Syrien: Die imperialistischen Mächte kreisen über ein Land in der Barbarei

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Die Verbrechen eines einzelnen Massenmörders wie Anders Breivik, der gegenwärtig in Oslo wegen des Massakers an jungen Leuten in dem Sommercamp der Jugend der Sozialdemokratischen Partei vor Gericht steht, schrumpfen zusammen im Vergleich zur tödlichen Vernichtungskraft des modernen Staates. Das Assad-Regime in Syrien führt der Welt vor, in welchem Maße ein Staat fähig ist, landesweit systematisch und gezielt Terror auszuüben. Eine Stadt nach der anderen wird zur Zielscheibe intensiver Bombardierungen, die Bevölkerung ist in den Kellern und Häusern gefangen; tagelang, ja oft wochenlang ohne Essen und Strom. Scharfschützen der Armee hocken auf Häuserdächern, zielen willkürlich auf jeden, der lebensmüde genug ist, um nach Lebensmitteln für seine Familie zu suchen. Und wenn die Stadt dann doch fällt, werden ganze Familien oft mehr oder weniger direkt und von Angesicht zu Angesicht ausgelöscht, entweder von regulären Soldaten oder häufiger - da so viele Soldaten aus Abscheu über das, was man sie zu tun zwingt, aus den Reihen der Armee desertiert sind - von im Verborgenen handelnden Gangsterbanden, die unter dem Namen "Shabiha" bekannt geworden sind, oder von Schattenmännern. Am meisten publik geworden sind die Massaker in Hula und Mazraat al-Qubair, aber dies sind nicht die einzigen.

 

Mit schamloser Arroganz rechtfertigen die Beschützer des Regimes die blutigen Belagerungen, behaupten, dass "bewaffnete terroristische Gruppen" diese Städte übernommen hätten. Sehr oft werfen sie die in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Massaker an Frauen und Kindern diesen Gruppen vor, die angeblich darauf abzielen, den Ruf der Regierung zu schädigen. Aber die ruchlosen, dreisten Verbrechen und Lügen der syrischen Regierung sind alles andere als ein Beleg dafür, dass das Regime festen Boden unter den Füßen hat. In Wirklichkeit spiegeln diese Massaker die Verzweiflung eines Regimes wider, dessen Tage gezählt sind.

In Anbetracht der sich immer mehr ausdehnenden Proteste gegen seine Herrschaft, die durch die Massenbewegungen in Nordafrika und im Nahen & Mittleren Osten angespornt wurden, versucht Assad jun. in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. 1982 wurde auch Hafez al-Assad mit einem Aufstand konfrontiert, der seinerzeit von der Muslimbruderschaft angeführt wurde und dessen Zentrum in Hama lag. Das Regime entsandte die Armee, die einen Großteil der Bevölkerung abschlachtete:  Man geht von ca. 17.000-40.000 Toten aus. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, und die Assad-Dynastie konnte ihre Herrschaft über das Land während der letzten zweieinhalb Jahrzehnte mehr oder weniger unangefochten aufrechterhalten.

Die Veränderung der Lage seit 1982

Doch einfach schnell zum unbarmherzigen Terror zu greifen reicht nicht mehr aus, weil sich die Geschichte seit den 1980er Jahren weiterentwickelt hat. Zunächst wurde die relative Stabilität des alten Blocksystems (in dem Syrien der konsequenteste Verbündete der UdSSR in der Region war) durch den Zusammenbruch des Ostblocks und dem darauf folgenden Auseinanderbrechen des von Washington angeführten westlichen Blocks untergraben. Diese tiefgreifende Umwälzung der internationalen Beziehungen öffnete das Tor für die Konfrontation zwischen den imperialistischen Ambitionen einer ganzen Reihe von Staaten (sowohl kleiner, mittelgroßer als auch größerer), die nun nicht mehr von den alten Supermächten beherrscht wurden. Im Mittleren Osten war der Iran schon vor dem Zusammenbruch der Blöcke ein Unruhestifter. Seine Ambitionen haben seit der Besetzung des Irak durch die von den USA angeführten Truppen mächtig Auftrieb erhalten. War der Irak unter Saddam Hussein noch ein wichtiges Gegengewicht zu Teherans Ambitionen in der Region gewesen, so wurde nach dem Sturz Saddams das Land durch innere Unruhen erschüttert. Seitdem wird auch der Irak von einer schwachen schiitischen Fraktion beherrscht, die iranischen Einflüssen sehr offen gegenübersteht. Die Türkei, einst ein zuverlässiger Verbündeter der USA, hat begonnen, ihr eigenes Spiel zu betreiben; sie tritt zunehmend als Führer des muslimischen Nahen Ostens auf. Selbst Israel macht immer mehr Unabhängigkeit gegenüber seinem Zahlmeister, den USA, geltend. Die Stimmen im israelischen Staat, die auf einen Angriff gegen die iranischen Atomkraftanlagen drängen, unterstreichen dies. Die USA schrecken jedoch vor solch einem Schritt zurück, weil er das große Risiko eines gewaltigen Chaos mit unabsehbaren Konsequenzen beinhaltet.

Auf diesem Tummelplatz nationaler Ambitionen wurde das, was einst als unbewaffneter Protest gegen das Assad-Regime begann, sehr schnell zu einem Stellvertreterkrieg zwischen regionalen und globalen imperialistischen Mächten. Der Iran, Syriens mächtigster Verbündeter in der Region, hat sich entschlossen auf die Seite des Assad-Regimes geschlagen. Es gibt Berichte von iranischen Revolutionswächtern oder anderen Handlangern der islamischen Republik, die vor Ort als Komplizen des Terrors aktiv sind, der von den Schergen Assads ausgeübt wird. Assad genießt auch weiterhin den Schutz Russlands und Chinas, die im UN-Sicherheitsrat eine Reihe von Resolutionen blockiert haben, in denen das Assad-Regime verurteilt und zu Sanktionen gegen das Land aufgerufen werden sollte. In Anbetracht der sehr starken Kritik musste Russland seine Haltung etwas abschwächen und kritisierte zum ersten Mal, wenn auch moderat die vom Assad-Regime verübten Massaker. Seine Unterstützung einer „Nicht-Interventionspolitik" läuft darauf hinaus, sicherzustellen, dass die Rebellen keine Waffen erhalten, während die regierungstreuen Kräfte weiterhin über ein gewaltiges Waffenarsenal verfügen. US-Außenministerin Hilary Clinton beschuldigte neulich Russland, Damaskus Kampfhubschrauber zu liefern, woraufhin der russische Außenminister Sergej Lawrow entgegnete, die Hubschrauber dienten lediglich "Verteidigungszwecken", und schließlich liefere der Westen über geheime Kanäle ja auch Waffen an die Rebellen.

Dies war die erste öffentliche Beschuldigung dieser Art durch die Russen, aber die Tatsache der Waffenlieferungen an die Rebellen war schon seit langem bekannt. Nachdem die Opposition zu einer größeren politischen bürgerlichen Kraft herangewachsen war und sich um die Freie Syrische Armee und den Syrischen Nationalrat zusammengeschlossen hatte, erfolgten Waffenlieferungen aus Saudi-Arabien und Qatar. Die Türkei hat in der Zwischenzeit eine Kehrtwende vollzogen und ist von der vormals freundschaftlichen Haltung gegenüber dem Assad-Regime zur Verurteilung  des unmenschlichen Vorgehens des Regimes übergegangen. In der Zwischenzeit hat sie Flüchtlingen aus Syrien Unterkunft angeboten. Auf militärischer Ebene hat sie beträchtliche Kräfte an der syrischen Grenze zusammengezogen. In der gleichen Rede, in der H. Clinton Moskau die Lieferung von Kampfhubschraubern an Syrien vorwarf, meinte sie, dass der „Aufmarsch von syrischen Truppen um Aleppo, das nahe der türkischen Grenze liegt, vitale strategische oder nationale Interessen der Türkei verletzen könnte“ (The Guardian, 13. Juni 2012).  Der jüngste Abschuss einer türkischen Militärmaschine, die angeblich syrischen Luftraum verletzt hatte, hat die Spannungen zwischen Ankara und Damaskus weiter verschärft.

Imperialistisches Patt

So hat die Politik der Terrorisierung der Bevölkerung nicht die Kontrolle Assads über das Land verstärkt, sondern das Land in einen zunehmend unberechenbaren imperialistischen Konflikt getrieben, in dem auch die religiösen und ethnischen Spaltungen im Land vertieft werden. So unterstützt der Iran die dominierende alawitische Minderheit, während die Saudis versuchen, ein sunnitisches Regime durchzuboxen; gleichzeitig streifen Dschihad-Terroristen wie Hyänen durchs Land, um ihre Terrorangriffe auszuführen. Hinzu kommen Spaltungen zwischen Christen und Muslimen, Kurden und Arabern, die alle noch an Schärfe zunehmen und das Land in ein noch größeres Chaos treiben werden, wie wir es schon aus dem Irak kennen.

Je mehr Syrien zu einem gescheiterten Staat zu werden droht, je weniger die UN-Sanktionen und Beobachtermissionen sich als fähig erweisen, dem Töten ein Ende zu setzen, desto lauter werden die Rufe nach einer “humanitären” militärischen Intervention durch die westlichen Mächte werden. Schließlich, so sagen deren Befürworter, habe das doch auch in Libyen „funktioniert“, wo Frankreich und Großbritannien die Verantwortung übernommen hatten, eine Flugverbotszone durchzusetzen. Ihr militärisches Eingreifen ermöglichte letztendlich den Sieg der Rebellen und den Sturz des Gaddafi-Regimes. Doch im Falle Syriens sind Staaten wie Großbritannien, Frankreich und die USA weitaus vorsichtiger, auch wenn sie Assad immer lauter auffordern, seinen Platz zu räumen. Es gibt eine Reihe von Gründen für ihr Zögern: Die Geographie des Landes eignet sich, anders als in Libyen, das zum Großteil aus Wüste besteht, nicht für eine Kriegsführung aus der Luft. Und während Gaddafi in seinen letzten Tagen an der Macht international zunehmend isoliert wurde, pflegt Syrien viel engere Bande zu Russland, China und zum Iran. Vor dem Hintergrund, dass Israel die USA bereits dazu drängt, den Iran anzugreifen, und droht, dass es andernfalls allein vorpreschen werde, könnte eine Eskalation in Form eines Krieges in Syrien auch einen Krieg mit dem Iran auslösen, der noch viel größere Folgen nach sich ziehen würde. Zudem ist die Armee Assads viel besser ausgerüstet und gedrillt als Gaddafis Soldaten. Kurzum, die westlichen Truppen laufen Gefahr, in Syrien und seinem Umfeld in ein völlig unkontrollierbares Schlamassel zu geraten, so wie  schon in Afghanistan und im Irak. Im Gegensatz zu Libyen gibt es keine Gefahr, dass wertvolle Ölreserven in die falschen Hände geraten, denn Syrien ist mit keinerlei Ölquellen gesegnet. Die sozialen und politischen Konsequenzen eines weiteren Kriegsschauplatzes mit Beteiligung der Großmächte in dieser von Kriegen übersäten Region sind - zumindest im Augenblick – nicht abzuwägen, um ein solches Risiko einzugehen. Auch die Türkei, die am stärksten durch die Folgen einer humanitären Katastrophe in Syrien betroffen wäre, geht gegenwärtig sehr vorsichtig mit ihren Karten um.

Man kann von einer Art imperialistischem Patt in Syrien sprechen, während gleichzeitig die Opfer –Tote und Verwundete -  nicht mehr zu zählen sind. Das heißt nicht, dass ein westliches militärisches Eingreifen auszuschließen ist. Wie die Erfahrung im Irak und Afghanistan (und Libyen, wo die Konflikte nach einiger Zeit sich auch auf die Nachbarländer Libyens ausgedehnt haben) zeigt, sind die Folgen des militärischen Eingreifens des Westens alles andere als „humanitär“. Auch wenn es ihren imperialistischen Interessen entspricht, eine gewisse Ordnung in der Region herzustellen und die Konflikte in einigen Gebieten einzudämmen, besteht die vorherrschende Tendenz darin, dass Chaos, Gewalt und „Unordnung“ noch mehr zunehmen werden. Wie die Wirtschaftskrise, vor der der Kapitalismus wie vor einer unüberwindbaren Mauer steht, beweist die Zunahme von Kriegen und imperialistischen Spannungen auf der Welt, dass der Kapitalismus zu einer Sackgasse für die Menschheit geworden ist.

 Amos   4.7.2012