Die USA bereitet eine Kurskorrektur ihrer imperialistischen Politik im Irak vor

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(Der nachfolgende Artikel wurde Anfang Dezember 2006 verfasst. Auf die jüngste Reaktion Präsident Bushs gegenüber dem Bericht der Baker-Kommission und seinem Entschluss, entgegen den Empfehlungen der Kommission weitere Soldaten in den Irak zu schicken, sind wir in einem gesonderten Artikel eingegangen – siehe dazu: „Vom Mittleren Osten bis Afrika -

Wenn das Chaos neue Höhepunkte erreicht").

Der dominierende Teil der herrschenden Klasse der USA hat die Kongress-Wahlen vom letzten November genutzt, um seine imperialistische Politik neu zu justieren und die widerspenstige Bush-Administration zur Kurskorrektur im Irak zu zwingen. Im letzten Winter kam es zu einer Übereinstimmung innerhalb der dominierenden Fraktion in der Auffassung, dass die Lage im Irak ein absolutes Chaos darstellt, das auf Dauer die globalen Interessen des US-amerikanischen Imperialismus gefährdet. Die US-Armee wird durch die Kriege im Irak und Afghanistan derart beansprucht, dass sie nicht mehr auf Herausforderungen in anderen Teilen der Welt reagieren kann. Dies ist eine unakzeptable Situation, da die Ausübung der militärischen Macht im Ausland für den amerikanischen Imperialismus in einer Zeit, in der ihre Hegemonie zunehmend in Frage gestellt wird, eine absolute Notwendigkeit geworden ist. Was die Dinge noch schlimmer macht, ist, dass die Bush-Administration mit ihrem Pfusch im Irak-Krieg den ideologischen Gewinn, den die herrschende Klasse in den USA bei der Manipulierung der öffentlichen Zustimmung für ihre imperialistischen Übersee-Abenteuer nach 9/11 erzielt hatte, komplett verspielt hat.

Dieser Konsens führte im vergangenen März zur Bildung einer überparteilichen Kommission, der Irak-Untersuchungskommission, angeführt von James A. Baker, einem engen Berater und Freund von George Bush sen. Baker hatte als Finanzsekretär in der Reagan-Administration und als Staatssekretär unter Bush sen. während der ersten US-Invasion im Irak 1991 gedient. Der frühere demokratische Abgeordnete Lee Hamilton, ehemaliger Co-Vorsitzender der Kommission für den 11. September, wurde zum Co-Vorsitzenden der Untersuchungskommission ernannt. Überwiegend zusammengesetzt aus prominenten Offiziellen der Reagan-, Bush sen.- und Clinton-Administration, stellt diese Kommission im Kern die Kontinuität des staatskapitalistischen Apparates dar, der es als notwendig erachtete, das herrschende Regierungsteam zu einer Kurskorrektur zu zwingen.

Anfangs wurde die Arbeit der Kommission geheim und vertraulich ausgeführt. Doch im Laufe der Wahlkampagne begannen deren Mitglieder, sowohl Demokraten als auch Republikaner, vermehrt in der Öffentlichkeit aufzutreten und die von der Regierung ständig wiederholten Durchhalteparolen zu kritisieren. Sie mokierten sich über die polarisierende politische Rhetorik des Regierungsapparates, die die „Durchhalteparolen" der Devise „Abbruch und Abhauen" (Cut and run) gegenüberstellte, da dies ungenügend sei, um die nationalen imperialistischen Interessen zu fördern. Die Neigung der Regierung, den Patriotismus ihrer Kritiker in Frage zu stellen, war offensichtlich haltlos. Tatsächlich trugen die Medien die von der Baker-Kommission geäußerte Botschaft weiter, dass diese schlichte Spaltungspolitik eine unhaltbare Position darstellt, da sie die Wirklichkeit aus den Augen verloren hat. Dieser Druck war so stark, dass der Präsident Anfang September faktisch aufhörte, weiterhin von den „Durchhalteparolen" Gebrauch zu machen. Zwar schien Bush auch weiterhin störrisch an dieser Auffassung festzuhalten, als er die Demokraten als die Partei des „Abbruchs und Abhauens" denunzierte; und der Inhalt seiner eigenen Botschaft betonte noch immer, dass es notwendig sei, im Irak bis zum Sieg weiterzukämpfen. Doch die Baker-Kommission hatte damit schon vor den Kongress-Wahlen den Weg für einen Kurswechsel geebnet.

In der Zeitschrift der US-Sektion der IKS, in Internationalism Nr. 140, hatten wir vorausgesagt, dass der bevorstehende Sieg der Demokraten „den Druck für Korrekturen im Regierungsapparat außerhalb der Wahlen erhöhen wird, einschließlich des vorzeitigen Rücktritts des Verteidigungsministers Donald Rumsfeld".

Diese Voraussage wurde unmittelbar danach durch die Ankündigung des erzwungenen Rücktritt des Verteidigungsministers Rumsfeld und der Ernennung seines Nachfolgers am Nachmittag des ersten Tages nach den Wahlen bestätigt. Wenn man den Berichten der bürgerlichen Medien Glauben schenkt, so hatte Bush Rumsfeld schon am Wochenende vor den Wahlen zum Rücktritt aufgefordert und entschieden, ihn durch George Gates zu ersetzen, einem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter, der unter Bush sen. als CIA-Direktor gedient hatte. Die Tatsache, dass Gates Mitglied der Irak-Untersuchungskommission war (er trat erst einen Tag nach seiner Nominierung aus dieser Kommission aus), demonstriert anschaulich die Rolle der überparteilichen Irak-Untersuchungskommission als einen Mechanismus zur Wiedererlangung der Kontrolle durch die dominierende Fraktion der Bourgeoisie über eine verirrte und fehlgeleitete Regierungsmannschaft. Gates folgt im Wesentlichen Bakers vorsichtigem Kurs in der imperialistischen Politik und dessen Kritik an der Haltung der gegenwärtigen Regierung. Diese „Neujustierung in der Administration außerhalb der Wahlen" beinhaltet nicht einfach einen Personalwechsel, sondern die Durchsetzung eines Politikwechsels. Das Übertragen von wichtigen, entscheidenden Positionen an Leuten, die in der Frage der imperialistischen Politik von den überparteilichen Perspektiven der dominierenden Fraktion der Bourgeoisie ausgehen, ist dabei wesentlich.

Die Wiederverstärkung der demokratischen Mystifikation, die durch die Novemberwahlen erreicht wurde, ist für die Bourgeoisie wichtig, weil die Überzeugung, dass das System funktioniert, eine Vorbedingung für die Akzeptanz ihrer Politik in der Bevölkerung ist. Trotz des öffentlichen Unmuts gegen den Krieg, insbesondere in der Arbeiterklasse, sind die Wahlen natürlich kein Sieg für den Frieden, sondern stattdessen ein Sieg für die Bemühungen der Bourgeoisie, den nächsten Krieg vorzubereiten, indem der Schaden, den das US-Militär, ihre Geheimdienste und ihre Außenpolitik durch die Fehler der Bush-Administration erlitten hat, repariert wurde.

 

 

Die Entwicklung einer wirksameren imperialistischen Strategie

Die Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klasse über den Irak sind tatsächlich nicht Ausdruck eines Kampfes zwischen Falken und Tauben, sondern eine Auseinandersetzung unter Falken, die sich darum streiten, wie man sich am besten im Irak aus der Affäre zieht, um das nächste militärische Abenteuer in Übersee vorzubereiten. Wie die „friedliebende" New York Times zwei Tage nach den Wahlen in ihrem Leitartikel schrieb: „Die wichtigste Aufgabe von Gates - gesetzt den Fall, er wird bestätigt – muss es sein, jene notwendigen Kommunikationsstränge mit den Spezialisten des Militärs, des Geheimdienstes und des auswärtigen Amtes vor Ort wieder zu öffnen. Nachdem er ihre Meinungen angehört hat, muss er Bush eine neue realistische Strategie anstelle der offensichtlich gescheiterten auf den Tisch legen (...) Er wird eine überstrapazierte Armee wieder aufbauen, die militärische Umwandlung durch den Austausch der unnötigen Waffen des Kalten Krieges durch neue, den gegenwärtigen Bedürfnissen entsprechende Technologien neu fokussieren und ein konstruktiveres Verhältnis zu den Kontrollausschüssen des Kongresses pflegen müssen".

Nach den Wahlen bemühten sich die Generalstäbe schnell, ihre Unabhängigkeit gegenüber dem diskreditierten Rumsfeld zu bezeugen. Sie unternahmen eine Neueinschätzung der militärischen Lage im Irak und suchten nach eigenen politischen Alternativen, noch bevor Gates in seinem Amt bestätigt wurde und die Empfehlungen der Irak-Untersuchungskommission Mitte Dezember veröffentlicht wurden. Die Armee hat bereits neue Übungsanleitungen herausgegeben, welche Rumsfelds eher kontroverse Politik ersetzten, die eine minimale Truppenstärke für die Besetzung und den Wiederaufbau nach militärischen Invasionen vorsah - eine Politik, die im Irak im Desaster endete.

Von der Auflage befreit, sich an die alten Weisungen der lahmen Ente Rumsfeld zu halten, sagte der Kommandant der US-Truppen im Irak, General Abizaid, vor dem Senat und dem Ausschuss des Weißen Hauses aus und kritisierte offen die einst von Rumsfeld und Bush gefällten Beschlüsse in der Irak-Politik. So sagte Abizaid zum Beispiel bezüglich des schon lange schwelenden Konflikts zwischen den Streitkräften und Rumsfeld um die notwendige Truppenstärke im Irak aus, dass General Eric Shinseki - der 2003 von Rumsfeld gefeuert wurde, weil er Rumsfelds Doktrin einer spärlichen Besatzungsstärke kritisierte und darauf bestanden hatte, dass bis zu 300.000 Soldaten notwendig seien - mit seiner Einschätzung richtig gelegen hätte.

Abizaid widersprach ebenfalls der von der Regierung andauernd wiederholten Propaganda, als er darauf bestand, dass die größte Gefahr nicht von Al-Qaida ausgehe, sondern von sektiererischen Milizen, welche den Irak an den Rand eines Bürgerkrieges bringen würden. Abizaid war sowohl gegen einen stufenweisen Truppenabzug, wie er von einigen Demokraten befürwortet wurde, als auch gegen die Entsendung von weiteren Tausenden von Soldaten, wie sie vom republikanischen Senator John McCain befürwortet wurde. Stattdessen forderte er einen Kurswechsel, der die Verschiebung von beträchtlichen Truppenkontingenten von Kontroll- und Kampfaufträgen hin zur Schulung irakischer Sicherheitskräfte vorsieht.

Trotz der öffentlichen Ernüchterung über den Krieg und einer breiten Unterstützung für die Forderung nach einem Rückzug wird es sicher keinen schnellen militärischen Rückzug aus dem Irak geben. Mit größter Wahrscheinlichkeit und trotz des halsstarrigen Widerstands einiger Neo-Konservativen, die noch immer im Regierungsapparat verharren, werden jene Maßnahmen durchgesetzt werden, welche von der Irak-Untersuchungskommission im Dezember vorgeschlagen wurden. Diese beinhalten einen erhöhten Druck auf die irakische Bourgeoisie, einen internen Kompromiss anzustreben, sowie eine Art Zeitplan für einen stufenweisen Rückzug und eine Aufhebung der Weigerung der Bush-Administration, mit Syrien und dem Iran zu verhandeln. Baker unterstrich bereits in der Öffentlichkeit die Wichtigkeit, „mit den Feinden zu sprechen", und baut auf die Einbeziehung der regionalen Mächte, um den Irak zu stabilisieren und die Ausbreitung des Chaos’ im Mittleren Osten zu verhindern. In der Tat scheint die Baker-Kommission zu einer Art Entgegenkommen gegenüber dem Iran als Schlüsselelement in ihrer neuen Orientierung zu neigen. Die Untersuchungskommission ließ Gerüchte über eine mögliche Konferenz im Mittleren Osten über die Zukunft des Irak durchsickern (ähnlich der Dayton-Verhandlungen über den Kosovo). Die Bush-Administration hat bereits begonnen, sich in diese Richtung zu bewegen, indem sie regionale Gespräche mit befreundeten Ländern wie Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten eröffnete. Auch wenn die Regierung sich mit Händen und Füßen gegen eine Einbeziehung des Iran und Syriens wehrt, so ist es unumgänglich, dass sich die neue Orientierung letztendlich durchsetzen wird. Sie ist die einzig verfügbare Option, die es den USA erlaubt, sich aus dem Irak-Desaster zurückzuziehen, gleichzeitig eine Präsenz in der Region aufrechtzuerhalten und die Avancen europäischer Staaten gegenüber dem Iran und Syrien abzublocken.

Die Neujustierung der Situation im Mittleren Osten soll es dem amerikanischen Imperialismus ermöglichen, sich wirksamer den Herausforderungen im Fernen Osten und in Lateinamerika zu widmen.

Die Wiedereinführung einer politischen Disziplin innerhalb der herrschenden Klasse, die Wiedererweckung der demokratischen Mystifikation, die Neuausrichtung der herrschenden politischen Führung und die Neujustierung der imperialistischen Politik sind wichtige Ziele der amerikanischen Bourgeoisie. Doch können diese Bestrebungen nicht die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise, die wachsende Infragestellung der amerikanischen imperialistischen Hegemonie und das wachsende Chaos auf internationaler Ebene lindern. Wie wir bereits des öfteren geschrieben haben, sehen sich die USA mit einer Krise des amerikanischen Imperialismus konfrontiert, nicht mit einer Krise von George W. Bush. Auch wenn diese Krise möglicherweise durch die Fehltritte der Bush-Administration bei der Durchsetzung der US-Politik verschlimmert wurde, so ist und bleibt sie eine Krise des Systems und kann nicht einer Person zugeschrieben werden. Es ist ein charakteristisches Kennzeichen der heutigen Zeit, dass, welche Aktionen die USA auch immer unternimmt, um ihre in Frage gestellte imperialistische Hegemonie zu verteidigen, sie am Ende das Gegenteil ihres ursprünglichen Ziels erreichen werden – die Verschlimmerung und nicht eine Abmilderung der Herausforderungen des US-Imperialismus. Im Moment kann die Bourgeoisie die euphorische Stimmung nach den Kongresswahlen auskosten, doch wird dies nicht lange anhalten. J. Grevin 2.12.2006