dem roten Stern” eine Entwicklung hin zu proletarischen Positionen stattgefunden hatte, für die alle Länder, auch die sogenannten sozialistischen, kapitalistisch sind? Keinesfalls, wie seine folgenden Worte beweisen: „Für die internationalen Beziehungen braucht es ein neues Konzept nach folgenden drei Prinzipien: Austausch des Wissens, Weitergabe des Fortschritts statt Lizenzgebühren; Respektierung der Kulturen [....] und schließlich unentgeltliche Waffen.” Seine Praxis zeigt deutlich, wie sich sein Kampf in die kapitalistische Logik einreihte. Er kehrte damals zurück zur Guerilla; in den Kongo und später nach Bolivien. Dies bald im Dienste Pekings, bald im Dienste Moskaus, doch in jedem Fall für eines der imperialistischen Lager.

 

Seine Ermordung durch die Truppen des bolivianischen Staates, die durch den CIA ausgebildet wurden, machte ihn zu einem Märtyrer und Helden des bewaffneten Kampfes. Seine Haltung gegen den amerikanischen, aber für den russischen oder chinesischen Imperialismus benutzten verschiedene Guerilla-Bewegungen zur Rekrutierung ihres Kanonenfutters, das sie für ihre Kriege im Dienste anderer großer oder kleiner Imperialisten brauchten. Auch die Linke schlachtete seinen Ruf zur Genüge in ihrer Propaganda aus, um das Bewußtsein der Arbeiterklasse in den großen Industriezentren zu schwächen. Die Arbeiterklasse dazu zu bringen, entweder für das eine oder andere imperialistische Lager Partei zu ergreifen, wie vor allem während des Vietnamkrieges, hat nur ein Ziel: sie von dem Terrain wegzubringen, auf dem sich der selbständige Kampf der Arbeiterklasse ausdrückt; dasjenige des proletarischen Internationalismus. Die aktuelle Kampagne hat aber auch noch eine andere Seite: Sie will dem Proletariat mit ihrer Propaganda solche Kampfformen wie den ”bewaffneten Guerillakampf” schmackhaft machen, welche in absolutem Widerspruch zu den Mitteln und Zielen seines historischen Kampfes stehen. Solche Kampfformen können, wenn sich das Proletariat dazu verleiten läßt, nur zu einem politischen Selbstmord führen. Für die Arbeiterklasse gibt es kein anderes Kampfmittel als den Kampf der Massen und die Vollversammlungen, in denen gemeinsam Ziele und Mittel der Bewegung entschieden werden. Im Gegensatz zu den Armeen und den Guerillas des Kapitals wird das Proletariat nicht durch einen Generalstab geführt, sondern es zentralisiert seine Bewegung mit gewählten und abwählbaren Delegierten und bringt eine politische Vorhut, die revolutionären Minderheiten, und schließlich, wenn die Zeit reif ist, seine Klassenpartei hervor. Dies geschieht kollektiv und bewußt und schließt alle Aspekte des Kampfes ein, auch die dazu notwendige Gewalt.

 

Daran ist nicht zu zweifeln: Es gibt nichts am Kampfe Che Guevaras, dieses Helden der Bourgeoisie, auf das sich die Arbeiterklasse berufen könnte.  BN (19.10.97)

 

      

 


Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/787/weltrevolution-1997

Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/1/193/ehrengericht [2] https://de.internationalism.org/tag/geschichte-der-arbeiterbewegung/1917-russische-revolution [3] https://de.internationalism.org/tag/2/29/proletarischer-kampf