Türkei: Solidarität mit dem Widerstand der Tekel-Beschäftigten

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Türkei: Solidarität mit dem Widerstand der Tekel-Beschäftigten gegen die Regierung und die Gewerkschaften (Teil 3) & Lehren: Wozu bestehen Gewerkschaften? Was ist ihre Funktion?

Wir bedanken uns sehr bei dem Tekel-Beschäftigten, der diesen Artikel verfasst hat, und sich mit der Zeit zwischen dem 2. März und dem 2. April befasst, und Lehren aus der allgemeinen Entwicklung zieht. IKS

(Die IKS erstellt gegenwärtig auf Deutsch eine Textsammlung mit Dokumenten zum Tekel-Streik. Der hier veröffentlichte 3. Teil baut auf den 1. Teil (welcher schon auf unserer Webseite veröffentlicht wurde) und den 2. (in Übersetzung befindlichen) Teil.

Beitrag des Genossen aus der Türkei

Am 2. März wurden, obwohl wir das ablehnten, die Zelte von den Gewerkschaftsbossen abgerissen, die Straße vor dem Turk-Is-Gebäude geräumt, und wir wurden aufgefordert, wieder nach Hause zurückzukehren. 70-80 verblieben in Ankara, um zu beraten, was wir in den nächsten drei Tagen tun könnten. Nach diesen drei Tagen kehrten 60 von uns nach Hause zurück, und 20 von uns, ich gehörte dazu, blieben noch weitere zwei Tage. Obwohl der Kampf in Ankara 78 Tage dauerte, blieben wir 83 Tage. Wir stimmten darin überein, dass wir uns sehr anstrengen mussten, den Kampf weiterzubringen, und ich kehrte schließlich auch nach Adiyaman zurück. Sobald ich aus Ankara zurückkehrte, fuhren 40 von uns zu unseren Brüdern und Schwestern, die in Gaziantep in der Textilindustrie im Streik stehen. Der Tekel-Kampf war ein Beispiel für unsere Klasse. Als ein Tekel-Beschäftigter war ich sowohl stolz als auch bewusst, dass ich mehr für unsere Klasse tun könnte und selbst dazu beitragen müsste. Obgleich meine wirtschaftliche Lage dies nicht zuließ und trotz der Erschöpfung nach 83 Tagen Kampf und anderen Problemen wollte ich mich noch mehr anstrengen, um den Prozess weiter zu treiben. Wir wollten ein formales Komitee gründen und den Prozess in unsere eigenen Hände nehmen. Auch wenn wir dies noch nicht formalisieren können, mussten wir es zumindest gründen, indem wir in Kontakt mit Beschäftigten aus anderen Städten blieben, da wir am 1. April nach Ankara zurückkehren wollten.

Wir müssen überall hingehen wo wir können und den Leuten über den Tekel-Kampf bis ins letzte Detail berichten. Dazu müssen wir ein Komitee bilden und innerhalb der Klasse zusammenschließen. Unsere Aufgabe ist schwerer als sie erscheint. Wir müssen uns auf der einen Seite mit dem Kapital auseinandersetzen, der Regierung und den Gewerkschaftsführern auf der anderen Seite. Auch wenn unsere wirtschaftliche Lage nicht gut ist, auch wenn wir körperlich müde sind, wenn wir den Sieg wollen, müssen wir kämpfen, kämpfen und nochmals kämpfen!

Obgleich ich von meiner Familie 83 Tage getrennt war, bin ich anschließend nur eine Woche zu Hause geblieben. Ich bin nach Istanbul gefahren, um die Leute über den Widerstand der Tekel-Beschäftigten zu berichten, ohne die Gelegenheit zu haben, mit meiner Frau und meinen Kinder die Zeit nachzuholen. Wir hatten viele Treffen unter den Beschäftigten des Tekel-Komitees, insbesondere in Diyarbakir, Izmir, Hatay, und ich habe mich an vielen Treffen mit Kollegen aus dem informellen Komitee in Istanbul getroffen. Wir hatten ebenso viele Treffen in der Mimar Sinan Universität, eines in dem Lehrerwohnhein Sirinevler, eins in dem Gebäude der Ingenieursgewerkschaft, wir diskutierten mit Piloten und anderen Beschäftigten der Luftfahrtindustrie aus der dissidenten Regenbogenbewegung in Hava-Is, und mit Beschäftigten der Justiz. Wir trafen ebenso den Istanbuler Vorsitzenden der Friedens- und Demokratiepartei und baten darum, dass Tekel-Beschäftigte die Gelegenheit erhalten, am Newroz Feiertag zu reden.

In den Treffen wurden wir alle sehr warmherzig empfangen. Die Bitte der PDP wurde akzeptiert, ich wurde gebeten, auf den Newroz Demonstrationen als Redner aufzutreten. Weil ich nach Adiyaman zurückkehren musste, schlug ich einen Kollegen aus Istanbul als Redner vor. Als ich in Istanbul war, besuchte ich die kämpfenden Feuerwehrleute, die Sinter Metaller, die Esenyurt Kommunalbeschäftigten, den Sabah Verlag, und streikende ATV Fernsehbeschäftigte und am letzten Tag die Beschäftigten der Istanbuler Wasser- und Kanalisationsbetriebe (ISKI). Einen halben Tag lang diskutierten wir mit den Arbeitern, um zu sehen, wie wir den Kampf stärken können; dabei unterrichteten wir sie über den Kampf der Tekel-Beschäftigten. Die ISKI-Beschäftigten berichteten mir, dass sie ihren Kampf begannen, weil sie sich ermutigt fühlten durch den Kampf der Tekel-Beschäftigten. Egal welche Arbeiter ich besuchte, egal bei welcher Demonstration ich mich beteiligte, überall hörte ich „der Kampf der Tekel-Beschäftigten hat uns Mut gegeben“. Während der Woche meines Aufenthaltes in Istanbul machte mich dies sehr glücklich. Mein ganzer Aufenthalt in Istanbul war für mich sehr erfüllend. Natürlich gab es auch Negativerlebnisse. Leider verstarb einer meiner Angehörigen, aber ich blieb dennoch eine ganze Woche wie geplant in Istanbul.

Zu den schlechten Nachrichten gehörte, dass in dieser Zeit 24 Studenten von ihrer Schule verwiesen wurden (Mehmetcik Gymnasium), weil sie den Tekel-Kampf unterstützt haben. Und in Ankara wurde auch eine Klassenschwester von uns aus dem Wissenschafts- und Technologieforschungsrat der Türkei (TUBITAK), Aynur Camalan, entlassen. Wenn das Kapital Arbeiter wie wir so brutal angreift, müssen wir uns dagegen zusammenschließen. So verfassten wir zwei Stellungnahmen für die Presse in Adiyaman und zeigten, dass unsere Freunde nicht alleine dastanden. Wir bereiteten uns auch für Demonstration des 1. April vor. Die Gewerkschaftsführer wollten, dass lediglich 50 Beschäftigte aus jeder Stadt nach Ankara kommen sollten, so dass insgesamt nicht mehr als 1000 Arbeiter zusammenkommen sollten. Als ein informelles Komitee erhöhten wir diese Zahl von 50 auf 180 in Adiyaman allein, und ich kam am 31. März schon mit 10 Kollegen nach Ankara.

Trotz all der Ankündigungen der Gewerkschaften, die Zahl auf 50 pro Stadt zu beschränken, gelang es uns, 180 Arbeiter zu mobilisieren (wobei wir die Kosten übernahmen, nicht die Gewerkschaften), weil wir uns dessen bewusst waren, dass die Gewerkschaften wie früher wieder zu manipulieren versuchen wollten. Wir hatten viele Treffen mit Massenorganisationen, Vereinigungen und Gewerkschaften. Wir besuchten Aynur Camalan, die Klassenschwester von TUBITAK, die ihren Job verloren hatte.

Am 1. April versammelten wir uns in Kizilay, aber wir mussten uns sehr bemühen, vor das Turk- Is zu gelangen, weil 15.000 Polizisten das Gebäude bewachten. Was taten all diese Polizisten vor uns und dem Gewerkschaftsgebäude? Jetzt müssen wir diejenigen fragen, die sich gegen uns richten. (…) Wenn ein Bollwerk von 15.000 Polizisten zwischen uns und den Gewerkschaften aufgebaut wird, warum bestehen dann überhaupt Gewerkschaften? Wenn ihr mich fragt, ist es ganz natürlich, dass die Polizei die Gewerkschaften und die Gewerkschaftsführer schützt, denn stellen sich die Gewerkschaften und deren Führer nicht vor die Regierung und das Kapital? Bestehen die Gewerkschaften nicht nur, um die Arbeiter im Interesse des Kapitals unter Kontrolle zu behalten?

Am 1. April gelang es ca. 35-40 von uns trotz alledem die Barrikaden einzeln zu durchbrechen und vor das Gebäude der Gewerkschaft Turk-Is zu gelangen. Es ging uns darum, eine gewisse Mehrheit zu erreichen, und dass auch andere dort hin gelangen könnten; aber das gelang uns nicht, unglücklicherweise gelang es unserer Mehrheit nicht, mit 15.000 Polizisten fertig zu werden. Die Gewerkschaften hatten verkündet, dass nur 1000 von uns nach Ankara kommen würden. Als informellem Komitee gelang es uns, diese Zahl auf 2300 zu erhöhen. 15.000 Polizisten blockierten den 2300 den Weg. Wir versammelten uns auf der Sakarya-Straße. Dort sollten wir mindestens die Nacht verbringen, mit all denjenigen, die gekommen waren um uns zu unterstützen. Tagesüber waren wir zweimal von der Polizei angegriffen worden, die dabei Pfefferspray und Polizeiknüppel einsetzte. Wir wollten natürlich die Nacht vor dem Hauptquartier der Gewerkschaft Turk-Is verbringen, aber als wir auf die Polizei stießen, verharrten wir in der Sakarya-Straße. Im Laufe der Nacht riefen jedoch die Gewerkschaftsleute die uns unterstützenden Arbeiter leise und gerissen dazu auf, das Gebiet zu räumen. So blieben wir nur als eine Minderheit vor. Die Gewerkschafter forderten mich auch mehrmals auf, den Rückzug anzutreten, aber wir beugten uns ihnen nicht und blieben vor Ort. Aber als unsere Unterstützer gegen 23.00h abzogen, mussten wir auch gehen.

Für den 2. April wurde eine Presseankündigung erwartet. Als wir gegen 9.00 h in der Sakarya-Straße eintrafen, wurden wir von der Polizei angegriffen, die erneut Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzte. Eine Stunde später oder so gelang ca. 100 von uns, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen und ein Sit-in zu beginnen. Die Polizei bedrohte uns. Wir widersetzten uns. Die Polizei musste die Absperrung öffnen, und uns gelang es mit der anderen Gruppe, die draußen geblieben war, zusammenzuschließen. Wir begannen, in Richtung des Gebäudes der Turk-Is zu marschieren, aber die Gewerkschaftsbosse taten erneut das, was sie tun mussten, und machten ihre Stellungnahme gegenüber der Presse ca. 100 m von der Gewerkschaftszentrale entfernt. Egal wie stark wir dies forderten, die Gewerkschaftsführer weigerten sich, vor das Gewerkschaftsgebäude auf die Straße zu kommen. Die Gewerkschaften und die Polizei handelten Hand in Hand; und da einige von uns abrückten, gelang es uns nicht dorthin zu gehen, wohin wir wollten. Es gab einen interessanten Punkt, den die Gewerkschafter verkündet hatten. Sie sagten, sie würden am 3. Juni zurückkommen und dort drei Nächte verbringen. Es ist schon merkwürdig, wie wir dort drei Nächte verbringen sollen, da es uns nicht mal gelang, eine einzige Nacht dort auszuhalten. Danach musste die Polizei zunächst die Gewerkschafter vor uns schützen und ihnen den Fluchtweg freihalten; dann standen wir der Polizei allein gegenüber. Ungeachtet der Drohungen und dem Druck der Polizei, zerstreuten wir uns nicht; darauf folgte ein Angriff mit Pfefferspray und Schlagstöcken, worauf wir uns am Nachmittag zerstreuten. Wir ließen einen schwarzen Trauerkranz von einigen Floristen binden, um das Verhalten der Turk-Is und der Regierung zu verurteilen, den wir vor der Gewerkschaftszentrale niederlegten.

Meine lieben Klassenbrüder und –schwestern: Was wir uns fragen müssen, wenn 15.000 Polizisten vor dem Gewerkschaftsgebäude und den Arbeitern zusammengezogen sind und Absperrungen errichtet haben, wozu bestehen eigentlich Gewerkschaften? Ich rufe alle meine Klassenbrüder- und schwestern auf, wenn wir den Sieg erringen sollen, müssen wir gemeinsam kämpfen.

Wir als Tekel-Beschäftigte haben einen Funken gezündet; alle zusammen werden wir diesen zu einem gewaltigen Feuerball machen. Deshalb möchte ich meinen Respekt für euch alle zum Ausdruck bringen, indem ich meinen Text mit einem Gedicht ende:

The steam of the tea flies away while our lives are still fresh

Cloths get as long as roads, and only sorrow returns

A bown of rice, they say our food has landed on our homes

Yearnings become roads, roads, where does labour go

Hunger is for us, cold is for us, poverty is for us

They have called in fate, living with it is for us

Us who feed, us who hunger, us who are naked again

We have not written this fate, it is us who will break it yet again

Wir als Tekel-Beschäftigte sagen, auch wenn wir eine Niederlage einstecken sollten, werden wir unseren Kindern eine ehrbare Zukunft hinterlassen.

Ein Tekel-Beschäftigter aus Adiyaman

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