Gespeichert von Weltrevolution am
Anlässlich des 200. Geburtstages von Charles Darwin und 150 Jahre nach der Veröffentlichung seines Werkes “Die Entstehung der Arten” ist eine Reihe von Büchern mit viel versprechenden Titeln veröffentlicht worden, die mittlerweile ganze Regale in den Buchgeschäften füllen. Viele Autoren beginnen plötzlich für Darwin zu schwärmen. Jeder hofft darauf, einen eigenen Bestseller auf den Markt zu bringen, nachdem das Sensationswerk von Richard Dawkins “Der Gotteswahn” weltweit mehr als zwei Millionen mal verkauft wurde. Für die breite Öffentlichkeit ist es deshalb schwierig, sich in dem Thema zurechtzufinden und unter den vielen wissenschaftlichen Büchern die richtigen auszuwählen. Wir haben, ohne zu zögern, Patrick Torts Buch “L‘Effet Darwin. Sélection naturelle et naissance de la civilisation” (Éditions du Seuil), (“Der Darwin Effekt – Natürliche Auswahl und Geburt der Zivilisation”) gewählt. Der Autor bietet eine besonders bereichernde Erklärung der materialistischen Auffassung Darwins über die Moral und die Zivilisation an.
Darwin und die natürliche Auswahl der sozialen Triebe
Patrick Tort ist, soviel wir wissen, der einzige Autor, der die Polarisierung der Medien hinsichtlich der “Entstehung der Arten” überwindet und das zweite große Werk Darwins (das kaum bekannt ist oder oft schlecht interpretiert wird), “Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl”, 1871 erschienen, vorstellt und erklärt.
Das Buch Patrick Torts zeigt deutlich auf, wie die Epigonen Darwins sich der Theorie der veränderten Abstammung mittels der natürlichen Auswahl bemächtigt haben, die in “Die Entstehung der Arten” entwickelt wird, und wie sie das lange Schweigen Darwins über den Ursprung des Menschen ausgeschlachtet haben, um die Eugenik (welche von Galton theoretisiert wurde) und den “Sozialdarwinismus” (deren Initiator Herbert Spencer war) zu rechtfertigen.
Im Gegensatz zur lange vorherrschenden Auffassung hat Darwin die Malthus‘sche Theorie der Eliminierung des Schwächsten im gesellschaftlichen Kampf auf der Ebene des Bevölkerungswachstums nie ideologisch unterstützt. In “Die Entstehung der Arten” benutzt er diese Theorie nur als ein Modell, um die Mechanismen der organischen Evolution zu erklären. Es ist deshalb völlig falsch, Darwin als den Vater all dieser ultraliberalen Ideologien zu bezeichnen, die den Individualismus, die kapitalistische Konkurrenz und das “Gesetz des Stärkeren” predigen.
In seinem Grundlagenwerk “Die Abstammung des Menschen” wendet sich Darwin im Gegenteil sehr energisch gegen jede mechanische und schematische Anwendung auf die “Zivilisation”. Patrick Tort erklärt sehr überzeugend, mit guten Argumenten und mithilfe von Zitaten die Art und Weise, wie Darwin die Anwendung seines Entwicklungsgesetzes auf den Menschen und die menschlichen Gesellschaften sah.
Zunächst ordnete Darwin den Menschen phylogenetisch der Kategorie der Tiere zu, insbesondere einem gemeinsamen Erben, den es mit den Altweltaffen oder Schmalnasenaffen (Catarrhini) in der Alten Welt gegeben haben muss. Er erweiterte ebenfalls die Übertragung auf die Menschengattung. Dabei zeigte er auf, dass auch die natürliche Zuchtwahl seine biologische Geschichte geprägt hat. Darwin zufolge hat die natürliche Zuchtwahl jedoch nicht nur organisch vorteilhafte Variationen geschaffen, sondern auch Instinkte, insbesondere soziale Instinkte, die sich im Laufe der Entwicklung der Kategorie der Tiere gebildet haben. Diese sozialen Triebe haben bei der Gattung Mensch einen Höhepunkt erreicht und sind mit der Entwicklung der rationalen Intelligenz (und damit dem bewussten Denken) zusammengeflossen.
Diese miteinander verbundene Entwicklung der sozialen Triebe und der Intelligenz ging beim Menschen einher mit der “unbestimmten Ausdehnung” der moralischen Gefühle und des Altruismus. Die selbstlosesten und solidarischsten Individuen und Gruppen verfügen über Entwicklungsvorteile gegenüber den anderen Gruppen.
Der angebliche “Rassismus”, der Darwin noch heute vorgeworfen wird, kann durch ein einziges Zitat widerlegt werden: “Wenn der Mensch in der Kultur fortschreitet und kleine Stämme zu größeren Gemeinwesen sich vereinigen, so führt die einfachste Überlegung jeden Einzelnen schließlich zu der Überzeugung, dass er seine sozialen Instinkte und Sympathien auf alle, also auch auf die ihm persönlich unbekannten Glieder desselben Volkes auszudehnen habe. Wenn er einmal an diesem Punkte angekommen ist, kann ihn nur noch eine künstliche Schranke hindern, seine Sympathien auf die Menschen aller Nationen und aller Rassen auszudehnen. Wenn die Menschen sich in ihrem Äußern und ihren Gewohnheiten bedeutend von ihm unterscheiden, so dauert es, wie uns leider die Erfahrung lehrt, lange, bevor er sie als seine Mitmenschen zu betrachten lernt.” (Charles Darwin, Die Abstammung des Menschen, 4. Kapitel, Die geistigen Fähigkeiten des Menschen und der Tiere, Frankfurt, 2009, S. 152) 2
Patrick Tort zufolge gibt uns Darwin eine naturalistische und somit materialistische Erklärung des Ursprungs der Moral und der Zivilisation.
Was den Ursprung der Moral und der Zivilisation angeht, so findet man in den Kapiteln in “Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl” die markantesten Aussagen. Patrick Tort erklärt, dass nach Darwin der erste Faktor der Selbstlosigkeit vieler Tiergattungen (hauptsächlich der Säugetiere und der Vögel) im Instinkt der Reproduktion besteht, der so natürlich wie sozial ist. Die sekundären Geschlechtsmerkmale (wie das Brautfederkleid und andere ornamentale Auswüchse), die prahlerisch zur Schau gestellt werden und dazu dienen, die Weibchen in der Balzperiode anzulocken, beschwören gleichzeitig auch ein tödliches Risiko herauf: “Bedeckt mit seinem prachtvollen und schweren Hochzeitsschmuck, erscheint der Paradiesvogel sicher als unwiderstehlich; aber er kann kaum noch fliegen, so dass ihm Gefahr durch seine Jäger droht. Die Weibchen umsorgen ihre Brut und setzen sich bei deren Verteidigung ebenfalls Gefahren aus. Der Sozialinstinkt hat also eine Entwicklungsgeschichte durchlaufen, die auch die Möglichkeit der Selbstaufopferung beinhaltet, die in der menschlichen Moral ihren Gipfel erreicht. So erstellt Darwin eine Entstehungsgeschichte der Moral, ohne sich in irgendeiner Form auf außernatürliche Kräfte zu beziehen" (Patrick Tort, Darwin et la science de l'évolution, Verlag Découvertes / Gallimard).
Entgegen der vorherrschenden Meinung, derzufolge Darwin ein eifriger Verfechter der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gewesen sei und dabei das “starke” Geschlecht im Vorteil gesehen habe, traf genau das Gegenteil zu, wenn man die Evolution betrachtet. Aus Darwins Sicht (und hierin stimmt er mit Engels‘ Auffassung, die dieser in “Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates” entwickelt hat, und auch mit der Auffassung August Bebels in “Frau und Sozialismus” überein) sind es die weiblichen Wesen, die die ersten Trägerinnen des Instinkts der Selbstlosigkeit sind, die sich viel häufiger als die Männchen vor ihre Jungen stellen, um sie vor den Raubtieren zu schützen. Im Tierreich wählen die Weibchen das reproduzierende Männchen aus und nehmen damit die Wahl eines “Objektes” vor (die erste Form der Anerkennung des Andersartigen).
Die Theorie der “Umkehrwirkung der Evolution”
Weil er das Werk Darwins und die Dialektik bemerkenswert beherrscht, gelang es Patrick Tort, eine Theorie der “Umkehrwirkung der Evolution” zu erarbeiten, die er schon 1983 in seinem Buch “Das hierarchische Denken und die Evolution” entworfen hatte.
Worin besteht diese Theorie? Sie kann in einem Satz zusammengefasst werden: Mittels der sozialen Instinkte wählt die natürliche Zuchtwahl die Zivilisation aus, welche sich der natürlichen Zuchtwahl entgegenstellt. Um nicht zu paraphrasieren, wollen wir aus dem Buch zitieren:
“Mittels der sozialen Instinkte hat die natürliche Zuchtauswahl ohne 'Sprung' und ohne Brüche ihr Gegenteil ausgewählt, d.h. ein normiertes Ganzes und, davon ausgehend, ein gegen die Eliminierung gerichtetes Sozialverhalten – also gegen die Auswahl, wie sie der Begriff bedeutet, der in der Theorie der ‚Abstammung der Arten‘ entwickelt wurde. Sowie entsprechend eine ‚gegen die Auswahl, d.h. gegen die Eliminierung gerichtete Ethik, die in Prinzipien, Verhaltensregeln und in Gesetzen formuliert wurde. Die schrittweise Entstehung der Moral erscheint somit als ein von der Evolution untrennbares Phänomen. Sie ist eine normale Fortsetzung des Materialismus Darwins und eine unvermeidbare Erweiterung seiner Theorie der natürlichen Zuchtauswahl auf die Erklärung der Zukunft der menschlichen Gesellschaften. Viele Theoretiker, die vom Schleier abgeschreckt werden, in den die Entwicklungsphilosophie Spencers Darwin gehüllt hat, haben diese Erweiterung vorschnell in Form des simplistischen und falschen Modells des liberalen ‚Sozialdarwinismus‘ (die Anwendung des Prinzips der Eliminierung der weniger Fähigen im Rahmen einer allgemeinen Konkurrenz) angewandt. Doch dies kann richtigerweise nur unter dem Umkehrprinzip erfolgen, d.h. man muss die Umkehrung der ‚selektiven Operation‘ als Grundlage und Bedingungen des Eintritts in die ‚Zivilisation' (…) begreifen. Die Umkehroperation begründet somit den richtigen Unterschied zwischen Natur und Kultur. Damit vermeidet man die Falle eines wundersamen ‚Bruchs' zwischen den beiden Begriffen: die Kontinuität der Entwicklung durch diesen Vorgang der schrittweisen Umkehrung, der mit der (ebenfall selektiven) Entwicklung der sozialen Instinkte verbunden ist. Diese bewirkt somit keinen effektiven Bruch, sondern den Effekt eines Bruchs, der darauf zurückzuführen ist, dass die Zuchtauswahl im Laufe ihrer Entwicklung selbst diesem Gesetz unterworfen wurde – die neue Form der Auswahl, die den Schutz der ‚Schwachen' begünstigt. Damit erweist sie sich als stärker, weil vorteilhafter als die alte Form, die deren Eliminierung begünstigte. Der neue Vorteil ist somit kein Vorteil biologischer Art – er ist sozial geworden.”
Die “Umkehrwirkung der Entwicklung” ist also diese Bewegung der schrittweisen grundlegenden Wandlung, welche einen “Bruch” bewirkt, ohne jedoch einen völligen Bruch im Prozess der “natürlichen Zuchtwahl” hervorzurufen. 3. Wie Patrick Tort richtigerweise erklärt, sind die Vorteile, die die natürliche Zuchtwahl der sozialen Instinkte ermöglichen, für die menschliche Gattung nicht mehr biologischer, sondern gesellschaftlicher Art.
Gemäß Darwin gibt es eine materialistische Kontinuität in den Verknüpfungen zwischen dem sozialen Instinkt, der von kognitiven und rationalen Erkenntnissen begleitet wird, der Moral und der Zivilisierung. Dieser Theorie der “Umkehrwirkung der Entwicklung”, die eine wissenschaftliche Erklärung der Entstehung der Moral und der Zivilisation liefert, gebührt das Verdienst, den falschen Widerspruch zwischen Natur und Kultur, Kontinuität und Diskontinuität, Biologie und Gesellschaft, Angeborenem und Erworbenem usw. zu überwinden.
Die Anthropologie Darwins und die Perspektive des Kommunismus
In dem auf unserer Webseite veröffentlichten Artikel “Darwin und die Arbeiterbewegung” haben wir in Erinnerung gerufen, dass die Marxisten das Werk Darwins begrüßt haben, insbesondere sein Hauptwerk “Die Entstehung der Arten”. Sofort nach der Veröffentlichung von Darwins Buch haben Marx und Engels in seiner Methode eine dem historischen Materialismus analoge Methode erkannt. Am 11. Dezember 1859 schrieb Engels in einem Brief an Marx: “Übrigens ist der Darwin, den ich jetzt grade lese, ganz famos. Die Teleologie war nach einer Seite hin noch nicht kaputt gemacht, das ist jetzt geschehen. Dazu ist bisher noch nie ein so großartiger Versuch gemacht worden, historische Entwicklung in der Natur nachzuweisen…” (Engels an Marx, 11.12.1859, MEW Bd. 29, S. 524)
Ein Jahr später, am 19. Dezember 1860, schrieb Marx, nachdem er das Buch “Die Entstehung der Arten” gelesen hatte, an Engels : “(Es) ist dies das Buch, das die naturhistorische Grundlage für unsere Ansicht enthält.” (19.12.1860, Marx an Engels, MEW Bd. 30, S. 131)
Doch einige Zeit später, am 18. Juni 1862, revidierte Marx in einem Brief an Engels seine frühere Einschätzung, als er unbegründete Kritik an Darwin äußerte : “Es ist merkwürdig, wie Darwin unter Bestien und Pflanzen seine englischer Gesellschaft mit ihrer Teilung der Arbeit, Konkurrenz, Aufschluß neuer Märkte, ‚Erfindungen‘, und Malthusschem ‚Kampf ums Dasein‘ wiedererkennt. Es ist Hobbes ‚bellum omnium contra omnes‘ (Krieg aller gegen alle), und es erinnert an Hegel in der ‚Phänomenologie‘, wo die bürgerliche Gesellschaft als ‚geistiges Tierreich‘, während bei Darwin das Tierreich als bürgerliche Gesellschaft figuriert.” (Marx an Engels, 18.Juni 1862, MEW, Bd. 30, Briefe, S. 249).
In seinem Buch “Anti-Dühring” und in “Dialektik der Natur” stützte sich Engels teilweise auf die Kritik von Marx (er bezog sich auf die malthusianischen Fehler Darwins).
Aufgrund des langen Schweigens Darwins zur Abstammung der Menschen (sein Buch über die Abstammung des Menschen wurde erst 1871 veröffentlicht, elf Jahre nach dem Erscheinen von “Die Entstehung der Arten”) haben seine Kritiker, insbesondere Galton und Spencer, die Theorie der natürlichen Zuchtauswahl ausgeschlachtet, um diese schematisch auf die gegenwärtige Gesellschaft anzuwenden. “Die Entstehung der Arten” 4) wurde also leichterhand mit der Verteidigung der Malthus‘schen Theorie des “Gesetz des Stärkeren” im Existenzkampf in Verbindung gebracht.
Leider hat dieses lange Schweigen Darwins zur Abstammung des Menschen bei Marx und Engels für Verwirrung gesorgt, die - weil sie die Darwinsche Anthropologie, die erst 1871 entwickelt wurde 5), noch nicht kannten - das Denken Darwins mit dem liberalen Integrismus oder dem “Reinigungszwang” seiner beiden Kritiker verwechselten.
Die Geschichte der Beziehungen zwischen Marx und Darwin, zwischen dem Marxismus und dem Darwinismus könne im Grunde als ein “verpasstes Rendez-vous” betrachtet werden, wie Patrick Tort es auf einigen seiner öffentlichen Buchvorstellungen bezeichnete. Doch dies trifft nicht ganz zu, da Marx trotz seiner Kritik von 1862 den Materialismus Darwins weiterhin hoch schätzte. Ohne “Die Abstammung des Menschen” zu kennen, bot Marx 1872 Darwin ein Exemplar der deutschen Ausgabe seines Hauptwerkes “Das Kapital” mit einer persönlichen Widmung an: “Für Charles Darwin, von einem aufrichtigen Bewunderer” . Wenn man sich heute dieses Buch anschaut (das sich in der Bibliothek Darwins befindet), kann man sehen, dass lediglich die ersten Seiten aufgeschnitten wurden. Darwin beachtete die Theorie von Marx kaum, denn er hielt sich im Bereich der Wirtschaft nicht für sehr kompetent. Doch ein Jahr später, 1873, bekundete er ihm seine Sympathie in einem Dankesschreiben: “Ich glaube aufrichtig, dass diese Huldigung durch Sie mir eher zustehen würde, wenn ich besser das tief greifende und wichtige Thema der politischen Ökonomie verstehen würde.”
So haben die beiden Flüsse trotz des “verpassten Rendez-vous” dennoch teilweise ihr Wasser vermengen können.
Übrigens hat die Arbeiterbewegung nach Marx dessen Kritik an Darwin aus dem Jahre 1862 nicht weiter aufgegriffen. Auch wenn die große Mehrheit der marxistischen Theoretiker (Anton Pannekoek in seiner Broschüre “Darwinismus und Marxismus” eingeschlossen) “Die Abstammung des Menschen” etwas vernachlässigt hat.
Natürlich haben Pannekoek und Kautsky (in seinem Buch “Ethik und die materialistische Geschichtsauffassung”) und Plechanow in “Zur Frage der Entwicklung des monistischen Geschichtsauffassung” Darwins Theorie der sozialen Triebe begrüßt. Sie hatten jedoch nicht ausreichend verstanden, dass Darwin eine Theorie der Genealogie der Moral und der Zivilisation und eine materialistische Auffassung des Ursprungs derselben entwickelt hatte. Diese Theorie deckt sich in mancherlei Hinsicht mit der monistischen Geschichtsauffassung, und sie führt letzten Endes zur Perspektive des Kommunismus, d.h. dem Streben nach Vereinigung der Menschheit in einer menschlichen Weltgemeinschaft. Dies war die Ethik Darwins, auch wenn er kein Marxist war und keine revolutionäre Auffassung über den Klassenkampf vertrat.
Man könnte heute in gewisser Hinsicht behaupten, dass, wenn Marx und Darwin Ende des 19. Jahrhunderts nicht ihr “Rendez-vous” verpasst hätten, es ziemlich wahrscheinlich gewesen wäre, dass Marx und Engels der “Abstammung des Menschen” die gleiche Bedeutung beigemessen hätten wie der Untersuchung L.H. Morgans über den primitiven Kommunismus – “Die archaische Gesellschaft” (auf die sich Engels in seinem Buch “Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats” größtenteils bezieht).
Morgan und Darwin waren keine Marxisten. Aber ihre Beiträge (der erste im Bereich der Ethnologie, der zweite im Bereich der Naturwissenschaften) werden von dauerhaftem Wert für die Arbeiterbewegung bleiben.
Heute wird die Menschheit mit einer bislang ungekannten Entfesselung des “Jeder für sich”, des “Krieges aller gegen alle” und der mörderischen Konkurrenz konfrontiert, die durch den Bankrott des Kapitalismus verursacht wird.
Konfrontiert mit dem Zerfall dieses dekadenten Systems, muss die Weltarbeiterklasse, die Klasse der assoziierten Produzenten, durch ihren Kampf gegen die kapitalistische Barbarei die Ausdehnung der sozialen Gefühle der Menschengattung mehr als je zuvor fördern, damit sich in ihren Reihen ein revolutionäres Klassenbewusstsein entfaltet. Dies ist das einzige Mittel, damit die Menschheit die nächste Stufe der Zivilisation erklimmen kann: die kommunistische Gesellschaft, d.h. eine wahre menschliche Weltgemeinschaft, die solidarisch und vereint ist. 6
Sofiane (23.03 2009)
1 Patrick Tort arbeitet mit dem Naturgeschichtlichen Nationalmuseum zusammen. Als Verantwortlicher für die Veröffentlichung des monumentalen “Dictionnaire du darwinisme et de l'évolution" gründete und leitet er das Institut Charles Darwin International (www.charlesdarwin.fr ). 30 Jahre schon hat er sich mit dem Studium des Werkes von Darwin befasst. Er beabsichtigt im Rahmen seines Instituts dessen Gesamtwerk auf Französisch herauszubringen (35 Bände, die im Slatkine-Verlag erscheinen sollen. Bislang sind schon zwei Bände veröffentlicht).
2 Man muss ebenso unterstreichen, dass sich Darwin vehement gegen die Sklaverei gewandt hat. Er prangerte mehrfach die Barbarei der Kolonialisierung an.
3 Um seine Theorie zu verdeutlichen, benutzt Patrick Tort einen topologische Methaper, den des Möbiusbandes. Somit kann man verstehen, wie man dank des Phänomens des schrittweisen Übergangs zur Umkehrung bruchlos zur “anderen Seite” des Bandes übergeht (siehe die Verdeutlichung dieser “Bruchwirkung” ohne “punktuellen Bruch” in “Der Darwin Effekt: Natürliche Zuchtauswahl und Geburt der Zivilisation”.
4 Darwin wollte nicht zu schnell einen neuen “Schock” in der angepassten Gesellschaft seiner Zeit auslösen. Deshalb zog er es vor zu warten, bis der erste Schock über “Der Ursprung der Arten” nachließ, bevor er einen Schritt weiterging. Es war keineswegs selbstverständlich, auch nicht in den Reihen der Wissenschaftler, dass die Idee, derzufolge der Mensch mit den großen Affen gemeinsame Vorfahren hatte, akzeptiert wurde.
5 Als Darwin sich 1871 entschloss, “Die Abstammung des Menschen” zu veröffentlichen, schenkten Marx und Engels diesem neu erschienen Buch keine Aufmerksamkeit, denn sie waren zu stark mit den Ereignissen der Pariser Kommune und den organisatorischen Schwierigkeiten der I. Internationale beschäftigt, die sich mit den Manövern Bakunins auseinandersetzen musste.
6 Natürlich hat diese “kommunistische Gesellschaft” nichts mit dem Stalinismus gemeinsam, d.h. mit den staatskapitalistischen Regimes, die die UdSSR und Osteuropa bis 1989 beherrschten. Ihre wahren Umrisse wurden im Kommunistischen Manifest von 1848 und in der Kritik des Gothaer Programms (1875) entwickelt, insbesondere in dem folgenden Absatz. “In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!"
[Marx: Kritik des Gothaer Programms, S. 19. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 13180 (vgl. MEW Bd. 19, S. 21)]