Ein Solidaritätsaufruf aus Griechenland: Offener Brief an unsere deutschen Kolleginnen und Kollegen

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„Mutato nomine de te fabula narratur“ (lat.: „Unter geänderten Namen wird die Geschichte über dich erzählt“)

Ein Solidaritätsaufruf aus Griechenland: Offener Brief an unsere deutschen Kolleginnen und Kollegen
„Mutato nomine de te fabula narratur“ (lat.: „Unter geänderten Namen wird die Geschichte über dich erzählt“)< 1
Das mag etwas seltsam klingen, aber vielleicht versteht Ihr es. Falls nicht, denkt einfach mal darüber nach. Was hier in Griechenland geschieht, geht auch Euch etwas an. Was uns hier widerfährt, wird auch Euch passieren. Wir sind alle arbeitende Frauen und Männer. Wir schuften hart zu flexiblen Arbeitszeiten und wir werden schlecht bezahlt. (Wenn wir überhaupt noch Arbeit haben). Sie drohen uns mit Lohnkürzungen und Entlassungen. Jeden Tag wird Euch erzählt, dass wir für die Wirtschaftskrise verantwortlich seien. Und jeden Tag wird uns erzählt, dass die zunehmende Verschlechterung unserer Lebensbedingungen Eure Schuld sei. Aber die Fakten zeigen ein anderes Bild.
Hier in Griechenland:
• Sinken die Löhne
• Liegt die Kaufkraft weit unter der Inflation.
• Steigt die Arbeitslosigkeit
• Wächst die Armut und über eine Million Menschen sind arbeitslos.
• Es werden immer mehr und gegenwärtig ergeben sich viele ihrem Schicksal.
• Sind bereits in 10% der Familienhaushalte beide Elternteile arbeitslos.
• Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 45%.
• Gleichzeitig wird der Steuersatz auf Kapital und höheren Einkommen reduziert.
• Und in Deutschland:
• Die andere Seite des deutschen “Wirtschaftswunders” des letzten Jahrzehnts sind die Lohnverluste der
abhängig Beschäftigten. Sie zahlten und zahlen noch immer für die “gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit”
der deutschen Wirtschaft.
• Die Reallöhne der deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter sinken Jahr für Jahr und werden immer
niedriger, während die Gewinne der Unternehmen stetig ansteigen.
• Die Kaufkraft liegt nun deutlich unter der Inflation. 7 Millionen (ca. 20% der Beschäftigten) arbeiten mit
Zeitverträgen in befristeten Beschäftigungsverhältnissen und Minijobs. Sie verdienen weniger als 400
Euro und sind nicht versichert.
• Während die Reallöhne in den letzten Jahren gesunken sind, haben die Banken ihre Gewinne um 39% gesteigert.
Der Hauptgrund für die Auslandsschulden ist eher ein Handels- als ein Haushaltsdefizit. Dies treibt Länder in die Finanzspekulation.Und noch ein letzte Sache: Die Darlehen für Griechenland kommen nicht aus dem deutschen Staatshaushalt, sondern aus der Finanzbranche, die durch diese Kredite ihre Gewinne vervielfacht. Die öffentlichen Haushalte (der sog. „Steuerzahler“) sollen allerdings für die Risiken dieser Finanzgeschäfte bürgen. Es liegt auf der Hand: Die herrschenden Klassen unserer beiden Länder versuchen uns zu spalten. Sie versuchen uns gegeneinander auszuspielen. Wenn wir uns gegenseitig in den Haaren liegen, können wir uns nicht gegen ihre Unterdrückung wehren. Die Idee der „Nation“ ist dabei ihre wichtigste Waffe. Sie verschleiert den Klassencharakter des kapitalistischen Systems und vermittelt die Vorstellung, dass die bestehenden Zustände Ausdruck des gemeinsamen Interesse des „Volkes“ seien.
Wir dürfen uns nicht spalten lassen!
Wir sind Brüder und Schwestern einer Klasse!
Wir werden für die von ihnen verursachte Krise nicht bezahlen!
Wir leisten so gut wir können Widerstand, aber wir brauchen Eure Solidarität!
Lasst uns gemeinsam als Klasse für unsere Befreiung kämpfen, und Unterdrückung und Diskriminierung für immer überwinden!
Proletarische InternationalistInnen aus Griechenland
www.leftcom.org
1.    Das Zitat ist der Einleitung des ersten Bandes des Kapitals entlehnt. Karl Marx schrieb hier:“Was ich in diesem Werk zu erforschen habe, ist die kapitalistische Produktionsweise und die ihr entsprechenden Produktions-und Verkehrsverhältnisse. Ihre klassische Stätte ist bis jetzt England. Dies der Grund warum es zur Hauptillustration meiner theoretischen Entwicklung dient. Sollte jedoch der deutsche Leser pharisäisch die Achseln zucken über die Zustände der englischen Industrie-und Ackerbauarbeiter oder sich optimistisch dabei beruhigen, dass in Deutschland die Sachen noch lange nicht so schlimm stehen, so muss ich ihm zurufen: De te fabula narratur!“ (MEW 23, Seite 12) [zurück]

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