Gespeichert von IKS am
DIE KOMMUNISTISCHE LINKE IN RUSSLAND 1918-1930 Teil I
Vorwort
Wenn man über die revolutionäre Opposition zur Zeit der Degeneration der Revolution in Rußland oder über die Kommunistische Internationale spricht, wird allgemein unterstellt, daß man sich auf die linke Opposition bezieht, die von Trotzki und anderen bolschewistischen Führern geleitet wurde. Die ganze undifferenzierte Kritik, die nach großer Verzögerung von jenen gemacht wurde, die selbst eine aktive Rolle in jener Degeneration gespielt hatten, wird als das ein und alles der kommunistischen Opposition innerhalb Rußlands und der Internationalen genommen. Die viel tiefergehende und gehaltvollere Kritik, die von den linken Kommunisten erarbeitet wurde, lange bevor die linke Opposition 1923 in Erscheinung trat, wird entweder ignoriert oder als Fieberwahn sektiererischer 150%iger abgetan, die von der 'wirklichen Welt' abgeschnitten seien. Diese Verzerrung der Vergangenheit ist ein einfacher Ausdruck der langen Vorherrschaft der Konterrevolution seit dem Ende der revolutionären Kämpfe in den 20er Jahren. Es ist immer im Interesse der kapitalistischen Konterrevolution, die wahre revolutionäre Geschichte der Arbeiterklasse und ihrer kommunistischen Minderheiten zu verbergen oder zu verfälschen, weil nur so die Bourgeoisie darauf hoffen kann, die historische Natur des Proletariats als eine Klasse zu vernebeln, die dazu bestimmt ist, die Menschheit in das Reich der Freiheit zu führen.
Entgegen dieser Vergangenheitsverfälschung müssen die Revolutionäre die historischen Kämpfe des Proletariats noch und noch untersuchen und bekräftigen; nicht aus einem archivarischen Interesse an Geschichte, sondern weil die vergangenen Erfahrungen der Klasse ein unlösbares Band mit ihren gegenwärtigen und zukünftigen Erfahrungen bilden. Nur mit dem Verständnis der Vergangenheit kann auch die Gegenwart und Zukunft begriffen und umrissen werden. Wir hoffen, daß dieses Studium der Linkskommunisten in Rußland dabei helfen kann, ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der kommunistischen Bewegung aus den Verfälschungen der bürgerlichen Geschichtsschreibung, ob akademisch oder links, zurückzugewinnen. Aber noch mehr hoffen wir darauf, daß es dazu dienen wird, einige der Lehren zu klären, die aus den Kämpfen, den Siegen und Niederlagen der russischen Linken resultierten, Lehren, die heute noch eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau der kommunistischen Bewegung zu spielen haben.
*************************
"In Rußland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Rußland gelöst werden.. " (Rosa Luxemburg in "Die russische Revolution").
Im Kielwasser der Konterrevolution, die die Welt nach den revolutionären Jahren 1917-23 überschwemmte, wuchs um den Bolschewismus ein Mythos heran, der ihn als ein spezifisches Produkt der russischen 'Rückständigkeit' und der asiatischen Barbarei porträtierte. Überreste der deutschen und holländischen Linkskommunisten kehrten, tief demoralisiert durch die Degeneration und den Tod der Revolution in Rußland, zu der halb-menschewistischen Position zurück, wonach die bürgerliche Entwicklung Rußlands in den 20er und 30er Jahren unvermeidlich war, da Rußland zu unreif für den Kommunismus gewesen sei; und der Bolschewismus wurde als eine Ideologie der 'Intelligenz' definiert, die nur nach der kapitalistischen Modernisierung Rußlands getrachtet und eine 'bürgerliche' oder 'staatskapitalistsiche' Revolution anstelle einer impotenten Bourgeoisie, die selbst ein unausgereiftes Proletariat als Grundlage hatte, durchgeführt hätte.
Die ganze Theorie war eine Totalrevision des wirklich proletarischen Charakters der russischen Revolution und des Bolschewismus sowie die Verwerfung ihrer eigenen Teilnahme an den heroischen Ereignissen, die im Oktober 1917 begannen, durch viele Linkskommunisten. Aber wie alle Mythen enthält auch sie ein Körnchen Wahrheit. Auch wenn sie prinzipiell ein Produkt der internationalen Bedingungen sind, so enthalten Arbeiterbewegungen auch gewisse Besonderheiten, die sich aus den besonderen nationalen-historischen Bedingungen ergeben. Heute ist es z.B. kein Zufall, daß die wiederentstehende kommunistische Bewegung in den Länder Westeuropas am stärksten und weitaus schwächer, ja fast nicht existent in den Ländern des Ostblocks ist. Dies ist ein Produkt der besonderen Art und Weise, in der sich die historischen Ereignisse in den letzten 50 Jahre entfaltet haben, insbesondere die Art, in der sich die kapitalistische Konterrevolution selbst in den verschiedenen Ländern organisiert hat. Ähnlich verhält es sich, wenn wir die revolutionäre Bewegung in Rußland vor und nach dem Oktober-Aufstand untersuchen: während ihr Wesen nur erfaßt werden kann, wenn man sie im Zusammenhang mit der internationalen Arbeiterbewegung betrachtet, können manche ihre Stärken und Schwächen mit den besonderen Bedingungen, die damals die Oberhand in Rußland hatten, verknüpft sein.
Vielfach waren die Schwächen der russischen revolutionären Bewegung nur die Schattenseite ihrer Stärken. Die Fähigkeit des russischen Proletariats, sehr schnell einer revolutionären Lösung seiner Probleme zuzustreben, war zum großen Teil durch das Wesen des zaristischen Regimes bestimmt. Autoritär, altersschwach, nicht imstande, stabile 'Puffer' zwischen sich selbst und der proletarischen Bedrohung zu errichten, garantierte das zaristische System, daß jeder Versuch des Proletariats, sich selbst zu verteidigen, sofort die Repressionskräfte des Staats auf den Plan rief. Dem russischen Proletariat, jung und höchst kämpferisch, wurde weder die Zeit noch der politische Raum gegeben, um eine reformistische Mentalität zu entwickeln, die es zur Identifikation der Verteidigung seiner unmittelbaren, materiellen Interessen mit dem Überleben seines 'Vaterlandes' hätte führen können. Es war daher weitaus leichter für das russische Proletariat, sich allen Identifikationen mit den zaristischen Kriegsbemühungen zu entziehen und in der Zerstörung des zaristischen politischen Apparates 1917 eine Vorbedingung für den eigenen Fortschritt zu erblicken. Ganz allgemein und ohne zu versuchen, auf allzu mechanische Weise eine Verbindung zwischen dem russischen Proletariat und seinen revolutionären Minderheiten herzustellen, gehören diese Stärken der russischen Klasse zu jenen Faktoren, welche es den Bolschewiki erlaubten, sowohl 1914 als auch 1917 an der Spitze der weltweiten revolutionären Bewegung zu stehen, mit ihrer lautstarken Denunzierung des Krieges und ihrem kompromißlosen Eintreten für die Notwendigkeit, die Maschinerie des bürgerlichen Staates zu zerschmettern.
Aber wie wir gesagt haben, waren diese Stärken gleichzeitig auch Schwächen: die Unreife des russischen Proletariats, sein Mangel an organisatorischen Traditionen, die Plötzlichkeit, mit der es vorwärts in die revolutionäre Situation getrieben wurde, ließen wichtige Lücken in dem theoretischen Arsenal seiner revolutionären Minderheiten zurück. Es ist zum Beispiel bezeichnend, daß die angemessenste Kritik an der reformistischen Praxis der Sozialdemokratie und dem Gewerkschaftstum in genau jenen Ländern in Angriff genommen wurde, wo solcherlei Praxis am festesten etabliert war, insbesondere in Holland und Deutschland. Hier und nicht in Rußland, wo das Proletariat noch immer um parlamentarische und gewerkschaftliche Rechte kämpfte, wurde von den Revolutionären die Gefahr der schädlichen reformistischen Gewohnheiten zuerst begriffen. Zum Beispiel half die Arbeit von Anton Pannekoek und der holländischen Gruppe Tribune in den dem 1. Weltkrieg folgenden Jahren, den Boden für den radikalen Bruch zu bereiten, den die deutschen und holländischen Revolutionäre mit den alten reformistischen Taktiken nach dem Krieg machten. Dasselbe trifft auf Bordigas Fraktion der Wahlenthaltungen (Abstenionistische Fraktion) in Italien zu. Im Gegensatz dazu verstanden die Bolschewiki nie richtig, daß die Periode der reformistischen 'Taktiken' mit dem Eintritt des Kapitalismus in seinen Todeskampf 1914 ein für allemal beendet war; oder sie verstanden zumindest nie vollständig nie all die Folgen der neuen Epoche für die revolutionären Strategie. Die Konflikte um die Gewerkschaften und die parlamentarischen Taktiken, die die Kommunistische Internationale nach 1920 spalteten, resultierten zum großen Teil aus dem Versagen der russischen Partei, die Notwendigkeiten der neuen Epoche vollständig zu erfassen; und dieses Versagen war nicht ausschließlich auf die bolschewistische Führung beschränkt: es spiegelte sich auch in der Tatsache wider, daß die Kritik am Gewerkschaftstum, am Parlamentarismus, am Stellvertretertum und anderen sozialdemokratischen Überresten, die die russischen Linkskommunisten übten, nie denselben Grad an Klarheit erreichten, wie jene ihrer holländischen, deutschen und italienischen Gegenstücke.
Aber auch hier sollten wir diese Beobachtung mit dem Verständnis des internationalen Zusammenhangs der Revolution in eine anderes Licht rücken. Die theoretischen Schwächen der bolschewistischen Partei waren exakt aus dem Grund nicht unwiderruflich, weil sie eine echte proletarische Partei und daher offen für all die neuen Entwicklungen und Lehren war, die sich aus dem proletarischen Kampf während seines Aufstiegs ergaben. Hätte sich die Oktoberrevolution international ausgeweitet, wären diese Schwächen überwunden worden; die sozialdemokratischen Deformationen im Bolschewismus verfestigten sich erst dann zu fundamentalen Hindernissen der revolutionären Bewegung, als die Welle der Weltrevolution zurückzufließen begann, und die lähmende Isolation der proletarischen Bastion in Rußland einsetzte. Der rapide Schwenk der größtenteils unter dem Einfluß der vorherrschenden russischen Partei stehenden Kommunistischen Internationale zum Opportunismus war unter anderem das Resultat der Bemühungen der Bolschewiki, die Überlebensbedürfnisse der Revolution in Einklang zu bringen; ein Versuch, der immer widersprüchlicher wurde, je mehr die Flut der Revolution zurückwich, und der letztendlich mit dem Triumph des "Sozialismus in einem Land" aufgegeben wurde, welcher den Tod der Kommunistischen Internationale bedeutete und den Sieg der Konterrevolution in Rußland krönte.
Wenn die extreme Isolation der russischen Bastion die bolschewistische Partei schließlich daran hindern sollte, über ihre anfänglichen Irrtümer hinwegzuschreiten, so behinderte sie auch ernsthaft die theoretischen Entwicklung der linkskommunistischen Fraktionen, die sich von der degenerierenden russischen Partei befreiten. Abgeschnitten von den Diskussionen und Debatten, die noch immer von den linken Fraktionen in Europa aufrechterhalten wurden, einer gnadenlosen Repression durch einen immer totalitäreren Staat ausgesetzt, neigte die russische Linke dazu, sich auf eine formale Kritik der russischen Konterrevolution zu beschränken, und drang kaum einmal zu den Wurzeln der Degeneration vor. Allein die Neuheit und Schnelligkeit der russischen Erfahrung sollte eine ganze Generation von Revolutionären gegenüber dem, was dort passiert war, äußerst verwirren; bis in die 30er und 40er Jahre gelangten die überlebenden kommunistischen Fraktionen zu keinem zusammenhängenden Verständnis. Es waren vor allem die Revolutionäre aus Europa und Amerika, von denen dieses Verständnis kam. Die russische Linke war zu eng verstrickt mit der ganzen Erfahrung, um eine objektive, globale Analyse dieses Phänomens zu erarbeiten. Wir können daher nur die Bewertung der russischen Linken durch die Genossen von Internationalism bekräftigen:
"Der dauerhafte Beitrag dieser kleinen Gruppen, die mit der neuen Situation fertig werden wollten, besteht nicht darin, daß sie den ganzen Prozeß des Staatskapitalismus von Anfang an verstanden hätten, auch nicht daß sie ein vollkommen zusammenhängendes Programm für die revolutionäre Erneuerung vertreten hätten, sondern daß sie Alarm geschlagen haben und zu den ersten gehörten, die voraussahen, daß es zum Aufbau eines staatskapitalistischen Regimes kommen werde. Ihr Vermächtnis in der Arbeiterbewegung besteht darin, daß sie den politischen Beweis geliefert haben, daß die Arbeiterklasse in Rußland ihre Niederlage nicht mit Schweigen hinnahm" ("Ein Beitrag zur Frage des Staatskapitalismus", Internationalism, Nr. 6).
WAS WAR DIE KOMMUNISTISCHE LINKE?
Ein Aspekt des Mythos des 'rückständigen' oder 'bürgerlichen' Bolschewismus ist der Gedanke, daß es eine unüberwindbare Kluft gibt zwischen den Bolschewiki, die als Anhänger des Staatskapitalismus und der Parteidiktatur dargestellt werden, und den Linkskommunisten, die als die wirklichen Verteidiger der Arbeitermacht und der kommunistischen Umwandlung der Gesellschaft verklärt werden. Diese Idee übt einen besonderen Reiz auf Rätekommunisten und Libertäre aus, die sich nur mit dem identifizieren wollen, was ihnen an der vergangenen Arbeiterbewegung gefällt, und die die wahren Erfahrungen der Klasse verleugnen, sobald sie ihre Verunstaltungen entdecken. In der wirklichen Welt gibt es jedoch eine direkte und unersetzliche Kontinuität zwischen dem, was der Bolschewismus ursprünglich war, und dem, was die Linkskommunisten in den 20er Jahren und danach waren.
Die Bolschewiki selbst befanden sich auf der extremen Linken der Vorkriegs-Sozialdemokratie, insbesondere wegen ihrer resoluten Verteidigung der organisatorischen Kohärenz und des Bedürfnisses nach einer revolutionären Partei, unabhängig von all den reformistischen und verwirrenden Tendenzen in der Arbeiterbewegung (1). Ihre Position zum Krieg von 1914-18 (besser: die Position Lenins und seiner Unterstützer in der Partei) war ebenfalls die radikalste unter all den Anti-Kriegs-Stellungnahmen in der sozialistischen Bewegung: "Den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg umwandeln",und ihr Ruf nach der revolutionären Liquidierung des bürgerlichen Staates 1917 machte sie zum Sammelpunkt aller kompromißlosen revolutionären Minderheiten auf der Welt. Die "Linksradikalen" in Deutschland - die 1920 den wesentlichen Kern der KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschland) bilden sollten - waren direkt durch das Beispiel der Bolschewiki inspiriert, besonders als sie begannen, zur Gründung einer neuen revolutionären Partei in totaler Opposition zu den Sozialpatrioten der SPD aufzurufen (2).
Auf diese Weise repräsentierten die Bolschewiki und die Kommunistische Internationale, die hauptsächlich auf Initiative der erstgenannten errichtet wurde, die Vorkriegs'linke'; sie wurden die kommunistische Bewegung. Der Linkskommunismus hat nur eine Bedeutung als Reaktion gegen die Entartung dieser ursprünglichen kommunistischen Avantgarde, gegen den Verrat an dem, wofür die Avantgarde zu Beginn gestanden hatte. Der Linkskommunismus ging im Grunde aus der ursprünglich kommunistischen Bewegung hervor, die von den Bolschewiki und der Kommunistischen Internationale angeführt wurde.
Dies wird überdeutlich, wenn wir die Ursprünge der kommunistischen Bewegung in Rußland selbst betrachten. Alle linken Fraktionen in Rußland hatten ihren Ursprung in der bolschewistischen Partei. Dies ist in sich selbst Beweis für den proletarischen Charakter des Bolschewismus. Da sie ein lebendiger Ausdruck der Arbeiterklasse war, der einzigen Klasse, die ihre eigene Praxis einer radikalen und beständigen Kritik unterziehen kann, brachte die bolschewistische Partei unaufhörlich revolutionäre Fraktionen aus ihrem Körper hervor. Nach jedem Schritt in die Degeneration erhoben sich protestierende Stimmen innerhalb der Partei, bildeten sich Gruppen innerhalb der Partei oder spalteten sich ab, um den Verrat an dem ursprünglichen Programm des Bolschewismus zu entlarven. Erst als die Partei endgültig von ihren stalinistischen Totengräbern zu Grabe getragen wurde, entsprangen ihr keine solchen Fraktionen mehr. Die russischen Linkskommunisten waren allesamt Bolschewiki; sie waren es, die die Kontinuität mit dem Bolschewismus der heroischen Revolutionsjahre verteidigten, während jene, die sie verleumdeten, verfolgten und vernichteten, diejenigen waren, die mit dem Inhalt des Bolschewismus gebrochen hatten, gleich, welch erhabenen Namen sie trugen.
DIE KOMMUNISTISCHE LINKE WÄHREND DER HEROISCHEN REVOLUTIONSJAHRE 1918- 1921
Die ersten Monate
Die bolschewistische Partei war in der Tat die erste Partei in der neu gebildeten Arbeiterbewegung, die eine 'Linke' gebar. Dies war genau deshalb der Fall, weil sie die erste Partei war, die einen erfolgreichen Aufstand gegen den bürgerlichen Staat anführte. In der damaligen Konzeption der Arbeiterbewegung war es die Rolle der Partei, die Machtübernahme zu organisieren und die Regierungsämter im neuen "proletarischen Staat" zu übernehmen. Tatsächlich wurde der proletarische Charakter des Staates gemäß dieser Konzeption durch die Tatsache sichergestellt, daß er sich in den Händen einer proletarischen Partei befand, die danach trachtete, die Arbeiterklasse zum Sozialismus zu führen. Der grundlegende irrige Charakter dieser substituierenden Rolle der Partei in zwei- und dreifacher Hinsicht (Partei-Staat, Staat-Klasse, Partei-Klasse) sollte in den folgenden Jahren der Revolution offengelegt werden. Aber es war das tragische Schicksal der bolschewistischen Partei, die theoretischen Irrtümer der gesamten Arbeiterbewegung in die Praxis umzusetzen und so durch ihre eigenen negativen Erfahrungen die absolute Falschheit dieser Konzeption zu demonstrieren. All der Schmach und der Verrat, der mit dem Bolschewismus assoziiert wurde, rührt von der Tatsache her, daß die Revolution in Rußland geboren wurde und auch verstarb, und daß die bolschewistische Partei durch ihre Identifizierung mit dem Staat, welcher von Innen her zugunsten der Konterrevolution wirken sollte, selbst zum Organisator des Tods der Revolution wurde. Wäre die Revolution in Deutschland und nicht in Rußland ausgebrochen, würden die Namen von Luxemburg und Liebknecht heute möglicherweise dieselben zwiespältigen und gemischten Reaktionen hervorrufen, wie dies die Namen von Lenin, Trotzki, Bucharin und Sinojew tun. Nur dank der Erfahrung, die die Bolschewiki machten, können die Revolutionäre heute unzweideutig erklären: es ist nicht die Rolle der Partei, im Namen der Klasse die Macht zu übernehmen, und die Interessen der Klasse sind nicht identisch mit den Interessen des nach-revolutionären Staates. Aber es hat den Revolutionären viele Jahre der quälenden Reflektionen und der Selbstkritik gekostet, ehe sie imstande waren, diese scheinbar einfachen Lehren auszusprechen.
Sobald sie zu einer Partei wurde, die die "Verantwortung" im sowjetischen Staat im Oktober 1917 übernahm, begann die bolschewistische Partei zu degenerieren: nicht auf einmal, nicht in einer völlig stetigen Talfahrt und, solange die Weltrevolution auf der Tagesordnung stand, nicht unwiderruflich. Aber nichtsdestotrotz begann der allgemeine Prozeß der Degeneration unmittelbar. Während früher diese Partei fähig gewesen war, als die resoluteste Fraktion der Klasse frei zu handeln, dabei den Weg zur Vertiefung und Ausweitung des Klassenkampfes aufzeigend, wurde durch die bolschewistische Ergreifung der Staatsmacht zunehmend ihre Fähigkeit erschwert, sich mit dem proletarischen Klassenkampf zu identifizieren und an ihm teilzunehmen. Von jetzt an erhielten die Bedürfnisse des Staates einen immer größeren Vorzug vor den Bedürfnissen der Klasse; und obwohl zunächst diese Gegensätzlichkeit durch die große Intensität des revolutionären Kampfes verborgen blieb, war sie dennoch Ausdruck eines wesentlichen und grundlegenden Widerspruchs zwischen dem Wesen des Staates und dem Wesen des Proletariats. Die Bedürfnisse eines Staats konzentrieren sich im wesentlichen darauf, die Gesellschaft zusammenzuhalten und den Klassenkampf in einem Rahmen einzupassen, der für die Aufrechterhaltung des Status quo akzeptabel ist; die Bedürfnisse des Proletariats und damit seiner kommunistischen Avantgarde können nur die Ausweitung und Vertiefung seines Klassenkampfes bis zum Sturz aller existierenden Bedingungen sein. Solange sich die revolutionäre Klassenbewegung sowohl in Rußland als auch international im Anstieg befand, konnte der sowjetische Staat dazu benutzt werden, die revolutionären Errungenschaften zu beschützen; er konnte ein Instrument in den Händen der revolutionären Klasse sein. Aber sobald die wirkliche Klassenbewegung verschwand, konnte der vom Staat verteidigte Status quo nur der Status quo des Kapitals sein. Dies war die allgemeine Tendenz; aber tatsächlich erschienen die Widersprüche zwischen dem Proletariat und dem neuen Staat sofort wegen der Unreife der Klasse und der Bolschewiki in ihrem Verhalten gegenüber dem Staat und vor allem, weil die Konsequenzen der Revolution, die in Rußland isoliert blieb, von Anfang an ihren Tribut von der neuen proletarischen Bastion einforderten. Angesichts einer Reihe von Problemen, die nur auf internationaler Ebene gelöst werden konnten - die Organisierung einer vom Krieg verwüsteten Wirtschaft, die Beziehungen zu den riesigen Bauernmassen in Rußland und die feindliche kapitalistische Welt draußen - , mangelte es den Bolschewiki an Erfahrung, Maßnahmen zu treffen, die die schlimmen Konsequenzen dieser Probleme zumindest hätten abmildern können. So wie es war, neigten die getroffenen Maßnahmen dazu, die Probleme miteinander zu vermengen, statt ihnen Abhilfe zu leisten. Und die überwältigende Mehrheit der von ihnen begangenen Irrtümer rührte von der Tatsache her, daß sie die Verantwortung für den Staat übernommen hatten und sich so berechtigt fühlten, die proletarischen Interessen mit den Bedürfnissen des sowjetischen Staates zu identifizieren, was tatsächlich auf eine Unterordnung des ersteren unter dem letztgenannten hinauslief.
Obwohl es keiner kommunistischen Fraktion in Rußland zu dieser Zeit gelang, eine grundsätzliche Kritik an diesen substitutionistischen Irrtümern zu formulieren - und dies sollte ein Versagen der gesamten russischen Linken bleiben -, kristallisierte sich schon einige Monate nach der Machtergreifung eine revolutionäre Opposition gegen die frühere Staatspolizei heraus. Diese Opposition nahm die Form einer linkskommunistischen Gruppe um Ossinski, Bucharin, Radek, Smirnow und anderen an; organisiert hauptsächlich im Moskauer Regionalbüro der Partei und sich in der Fraktionszeitung KOMMUNIST artikulierend. Diese Opposition früh im Jahr 1918 war die erste organisierte bolschewistische Fraktion, die den Versuch der Partei kritisierte, die Arbeiterklasse zu disziplinieren. Aber der ursprüngliche raison d'etre (oder Daseinsgrund) dieser linkskommunistischen Gruppe war ihre Opposition gegen die Unterzeichnung des Brest-Litovsker Vertrages mit dem deutschen Imperialismus.
Dies ist nicht der Ort, um eine detaillierte Studie über das Thema Brest-Litovsk anzufertigen. Kurz: die Hauptdebatte fand zwischen Lenin und den Linkskommunisten (angeführt in diesem Fall von Bucharin) statt, die einen revolutionären Krieg gegen Deutschland befürworteten und den Friedensvertrag als "Verrat" an der Weltrevolution denunzierten. Lenin verteidigte die Unterzeichnung des Vertrages als einen Weg, um zu einer "Atempause" zu gelangen, damit die militärischen Kapazitäten des Sowjetstaates reorganisiert werden könnten. Die Linken bestanden darauf, daß:
"Die Annahme der von den deutschen Imperialisten diktierten Bedingungen wäre ein Akt, der unserer ganzen Politik des revolutionären Sozialismus zuwiderliefe; das hieße die richtige Linie des internationalen Sozialismus in der Innen- wie in der Außenpolitik verlassen und könnte zu Opportunismus schlimmster Art führen" ("Das Gewissen der Revolution", R. V. Daniels, 1978, Berlin, S. 97).
Sie nahmen die technische Unfähigkeit des sowjetischen Staates zur Kenntnis, einen konventionellen Krieg gegen den deutschen Imperialismus zu führen, und befürworteten daher eine Strategie, die die deutsche Armee durch Guerilla-Angriffe in Gestalt fliegender Abteilungen von roten Partisanen binden wollte. Die Führung eines solchen "Heiligen Krieges gegen den deutschen Imperialismus", hofften sie, würde ein Beispiel für das Weltproletariat sein und es dazu inspirieren, sich dem Kampf anzuschließen.
Wir wollen nicht in einer rückwärtsgewandte Debatte über die strategischen Möglichkeiten eintreten, die der Sowjetmacht 1918 offenstanden. Wir sollten deutlich machen, daß sowohl Lenin als auch die Linkskommunisten anerkannten, daß die einzige und eigentliche Hoffnung des russischen Proletariats in der weltweiten Ausbreitung der Revolution begründet war. Sowohl ihre Motive als auch ihre Taten befanden sich innerhalb eines Rahmens des Internationalismus, und beide präsentierten ihre Argumente mit Blick auf das in den Arbeiterräten organisierte russische Proletariat. Wir sehen es daher als nicht zulässig an, die Unterzeichnung des Vertrages als einen "Verrat" am Internationalismus zu definieren. So wie es ausging, bedeutete er auch nicht einen Zusammenbruch der Revolution in Rußland oder Deutschland, wie Bucharin befürchtet hatte. In jedem Fall sind solche strategischen Betrachtungen zu einem gewissen Umfang unerheblich; eine der wichtigsten politischen Fragen, die aus der Brest-Litovsker Debatte hervorgingen, ist die folgende: ist der "revolutionäre Krieg" das prinzipielle Mittel, um die Revolution auszuweiten? Hat das in einer Region an der Macht befindliche Proletariat die Aufgabe, die Revolution mit dem Bajonett in alle Macht zu exportieren? Die Kommentare der italienischen Linken zur Brest-Litovsker Frage sind in diesem Zusammenhang bedeutsam:
"Von den beiden Tendenzen in der Bolschewistischen Partei, die sich zur Zeit Brest-Litovsk, Lenins und Bucharins, gegenüberstanden, meinen wir, daß die Lenins mit den Bedürfnissen der Weltrevolution am meisten übereinstimmte. Die Position der von Bucharin angeführten Fraktion, derzufolge die Funktion des proletarischen Staates darin bestünde, die Arbeiter anderer Länder durch einen "revolutionären Krieg" zu befreien, steht im Widerspruch zu dem eigentlichen Wesen der proletarischen Revolution und der historischen Rolle des Proletariats" ("Partei-Staat-Internationale: der proletarische Staat", "Bilan", Nr. 18, April-Mai 1935)
Im Gegensatz zur bürgerlichen Revolution, die tatsächlich durch militärische Eroberungen exportiert werden konnte, hängt die proletarische Revolution von dem bewußten Kampf des Proletariats eines jeden Landes gegen seine eigene Bourgeoisie ab: "Der Sieg eines proletarischen Staats gegen einen kapitalistischen Staat (im territorialen Sinne des Wortes) bedeutet keineswegs den Sieg der Weltrevolution".(ebenda). Der Vormarsch der Roten Armee 1920 nach Polen, dem nur darin Erfolg beschieden war, daß er die polnischen Arbeiter in die Arme ihrer eigenen Bourgeoisie trieb, ist Beleg dafür, daß militärische Siege einer proletarischen Bastion nicht die bewußte politische Aktion des Weltproletariats ersetzen können. Daher ist die Ausweitung der Revolution zuallererst eine politische Aufgabe. Die Gründung der Kommunistischen Internationalen 1919 war somit ein größerer Beitrag zur Weltrevolution als es ein 'revolutionärer Krieg' jemals sein konnte.
Die tatsächliche Unterzeichnung des Brest-Litovsker Vertrages, seine Ratifizierung durch die Partei und die Räte, gepaart mit dem ehrlichen Wunsch der Linken, eine Spaltung in der Partei wegen diesem Streitfall zu vermeiden- so endete die erste Phrase der linkskommunistischen Agitation. Jetzt, wo der sowjetische Staat seine "Atempause" erhalten hatte, konzentrierten sich viele der unmittelbaren Probleme, denen die Partei gegenüberstand, um die Organisation der kriegszerrissenen Wirtschaft innerhalb Rußlands. Und zu dieser Frage trugen die linkskommunistischen Gruppierungen ihre wertvollsten Einblicke in die Gefahren bei, denen eine revolutionäre Bastion gegenübersteht. Bucharin, der inbrünstige Anhänger des revolutionären Krieges, war wenig interessiert, eine Kritik an der Politik der inneren Organisation des Regimes durch die Mehrheitsbolschewiki zu formulieren; von jetzt an stammten die angemessensten Kritiken an der Innenpolitik der Führung aus der Feder von Ossinski, der sich als die weitaus konsequentere oppositionelle Figur erwies als Bucharin.
In den ersten Monaten von 1918 hatte die bolschewistische Führung versucht, in einer oberflächlichen 'pragmatischen' Weise mit dem ökonomischen Aufruhr Rußlands umzugehen. In einer Rede vor dem bolschewistischen Zentralkomitee und veröffentlicht als 'Die unmittelbaren Aufgaben des sowjetischen Regimes' befürwortete Lenin die Bildung von staatlichen Trusts, in denen die existierenden bürgerlichen Experten und Besitzer zu Diensten stehen sollten, jedoch unter Beaufsichtigung durch den 'proletarischen' Staat. Die Arbeiter hätten umgekehrt das Taylor-System des 'wissenschaftlichen Managements (einst von Lenin selbst als die Versklavung des Menschen durch die Maschine denunziert) und das Ein-Mann-Management in den Fabriken zu akzeptieren: "Die Revolution erfordert gerade im Interesse des Sozialismus die unbedingte Unterordnung der Massen unter den einheitlichen Willen der Leiter des Arbeitsprozesses". All dies bedeutete, daß die Bewegung der Fabrikkomitees, die sich seit dem Februar 1917 wie ein Lauffeuer ausbreitete, gezügelt werden sollte; Enteignungen, die von solchen Komitees durchgeführt wurden, sollten entmutigt werden, ihre wachsende Autorität sollte auf eine simple "Kontrollfunktion" reduziert werden, und sie sollten zu Anhängseln der Gewerkschaften gemacht werden, welche leichter handhabbar und bereits in den neuen Staatsapparat einverleibt waren.
Die Führung stellte diese Politik als den besten Weg für das revolutionäre Regime dar, um die Bedrohung durch das wirtschaftliche Chaos zu überwinden und die Wirtschaft in Richtung eines eventuellen sozialistischen Aufbaus zu rationalisieren, für den Fall, daß sich die Weltrevolution ausweitete. Lenin nannte dieses System offen "Staatskapitalismus", worunter er die proletarisch-staatliche Kontrolle über die kapitalistische Wirtschaft im Interesse der Revolution verstand. In einer Polemik gegen die Linkskommunisten (Der linke Radikalismus - die Kinderkrankheit im Kommunismus) argumentierte Lenin, daß solch ein System des Staatskapitalismus ein eindeutiger Fortschritt in einem rückständigen Land wie Rußland sei, wo die Hauptgefahr von der zersplitterten, archaischen kleinbürgerlichen Masse der Bauernschaft ausginge. Diese Konzeption blieb eine Lehre vom Glauben an die Bolschewiki, und machte sie gegenüber der Tatsache blind, daß die innere Konterrevolution sich zuallererst durch den Staat und nicht durch die Bauern ausdrückt. Die Linkskommunisten machten sich ebenfalls Sorgen um die Möglichkeit, daß die Revolution in einem System der "kleinbürgerlichen Wirtschaftsbeziehungen" degeneriert ("Thesen zur gegenwärtigen Situation", Kommunist, Nr. 1, April 1918), und sie teilten die Überzeugung der Führung, daß Verstaatlichungen durch den "proletarischen Staat" tatsächlich eine sozialistische Maßnahme sei, ja, sie forderten ihre Ausweitung auf die gesamte Wirtschaft. Natürlich konnten sie sich nicht darüber bewußt sein, was die Gefahr des "Staatskapitalismus" bedeutete, aber da sie einen starken Klasseninstinkt hatten, sahen sie schnell die Gefahren, die in einem System innenwohnen, das für sich die Ausbeutung der Arbeiter im Interesse des "Sozialismus" beansprucht. Ossinskis prophetische Warnung ist mittlerweile gut bekannt:
"Wir vertreten nicht den Standpunkt des "Aufbaus des Sozialismus unter Leitung der Trust-Organisatoren". Wir vertreten den Standpunkt des Aufbaus der proletarischen Gesellschaft durch die schöpferische Kraft der Arbeiterklasse selbst, nicht durch Anweisungen von "Industriekapitänen". Wir gehen aus vom Vertauen zum Klasseninstinkt, zur aktiven Klasseninitiative des Proletariats. Anders kann es nicht sein. Wenn das Proletariat selbst nicht weiß, wie die notwendigen Vorbedingungen für die sozialistische Organisation der Arbeit zu schaffen sind - niemand kann das für es tun, und niemand kann es zwingen, das zu tun. Wenn der Stock gegen die Arbeiter erhoben wird, wird er in den Händen einer gesellschaftlichen Kraft sein, die entweder unter dem Einfluß einer anderen Gesellschaftsklasse steht oder in den Händen der Sowjetmacht ist; dann wird die Sowjetmacht gezwungen sein, bei einer anderen Klasse (z.B. der Bauernschaft) Unterstützung gegen das Proletariat zu suchen, un dadurch wird sie sich selbst als Diktatur des Proletariats zerstören. Sozialismus und sozialistische Organisation müssen vom Proletariat selbst errichtet werden, oder sie werden gar nicht errichtet werden; etwas anderes wird entstehen - nämlich Staatskapitalismus". (Über den Aufbau des Sozialismus, Kommunist Nr. 2, APRIL 1918, in Daniels, S. 111).
Gegen diese Bedrohung befürworteten die Linkskommunisten die Arbeiterkontrolle der Industrie durch ein System von Fabrikkomitees und "Wirtschaftsräten". Sie definierten ihre eigene Rolle als eine "verantwortungsvolle revolutionäre Opposition", die sich innerhalb der Partei gebildet hatte, um die Partei und das sowjetische Regime daran zu hindern, "abzugleiten" hin zum "ruinösen Weg der kleinbürgerlichen Politik" (Thesen zur gegenwärtigen Situation, Kommunist, Nr. 1, in Daniels).
Daß die Gefahren, vor denen die Linken warnten, sich nicht auf die ökonomische Ebene beschränkten, sondern weitreichende politische Folgen hatten, zeigt sich in einer anderen Warnung, die sie gegen den Versuch, Arbeitsdisziplin von oben durchzusetzen, äußerten:
"Mit der Politik der Verwaltung der Unternehmen auf der Grundlage einer breiten Beteiligung durch Kapitalisten und halb-bürokratische Zentralisierung ist es normal, eine Arbeitspolitik zu kombinieren, die auf die Einführung der Disziplin unter den Arbeitern unter dem Motto der "Selbstdisziplin" abzielt, und auf die Einführung des Zwangs zur Arbeit für Arbeiter (solch ein Programm wurde von rechten Bolschewiki vorgeschlagen), Leistungslohn, Ausdehnung des Arbeitstags usw.
Die Form der Regierungsverwaltung wird sich in Richtung einer bürokratischen Zentralisierung, der Regierung durch verschiedene Kommissare, der Losbindung der Unabhängigkeit der örtlichen Räte, und praktisch auf die Verwerfung einer Art "Gemeindestaat", die von 'Unten' verwaltet werden, entwickeln müssen. (ebenda).
Die Verteidigung der Fabrikkomitees, der Arbeiterräte und der Selbstinitiative der Arbeiterklasse durch den "Kommunist" war nicht wichtig, weil sie etwa eine Lösung für die Wirtschaftsprobleme, denen Rußland gegenüberstand oder gar eine Formel für den "sofortigen Aufbau des Kommunismus" in Rußland anbot; die Linken stellten ausdrücklich fest, daß "der Sozialismus nicht in einem Land und zudem nicht in solch einem rückständigen verwirklicht werden kann" (L. Schapiro, Der Ursprung der Kommunistischen Autokratie, 1955, S. 137).
Die staatliche Auferlegung der Arbeitsdisziplin, die Einverleibung der autonomen Organe des Proletariats in den Staatsapparat waren vor allem Schläge gegen die politische Vorherrschaft der russischen Arbeiterklasse. Wie die IKS des öfteren hervorgehoben hat (3), ist die politische Macht der Klasse die einzig reelle Garantie für einen erfolgreichen Ausgang der Revolution. Und diese politische Macht kann nur durch die Massenorgane der Klasse ausgeübt werden - durch ihre Fabrikkomitees und Versammlungen, durch ihre Arbeiterräte, ihre Milizen. Durch die Untergrabung der Autorität dieser Organe hat die Politik der bolschewistischen Führung eine Todesdrohung gegen die Revolution selbst ausgestoßen. Die von den Linkskommunisten in den ersten Monaten der Revolution so scharfsichtig beobachteten Warnsignale sollten während der darauf folgenden Bürgerkriegsmonate noch ernster werden. Tatsächlich wurde in dieser Periode in vielerlei Hinsicht das endgültige Schicksal der Revolution innerhalb Rußlands bestimmt.
DER BÜRGERKRIEG
Die Periode des Bürgerkriegs in Rußland von 1918-20 ist vor allem Zeuge der immensen Gefahren, denen ein Proletariat im Endeffekt gegenübersteht, wenn es nicht sofort von den Armeen der Weltrevolution verstärkt wird. Da die Revolution außerhalb Rußlands keine Wurzeln schlug, mußte das russische Proletariat faktisch allein gegen die Angriffe der weißen Konterrevolution und ihrer imperialistischen Helfer kämpfen. Militärisch gesehen war der heldenhafte Widerstand der russischen Arbeiter erfolgreich.
Aber politisch ging das russische Proletariat dezimiert, erschöpft, zersplittert und mehr oder weniger jeder Kontrolle über den sowjetischen Staat beraubt aus dem Bürgerkrieg hervor. In ihrer Leidenschaft, den militärischen Kampf zu gewinnen, beschleunigten die Bolschewiki den Zerfall der politischen Macht der Arbeiterklasse durch eine fortschreitende Militarisierung des sozialen und ökonomischen Lebens. Die Konzentration der gesamten effektiven Macht in den höheren Rängen der Staatsmaschinerie erlaubte es zwar, den militärischen Kampf kompromißlos und wirkungsvoll zu führen, aber dafür untergrub sie die wirklichen Bastionen der Revolution: die Einheitsmassenorgane der Klasse. Die Bürokratisierung des sowjetischen Regimes, die während dieser Periode eintrat, sollte mit dem Rückfluß der Weltrevolution nach 1921 unumkehrbar werden.
Mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten 1918 kam es zu einem allgemeinen Schließen der Reihen in der bolschewistischen Partei, da jeder die Notwendigkeit einer einheitlichen Reaktion auf die äußere Gefahr anerkannte. Die Gruppe KOMMUNIST, deren Publikation nicht mehr erschien, nachdem sie von der Parteiführung ernsthaft dazu gedrängt wurde, hörte auf zu existieren, und ihr ursprünglicher Kern schlug als Antwort auf den Bürgerkrieg zwei Richtungen ein.
Eine Tendenz, verkörpert durch Radek und Bucharin, begrüßte die vom Bürgerkrieg aufgezwungenen ökonomischen Maßnahmen mit einem unverhohlenen Enthusiasmus. Für sie stellten die allumfassenden Verstaatlichungen, die Unterdrückung von Handel und Geldverkehr, die Beschlagnahmungen bei der Bauernschaft, die sogenannten "kriegskommunistischen" Maßnahmen einen wirklichen Bruch mit der vorherigen "staatskapitalistischen" Phase dar und bildeten einen großen Fortschritt auf dem Weg zu unverfälscht kommunistischen Produktionsbeziehungen. Bucharin selbst schrieb ein Buch "Die Ökonomie der Übergangsperiode", worin er erklärte, warum die ökonomische Auflösung und selbst der Arbeitszwang unvermeidliche Vorstufen beim Übergang zum Kommunismus seien; er versuchte sichtlich "theoretisch" zu demonstrieren, daß Rußland unter dem Kriegskommunismus, der als eine simple Reihe von resultierenden Maßnahmen eingeführt wurde, um mit einer verzweifelten Situation fertig zu werden, eine Gesellschaft im Übergang zum Kommunismus war. Ehemalige Linkskommunisten wie Bucharin waren durchaus gewillt, ihre einstige Kritik an dem Ein-Mann-Management und an der Arbeitsdisziplin einzustellen, weil für sie der sowjetische Staat nicht länger versuchte, Kompromisse mit dem einheimischen Kapital einzugehen, sondern resolut als ein Organ des kommunistischen Übergangs handelte. In seiner Ökonomik der Transformationsperiode argumentierte Bucharin, daß die Stärkung des sowjetischen Staates, seine wachende Vereinnahmung des sozialen und ökonomischen Lebens einen entscheidenden Fortschritt hin zum Kommunismus darstelle: "Die "Verstaatlichung" der Gewerkschaften und die faktische Verstaatlichung aller Massenorganisationen des Proletariats ergibt sich aus der inneren Logik des Transformationsprozesses selbst. Die kleinsten Keimzellen des Arbeitsapparates müssen sich in Träger des allgemeinen Organisationsprozesses verwandeln, der planmäßig geleitet und geführt wird von der kollektiven Vernunft der Arbeiterklasse, die ihre materielle Verkörperung in der höchsten und allumfassenden Organisation, in ihrem Staatsapparat findet. So verwandelt sich das System des Staatskapitalismus dialektisch in seine eigene Umkehrung, in die Staatsform des Arbeitersozialismus".(Bucharin, Ökonomik der Transformationsperiode, Ausgabe 1970, Rowohlt, Hamburg, S. 77).
Mit solchen Ideen stellte Bucharin das marxistische Verständnis "dialektisch" auf den Kopf, wonach die Bewegung zur kommunistischen Gesellschaft von einer fortschreitenden Schwächung, einem "Dahinschwinden" der Staatsmaschinerie geprägt ist. Bucharin war noch ein Revolutionär, als er die "Ökonomie der Übergangsperiode" schrieb, aber zwischen seinen Theorien eines "staatsdurchdrungenen" "Kommunismus", der vollkommen eingeschlossen in einer Nation bleibt, und der stalinistischen Theorie des "Sozialismus in einem Lande" gibt es sicher eine Kontinuität.
Während Bucharin seinen Frieden mit dem Kriegskommunismus schloß, setzten jene Linken, die am kompromißlosesten in ihrer Befürwortung der Arbeiterdemokratie waren, die Verteidigung dieser Prinzipien angesichts einer wachsenden Militarisierung des Regimes fort. 1919 wurde die Gruppe Demokratischer Zentralismus um Ossinski, Sapranow und andere gegründet. Sie setzten die Auseinandersetzung mit dem Prinzip des Ein-Mann-Managements in der Industrie fort und traten für das kollektive oder "kollegiale" Prinzip als "die stärkste Waffe gegen das Wiederaufleben des engstirnigen Ressortdenkens und die bürokratische Erstarrung des Sowjetapparates" (Thesen über die kollegiale und die Einmannleitung, ebenda S. 127) ein. Auch wenn sie die Notwendigkeit des Gebrauchs von bürgerlichen Spezialisten in Industrie und Armee akzeptierten, so betonten sie gleichfalls das Bedürfnis danach, diese Spezialisten unter der Kontrolle der breiten Masse zu stellen. "Niemand bestreitet die Notwendigkeit, die Spezialisten einzusetzen - der Streit geht darum, wie sie einsetzen" (Sapranow, zitiert von Daniels in "Gewissen der Revolution", S. 109).
Gleichzeitig protestierten die Demokratischen Zentralisten oder "Dezisten", wie sie auch genannt wurden, gegen den Verlust an Initiative durch die lokalen Arbeiterräte und schlugen eine Reihe von Reformen vor, die ihre Wiederherstellung als wirksame Organe der Arbeiterdemokratie zum Ziel hatten. Politik dieser Art führte Kritiker dazu, zu bemerken, daß die Dezisten mehr an der Demokratie als am Zentralismus interessiert seien. Schließlich riefen die Dezisten zur Wiederherstellung demokratischer Praktiken in der Partei auf. Auf dem 9. Kongreß der KPW im Sept. 1920 attackierten sie die Bürokratisierung der Partei und die wachsende Machtkonzentration in den Händen einer dünnen Minderheit. Es ist bezeichnend für den Einfluß, den diese Kritik noch immer in der Partei besaß, wenn am Ende der Kongreß ein Manifest verabschiedete, das nachdrücklich zu einer "breiten Kritik an den zentralen sowie an den örtlichen Parteiinstitutionen" aufrief und "irgendeine Art Repression gegen Genossen aufgrund von unterschiedlichen Auffassungen" verwarf. (Resolution des 9. Parteitages, "Zu den nächsten Aufgaben des Aufbaus der Partei")
Im allgemeinen kann das Verhalten der Dezisten gegenüber den Aufgaben des sowjetischen Regimes in der Periode des Bürgerkriegs mit Ossinskis Worten auf demselben Kongreß zusammengefaßt werden:
"Die Hauptlosung, die wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt verkünden müssen, ist die Verbindung der militärischen Arbeit, der militärischen Organisationsform und Führungsmethoden mit der schöpferischen Initiative der bewußten Arbeiter. Wenn Sie unter dem Vorwand eines militärischen Arbeitsstils in Wirklichkeit den Bürokratismus einführen, dann werden wir unsere eigenen Kräfte zersetzen und unsere Aufgabe nicht bewältigen"(ebenda, S. 154).
Einige Jahre später hatte der Linkskommunist Miasnikow über die Gruppe Demokratischer Zentralismus folgendes zu sagen:
"Diese Gruppe hatte keine Plattform von irgendeinem wirklichen theoretischen Wert. Der einzige Punkt, der die Aufmerksamkeit aller Gruppen und der Partei auf sich zog, war ihr Kampf gegen exzessive Zentralisierung. Erst jetzt können wir in diesem Kampf einen noch sehr unpräzisen Versuch des Proletariats erkennen, die Bürokratie aus den Positionen zu verjagen, die diese gerade in der Wirtschaft eingenommen hatte. Die Gruppe starb eines natürlichen Todes, ohne daß jemals Gewalt gegen sie angewendet wurde..." (L'Ouvrier Communiste,1929, eine französische, der KAPD nahestehende Zeitung).
Die Kritik der Dezisten war notgedrungen "ungenau", weil sie eine Tendenz war, die zu einer Zeit geboren wurde, als die bolschewistische Partei und die Revolution noch quicklebendig waren, so daß jede Kritik an der Partei in die Form eines Appells gebunden war, demokratischer, gerechter, etc. zu sein... mit anderen Worten: so daß die Kritik eher auf der Ebene der organisatorischen Praktiken denn auf jener der fundamentalen politischen Positionen beschränkt blieb.
Viele aus der Gruppe Demokratischer Zentralismus waren auch an der Militärischen Opposition beteiligt, die für eine kurze Periode im März 1919 gebildet wurde. Die Erfordernisse des Bürgerkriegs zwangen die Bolschewiki dazu, eine zentralisierte Kampfeinheit, die Rote Armee, aufzustellen, die sich nicht nur aus Arbeitern zusammensetzte, sondern auch aus Rekruten der Bauernschaft und anderer Schichten. Sehr schnell begann diese Armee, sich dem hierarchischen Muster anzupassen, das im restlichen Staatsapparat etabliert worden war. Die Wahl der Offiziere wurde als "politisch sinnlos und technisch unzweckmäßig" abgeschafft (Trotzki, "Arbeit, Disziplin und Ordnung", 1918, von Daniels zitiert in "Gewissen der Revolution", S. 104).
die Todesstrafe bei Gehorsamsverweigerung im Gefecht, das Salutieren und spezielle Formen der Anrede von Offizieren wurden ebenso wieder eingeführt wie die Unterschiede zwischen den sich konsolidierenden Rängen, besonders mit der Ernennung früherer zaristischer Offiziere in höhere Kommandoposten der Armee.
Die Militärische Opposition, deren Hauptsprecher Wladimir Smirnow war, wurde gegründet, um gegen die Tendenz zu kämpfen, die Rote Armee nach dem Modell einer typisch bürgerlichen Armee zu formen. Sie opponierte weder gegen die Etablierung der Roten Armee als solche noch gegen den Gebrauch militärischer Spezialisten, aber sie war gegen die exzessive Hierarchie und Disziplin und wollte sicherstellen, daß die Armee von einer allgegenwärtigen politischen Orientierung geleitet wurde, die nicht von den bolschewistischen Prinzipien abwich. Die Parteiführung beschuldigte sie fälschlicherweise, die Armee zugunsten eines Systems von Partisanengruppen auflösen zu wollen, da dies für eine bäuerliche Kriegsführung geeigneter sei. Wie bei vielen anderen Gelegenheiten war die einzige Alternative, die die bolschewistische Führung zu dem, wa sie "proletarische Staatsorganisation" nannte, kleinbürgerliche, anarchistische Dezentralisierung; tatsächlich verwechselten die Bolschewiki sehr häufig bürgerliche Formen einer hierarchischen Zentralisierung mit der Selbstdisziplin und Zentralisierung von unten, die den Stempel des Proletariats trug. Auf jeden Fall wurden die Forderungen der Militärischen Opposition abgelehnt, und bald darauf fiel die Gruppierung auseinander. Die hierarchischen Strukturen der Roten Armee jedoch sollten dieselbe - in Verbindung mit der Auflösung der Fabrikmilizen - noch gefügiger machen, um von 1921 an als Repressionskraft gegen das Proletariat benutzt zu werden.
Trotz der beharrlichen Fortführung der oppositionellen Tendenzen innerhalb der Partei durch die Bürgerkriegsperiode hindurch, neigte das Bedürfnis nach Einheit gegen den Angriff der Konterrevolution dazu, sowohl innerhalb der Partei als auch unter den Klassen und sozialen Schichten, die das sowjetische Regime gegen die Weißen unterstützten, als eine zusammenhaltende Kraft zu wirken. Die dem Regime innewohnenden Spannungen wurden während dieser Periode niedergehalten, um an die Oberfläche hervorzubrechen, als die Feindseligkeiten endeten und das Regime der Aufgabe gegenüberstand, ein ruiniertes Land wiederaufzubauen. Der Streit um den nächsten Schritt des Regimes drückte sich 1920-21 durch Bauernrevolten, Unzufriedenheit in der Marine, Arbeiterstreiks in Moskau und Petrograd aus, um im Kronstädter Arbeiteraufstand im März 1921 seinen Höhepunkt zu finden. Diese Antagonismen fanden unweigerlich ihren Ausdruck in der Partei selbst. In den traumatischen Jahren 1920-21 fiel es der Gruppe Arbeiteropposition zu, für einen Mittelpunkt der politischen Abweichung innerhalb der bolschewistischen Partei zu sorgen.
DIE ARBEITEROPPOSITION
Der 10. Parteikongreß im März 1921 wurde zur Arena einer Kontroverse, die sich seit dem Ende des Bürgerkriegs innerhalb der bolschewistischen Partei ständig verschärft hatte: die Frage der Gewerkschaften. Oberflächlich betrachtet war es eine Debatte über die Rolle der Gewerkschaften unter der Diktatur des Proletariats; tatsächlich jedoch kamen weitaus größere Probleme um die ganze Zukunft des sowjetischen Regimes und sein Verhältnis zur Arbeiterklasse zum Ausdruck. Grob gesagt, gab es drei Positionen innerhalb der Partei: jene Trotzkis, der für die totale Integration der Gewerkschaften in den "Arbeiterstaat" eintrat, wo sie die Aufgabe hätten, die Arbeitsproduktivität zu stimulieren; jene Lenins, der argumentierte, daß die Gewerkschaften noch immer als Verteidigungsorgane der Klasse zu handeln hätten, selbst gegen den Arbeiterstaat, der, wie er hervorhob, tatsächlich ein "Arbeiter- und Bauernstaat" sei und an "bürokratischen Deformationen" leide; und schließlich die Position der Gruppe Arbeiteropposition, die für das Management der Produktion durch vom sowjetischen Staat unabhängige Industriegewerkschaften stand. Obwohl der gesamte Rahmen dieser Debatte völlig unangemessen war, drückte die Arbeiteropposition noch konfus und zögernd die Abneigung des Proletariats gegen die bürokratischen und militärischen Methoden, die immer mehr zum Kennzeichne des Regimes geworden sind, und die Hoffnung der Klasse aus, daß sich die Dinge verbessern würden, jetzt wo die Laster des Bürgerkriegs nicht mehr direkt zu spüren waren.
Die Führer der Gruppe Arbeiteropposition kamen hauptsächlich aus dem Gewerkschaftsapparat, aber sie schienen beachtliche Unterstützung durch die Arbeiterklasse aus den südöstlichen Teilen des europäischen Rußlands und in Moskau besonders unter den Metallarbeitern - Schliapnikow und Medwedew, zwei der führenden Mitglieder der Gruppe waren beide Metallarbeiter - erhalten zu haben. Die berühmteste unter den Führern war jedoch Alexandra Kollontai, die den programmatischen Text "Die Arbeiteropposition" als eine Erarbeitung der "Thesen zur Gewerkschaftsfrage" schrieb, welche von der Gruppe auf dem 10. Kongreß vorgetragen wurden. All die Stärken und Schwächen der Gruppe können anhand dieses Textes ermessen werden, der mit der Bekräftigung beginnt, daß "die Arbeiteropposition aus dem Industrieproletariat Sowjetrußlands hervorgegangen ist, daß sie nicht nur auf Grund der zwangsarbeitsähnlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen des 7 Mio. zählenden Industrieproletariats entstanden ist, sondern auch wegen einer Reihe von Abweichungen, Schwankungen, Widersprüchen und Zeichen der direkten Abkehr unserer sowjetischen Politik von den eindeutigen, klaren, konsequenten Klassenprinzipien des kommunistischen Programms" (Kollontai, S. 186, in Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur).
Kollontai fährt dann fort, die entsetzlichen Wirtschaftsbedingungen hervorzuheben, denen das sowjetische Regime nach dem Bürgerkrieg gegenüberstand, und lenkte die Aufmerksamkeit auf das Wachstum einer bürokratischen Schicht, deren Ursprünge außerhalb der Arbeiterklasse lagen - in der Intelligenzia, der Bauernschaft, Überresten der alten Bourgeoisie usw. Diese Schicht gelangte mehr und mehr zur Vorherrschaft über den Räteapparat und selbst über die Partei, indem sie beide mit Karrierismus und der blinden Mißachtung der proletarischen Interessen überzog. Für die Arbeiteropposition war der sowjetische Staat selbst kein rein proletarisches Organ, sondern eine heterogene Institution, die zum Ausgleich zwischen den verschiedenen Klassen und Schichten der russischen Gesellschaft gezwungen war. Sie bestand darauf, daß der Weg, sicherzustellen, daß die Revolution ihren ursprünglichen Zielen treu blieb, nicht darin besteht, ihre Leitung nicht-proletarischen Technokraten und den sozial zweideutigen Organen des Staates anzuvertrauen, sondern in dem Vertrauen auf die Selbstinitiative und der schöpferischen Kraft der Arbeiterklasse selbst.
"Aber gerade diesen für jeden echten Arbeiter einfachen und klaren Grundsatz lassen unsere Spitzen außer Acht. Den Kommunismus kann man nicht dekretieren. Er kann nur durch lebendiges Suchen, durch zeitweilige Fehler, jedenfalls aber durch die schöpferische Kraft der Arbeiterklasse selbst geschaffen werden" (ebenda, S. 223).
Diese allgemeinen Einblicke der Arbeiteropposition waren in vielerlei Hinsicht tiefgehend, aber die Gruppe war unfähig, einen Beitrag mit bleibendem Wert über diese Allgemeinheiten hinaus zu leisten. Die konkreten Vorschläge, die sie als Lösung der Krise der Revolution anboten, basierten auf einer Reihe fundamentaler Mißverständnisse, die alle das Ausmaß der ausweglosen Situation, in der sich das russische Proletariat an dieser Stelle befand, ausdrückten.
Für die Arbeiteropposition waren die Organe, die das reine Klasseninteresse des Proletariats artikulierten, keine andere als die Gewerkschaften oder besser die Industriegewerkschaften. Die Aufgabe, den Kommunismus zu gestalten, sollte daher den Gewerkschaften anvertraut werden: "Die Arbeiteropposition sieht in den Gewerkschaften die Leiter und Schöpfer der kommunistischen Wirtschaft". Während also die Linkskommunisten in Deutschland, Holland und andereswo die Gewerkschaften als eines der Haupthindernisse zur proletarischen Revolution entlarvten, pries die Linke in Rußland sie als potentielle Organe der kommunistischen Umwandlung! Die Revolutionäre in Rußland scheinen große Schwierigkeiten gehabt zu haben, die Tatsache zu begreifen, daß in der Epoche der kapitalistischen Dekadenz die Gewerkschaften nicht länger eine Rolle für das Proletariat spielen konnten: obwohl das Auftreten von Fabrikkomitees und Arbeiterräten 1917 bedeutete, daß die Gewerkschaften als Organe des Arbeiterkampfes tot waren, verstand dies keine der linken Gruppierungen in Rußland wirklich, weder vor noch nach der Arbeiteropposition. Um 1921, als die Arbeiteropposition die Gewerkschaften als Rückgrat der Revolution porträtierten, waren die wirklichen Organe des revolutionären Kampfes - die Fabrikkomitees und Arbeiterräte - schon kastriert worden. In der Tat war es im Fall der Fabrikkomitees ihre Integration in die Gewerkschaften nach 1918, die sie als Klassenorgane erfolgreich tötete. Die Übergabe der (Legislative) entscheidungstreffenden Gewalt in die Hände der Gewerkschaften hätte trotz der guten Absichten ihrer Befürworter in keiner Weise die Macht des Proletariats wiedererrichtet. Selbst wenn solch ein Projekt möglich gewesen wäre, so wäre dies auf eine einfache Machtübergabe von einer Staatsfiliale an die andere hinausgelaufen.
Das Programm der Arbeiteropposition zur Regeneration der Partei war ebenfalls grundfalsch. Sie erklärte den wachsenden Opportunismus der Partei allein im Sinne des Zustroms nicht-proletarischer Mitglieder. Für sie konnte die Partei auf ein proletarisches Gleis zurückgesetzt werden, falls eine ouvrieristische Säuberung gegen die Nicht-Arbeiter unter den Mitgliedern durchgeführt werden würde. Wenn die Partei mit überwältigender Mehrheit aus "reinen" Proletariern zusammengesetzt wäre, würde alles gut werden. Diese "Antwort" auf die Degeneration der Partei verfehlte völlig den Punkt. Der Opportunismus der Partei war nicht eine Frage ihrer Mitglieder, sondern die Antwort auf den Druck und die Spannungen, die durch die staatliche Machtausübung in einer wachsend ungünstigen Situation entstanden waren. Gib irgend jemandem die staatliche Herrschaft in einer Periode des Zurückweichens der Revolution, und er wird ein "Opportunist", ganz gleich wie rein sein proletarischer "Leumund" ist. Bordiga bemerkte einst, daß Ex-Arbeiter oft zu den schlimmsten Bürokraten werden. Aber die Arbeiteropposition ficht niemals den Gedanken an, daß die Partei den Staat zu kontrollieren hätte, um zu garantieren, daß er ein Instrument des Proletariats bleibt.
"Damit das Zentralkomitee unserer Partei zum höchsten ideologischen Zentrum der Klassenpolitik, zum Organ des Denkens und der Kontrolle der praktischen Politik der Sowjets, zur geistigen Verkörperung der Grundlagen unseres Programms wird...." (ebenda, S. 232)
Die Unfähigkeit der Arbeiteropposition zu begreifen, daß die Diktatur des Proletariats alles andere ist als die Diktatur der Partei, führte sie zu krampfhaften Gelübden der Loyalität gegenüber der Partei, als inmitten des 10. Kongresses der Kronstädter Aufstand ausbrach. Selbst prominente Führer der Arbeiteropposition traten für dieses Gelübde ein, indem sie sich beim Sturm auf die Kronstädter Garnison in die erste Reihe stellten. Wie alle anderen linken Fraktionen in Rußland versagte sie völlig darin, die Wichtigkeit des Kronstädter Aufstands als letzten Klassenkampf der russischen Arbeiter für die Wiederherstellung der Rätemacht zu verstehen. Ihr Beistand bei der Unterdrückung der Revolte bewahrte sie jedoch nicht davor, zum Abschluß des Kongresses als eine "kleinbürgerlich-anarchistische Verirrung" und als ein "objektiv" konterrevolutionäres Element verurteilt zu werden. Die Verbannung von "Fraktionen" aus der Partei auf dem 10. Kongreß versetzte der Arbeiteropposition einen vernichtenden Schlag. Angesichts der Aussicht auf eine illegale Untergrundarbeit erwies sie sich als unfähig, ihre Opposition gegen das Regime aufrechtzuerhalten. Einige von ihren Mitgliedern kämpften die 20er Jahre hindurch in Verbindung mit anderen illegalen Fraktionen; andere kapitulierten einfach vor dem Status quo, Kollontai selbst endete als treuer Dienerin des stalinistischen Regimes. 1922 verwies eine englische linkskommunistische Zeitung - Workers Dreadnought - auf die "prinzipienlosen und rückgratlosen Führer der sog. "Arbeiteropposition""(Workers Dreadnought, 29. 7.1922). Sicherlich herrschte ein Mangel an Entschlossenheit im Programm der Gruppe. Dies war jedoch nicht eine Frage des Mutes oder des Mangels an Mut der Mitglieder der Gruppe, sondern resultierte aus der extremen Schwierigkeit, der die russischen Revolutionäre bei dem Versuch gegenüberstanden, gegen eine Partei zu opponieren oder mit ihr zu brechen, die die verkörperte Seele der Revolution gewesen war. Für viele ernsthafte Kommunisten war es eine schiere Dummheit, die Prämisse der Partei anzuzweifeln. Außerhalb der Partei gab es nichts außer Leere. Diese tiefe Bindung an die Partei - so tief, daß sie zu einer Barriere gegen die Verteidigung der revolutionären Prinzipien wurde - war später in der linken Opposition sogar noch ausgeprägter.
Ein anderer Grund für die Schwäche der Arbeiteropposition bei ihrer Kritik an dem Regime war ihr fast vollständiger Mangel an internationaler Perspektive. Während die meisten der entschiedenen Linksfraktionen in Rußland ihre Stärke aus dem Verständnis bezogen, daß der einzig wahre Verbündete des russischen Proletariats und seiner revolutionären Minderheit die Weltarbeiterklasse ist, basierte das Programm der Arbeiteropposition bei ihrer Suche auf Lösungen, die allesamt auf den Rahmen des russischen Staates beschränkt blieben.
Die zentrale Angelegenheit der Arbeiteropposition war diese: "Wer wird die schöpferischen Kräfte im Bereich des wirtschaftlichen Aufbaus entfalten?" (ebenda, Kollontai).
Die ursprüngliche Aufgabe, die sie der russischen Arbeiterklasse zuschrieb, war der Aufbau einer "kommunistischen Ökonomie" in Rußland. Ihre Hauptbeschäftigung mit dem Problem des Managements der Produktion, der Schaffung sog. "kommunistischer Produktionsverhältnisse" in Rußland zeigte ein völliges Mißverständnis in einem fundamentalen Punkt auf: der Kommunismus konnte nicht in einer isolierten Bastion errichtet werden. Das Hauptproblem, dem die russische Arbeiterklasse gegenüberstand, war die Ausweitung der Weltrevolution, nicht der "wirtschaftliche Wiederaufbau" Rußlands.
Obwohl die Kollontai-Texte "den Außenhandel mit den kapitalistischen Staaten kritisieren, ... und daß dieser über die Köpfe der organisierten russischen und auch ausländischen Arbeiter abgewickelt wird", teilte die Arbeiteropposition die wachsende Neigung der bolschewistischen Führung zu dieser Zeit, die einheimischen Probleme der russischen Wirtschaft über das Problem der internationalen Ausweitung der Revolution zu stellen. Daß die beiden Tendenzen eine verschiedene Sicht des wirtschaftlichen Wiederaufbaus hatten, ist weniger wichtig als die Tatsache, daß sie beide dazu neigten zu bejahen, daß Rußland sich für eine unbestimmte Periode in sich selbst kehren könnte, ohne die Interessen der Weltrevolution zu verraten.
Diese ausschließlich russische Perspektive der Arbeiteropposition wurde auch durch das Versagen der Gruppe reflektiert, feste Bande mit der linkskommunistischen Opposition außerhalb Rußlands zu etablieren. Obwohl Kollontais Text von einem Mitglied der KAPD aus Rußland herausgeschmuggelt und sowohl von der KAPD als auch von Workers Dreadnought veröffentlicht wurde, bedauerte Kollontai dies bald und versuchte, das Dokument zurückzuerhalten. Die Arbeiteropposition bot keine wirkliche Kritik an der opportunistischen Politik an, die von der Kommunistischen Internationale ergriffen wurde, billigte die 21 Bedingungen und trachtete nicht danach, sich mit der "ausländischen" Opposition in der Internationale zu verbünden, trotz der deutlichen Sympathie, die ihnen die KAPD und andere entgegenbrachten. 1922 richteten sie in einen letzten verzweifelten Appell an den 4. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, beschränkten ihren Protest jedoch allein auf die Bürokratisierung des Regimes und den Mangel an Ausdrucksmöglichkeiten für abweichend kommunistische Gruppierungen innerhalb Rußlands. Jedenfalls erhielten sie nur ein spärliches Echo von der Internationalen, die sich schon vieler ihrer besten Mitglieder entledigt hatte und dabei war, die infame Einheitsfrontpolitik gutzuheißen. Kurz nach diesem Appell wurde eine bolschewistische Sonderkommission eingesetzt, um Ermittlungen über die Aktivitäten der Arbeiteropposition anzustellen; sie kam zu dem Schluß, daß die Gruppe eine "illegale, fraktionelle Organisation" bilde, und die darauffolgende Repression setzte den meisten Aktivitäten der Gruppe bald ein Ende (4). Die Arbeiteropposition hatte das Pech, zu einer Zeit in das politische Rampenlicht zu rücken, als die Partei tiefe Erschütterungen durchmachte, die die legalen oppositionellen Aktivitäten bald unmöglich machen sollten. Indem sie versuchte, ein Gleichgewicht zwischen den beiden Stühlen der legalen, innerparteilichen Fraktionsarbeit und der Untergrundopposition gegen das Regime herzustellen, fiel die Arbeiteropposition ins Leere; fortan mußte die Fackel von resoluteren, unnachgiebigeren Kämpfern weitergetragen werden.
DIE KOMMUNISTISCHE LINKE UND DIE KONTERREVOLUTION 1921-30
Nach 1921 fand sich die Partei in eienr alptraumhaften Situation wieder. Im Gefolge der Niederlage der Arbeiteraufstände in Ungarn,
Italien, Deutschland und anderswo zwischen 1918-1921 schritt die Revolution in einen tiefen Abgrund, von dem sie sich nie wieder erholte, auch wenn sie noch Nachbeben wie in Deutschland und Bulgarien 1923 und in China 1927 verbreitete. In Rußland hatte sowohl die Wirtschaft als auch das Proletariat selbst die Ebene der Beinahe-Auflösung erreicht. Die Arbeitermassen hatten sich zurückgezogen oder waren aus dem politischen Leben verjagt worden. Der sowjetische Staat, der nicht länger ein Instrument in den Händen des Proletariats war, war tatsächlich zu einer Maschine für die Verteidigung der kapitalistischen "Ordnung" verkommen. Gefangene ihrer substitutionistischen Konzeptionen glaubten die Bolschewiki noch immer, daß es möglich sei, diese Staatsmaschinerie und die kapitalistische Ökonomie zu verwalten, während sie auf das Wiederaufleben der Weltrevolution warteten und es selbst förderten. In Wirklichkeit verwandelten die Notwendigkeiten der Staatsmacht die Bolschewiki in offenkundige Agenten der Konterrevolution sowohl zuhause als auch im Ausland um. Innerhalb Rußlands wurden sie zu Aufsehern der zunehmend grausamen Ausbeutung der Arbeiterklasse. Obwohl die NEP eine gewisse Entspannung der staatswirtschaftlichen Vorherrschaft besonders über die Bauern mit sich brachte, sah sie kein Nachlassen in der Parteidiktatur über das Proletariat vor. Im Gegenteil, da die Bolschewiki noch immer die Bauern für die Hauptgefahr der Konterrevolution in Ruland hielten, schlossen sie direkt aus, daß die den Bauern gemachten Zugeständnisse durch eine Stärkung der politischen Vorherrschaft der russischen Gesellschaft durch die bolschewistische Partei im Gleichgewicht gehalten werden müssen; und diese brachte eine Wiederverstärkung der monolithischen Tendenz in der Partei selbst mit sich. Dieses "Anziehen" der Kontrolle durch die Partei und innerhalb der Partei wurde als der einzige Weg angesehen, einen proletarischen Deich gegen die Flutwelle des bäuerlichen Kapitalismus zu errichten.
International hatte die Besitzergreifung des russischen Staates mittels der russischen Partei eine immer schädlichere Wirkung auf die Politik der Kommunistischen Internationale: die Einheitsfront, die Arbeiterregierung - reaktionäre "Taktiken" wie diese waren zu einem großen Umfang der Ausdruck für die Notwendigkeit des russischen Staats, bürgerliche Alliierte in der kapitalistischen Welt zu finden.
Obwohl die bolschewistische Partei die proletarische Revolution noch nicht endgültig abgeschafft hatte, drängte die Logik der Situation, in der sie sich befand, die Partei zu einer endgültigen und vollständigen Identifizierung mit den Forderungen des nationalen Kapitals Rußlands. Lenins letzte Schriften zeugten von einem besessenen Interesse an den Problemen des "sozialistischen Aufbaus" im rückständigen Rußland. Der Sieg des Stalinismus machte diese Logik nur offenbar, indem er das Dilemma zwischen dem Internationalismus und den russischen Staatsinteressen durch die Abschaffung des erstgenannten zugunsten des letztgenannten eliminierte.
Die Ereignisse der letzten 50 Jahre haben gezeigt, daß eine proletarische Partei nicht in einer Periode des Rückzugs oder der Niederlage des Klassenkampfes überleben kann. Somit bestand der einzige Weg, auf dem die kommunistischen Parteien ihre physische Existenz bewahren konnten, darin, vollständig in das Lager der Bourgeoisie überzuwechseln. In Rußland wurde die Tendenz zum Niedergang durch die Tatsache noch verschärft, daß die Partei sich mit dem Staat verschmolzen und somit sich noch rascher auf die Forderungen des nationalen Kapitals umzustellen hatte. In einer Periode der Niederlage kann die Verteidigung revolutionärer Positionen nur durch kleine kommunistische Fraktionen weitergeführt werden, die sich selbst von der degenerierenden Partei lösen. Diese Phänomen fand in Rußland hauptsächlich zwischen 1921 und 1924 durch das Auftreten von kleinen Gruppierungen statt, die sich zur Verteidigung kommunistischer Positionen gegen den Verrat der Partei entschlossen hatten. Wie wir gesehen haben, war das Auftreten oppositioneller Tendenzen in der bolschewistischen Partei nicht neu, aber die Bedingungen, unter denen diese Fraktionen nach 1921 zu arbeiten hatten, unterschieden sich dramatisch von jenen, unter denen ihre Vorgänger gearbeitet hatten.
Die Vorbedingung zur Verteidigung einer kommunistischen Perspektive gegen die fortschreitende Konterrevolution war besonders in Rußland die Fähigkeit, sich loyal zu jenen Perspektiven zu verhalten, fern aller sentimentaler, persönlicher und politischer Bindungen zu den ursprünglichen Klassenorganisationen, jetzt wo die letztgenannten den Weg des Klassenverrats eingeschlagen hatten. Und in der Tat war dies die große Leistung der linken Fraktionen Rußlands; ihre trotzige Verpflichtung zur Weiterführung der kommunistischen Arbeit gegen die Partei und gegen den sowjetischen Staat, sobald eine solche Arbeit nicht mehr innerhalb jener Institutionen weitergeführt werden konnte. Für die Linke standen die kommunistischen Positionen an erster Stelle. Wenn die "Helden" der Revolution nicht mehr das kommunistische Programm verteidigten, dann mußten jene Helden denunziert und zurückgelassen werden. Es ist nicht überraschend, daß die russischen Linkskommunisten dazu neigten, sich aus Mitgliedern zusammenzusetzen, die nie im Rampenlicht standen und hauptsächlich Arbeiter und nicht Teil der bolschewistischen Führung während der heldenhafte Jahre gewesen waren (Miasnikow verspottete gar die linke Opposition als eine "Opposition von Berühmtheiten", die sich der Stalinistischen Fraktion nur aus deren bürokratischen Gründen entgegenstellten - siehe L'Ouvrier Communiste, Nr. 6, Januar 1930). Diese revolutionären Arbeiter waren imstande, die Bedingungen, denen das russische Proletariat gegenüberstand, viel leichter zu begreifen als hochrangige bolschewistische Offizielle, die tatsächlich den Kontakt mit der Klasse verloren hatten und nur noch fähig waren, die Probleme der Revolution im Rahmen der Staatsverwaltung zu sehen. Gleichzeitig war die Herkunft der linken Fraktionsmitglieder dennoch oft ein Faktor der Schwäche dieser Gruppen. Ihre Analysen neigten mehr zu einem rohen Klasseninstinkt als zu einer tiefgehenden theoretischen Gestaltung. Verbunden mit den historischen Schwächen der russischen Arbeiterbewegung, welche wir schon erwähnten, und die Isolierung der russischen Linken von den kommunistischen Fraktionen außerhalb Rußlands, setzten diese Fraktionen der Entwicklung des Linkskommunismus in Rußland enge Grenzen.
Trotz der Fähigkeit der Linken, mit den "offiziellen" Institutionen zu brechen und sich mit dem Klassenkampf gegen sie zu identifizieren, stellte der immense Rückzug der Klasse in Rußland die linken Fraktionen vor eine Reihe von undurchsichtigen und widersprüchlichen Problemen. Ungeachtet des raschen Niedergangs nach 1921 blieb die bolschewistische Partei Mittelpunkt des proletarischen Lebens in Rußland, nachdem die Arbeiterräte, die Fabrikkomitees und die anderen Massenorgane vom Tod ereilt wurden und der Staat selbst zu einem Organ des Kapitals geworden war. Aufgrund der Apathie und Gleichgültigkeit der Klasse konzentrierten sich die politischen Debatten und Konflikte fast ausschließlich rund um die Partei. Es trifft zu, daß die außerordentliche Gleichgültigkeit und Passivität der Klasse die meisten der ideologischen Debatten in den 20er Jahren von vornherein steril werden ließen, aber die Tatsache, daß die Partei eine Art Oase in einer Wüste der unpolitischen Arbeiterklasse war, konnte von den Revolutionären nicht ignoriert werden.
Diese Situation versetzte die linken Fraktionen in ein schreckliches Dilemma. Auf der einen Hand machte die Apathie der Massen zusammen mit den repressiven Aktionen des Staates es äußerst schwierig, dem innerhalb des Proletariats "allgemein" entgegenzuwirken. Auf der anderen Seite wurde die Arbeit gegenüber der Partei durch die Verbannung von Fraktionen 1921 und der zunehmend drückenden Atmosphäre innerhalb der Partei ernsthaft gehemmt; es war für jede wirklich oppositionelle Gruppe fast unmöglich, eine legale Arbeit innerhalb der Partei auszuüben. Selbst die relativ milde Kritik, die 1923 von der Plattform der 46 (das Gründungsdokument der linken Opposition) angestimmt wurde, enthielt die Beschwerde, daß "die freie Diskussion innerhalb der Partei faktisch verschwunden, die öffentliche Parteimeinung verstummt ist" (ebenda, S. 275, Erklärung der 46). Für die linken Tendenzen der Opposition war die Lage noch schlechter; und alle von ihnen fuhren jetzt noch fort, Propagandaarbeit unter den "breiten Massen" in den Fabriken mit der heimlichen Arbeit in den lokalen Parteizellen zu verbinden. Die Arbeitergruppe sprach in ihrem Manifest von 1923 von "der Notwendigkeit der Gründung der "Arbeitergruppe der Russischen Kommunistischen Partei (Bolschewik) auf der Grundlage des Programms und der Statuten der RKP, um einen entscheidenden Druck auf die führende Gruppe der Partei selber auszuüben". Die Gruppe Arbeiterwahrheit drückte im Appell von 1922 die Ansicht aus, daß "überall in den Werken, Fabriken, Gewerkschaftsorganisationen, Arbeiterfakultäten, Sowjetparteischulen, im Kommunistischen Jugendverband und in den Parteiorganisationen müssen Propagandazirkel gegründet werden, die mit der "Arbeiterwahrheit" solidarisch sind" (ebenda, S. 273, Erklärung der 46) (5). Solche Absichtserklärungen verdeutlichen die extrem große Schwierigkeit, denen diese Gruppen in ihren Bemühungen gegenüberstanden, ein Echo im russischen Proletariat zu finden, und die Unmöglichkeit, klar umrissene organisatorische Lösungen in einer Periode der Unordnung und Verwirrung zu finden.
Schließlich müssen wir uns klarmachen, daß diese Gruppierungen Objekte der intensivsten Verfolgung und Unterdrückung durch die Hände des Parteistaates waren. Eben weil Rußland das "Land der Arbeiterräte", das Land der proletarischen Revolution gewesen war, mußte die Konterrevolution dort total, gnadenlos und unverzichtbar sein, um die Spuren von allem, was revolutionär gewesen war, auszutilgen. Schon vor dem Sieg der stalinistischen Fraktion waren die linken Gruppierungen Gegenstand der Nachforschungen durch die GPU von Verhaftungen, Einkerkerungen und des Exils gewesen. Der Geldmittel und Ausrüstungen beraubt, ständig auf der Flucht vor der Geheimpolizei, war es sehr schwierig für sie, selbst das bloße Minimum an politischer Propaganda fortzuführen. Die Konsolidierung der Konterrevolution nach 1924 machte die Dinge noch schlimmer. Und jetzt noch, in diesen dunklen Jahren der Reaktion, setzten die Linkskommunisten den Kampf für die Revolution fort. Noch 1929 veröffentlichte die Arbeitergruppe ein illegales Flugblatt in Moskau "Den Weg der Arbeiter zur Macht". Selbst in den stalinistischen Arbeitslagern verstummten ihre politischen Stimmen nicht. Eine proletarische Revolution stirbt nicht leicht. Die Revolutionäre, die unter solchen widrigen Umständen weiterkämpften, erlangten ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit aus der einfachen Tatsache, daß sie von einer Revolution der Arbeiterklasse in die Welt gesetzt worden waren. Wir sollten daher im einzelnen die wesentlichen Gruppierungen untersuchen, die trotz allem, was gegen sie aufgefahren wurde, die Fahne der kommunistischen Revolution hochhielten.
1. DIE ARBEITERWAHRHEIT
Die Gruppe Arbeiterwahrheit wurde im Herbst 1921 gegründet. Es scheint, als ob sie hauptsächlich aus Intellektuellen zusammengesetzt und dem Kulturmilieu des "Proletkult" entwachsen war, dessen Hauptkraft Bogdanow war - ein Parteiterrorist, der Anfang dieses Jahrhunderts mit Lenin wegen philosophischer Probleme zusammengeprallt und zu jener Zeit in den linken Tendenzen des Bolschewismus prominent gewesen war. In ihrem Appell von 1922 charakterisierte die Arbeiterwahrheit die NEP, "die Wiedergeburt normaler kapitalistischer Verhältnisse", als Ankündigung einer schweren Niederlage des russischen Proletariats:
"Die Arbeiterklasse Rußlands ist desorganisiert, in den Köpfen der Arbeiter herrscht Verwirrung: Leben sie in einem Land der "Diktatur des Proletariats", wie die kommunistische Partei unablässig in Wort und Druck wiederholt, oder leben sie in einem Land der Willkür und der Ausbeutung, wovon sie die Wirklichkeit auf Schritt und Tritt überzeugt? Die Arbeiterklasse fristet ein jämmerliches Dasein, während die neue Bourgeoisie (d.h. die verantwortlichen Funktionäre, die Fabrikdirektoren, die Leiter der Trusts, die Vorsitzenden der Exekutivkomitees usw.) und die NEP-Leute ein luxuriöses Leben führen und uns wieder die Lebensweise der Bourgeoisie aller Zeiten in Erinnerung rufen".
(Aufruf der Gruppe "Arbeiterwahrheit" an das revolutionäre Proletariat, 31.1.1923, in Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur, S. 264,
Für die Arbeiterwahrheit ist der "Rätestaat" zum "Vertreter des gesamtnationalen Interesses des Kapitals und der nur den Apparat der Staatsverwaltung und der Regulierung der Wirtschaft leitenden Organisationsintelligenz geworden" (ebenda, S. 268). Zur selben Zeit sei die Arbeiterklasse ihrer Verteidigungsorgane, der Gewerkschaften und ihrer Klassenpartei beraubt worden. In einem Manifest, herausgegeben zum 12. Parteikongreß 1923, beschuldigte die Arbeiterwahrheit die Gewerkschaften, daß "sie sich von Organisationen zur Verteidigung der ökonomischen Interessen der Arbeiter zu Organisationen zur Verteidigung der Interessen der Produktion, d.h. vor allem des Staatskapital entwickelt hätten". (zitiert in E.H. Carr, The Interregnum).
Was die Partei anbetrifft, so erklärte der Appell, daß "die RKP zu einer Partei der Organisationsintelligenz geworden ist. Die Kluft zwischen der RKP und der Arbeiterklasse vertieft sich immer mehr..." (Dokumente, S. 267).Sie erklärte daher ihre Absicht, auf die Bildung einer wirklichen "Partei des russischen Proletariats" hinzuarbeiten, obgleich sie zugab, daß ihre Arbeit "lang und ausdauernd und zuallererst idelogisch(politisch)" sein wird.
Obwohl die relativ bescheidenen Absichten der Gruppe Arbeiterwahrheit ein leises Eingeständnis der Niederlage, die die Klasse erlitten hatte, und der konsequenten Einschränkung revolutionärer Aktivitäten in solch einer Periode auszudrücken schienen, war ihr gesamter Rahmen durch eine eigentümliche Zwiespältigkeit gegenüber der historischen Epoche und der Aufgaben, die die Klasse global konfrontierten, beeinträchtigt. Möglicherweise auf Bogdanows Idee fußend, daß, solange das Proletariat noch nicht zu einer Klasse herangereift sei, die fähig ist, sich zu organisieren, die sozialistische Revolution verfrüht sei, folgerten sie, daß die Revolution in Rußland die Aufgabe gehabt hatte, eine Phase der kapitalistischen Entwicklung zu eröffnen.
"Nach der erfolgreich durchgeführten Revolution und nach dem Bürgerkrieg haben sich Rußland weite Perspektiven für seine rasche Umwandlung in ein Land des fortschrittlichen Kapitalismus eröffnet. Darin besteht die unbestreitbar großartige Leistung der Oktoberrevolution" (Dokumente, S. 265)
Diese Perspektive führte die Gruppe Arbeiterwahrheit auch dazu, eine seltsame Außenpolitik für Rußland zu befürworten, die zu einer Annäherung an den "fortschrittlichen Kapitalismus" in Amerika und Deutschland gegen das "reaktionäre" Frankreich aufrief. Gleichzeitig scheint die Gruppe nur geringen oder keinen Kontakt zu den linkskommunistischen Gruppen außerhalb Rußlands gehabt zu haben.
Positionen wie diese führten die Arbeitergruppe von Miasnikow zweifellos dazu, zu verkünden, daß sie "nichts gemein hätten mit der sog. "Arbeiterwahrheit",die alles auszulöschen versucht, das in der Oktoberrevolution 1917 kommunistisch war, und die damit vollständig menschewistisch sind" (Workers Dreadnought, 31.5.1924),obwohl die Arbeitergruppe in ihrem Manifest von 1923 anerkannte, daß Gruppen wie die Arbeiterwahrheit, der Demokratische Zentralismus und die Arbeiteropposition viele ehrliche proletarische Elemente enthielten, die sie dazu aufrief, sich auf der Basis des Manifestes der Arbeitergruppe zu sammeln.
Zur Zeit der russischen Revolution neigte man bei jenen, die von der "Unvermeidbarkeit" einer bürgerlichen Entwicklung für Rußland sprachen, dazu, sie als Menschewiki zu identifizieren. Aber im Lichte der darauffolgenden Erfahrungen ziehen wir es vor, die Positionen der Arbeiterwahrheit mit den Analysen zu vergleichen, zu denen die deutsche und holländische Linke in den 30er Jahren gelangten. Wie die Arbeiterwahrheit begannen die letzteren mit einigen scharfsichtigen Einblicken in das Wesen des Staatskapitalismus, aber sie unterminierten ihre Analysen mit der Schlußfolgerung, daß die russische Revolution von Anfang an eine Angelegenheit der Intelligentsia gewesen sei, die die Organisation des Staatskapitalismus in einem Land durchführten, das für die kommunistische Revolution unreif sei. Mit anderen Worten: die von der Arbeiterwahrheit vorgestellt Analyse ist die einer revolutionären Tendenz, die durch die Niederlage der Revolution demoralisiert und verwirrt war und daher den ursprünglich proletarischen Charakter jener Revolution infragestellte. Durch die Abwesenheit eines klaren und zusammenhängenden Rahmens, in dem der Niedergang der Revolution analysiert werden kann, waren solche Verirrungen unvermeidlich, besonders bei den widrigen Bedingungen, unter denen sich die Revolutionäre in Rußland nach 1921 selbst befanden.
Aber trotz eines gewissen Pessimismus und Intellektualismus zögerte die Gruppe Arbeiterwahrheit nicht, in den wilden Streiks zu intervenieren, die im Sommer 1923 über Rußland einbrachen, indem sie versuchte, politische Parolen innerhalb der allgemeinen Klassenbewegung aufzustellen. Mit dieser Intervention zog die Gruppe jedoch die geballte Macht der GPU auf sich, und in der darauffolgenden Repression wurde sie sehr schnell zugrunde gerichtet.
2) DIE ARBEITERGRUPPE UND DIE KOMMUNISTISCHE ARBEITERPARTEI
Wir haben gesehen, daß viele Schwächen der Gruppen Arbeiteropposition und Arbeiterwahrheit auf ihren Mangel an internationaler Perspektive zurückgeführt werden können. Folglich können wir sagen, daß die wichtigsten linkskommunistischen Fraktionen in Rußland genau jene waren, die die internationale Natur der Revolution und die Notwendigkeit der Vereinigung der Revolutionäre in der gesamten Welt unterstrichen. Dies war der Fall bei den Elementen in Rußland, die sehr eng mit der deutschen KAPD und deren Schwesterorganisationen korrespondierten.
Am 3. und 17. Juni 1922 veröffentlichte WORKERS DREADNOUGHT eine Stellungnahme einer unlängst gegründeten Gruppe, die sich die "Gruppe der revolutionären Linkskommunisten" (Kommunistische Arbeiterpartei) Rußlands" nannte. Sie kündigte sich selbst als eine Gruppe an, die die "Russische Sozialdemokratische Kommunistische Partei verlassen hätte, da diese Geschäftemachen zu ihrer Hauptsorge gemacht hat" (WD, 3.Juni). Und obwohl sie selbst beteuerten, "alles zu unterstützen, was an revolutionären Tendenzen in der RKP noch vorhanden sei", und "all die Forderungen und Vorschläge der Arbeiteropposition zu begrüßen und zu unterstützen, die in eine gesunde politische Richtung gehen", bestand sie darauf, daß es "keine Möglichkeit der Reformierung der RKP von innen her gibt. Jedenfalls ist die Arbeiteropposition nicht dazu in der Lage". (WD, 17.Juni). Die Gruppe entlarvte die Bemühungen der Bolschewiki und der Komintern, einen Kompromiß mit dem Kapital sowohl in Rußland als auch im Ausland zu schließen, und insbesondere griff sie die Einheitsfront-Politik der Komintern als ein Mittel zum "Wiederherstellung der kapitalistischen Weltwirtschaft" (WD 17. Juni) an. Da die Bolschewiki und die Komintern einen opportunistischen Kurs einschlugen, der nur zu ihrer Integration in den Kapitalismus führen konnte, bekräftigte die Gruppe, daß die Zeit gekommen sei, um für eine Kommunistische Arbeiterpartei Rußlands zu arbeiten, die sich der KAPD in Deutschland, der holländischen KAP und anderer Parteien der Kommunistischen Arbeiterinternationale anschloß (6).
Die weitere Entwicklung dieser Gruppe ist unklar, aber sie scheint sich eng mit der besser bekannten Arbeitergruppe (auch bekannt als die Kommunistische Arbeitergruppe) Miasnikows verbunden zu haben - tatsächlich scheint die russische "KAP" von 1922 die Vorläuferin der letztgenannten gewesen zu sein. Am 1. Dez. 1923 verkündigte die Dreadnought, daß ihm eine Kopie des Manifestes der Arbeitergruppe von der KAP zusammen mit einem Protest der KAP gegen die Einkerkerung Miasnikows, Kuznetzows und anderer Militanten der Arbeitergruppe zugesendet worden war. 1924 veröffentlichte die KAPD das Manifest in Deutschland und beschrieb die Arbeitergruppe als die "russische Sektion der IV. Internationale". Auf jeden Fall wurde die Verteidigung des Linkskommunismus, veranschaulicht durch die KAPD, in Rußland fortan von der Miasnikow-Gruppe weitergeführt.
Gabriel Miasnikow, ein Arbeiter aus dem Ural, wurde 1921 mit einem Schlag bekannt in der bolschewistischen Partei, als er unmittelbar nach dem entscheidenden 10. Kongreß zur "Pressefreiheit von den Monarchisten bis zu den Anarchisten einschließlich" aufrief (Zitiert bei Carr, The Interregnum). Trotz Lenins Versuch, ihm von seiner Agitation abzuraten, weigerte er sich, klein beizugeben, und wurde früh im Jahr 1922 aus der Partei geworfen. Im Februar/März vereinigte er sich mit anderen Militanten, um die Arbeitergruppe der Russischen Kommunistischen Partei (Bolschewiki) zu gründen, und sie veröffentlichten ihr Manifest, das zum 12. Kongreß der RKP verteilt wurde. Die Gruppe begann mit der illegalen Arbeit unter den Partei- und Nicht-Parteiarbeitern und scheint eine wichtige Präsenz in der Streikwelle im Sommer 1923 gehabt zuhaben, als sie zu Massendemonstrationen aufrief und versuchte, eine im Wesentlichen defensive Klassenbewegung zu politisieren. Ihre Aktivitäten in diesen Streiks reichte nicht aus, um die GPU zu überzeugen, daß sie eine wirkliche Bedrohung war; eine Welle der Verhaftungen ihrer führenden Mitglieder versetzte der Gruppe einen ernsthaften Schlag. Aber wie wir gesehen haben, führte sie ihre Untergrundarbeit bis Anfang der 30er Jahre fort, wenn auch in reduziertem Umfang (7).
Das Manifest der Arbeitergruppe ist ein beachtlicher Fortschritt gegenüber dem Appell der Arbeiterwahrheit, aber es zeigt immer noch das Zögern und die halbfertigen Ideen der kommunistischen Linken in Rußland in jener Periode.
Das Manifest enthält die übliche Entlarvung der furchtbaren materiellen Bedingungen, unter denen die russischen Arbeiter litten, und der Ungleichheiten, die die NEP begleiteten, und fragt: "ob es wirklich möglich sei, daß die NEP (Neue Ökonomische Politik) zu einer neuen NEP (Neue Ökonomische Ausbeutung des Proletariats) wird?" Es führt dann fort, die Unterdrückung anderer Meinungen innerhalb und außerhalb der Partei und die Gefahr zu attackieren, daß die Partei sich in eine "Minderheit umwandelt, die sich an die Macht klammert und an die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes, und die zu einer bürokratischen Kaste werden wird." Es argumentiert, daß die Gewerkschaften, die Arbeiterräte und Fabrikkomitees ihre Funktion als proletarische Organe verloren haben, so daß die Klasse keine Kontrolle über die Produktion oder über den politischen Apparat des Regimes besaß. Und es rief zur Regeneration all dieser Organe, zu einer radikalen Reform des Rätesystems auf, was die Klasse in die Lage versetzen würde, ihre Vorherrschaft über das ökonomische und politische Leben auszuüben.
Dies bringt uns sofort zu dem Hauptproblem, dem die russische Linke in den frühen 20er Jahren gegenüberstand. Welche Haltung sollte sie gegenüber dem sowjetischen Regime einnehmen? Besaß das Regime noch immer einen proletarischen Charakter, oder sollten die Revolutionäre zu seiner völligen Zerstörung aufrufen? Der Ärger war, daß es während jener Jahre einfach keine Erfahrung oder klare Kriterien gab, um zu entscheiden, ob das Regime vollständig konterrevolutionär geworden war oder nicht. Dieses Dilemma spiegelte sich in der widersprüchlichen Haltung wider, die die Arbeitergruppe gegenüber dem Regime einnahm. So griff sie die Ungleichheiten der NEP und die Gefahr einer "bürokratischen Degeneration" an, während sie gleichzeitig erklärte, daß "die NEP das direkte Ergebnis der Lage der Produktivkräfte unseres Landes ist. Es muß dazu benutzt werden, die Positionen zu befestigen, die von dem Proletariat im Oktober errungen wurden"(8). Das Manifest stellte so eine Reihe von Vorschlägen zur "Verbesserung" der NEP vor - Arbeiterkontrolle, kein Angewiesensein auf ausländisches Kapital, usw. Gleichermaßen entschied sich die Arbeitergruppe, wie wir gesehen haben, dafür, unter den Parteimitgliedern zu arbeiten und Druck auf die Parteiführung auszuüben, während sie die Degeneration der Partei kritisierte. Und obwohl die Gruppe ansonsten die Frage stellte, ob das Proletariat "nicht dazu gezwungen sein könnte, den Kampf - und vielleicht gar einen blutigen - wieder neu aufzunehmen für den Sturz der Oligarchie" (zitiert in Carr, The Interregnum), lag die Hauptbetonung des Manifestes auf der Erneuerung des sowjetischen Staates und seiner Institutionen, nicht auf seinem gewaltsamen Sturz. Die Position der "kritischen Unterstützung" wird ferner von der Tatsache unterstrichen, daß angesichts der Kriegsdrohung durch das Curzon-Ultimatum 1923 die Mitglieder der Arbeitergruppe angeblich einen Eid geleistet hatten, "allen Versuchen des Sturzes der Sowjetmacht entgegenzutreten" (Zitat aus Carr). Ob es "richtig" war, das russische Regime 1923 zu verteidigen oder nicht, ist eigentlich nicht der Punkt. Die Positionen, die die Arbeitergruppe daraufhin aufgriff, machten sie sicherlich nicht konterrevolutionär, da die Erfahrung der Klasse die russische Frage noch nicht endgültig geklärt hatte. Ihre Zweideutigkeiten über das Wesen des russischen Regimes sind vor allem ein Zeichen der immensen Schwierigkeiten, die diese Frage den Revolutionären in der Verwirrung und Unordnung jener Jahre bereitete.
Der wichtigste Aspekt der Arbeitergruppe waren jedoch nicht ihre Analysen des russischen Regimes, sondern ihre unnachgiebige internationale Perspektive. Bezeichnenderweise beginnt das Manifest von 1923 mit einer kraftvollen Beschreibungen der Weltkrise des Kapitalismus und stellte zur Wahl, was der Menschheit als Gesamtheit bevorstand: Sozialismus oder Barbarei. Bei dem Versuch, das Zögern der Arbeiterklasse bei der Erlangung eines revolutionären Bewußtseins angesichts dieser Krise zu erklären, ritt das Manifest eine fabelhafte Attacke gegen die allumfassende konterrevolutionäre Rolle der Sozialdemokratie:
"Die Sozialisten aller Länder sind zu einem gegebenen Zeitpunkt die einzigen Retter der Bourgeoisie vor der proletarischen Revolution, weil die arbeitenden Massen gewohnt sind mißtrauisch zu sein gegenüber allem, was von den Unterdrückern kommt, aber wenn ihnen die Sachen dargestellt werden, als ob sie ihren Interessen entsprächen und dazu noch in sozialistische Phrasen gekleidet, dann werden die so irregeführten Arbeiter den Verrätern glauben und ihre Energien in einem hoffnungslosen Kampf vergeuden. Die Bourgeoisie hat und wird keine besseren Unterstützer haben".
Dieses Verständnis erlaubte der Arbeitergruppe, eine Reihe böser Entlarvungen der Taktiken der Komintern zur Einheitsfront und zu Arbeiterregierungen zu machen, die wie so viele andere Wege zur Fesselung des Proletariats an seinen Klassenfeind führen. Obwohl sie sich nur weniger der reaktionären Rolle der Gewerkschaften bewußt war, teilte sie die Auffassung der KAPD, daß in der neuen Epoche des kapitalistischen Zerfalls all die alten reformistischen Taktiken über Bord geworfen werden müssen:
"Die Zeit, als die Arbeiterklasse ihre materielle und legale Lage durch Streiks und den Einzug ins Parlament verbessern konnte, ist jetzt unwiderruflich vorüber. Dies muß offen gesagt werden. Der Kampf um die unmittelbaren Ziele ist ein Kampf um die Macht. Wir müssen in unserer Propaganda verdeutlichen, daß obgleich wir zu Streiks in verschiedenen Fällen aufgerufen haben, diese die Lage nicht wirklich verbessern können. Aber Ihr Arbeiter habt noch nicht die alten reformistischen Illusionen überwunden und Ihr führt einen Kampf fort, der Euch nur erschöpft. Wir sind solidarisch mit Euch in Euren Streiks, aber wir bestehen immer darauf, daß diese Bewegungen Euch nicht aus der Sklaverei, der Ausbeutung und der hoffnungslosen Armut befreien werden. Der einzige Weg zum Sieg ist die Eroberung der Macht durch Eure eigenen rohen Hände".
Die Rolle der Partei ist es demnach, die Massen überall auf den Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie vorzubereiten.
Das Verständnis der Arbeitergruppe für die neue historische Epoche scheint all die Schwächen sowie Stärken der Idee der KAPD von der "Todeskrise des Kapitalismus" zu enthalten. Für beide existieren die Bedingungen für eine proletarische Revolution jederzeit, da der Kapitalismus erst in seine letzte Krise eingetreten ist: die Rolle der Partei ist es somit, die revolutionäre Explosion der Klasse zu zünden. Nirgendwo im Manifest gibt es ein Eingeständnis des Zurückweichens der Weltrevolution, das stattgefunden hat, was eine bedachtsame Analyse der neuen Perspektive erfordert hätte, die sich den Revolutionären eröffnete. Für die Arbeitergruppe war die Weltrevolution 1923 genauso sehr auf der Tagesordnung, wie sie es 1917 gewesen war. Daher teilte sie die Illusionen der KAPD über die Möglichkeit, eine IV. Internationale zu bilden, und noch 1928-31 versuchte Miasnikow, eine Kommunistische Arbeiterpartei in Rußland zu organisieren (9). Es scheint, daß nur die italienische Linke in der Lage war, ein Verständnis für die Rolle der kommunistischen Fraktion in einer Periode des Zurückweichens, in der die Partei nicht mehr existieren kann, zu entwickeln. Für die KAPD, den Workers Dreadnought, Miasnikow und andere konnte die Partei zu jeder Zeit existieren. Die Folge dieser nur aufs Unmittelbare gerichteten Sicht war eine unerbittliche Tendenz zur politischen Auflösung: unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Repression fanden die deutschen Linkskommunisten es wie ihre russischen und englischen Sympathisanten beinahe unmöglich, ihre politische Existenz während der Periode der Konterrevolution aufrechtzuerhalten.
Die konkreten, von der Arbeitergruppe vorgebrachten Vorschläge bezüglich der internationalen Umgruppierung der Revolutionäre zeigten ein gesundes Interesse an der größtmöglichen Einheit der revolutionären Kräfte, aber sie spiegelten auch dieselben Dilemmas in dem Verhältnis der kommunistischen Linken zu den degenerierenden "offiziellen" Institutionen wider, die wir bereits an anderer Stelle festgestellt haben. So ruft das Manifest der Arbeitergruppe zu einer Art Einheitsfront aller wahrhaft revolutionären Elemente auf, worunter es die Parteien der III. Internationale ebenso einschließt wie die Kommunistischen Arbeiterparteien, während es sich heftig jeder Einheitsfront mit den Sozialdemokraten widersetzt. Bei einer anderen Gelegenheit soll die Arbeitergruppe in Verhandlungen mit der KPD-Linken um Maslow getreten sein, um Maslow in ihr verkümmertes "Auslandsbüro" zu ziehen. Die KAPD war in ihren Kommentaren über das Manifest äußerst kritisch gegenüber dem, was sie die "Illusionen" der Arbeitergruppe nannten, "die Kommunistische Internationale zu revolutionieren... Die 3. Internationale ist kein Instrument mehr des Klassenkampfes" Jedoch sollte das Dilemma der Arbeitergruppe bezüglich der Natur des russischen Regimes im Lichte der praktischen Erfahrung gelöst werden. Der Sieg des Stalinismus veranlaßte sie, eine kompromißlosere Linie gegen die Bürokratie und den Staat einzunehmen, während der rapide Zerfall der Komintern nach 1923 es unumgänglich machte, die zukünftigen internationalen "Partner unter den Linkskommunisten zu suchen. Es war zuallererst diese "internationale Verknüpfung" mit den Überlebenden der revolutionären Welle, die es Revolutionären wie Miasnikow erlaubte, in einem Ozean von Verwirrung, Demoralisierung und Übertölpelung, der die russische Arbeiterklasse verschlungen hatte, einen relativ hohen Grad an Klarheit zu erlangen.
3. DIE "UNVERSÖHNLICHEN" DER LINKEN OPPOSITION
Wir können hier nicht auf die gesamte Frage der linken Opposition eingehen. Obgleich ihre konfuse Verteidigung der Parteidemokratie, der chinesischen Revolution und des Internationalismus gegen die stalinistische Theorie des "Sozialismus in einem Land" demonstrierte, daß die linke Opposition eine "proletarische Strömung" war, der in der Tat der letzte Funke des Widerstands in der bolschewistischen Partei und in der Komintern war, macht die Unzulänglichkeit ihrer Kritik an der fortschreitenden Konterrevolution es unmöglich, die linke Opposition in ihrer Gesamtheit als Teil der revolutionären Tradition der kommunistischen Linken zu betrachten. Auf internationaler Ebene hielt ihre Weigerung, die Thesen der ersten 4 Kongresse der Komintern infrage zu stellen, sie davon ab, eine klägliche Wiederholung all ihrer Irrtümer zu vermeiden. Innerhalb Rußlands scheiterte die linke Opposition daran, den notwendigen Bruch mit dem Staatsapparat zu vollziehen, ein Bruch, der sie fest auf dem Terrain des proletarischen Kampfes gegen das Regime neben den wirklichen linkskommunistischen Fraktionen verankert hätte. Obwohl seine Feinde versuchten, Trotzki in Zusammenhang mit der Aufnahme von Beziehungen mit illegalen Gruppierungen wie der Arbeiterwahrheit zu bringen, distanzierte sich Trotzki ausdrücklich von diesen Gruppierungen. Er wies die Gruppe Arbeiterwahrheit als "Arbeiterunwahrheit" zurück (siehe E. Carr, "The Interregnum) und beteiligte sich selbst an der Repression gegen die "Ultralinken", indem er z.B. in der Kommission mithalf, die die Aktivitäten der Arbeiteropposition 1922 untersuchte. Alles, was Trotzki hätte gelten lassen, war, daß die Gruppen Symptome einer echten Degeneration im sowjetischen Regime seien.
Aber die linke Opposition war in ihren ersten Jahren nicht einfach Trotzki. Viele Unterzeichner der Plattform der 46 waren ehemalige Linkskommunisten und Demokratische Zentralisten wie Ossinski, Smirnow, Pjatakow und andere. Und Miasnikow sagte:
"Es gibt nicht nur große Leute in der trotzkistischen Opposition. Es gibt auch viele Arbeiter. Und diese werden den Führern nicht folgen wollen; nach einigen Zögerungen werden sie in die Reihen der Arbeitergruppe eintreten" (L'Ouvrier Communiste).
Eben weil die linke Opposition eine proletarische Strömung war, gebar sie natürlich einen linken Flügel, der weit über die schüchterne Kritik am Stalinismus von Trotzki und seiner "orthodoxen" Gefolgschaft hinausging. Gegen Ende der 20er Jahre entstand innerhalb der linken Opposition eine Strömung, die als die "Unversöhnlichen" bekannt wurde und sich aus jungen Arbeitern zusammensetzte, die sich der Tendenz der "moderaten" Trotzkisten widersetzten, eine Art Versöhnung mit der stalinistischen Fraktion anzustreben, eine Tendenz, die sich nach 1928 beschleunigte, als Stalin jäh das Industrialisierungsprogramm der linken Opposition auszuführen schien. Isaac Deutscher schreibt, daß unter den Unversöhnlichen "die Auffassung sich weiter ausbreitete, daß die Sowjetunion kein Arbeiterstaat mehr war, daß die Partei die Revolution verraten habe, und daß die Hoffnung auf eine Reformierung der Partei vergeblich sei und die Opposition sich in einer neuen Partei zusammenschließen und für eine neue Revolution eintreten und sie vorbereiten sollte. Einige faßten Stalin als den Verfechter des Agrarkapitalismus oder gar als den Führer der "Kulaken-Demokratie" auf, während andere seine Herrschaft als den Aufstieg eines Staatskapitalismus auffaßten, der dem Sozialismus unversöhnlich gegenüberstünde" (The Prophet Outcast).
In seinem Buch "Im Land der großen Lügen" gibt Anton Ciliga einen Augenzeugenbericht von den Debatten innerhalb der Linksopposition wider, die innerhalb Stalins Arbeitslagern stattfanden. Er zeigt, daß einige Linksoppositionelle für die Kapitulation vor dem stalinistischen Regime eintraten, andere für seine Reformierung, wiederum andere für die "politische Revolution", um die Bürokratie zu entfernen (die Position, die Trotzki selbst vertreten sollte). Aber die "Unversöhnlichen" oder "Verneiner", wie er sie nannte (Ciliga selbst war einer), "glaubten, daß nicht nur die politischen Verhältnisse, sondern auch die soziale und demokratische Ordnung dem Proletariat nicht nur fremd, sondern auch feindlich gegenüberstand. Deshalb faßten wir damals nicht nur eine politische, sondern auch eine soziale Revolution ins Auge, die den Weg zur Entwicklung des Sozialismus eröffnen sollte. Unserer Auffassung nach war die Bürokratie eine wirkliche Klasse, eine gegen die Arbeiterklasse feindlich eingestellte Klasse" (veröffentlicht in "Revolutionäre Politik in Stalins Gefängnissen", eine Broschüre der "Oppositionellen").
Im Januar 1930 schrieb Miasnikow im L'Ouvrier Communiste (Nr. 6) über die Linksopposition, daß: "es nur zwei Möglichkeiten gibt. Entweder schließen sich die Trotzkisten unter dem Ruf "Krieg den Palästen, Friede den Hütten" unter der Fahne der proletarischen Revolution zusammen, und dann muß der erste Schritt darin bestehen, daß die Arbeiterklasse die herrschende Klasse wird, oder sie werden langsam niedergehen und einzeln oder gemeinsam ins Lager der Bourgeoisie überwechseln. Dies sind die beiden einzigen Alternativen. Es gibt keinen 3. Weg".
Die Ereignisse in den 30er Jahren mit dem endgültigen Übertritt der Trotzkisten in die Armeen des Kapitals sollten Miasnikows Vorhersage bestätigen. Aber noch immer waren die besten Elemente der Linksopposition in der Lage, dem anderen Weg zu folgen, dem Weg der Arbeiterrevolution. Angewidert von Trotzkis Versagen, ihre Analysen in seinen Schriften aus dem Ausland zu bekräftigen, brachen sie 1930-32 mit der Linksopposition und begannen mit den Überbleibseln der Arbeitergruppe und der Gruppe Demokratischer Zentralismus im Gefängnis zusammenzuarbeiten, indem sie eine Analyse des Scheiterns der Weltrevolution und der Bedeutung des Staatskapitalismus ausarbeiteten. Wie Ciliga in seinem Buch hervorhebt, scheuten sie nicht länger davor zurück, zum Kern der Frage vorzustoßen und zu akzeptieren, daß der Niedergang der Revolution nicht mit Stalin begonnen hatte, sondern schon unter der Ägide von Lenin und Trotzki sich beschleunigt hatte. Wie Marx zu sagen beliebte, heißt radikal zu sein, an die Wurzeln zu gehen. Welch besseren Beitrag konnte die kommunistische Linke in jenen dunklen Jahren der Reaktion leisten, als sich furchtlos in die Wurzeln der Niederlage des Proletariats zu vertiefen?
*********************************
Manche mögen in den Debatten, die die russischen Linkskommunisten im Gefängnis fortsetzten, nichts anderes erblicken als ein Symbol der Impotenz revolutionärer Ideen angesichts des kapitalistischen Ungetüms. Aber obwohl ihre Lage der Ausdruck einer tiefen Niederlage de Proletariats war, ist die bloße Tatsache, daß sie fortfuhren, unter solchen entsetzlichen Bedingungen die Lehren der Revolution zu klären, ein Zeichen dafür, daß die historische Mission des Proletariats nie durch einen zeitweiligen Sieg der Konterrevolution begraben werden kann - auch wenn jener Sieg Jahrzehnte andauert. Wie Miasnikow im Zusammenhang mit der Einkerkerung Sapranows schrieb:
"Jetzt ist Sapranow verhaftet worden. Selbst das Exil und der Versuch, seine Stimme zum Schweigen zu bringen, schafften es nicht, seine Energie zu untergraben, und die Bürokratie konnte sich nicht sicher fühlen, bis er hinter dicken Gefängnismauern saß. Aber ein mächtiger Geist wie der der Oktoberrevolution kann nicht ins Gefängnis gesteckt werden. Selbst ein Grab kann ihn nicht zudecken. Die Prinzipien der Revolution leben noch in der Arbeiterklasse in Rußland und solange die Arbeiterklasse lebt, wird diese Idee nicht sterben. Ihr könnt Sapranow verhaften, aber nicht die Idee der Revolution". (L'Ouvrier Communiste).
Es ist wahr, daß die stalinistische Bürokratie schon lange zuvor erfolgreich die letzten kommunistischen Minderheiten in Rußland ausgelöscht hatte. Aber heute, wo eine neue Welle des internationalen proletarischen Kampfes selbst im Proletariat Rußlands ein gedämpftes Echo findet, ist der "mächtige Geist" eines zweiten Oktobers zurückgekehrt, um in den Köpfen der stalinistischen Henker in Moskau und ihrer Abkömmlinge in Warschau, Prag und Peking zu spuken. Wenn sich die Arbeiter des "sozialistischen Vaterlandes" erheben, um ein für allemal das unermeßliche Gefängnis des stalinistischen Staates zu zerstören, werden sie in Verbindung mit ihren Klassenbrüdern überall auf der Welt endlich in der Lage sein, die Probleme zu lösen, die sowohl von der Revolution 1917 als auch von ihren treuen Verteidigern, den Revolutionären der russischen kommunistischen Linken, nur gestellt werden konnten.
"Worauf es ankommt, ist, in der Politik der Bolschewiki das Wesentliche vom Unwesentlichen, den Kern von dem Zufälligen zu unterscheiden. In dieser letzten Periode, in der wir vor entscheidenden Endkämpfen in der ganzen Welt stehen, war und ist das wichtigste Problem des Sozialismus, gerade die brennende Zeitfrage nicht diese oder jene Detailfrage der Taktik, sondern: Aktionsfähigkeit des Proletariats, die revolutionäre Tatkraft der Massen, der Wille zur Macht des Sozialismus überhaupt. In dieser Beziehung waren Lenin und Trotzki mit ihren Freunden die ersten, die dem Weltproletariat mit dem Beispiel vorangegangen sind, sie sind bis jetzt immer noch die einzigen, die mit Hutten ausrufen können "Ich hab's gewagt".
Dies ist das Wesentliche und Bleibende der Bolschewiki-Politik. In diesem Sinne bleibt ihnen das unsterbliche geschichtliche Verdienst, mit der Eroberung der politische Gewalt und der praktischen Problemstellung der Verwirklichung des Sozialismus dem internationalen Proletariat vorangegangen zu sein und die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit in der ganzen Welt mächtig vorangetrieben zu haben. In Rußland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Rußland gelöst werden, es kann nur international gelöst werden. Und in diesem Sinne gehört die Zukunft überall dem "Bolschewismus". (R. Luxemburg, Zur russischen Revolution, Ges. Werke, Bd. 4 S. 365).
C.D. Ward, April 1977,
(aus Internationale Revue, Nr. 8+9, 1977).
(1) Die Bolschewiki selber brachten extrem-linke Tendenzen in der Zeit vor dem Krieg hervor, insbesondere diejenigen, die die parlamentarischen Taktiken der Bolschewiki nach der Revolution von 1905 kritisierten. Aber da diese Debatte in der Schlüsselphase zwischen dem Aufstieg des Kapitalismus und seinem Niedergang stattfand, können wir hier nicht näher darauf eingehen. Die Kommunistische Linke ist ein besonderes Produkt der Arbeiterbewegung in der Zeit der Dekadenz, da sie ihren Ursprung in der Kritik der "offiziellen" kommunistischen Strategie hinsichtlich der revolutionären Aufgaben des Proletariats in der neuen Epoche hat.
(2) Siehe die Lehren der Deutschen Revolution in Internationale Revue Nr. 10,
(3) Siehe "Der Niedergang der Russischen Revolution" in dieser Artikelsammlung, auch in Internationale Revue Nr. 2 und "Die Lehren Kronstadts" in der engl./franz. Ausgabe der International Review No 3.
(4) Obgleich die Arbeiteropposition faktisch nach 1922 aufhörte zu existieren, tauchte ihr Name genauso wie der der Demokratischen Zentralisten immer wieder im Zusammenhang mit illegalen Untergrundaktitivitäten bis Anfang der 30er Jahre auf, was heißt, daß Elemente beider Gruppen bis zum bittere Ende kämpften.
(5) Das Manifest der Arbeitergruppe erschien u.a. in Workers' Dreadnought 1.12.1923, 5.1.,2.2.,9.2.1924. Der "Appell" der Arbeiterwahrheit Gruppe wurde am 31.1.1923 in Berlin veröffentlicht, wiederveröffentlicht in "Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur", Olten 1967 und Juni 1972, München, dtv Verlag;
(6) Der Text des 17.Juni sowie ein anderer Text zur Einheitsfront wurde in "Workers' Voice" Nr. 14 veröffentlicht.
(7) Miasnikows weiterer Werdegang: von 1923-27 verbrachte er die meiste Zeit im Gefängnis oder im Exil wegen seiner Untergrundaktivitäten. Er flüchtete 1927 aus Rußland und floh nach Persien und in die Türkei, schließlich ließ er sich 1930 in Paris nieder. Während dieser Zeit versuchte er noch, seine Gruppe in Rußland zu organisieren. 1946 kehrte er aus Gründen, die er wohl selbst am besten kannte (vielleicht erwartete er eine neue Revolution nach dem Krieg?) nach Rußland zurück... seitdem gibt es keine Spur mehr von ihm.
(8) Die KAPD veröffentlichte das Manifest der Arbeitergruppe mit ihren eigenen kritischen Fußnoten. Sie stimmten nicht mit der Analyse der Arbeitergruppe hinsichtlich der NEP überein. Für sie war Rußland 1923 ein Land des von den Bauern beherrschten Kapitalismus und die NEP war ein Ausdruck desselben. Deshalb traten sie nicht für die "Überwindung" der NEP ein, sondern für ihre gewalttätige Abschaffung.
(9) 1929 berichtete Miasnikow in L'Ouvrier Communiste über eine Konferenz, die im August 1928 zwischen der Arbeitergruppe, Sabranows "Gruppe der 15" und Resten der Arbeiteropposition durchgeführt worden war. Man kam zu einer hohen Ebene der programmatischen Übereinstimmung und die Konferenz beschloß "die Umwandlung des Zentralbüros der Arbeitergruppe als Zentrales Organisationsbüro der Kommunistischen Arbeiterparteien der UdSSR". (Die Entscheidung, Kommunistische Arbeiterparteien in der UdSSR einzurichten, mag das Bestreben widerspiegeln, eine Unabhängigkeit für jede Sowjetrepublik und ihre Kommunistischen Parteien sicherzustellen, siehe das Manifest von 1923, es zeugt von einer "dezentralistischen Tendenz", die von der KAPD in ihren Notizen zum Manifest kritisiert wurde).
Zum früheren "Demokratischen Zentralisten" Sapranow und seiner Gruppe meinte Miasnikow: "Genosse Sapranow war aus nicht vom gleichen Schlag wie die Führer der Opposition der Berühmten. Die freundlichen Umarmungen oder Begrüßungsküsse Lenins ließen ihn nicht den Mund halten, und sie töteten auch nicht den lebendigen, kritischen, proletischen Geist in ihm. Und in 1926-27 tauchte er wieder als der Führer der "Gruppe der 15" auf. Die Plattform der Gruppe der 15 war weder von den Ideen her noch von der Theorie mit der Plattform der Demokratischen Zentralisten verbunden. Es handelte sich um eine neue Plattform einer neuen Gruppe, mit keiner anderen Verbindung zur Vergangenheit des Demokratischen Zentralismus, außer daß Sapranow ihr Sprecher war.
Die Gruppe der 15 führte ihren Namen deshalb, weil ihre Plattform von 15 Genossen unterschrieben war. In ihren Hauptpunkten, ihrer Einschätzung des Wesens des Staates der UdSSR, ihren Ideen über den Arbeiterstaat, steht das Programm der 15 den Auffassungen der Arbeitergruppe sehr nahe"