Veröffentlicht auf Internationale Kommunistische Strömung (https://de.internationalism.org)

Startseite > Internationale Revue - 1990s > Internationale Revue - 1996 > Internationale Revue 18

Internationale Revue 18

  • 2512 Aufrufe

Deutsche Revolution Teil II: Der Beginn der Revolution

  • 2869 Aufrufe

Im letzten Artikel haben wir aufgezeigt, dass der Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Krieg immer stärker wurde. Anfang 1917 - nach zweieinhalb Jahren Krieg, hatte die Arbeiterklasse international ein Kräftever­hältnis entwickeln können, wodurch die herr­schende Klasse immer mehr unter Druck geriet. Im Februar 1917 erhoben sich die Arbeiter in Russland gegen den Krieg und stürzten den Zar. Um aber den Krieg zu been­den, hatten sie im Oktober 1917 die bürgerli­che Regierung absetzen und die Macht ergrei­fen müssen. Russland hatte gezeigt: die Herbeiführung des Friedens war nicht möglich ohne den Sfürz der herrschenden Klasse. Die siegreiche Machtübernahme sollte eine ge­waltige Ausstrahlung auf die Arbeiter in den anderen Ländern haben. Zum ersten Mal in der Geschichte hatte es die Arbeiterklasse in einem Land geschafft, die Macht an sich zu reissen. Dies sollte ein Fanal für die Arbeiter in den anderen Ländern, vor allem in Öster­reich, Ungarn, ganz Mitteleuropa, hauptsäch­lich aber in Deutschland sein.

Auch in Deutschland hatten die Arbeiter nach anfänglichem Hurrapatriotismus zuneh­mend gegen den Krieg angekämpft. Ange­spornt durch die revolutionäre Entwicklung in Russland war nach mehreren vorausgegange­nen Kämpfen im April 1917 ein Massenstreik entbrannt. Im Januar 1918 stürzten sich ca. I Mio. Arbeiter in eine neue Streikbewegung, gründeten einen Arbeiterrat in Berlin. Unter dem Einfluss der Ereignisse in Russland zer­bröckelte im Sommer 1918 die Kampfbereit­schaft an den Fronten immer mehr. In den Fabriken brodelte es, auf den Strassen sammel­ten sich immer mehr Arbeiter, um den Wider­stand gegen den Krieg zu intensivieren. Die herrschende Klasse in Deutschland spürte die Ausstrahlung der russischen Revolution und wollte - um ihre eigene Haut zu retten - unbedingt ein Bollwerk gegen die Ausdehnung der Revolution errichten.

Aus der Entwicklung in Russland "schlau" geworden, zwang das Militär den Kaiser Ende September 1918 zum Abdanken und setzte eine neue Regierung ein. Aber die Kampfbe­reitschaft der Arbeiterklasse blieb weiter im Auftrieb. Es gärte weiterhin unaufhörlich.

Am 28. Oktober begann in Österreich, in den tschechischen und slowakischen Gebieten sowie in Budapest eine Welle von Streiks, die jeweils zum Sfürz der Monarchie führten. Überall entstanden wie in Russland Arbeiter­- und Soldatenräte.

Die herrschende Klasse aber auch die Re­volutionäre bereiteten sich jetzt auch in Deutschland auf eine entscheidende Phase der Auseinandersetzungen vor....

Die Revolutionäre bereiten den Aufstand vor

Auch wenn nahezu die gesamte Führungs­spitze der Spartakisten (Liebknecht, Luxem­burg, Jogiches) im Gefängnis sass, auch wenn durch einen Polizeischlag die illegale Drucke­rei der Partei für eine kurze Zeit lahmgelegt wurde, bereiteten die Revolutionäre um die Gruppe der Spartakisten weiter den Aufstand vor.

Anfang im Oktober hielten die Spartaki­sten mit den Linksradikalen aus Bremen und anderen Städten eine Konferenz ab.

Auf dieser Konferenz wurde der Beginn der offenen revolutionären Auseinanderset­zungen signalisiert und folgender Aufruf beschlossen, der in Deutschland wie an der Front in zahlreichen Exemplaren verbreitet wurde. Seine Hauptideen waren:

Die Soldaten haben begonnen, ihr Joch abzuwerfen, die Armee zerbricht, aber diese erste Regung der Revolution findet schon die Konterrevolution auf ihrem Posten. Indem sie scheinbare "demokratische" Rechte einräumt, versucht die Konterrevolution, da die Ge­waltmittel versagen, die Bewegung einzu­dämmen. Parlamentarisierung und ein neues Wahlrecht sollen das Proletariat dazu bewe­gen, weiter seine Lage zu erdulden.

"In der Diskussion über die internationale Lage wurde der Tatsache Ausdruck gegeben, dass die Bewegung in Deutschland eine we­sentliche moralische Unterstützung durch die russische Revolution gefunden hat. Es wurde beschlossen, den Genossen in Russland den Ausdruck des Dankes, der Solidarität und brüderlicher Sympathie zu übermitteln mit dem Versprechen, diese Solidarität nicht durch Worte, sondern durch Aktionen, ent­sprechend dem russischen Vorbild, zu bestäti­gen

"Die spontanen Meuterungen unter den Soldaten gilt es mit allen Mitteln zu unterstüt­zen, zum bewaffneten Aufstand überzuleiten, den bewaffneten Aufstand zum Kampf um die ganze Macht für die Arbeiter und Soldaten auszuweiten und durch Massenstreiks der Arbeiter für uns siegreich zu machen. Das ist die Arbeit der allernächsten Tage und Wo­chen."

Vom Anfang dieser revolutionären Aus­einandersetzungen an können wir feststellen, dass die Spartakisten sofort die politischen Manöver der herrschenden Klasse durch­schauten, den trügerischen Charakter der bürgerlichen Demokratie blosslegten und die erforderlichen Schritte zum Vorantreiben der Bewegung ohne Verzögerung erkannt hatten: den Aufstand vorbereiten und die Arbeiter­klasse in Russland nicht nur mit Worten, son­dern auch mit Taten unterstützen. Sie hatten verstanden: die Solidarität der Arbeiterklasse in dieser neuen Situation konnte sich nicht auf Worte beschränken, sondern die Arbeiter müssen selber in den Kampf treten. Diese Lehre zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch die Erfahrung der Arbeiterkämpfe!

Aber die Bourgeoisie stand Gewehr bei Fuss. Sie hatte den Kaiser abgesetzt und ihn durch einen neuen Prinzen, Max von Baden, am 3. Oktober ersetzt. Und die SPD war schon im Oktober 1918 an der Regierung beteiligt.

Die SPD, die im vorigen Jahrhundert von der Arbeiterklasse selbst gegründet worden war, deren Führung 1914 verraten hatte, die die Internationalisten um die Spartakisten und die Linksradikalen sowie auch die Zentristen herausgeschmissen hatte, und seitdem kein proletarisches Leben mehr in sich barg, die jetzt schon seit Kriegsbeginn die imperialisti­sche Politik unterstützte, sollte nun auch im revolutionären Ansfürm des Proletariats gegen das kapitalistische Gebilde gegen die revolu­tionäre Erhebung der Arbeiterklasse antreten.

Zum ersten Mal konnte das Kapital eine frühere, mittlerweile in das Lager des Kapitals übergewechselte "linke" Partei an die Regie­rung holen - um in dieser revolutionären Situation den kapitalistischen Staat gegen die Arbeiterklasse zu schützen. Während sich viele Arbeiter dadurch Sand in die Augen streuen lassen sollten, erkannten die Revolu­tionäre sofort die neue Rolle der Sozialdemo­kratie. Rosa Luxemburg schrieb: "Der Regie­rungssozialismus stellt sich mit seinem jetzi­gen Eintritt in die Regierung als Retter des Kapitalismus der kommenden proletarischen Revolution in den Weg" (Oktober 1918).

Seit Januar 1918, als der erste Arbeiterrat in den Massenstreiks in Berlin entstanden war, trafen sich regelmässig geheim revolutio­näre Obleute und führende Spartakisten. Die revolutionären Obleute standen der USPD sehr nahe. Auf dem Hintergrund der weiter ansteigenden Kampfbereitschaft, der zusam­menbröckelnden Front, dem Drang der Arbei­ter nach Taten fingen sie Ende Oktober nach der oben erwähnten Konferenz der Revolutio­näre an, in einem Aktionsausschuss konkrete Pläne für einen Aufstand zu erörtern.

Am 23. Oktober war Liebknecht aus dem Gefängnis entlassen worden. Mehr als 20.000 Arbeiter begrüssten ihn bei seiner Ankunft in Berlin.

Nachdem die Regierung auf Drängen der SPD die Angehörigen der russischen Bot­schaft aus Berlin ausgewiesen hatte und von den Revolutionären Versammlungen anlässlich der russischen Revolution organisiert werden sollten, diskutierte der Aktionsausschuss über die Lage. Liebknecht drängte auf einen Gene­ralstreik, auf Massendemonstrationen, die sich anschliessend bewaffnen sollten. In einer Sitzung der revolutionären Obleute am 2. November schlug Liebknecht den 5 Novem­ber vor, die Parolen sollten sein: „sofortiger Frieden und Aufhebung des Belagerungszu­standes, Deutschland sozialistische Republik, Bildung einer Regierung der Arbeiter- und Soldatenräte“ (Drabkin S. 104).

Die revolutionären Obleute, die meinten, die Lage sei noch nicht reif, plädierten für weiteres Abwarten. Unterdessen warteten die Mitglieder der USPD in den Städten auf weitere Instruktionen, denn man wollte nicht vor Berlin losschlagen. Die Nachricht über einen bevorstehenden Aufstand wurde jedoch bis in andere Städte des Reichs verbreitet. Dies sollte die Ereignisse in Kiel fordern.

Als am 3. November in Kiel die Flotte zu weiteren Gefechten auslaufen sollte, erhoben sich die Matrosen und meuterten. Sofort wurden Soldatenräte gegründet, denen im gleichen Atemzug die Gründung von Arbei­terräten folgte. Die Führung des Militärs erwog, Kiel zu bombardieren. Aber nachdem sie erkannt hatte, dass die Meuterei sich nicht mehr gewaltsam unterdrücken liess, schickten sie ihr trojanisches Pferd - den SPD-Führer Noske. Er schaffte es nach seiner Ankunft in Kiel, sich in den Arbeiterrat einzuschmuggeln.

Aber gleichzeitig hatten die Kieler Arbei­ter- und Soldatenräte ein Signal gesetzt. Sie bildeten massive Delegationen von Arbeitern und Soldaten, die sich in andere Städte bega­ben. Riesige Delegationen wurden nach Ham­burg, Bremen, Flensburg, ins Ruhrgebiet, gar bis nach Köln geschickt, die dort vor Ver­sammlungen der Arbeiter sprachen und zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten aufriefen. So zogen Tausende von Arbeiter und Matrosen von den norddeutschen Städten auch nach Berlin und in andere Städte in die Provinz. Dort wurden viele von ihnen zu­nächst von regierungstreuen Soldaten verhaf­tet (über 1300 alleine am 6. Nov in Berlin), in Kasernen gesteckt - von wo sie allerdings ihre Agitation fortsetzten.

Innerhalb von einer Woche waren in den Grossstädten Deutschlands überall Arbeiter­- und Soldatenräte gegründet worden.

Die Arbeiter hatten die Ausdehnung ihrer Bewegung selber in die Hände genommen. Nicht Gewerkschaften oder parlamentarischen Vertretern hatten sie ihr Schicksal überlassen, sondern sie hatten ihren Kampf selbst in die Hand genommen. Nicht mehr nach Branchen, isoliert voneinander, kämpften die Arbeiter, mit jeweils branchenspezifischen Forderun­gen, sondern die Arbeiter einer ganzen Stadt schlossen sich zusammen und steilten ge­meinsame Forderungen auf. Sie handelten selbst und suchten den Anschluss an die Arbei­ter der anderen Städte![1]

Weniger als 2 Jahre später als ihre Klas­senbrüder in Russland stellten die Arbeiter in Deutschland ihre Fähigkeit unter Beweis, ihren Kampf selbst in die Hand zu nehmen.

Bis zum 8. November wurden in nahezu allen Städten - mit Ausnahme Berlins - Arbei­ter- und Soldatenräte (AIS-Räte) errichtet.

Am 8. November meldeten SPD Vertrauensleute:

"Die revolutionäre Bewegung sei nicht mehr aufzuhalten, wenn die SPD sich der Bewegung entgegenstellen wollte, würde sie einfach überrannt ".

Nachdem die ersten Nachrichten aus Kiel am 4. November in Berlin eintrafen, schlug Liebknecht im VoIlzugsausschuss den Aufstand für den 8. November vor. Es war klar, während die Bewegung sich mittlerweile spontan im ganzen Land ausgedehnt hat erforderte der Aufstand in Berlin, dem Sie der Regierung, ein zielgerichtetes, planmässiges, die ganze Kraft bündelndes Vorgehen der Arbeiterklasse. Der Vollzugsrat zögerte weiter. Erst nachdem zwei Mitglieder des Vollzugsrates, die im Besitz der Aufstandpläne waren, am 8. November verhaftet worden wurden, entschloss man sich, am nächsten Tag loszuschlagen. Die Spartakisten erliessen am 8. November 1918 folgenden Aufruf:

"Jetzt, da die Stunde des Handelns gekommen ist, darf es kein Zurück mehr geben. Die gleichen "Sozialisten", die 4 Jahre lang der Regierung Zuhälterdienste geleistet haben, setzen alles daran, um Euren Kampf zu schwächen, um die Bewegung abzuwiegeln.

Arbeiter und Soldaten! Was Euren Genossen und Kameraden in Kiel, Hamburg, Bremen, Lübeck, Rostock, Flensburg, Hannover, Magdeburg, Braunschweig, München und Stuttgart gelungen ist: Das muss auch Euch gelingen. Denn von dem was Ihr erringt, von der Zähigkeit und dem Erfolge Eures Kampfes, hängt auch der Sieg Eurer dortigen Brüder ab, hängt der Erfolg des Proletariats der ganzen Welt ab. Soldaten! Handelt wie Eure Kameraden von der Flotte, vereinigt Euch mit Euren Brüdern im Arbeitskittel. Lasst Euch nicht gegen Eure Brüder gebrauchen, folgt nicht den Befehlen der Offiziere, schiesst nicht auf die Freiheitskämpfer. Arbeiter und Soldaten! Die nächsten Ziele Eures Kampfes müssen sein:

1. Befreiung aller zivilen und militärischen Gefangenen.

2. Aufhebung aller Einzelstaaten und Beseitigung aller Dynastien

3. Wahl von Arbeiter- und Soldatenräten, Wahl von Delegierten hierzu in allen Fabri­ken und Truppenteilen.

4. Sofortige Aufnahme der Beziehungen mit den übrigen deutschen Arbeiter- und Solda­tenräten.

5. Übernahme der Regierung durch die Beauftragten der Arbeiter- und Soldatenräte.

6. Sofortige Verbindung mit dem internationalen Proletariat, insbesondere mit der russischen Arbeiterrepublik.

Hoch die sozialistische Republik!

Er lebe die Internationale!

Die Gruppe Internationale (Spartakus gruppe) (8. November).

Die Ereignisse des 9. November

In den Morgenstunden des 9. November begann in Berlin der revolutionäre Aufstand.

"Arbeiter, Soldaten, Genossen!

Die Entscheidungsstunde ist da! Es gilt der historischen Aufgabe gerecht zu werden….

Wir fordern nicht Abdankung einer Person, sondern Republik!

Die sozialistische Republik mit all ihren Konsequenzen. Auf zum Kampf für Frieden, Freiheit und Brot.

Heraus aus den Betrieben! Heraus aus den Kasernen! Reicht Euch die Hände! Es lebe die sozialistische Republik."

(Flugblatt der Spartakisten)

Hunderttausende Arbeiter folgten den Auf­rufen der Spartakusgrupppe und des Vollzugsausschusses, legten die Arbeit nieder und strömten in riesigen Demonstrationszügen in das Zentrum der Stadt. An der Spitze mar­schierten bewaffnete Arbeitergruppen. Die grosse Mehrheit der Truppen schloss sich den demonstrierenden Arbeitern an, verbrüderten sich mit ihnen. Am Mittag war Berlin in den Händen der revolutionären Arbeiter und Soldaten. Wichtige Punkte wurden von den Arbeitern besetzt. Eine Kolonne demonstrie­render Arbeiter und Soldaten zog vor das Schloss. Dort sprach Liebknecht:

"Die Herrschaft des Kapitalismus, der Europa in ein Leichenfeld verwandelt hat, ist gebrochen…. Wenn auch das Alte niedergeris­sen ist, dürfen wir doch nicht glauben, dass unsere Aufgabe getan sei. Wir müssen alle Kräfte anspannen, um die Regierung der Arbeiter und Soldaten aufzubauen…. Wir reichen (den Arbeitern der anderen Länder) die Hände und rufen sie zur Vollendung der Weltrevolution auf….“

"Ich proklamiere die freie sozialistische Republik Deutschland".

(Liebknecht am 9. November).

Liebknecht warnte die Arbeiter davor, bei dem Erreichten stehenzubleiben, er rief sie zur Übernahme der Macht auf und zum inter­nationalen Zusammenschluss der Arbeiterklas­se.

Am 9. November hatte das alte Regime das Schlachtfeld ohne Anwendung von Ge­walt geräumt. Allerdings geschah das nicht, weil es vor Blutvergiessen zurückscheute - es hatte schliesslich Millionen Menschenleben· auf dem Gewissen, sondern weil ihm die Revolution die Soldaten genommen hatte, die auf das Volk schiessen konnten. Ähnlich wie Russland im Februar 1917, als sich die Soldaten auf die Seite der kämpfenden Arbei­ter schlugen, sollte auch in Berlin die Reakti­on der Soldaten im Kräfteverhältnis ein wich­tiger Faktor sein. Aber erst indem sich die Arbeiter selbst organisierten, aus den Fabri­ken rauszogen und "die Strasse besetzten", sich massiv zusammenschlossen, konnte der "Knoten" der Soldaten gelöst werden. Sie liessen sich von den Arbeitern überzeugen, anstecken, um sich dann mit ihnen zu verbrü­dern. Das zeigt die führende Rolle der Arbei­terklasse auf!

Am Nachmittag des 9. Novembers kamen Tausende Delegierte im Zirkus Busch zusam­men. R. Müller, ein führendes Mitglied der revolutionären Obleute rief dazu auf, dass "am 10. November in allen Betrieben und Trup­penteilen Berlins die Wahl der Arbeiter- und Soldatenräte durchgeführt werden sollte. Die gewählten Räte sollten sich um 17.00 h im Zirkus Busch versammeln, um die provisori­sche Regierung zu wählen. Je 1000 Arbeiter und Arbeiterinnen hatten ein Mitglied des Arbeiterrates zu wählen, ebenso alle Solda­ten je Bataillon ein Mitglied des Soldatenra­tes. Kleinere Betriebe (unter 500 Beschäftig­te) wählten je einen Delegierten. Die Ver­sammlung bestand auf Berufung der Machtorgane durch eine Räteversammlung " (Antrag R. Müller)

Die Arbeiterklasse hatte die ersten Schritte unternommen, um eine Doppelmacht aufzu­bauen. Würden sie soweit kommen können wie ihre russischen Klassenbrüder? Die Spartakisten bestanden darauf, dass der Druck und die Initiative aus den örtlichen Räten verstärkt werden müsse. Die lebendige De­mokratie der Arbeiterklasse, aktive Selbstbe­teiligung der Arbeiter, Vollversammlung in den Fabriken, Ernennung von Delegierten, die vor diesen Vollversammlungen verantwortlich und von ihnen abwählbar waren! Das sollte die Praxis der Arbeiterklasse sein.

Revolutionäre Arbeiter und Soldaten be­setzten am Abend des 9. November die Druc­kerei des "Berliner-Lokal-Anzeigers" und druckten die erste Nummer der "Rote Fahne". Diese erste Nummer warnte: „Es gibt keine Gemeinschaft mit denen, die euch vier Jahre verraten haben. Nieder mit dem Kapitalismus und seinen Agenten! Es lebe die Revolution. Es lebe die Internationale.“

Die Arbeiter griffen nach der Macht – die Kräfte der Bourgeoisie standen Gewehr bei Fuss

Der 1. Berliner Arbeiter- und Soldatenrat (genannt Vollzugsausschuss) verstand sich schnell als Organ der Macht. In seiner ersten Bekanntmachung vom 11. November hatte er sich als oberste Kontrollinstanz aller Kom­munal-, Landes-, Reichs- und Militärbehör­den konstituiert.

Aber die herrschende Klasse überlässt na­türlich der Arbeiterklasse nicht freiwillig und ohne erbittertsten Widerstand das Feld.

Denn während Liebknecht vor dem Schloss die sozialistische Republik verkündet hatte, hatte gleichzeitig Prinz Max von Baden abge­dankt; er übertrug die Regierungsgeschäfte an Ebert, den er zum Reichskanzler ernannte. Die SPD proklamierte "die freie deutsche Republik".

Während die SPD offiziell die Regie­rungsgeschäfte übernahm und sofort zu "Ruhe und Ordnung" aufrief, "freie Wahlen" an­kündigte, hatte sie gespürt, dass sie am besten der Bewegung entgegentreten könnte, indem sie sie von innen her untergraben sollte.

Sie proklamierte einen eigenen Arbeiter- ­und Soldatenrat, der nur aus SPD Funktionären bestand und von niemanden eine Legitimation besass.

Nachdem dieser sich als NS-Rat ausgab, behauptete die SPD dann, dass die Bewegung, die schon längst in Gang gekommen war, von der SPD und der USPD gemeinschaftlich geleitet wurde.

Diese Taktik, die Bewegung einzukreisen und von Innen her zu zerstören, ist seitdem immer wieder von den Linken mit ihren selbsternannten Räten, selbsternannten Streikkomitees, Koordinationen usw. ange­wandt worden. Die Sozialdemokratie und ihre späteren Nachfolger, die linkskapitalistischen Gruppierungen der sogenannten extremen Linken sind mittlerweile darauf spezialisiert, sich sofort an die Spitze einer Bewegung zu stellen, so zu tun, als seien sie deren Vertreter. Während sie so im Vollzugsrat selber den Wind aus den Segeln nehmen wollten, griffen sie die Arbeiterklasse jedoch auch von der Regierung aus an, an deren Spitze sie sich schnell stellten. Die SPD verkündete, sie werde eine gemeinsame Regierung mit der USPD bilden. Die USPD willigte in die Re­gierungsbildung mit der SPD ein, wogegen die Spartakisten sie ablehnten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Spartakisten noch Mit­glieder der USPD. In den Augen der meisten Arbeiter war der Unterschied zwischen USPD und Spartakisten hier verwischt. Die Sparta­kisten hatten jedoch eine klare Haltung zur Regierungsbildung. Sie hatten die Falle gero­chen! Man setzt sich nicht mit dem Klassen­feind in ein Boot. Das beste Mittel, um Illu­sionen der Arbeiter über eine linkskapitalisti­sche Partei zu bekämpfen, ist nicht, wie seitdem immer wieder die Trotzkisten und andere linke Gruppierungen behaupten, sie erst an die Regierung zu bringen, um ihr dort den Schleier der Lügen abzuziehen. Um das Bewusstsein voranzubringen, ist die schärfste Abgrenzung erforderlich und nichts anderes.

Am Abend des 9. November liessen sich die SPD und die USPD-Führung als Volksbeauf­tragte, als vom Vollzugsrat getragene Regie­rung proklamieren.

Die SPD hatte ihre ganze Cleverness ge­zeigt. Sowohl von der Regierungsbank aus wie auch im Namen des Vollzugsrates konnte sie gegen die Arbeiter vorgehen. Ebert war Reichskanzler wie auch Volksbeauftragter (d.h. vom Vollzugsrat gewählt), konnte so den Anschein erwecken, auf Seite der Revolution zu stehen. Dass er das Vertrauen des Kapitals besass, stand fest; aber mit soviel Cleverness das Vertrauen des Vollzugsrates erschlichen zu haben, zeigt, wie betrügerisch die linken Kräfte des Kapitals vorgehen können. Schauen wir an, wie geschickt, die SPD auf der Versammlung des Berliner NS-Rates am 10. November vorging. Ca 3000 Men­schen waren anwesend, es gab keine Kontrol­le der Mandate, die Soldatenvertreter waren in der Mehrheit. Ebert sprach als erster. Der "alte Bruderstreit" sei beendet, SPD und USPD hätten eine gemeinsame Regierung gebildet, jetzt ginge es darum, „gemeinsam den Aufbau der Wirtschaft auf den Grundsät­zen des Sozialismus vorzunehmen. Es lebe die Einigkeit der deutschen Arbeiterklasse und der deutschen Soldaten“. Im Namen der USPD sprach Haase von der "Einheit“. „Wir wollen die Errungenschaften der grossen sozialistischen Revolution befestigen…. Die Regierung wird eine sozialistische sein.

"Die bis vorgestern noch gegen die Revo­lution gearbeitet haben. sind nun nicht mehr dagegen" (E. Barth, 10. November 1918).

"Es soll alles getan werden, damit sich die Konterrevolution nicht erhebe.“

Während die SPD schon alle Register zog, um die Arbeiter zu täuschen, trug die USPD das Ihre zur Deckung dieses Manövers bei. Die Spartakisten hatten die Gefahren erkannt:

Liebknecht sprach auf dieser Versammlung:

"Ich muss Wasser in den Wein Eurer Be­geisterung schütten. Die Gegenrevolution ist bereits auf dem Marsche, sie ist bereits in Aktion…. Ich sage Euch: Feinde ringsum!

(er nennt die konterrevolutionären Absich­ten der Sozialdemokratie.) Ich weiss, wie unangenehm Ihnen diese Störung ist, aber wenn Sie mich erschiessen, ich werde das aussprechen, was ich für notwendig halte"

Die Spartakisten warnten vor den Feinden und bestanden auf der Notwendigkeit des Sfürzes des Systems. Nicht Auswechslung von Personen sei angesagt, sondern Überwin­dung des Systems selber.

Während die SPD und in deren Schlepp­tau die USPD so taten, als ob es mit der Auswechslung der Führer, mit dem Einset­zen einer neuen Regierung getan sei, nur um die alten Machtstrukfüren, um das System intakt zu lassen, riefen die Revolu­tionäre zur Fortführung des Kampfes auf.

Auch hier lieferte die SPD eine Lehrstunde für die Vorgehensweise der Verteidiger des Kapitals. Diese Vorgehensweise haben sie immer wieder praktiziert, sie lenken die Wut auf Führerpersönlichkeiten, um das System unangetastet zu lassen.[2]

Die SPD trommelte auf die Arbeiter in ih­rer Zeitung "Vorwärts" ein. Am 10. November schrieb er unter dem Titel: "Einigkeit: Kein Bruderkampf“

"Der gestrige Tag (9. November) hat in der Arbeiterschaft das Gefühl für die Not­wendigkeit innerer Einheit hoch emporlodern lassen. Aus fast allen Städten, aus ganzen Ländern, aus ganzen Bundesstaaten hören wir, dass alte Partei und Unabhängige sich am Tage der Revolution wieder zusammengefun­den und zu der alten geschlossenen Partei geeint haben.... Das Versöhnungswerk darf nicht an einigen Verbitterten scheitern, deren Charakter nicht stark genug ist, um alten Groll überwinden und vergessen zu können. Soll nun der Welt nach solchem herrlichen Triumph (über das alte Regime) das Schau­spiel der Selbstzerfleischung der Arbeiter­schaft in sinnlosem Bruderkampf geboten werden?" (Vorwärts, 10.11.1918).

Die zwei Waffen des Kapitals: Politische Sabotage

Die SPD brachte ein ganzes Arsenal von Waffen gegen die Arbeiterklasse ins Feld. Neben dem Ruf nach "Einheit" spritzte sie vor allem das Gift der bürgerlichen Demokra­tie. Die Einführung des "allgemeinen, glei­chen, direkten und geheimen Wahlrechts aller erwachsenen Männer und Frauen wurde als die wichtigste politische Errungenschaft der Revolution und zugleich als das Mittel dar­gestellt, die kapitalistische Gesellschaftsord­nung nach dem Willen des Volkes in planmässiger Arbeit zur sozialistischen umzuwan­deln". Mit der Ausrufung der Republik, da­durch, dass SPD-Minister an der Macht seien, sei das Ziel, der Republik erreicht, und mit der Abdankung des Kaisers und der Ernen­nung Eberts zum Reichskanzler sei "der freie Volksstaat" da. Dabei war in Deutschland nur ein Anachronismus (an der Staatsspitze hatte noch ein Kaiser gestanden, obwohl die politi­sche Herrschaft längst in den Händen der bürgerlichen Klasse lag) beiseite geschafft worden. An der Staatsspitze stand jetzt kein Monarch mehr, sondern ein "Bürgerlicher".

Der Ruf nach "demokratischen Wahlen" war direkt gegen die Arbeiterräte gerichtet. Die SPD bombardierte die Arbeiter mit einer verlogenen Propaganda: "Wer Brot will, muss den Frieden wollen. Wer den Frieden will, muss die Konstituante wollen, die freigewählte Vertretung des ganzen deutschen Volkes. Wer die Konstituante verhindert oder hinauszö­gert, bringt sie um Frieden, Freiheit und Brot, raubt ihnen die unmittelbaren Früchte des Revolutionssieges, ist ein Konterrevolutionär.

Die Sozialisierung wird und muss kom­men... durch den Willen des arbeitenden Volkes, das grundsätzlich die Wirtschaft beseitigen will, die vom Streben des einzelnen nach Profit bewegt wird. Aber sie wird tau­sendmalleichter durchzusetzen sein, wenn die Konstituante sie beschliesst, als wenn die Diktatur irgendeines Revolutionsausschusses sie verordnet ...

Der Schrei nach der Konstituante ist der Schrei nach dem aufbauenden, schaffenden Sozialismus, nach jenem Sozialismus, der den Volkswohlstand mehrt, Volksglück und Volks­freiheit erhöht und für den allein sich zu kämpfen lohnt.

Die deutsche Einheit erfordert die Natio­nalversammlung. Nur unter ihrem Schutz kann sich die neue deutsche Kulfür entfalten, die stets unser Ziel und der Kern unseres nationalen Wollens gewesen ist.

Die Errungenschaften der Revolution sind im Willen des ganzen Volkes so fest verankert, dass nur Angsthasen vor der Konterrevolution Alpdrücken bekommen könnten." (Flugblatt der SPD)

Wenn wir hier so ausführlich die SPD zi­tieren, dann damit man ein wirkliches Bild von der Spitzfindigkeit und Verschlagenheit der Linken bekommt.

Wir haben hier ein seitdem klassisches Merkmal des Klassenkampfes in den hochindustrialisierten Ländern. Wenn die Arbeiterklasse ihre Kraft und ihren Zusammenschluss anstrebt, sind es immer wieder die Kräfte der Linken gewesen, die mit cleverster Demago­gie auftreten, vorgeben, im Namen der Arbei­ter zu handeln, die die Kämpfe von innen her zu sabotieren versuchen und die Bewegung daran hindern, einen entscheidenden Schritt voranzugehen. Es stand hier der revolutionä­ren Arbeiterklasse in Deutschland ein un­gleich stärkerer Gegner gegenüber als den Arbeitern in Russland. Mit einer radikalen Sprache bezichtigte die SPD im Namen der Revolution die Spartakisten als Konterrevolutionäre. Um die Arbeiterklasse zu täuschen sind die Linken gezwungen, eine radikale Sprache zu sprechen und sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Gleichzeitig war damals schon deutlich, wie stark die SPD in den Staat integriert war, dass sie nicht als ausserhalb des Staates stehende Partei gegen die Arbeiter vorging, sondern gar von dessen Spitze aus.

Die ersten Tage revolutionärer Auseinandersetzungen zeigten damals schon ein allgemeines Merkmal des Klassenkampfes in den hochindustrialisierten Ländern auf. Eine mit allen Wassern gewaschene Bourgeoisie prallte mit einer starken Arbeiterklasse zusammen. Es war eine Illusion zu glauben, der Arbeiterklasse könnte der Sieg leicht in die Hände fallen.

Wie wir später sehen werden, traten als zweiter Stützpfeiler des Kapitals die Gewerkschaften auf, die sofort nach Ausbruch der Bewegung eine Arbeitsgemeinschaft mit den Unternehmern eingingen. Nachdem sie in Krieg die Produktion für den Krieg organisiert hatten, sollten sie nun mit der SPD die Niederschlagung der Bewegung eintreten. Einige Konzessionen wie unter anderem der 8-Stunden- Tag wurden gemacht, um durch das Zugestehen von ökonomischen Verbesserungen die Arbeiter von einer weiteren Radikalisierung abzuhalten.

Aber selbst die politische Sabotage, die Untergrabung des Bewusstseins der Arbeiter durch die SPD reichte nicht aus, denn gleichzeitig schlug die SPD in Absprache mit den Militärs eine militärische Vorgehensweise ein.

….Repression

Der Oberbefehlshaber des Militärs, Gene­ral Groener, der im Krieg tagtäglich mit SPD und Gewerkschaften zusammenarbeitete, denn er war für Rüstungsvorhaben verantwortlich, erklärte:

"Wir haben uns verbündet zum Kampf gegen den Bolschewismus. An eine Wiederein­führung der Monarchie war nicht zu denken…. Ich habe dem Feldmarschall den Rat gege­ben, nicht mit der Waffe die Revolution zu bekämpfen, weil zu befürchten sei, dass bei der Verfassung der Truppen eine solche Bekämp­fung scheitern würde. Ich habe ihm vorge­schlagen, die Oberste Heeresleitung möge sich mit der SPD verbünden, da es zurzeit keine Partei gebe, die Einfluss genug habe im Volke. besonders bei den Massen, um eine Regierungsgewalt mit der Obersten Heereslei­tung wieder herzustellen. Die Rechtsparteien waren vollkommen verschwunden, mit den äussersten Radikalen zusammenzugehen, war ausgeschlossen. Zunächst handelte es sich darum, in Berlin den Arbeiter- und Soldaten­räten die Gewalt zu entreissen. Zu diesem Zwecke wurde ein Unternehmen geplant. 10 Divisionen sollten in Berlin einmarschieren. Ebert war damit einverstanden…. Wir haben ein Programm ausgearbeitet, das nach dem Einmarsch eine Säuberung Berlins und die Entwaffnung der Spartakisten vorsah. Das war auch mit Ebert besprochen, dem ich dafür besonders dankbar bin wegen seiner absoluten Vaterlandsliebe…. Dieses Bündnis war geschlossen gegen die Gefahr der Bol­schewiken und gegen das Rätesystem" (Groener, Oktober, November 1925, Zeugen­aussage). Zu diesem Zweck telefonierte Groener täglich abends mit Ebert und seinen Konsor­ten auf geheimen Leitungen zwischen 23.00 und 1.00 Uhr nachts und traf Absprachen.

Im Gegensatz zu Russland, wo die Macht im Oktober in die Hände der Arbeiter nahezu unblutig fiel, schickte sich die Bourgeoisie in Deutschland sofort an, neben der politischen Sabotage einen Bürgerkrieg auszulösen. Vom ersten Tag an traf sie alle Vorbereitungen für eine militärische Niederschlagung.

Die Intervention der Revolutionäre

Für die Einschätzung der Intervention der Revolutionäre müssen wir jeweils ihre Fähig­keit überprüfen, die Bewegung der Klasse, das Kräfteverhältnis, das "Erreichte", die weiteren Perspektiven richtig einzuschätzen.

Was sagten die Spartakisten?

„Die Revolution hat begonnen. Nicht Ju­bel über das Vollbrachte, nicht Triumph über den niedergeworfenen Feind ist am Platz, sondern strengste Selbstkritik und eiserne Zusammenhaltung der Energie, um das be­gonnene Werk weiterzuführen. Denn das Vollbrachte ist gering, und der Feind ist NICHT niedergeworfen. Was ist erreicht? Die Monarchie ist hinweggefegt, die oberste Regierungsgewalt ist in die Hände von Arbei­ter- und Soldatenvertretern übergegangen. Aber die Monarchie war nie der eigentliche Feind, sie war nur Fassade, sie war das Aushängeschild des Imperialismus.... Die Abschaffung der Kapitalherrschaft, die Verwirklichung der sozialistischen Gesell­schaftsordnung dies und nichts Geringeres war das geschichtliche Thema der gegenwärti­gen Revolution. Ein gewaltiges Werk, das nicht im Handumdrehen durch ein paar De­krete von oben herab vollbracht, das nur durch die eigene bewusste Aktion der Masse der Arbeitenden in Stadt und Land ins Leben gerufen, das nur durch höchste geistige Reife und unerschöpflichen Idealismus der Volks­massen durch alle Stürme glücklich in den Hafen gebracht werden kann.

Die ganze Macht in die Hände der arbeitenden Masse, in die Hände der Arbei­ter- und Soldatenräte, Sicherung des Revolu­tionswerkes vor seinen lauernden Feinden: dies die Richtlinie für alle Massnahmen der revolutionären Regierung ••• Ausbau und Wiederwahl der lokalen Arbeiter- und Soldatenräte, damit die erste chaotische und impulsive Geste ihrer Entste­hung durch bewussten Prozess der Selbstver­ständigung über Ziele, Aufgaben und Wege der Revolution ersetzt wird;

••• ständige Tagung dieser Vertretungen der Masse und Übertragung der eigentlichen politischen Macht aus dem kleinen Komitee des Vollzugsrates in die breitere Basis des Arbeiter- und Soldatenrats;

••• schleunigste Einberufung des Reichsparlamentes der Arbeiter und Soldaten, um die Proletarier ganz Deutschlands als Klasse, als kompakte politische Macht zu konstituieren und hinter das Werk der Revo­lution als ihre Schutzwehr und ihre Stosskraft zu stellen;

••• unverzügliche Organisierung nicht der „Bauern", sondern der ländlichen Proletarier und Kleinbauern, die als Schicht bisher noch ausserhalb der Revolution stehen;

••• Bildung einer proletarischen Roten Garde zum ständigen Schutz der Revolution und Heranbildung der Arbeitermiliz, um das gesamte Proletariat zur jeder Zeit bereiten Wacht zu gestalten;

••• Verdrängung der übernommenen Orga­ne des absolutistischen militärischen Polizei­staates von der Verwaltung, Justiz und Armee,

••• sofortige Einberufung des Arbeiter-­Weltkongresses nach Deutschland, um den sozialistischen und internationalen Charakter der Revolution scharf und klar hervorzukeh­ren, denn in der Internationale, in der Weltre­volution des Proletariats allein ist die Zukunft der deutschen Revolution verankert" (Rote Fahne, 18. November 1918).

Zerstörung der Machtposition der Gegen­revolution, Aufbau und Festigung der prole­tarischen Macht - das waren die beiden Auf­gaben, die die Spartakisten mit bemerkens­werter Klarheit in den Vordergrund stellten.

"Das Fazit der ersten Woche der Revolu­tion heisst: Im Staate der Hohenzollern hat sich im wesentlich nichts verändert, die Arbei­ter- und Soldatenregierung fungiert als Stell­vertreterin der imperialistischen Regierung, die bankrott geworden ist. All ihr Tun und Lassen ist von der Furcht vor der Arbeiter­masse getragen….

Der reaktionäre Staat der zivilisierten Welt wird nicht in 24 Stunden zum revolutionären Volksstaat. Soldaten, die gestern in Finnland, Russland, der Ukraine, im Baltikum als Gen­darmen der Reaktion revolutionäre Proletari­er mordeten, und Arbeiter, die dies ruhig geschehen liessen, sind nicht in 24 Stunden zu zielklaren Trägern des Sozialismus gewor­den."

(Rote Fahne, 18. November 1918)

Die Einschätzung der Spartakisten, dass es sich nicht um eine bürgerliche Revolution, sondern um die bürgerliche Konterrevolution handelte, die da auf dem Vormarsch war, ihre Fähigkeit, die Lage mit Überblick, Weitblick einzuschätzen, ist ein schlagender Beweis für die Notwendigkeit revolutionärer Organisa­tionen.

Die Arbeiterräte – Speerspitze der Revolution….

Wie weiter oben beschrieben, waren in den ersten Novembertagen überall in den Gross­städten Arbeiter- und Soldatenräte entstanden.

Auch wenn die Räte "plötzlich" auftauchten, kam ihr Entstehen für die Revolutionäre alles andere als unerwartet. In Russland waren sie ebenfalls in den revolutionären Kämpfen aufgetaucht, genauso wie in Österreich­-Ungarn. Denn die Arbeiterräte sind, wie es die Kommunistische Internationale im März 1919 durch die Stimme Lenins ausdrückte: "die praktische Form, die das Proletariat in den Stand setzt, seine Herrschaft zu verwirkli­chen. Diese Form ist das Sowjetsystem mit der Diktatur des Proletariats. Diktatur des Proletariats! Das war bisher Latein für die Massen. Mit der Ausbreitung des Sowjetsy­stems in der ganzen Welt ist dieses Latein in alle modernen Sprachen übersetzt worden: die praktische Form der Diktatur ist durch die Arbeitermassen gefunden…."

Das Entstehen von Arbeiterräten spiegelt den Willen der Arbeiterklasse wider, ihr Schicksal selber in die Hand zu nehmen.

Als solches können die Arbeiterräte erst entstehen, wenn in der Klasse insgesamt eine Massenaktivität und tiefgreifende Bewusstseinsentwicklung in Gang gekommen ist. Die Arbeiterräte sind insofern nur die Speerspitze einer allumfassenden Bewegung der Klasse, und sie stehen und fallen mit der Gesamtak­tivität der Klasse. Wenn die Aktivität der Arbeiterklasse in den Betrieben nachlässt, wenn die Kampfbereitschaft insgesamt ab­flaut, wenn das Bewusstsein der Klasse zu­rückweicht, haben auch die Arbeiterräte keine Überlebenschance.

Sie sind das Mittel, die Kämpfe der Klasse zu zentralisieren und stellen den Hebel dar, mit dem die Arbeiterklasse ihren Kampf zur Zerschlagung des bürgerlichen Staats führt.

In vielen Städten ergriffen die Arbeiterräte entschlossen Massnahmen, um die Staatsge­walt unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Arbeiter versuchten vom ersten Tag der Exi­stenz der Arbeiterräte an, den bürgerlichen Staatsapparat lahmzulegen und ihre eigenen Entscheidungen an Stelle der bürgerlichen Regierung zu treffen und durchzuführen. Es war der Beginn einer Doppelherrschaft, genau wie in Russland nach der Februarrevolution 1917. Diese Entwicklung gab es überall, aber in Berlin, wo die Regierung des Kapitals sass, kam sie am deutlichsten zum Vorschein.

….und die Sabotage der Bourgeoisie

Weil die Arbeiterräte der Dreh- und An­gelpunkt der Zentralisierung der Arbeiter­kämpfe sind, weil in ihnen die Initiative der Massen zusammenfliesst, ist es für die Arbei­terklasse lebenswichtig, die Kontrolle über die Arbeiterräte zu behalten.

In Deutschland sollte die Kapitalisten klasse ein trojanisches Pferd - die SPD - gegen die Arbeiterräte einsetzen. Die SPD war bis 1914 eine Arbeiterpartei gewesen, aber jetzt be­kämpfte sie die Räte von Innen und versuchte sie von ihren wirklichen Zielen abzulenken ­all das geschah "im Namen der Arbeiterklasse".

Schon bei der Zusammensetzung der Räte wandte sie alle Tricks an, um ihre Delegierte in die Räte zu bekommen. Der Vollzugsrat war anfänglich aus jeweils 6 Vertretern der SPD und USPD sowie 12 Soldatenvertretern zusammengesetzt. Jedoch hatte es die SPD in Berlin geschafft, unter dem Vorwand der notwendigen Stimmenparität und der Einig­keit der Arbeiterklasse eine gleichgrosse An­zahl von Vertretern in den Vollzugsrat zu schleusen. So entstand die gleichmässige Verteilung der Mandate zwischen USPD und SPD - ohne durch irgendeine Versammlung in der Form legitimiert zu sein. Mit der Taktik des Parteienproporzes erhielt die SPD in vielen Räten mehr Stimmen als es der tat­sächlichen Gewichtung entsprach. In der Provinz sah es nicht viel anders aus. In etwa 40 Grossstädten standen fast 30 Arbeiter- und Soldatenräte unter dem behemchenden Einfluss der SPD- und USPD-Führer. Nur in den Städten, wo die Spartakisten einen grösseren Einfluss hatten, konnten die Arbeiterräte eine radikale Richtung einschlagen.

Was die Aufgaben der Arbeiterräte angeht, versuchte die SPD ihnen die Spitze zu bre­chen. Während die Räte von ihrem Wesen her danach streben, als Gegenpol zum bürgerli­chen Staatsapparat zu wirken, diesen zu zer­schlagen, versuchte die SPD, die Räte dem bürgerlichen Staatsapparat unterzuordnen. Einmal dadurch, dass die Räte sich nur als Übergangsorgan bis zur Einberufung der bürgerlichen Nationalversammlung auffassen sollten, dann indem sich die Räte für alle Volksschichten öffnen sollten. Die SPD in­szenierte in vielen Städten sog. "Wohlfahrtsausschüsse", in der alle Teile der Bevölkerung, vom kleinen Geschäftsmann, Bauern bis zum Arbeiter "gleichberechtigt" integriert wurden. Dadurch sollte das Entste­hen von Arbeiterräten, die dem bürgerlichen Staat entgegenwirken, vereitelt werden.

Während die Spartakisten von Anfang an auf die Bildung von Roten Garden drängten, um so die Massnahmen der Arbeiterräte not­falls mit Waffengewalt durchzusetzen, torpe­dierte die SPD dies in den Soldatenräten mit dem Vorwand, dass "damit ein Misstrauen gegenüber den Soldaten zum Ausdruck kä­me".

Im Berliner Vollzugsrat wie auch in allen anderen Räten kam es ständig zu heftigen Auseinandersetzungen über die zu treffenden Massnahmen. Zwar kann man nicht davon ausgehen, dass die gewählten Vertreter alle über ausreichend Klarheit und Entschlossen­heit zu allen Fragen verfügten, aber die SPD unternahm alles, sowohl aus dem Innern der Räte selbst wie auch von "offizieller Regie­rungsseite" aus, um die Autorität der Räte und die getroffenen Entscheidungen zu unterlau­fen. Einige Beispiele:

- Ordnete der Vollzugsrat etwas an, erliess der Rat der Volksbeauftragten (von der SPD geführt) entsprechende Gegenmassnahmen.

- Der Vollzugsrat besass nie ein eigene Presse, er musste bei der bürgerlichen Presse um Platz für die Veröffentlichung seiner Beschlüsse betteln. Daran hatten die SPD­-Vertreter kräftig mitgewirkt.

- Als im November und Dezember Streiks in Berliner Betrieben ausbrachen, sprach sich der Vollzugsrat unter dem Einfluss der SPD gegen diese Streiks aus, obwohl sie gerade die Stärke der Arbeiterklasse zum Ausdruck bringen konnten und die Fehlentscheidungen des Vollzugsrats selbst hätten korrigieren können.

- Schliesslich drohte die SPD von Regie­rungsseite aus, die Alliierten würden in Deutschland militärisch einmarschieren, um eine Bolschewisierung Deutschlands zu ver­hindern. Und wenn die Arbeiter- und Solda­tenräte zu weit gingen, würden keine Le­bensmittel von den USA an die hungernde Bevölkerung geliefert.

Von direkter Einschüchterung von Aussen, Sabotage vom Innern her, Entartung des Wesens der Räte selber bis zu physischen Angriffen gegen die Räte - die SPD liess keine Mittel aus.

Von Anfang an aber versuchte die SPD die Räte von der Basis in den Betrieben selbst abzukoppeln.

Die Räte setzen sich zusammen aus Dele­gierten. Diese Delegierten sind von den Voll­versammlungen in den Betrieben zu wählen. Sie müssen sich gegenüber ihnen verantwor­ten - denn wenn die Arbeiter in den jeweiligen Vollversammlungen nicht mehr selber ent­scheiden können, die Räte sich von der Ak­tivität "der Basis" lösen, dann wird ihnen selber die Luft ausgehen - und sie werden selber zum Opfer der Konteroffensive der Bourgeoisie. Deshalb drängte die SPD z.B. sofort auf die Zusammensetzung gemäss Par­teienproporz - anstatt auf der Verantwortbar­keit und Rechenschaftspflicht der Delegierten gegenüber ihren jeweiligen Vollversammlun­gen in den Betrieben. Die Rechenschaft ge­genüber den sie wählenden Versammlungen ist kein förmliches Prinzip der Arbeiterdemo­kratie, sondern der Hebel, mit der die Arbei­terklasse von der kleinsten Zelle aus ihren Kampf selber mitsteuern und lenken kann. Die Erfahrung in Russland hatte schon gezeigt, wie elementar die Aktivität in den Fabriken, die Aktivität der Fabrikkomitees war. Wenn sich die Arbeiterräte nicht gegenüber den Vollversammlungen verantworten müssen, sich von ihnen loslösen, müssen die Arbeiter in den Betrieben neue Delegierte wählen, ihren Druck erhöhen, ihren Kampf "von unten" intensivieren.

Schon in Russland hatte Lenin erkannt:

"Um kontrollieren zu können, muss man die Macht haben. wenn ich aber diese Grundbedingung durch die Kontrolle verdec­ke, dann sage ich die Unwahrheit und arbeite den Kapitalisten und Imperialisten in die Hände ... Ohne Macht ist die Kontrolle eine kleinbürgerliche Phrase, die den Gang und die Entwicklung der Revolution hemmt" (Lenin, Aprilkonferenz, Referat zur politi­schen Lage, 7. Mai, Werke Bd. 24, S. 220).

Während in Russland in den ersten Wochen nach Februar die Räte, die sich auf die bewaffneten Arbeiter und Soldaten stützte über reale Macht verfügten, besass sie der Berliner Vollzugsrat nicht. Rosa Luxemburg stellte zu Recht fest:

"Der Vollzugsrat der vereinigten Räte Russlands ist - mag man gegen ihn schreiben was man will - freilich ein ander Ding als der Berliner Vollzugsrat. Jener ist Haupt und Hirn einer gewaltigen revolutionär proletarischen Organisation, dieser das 5. Rad am Wagen einer kryptokapitalistischen Regierungsclique, jener ist die unerschöpfliche Quelle proletarischer Allmacht, dieser kraft und orientierungslos, jener ist der lebendige Geist der Revolution und dieser ihr Sakrophag" (Rosa Luxemburg" 12. Dezember 1918).

Der Reichsrätekongress:

Am 23. November rief der Berliner Vollzugsrat zur Abhaltung eines Reichsrätekongresses in Berlin für den 16. Dezember auf. Weil die Bewegung in den Fabriken jedoch noch nicht wirklich voll zu pulsieren angefangen hatte, sollte dieser Versuch der Zusammenballung der Kräfte der Arbeiterklasse in Wirklichkeit zu einem Hebel gegen sie werden. Die SPD setzte durch, dass in den einzelnen Gebieten des Reiches auf je 200.000 Einwohner ein „Arbeiterdelegierter", auf jede 100.000 Soldaten jedoch ein Soldatenvertreter gewählt werden sollte, wodurch die Soldatenvertreter ein übergrosses Gewicht einnehmen konnten. Anstatt die Aktivität der Klasse in den Fabriken entsprechend widerzuspiegeln - lief die Taktik der SPD darauf hinaus den Reichsrätekongress von der Initiative der Klasse abzuschotten.

Den Saboteuren des Klassenkampfes zu folge sollten als "Arbeiterdelegierte" nur "Hand- und Kopfarbeiter" zugelassen werden. Nachdem alle Gewerkschafts- und SPD Parteifunktionäre plötzlich mit ihre "Berufsangabe" auftraten, blieben die Vertreter des Spartakusbundes Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ausgeschlossen. Wir können sehen, während die bürgerlichen Kräfte mit dem Einsatz aller möglichen Tricks immer Zugang zu finden suchen, werden die Revolutionäre, die als solche offen auftreten, an Reden gehindert.

Als der Rätekongress am 16. Dezember zusammentrat, verwarf er zuvor eine Beteiligung russischer Delegierter.

"Bei der Vollversammlung handelt es sich aber nicht um die Beratung internationaler, sonderlich lediglich um deutsche Angelegenheiten, bei deren Beratung natürlich Ausländer nicht mitreden können ... Es handelt sich bei der Delegation um nichts anderes als um bolschewistische Diktaturvertreter" (so rechtfertige der Vorwärts das SPD-Blatt an 11. Dezember 1918 die Entscheidung). Indem dieser Beschluss durchgesetzt wurde, verwarf die SPD sofort den grundlegendsten Charak­ter der Arbeiterräte: dass sie ein Ausdruck der weltweiten proletarischen Revolution sind, die in Russland begonnen hatte. Um die Sabotage des Kongresses fortzu­setzen, brachte die SPD den Kongress dazu, die Nationalversammlung für den 19. Januar 1919 einzuberufen.

Die Spartakisten, die die Gefahren erkannt hatten, riefen zu einer Grossdemo vor dem Kongress auf. Mehr als 250.000 demonstrier­ten unter der Losung: "Für die Arbeiter- und Soldatenräte, gegen die Nationalversamm­lung"!

Während der Kongress dabei war, den In­teressen der Arbeiterklasse entgegenzuarbei­ten, sprach Liebknecht vor der Kongresshalle. "Wir verlangen von dem Kongress, dass er die volle politische Macht zwecks Durchführung des Sozialismus in die Hand nimmt und die Macht nicht einer Nationalversammlung überträgt, die nicht ein Organ der Revolution sein würde. Wir fordern von dem Rätekongress, dass er die Hand nach unseren russi­schen Brüdern ausstreckt und die Delegierten der Russen herüberruft. Wir wollen die Weltrevolution und die Vereinigung der Prole­tarier aller Länder unter Arbeiter- und Solda­tenräten". (17. Dezember 1918).

D.h. die Revolutionäre erkannten die Not­wendigkeit der Mobilisierung der Massen selber Druck ausüben auf die Delegierten, Initiative der Versammlungen in den Betrie­ben, die Selbständigkeit der Räte gegen die bürgerliche Nationalversammlung verteidi­gen, die Verbrüderung mit der internationalen Arbeiterklasse herbeiführen. Aber auch nach der Massendemo verwarf der Kongress wei­terhin die Beteiligung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts - unter dem Vorwand, sie seien keine Arbeiter - während unterdessen die Bourgeoisie ihre Leute in den Kongress eingeschleust hatte. Auf dem Kongress stellten sich die SPD-Vertreter schützend vor die· Armee, um sie vor weiterem Zerfall durch die Soldatenräte zu bewahren.

Der Kongress beschloss alsbald, keine Ar­beiter- und Soldatendelegationen mehr zu empfangen, um sich dem Druck der Arbeiter nicht mehr zu beugen.

Zum Abschluss verbreitete der Kongress noch eine Rauchwolke, indem er über erste Sozialisierungsmassnahmen palaverte, obwohl die Arbeiter noch nicht einmal die Macht ergriffen hatten. "Sozialpolitische Massnah­men in einzelnen Betrieben durchzuführen ist eine Illusion, solange die Bourgeoisie die politische Macht in den Händen hat. Mit diesem Gerede soll vom Endkampf abgelenkt werden" (IKD, Der Kommunist). Die zentrale Frage, Entwaffnung der Konterrevolution, Sturz der bürgerlichen Regierung, wurde dadurch beiseite gedrängt.

Was hätten die Revolutionäre gegen solch eine Entwicklung tun sollen? Otto Rühle, mittlerweile zum ausgesprochenen Rätekom­munist geworden, hatte am 16. Dezember in Dresden gegenüber dem örtlichen Arbeiter- ­und Soldatenrat das Handtuch geschmissen, als dort starke sozialdemokratische Kräfte die Überhand hatten. Die Spartakisten dagegen überliessen nicht dem Feind das Feld. Nach der Verurteilung der Ergebnisse die­ses Reichsrätekongresses, pochten sie auf die Initiative der Arbeiter. "Der Rätekongress hat seine Vollmachten überschritten, hat das Mandat verraten, das ihm von den Arbeiter­- und Soldatenräten eingehändigt war, hat den Boden aufgehoben, auf dem seine Existenz und seine Autorität fusste. Die Arbeiter- und Soldatenräte werden nunmehr mit verzehn­fachter Energie ihre Macht ausbauen und ihr Daseinsrecht…. zu verteidigen haben. Sie werden das gegenrevolutionäre Werk ihrer ungetreuen Vertrauensmänner für null und nichtig erklären…." (Rosa Luxemburg, 20. Dezember 1918).

Das Lebenselixier der Revolution – Die Massenaktivität

Die Orientierung der Spartakisten bestand dann auch darin, die Masseninitiative vor Ort zu intensivieren. Diese Ausrichtung haben die Spartakisten auf dem Gründungskongress der KPD, der nur 10 Tage nach dem Ende des Reichsrätekongresses stattfand, hervorgeho­ben. Wir werden in einem nächsten Artikel näher darauf eingehen.

Die Spartakisten hatten verstanden: Der Puls der Revolution schlägt in den Räten; die proletarische Revolution ist erste Revolution, die von der grossen Mehrheit der Bevölke­rung, von der ausgebeuteten Klasse gemacht wird. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Re­volutionen, die von Minderheiten durchgeführt werden konnten, kann die proletarische nur siegreich sein, wenn sie ständig gespeist, ständig vorangetrieben wird durch die Quelle der Aktivität der ganzen Arbeiterklasse. Die Räte und ihre Delegierte sind kein vom Rest der Klasse isolierter Teil, der sich von diesem abschotten und isolieren muss, oder die den Rest der Klasse in Passivität hält. Nein - die Revolution kann nur vorankommen durch die bewusste, wachsame, aktive und kritische Selbstbeteiligung der Klasse.

Für die Arbeiterklasse hiess dies, dass eine neue Stufe im Kampf eintreten musste, wo der Druck aus den Betrieben verstärkt werden musste. Die verstärkte Agitation der Kommu­nisten in den lokalen A/S-Räten stand für sie als oberste Priorität an. Sie folgten damit der gleichen Politik, wie sie Lenin schon im April 1917, als in Russland eine ähnliche Situation vorhanden war:

"Aufklärung darüber, dass die Sowjets der Arbeiterdeputierten die einzig mögliche Form der revolutionären Regierung sind und dass daher unsere Aufgabe, solange sich diese Regierung von der Bourgeoisie beeinflussen lässt, nur in geduldiger, systematischer, be­harrlicher, besonders den praktischen Be­dürfnissen der Massen angepasster Aufklä­rung über die Fehler ihrer Taktik bestehen kann. Solange wir in der Minderheit sind, besteht unsere Arbeit in der Kritik und Klar­stellung der Fehler, wobei wir gleichzeitig die Notwendigkeit des Übergangs der gesamten Staatsmacht an die Sowjets der Arbeiterdeputierten propagieren, damit die Massen sich durch die Erfahrung von ihren Irrtümern befreien" (Lenin, Aprilthesen, 4. These, April 1917. Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution) ..

Wir können aber die Dynamik in den Rä­ten nicht wirklich verstehen, wenn wir nicht die Rolle der Soldaten näher beleuchten.

Die revolutionäre Bewegung der Arbei­terklasse war vorangetrieben worden durch den Kampf gegen den Krieg. Dabei hatte der Widerstand der Arbeiter "zu Hause" die Sol­daten "an der Front" infiziert (der Anteil der Arbeiter unter den Soldaten war in Deutsch­land viel grösser als in Russland). Die Meute­reien der Soldaten wie die Erhebungen der Arbeiter hatten schliesslich die Bourgeoisie gezwungen, den Krieg zu beenden. Solange der Krieg dauerte, waren die kriegsmüden Soldaten die besten Verbündeten der Arbeiter. Dank dieses wachsenden Widerstandes ent­stand auch ein günstiges Kräfteverhältnis an der Front "zu Hause". Wie Liebknecht schrieb, destabilisierte das die Armee. Sobald der Krieg jedoch von der Bourgeoisie beendet worden war, kam es zu einer Spaltung inner­halb der Soldaten selbst. "Die Masse der Soldaten ist revolutionär gegen den Milita­rismus, gegen den Krieg und die offenkundi­gen Repräsentanten des Imperialismus; im Verhältnis zum Sozialismus ist sie noch zwiespältig, schwankend, unausgegoren. (Liebknecht, 19. November 1918).

Solange der Krieg fortdauerte und die Truppen noch mobilisiert blieben, hatten sich an vielen Orten Soldatenräte gebildet "Die Soldatenräte sind der Ausdruck einer aus allen Klassen der Gesellschaft zusammenge­setzten Masse, in der zwar das Proletariat bei weitem überwiegt, aber keineswegs das ziel­bewusste, klassenkampfbereite Proletariat; sie sind oft geradewegs von oben herab, durch das Eingreifen der Offiziere, auch hochfeuda­ler Kreise gebildet, die so in schlauer Anpas­sung ihren Einfluss auf die Soldaten zu be­wahren suchten und sich zu ihren Vertretern haben wählen lassen." (Liebknecht, November 1918).

Die Armee als solches ist natürlich ein klassisches Instrument, kontrolliert und diri­giert von dem Staat ergebenen Offizieren. In einer revolutionären Situation jedoch, wo es unter Tausenden von Arbeitern in Uniform brodelt, wo die alten hierarchischen Strukturen nicht mehr respektiert werden und Arbei­ter in Uniform gemeinsam Beschlüsse fassen, kann dies eine Armee zum Auseinanderbrechen, zur Spaltung bringen, insbesondere wenn die Soldaten bewaffnet sind. Dazu muss die Arbeiterklasse aber einen ausreichend starken Bezugspol darstellen - auf den sich die Arbeiter in Uniform zubewegen und mit ihnen verbrüdern können. Während des Krie­ges gab es diese Dynamik.

Deshalb beendete die Bourgeoisie den Krieg, um eine weitere Radikalisierung der Arbeiter in Uniform zu verhindern.

Aufgrund dieses Schrittes hatte es die herrschende Klasse geschafft, die Arbeiter "zu beruhigen" und sie von der Revolution "abzuschotten", während die Bewegung der Arbeiterklasse noch nicht stark genug war, um die Soldaten stärker auf die Seite der Arbeiter zu ziehen. Dadurch konnten die Manipulationen der Bourgeoisie in den Reihen der Solda­ten umso besser wirken.

Das Gewicht der Soldaten war bedeutsam während der aufsteigenden Phase der Bewe­gung - und es trug entscheidend zur Beendi­gung des Krieges bei. Aber ihre Rolle änderte sich, als die Bourgeoisie ihre Gegenoffensive begann.

Die Aufgabe kann nur international gelöst werden

Während die Kapitalisten sich im Krieg vier Jahre lang bekämpft, Millionen von Toten als Kanonenfutter geopfert hatten, war das Kapital sofort nach dem Ausbruch der Revo­lution in Russland und vor allem, als das Proletariat in Deutschland zum Sturmlauf ansetzte, bereit, sich zusammenzuschließen. Die Spartakisten hatten von Anfang an ver­standen, welche Gefahr aus der Isolierung der Arbeiterklasse in Russland und Deutschland entstehen würde.

Am 25. November richteten sie folgenden Aufruf:

„An die Proletarier aller Länder"

….die Stunde der Abrechnung mit der kapita­listischen Herrschaft hat geschlagen. Dies große Werk aber kann das deutsche Proleta­riat allein nicht vollbringen. es kann nur kämpfen und siegen. indem es die Solidarität der Proletarier der ganzen Welt anruft. Ge­nossen der kriegsführenden Länder, wir ken­nen Eure Lage. Wohl wissen wir, dass Eure Regierungen nun, da sie den Sieg errungen haben, manche Volksschichten durch den äußeren Glanz des Sieges blenden…. Eure siegreichen Kapitalisten stehen bereit. unsere Revolution, die sie wie die eigene fürchten. blutig zu unterdrücken. Ihr selbst seid durch den "Sieg" nicht freier, Ihr seid nur noch versklavter geworden. Gelingt es Euren herr­schenden Klassen, die proletarische Revoluti­on in Deutschland wie in Russland abzuwür­gen, dann werden sie sich mit doppelter Wucht gegen Euch wenden…. Deutschland ist schwanger mit der sozialen Revolution. aber den Sozialismus kann nur das Weltproletariat verwirklichen." (Spartakusbund, 25. Novem­ber 1918, in Rosa Luxemburg, Ges. Werke, Bd. 4, S. 418).

Während die SPD alles daran setzte, die Arbeiter in Deutschland von Russland abzu­koppeln, setzten sich die Revolutionäre mit aller Kraft für den Zusammenschluss der Arbeiterklasse ein.

Dabei waren sich die Spartakisten bewusst:

„Jetzt herrscht bei den Völkern der Entente begreiflicherweise ein mächtiger Siegestau­mel. und die Freude über die Zertrümmerung des deutschen Militarismus, über die Befreiung Belgiens und Frankreich ist so laut, dass wir ein revolutionäres Echo von Seiten der Arbeiterschaft unser bisherigen Feinde in diesem Augenblick nicht erwarten" (Liebknecht, 23. Dezember 1918).

Sie wussten, dass die Revolution eine ge­fährliche Spaltung in den Reihen der Arbeiter hinterlassen hatte. Und die Verteidiger des Kapitals, die SPD, gingen jetzt daran, die Arbeiterklasse in Deutschland gegen die Arbeiter anderer Länder auszuspielen. Dro­hung mit ausländischen Interventionen, all dies hat die herrschende Klasse seitdem mehrfach praktiziert.

Die Bourgeoisie hatte die Lehren aus Russland gezogen

Nachdem die Bourgeoisie und die Militärs unter Führung der SPD am 11. November aus Angst, die Arbeiterklasse könnte sich weiter radikalisieren und den "russischen Weg ein­schlagen", den Waffenstillstand geschlossen hatten, der Krieg damit zu Ende gebracht war, war eine neue Situation eingetreten.

Wie R. Müller, ein führendes Mitglied der Obleute meinte;

„Die ganze Kriegspolitik mit ihren Wir­kungen auf die Lage der Arbeiter, der Burg­frieden mit der Bourgeoisie, alles was die Arbeiter bis aufs Blut gereizt hatte, war ver­gessen" (R. Müller, S. 35).

Die Bourgeoisie hatte die Lehren aus Russland gezogen. Hätte die Bourgeoisie in Russland beispielsweise im März, April 1917 den Krieg beendet, wäre die Revolution im Oktober auch nicht möglich, auf jeden Fall viel schwerer gewesen. Der Krieg lässt sich zwar abstellen, um einer Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auch hier stand die Arbeiterklasse in Deutschland vor einer anderen Situation als ihre Klassenbrüder in Russland.

„Man kann nicht erwarten, wenn man auf dem Boden historischer Entwicklung steht, dass man in dem Deutschland, das das furcht­bare Bild des 4. August und der vier Jahre darauf geboten hat. plötzlich am 9. November 1918 eine großartige. klassen- und zielbewuss­te Revolution erlebt; und was wir am 9. No­vember erlebt haben. War u drei vierteln mehr Zusammenbruch des bestehenden Im­perialismus als Sieg eines neuen Prinzips. Es war einfach der Moment gekommen. wo der Imperialismus wie ein Koloss auf tönernen Füssen, innerlich morsch, zusammenbrechen musste. und was darauf folgte, war eine mehr oder weniger chaotische, planlose. sehr we­nig bewusste Bewegung, in der das einigende Band und das bleibende, das rettende Prinzip nur in der Losung zusammengefasst war: die Bildung der Arbeiter- und Soldatenräte…. Es waren eben die ersten Kinderschritte der Revolution, die noch Gewaltiges zu leisten hat und einen weiten Weg zu gehen hat, um her­anzuwachsen zur völligen Verwirklichung ihrer ersten Losung." (Rosa Luxemburg, Gründungsparteitag KPD)

Deswegen konnte man nicht den Anfang der Bewegung mit dem Ende verwechseln, denn

„Kein Proletariat der Welt, auch nicht, deutsche. kann die Spuren einer jahrtausendelangen Knechtung von heute auf morgen beseitigen. Sowenig die politische hat die geistige Verfassung des Proletariats am ERSTEN Tag der Revolution ihren höchsten Stand. Erst die Kämpfe der Revolution werden in jedem Sinne das Proletariat zur vollen Reife erheben. (Rosa Luxemburg, 3. Dezember 1918).

Die Laster der Vergangenheit

Den Spartakisten hatten recht zu sagen dass die Ursachen dieser großen Schwierigkeiten in den Lastern der Vergangenheit lagen. Denn das Vertrauen, das viele noch in die Politik der SPD hatten, war ein gefährliches Überbleibsel. Viele hielten zu einem guten Teil die Kriegspolitik der SPD für eine vorübergehende Verirrung. Sie hielten den ganzen Krieg für eine schändliche Mache der eben gestürzten Regierungsclique. Sie erinnerten sich an die einigermaßen erträgliche Lage vor dem Kriege und hofften, über das gegenwärtige Elend bald wieder und endgültig hinweg zu sein. Gegen neue Kriege schienen ihnen die Versprechungen Wilsons, der angekündigte Völkerbund, die Demokratie Sicherheit zu bieten, die demokratische Republik schien ihnen nicht als Bourgeoisie-Republik, sondern tatsächlich als der Boden, auf dem der Sozialismus sprießen könnte. Kurz um: der Druck der demokratischen Illusionen die mangelnde Erfahrung im Zusammenprallen mit den Saboteuren der SPD und der Gewerk­schaften waren ausschlaggebend: „In allen früheren Revolutionen traten Kämpfer mit offenem Visier in die Schranken: Klasse ge­gen Klasse, Programm gegen Programm, Schild gegen Schild…. Es waren (früher) stets Anhänger des gestürzten oder bedrohten Systems, die im Namen und zur Rettung dieses Systems gegenrevolutionäre Maßnahmen ergriffen…. In der heutigen Revolution treten die Schutztruppen der alten Ordnung nicht unter eigenen Schildern und Wappen der herrschenden Klasse, sondern unter der Fahne einer sozialdemokratischen Partei in die Schranken…. Die bürgerliche Klassen­herrschaft kämpft heute ihren letzten weltgeschichtlichen Kampf unter fremder Flagge, unter der Flagge der Revolution selbst. Es ist eine sozialistische Partei. es ist das ureigenste Geschöpf der Arbeiterbewegung und des Klassenkampfes. das sich in das wuchtigste Instrument der bürgerlichen Gegenrevolution verwandelt hat. Kern, Tendenz, Politik, Psy­chologie, Methoden - alles ist gut kapitali­stisch. Nur Schilder, Apparat und Phraseolo­gie sind vom Sozialismus übriggeblieben." (Rosa Luxemburg, 21. Dezember 1918).

Eine deutlichere Entblößung des Charak­ters der Konterrevolution in Gestalt der SPD konnte nicht formuliert werden.

Deshalb zeigten die Spartakisten die nächste, jetzt erforderliche Etappe auf:

„Der Umschlag der vorwiegend soldati­schen Revolution des 9. November in eine ausgesprochene Arbeiterrevolution, der ober­flächlichen, rein politischen Umwälzung in den langatmigen Prozess der wirtschaftlichen Generalauseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital erfordert von der revolutionären Arbeiterklasse einen ganz anderen Grad der politischen Reife, Schulung, Zähigkeit, als wie sie der ersten anfänglichen Phase genügten" (Rosa Luxemburg. 3. Januar 1919),

Zwar war die Bewegung Anfang Novem­ber nicht nur eine "Soldatenrevolution" gewe­sen, denn ohne die Arbeiter in den Fabriken hätten die Soldaten sich nie soweit radikali­sieren können. Die Spartakisten sahen die Perspektive eines wirklichen Schrittes voran, als in der zweiten Novemberhälfte und im Dezember im Ruhrgebiet und in Oberschlesi­en eine Welle von Streiks ausbrach. Das bedeutete eine Aktivierung der Arbeiterklasse in den Fabriken selbst, ein Zurückdrängen des Gewichtes der Soldaten. Denn nach dem Ende des Krieges kam es zum wirtschaftlichen Zusammenbruch und zu einer noch größeren Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiter. Im Ruhrgebiet legten viele Bergar­beiter die Arbeit nieder. Um ihre Forderungen durchzusetzen, zogen sie oft zu den anderen Bergwerken, damit mehr Bergleute sich ihnen anschlossen und sie ein größeres Gewicht hatten. Bald klangen die Streiks etwas ab, bald entfalteten sie sich mit neuer Kraft.

„In der heutigen Revolution sind die eben ausgebrochenen Streiks…. der erste Anfang einer Generalauseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit, sie läuten den Beginn des gewaltigen direkten Klassenkampfes ein, dessen Ausgang kein anderer sein kann als die Beseitigung des Lohnverhältnisses und Einführung der sozialistischen Wirtschaft. Sie lösen die lebendige soziale Kraft der gegen­wärtigen Revolution aus: die revolutionäre Klassenenergie der proletarischen Massen. Sie eröffnen die Periode der unmittelbaren Aktivität der breitesten Massen."

Deshalb betonte Rosa. Luxemburg zu­recht:

„Nach der ersten Phase der Revolution, der des vorwiegend politischen Kampfes, kommt eine Phase des verstärkten, gesteiger­ten, in der Hauptsache ökonomischen Kamp­fes....

In der kommenden Phase der Revolution werden sich die Streiks nicht nur immer mehr ausdehnen, sondern sie werden im Mittel­punkt, im entscheidenden Punkt der Revoluti­on stehen, zurückdrängend die rein politi­schen Fragen." (R. L., Gründungsparteitag der KPD).

Nachdem der Krieg durch die Bourgeoisie unter dem Druck der Arbeiter beendet, die Bourgeoisie eine politische Offensive einge­leitet, die ersten Versuche der Arbeiterklasse nach der Macht zu greifen abgewehrt worden waren, musste die Bewegung in eine neue Stufe eintreten. Entweder würde die Arbei­terklasse neue Schubkraft durch die Initiative der Arbeiter in den Fabriken entwickeln können, den "Umschlag in eine ausgespro­chene Arbeiterrevolution" schaffen, oder aber die Bourgeoisie würde ihre Offensive fortset­zen können.

Wir werden im nächsten Artikel auf die Frage des Aufstands, die grundlegenden Konzeptionen der Arbeiterrevolution und welche Rolle die Revolutionäre darin zu spielen haben und tatsächlich spielten, eingehen. DV


[1] In Köln war die revolutionäre Bewegung besonders stark. Innerhalb von 24 Stunden hatten am 9. November allein 45.000 Soldaten den Mili­taristen den Gehorsam verweigert und waren "auseinandergelaufen". Schon am 7. November waren revolutionäre Matrosen aus Kiel auf dem Weg nach Köln. Der spätere Bundeskanzler Ade­nauer, damals Bürgennt;ister von Köln, und die Führung der SPD trafen sofort Maßnahmen, um die "Lage zu beruhigen".

[2] Seitdem geht das Kapital immer mit der gleichen Taktik vor: 1980, als Polen von einem Massenstreik der Arbeiter erfasst wurde, wechselte das Kapital auch die Regierung aus. Die Liste der Beispiele ist endlos lange. Personen austauschen, um die Kapitalherrschaft nicht anzutasten

Theorie und Praxis: 

  • Deutsche Revolution [1]

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1919 - Deutsche Revolution [2]

Polemik mit Battaglia Comunista: Hinter der „Globalisierung" der Wirtschaft verbirgt sich die Krise des Kapitalismus

  • 2723 Aufrufe

Politiker, Ökonomen sowie die Medien versuchen mit den absurdesten Theorien den Bankrott des kapitalistischen Systems zu verschleiern und die unaufhörlichen Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu rechtfertigen.

Vor 25 Jahren erklärte Nixon, ein amerikanischer Präsident der konservativsten Sorte, der ganzen Welt: "Wir sind alle Keynesianer". Damals, angesichts der Vertiefung der Krise, präsentierte die Bourgeoisie die "staatliche Intervention" und die Entwicklung eines "Sozial- und Wohlfahrtsstaates" als magische Lösung für alle Probleme. Und im Namen dieser Politik wurden der Arbeiterklasse große Opfer abgerungen, denn nur so werde je das "Ende des Tunnels" erreicht werden.

Während der 80er Jahre, konfrontiert mit dem wirtschaftlichen Niedergang, wechselte die Bourgeoisie ihre Taktik. Nun war der Staat schuld an allem Übel und die neue Losung, das Heilmittel für alle Probleme, lautete: "weniger Staat". Dies waren die bitteren Jahre der "Reaganomics", welche seit den 30er Jahren die größte weltweite Welle von Entlassungen bedeuteten; Entlassungen, die wohlgemerkt vom Staat organisiert worden waren.

Heute hat sich die Krise des Kapitalismus derart verschärft, dass ausnahmslos alle Industriestaaten die Liquidierung der minimalsten sozialen Garantien auf die Tagesordnung setzen (Arbeitslosengelder, Renten, Krankenkassen- und Schulgelder; sogar Entlassungs­entschädigungen, Garantie des vollen Arbeitstages oder die Sozialversicherung), Garantien welche die Arbeiter unter der ideolo­gischen Maske des "Wohlfahrtsstaates" zugesprochen bekommen hatten. Diese erbarmungslosen Angriffe, dieser qualitative Sprung in der Tendenz zur schon von Karl Marx beschriebenen absoluten Verarmung der Arbeiterklasse, wird heute mit einer neuen Ideologie rechtfertigt, der "Globalisierung der Weltwirtschaft".

Die Diener des Kapitals haben den Mond entdeckt! Mit 150 Jahren Verspätung verkau­fen sie, als sei es die "größte Neuigkeit des Jahrhunderts" dasselbe, was schon Engels in den 1847 geschriebenen Grundsätzen des Kommunismus feststellte: "Es ist dahin ge­kommen, dass eine neue Maschine, die heute in England erfunden wird, binnen einem Jahre Millionen von Arbeitern in China außer Brot setzt. Auf diese weise hat die große Industrie alle Völker der Erde miteinander in Verbindung gesetzt, alle kleinen Lokalmärkte zum Weltmarkt zusammengeworfen, überall die Zivilisation und den Fortschritt vorberei­tet und es dahin gebracht, dass alles, was in den zivilisierten Ländern geschieht, auf alle anderen Länder zurückwirken muss. "

Der Kapitalismus musste sich auf die ganze Welt ausdehnen, musste sein ausbeuterisches Lohnsystem in jedem Winkel des Planeten einrichten. Die Integration aller bedeutenden Gebiete der Erde in den Weltmarkt gegen Ende des letzten Jahrhunderts und die Schwierigkeit, neue zu finden, welche den immer größer werdenden Hunger der kapita­listischen Expansion stillen konnten, kenn­zeichneten die Dekadenz der bürgerlichen Ordnung, wie es die Revolutionäre schon seit 80 Jahren aufzeigen.

In diesem Rahmen der permanenten Sätti­gung des Weltmarktes ist das 20. Jahrhundert Zeuge einer noch nie dagewesenen Verschär­fung der Konkurrenz unter den verschiedenen nationalen Kapitalien. Angesichts des immer zunehmenden Bedürfnisses der Realisierung des Mehrwertes werden die Märkte immer kleiner. Dies bedeutet für jedes nationale Kapital zweierlei: Zum einen den Zwang, seine eigenen Produkte mit einem größtmög­lichen Maß an Mitteln (Geldpolitik, Gesetzen, usw.) gegenüber den Konkurrenten zu be­schützen und zum anderen, eben gerade diese Konkurrenten dazu zu bewegen, ihre Tore für seine Produkte zu öffnen (Handelsabkommen, bilaterale Verträge, usw.).

Wenn bürgerliche Ökonomen von "Globalisierung" sprechen, täuschen sie damit vor, der Kapitalismus lasse sich bewusst und einheitlich auf der Basis der Gesetze des Weltmarktes verwalten. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: die Wirklichkeit des Weltmarktes bildet ihre eigenen Gesetze, dies jedoch in einem Rahmen, der durch den ver­zweifelten Versuch jedes nationalen Kapitals geprägt ist, diesen Gesetzen zu entrinnen und die Last auf die anderen abzuwälzen. Der heutige, "globalisierte" Weltmarkt stellt keineswegs eine Grundlage für Fortschritt, Einheit dar, sondern im Gegenteil; für Anar­chie und Zerfall. Die Tendenz im dekadenten Kapitalismus ist das Auseinanderbrechen des Weltmarktes, ausgelöst durch die zentrifuga­len Kräfte der nationalen Ökonomien, deren krankhaft aufgeblähte Staatsapparate mit allen Mitteln (auch militärischen) versuchen, das der Arbeiterklasse abgepresste Produkt gegen die Angriffe der Konkurrenz zu verteidigen. Während im letzten Jahrhundert die Konkur­renz zwischen Nationen zur Bildung und Vereinheitlichung des Weltmarktes führte, bedeutet heute im 20. Jahrhundert die organi­sierte Konkurrenz zwischen allen National­ Staaten genau das Gegenteil: Zerfall und Zersetzung des Weltmarktes.

Und genau aus diesem Grund kann "Globalisierung" einzig und allein mit Gewalt erwirkt werden. In den Jahren nach Yalta profitierten die USA und Russland von, ­Vorteilen der Blockdisziplin und installierte streng strukturierte Wirtschaftsorganisationen um den Welthandel (natürlich zu ihren Vortei­len!) zu kontrollieren: GATT, IWF, EG, COMECON im Ostblock, usw. Diese Organi­sationen, Ausdruck der militärischen und ökonomischen Stärke der jeweiligen Blockführer, waren aber nie wirklich fähig, die Tendenz hin zum Anarchismus zu überwinden und einen harmonischen und einheitlichen Weltmarkt zu schaffen. Die Auflösung der zwei großen imperialistischen Blöcke nach 1989[1] hat die Konkurrenz und das Chaos auf dem Weltmarkt noch beträchtlich be­schleunigt.

Wird die "Globalisierung" diese Tendenz aufhalten können? Laut den Predigern der "Globalisierung" hat der Teil des Weltmark­tes, welcher "schon vereinheitlicht" ist, eine "heilsame Ausstrahlung" auf die gesamte Ökonomie und wird in Zukunft die Krise überwinden und den "nationalen Egoismus" über Bord werfen lassen. Wenn wir aber all die Vorschläge überprüfen, welche die Ökonomen unter" Globalisierung" verstehen, so stellen wir fest, dass nicht einer ermöglicht, das Chaos und die sich verschärfende Krise zu "überwinden". Mit "Transaktionen über Internet" zu beginnen, bedeutet ein enormes Risiko von Zahlungsunfähigkeit, das bereits heute schon sehr hoch ist, in Kauf zu nehmen, was die ganze unerträgliche Schuldenlast nur zusätzlich erhöht. Wie wir bereits 1995 über die" Globalisierung" des Finanz- und Geld­marktes schrieben: "Eine Finanzkrise ist unvermeidlich. In gewisser Hinsicht ist sie bereits eingetreten. Selbst von einem kapita­listischen Standpunkt aus ist eine starke "Entleerung" des "Spekulationsballons " unentbehrlich. ( .. ) Heute hat der Spekulati­onsballon, und allem voran die Staatsver­schuldung, unerhört zugenommen. Unter diesen Umständen ist es unmöglich vorauszu­sagen, wo genau die Spannung diese Ballons endet. Doch auf jeden Fall wird es eine mas­sive Zerstörung von fiktivem Kapital bedeu­ten, was ganze Teile des Weltkapitals ruinie­ren wird. "[2]

Was heutzutage an "Globalisierung" tat­sächlich vorhanden ist, unterscheidet sich krass von dem, was uns an Propaganda dar­über vorgespielt wird. Es ist eine Antwort auf die zwei dringendsten Probleme mit welchen der heutige Staat in der kapitalistischen' Krise konfrontiert ist:

- die Senkung der Produktionskosten;

- die Zerstörung der protektionistischen

Hindernisse, damit die wettbewerbsfähigsten Kapitalismen die immer reduzierteren Märkte noch ausschöpfen können.

Was die Senkung der Produktionskosten betrifft, schrieben wir bereits: "Die Verschär­fung der Konkurrenz unter den Kapitalisten, welche durch die Überproduktionskrise und das Schwinden von zahlungsfähigen Märkten nur verschlimmert wird, zwingt sie in einem zügellosen Tempo zur permanenten Moderni­sierung des Produktionsprozesses, zur Erset­zen von Menschen durch Maschinen, um die Produktionskosten zu senken. Derselbe Wett­lauf zwingt sie zur Verlagerung eines Teils der Produktion in Länder, in welchen die Arbeits­kraft billiger ist (China und Südostasien als aktuelle Beispiele)."[3]

Dieser zweite Aspekt der Senkung der Produktionskosten (die Verlegung von Teilen der Produktion in Länder mit tieferen Löh­nen) hat sich in den 70er Jahren beschleunigt. Wir sehen heute, wie die "demokratischen" Kapitalisten wieder gute Geschäfte mit dem stalinistischen Regime in China machen, um zu Spottpreisen Disketten, Turnschuhe, Com­puterhardware usw. zu produzieren. Das Aufblühen der berühmten "asiatischen Dra­chen" basiert lediglich auf der Tatsache, dass die Produktion von Computern, Stahl, Elek­tronikgeräten usw. in diese "Billiglohn ­Paradiese " verlegt wurde. Der von den Schlägen der Krise geplagte Kapitalismus ist gezwungen; bis aufs Äußerste von den unterschiedlichen Lohnkosten zu profitieren: "Die absoluten Lohnkosten (inklusive Steuern) in der Industrie der verschiedenen, sich entwickelnden Länder, welche Waren herstellen und exportieren sowie auch Dienstleistungen erbringen, variieren zwischen 3% (Madagaskar, Vietnam) und 40% des Durch­schnitts der reichsten Länder Europas. In China betragen sie zwischen 5 und 16%, in Indien zirka 5%. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks entstand heute vor den Toren der Europäischen Union ein Reservoir an Arbeitskraft, dessen Lohnkosten 5% (Rumänien) oder 20% (Polen und Ungarn), verglichen mit denjenigen in Deutschland, nicht überschreitet. "[4]

Das ist der erste Aspekt dieser "Globalisierung". Seine Folgen sind eine weltweite Senkung des durchschnittlichen Einkommens in der ganzen Welt, sowie auch Massenentlassungen in den großen Industrie­zentren, ohne dass diese vernichteten Arbeits­plätze in den neugeschaffenen hochautomati­sierten Betrieben durch die Entstehung neuer Arbeitsplätze wieder kompensiert werden können. Weit davon entfernt, die chronische Krankheit des Kapitalismus (die Sättigung der Märkte) heilen zu können, hat die "Globalisierung" die Situation durch eine Reduktion der Nachfrage in den großen In­dustrieländern nur verschärft ohne die gleich­zeitige Möglichkeit, sie durch ein Anwachsen der Konsumption in den "aufblühenden" Ländern auszugleichen.[5]

Was die Überwindung der Zollhindernisse betrifft, hat der Druck der "großen" Staaten zur Folge, dass Länder wie Indien, Mexico oder Brasilien ihre Einfuhrzölle bis hin zu einer beträchtlichen Verschuldung senken. Dieselben Methoden wurden in den 70er Jahren angewandt und rührten zur katastrophalen Krise im Jahre 1982. Mit solchen Methoden dem Kapitalismus eine Erleichte­rung verschaffen zu können ist eine absolute Illusion: "... der neulich aufgetretene Finanzkrach bei einem anderen "Modellfall", Mexi­co, dessen Währung mehr als die Hälfte von heute auf morgen verlor, und eine dringende Finanzspritze von nahezu 50 Mrd. Dollar an Sofortkrediten erforderlich machte (bei wei­tem die größte "Rettungsoperation " in der Geschichte des Kapitalismus), fasst die Wirk­lichkeit des Wunders zusammen, das sich hinter vielen" Schwellenländern" der 3. Welt verbirgt."[6]

Als Resultat der" Globalisierung" können wir heute keine Verminderung des Protektio­nismus oder staatlicher Interventionen in den Handel feststellen, sondern ganz im Gegenteil eine Verstärkung der traditionellen Methoden durch neuere:

- Derselbe Clinton, welcher 1995 Japan zur Öffnung seiner Grenzen für amerikanische Produkte zwingen konnte, der dauernd seine "Verbündeten" zum "freien Welthandel" auffordert, lieferte mit der Erhöhung der Einfuhrzölle für Flugzeuge, Stahl und Land­wirtschaftsprodukte und Beschränkungen für den Kauf von ausländischen Produkten durch den Staat seit seiner Wahl wohl das deutlich­ste Beispiel für diese Politik.

- Die berühmte Uruguay-Runde, welche zur Ersetzung des alten GATT durch eine neue Welthandelsorganisation führte, enthielt nichts als eine absolut illusionäre Vereinba­rung: die Abschaffung der Zölle in 10 indu­striellen Sektoren und die Reduktion um 30% in 8 weiteren Sektoren, dies alles verteilt auf zehn Jahre!

- Ein deutliches Beispiel des Neoprotek­tionismus sind die Ökologie-, Gesundheits­-, oder Wohlfahrtsnormen; die hochindu­strialisierten Länder errichten für ihre Kon­kurrenten ungeheure Tarife:"in der neuen Welthandelsorganisation kämpfen Industriekreise, Gewerkschaften und Grüne dafür, dass die kollektiven Güter, die die Umwelt, der soziale Wohlstand etc. mit den dazugehörigen Normen nicht durch den Markt, sondern durch die nationale Staatsgewalt, welche auf diesem Gebiet keine anderen Kräfte dulden kann, festlegt werden.“[7]

Die Bildung von "Handelszonen" (EU, Abkommen in Südostasien, Nordamerikani­sche Freihandelszone, usw.) widersprechen dieser Tendenz keinesfalls, da sie lediglich ein Mittel für einzelne Gruppen kapitalistischer Länder sind, sich im Kampf gegen ihre stärk­sten Rivalen Schutzzonen einzurichten. Die USA reagierte auf die EU mit ihrer Freihan­delszone, während Japan, mit beidem kon­frontiert, sich als Initiator einer Einheit unter den asiatischen "Drachen" betätigte. Diese "regionalen Handelspartnerschaften " versu­chen sich vor der Konkurrenz zu schützen, während sie selbst eigentliche Schlangennester darstellen, in denen sich die Handelskonflikte zwischen den Partnern tagtäglich verschärfen. Es genügt vollends, sich das erbauliche Spektakel der" harmonischen" EU vor Augen zu führen, welche dauernd von den Streitereien der 15 Mitgliederstaaten geschüt­telt wird.

Machen wir uns nichts vor! Die abwei­chendsten Tendenzen, welche den Zerfall des Weltmarktes anzeigen, beweisen es dauernd:

"Heutzutage hat die Unsicherheit im Geldsek­tor international solche Masse angenommen, dass wir das Wiederaufblühen der anarchi­stischsten Formen des Handels beobachten können. In anderen Worten: den direkten Handel von Waren, ohne Geld als Zwi­schenglied zu benutzen." (8) [8]Eine andere Waffe, welche kapitalistische Staaten, und wohlverstanden: die reichsten, zur Hand haben, ist die Entwertung des Geldes, welche es' erlaubt, die eigenen Waren billiger zu verkaufen und die der Konkurrenten zu ver­teuern. Alle Versuche, die Ausbreitung und Verallgemeinerung dieser Praktiken zu verhindern, endeten in einem Fiasko, wie der Kollaps des europäischen Währungssystems deutlich zeigt.

Die „Globalisierung“, ein ideologischer Angriff gegen die Arbeiterklasse

Es wird immer deutlicher, dass die "Globalisierung" nichts anderes als ein ideo­logischer Schleier ist, mit dem versucht wird, den Zusammenbruch des Kapitalismus in einer generalisierten Krise und das anwach­sende Chaos, in dem der Weltmarkt versinkt, zu verschleiern.

Nichtsdestotrotz       gebärdet        sich    die "Globalisierung" sehr ehrgeizig. Es wird nicht weniger als die Überwindung oder gar die „Zerstörung" (nach den Worten der kühnsten "Globalisten") des Nationalstaates verspro­chen. Einer der bekanntesten Geschäftsgurus, der Japaner Kenichi Ohmae beispielsweise predigt folgendes: "…. in wenigen Worten, in wirklichen ökonomischen Begriffen ausge­drückt, haben die Nationalstaaten ihre Rolle als bedeutende Einheit in der Teilnahme am heutigen freien, grenzenlosen Weltmarkt verloren."[9] Des weiteren betitelt er Natio­nalstaaten als einen "brutalen Filter" und verspricht uns ein Paradies der "globalen" Wirtschaft: "In demselben Masse, wie die Zahl von Personen ansteigt, welche den bru­talen, die verschiedenen Gebiete der Weltwirtschaft nach altem Gewohnheitsrecht abtrennenden Filter durchbrechen, verschiebt sich die Macht über die ökonomischen Aktivi­täten unvermeidlich aus den Händen der zentralen Regierungen der Nationalstaaten in die Hände der grenzenlosen Geflechte von unzähligen, individuellen und auf dem Markt basierenden Entscheidungen."[10]

Das Proletariat ist die einzige Klasse, die überhaupt fähig ist, einen Kampf gegen den Nationalstaat zu führen. Wie wir jedoch sehen, kennt die Verlogenheit der bürgerli­chen Ideologie keine Grenzen: sie präsentie­ren sich hier als die großen Vorreiter des "Kampfes gegen die nationalen Interessen". Als ein Höhepunkt dieser überschwänglichen Lügen, nannten zwei Autoren desselben Schlages, Alexander King und Bertrand Schneider, ihr Buch sogar "Die erste weltwei­te Revolution".

Ihre gefährliche Rolle jedoch spielt diese antinationale "Angst" im Rahmen der ideo­logischen Offensive der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse. Ein Teil dieser Offensive besteht darin, das Proletariat in die Falle einer falschen Entscheidung zu locken:

- Auf der einen Seite unterstreichen die politischen Kräfte, welche offensiv die "Globalisierung" vertreten (in Europa sind dies die Anhänger von Maastricht), die Not­wendigkeit," den rückschrittlichen nationalen Egoismus zu überwinden", sich in die" weltweite Einheit" zu integrieren, um so die Krise zu überwinden.

- Auf der andern Seite versuchen die lin­ken Parteien (vor allem wenn sie in der Op­position sind) und die Gewerkschaften, die Verteidigung der Interessen der Arbeiter, welche angeblich durch "nationalverräterische" Regierungen attackiert wür­den, an das Interesse des Nationalstaates zu binden.

Die Anhänger der "Globalisierung“, die angeblichen Totengräber der nationalen Inter­essen, wettern gegen die "sozialen Mindestgarantien" gegen die Sozialhilfe, Entlas­sungsentschädigungen, Arbeitslosen- und Pensionsgelder, Stipendien, Wohnungsunter­stützung, Arbeitsbestimmungen welche die Länge des Arbeitstages festlegen, Arbeitstem­pobeschränkungen, Verbot der Kinderarbeit usw. All dies stellen sie dar als "schreckliche" Fesseln des Nationalstaates, der Gefangener sei von dieser heimlichen Lobby, die die Interessen der Arbeiter vertrete.

Wenn man den verlogenen Schleier von "Überwindung der Krise" oder "Internationalität des Individuums auf einem freien Markt" lüftet, sehen wir mit aller Klar­heit den wirklichen Inhalt der "Globalisierung". Es ist nichts anderes als das neue Alibi für die Angriffe, zu welchen jeder Nationalstaat in der heutigen Krise gezwungen ist: das Streichen der "sozialen Mindestgarantien", aller Sozialleistungen und Arbeitsgarantien, die durch die Krise untrag­bar geworden sind.

Und genau hier kommt der andere Trumpf des ideologischen Angriffs der Bourgeoisie ins Spiel, welcher durch die Gewerkschaften und die Linken verkörpert wird. In den letzten fünfzig Jahren waren diese "sozialen Min­destgarantien" das Aushängeschild des sog. Wohlfahrtsstaates, der sozialen Fassade des Staatskapitalismus. Der "Sozialstaat" wurde den Arbeitern als Fähigkeit des Kapitalismus, die Ausbeutung lindern zu können, darge­stellt, als der konkrete "Beweis", dass inner­halb des Nationalstaates Klassenversöhnung und die Verschmelzung von Klasseninteressen möglich seien.

Die Gewerkschaften und die Linken (vor allem wenn sie in der Opposition sind) prä­sentieren sich als die größten Verteidiger des "Sozialstaates". Sie behaupten, dass sich der wahre Konflikt zwischen den "nationalen Interessen", welche die Beibehaltung gewis­ser "sozialer Mindestgarantien" ermöglichen würden, und dem "verräterischen Globalis­mus" abspielt. Dies war einer der Hauptaspekte im Manöver der französischen Bourgeoisie während der Streiks im Herbst 95. Die Bewegung wurde als eine Demon­stration gegen Maastricht dargestellt, als ein allgemeiner Ausdruck der Bevölkerung gegen die mühsamen Forderungen der Maastrichter "Abkommen". Und es waren genau die Gewerkschaften, welche diese "Bewegung" so in eine Sackgasse führten.

Die Widersprüche von Battaglia Comunista bezüglich der Globalisierung

Die Aufgabe der Gruppen der Kommunistischen Linken (aus der die zukünftige prole­tarische Weltpartei hervorgehen wird) besteht darin, dieses ideologische Gift kompromisslos zu denunzieren. Angesichts dieser neuen Attacken darf die Arbeiterklasse nicht zwi­schen dem "nationalen Interesse" und der "Globalisierung" wählen. Ihre Forderungen liegen nicht in der Verteidigung des Wohl­fahrtsstaates, sondern in der unnachgiebigen Verteidigung ihrer Klasseninteressen. Die Perspektive ihres Kampfes liegt nicht im falschen Dilemma zwischen "Sozialpatriotismus" und "Globalisierung", sondern in der Zerstörung des Staatskapita­lismus in allen Nationen.

Battaglia Comunista (BC) hat die Frage der "Globalisierung" wiederholt aufgegrif­fen und ihr in Prometeo, ihrer theoretischen, halbjährlich erscheinenden Revue, mehrere Artikel gewidmet. Wir wollen unterstreichen, dass BC mit großer Entschlossenheit eine Reihe von Positionen der Kommunistischen Linken verteidigt:

- BC denunziert die "Globalisierung" kompromisslos als einen mächtigen Angriff gegen die Arbeiterklasse und bemerkt, dass ihre Grundlage "in der progressiven Verar­mung des Weltproletariats und in der Ent­wicklung der gewalttätigsten Form der Ü­berausbeutung"[11] liegt;

- BC verwirft die Anschauung, dass die "Globalisierung" eine Überwindung der Widersprüche des Kapitalismus darstelle: "Es ist wichtig zu unterstreichen, dass die kürzlich eingetretenen Veränderungen der Weltwirt­schaft gänzlich im Rahmen des Prozesses von Konzentration und Zentralisation zu sehen sind. Sie sind gewiss Ausdruck einer neuen Stufe, jedoch keinesfalls der Überwindung der dem Kapitalakkumulationsprozess innewoh­nenden Widersprüche"[12];

- BC anerkennt die Tatsache, dass die Re­strukturierung und die "technologischen Innovationen", die der Kapitalismus in den 80er und 90er Jahren erfuhr, keinesfalls eine Ausweitung des Weltmarktes darstellten: „(..) entgegen den Hoffnungen hat die auf der Einführung neuer, die Arbeitskraft ersetzen­der Technologien basierende Restrukturie­rung keine neuen kompensatorischen produk­tiven Aktivitäten geschaffen, sondern im Gegenteil den "circulus vitiosus" unterbro­chen, der die mächtige Entwicklung der Weltwirtschaft in der ersten Phase des mono­polistischen Kapitalismus prägte. Erstmals zogen die zusätzlichen Investitionen an eine Erhöhung sowohl eine absolute als auch eine relative Reduktion der in der produktiven Sphäre angewendeten Arbeitskraft nach sich"[13];

- BC verwirft jegliche Illusion, die darauf abzielt, die "Globalisierung" als eine har­monische und ordentliche Form der globalen Produktion anzusehen und bekräftigt ohne die geringste Zweideutigkeit, dass "wir dem Pa­radox eines Systems beiwohnen, das mittels der Monopole ein Maximum an Rationalität realisieren will, jedoch lediglich die extremste Irrationalität hervorbringt: Alle gegen alle, jedes Kapital gegen alle anderen Kapitale, jedes Kapital gegen jedes "[14];

- BC erinnert daran, dass "der Zusammen­bruch (des Kapitalismus) nicht das mathema­tische Resultat der wirtschaftlichen Wider­sprüche darstellt, sondern das Werk der Ar­beiterklasse, die das Bewusstsein erlangt hat, dass diese nicht die beste aller Welten sei"[15]. Wir unterstützen diese Positionen, und ausgehend von dieser Übereinstimmung wollen wir einige Verwirrungen und Wider­sprüche, an denen BC unseres Erachtens leidet, bekämpfen. Diese Polemik ist gewiss nicht ein Spaß, sie hat ein klares militantes Ziel: Angesichts der Verschärfung der Krise ist es lebensnotwendig, Theorien wie diejeni­gen der "Globalisierung" zu denunzieren, deren Ziel die Vernebelung des Bewusstseins darüber ist, dass der Kapitalismus heute die "schlechteste aller möglichen Welten" ist und konsequenterweise auf der ganzen Welt zer­stört werden muss.

Uns überrascht zuallererst, dass BC denkt, dass "dank dem Fortschritt in der Mikroelek­tronik einerseits und auf dem Gebiet der Telekommunikation andererseits in der Or­ganisation des Produktionszyklus die Welt sich nun tatsächlich vereinigt hat."[16] Die Genossen sind hier von den von der Bour­geoisie ständig wiederholten Eseleien über das "vereinigende Wunder" der Telekommu­nikation und des Internet eingenommen und vergessen dabei folgendes: "Und wenn die Internationalisierung der kapitalistischen "Interessen nur die eine Seite der Internatio­nalisierung des Wirtschaftslebens zum Aus­druck bringt, so ist notwendig, auch ihre andere Seite zu betrachten. Das heißt jenen Prozess der Nationalisierung der kapitalisti­schen Interessen, der die Anarchie der kapi­talistischen Konkurrenz im Rahmen der Weltwirtschaft am schroffsten zum Ausdruck bringt, der zu den größten Erschütterungen und Katastrophen, zur größten Verschwen­dung der menschlichen Energie führt, und der das Problem der Errichtung neuer Formen des gesellschaftlichen Lebens mit dem größ­ten Nachdruck auf die Tagesordnung stellt"[17].

Eine andere schwäche der Analyse von BC liegt in der befremdlichen Entdeckung, gemäß der "der ehemalige Präsident der Ver­einigten Staaten, Nixon, als er die historische Entscheidung traf, die Vereinbarungen von Bretton Woods fallen zu lassen und die Nicht-Konvertibilität des Dollars zu erklären, weit davon entfernt war, sich vorzustellen, dass er den Weg für einen der gigantischsten Trans­formationsprozesse der kapitalistischen Pro­duktionsweise frei machte. Es öffnete sich also eine Periode tiefgreifender Veränderun­gen, die in weniger als 20 Jahren die Bezie­hungen der imperialistischen Herrschaft zu den außerordentlichsten Konsequenzen zwang."[18]

Man darf nicht als Grund analysieren (die berühmte Entscheidung über die Nicht­ Konvertibilität des Dollar von 1971), was lediglich eine Auswirkung der Zuspitzung der kapitalistischen Krise war und was keinesfalls auch nur die geringste Veränderung "in den Beziehungen der imperialistischen Herr­schaft" nach sich zog. Die ökonomische Betrachtungsweise von BC, die wir bereits wiederholt kritisiert haben, treibt sie dazu, einem Ereignis Wirkungen zuzuschreiben, das keinerlei Konsequenz in der Konfrontation der damals bestehenden imperialistischen Blöcke nach sich zog.

Dagegen ist die Hauptgefahr, dass BC der bürgerlichen Mystifikation die Tür öffnet, wonach sich der gegenwärtige Kapitalismus am "ändern und transformieren" sei. Schon in der Vergangenheit wies BC die Tendenz auf, sich von jeder "wichtigen Transformati­on", die die Bourgeoisie in die Diskussion geworfen hatte, aus der Fassung bringen zu lassen. Battaglia Comunista ließ sich bereits von "Neuheiten" der "technologischen Revolution" verführen, später vom Trugbild der durch die "Befreiung" der Ostblockländer geöffneten Märkte. Heute halten sie gewisse Mystifikationen über die "Globalisierung" für klingende Münze: "Der Schritt zur Zen­tralisierung des Einsatzes der wirtschaftlichen Variablen auf kontinentaler Ebene oder in Währungszonen bringt als Sachzwang eine unterschiedliche Verteilung des Kapitals auf die verschiedenen Produktionssektoren und damit auch den Finanzsektor mit sich. Nicht nur die kleinen und mittleren Unternehmen, sondern ebenso die Gruppen von bedeutender Dimension riskieren, marginalisiert oder von anderen mit allen Konsequenzen absorbiert zu werden. Für viele Länder birgt dies die Gefahr des Auseinanderbrechens der nationa­len Einheit in sich, wie uns dies die Ereignisse in Jugoslawien oder im ehemaligen sowjeti­schen Block aufzeigten. Die Kräfteverhältnis­se zwischen den verschiedenen Fraktionen der Weltbourgeoisie werden tiefgreifende Veränderungen erfahren und zunehmende Spannungen und Konflikte nach sich ziehen. Dies wird auch den Globalisierungsprozess erschüttern, vielleicht verlangsamen oder gar blockieren."[19]

Wir entdecken mit Bestürzung, dass sie die imperialistischen Spannungen, den Zusam­menbruch von Nationen, den Konflikt in Jugoslawien nicht durch die Dekadenz und den Zerfall des Kapitalismus, die Verschär­fung der historischen Krise des Systems, erklären, sondern dass sie Phänomene des "Globalisierungsprozesses" seien! BC gleitet hier von der Analyse der Kommunistischen Linken (Dekadenz und historische Krise des Kapitalismus) in das mystische Gefasel der Bourgeoisie über die" Globalisierung" ab.

Es ist essentiell, dass die Gruppen der Kommunistischen Linken die Augen vor diesen Mystifikationen nicht verschließen und entschlossen die revolutionäre Position ver­teidigen, die unterstreicht, dass in der Deka­denz und konkreter in der Periode der offenen Krise seit Ende der 60er Jahre, die verschie­denen Versuche des Kapitalismus zur Brem­sung des eigenen Zusammenbruches keine reale Veränderung gebracht haben, sondern lediglich und ausschließlich eine Verschär­fung und Beschleunigung der Krise[20]. In unserer Antwort auf das IBRP in der Revue Internationale Nr. 82 zeigen wir klar, dass es nicht darum geht, diese Versuche zu ignorie­ren, sondern darum, sie im Rahmen der Posi­tionen der Kommunistischen Linken zu ana­lysieren.

"Globalisierung" und Nationalstaat

Am schwerwiegendsten zeigen sich die Konsequenzen aus den Widersprüchen von BC bezüglich der Rolle der Nationalstaaten. BC denkt, dass die berühmte "Globalisierung" die Rolle der Nationalstaa­ten tiefgreifend verändern und schwächen würde. Sie behaupten sicherlich nicht nach dem Vorbild des Samurai Kenichi Ohmae, dass der Nationalstaat Blei an den Flügeln habe. Auch anerkennen sie mehrere Punkte, die wir teilen:

- Der Nationalstaat behält seinen Klassen­charakter;

- Der Nationalstaat ist ein aktiver Faktor in den Veränderungen des gegenwärtigen Kapi­talismus;

- Der Nationalstaat steckt nicht in der Krise.

Dagegen sagt BC: "…Einer der gewiss in­teressantesten Aspekte der Globalisierung der Wirtschaft ist mit der transnationalen Inte­gration der großen industriellen und finan­ziellen Konzentrationen gegeben, die rein durch ihre Dimension und ihre Macht die Nationalstaaten bei weitem überbieten."[21]

Was man von diesen "interessanten Aspekten" ableiten kann, ist, dass im Kapita­lismus dem Nationalstaat übergeordnete Einheiten existieren würden, die berühmten "transnationalen" Monopole. Dies wiederum bedeutet die Verteidigung einer revisionisti­schen These, die das marxistische Prinzip verneint, dass die höchste Einheit des Kapita­lismus der Staat sei. Der Kapitalismus kann niemals wirklich den Rahmen des Nationalstaates überwinden, noch weniger kann er internationalistisch sein. Sein "Internationalismus" beschränkt sich, wie wir das gesehen haben, auf die Beherrschung rivalisierender Nationen oder die Eroberung eines möglichst großen Anteils am Weltmarkt.

Im Editorial des Prometeo Nr. 9 bestätigt sich diese Revision des Marxismus: „Die produktiven und/oder finanziellen multinatio­nalen Unternehmen überwinden durch ihre Macht und ihre ökonomischen Interessen die verschiedenen staatlichen Formationen. Die Tatsache, dass die Zentralbanken der ver­schiedenen Staaten unfähig sind. auf die täglichen spekulativen Angriffe einer Hand­voll Finanzunternehmen zu reagieren oder ihnen Paroli zu bieten, spricht Bände über die Veränderung der zwischenstaatlichen Bezie­hungen."

Muss man daran erinnern, dass gerade die­se armen machtlosen Staaten genau diejenigen sind, die die Finanzkolosse besitzen (oder wenigstens strikt kontrollieren)? Ist es not­wendig, BC zu enthüllen, dass sich diese "Handvoll Monster" aus "respektablen" Bank- und Sparinstitutionen zusammensetzen, deren Verantwortliche direkt oder indirekt von ihren entsprechenden Nationalstaaten be­stimmt werden?

BC beißt nicht nur am Haken dieser an­geblichen Opposition zwischen Staaten und Multinationalen an, sondern geht noch viel weiter und entdeckt dass "aus diesen Gründen stets größere Kapitale ... Kolosse hervorge­bracht haben, die die ganze Weltwirtschaft kontrollieren. Es genügt, daran zu denken, dass die Big Three von den 30er bis in die 70er Jahre Automobilunternehmen waren (General Motors, Chrysler und Ford), und dass es heute drei ebenfalls amerikanische Finanzunternehmen sind: Fidelity Invest­ments, Vanguard Group, Capital Research & Management. Die in diesen Finanzgesell­schaften angehäufte Macht ist immens und geht weit über diejenige des Staates hinaus. Ja, die Staaten haben in den letzten zehn Jahren jegliche Kontrollmöglichkeit über die Weltwirtschaft verloren."[22]

Erinnern wir uns, dass in den 70er Jahren der Mythos der berühmten transnationalen Petrolunternehmen sehr in Mode war. Die Linken wollten uns damals ständig eintrich­tern, dass das Kapital nun "transnational" sei, und dass deshalb die "große Forderung" der Arbeiter die Verteidigung der nationalen Interessen sein solle.

Gewiss verwirft BC diese Mystifikation, kommt aber ihrer "theoretischen" Begrün­dung entgegen, da sie den Anschein erwec­ken, dass die Staaten die Kontrolle über die Weltwirtschaft zugunsten "dieser heimatlosen Mammute" verloren hätten.

Die Multinationalen sind Instrumente ihrer Nationalstaaten. IBM, General Motors, Exxon usw. sind durch verschiedene Stränge mit dem amerikanischen Staat verbunden: ein wichti­ger Anteil ihrer Produktion (40% für IBM) wird direkt von ihm aufgekauft, was sich direkt oder indirekt in der Nomination der Direktoren zeigt[23]. Eine Kopie von jedem neuen Informatikprodukt muss obligatorisch beim Pentagon abgeliefert werden.

Unglaublicher weise schluckt BC die Lüge der weltweiten Supermacht dieser drei Inve­stitionsfonds! Erstens verfugen die Investiti­onsfonds über keine reale Autonomie, sie sind lediglich Instrumente der Banken, der Spar­kassen oder Staatsinstitutionen wie den Ge­werkschaften, den Pensionskassen usw. Ihr direkter oder indirekter Chef ist ihr Nationalstaat. Zweitens sind sie einer strikten Regle­mentierung seitens des Staates unterworfen:

Er bestimmt den prozentualen Anteil, den sie in Aktien, Obligationen, im Ausland usw. anlegen dürfen.

"Globalisierung" und Staatskapitalismus

Dies führt uns zu einer grundlegenden Frage, nämlich nach derjenigen des Staats­kapitalismus. Ein prägender Zug des dekaden­ten Kapitalismus liegt in der Konzentration des nationalen Kapitals in den Händen des Staates. Er wird das Zentrum, um das herum jedes nationale Kapital seinen Kampf organisiert, einerseits gegen die Arbeiterklasse andererseits gegen die anderen nationalen Kapitale.

Die Staaten sind nicht Instrumente der Unternehmen, so groß sie auch sein mögen; genau das Gegenteil zeigt sich im dekadenten Kapitalismus: Die großen Monopole wie bspw. die Banken unterwerfen sich dem Dik­tat des Staates und gehorchen seinen Direkti­ven. Die Existenz von supranationalen Mächten, die sich über mehrere Staaten span­nen und ihnen auch die Politik diktieren, ist unmöglich. Genau im Gegenteil werden die Multinationalen von ihren entsprechenden Staaten dazu genutzt, die eigenen wirtschaftli­chen und imperialistischen Interessen zu verfolgen.

Wir wollen keinesfalls behaupten, dass die Großunternehmen wie Ford oder Exxon le­diglich einfache Marionetten ihrer Staaten seien. Natürlich verteidigen sie ihre eigenen Partikularinteressen und treten manchmal in Gegensatz zu ihrem Nationalstaat. Eine wirk­liche Fusion zwischen Privatkapital und Staat verwirklichte sich im Staatskapitalismus östlicher Prägung, so dass sie gesamthaft gesehen jenseits auftauchender Konflikte und Widersprüche in Kohärenz zur Verteidigung des nationalen Interesses und der totalitären Führung des Staates handelten.

BC wirft ein, dass es schwierig sei zu be­stimmen, zu welchem Staat Shell gehöre, dies sei aber auch bei anderen multinationalen Unternehmen mit einem vielfältigen Aktiona­riat der Fall. Darüber hinaus, dass es sich hier um außergewöhnliche Beispiele handelt, die keineswegs die Realität des Kapitalismus wiedergeben, muss man hier anfügen, dass die Eigentumstitel keineswegs den wirklichen Besitzer eines Unternehmens bestimmen. Im Staatskapitalismus dirigiert und bestimmt der Staat die Funktionsweise der Unternehmen, selbst wenn er keine einzige Aktie hält. Er bestimmt die Preise, die kollektiven Überein­kommen, die Exportquoten, die Produktions­quoten usw. Er bestimmt die Verkäufe des Unternehmens, da er in der Mehrzahl der produktiven Unternehmen der Hauptabneh­mer ist. Über die Fiskal-, Monetär- und Kre­ditpolitik bestimmt er klar die Entwicklung des "freien Marktes". BC berücksichtigt diese grundlegenden Aspekte der revolutionären Analyse der Dekadenz nicht. Sie ziehen es vor, einem Teilaspekt der Anstrengung zum Verständnis der ganzen Tragweite des Impe­rialismus von Lenin und den Revolutionären seiner Zeit die Treue zu halten: der Theorie von Lenin über das Finanzkapital, die er von Hilferding aufgenommen hatte. In seinem Werk über den Imperialismus sieht Lenin klar die Periode der Dekadenz eintreten, die die Notwendigkeit der proletarischen Revolution auf die Tagesordnung stellt. Jedoch verbindet er diese Epoche mit der Entwicklung des Finanzkapitals als parasitärem Monster, das aus dem Prozess der Kapitalkonzentration hervorgeht.

" ... viele Gesichtspunkte in Lenins Defini­tion des Imperialismus (sind) heute nicht mehr gültig (..) und (waren) es selbst zu der Zeit nicht (..), als er sie erarbeitete. So eröff­nete jene Periode, in der das Kapital durch­aus als von einer Oligarchie des "Finanzkapitals" und von den " inter­nationalen monopolistischen Kapitalisten ver­bänden " beherrscht angesehen werden konnte, schon den Weg zu einer neuen Phase während des Ersten Weltkrieges - die Periode des Staatskapitalismus, der ständigen Kriegswirtschaft. In der Epoche chronischer interimperialistischer Rivalitäten auf dem Weltmarkt neigt das gesamte nationale Kapi­tal dazu, sich um den Staatsapparat zu scha­ren, der jede einzelne Kapitalfraktion diszi­pliniert und den Bedürfnissen des militärisch ökonomischen Überlebens unterordnet."[24]

Was bei Lenin lediglich ein Fehler im schwierigen Verstehen des Imperialismus war, das wird in den Händen von BC ein gefährli­cher Fehltritt. Erstens verschließt die Theorie der "Konzentration in supranationalen Monopolen" die Türe zum Verständnis der Marxistischen Position, dass sich das nationale Kapital in den Händen des Staates konzen­triert und sich die Tendenz zum Staatskapita­lismus durchsetzt. Dieser Tendenz kann sich keine Fraktion der Bourgeoisie entziehen, gleich welche internationalen Verbindungen sie besitzen. Zweitens öffnet diese Theorie Kautskys "Superimperialismus " die Tür. Es ist überraschend, dass BC diese Theorie ledig­lich von Seiten der Unmöglichkeit, die Anar­chie der kapitalistischen Produktionsweise zu überwinden, kritisiert, ohne jedoch das we­sentliche anzugreifen: nämlich die illusorische Möglichkeit des Kapitals, sich über die Gren­zen hinweg zu vereinigen. Und diese Schwie­rigkeit leitet sich aus der Tatsache ab, dass Battaglia Comunista, auch wenn sie richti­gerweise die extreme These der "Fusion der Nationen" verwerfen, dennoch fälschlicher­weise die Existenz von supranationalen Einheiten behaupten. Drittens entwickelt BC Spekulationen, wonach fiir den Staat die "Globalisierung" zweierlei Dimensionen aufweise: einerseits den Dienst im Interesse der Multinationalen, andererseits diejenige im nationalen Interesse, die ihm auch unterge­ordnet ist: "Es schält sich immer offensichtli­cher ein Staat heraus, dessen Intervention sich in der Wirtschaft auf zwei Ebenen zeigt: Einerseits offeriert er dem supranationalen Zentrum die zentralisierte Führung der Geldmenge und die Bestimmung der makroökonomischen Variablen in der entspre­chenden Währungszone, andererseits kon­trolliert er die Vereinbarkeit der letzteren mit den nationalen Variablen."[25] BC stellt die Welt auf den Kopf! Die einfache Beobachtung der Entwicklung der Europäischen Union zeigt genau das Gegenteil: Der Nationalstaat vertritt die Interessen des nationalen Kapitals und ist keinesfalls eine Art "Delegation" der "europäischen" Interessen, so wie es die Zweideutigkeiten von BC vermuten lassen. Indem sie die Theorie der Spekulation mit den "transnationalen" Interessen verbinden, ziehen sie völlig unglaubliche Schlussfolge­rungen: Die imperialistischen Konflikte seien nicht in einen generalisierten imperialisti­schen Krieg ausgeartet, weil „(...) sich nach dem Verschwinden der Blockkonfrontation durch die Implosion des Ostblocks keine Grundlagen für eine strategische Konfronta­tion klar und präzise herausgebildet hat. Die strategischen Interessen der großen und wirklichen Wirtschaftszentren haben sich bis jetzt noch nicht in strategischen Konfrontationen übersetzt, da sie nun grenzüberschrei­tend handeln.“[26]

Dies ist eine sehr schwerwiegende Verwir­rung. Der imperialistische Krieg wäre nun keine Konfrontation zwischen bis zu den Zähnen bewaffneten nationalen Kapitalen (wie ihn Lenin definierte), sondern das Er­gebnis von Konfrontationen zwischen trans­nationalen Gruppen, die die Nationalstaaten benutzen würden. Diese wären nicht mehr das Zentrum und die Verantwortlichen des Krieges, sondern einfache Marionetten der trans­nationalen Monster. Glücklicherweise zieht BC nicht alle Folgerungen aus dieser Verir­rung. Glücklicherweise deshalb, weil sie dies zur Behauptung führen könnte, dass der Klas­senkampf gegen den imperialistischen Krieg nicht mehr gegen die Nationalstaaten gerichtet sei, sondern auf die Befreiung letzterer von den transnationalen Interessen. In anderen Worten käme man so zu ganz vulgären My­stifikationen der Linken. BC muss kohärent sein mit den Positionen der Kommunistischen Linken. Sie müssen ihre Spekulationen  über die Monopole und die Finanzmonster einer systematischen Kritik unterziehen. BC muss Verirrungen wie diejenige, dass „eine neue Ära, charakterisiert durch die Diktatur der Finanzmärkte. ankündige" (Prometeo Nr. 9), an der Wurzel ausrotten. Diese Schwächen lassen bürgerliche Mystifikationen wie diejenige der „Globalisierung" ebenso wie diejenige der angeblichen Opposition zwi­schen nationalem und transnationalen Inter­essen eindringen.

Dies kann Battaglia Comunista zur Ver­teidigung gewisser Thesen und Mystifikatio­nen der herrschenden Klasse führen und so zur Schwächung des Bewusstseins und des Klassenkampfes. Dies ist gewiss nicht die Rolle, die eine revolutionäre Organisation spielen sollte. Adalen 5.6.1996


[1] Siehe: ,,L'impossible "uniti de l'europe" in der Internationalen Revue Nr.73 (engl./franz./span.) 1993. Ein Artikel, in dem wir die Verschärfung der Konkurrenz und der Anarchie auf dem Weltmarkt unterstreichen.

[2] "Tourmente ftnanciere: la folie? ", Interna­tionale Revue Nr.81 (engl./franz./span.) 1995.

[3] "Le cynisme de la bourgeoisie decadente", Internationale Revue Nr. 78 (engl./franz./span.) 1994.

[4] Weltjahrbuch 1996, "Umsiedlung, Beschäfti­gung und Ungleichheit".

[5] "Das bedeutet, dass diese wirtschaftliche Entwicklung die Produktion der am meistenfortge­schrittenen Länder nur negativ beeinflussen kann; und so werden sich diese Staaten wiederum gegen die "wifairen Handelspraktiken der Schwellenlän­der" wehren." " Resolution zur internationalen Situation", Internationale Revue Nr. 16 (deutsch) 1995.

[6] Ebenda

[7] Welt jahrbuch 1996, "Die Veränderungen durch die Welthandelsorganisation':

[8] "Une economie rongee par la dicompositi­on", Internationale Revue Nr. 75 (engl./franz./span.) 1993.

[9] K. Ohmae, "Le diploiement des economies regionales".

[10] ebenda

[11] Prometeo Nr. 9, "Das Kapital gegen das Kapital".

[12] ebenda

[13] ebenda

[14] ebenda

[15] ebenda

[16] ebenda

[17] Bucharin, „Imperialismus und Weltwirtschaft“

[18] Prometeo Nr. 9, "Das Kapital gegen das . Kapital“

[19] Prometeo Nr. 10, "Zwei Seiten des Staates: Globalisierung und Staatswirtschaft"

[20] Die betrübliche Inkohärenz von Battaglia Comnnista tritt deutlich hervor, wenn sie schreiben, dass (…) „der Kapitalismus in Wirklichkeit immer das selbe bleibt, und nichts anderes tut, als sich im Interesse der Selbsterhaltung entlang der durch den tendenziellen Fall der Profitrate diktierten Linien zu reorganisieren." Prometeo Nr. 9.

[21] Prometeo Nr. 10, "Zwei Seiten des Staates: Globalisierung und Staatswirtschaft"

[22] ebenda

[23] Viele amerikanische Politiker rücken, nach­dem sie Posten im Senat oder in der Staatsverwal­tung besetzt haben, auch in die Führungsspitze der großen multinationalen Konzeren vor. Dasselbe kann auch in Europa beobachtet werden.

[24] "Über den Imperialismus", Internationale Revue Nr. 19 (engl./franz./span.) 1979.

[25] Prometeo Nr. 10, "Zwei Seiten des Staates: Globalisierung und Staatswirtschaft ".

[26] Prometeo Nr. 9, "Das Kapital gegen das Kapital".


Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/791/internationale-revue-18

Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/1/223/deutsche-revolution [2] https://de.internationalism.org/tag/geschichte-der-arbeiterbewegung/1919-deutsche-revolution