Gespeichert von Weltrevolution am
Die Probleme eines Kampfes, wenn sowieso Betriebsschließungen geplant sind
Die Bergarbeiter in Asturien verkörpern eine stolze Tradition innerhalb der Arbeiterbewegung, so beim Aufstand von 1934, und es ist nicht verwunderlich, dass sie am 31. Mai entschlossen in den Streik traten. Ihre Courage ist unübersehbar in zahlreichen Straßenblockaden, bei denen sie auch mit improvisierten Waffen die anrückenden Polizeieinheiten fernhielten wie auf der Nationalstraße N-360, oder als sie auf dem Weg nach Madrid mit Polizeigewalt, Verhaftungen und Gummigeschossen konfrontiert waren. Dies war Anstoß für die Beiträge auf den Internetforen libcom (https://libcom.org/news/coal-mines-ignite-asturias-10062012?page=1https://libcom.org/article/coal-mines-ignite-asturias-updates?page=1) und der IKT (Internationale Kommunistische Tendenz) (https://www.leftcom.org/en/articles/2012-06-19/the-struggle-of-the-asturian-miners).
Alles erinnert stark an den Bergarbeiterstreik von 1984/85 in Großbritannien, als dieser kämpferische Sektor, der den Respekt der ganzen Arbeiterklasse genoss und in vielen Belangen deren Hoffnungen ausdrückte, in einen beherzten und bitteren Streik trat und dabei zahlreiche Konfrontationen mit der Polizei hatte, als er mit jeder Arten der Repression konfrontiert war. Wie heute in Spanien waren die Bergarbeiter mit geplanten Minenschließungen in einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit konfrontiert. Der Kampf endete in einer Niederlage, die zwei Jahrzehnte lang schwer auf den Schultern der britischen Arbeiterklasse lastete.
In der Diskussion auf dem Internetforum libcom warf Fingers Malone die Schwierigkeiten der spanischen Bergarbeiter angesichts des Wesens des Angriffs auf, in einem Industriesektor, der sowieso abgebaut wird: „nur der Streik an sich führt zu nichts“. Er sieht dies als Grund für die Errichtung der Straßenblockaden und auch die verzweifelten unterirdischen Minenbesetzungen, die unter ungesündesten und unangenehmsten Bedingungen stattfinden. Hilft dies für einen wirkungsvollen Kampf? In unseren Augen liegt das Problem nicht darin, dass zu streiken allein nicht genügt, sondern dass allein zu kämpfen, isoliert von anderen Sektoren der Arbeiterklasse, die Bergarbeiter angesichts der Staatsmacht in eine Position der Schwäche versetzt und der Kampf meist in einer Niederlage endet. Der Generalstreik vom 18. Juni, der von den Gewerkschaften CCOO und UGT und von den linken Parteien PCE (Stalinisten) und PSOE (Sozialdemokraten) organisiert wurde, durchbrach ihre Isolation keineswegs, sondern begrenzte den Kampf auf die Gebiete und Branchen, die von den Subventionskürzungen betroffen sind. Ihre Forderung nach einem „Kohleplan“ für Spanien, der an den Slogan “Kohle statt Almosen” der Bergarbeitergewerkschaft NUM in Großbritannien in den 80er Jahren erinnert, verschärfte die Isolation des Streiks noch mehr.
In diesem Sinne verkörpert der Slogan „Wir sind nicht empört, sondern angepisst“ die Grenzen des Kampfes mit all seinen Illusionen in ihre Stärke als Bergarbeiter, die fähig sind, sich gegen die Polizei durchzusetzen. In gewisser Weise betrachten sich die Bergarbeiter als Ausdruck eines radikaleren Standpunktes als die Indignados, deren Kampf eine der Schlüsselauseinandersetzungen des letzten Jahres war, dies nicht nur in Spanien sondern weltweit. Trotz all ihrer starken Klassenidentität ist gerade die Isolierung der Bergarbeiter in Asturien eine entscheidende Schwäche, welche die Kämpfe insgesamt zurückwerfen kann.
Ein Jahr danach – was ist von der M15-Beewegung übriggeblieben?
Auch wenn die herrschende Klasse ihre liebe Mühe hat, die Ökonomie im Griff zu behalten, so sollten wir nie ihre Erfahrung unterschätzen, die sie in der Konfrontation mit der Arbeiterklasse hat. Dies zeigten eben gerade die Isolierung der Bergarbeiter und der gewerkschaftlich organisierte Generalstreik vom 29. März auf, dem unmittelbar die Ankündigung von Sparmaßnahmen in der Höhe von 27 Milliarden Euros folgte.
Das „Zelebrieren“ des Jahrestages der 15M-Bewegung durch die herrschende Klasse ist ein weiteres Beispiel einer Parodie mit dem Zweck, die ursprünglichen Ereignisse zu verwischen oder mindestens die Erinnerung an die Ursprünge der Bewegung vollständig zu verzerren – gerade dann, wenn wir eigentlich darüber nachdenken, diskutieren und uns der Lehren daraus bewusst werden sollten. Im Mai 2012 wurde zum Jahrestag von einem Kartell linker und gewerkschaftlicher Organisationen mobilisiert, und nicht von den Vollversammlungen, die es leider nicht mehr gibt, und es wurde nun prompt die demokratische und reformistische Sichtweise des „Bürgers“ in den Vordergrund gestellt als Gegenpol zu derjenigen der Arbeiterklasse.
Die falschen politischen Alternativen, die von der rechten Regierung des Partido Popular (PP) auf der einen Seite und den Linken auf der anderen Seite angeboten werden, ergänzen sich sehr gut. Erstere hatten eine aggressive Repression durchgezogen und beschuldigten die Indignados, ein „Unterseeboot“ der sozialdemokratischen Partei PSOE zu sein. Während die PSOE, die ein Jahr zuvor die 15M-Bewegung noch als kleinbürgerlich, als hoffnungslose Leute, als Hund auf den Hinterpfoten dargestellt hatte, sie jetzt ehrte als ein „Triumpf“ mit großer Zukunft und mit einem Gewicht innerhalb der Gesellschaft. Die herrschende Klasse verunglimpft eine wirkliche soziale Bewegung immer, doch sie liebt es auch, die Erinnerungen an deren Mythos zu pflegen, wenn sie sie damit in eine leere Hülle verwandeln kann.
Die Jahrestags-Demonstrationen 2012 waren massiv, doch bei weitem nicht so wie beim Höhepunkt der Bewegung im Juni, Juli und Oktober 2011. Vollversammlungen fanden in Madrid, Barcelona, Sevilla, Valencia, Alicante und anderswo statt. Doch auch wenn die Vollversammlungen am Samstag mit Interesse und Neugier besucht waren, bröckelten sie danach schnell ab und es gab keinen Elan in der Bewegung, sich gegen die Kontrolle durch linke Organisationen zu wehren. Die Leute zogen es vor, nach Hause zu gehen. Dennoch gab es Zeichen des Lebens der Arbeiterklasse: die massive Beteiligung von jungen Leuten, eine gesunde und fröhliche Atmosphäre und auch gute Beiträge in den Diskussionen. In Madrid gab es eine gute Diskussion über Fragen des Gesundheitswesens; es waren Stimmen zu hören, die wir selber als Ausdruck des proletarischen Flügels der Bewegung sehen, auch wenn sie nicht so selbstbewusst auftraten wie im letzten Jahr. Trotz alledem konnte die Mobilisierung die Fesseln, die ihnen die herrschende Klasse angelegt hatte, nicht sprengen, und sie blieb mehr eine Karikatur der M15-Bewegung, bei der die Luft nach einem Tag des Wochenendes draußen war und wieder der Alltag einkehrte.
Die Aussicht für die Arbeiterklasse
Die sozialen Bewegungen, die 2011 stattgefunden haben, waren für die Arbeiterklasse eine wichtige Erfahrung – mit ihrer internationalen Ausbreitung, der Besitznahme der Straßen und Plätze, den Versammlungen im Zentrum der Bewegung, wo lebendige Debatten geführt wurden (vgl. 2011: Von der Empörung zur Hoffnung in Weltrevolution Nr. 171). In Spanien gab es massive Mobilisierungen im Bildungswesen in Madrid und Barcelona, im Gesundheitswesen in Barcelona wie auch unter der Jugend in Valencia. Der Gewerkschaftsstreik vom 29. März und der Bergarbeiterstreik sind auch wichtige Erfahrungen, über die wir nachdenken sollten. (Vgl. die Artikel dazu auf unserer spanisch- oder englischsprachigen Webseite, z.B. General strike in Spain: radical minorities call for independant workers‘ action in World Revolution Nr. 353)
Unsere Genoss_innen in Spanien haben festgestellt, dass nach all diesen Erfahrungen in der Bewegung ein Gefühl der Prüfung aufgekommen ist – Prüfung ihrer Schwächen und der Schwierigkeit, einen Kampf zu entfalten, welcher der Ernsthaftigkeit der Lage und der Stärke der Angriffe entspricht. Dieser Prozess der Hinterfragung ist absolut wesentlich, ein lebendiger Beitrag für die Entwicklung eines Verständnisses in der Arbeiterklasse, das den Boden vorbereitet für eine Antwort, die einerseits von einer breiteren Bewegung kommen und andererseits tiefer gehen wird bei der Infragestellung des Kapitalismus insgesamt.
Die Erkenntnis, dass der Kapitalismus ein bankrottes System ist, greift langsam um sich; dass es keine Zukunft hat, dass die herrschende Klasse nach fünf Jahren Krise keine Antwort hat und dass das System ausgewechselt werden muss. So ergriff beispielsweise in einer Versammlung in Valencia eine Frau das Wort und unterstützte einen Beitrag der IKS, der argumentiert hatte, in der 15M-Bewegung gebe es einen revolutionären und einen reformistischen Flügel und es gehe darum, jenen zu unterstützen. Aber es gibt auch eine Suche nach unmittelbaren Antworten und Aktionen, die zu unfruchtbaren oder sogar lächerlichen Vorschlägen führen können wie die Idee, wir sollten alle unsere Guthaben bei der verstaatlichen Bankia abheben, das werde „den Kapitalismus wirklich treffen“.
Während also die Frage der Notwendigkeit, den Kapitalismus zu ersetzen, aufgeworfen wird, gibt es die Schwierigkeit zu sehen, wie dies umgesetzt werden kann, und auch die Hoffnung, dass der Bankrott des Systems vielleicht doch noch abgewendet werden könne. Da haben die Linken und Linksextremen alle möglichen „Lösungen“ zur Reformierung des Kapitalismus zur Hand wie die höhere Besteuerung der Reichen, die Beseitigung der Korruption, Verstaatlichungen usw. Tatsächlich können sich die Mitte- und Rechtsparteien diesen „radikalen“ Kampagnen gegen Korruption und Steuerflucht sogar anschließen.
Wir dürfen nicht in die Falle der reformistischen Alternativen gehen. Aber ebenso wichtig ist es, dass uns der Ekel vor den Politikern insgesamt und vor den Lügen der Linken im Besonderen nicht dazu verleiten, uns in lokale Aktivitäten oder isolierte Gruppen zurück zu ziehen, die jedem Außenstehenden gegenüber misstrauisch sind. Nur wenn wir diesen Fallen aus dem Weg gehen, können wir den Prozess des Nachdenkens über die Krise des Kapitalismus, über die Notwendigkeit seiner Überwindung, über die Mittel und Wege der Arbeiterklasse zu diesem Ziel voran bringen. Diese Reflexion ist wesentlich für die Vorbereitung auf die zukünftigen Kämpfe.
Alex 30.06.12