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Es gibt eine Alternative gegenüber der kapitalistischen Barbarei
Gegenüber dem Krieg, der im Nahen und Mittleren Osten ständig wütet, und neulich wieder gegenüber dem Konflikt zwischen Israel und Libanon, vertreten die Revolutionäre eine klare Position. Deshalb unterstützen wir voll und ganz die wenigen internationalistischen und revolutionären Stimmen, die in dieser Region zu vernehmen waren, wie die der Gruppe Enternasyonalist Komunist Sol der Türkei. In ihrer Stellungnahme zur Lage im Libanon und Palästina, die wir in den verschiedenen Organen unserer territorialen Presse veröffentlicht haben, verwirft diese Gruppe entschlossen jede Unterstützung der aufeinander prallenden rivalisierenden bürgerlichen Cliquen und Fraktionen, deren direkte Opfer Millionen Proletarier sind, ob sie nun palästinensischen, jüdischen, schiitischen, sunnitischen, kurdischen, drusischen oder anderen Ursprungs sind. Diese Gruppe hat zu Recht hervorgehoben: „Der Imperialismus ist die natürliche Politik eines jeden Nationalstaates und einer jeden Organisation, die wie ein Nationalstaat funktioniert“. Sie hat ebenso die folgende Tatsache angeprangert: “In der Türkei als auch in der übrigen Welt gewährte eine große Mehrheit der Linksextremisten der PLO und der Hamas völlige Unterstützung. Im letzten Konflikt sagten sie einstimmig: „Wir alle sind Hisbollah“. Der Logik „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ folgend, umarten sie innig diese gewalttätige Organisation, die ihre Arbeiterklasse in einen katastrophalen nationalistischen Krieg stieß. Die Unterstützung, die die Linksextremisten dem Nationalismus gewährten, zeigt uns, warum Linksextremisten nicht viel anderes sagen als Parteien wie die MHP (Partei der nationalistischen Bewegung – die faschistischen Grauen Wölfe)… Sowohl der Krieg zwischen der Hisbollah und Israel als auch der Krieg in Palästina ist ein imperialistischer Konflikt, und alle Seiten benutzen den Nationalismus, um die Arbeiter ihrer Territorien auf ihre Seite zu ziehen. Je mehr die Arbeiter vom Nationalismus aufgesaugt werden, desto mehr werden sie die Fähigkeit verlieren, als Klasse zu handeln. Daher dürfen Israel, die Hisbollah, die PLO oder die Hamas unter keinen Umständen unterstützt werden.“ (siehe Weltrevolution Nr. 138). Dies belegt, dass die proletarische Perspektive immer noch vorhanden ist und sich nicht nur durch die Entwicklung der Kämpfe der Arbeiterklasse überall auf der Welt äußert (in Europa, USA, Lateinamerika, Indien oder Bangladesh), sondern auch durch das Auftauchen von kleinen Gruppen und politisierten Leuten in verschiedenen Ländern, die bestrebt sind, internationalistische Positionen zu verteidigen, welche das herausragende Merkmal proletarischer Politik sind.
Der Krieg im Libanon vom letzten Sommer war eine neue Etappe zu einem weiteren Blutvergießen im ganzen Nahen und Mittleren Osten. Die Welt versinkt in einem immer weniger kontrollierbaren Chaos, einem Krieg, zu dem alle imperialistischen Mächte der angeblichen ‚internationalen Weltgemeinschaft’ beigetragen haben, von den größten bis zu den kleinsten Staaten. 7000 Luftangriffe allein auf libanesisches Territorium, abgesehen von den unzähligen Raketenangriffen auf Nordisrael, mehr als 1200 Tote im Libanon und Israel (darunter mehr als 300 Kinder unter 12 Jahren), mehr als 5000 Verletzte, eine Million Zivilisten, die vor den Bomben und Kämpfen flüchten mussten. Andere, die zu arm sind zu fliehen, suchen irgendwo total verängstigt Schutz. Ganze Stadtviertel und Dörfer in Schutt und Asche gelegt, überfüllte Krankenhäuser: Dies ist die Bilanz eines Monats Krieg im Libanon und in Israel nach der Tsahal-Offensive, die dazu dienen sollte, den wachsenden Einfluss der Hisbollah einzudämmen, und eine Reaktion auf eine der zahlreichen tödlichen Angriffe der islamistischen Milizen über die israelisch-libanesische Grenze hinweg war. Man schätzt den wirtschaftlichen Schaden auf mehr als 6 Milliarden Euro, zusätzlich zu den militärischen Kosten des Krieges.
Der israelische Staat hat mit einer unglaublichen Brutalität, Wildheit und Besessenheit eine Politik der verbrannten Erde gegenüber der Zivilbevölkerung in den Dörfern des Südlibanons praktiziert. Die Menschen wurden aus ihren Wohngebieten vertrieben, man überließ sie dem Hunger, ohne Wasser, den schlimmsten Epidemien ausgesetzt. 90 Brücken und zahlreiche Verkehrswege wurden systematisch zerstört (Straßen, Autobahnen…), drei Elektrizitätswerke und Tausende von Wohnungen vernichtet, durch die pausenlosen Bombardierungen wurde eine Umweltkatastrophe ausgelöst. Die israelische Regierung und ihre Armee erklärten unaufhörlich, man wolle die ‚Zivilisten verschonen’. Massaker wie das in Kanaa wurden als ‚bedauerliche Unfälle’ dargestellt (wie die berühmten ‚Kollateralschäden’ im Golfkrieg und auf dem Balkan). Aber unter der Zivilbevölkerung gab es die meisten Opfer – 90% der Getöteten waren Zivilisten!
Alle sind Kriegstreiber
Auch wenn die Hisbollah nur über begrenzte und damit weniger spektakuläre Mittel verfügt, hat sie genau die gleiche mörderische und blutrünstige Politik der ziellosen Beschießungen betrieben. Ihre Raketen trafen vor allem die Zivilbevölkerung und die im Norden Israels gelegenen Städte (75% der Getöteten gehörten gar der arabischen Bevölkerung an, die angeblich geschützt werden sollte).
Wie festgefahren die Lage im Nahen Osten war, konnte man schon deutlich anhand des Eintritts der Hamas in die Regierung der palästinensischen Gebiete (dort hat die Unnachgiebigkeit der israelischen Regierung dazu beigetragen, den Großteil der palästinensischen Bevölkerung zu ‚radikalisieren’) und den offenen Riss zwischen den Fraktionen der palästinensischen Bourgeoisie sehen, hauptsächlich zwischen Fatah und Hamas. Jegliche Verhandlungslösung galt als ausgeschlossen. Gegenüber dieser Sackgasse reagierte Israel so, wie heute alle Staaten reagieren: mit der Flucht nach vorne. Um seine Autorität wieder zu behaupten, hat sich Israel umgewandt mit dem Ziel, den wachsenden Einfluss der Hisbollah im Südlibanon einzudämmen, die vom Iran Hilfe, Geld und Waffen erhalten. Israel begründete sein Vorgehen mit dem Vorwand der Befreiung zweier, von der Hisbollah verschleppter israelischer Soldaten, die aber vier Monate nach ihrer Verschleppung noch immer Gefangene der schiitischen Milizen sind. Der andere Rechtfertigungsgrund war die ‚Neutralisierung’ und Entwaffnung der Hisbollah, deren Angriffe und Eindringen vom Südlibanon aus auf israelisches Gebiet als eine ständige Bedrohung für die Sicherheit des israelischen Staates angesehen werden.
Schließlich erwies sich die militärische Operation als ein großer Misserfolg, der den Mythos der Unbesiegbarkeit und Unverletzbarkeit der israelischen Armee plötzlich auffliegen ließ. Zivilisten und Militärs innerhalb der israelischen Bourgeoisie schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu für den schlecht vorbereiteten Krieg. Im Gegenzug geht die Hisbollah verstärkt aus dem Konflikt hervor und verfügt in den Augen der arabischen Bevölkerung aufgrund ihres Widerstandes gegen Israel über eine neue Legitimität. Anfangs war die Hisbollah wie auch Hamas nur eine der zahlreichen islamischen Milizen, die sich gegen den israelischen Staat gebildet hatten. Sie entstand 1982 während der israelischen Offensive im Südlibanon. Aufgrund des starken Gewichtes der Schiiten konnte sie dank der umfangreichen finanziellen Hilfe des Ayatollahregimes und der iranischen Mullahs gedeihen. Syrien hat die Hisbollah ebenfalls durch seine umfangreiche logistische Unterstützung benutzt. Damit konnte die Hisbollah für Syrien als Stützpunkt dienen, nachdem sich Syrien 2005 aus dem Libanon zurückziehen musste. Diese Mörderbande konnte gleichzeitig geduldig ein ganzes Netz von Rekrutierungsoffizieren errichten, wobei diese medizinische, sanitäre und soziale Hilfe anboten, die aus Geldmitteln der iranischen Öleinkünfte finanziert wurden. Diese Gelder ermöglichen nun gar die Ersetzung der durch den Bomben- oder Raketenbeschuss zerstörten Häuser, damit die Stimmung der Bevölkerung für die Hisbollah mobilisiert werden kann. In Berichten über diese „Schattenarmee“ konnte man sehen, dass ihr viele männliche Jugendliche im Alter von 10–15 Jahren angehören, die bei ihren blutigen Abrechnungen jeweils als Kanonenfutter verwendet werden.
Syrien und Iran bilden gegenwärtig den homogensten Block um Hamas und Hisbollah. Insbesondere der Iran zeigt offen seine Bestrebungen, die führende imperialistische Macht in der Region zu werden. Wenn der Iran in den Besitz von Atomwaffen käme, würde er in der Tat eine solche Rolle erfüllen können. Dies ist genau eine der Hauptsorgen der USA, denn seit ihrer Gründung im Jahre 1979 hat die ‚islamische Republik’ eine ständige Feindseiligkeit gegenüber den USA an den Tag gelegt.
Die USA haben für die Auslösung der israelischen Offensive gegen den Libanon grünes Licht gegeben. Nachdem sie bis zum Hals in den Krieg im Irak und im Afghanistan verwickelt sind, und nach dem Scheitern ihres „Friedensplans“ zur Regelung des Palästinenserkonfliktes müssen die USA das Scheitern ihrer Strategie feststellen, die darauf abzielte, eine „Pax Americana“ im Nahen und Mittleren Osten zu errichten. Insbesondere hat die US-Präsenz im Irak seit drei Jahren zu einem blutigen Chaos, einem schrecklichen regelrechten Bürgerkrieg zwischen verschiedenen rivalisierenden Fraktionen und zu tagtäglichen Attentaten geführt, die die Bevölkerung wahllos treffen und jeden Tag zwischen 80-100 Toten hinterlassen.
Auf diesem Hintergrund stand es außer Frage, dass die USA selbst intervenieren, obwohl es ihr erklärtes Ziel ist, sich die Staaten vorzuknüpfen, die als „terroristisch“ und als Verkörperung der „Achse des Bösen“ dargestellt werden wie Syrien und vor allem der Iran, der die Hisbollah unterstützt. Die israelische Offensive sollte den beiden Staaten als eine Warnung dienen; sie zeigte die völlige Interessensidentität zwischen dem Weißen Haus und der israelischen Bourgeoisie. Deshalb stellt das Scheitern Israels ebenso ein Zurückweichen der USA und die fortgesetzte Schwächung der US-Führungsrolle dar.
Der Zynismus und die Heuchelei aller Großmächte
Der Gipfel des Zynismus und der Heuchelei wurde von der UNO erreicht, als diese während der ein Monate dauernden Kriegshandlungen im Libanon unaufhörlich ihren „Friedenswillen“ verkündete und gleichzeitig ihre „Machtlosigkeit“ zur Schau stellte.[i] Dies ist total verlogen. Diese Verbrecherbande (wie Lenin die Vorläuferorganisation der UNO, den Völkerbund, nannte) ist ein Ort, wo sich die gefährlichsten Krokodile der Erde bekämpfen. Die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder sind die größten Räuber der Erde:
- Die USA, deren Vorherrschaft auf der militärischen Armada des stärksten Staates der Welt fußt, und deren Verbrechen seit der 1990 erfolgten Verkündung einer „Ära des Friedens und des Wohlstands“ durch Bush Senior (die beiden Golfkriege, die Intervention auf dem Balkan, die Besetzung des Iraks, der Krieg im Afghanistan…) für sich selbst sprechen.
- Russland, das für die schrecklichsten Grausamkeiten in seinen beiden Kriegen in Tschetschenien verantwortlich ist, weil es den Zusammenbruch der UdSSR nicht verkraftet hat und nach Rache dürstet, zeigt heute seine neuen imperialistischen Ambitionen, nachdem es von der Schwäche der USA profitiert hat. Deshalb spielt es die Karte der Unterstützung des Irans und etwas diskreter der Hisbollah.
- China, das von seinem wachsenden wirtschaftlichen Einfluss profitiert, träumt davon, Zugang zu neuen Einflusszonen außerhalb Südostasiens zu bekommen. Es hat insbesondere den Iran umworben, der ein privilegierter Wirtschaftspartner ist, welcher ihm Öl zu besonders günstigen Beziehungen verkauft. Russland und China haben die jüngsten UN-Resolutionen zu sabotieren versucht.
- Bislang hat Großbritannien die großen Strafaktionen seitens der USA für die Verteidigung seiner eigenen Interessen mitgetragen. Es will so sein altes Einflussgebiet wieder zurückgewinnen, über das es seinerzeit in Gestalt der alten Protektorate in dieser Region verfügte (insbesondere Iran und Irak).
- Die französische Bourgeoisie zeigt weiterhin eine Nostalgie für eine Zeit, zu der sie die Einflussgebiete im Nahen und Mittleren Osten mit Großbritannien teilen konnte. Deshalb unterstützte sie die US-Pläne gegenüber Libanon anlässlich der berühmten UN-Resolution 1201 und willigte gar dem Plan des Einsatzes von UNIFIL-Truppen zu. Deshalb hat sie auch der Entsendung von zunächst 400, mittlerweile 2000 Soldaten in den Südlibanon im Rahmen der UNIFIL zugestimmt.
Andere Mächte sind ebenfalls auf den Plan getreten wie Italien, das als Belohnung für die Entsendung des größten Kontingentes an UN-Truppen nach Februar 2007 das Oberkommando über die UNIFIL im Libanon übernehmen wird. Einige Monate nach dem Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak tritt Prodi, der zuvor das Engagement der Berlusconi-Mannschaft im Irak kritisiert hatte, in dessen Fußstapfen im Libanon und beweist damit die Ambitionen Italiens, am Tisch der Großen mit sitzen zu wollen, auch wenn es dabei wieder Federn lassen muss. Das verdeutlicht wieder einmal, dass alle imperialistischen Mächte Kriegstreiber sind.
Der Nahe und Mittlere Osten liefert uns heute eine gebündelte Illustration des irrationalen Charakters des Krieges, wo jeder Imperialismus sich immer stärker engagiert, um seine eigenen Interessen zu vertreten, was zur Folge hat, dass dadurch Konfliktfelder immer größer und blutiger werden, weil immer mehr Staaten daran beteiligt sind.
Die Ausdehnung der blutigen Konfliktherde auf der ganzen Welt zeigt somit den unausweichlich barbarisch-kriegerischen Charakter des Kapitalismus. Krieg und Militarismus sind zur ständigen Überlebensform des im Zerfall begriffenen dekadenten Kapitalismus geworden. Es handelt sich um einen Hauptwesenszug der tragischen Sackgasse eines Systems, das der Menschheit nichts anderes anzubieten hat als Tod und Elend.
Die amerikanische Bourgeoisie in der Sackgasse
Der Polizist, der angeblich den Schutz der „Weltordnung“ sicherstellen soll, ist heute selber ein aktiver Faktor bei der Zunahme der Unordnung.
Wie ist es möglich, dass die stärkste Armee der Welt, mit den modernsten Technologien und den mächtigsten Geheimdiensten ausgerüstet, mit hoch komplexen Waffen, die ein Tausende Kilometer weit entferntes Ziel präzise treffen können, sich plötzlich in einer Fallgrube gefangen vorfindet? Wie kommt es, dass die USA, das mächtigste Land der Welt, von einem Halbidioten regiert werden, der seinerseits von einer Bande von Aktivisten umgeben ist, die nicht gerade dem Bild entsprechen, das man sich von einer verantwortungsvollen „großen Demokratie“ der Bourgeoisie traditionellerweise macht? Bush Junior, der vom Schriftsteller Norman Mailer als „schlimmster Präsident der Vereinigten Staaten: ignorant, arrogant und vollkommen blöd“ bezeichnet wird, hat sich mit einer Mannschaft von „klugen Köpfen“ umgeben, die ihm die Politik diktieren: von Vizepräsident Dick Cheney über den Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und seinen Guru-Manager Karl Rove bis zum „Theoretiker“ Paul Wolfowitz. Dieser hat sich seit Beginn der 1990er Jahre als konsequentester Verfechter einer „Doktrin“ hervorgetan, die klar behauptet, dass „die wesentliche politische und militärische Mission von Amerika nach dem Kalten Krieg darin besteht, zu verhindern, dass irgendeine rivalisierende Supermacht in Westeuropa, in Asien oder in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion entstehen kann“. Diese „Doktrin“ wurde im März 1992 publik, als die amerikanische Bourgeoisie sich nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der Wiedervereinigung Deutschlands noch Illusionen über den Erfolg ihrer Strategie machte. Mit diesem Ziel erklärten jene Leute vor ein paar Jahren, dass „es ein neues Pearl Harbor bräuchte“, um die Nation wachzurütteln, der ganzen Welt die demokratischen Werte Amerikas zu vermitteln und die imperialistischen Rivalitäten zu überwinden. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass der japanische Angriff auf den Stützpunkt der amerikanischen Seestreitkräfte im Dezember 1941, der 4500 Tote und Verletzte auf amerikanischer Seite forderte, den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten an der Seite der Alliierten erlaubte, da in der öffentlichen Meinung, die sich bis zu diesem Zeitpunkt gegen eine Beteiligung am Krieg wandte, ein Stimmungsumschwung stattfand, während die höchsten politischen Gremien in den USA über den Angriffsplan auf dem Laufenden waren und nicht intervenierten. Seit Cheney und seinesgleichen dank dem Sieg von Bush Junior im Jahr 2000 an die Macht gekommen sind, haben sie genau die vorgesehene Politik umgesetzt: Die Angriffe vom 11. September haben ihnen als „neues Pearl Harbor“ gedient, und im Namen ihres Kreuzzuges gegen den Terrorismus haben sie die Invasionen zuerst in Afghanistan und dann im Irak wie auch die äußerst kostspieligen neuen Rüstungsprogramme gerechtfertigt, ohne dass wir dabei die beispiellose Intensivierung der polizeilichen Kontrolle über die Bevölkerung vergessen dürfen. Dass sich die USA solche Führer geben, die mit dem Schicksal des Planeten wie Zauberlehrlinge spielen, gehorcht der gleichen Logik des dekadenten, krisengeschüttelten Kapitalismus, die seinerzeit einen Hitler in Deutschland an die Macht brachte. Es ist nicht dieses oder jenes Individuum an der Spitze eines Staates, das den Kapitalismus in diese oder jene Richtung sich entwickeln lässt; vielmehr ist es dieses auseinander brechende System, das diesem oder jenem Repräsentanten dieser Entwicklung, wenn er sie in Gang bringen kann, erlaubt, an die Macht zu gelangen. Das bringt die historische Sackgasse, in welche der Kapitalismus die Menschheit hineinzieht, klar zum Ausdruck.
Die Bilanz dieser Politik ist erschütternd: 3000 Soldaten, die seit Beginn des Krieges vor drei Jahren im Irak gestorben sind (unter ihnen mehr als 2800 von den amerikanischen Truppen), 655’000 Iraker sind zwischen März 2003 und Juli 2006 umgekommen, während die mörderischen Attentate und die Konfrontationen zwischen schiitischen und sunnitischen Fraktionen ständig weiter eskalieren. 160'000 Soldaten der Besatzungsmächte stehen auf irakischem Boden unter dem Oberkommando der USA, und sie sind unfähig „ihren Auftrag zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu erfüllen“ in einem Land, das am Rande des Zusammenbruchs und des Bürgerkriegs steht. Im Norden versuchen die schiitischen Milizen ihre Regeln durchzusetzen und führen immer mehr Machtdemonstrationen durch, im Süden rufen aktivistische Sunniten, die stolz auf ihre Verbindungen zu den Taliban und Al Kaida sind, eine „islamische Republik“ aus, während im Zentrum des Landes, in der Gegend um Bagdad, die Bevölkerung plündernden Banden und Autobomben ausgesetzt ist und jeder Patrouillengang von amerikanischen Truppen in einem Hinterhalt enden kann.
Die Kriege im Irak und in Afghanistan verschlingen darüber hinaus Unsummen von Geld, was das Budgetdefizit der USA noch mehr vergrößert und sie in eine gewaltige Verschuldung treibt. Die Situation in Afghanistan ist nicht minder katastrophal. Die unendliche Jagd nach Al Kaida und die Anwesenheit einer Besatzungsmacht auch hier, geben den Taliban neuen Kredit, die 2002 von der Macht vertrieben worden sind, die aber vom Iran und diskreter von China mit Waffen ausgerüstet werden und ihre Hinterhalte und Anschläge wieder verstärken. Die „terroristischen Dämonen“, d.h. Bin Laden und das Taliban-Regime, sind aber alle beide „Geschöpfe“ der USA im seinerzeitigen Kampf gegen die UdSSR, zur Zeit der imperialistischen Blöcke nach der Invasion der russischen Truppen in Afghanistan. Bin Laden ist ein ehemaliger Spion, den die CIA 1979 rekrutierte und der, nachdem er in Istanbul als Finanzintermediär bei einem Waffenhandel von Saudiarabien und den USA mit Bestimmungsort afghanische Guerilla „ganz natürlich“ von Anbeginn der russischen Intervention an zum Vermittler der Amerikaner bei der Verteilung der finanziellen Hilfe an den afghanischen Widerstand wurde. Die Taliban wurden von den USA bewaffnet und finanziert, und ihr Aufstieg an die Macht stand unter dem vollen Segen von Uncle Sam.
Längst ist unbestritten, dass der grosse Kreuzzug gegen den Terrorismus keineswegs zu dessen Ausmerzung führte, sondern vielmehr in eine Vervielfachung von terroristischen Angriffen und Selbstmordanschlägen mündete, deren einziges Ziel darin besteht, möglichst viele Opfer zu verursachen. Heute muss das Weiße Haus ohnmächtig erdulden, dass ihm das iranische Regime auf der Nase herumtanzt. Was wiederum die Flügel von Mächten im vierten oder fünften Rang wachsen lässt wie von Nordkorea, das sich am 8. Oktober einen Atomwaffentest erlauben konnte und damit zum 8. Land wurde, das Atomwaffen besitzt. Diese gewaltige Herausforderung stellt das Gleichgewicht in ganz Südostasien in Frage und ermutigt neue Anwärter in ihren Plänen, sich auch nuklear zu rüsten. Sie rechtfertigt damit auch die erneute Militarisierung und Wiederaufrüstung Japans und dessen Marschrichtung hin zur Produktion von Atomwaffen, um damit dem unmittelbaren Nachbarn die Stirn bieten zu können. Diese Gefahr besteht durchaus und sie veranschaulicht den „Dominoeffekt“ bei dieser Flucht nach vorn in den Militarismus und das „Jeder-für-sich“.
Dabei ist auch die absolut chaotische Lage zu erwähnen, die im Nahen Osten und insbesondere im Gazastreifen herrscht. Nach dem Wahlsieg der Hamas Ende Januar wurde die direkte ausländische Hilfe eingestellt, und die israelische Regierung verhängte ein Steuer- und Zollembargo über die palästinensische Behörde. 165'000 Beamte sind schon während sieben Monaten nicht mehr entlöhnt worden, doch ihre Wut und diejenige der ganzen Bevölkerung, von der 70% unter der Armutsgrenze leben (bei einer Arbeitslosenrate von 44%), wird leicht in den Straßenkämpfen aufgefangen, in denen sich seit dem 1. Oktober von neuem die Milizen der Hamas und der Fatah gegenüber stehen. Die Versuche, eine Regierung der nationalen Einheit auf die Beine zu stellen, scheitern einer nach dem anderen. Auch nachdem sich die israelische Armee aus dem Südlibanon zurückgezogen hatte, verstärkte sie die Kontrolle an der Grenze zwischen Ägypten und Gazastreifen und nahm die Beschießung der Stadt Rafah mit Raketen unter dem Vorwand wieder auf, Hamasaktivisten zu verfolgen. Für diejenigen, die noch eine Arbeit haben, gibt es unaufhörlich Kontrollen. Die Bevölkerung lebt in einem ständigen Klima des Terrors und der Unsicherheit. Seit dem 25. Juni wurden in den Territorien 300 Tote gezählt.
Das Fiasko der amerikanischen Politik ist offensichtlich. Deshalb wird die Bush-Administration auch immer mehr in Frage gestellt, und zwar selbst von Leuten aus dem eigenen, republikanischen Lager. Die Gedenkfeiern zum fünften Jahrestag des 11. September waren Anlass für eine geballte Ladung von bissiger Kritik an Bush, die durch die Medien ausgebreitet wurde. Vor fünf Jahren setzte sich die IKS dem Vorwurf aus, sie habe eine machiavellistische Sichtweise der Geschichte, als sie die Hypothese aufstellte und untermauerte, dass das Weiße Haus die Ausführung der Anschläge in Kenntnis der Dinge zuließ, um die sich in Vorbereitung befindenden militärischen Abenteuer zu rechtfertigen.[ii] Heute stellen unglaublich zahlreiche Bücher, Dokumentarfilme, Artikel im Internet nicht nur die offizielle Version über den 11. September in Frage, sondern ein großer Teil dieser Stellungnahmen vertritt wesentlich härtere Theorien und klagt die Bush-Regierung des Komplotts und der konzertierten Manipulation an. In der Bevölkerung selber geht nach den jüngsten Meinungsumfragen mehr als ein Drittel der Amerikaner und fasst die Hälfte der New Yorker Bevölkerung davon aus, dass eine Manipulation hinter den Anschlägen stand, dass der 11. September ein „inside job“ (eine innere Angelegenheit) war.
Während 60% der amerikanischen Bevölkerung den Krieg im Irak für eine „schlimme Sache“ halten, glaubt ein Großteil von ihnen nicht mehr an die These über das Atomwaffenprogramm und ebenso wenig an die Verbindungen zwischen Saddam und Al Kaida, sondern geht davon aus, dass es sich dabei um Vorwände für den Einmarsch im Irak gehandelt hat. Etwa ein halbes Dutzend von kürzlich erschienen Büchern (darunter dasjenige des Starjournalisten Bob Woodward, der den Watergate-Skandal zur Zeit von Nixon aufdeckte) legen unwiderlegbares Material vor, um die „Staatslüge“ zu entlarven und den Rückzug der Truppen aus dem Irak zu fordern. Das bedeutet keineswegs, dass der militaristischen Politik der USA die letzte Stunde geschlagen hätte, doch ist die Regierung gezwungen, dieser Stimmung Rechnung zu tragen und ihre eigenen Widersprüche offen zu legen, um zu versuchen sich anzupassen.
Der angebliche letzte „Schnitzer“ von Bush, der darin bestand, die Parallele zum Vietnamkrieg zuzugeben, fiel zusammen mit anderen „Lecks“ - welche durch die von James Baker persönlich gewährten Interviews medial begleitet wurden. Der Plan des ehemaligen Stabchefs der Ära Reagan und dann Staatssekretärs unter Vater Bush sieht eine Eröffnung des Dialogs mit Syrien und dem Iran und insbesondere den teilweisen Truppenrückzug aus dem Irak vor. Dieser Versuch eines begrenzten Zurückweichens unterstreicht das Ausmaß der Schwächung der amerikanischen Bourgeoisie, für die der sofortige und vollständige Rückzug aus dem Irak die am lautesten schallende Ohrfeige ihrer Geschichte und deshalb untolerierbar wäre. Die Parallele mit dem Vietnamkrieg ist genauer betrachtet eine trügerische Unterschätzung der Lage. Seinerzeit erlaubte der Rückzug der Truppen aus Vietnam eine strategische Neuorientierung, die für die Bündnisse der USA vorteilhaft war und es erlaubte, China aus dem Lager der damaligen UdSSR in ihr eigenes herüberzuziehen. Heute wäre der Rückzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak eine schlichte Kapitulation ohne jeden Ausgleich und würde zu einer völligen Diskreditierung der amerikanischen Macht führen. Ein solcher Rückzug würde gleichzeitig den Zusammenbruch des Iraks nach sich ziehen und damit das Chaos in der ganzen Region beträchtlich vergrößern. Diese Widersprüche sind ein schreiender Ausdruck der Krise, der Schwächung der amerikanischen Vormachtstellung und des fortschreitenden „Jeder-für-sich“, das wiederum das sich zuspitzende Chaos in den internationalen Beziehungen belegt. Und eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Kongress anlässlich der nächsten Zwischenwahlen, ja selbst die allfällige Wahl eines demokratischen Präsidenten in zwei Jahren würde keine andere Perspektive bieten als die Flucht nach vorn in weitere militärische Abenteuer. Die Bande von Besessenen, die in Washington regiert, hat zwar ein Ausmaß an Inkompetenz unter Beweis gestellt, das durch die amerikanische Verwaltung nur selten erreicht wird. Doch wie auch immer die Ablösungsmannschaft zusammengesetzt sein wird – sie wird die die Matrix nicht ändern können: Angesichts eines kapitalistischen Systems, das in seiner Todeskrise versinkt, ist die herrschende Klasse unfähig, eine andere Antwort anzubieten als die Flucht nach vorn in die Kriegsbarbarei. Auch und gerade die ranghöchste Bourgeoisie der Welt wird sich so an ihre Rolle klammern müssen.
Der Klassenkampf ist die einzige Alternative zur kapitalistischen Barbarei
In den USA ist der zentnerschwere Chauvinismus, der unmittelbar nach dem 11. September überall verbreitet wurde, aufgrund der Erfahrung mit dem doppelten Fiasko des Kampfes gegen den Terrorismus und des Kontrollverlustes im Irakkrieg weitgehend verschwunden. Die Rekrutierungskampagnen der Armee bekunden Mühe bei der Suche nach Kandidaten, die bereit wären, sich im Irak die Haut durchlöchern zu lassen, während die Truppen immer mehr demoralisiert sind. Trotz den sich stellenden Risiken gibt es immer mehr Soldaten, die desertieren. Es sind mehr als 1000 Deserteure gezählt worden, die nach Kanada geflohen sind.
Diese Lage ist aber nicht nur ein Ausdruck der Sackgasse der Bourgeoisie, sondern sie kündigt eine Alternative an. Das immer unerträglichere Gewicht des Krieges und der Barbarei in der Gesellschaft ist eine unabdingbare Dimension im Bewusstwerdungsprozess der Proletarier, wenn es darum geht, den Bankrott des kapitalistischen Systems zu begreifen. Die einzige Antwort der Arbeiterklasse auf den imperialistischen Krieg, die einzige Solidarität, die sie ihren Klassenbrüdern und –schwestern angesichts der schlimmsten Massaker anbieten kann, ist die eigene Mobilisierung auf ihrem Klassenterrain gegen die Ausbeuter. Das bedeutet, zu kämpfen und ihre Kämpfe auf dem gesellschaftlichen Terrain gegen die nationale Bourgeoisie weiter zu treiben. Und dies hat die Arbeiterklasse bereits zu tun begonnen, z.B. im Solidaritätsstreik, den die Flughafenangestellten in Heathrow im August 2005 trotz aller antiterroristischer Kampagnen nach den Anschlägen von London zusammen mit den beim Catering-Unternehmen Gate Gourmet entlassenen pakistanischen Arbeitern führten. Ebenso tat sie es mit der Mobilisierung der zukünftigen Proletarier in Frankreich gegen den Erstanstellungsvertrag (CPE) oder der Metallarbeiter in Vigo in Spanien. Auch die 18'000 Mechaniker von Boeing in den USA zeigten im September 2005 den Weg, als sie sich gegen Rentenkürzungen wehrten und sich gleichzeitig weigerten, eine Diskriminierung der jungen gegenüber den älteren Arbeitern hinzunehmen. Dasselbe gilt für die Angestellten der U-Bahn und des öffentlichen Verkehrs in New York, die kurz vor Weihnachten 2005 in den Streik traten. Konfrontiert mit einem Angriff auf die Renten, der eigentlich vordergründig nur die in Zukunft anzustellenden Arbeiter betroffen hätte, stellten sie ein wachsendes Bewusstsein darüber unter Beweis, dass der Kampf für die Zukunft unserer Kinder Teil unseres Kampfes überhaupt ist. Diese Kämpfe sind noch schwach, und der Weg hin zu entscheidenden Konfrontationen zwischen Bourgeoisie und Proletariat ist noch lang und schwierig, aber sie legen Zeugnis über die Wiederaufnahme des Klassenkampfes in weltweitem Maßstab ab. Sie stellen den einzigen möglichen Hoffnungsschimmer für eine andere Zukunft dar, für eine Alternative der Menschheit zur kapitalistischen Barbarei.
W, 21. Oktober 2006
[i] Diesen Zynismus und diese Heuchelei konnte man deutlich vor Ort anhand einer Kriegsepisode der letzten Kriegstage erkennen. Ein Flüchtlingstreck eines Teils der Bevölkerung eines libanesischen Dorfes, in dem sich viele Frauen und Kinder befanden, welcher aus dem Kampfgebiet fliehen wollte, war wegen einer technischen Panne liegen geblieben und wurde von der israelischen Armee beschossen. Die Flüchtlinge wollten in einem nahe gelegen UN-Kontrollpunkt Unterschlupf suchen. Man antworte ihnen, es sei unmöglich sie unterzubringen, weil man kein Mandat dafür habe. Die meisten Flüchtlinge (58) starben unter israelischem Beschuss und vor den passiven Augen der UNIFIL-Kräfte (so die Zeugenaussage einer Mutter im Fernsehen, deren Familie lebend durchkommen konnte).
[ii] s. unseren Artikel „Pearl Harbor 1941, Twin Towers 2001 – Der Machiavellismus der herrschenden Klasse“, in: Internationale Revu Nr. 29.