Ungarn 1956: Ein proletarischer Aufstand gegen den Stalinismus

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In der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober 1956 begannen die Arbeiter in Budapest, fast unmittelbar gefolgt vom Rest der ungarischen Arbeiter, einen bewaffneten Aufstand, der das gesamte Land ergriff. Sie waren geknechtet durch die schreckliche Ausbeutung und den Terror, den das stalinistische Regime seit 1948 ausübte. Innerhalb von 24 Stunden breitete sich ein Streik auf die wichtigsten Industriestädte aus, die Arbeiterklasse bildete Räte und übernahm die Kontrolle des Aufstandes.

Es war eine Revolte des ungarischen Proletariates gegen den Kapitalismus in seiner stalinistischen Form, welcher bleischwer auf der Arbeiterklasse der Länder Osteuropas lastete. Diese Tatsache hat die herrschende Klasse in den letzten 50 Jahren zu verheimlichen versucht oder noch häufiger verdreht und verfälscht. In den zensurierten und verfälschten Geschichtsschreibungen wird die entscheidende Rolle der Arbeiterklasse auf ein Minimum reduziert. Zu den Arbeiterräten werden meist nur Lippenbekenntnisse gemacht, die sich auf Anekdoten reduzieren, oder sie werden als ein Mischmasch von Komitees und nationalen oder regionalen Räten dargestellt, von denen Einer nationalistischer als der Andere gewesen sein soll. Meist aber werden sie gänzlich übergangen.

Schon 1956 kursierten im Osten wie im Westen die plumpsten Lügen. Laut dem Kreml und den europäischen stalinistischen KPs waren die Ereignisse in Ungarn ein „faschistischer Aufstand“, manipuliert durch die „westlichen Imperialisten“. Für die Stalinisten gab es zu dieser Zeit zwei Ziele. Sie wollten die Zerschlagung des ungarischen Proletariates durch russische Panzer rechtfertigen. Gleichzeitig wollten sie gegenüber den Arbeitern im Westen die Illusion aufrechterhalten, dass der Ostblock „sozialistisch“ sei und vermeiden, dass diese den proletarischen Charakter des Kampfes der ungarischen Arbeiterklasse erkennen würden.

So wurde der Aufstand in Ungarn auf der einen Seite als ein „Werk von faschistischen Banden im Dienste der USA“ angeprangert, während auf der anderen Seite die Bourgeoisie der westlichen Staaten ihn als einen „Triumph der Demokratie“, einen Kampf für „Freiheit“ und „nationale Unabhängigkeit“ hochleben ließen. Diese beiden Lügen gehen Hand in Hand, da sie das Ziel haben, der Arbeiterklasse ihre eigene Geschichte und ihren revolutionären Charakter zu verbergen. Nachdem die Verbrechen des Stalinismus ans Licht gekommen waren und der Ostblock zusammengebrochen war, wurde die Version eines patriotischen Kampfes, in welchem sich alle sozialen Klassen in einem „Volksaufstand“ für den „Sieg der Demokratie“ finden, zum Haupttenor der Propaganda der Bourgeoisie.

Mit den Erinnerungszeremonien, welche die herrschende Klasse alle zehn Jahre abhält, führt sie ein Werk fort, welches sie schon damals begonnen hat. Ihr Hauptziel ist, die Arbeiterklasse am Verständnis zu hindern, dass der ungarische Aufstand ihre revolutionäre Natur zum Ausdruck brachte, ihre Fähigkeit zeigte, den bürgerlichen Staat herauszufordern und sich in Arbeiterräten zu organisieren. Dieses Zeichen der revolutionären Natur der Arbeiterklasse war umso bedeutsamer, da es sich 1956 in einer Zeit der schwersten Konterrevolution manifestierte. Damals war das Proletariat weltweit enorm geschwächt, niedergeschlagen durch den Zweiten Weltkrieg, aufgesplittert und kontrolliert durch die Gewerkschaften und deren Helfer, die politische Polizei. Aufgrund der Schwierigkeiten dieser Periode konnte der Aufstand von 1956 auch nicht zu einem bewussten Versuch des Proletariats heranreifen, die politische Macht zu übernehmen und eine neue Gesellschaft aufzubauen.

Die grenzenlose Ausbeutung unter dem Stalinismus

Wie üblich sieht die Realität anders aus, als sie von der Bourgeoisie dargestellt wird.

Der Aufstand in Ungarn war allem voran eine proletarische Antwort auf die wilde Ausbeutung, die in den Ländern ausgeübt wurde, welche nach dem Zweiten Weltkrieg unter russische Herrschaft gefallen waren.

Nach den Schrecken des Krieges, den Schlägen des faschistischen Regimes unter General Horth[1] und der anschließenden Übergangsregierung (1944-48), waren die Gewalttaten der Stalinisten für die Arbeiterklasse in Ungarn ein weiterer Abstieg in die Hölle.

Am Ende des Krieges hatte der russische „Befreier“ in den Gebieten Osteuropas, welche durch ihn von der Naziherrschaft „befreit“ worden waren, das Ziel, sich fest zu installieren und so sein Reich bis zu den Toren Österreichs auszudehnen. Die Rote Armee, gefolgt von der russischen politischen Polizei NKVD, kontrollierte das gesamte Gebiet vom Baltikum bis zum Balkan. In der ganzen Region waren Plünderungen, Diebeszüge und Deportationen in Arbeitslager ein Markenzeichen der russischen Besatzung und gaben einen Vorgeschmack auf die stalinistischen Regime, die bald darauf eingesetzt wurden. In Ungarn wurde ab 1948, als der politische Apparat unter die vollständige Kontrolle der Kommunistischen Partei gebracht war, die Stalinisierung des Landes Realität. Mátyás Rákosi[2], bekannt als der gelehrigste Schüler Stalins, umgeben von seiner Bande von Mördern und Folterknechten (wie z.B. dem finsteren Gerö[3]) war die Personifizierung des Stalinismus in Ungarn. Er stützte sich, nach alt bekanntem Rezept, vornehmlich auf politischen Terror und grenzenlose Ausbeutung der Arbeiterklasse.

Als Sieger- und Besatzungsmacht in Osteuropa forderte die Sowjetunion von den besiegten Ländern und im Besonderen von denen, welche wie Ungarn mit den Achsenmächten zusammengespannt hatten, hohe Reparationsleistungen. In Wirklichkeit war dies lediglich ein Vorwand, um sich den Produktionsapparat der Länder, die nun zu ihren Satelliten geworden waren, anzueignen und sie dazu zu zwingen, mit allen Mitteln für die ökonomischen und imperialistischen Interessen der UdSSR zu arbeiten. Ein wahrhaftes Blutsaugersystem wurde 1945/46 installiert, so zum Beispiel mit der Demontage ganzer Fabriken und deren Abtransport auf russischen Boden - Arbeiter inbegriffen!

Mit derselben Absicht wurde 1949 der COMECON gegründet. Dies war ein Markt für „privilegierten Handel“, in welchem die Privilegien nur in eine Richtung galten. Der russische Staat konnte damit seine Produkte zu einem viel höheren Wert abstoßen als auf dem Weltmarkt. Umgekehrt erhielt Russland von seinen Satelliten Produkte zu lächerlich tiefen Preisen.

Die gesamte ungarische Wirtschaft hatte sich dem Diktat und den Produktionsplänen des russischen Hauptquartiers zu beugen. Dies zeigte sich sehr deutlich 1950-53 zur Zeit des Koreakrieges, als die UdSSR Ungarn dazu zwang, die Mehrzahl der Fabriken auf Waffenproduktion umzustellen. Ab diesem Zeitpunkt wurde Ungarn zum Haupt-Waffenlieferanten für die UdSSR.

Um die wirtschaftlichen und imperialistischen russischen Forderungen erfüllen zu können, musste der ungarische Produktionsapparat auf vollen Touren und unter größtem Druck laufen. Die Fünfjahrespläne, im Besonderen derjenige von 1950, sahen ein nie da gewesenes Produktions- und Produktivitätswachstum vor. Wunder fallen nicht vom Himmel, und so litt vor allem die Arbeiterklasse unter einer grenzenlosen Ausbeutung durch die galoppierende Industrialisierung. Die gesamte Energie musste zur Erfüllung des Planes von 1950-54 geopfert werden, mit dem Schwerpunkt des Aufbaus der Schwerindustrie und der Waffenproduktion. Letztere wurde zu Ende des Plans verfünffacht. Alles wurde unternommen, um das ungarischen Proletariat auszupressen. Der Akkordlohn wurde eingeführt, begleitet von ständig erhöhten Produktionsquoten. Die rumänische KP sagte mit einer gehörigen Portion Zynismus, dass „der Akkordlohn ein revolutionäres System ist, welches die Faulheit beseitigt, (…) jeder hat die Möglichkeit härter zu arbeiten (…)“. Das System „eliminierte“ jeden, der diese „Möglichkeit“ ausschlug. Die Arbeiter konnten wählen zwischen dem Hungertod und dem Dahinvegetieren am Arbeitplatz für einen erbärmlichen Lohn.

Wie der sagenhafte Sisyphus, der von Hades dazu verdammt wurde, einen Fels den Berghang hoch zu rollen, wurden die ungarischen Sisyphuse zu unhaltbaren und pausenlosen Arbeitsrhythmen verdammt.

In den meisten Betrieben stellte die Leitung jeweils Ende Monat fest, dass sie dem unmenschlichen Plan hinterherhinkte. Es wurde der Befehl zur „großen Anstrengung“ herausgegeben, eine Vervielfachung der Arbeitgeschwindigkeit im Sinne der „Stourmovtchina“[4], oft schon an den russischen Arbeitern erprobt. Diese „Stourmovtchina“ fand nicht nur Ende Monat statt, sondern auch am Ende der Woche. Die Überstunden nahmen dramatisch zu und damit auch die Arbeitunfälle. Menschen und Maschinen wurden bis an ihre äußersten Grenzen getrieben.

Und als Krone des Ganzen war es für die Arbeiter nicht unüblich, bei Arbeitsantritt als Überraschung einen „Versprechensbrief“ vorzufinden, geschrieben und unterzeichnet in ihrem Namen von - den Gewerkschaften. Schon erschöpft, fanden sie nun ein „Versprechen“ vor, erneut die Produktion zu erhöhen, alles zu Ehren dieser oder jener Jubiläen und Gedenktage. Jede nur erdenkliche Möglichkeit wurde ausgeschöpft, um diese Art von „freiwilligen“ Arbeitstagen zu erzwingen, welche natürlich unbezahlt waren. Zwischen März 1950 und Februar 1951 gab es 11 solche Tage: „Befreiungstag“, 1. Mai, Korea-Woche, Rákosis Geburtstag und andere Ereignisse, die Grund waren für unbezahlte Überzeit.

Während der Periode des ersten Fünfjahresplanes wurde die Produktion verdoppelt und die Produktivität stieg um 63%. Die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse verschlechterten sich drastisch. Innerhalb von  5 Jahren, von 1949 bis 1954, wurden die Nettolöhne um 20% reduziert, und im Jahr 1956 lebten nur 15% der Familien über dem von den regimeeigenen Experten definierten Existenzminimum!

Der Stachanovismus wurde in Ungarn augenscheinlich nicht auf einer freiwilligen Basis der Liebe zum „Sozialistischen Vaterland“ eingeführt. Die herrschende Klasse führte ihn mittels Terror ein, mit gewalttätigen Repressalien und schweren Sanktionen, wenn die Produktionsnormen (welche laufend in die Höhe geschraubt wurden) nicht erfüllt waren.

Der stalinistische Terror erfasste die Fabriken gänzlich. Am 9. Januar 1950 verabschiedete die Regierung ein Gesetz, das den Arbeitern untersagte, den Arbeitsplatz ohne Erlaubnis zu verlassen. Eine strenge Disziplin wurde eingeführt und „Verstöße“ mit strengen Bußen bestraft.

Dieser alltägliche Terror erforderte einen allgegenwärtigen Polizeiapparat. Die Polizei und die Gewerkschaften mussten überall sein, was zu fast lächerlichen Situationen führte. Die MOFAR-Fabrik in Magyarovar, die sich zwischen 1950 und 1956 auf das Dreifache vergrößerte, hatte, um die Kontrolle über die Arbeiter aufrecht zu erhalten, nicht drei- sondern zehnmal soviel Überwachungspersonal anzuheuern: Gewerkschaftsfunktionäre, Parteimitglieder und Fabrikpolizei.

Die Gewerkschaftsstatuten, die das Regime 1950 erließ, sind unmissverständlich: „(…) Organisierung und Ausdehnung des sozialistischen Wettbewerbs unter den Arbeitern, Kampf für eine bessere Organisierung der Arbeit, für die Festigung der Disziplin (…) und die Erhöhung der Produktivität“.

Doch leider waren Bußen und Einschüchterungen nicht die einzigen Maßnahmen gegen die „Widerspenstigen“.

Am 6 Dezember 1948 schimpfte Istvan Kossa, der Industrieminister, anlässlich eines Besuches der Stadt Debrecen über die „(…) Arbeiter die eine terroristische Haltung gegenüber den Managern der verstaatlichten Industrie haben (…)“. Mit anderen Worten, über die, welche sich nicht „frohlockend“ den Stachanov-Normen beugten oder ganz einfach nicht die verlangten Produktionsnormen erfüllen konnten. Seither wurden Arbeiter, die ihre Arbeit nicht genug zu „lieben“ schienen, systematisch als „Agenten des westlichen Kapitalismus“, „Faschisten“ oder „Säufer“ denunziert.

Kossa fügte hinzu, wenn sie ihre Haltung nicht änderten, helfe ihnen wohl nur eine Zeit Zwangsarbeit. Dies waren nicht leere Worte, wie unter anderem der Fall eines Arbeiters der Eisenbahnwagenfabrik in Györ zeigte. Er wurde des „Lohnbetrugs“ angeklagt und zur Internierung in einem Arbeitslager verurteilt. Die Äußerung von Sandor Kopacsi, Internierungsbeamter im Jahr 1949 und Polizeipräfekt von Budapest 1956, ist ebenfalls aufschlussreich: „In den Lagern waren Arbeiter, verarmte Bauern und Leute aus Klassen, die dem Regime feindlich gesinnt waren. Die Arbeit (des Direktors) war einfach: er musste die vorgesehene Internierungsdauer verlängern, meist um sechs Monate. (…) Sechs Monate Untersuchung und sechs Monate Verlängerung. Gewiss, es war nicht dasselbe wie die „zehn Jahre“ oder „fünfzehn Jahre“ Verlängerung in den sibirischen Einöden (…) Dennoch gingen diese Verurteilten nach der Internierung nicht zurück ins Privatleben, es waren Internierungen mit dem System der Verlängerungen um sechs Monate und weitere sechs Monate – genauso wenig wie diejenigen, welche fünfzehn oder fünfundzwanzig Jahre im Norden Sibiriens verbrachten.“ [5] 1955 stieg die Zahl der Gefangenen drastisch an und die Mehrzahl waren so genannte „widerspenstige“ Arbeiter.

Unter dem Rákosi-Regime verschwanden Zehntausende spurlos. Sie waren verhaftet und interniert worden. Damals sprach man von einem „Hausglocken-Unglück“ welches Ungarn heimsuchte. Wenn die Hausglocke am Morgen läutete, wusste man nie, ob es der Milchmann oder ein Agent der politischen Polizei AVH war.

Der proletarische Aufstand vom Oktober 1956

Dennoch hatten das Terrorregime, die Präsenz der Roten Armee und die Folterer der AVH nicht den gewünschten Erfolg. Der Unmut innerhalb der Arbeiterklasse wurde ab 1948 immer spürbarer. Die Wut der Arbeiterklasse war nahe daran, sich auf der Strasse zu entladen. Es erwachte ein unbezähmbares Gefühl, sich dem hierarchischen Apparat der sowjetischen Bürokratie entgegenzusetzen, der alle Entscheide fällte, von den Produktionsnormen bis zur Auswahl der Vorarbeiter und Überwacher, welche mit der Umsetzung der Pläne in Produktionsziffern beauftragt waren.

Die ausgelaugte Arbeiterklasse war am Ende ihrer Kräfte. Die Bedingungen der Ausbeutung waren nicht länger zu ertragen und ein Aufstand bahnte sich an.

Die Situation, welche die UdSSR in Ungarn geschaffen hatte, war auch in den anderen stalinistischen Ländern des Ostblocks nicht anders. Aus diesem Grunde herrschte eine permanente Unzufriedenheit der Arbeiterklasse. Zu Beginn des Jahres 1953 waren die Arbeiter im tschechischen Pilsen mit dem stalinistischen Staatsapparat in Konflikt geraten, weil sie sich weigerten, die berühmt-berüchtigte Stücklohnproduktion zu akzeptieren. Einige Wochen später, am 17. Juni 1953, brach ein großer Streik unter den Bauarbeitern in Ostberlin aus, weil die Arbeitsnormen um 10% gestiegen und die Löhne um 30% gesenkt worden waren. Die Arbeiter demonstrierten auf der Stalin-Allee mit dem Ruf „Nieder mit der Tyrannei der Normen“, „Wir sind Arbeiter, keine Sklaven“. Streikkomitees zur Ausweitung des Kampfes entstanden spontan und sie begaben sich in die anderen Stadtteile, um die Arbeiter von Westberlin zur Teilnahme am Streik aufzurufen. Da die berühmte Berliner Mauer damals noch nicht stand, beeilten sich die westlichen Alliierten, ihre Sektoren abzuriegeln. Die in der DDR stationierten russischen Panzer erwürgten diesen Streik. So machte die herrschende Klasse im Westen und Osten in abgekarteter Manier gemeinsame Sache, um den Widerstand der Arbeiter zu erdrücken. Zur selben Zeit brachen in sieben polnischen Städten Demonstrationen und Arbeiteraufstände aus. Das Kriegsrecht wurde über Warschau, Krakau und Schlesien verhängt – und auch dort wurden die russischen Panzer zur Niederschlagung der Arbeiterklasse auf den Plan gerufen. Auch Ungarn geriet in Bewegung. Streiks brachen zuerst im großen Eisen- und Stahlproduktionsbezirk Cespel in Budapest aus, danach griffen sie auf andere Industriestädte wie Odz und Diösgyör über.

Der Sturm der Revolte gegen den Stalinismus, der über Osteuropa hinwegfegte, fand seinen Höhepunkt im Aufstand vom Oktober 1956 in Ungarn.

Das Klima in Ungarn verunsicherte den Kreml offenbar aufs Höchste. In der Absicht, der angeheizten Situation den Dampf abzulassen, entschied Moskau, den Mann, der den Terror des Regimes personifizierte, zeitweilig von der Regierung abzusetzen. Mátyás Rákosi wurde in Juni 1953 seines Postens als Premierminister enthoben. 1955 kam er wieder an die Macht zurück, wurde aber im Juli 1956 erneut abgesetzt. Doch all dies konnte die Situation nicht beschwichtigen, denn die angestaute Wut war zu groß und die Lebensbedingungen verbesserten sich nicht. Das Pulverfass stand kurz vor der Explosion.

In dieser Situation kurz vor dem Aufstand, die das Regime ins Wanken brachte, verstand die nationalistische Fraktion der ungarischen Bourgeoisie, dass sie einen Trumpf in der Hand hatte, um ihre Position als Untertan Russlands abzuwerfen oder zumindest die Leine zu verlängern, um einen größeren Spielraum zu haben. Die schnell vorangetriebene Sowjetisierung des ungarischen Staates, die totale und ungeteilte Machtkontrolle durch die Männer des Kremls und ihre Panzer der Roten Armee, die Industrie, die vollständig in den Dienst der imperialistischen Bedürfnisse der UdSSR gestellt worden war – all dies war der nationalen Bourgeoisie zuviel. Sie wartete nur auf einen Moment, um ihren Besatzer abschütteln zu können. Sogar unter den ungarischen Stalinisten herrschten starke Tendenzen zur nationalen Unabhängigkeit - die „nationalen Kommunisten“, welche zu einem „ungarischen Weg zum Sozialismus“ aufriefen, so wie er von vielen Intellektuellen vorgeschlagen wurde. Sie machten Imre Nagy[6] zu ihrem „Helden“ des Oktoberaufstandes. Auch die ungarische Armee konnte nicht gänzlich sowjetisiert werden, ohne Konzessionen an den Nationalismus der alten Offiziere zu machen. In deren Augen entsprach die Allianz mit der UdSSR nicht den nationalen Interessen, welche sich traditionell am Westen orientierten. Als der Oktoberaufstand ausbrach, erblickte die Armee die Möglichkeit, sich von den stalinistischen Fesseln zu befreien. Dies ist der Grund, weshalb sie sich auch teilweise an den Straßenkämpfen beteiligte. Der patriotische Widerstand fand seine Personifizierung in der Figur des Generals Pal Maleter und die Truppen der Kilian-Kaserne in Budapest. Diese Teile der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums vergifteten die Atmosphäre des Arbeiteraufstandes mit ihrer nationalistischen Propaganda. Es ist kein Zufall, wenn bis heute die herrschende Klasse versucht, Nagy und Maleter zu Mythen der Ereignisse von 1956 zu erheben. Durch die Darstellung dieser bürgerlichen Galionsfiguren soll die Lüge bekräftigt werden, es habe sich um eine „Revolution für Demokratie und nationale Befreiung“ gehandelt.

Nach der Absetzung von Rákosi im Juli 1956 wurde das Klima stark bestimmt von Elementen des Kleinbürgertums, den nationalistischen Intellektuellen der Schriftstellergewerkschaft und den Studenten des Petöfi-Zirkels. Am 23. Oktober organisierte Letzterer eine friedliche Demonstration in Budapest, an der viele Arbeiter teilnahmen. Bei der Statue von General Bem angelangt, verlas die Schriftstellergewerkschaft eine Resolution, welche den Anspruch auf Unabhängigkeit des „ungarischen Volkes“ ausdrückte.

Für die Bourgeoisie ist dies der Charakter des ungarischen Aufstandes – ein Haufen von Studenten und Intellektuellen, welche für die nationale Unabhängigkeit von der Moskauer Fessel kämpften. In den letzten fünfzig Jahren hat die herrschende Klasse einen Schleier über den Hauptakteur des Aufstandes, die Arbeiterklasse, gelegt. Ebenso über die Gründe, die hinter dem Aufstand lagen, welcher weit entfernt von einem nationalen Widerstand oder der Liebe zum Vaterland ein Versuch der Arbeiterklasse war, sich den schrecklichen Lebensbedingungen zu widersetzen.

Die Arbeiter strömten aus den Fabriken und die Masse der Arbeiterklasse in Budapest schloss sich der Demonstration an. Als die Versammlung offiziell beendet war, gingen die Arbeiter nicht nach Hause, im Gegenteil. Sie begaben sich in die Straße des Parlaments und begannen dort, die Statue Stalins niederzureißen und mit Hämmern zu zerstören. Danach begab sich die Menschenmasse zum Radiogebäude, um gegen die Erklärung des Premierministers Gerö zu protestieren, der die Demonstranten beschuldigte, nichts anders als „eine Bande von nationalistischen Abenteurern zu sein, welche die Macht der Arbeiterklasse brechen wolle“. Als dann die politische Polizei AVH das Feuer auf die Menge eröffnete, schlug der Protest in einen bewaffneten Aufstand um. Die nationalistischen Intellektuellen, welchen zur Demonstration aufgerufen hatten, wurde nun selbst von den Ereignissen überrascht und, wie der Sekretär des Petöfi-Zirkels, Balazs Nagy, selber zugab, wollten sie „die Bewegung lieber bremsen als vorwärts treiben“.

Innerhalb von 24 Stunden schlossen sich dem Generalstreik vier Millionen Arbeiter an, und er breitete sich auf ganz Ungarn aus. In den großen Industriezentren entstanden spontan Arbeiterräte. Damit versuchte die Arbeiterklasse, den Aufstand zu organisieren und zu kontrollieren.

Die Arbeiter bildeten zweifellos das Rückgrat der Bewegung und demonstrierten dies mit ihrer ungebrochenen Kampfbereitschaft und ihrem Willen. Sie bewaffneten sich und bildeten überall Barrikaden. In den Straßen der Hauptstadt kämpften sie mit unterlegener Bewaffnung gegen die AVH und die russischen Panzer. Die AVH war jedoch sehr bald durch die Ereignisse überrumpelt. Eine neue Regierung, gebildet und angeführt durch den „progressiven“ Imre Nagy, rief ohne zu zögern nach der Intervention der russischen Armee, um die neue Regierung vor der Wut der Arbeiter zu schützen. Nagy forderte unaufhörlich die Widerherstellung der Ordnung und die „Kapitulation der Aufständischen“. Später verkündete dieser Meister der Demokratie, dass die Intervention der russischen Streitkräfte „im Interesse der sozialistischen Disziplin notwendig gewesen sei“.

Die Panzer brachen am 24. Oktober um etwa 2 Uhr Nachts in Budapest ein und trafen auf die ersten Barrikaden in den Arbeiterbezirken der Stadt. Die Csepel-Fabrik mit ihren Tausenden von Metallarbeitern leistete den härtesten Widerstand – mit altmodischen Feuerwaffen und Molotow-Cocktails gegen Divisionen von bewaffneten russischen Fahrzeugen.

Nagy, der legitime Kandidat aller nationalistischen Bestrebungen, war unfähig, die Ruhe wieder herzustellen. Es gelang ihm nie, das Vertrauen der Arbeiter zu gewinnen und sie zur Abgabe der Waffen zu bewegen, weil die Arbeiter im Gegensatz zu den Intellektuellen und einem Teil der ungarischen Armee nicht für „die nationale Befreiung“ kämpften; obwohl sie durch die herrschende Propaganda und die patriotischen Gesänge auch angesteckt werden mochten, lehnten sie sich im Grunde gegen den Terror und die Ausbeutung auf.

Am 4. November, im selben Zeitpunkt, als Moskau Nagy durch Janos Kadar ersetzte, drangen 6000 sowjetische Tanks in die Hauptstadt ein und eröffneten eine zweite Runde, um den Aufstand endgültig niederzuschlagen. Aus diesem Grund ging die ganze Gewalt des Angriffs auf die Arbeitervororte nieder: auf das rote Csepel, Ujpest, Köbanya, Dunapentele. Trotz einer 100-fachen Überlegenheit des Feindes an Menschen und Waffen schlugen sich die Arbeiter weiter und wehrten sich wie Löwen. „In Csepel sind die Arbeiter zum Kampf entschlossen. Am 7. November wird das Gebiet durch Artillerie beschossen und von Flugzeugen bombardiert. Am nächsten Tag kommt ein sowjetischer Abgesandter, um zu versuchen, die Arbeiter zur Kapitulation zu bewegen. Sie lehnen ab, und der Kampf dauert an. Am folgenden Tag erlässt ein weiterer Offizier eine letzte Aufforderung: Wenn sie die Waffen nicht abgäben, werde das Viertel ausgelöscht. Einmal mehr lehnten die Aufständischen ab, sich zu ergeben. Der Artilleriebeschuss wurde immer stärker. Die sowjetischen Streitkräfte benützten Raketenwerfer, die ernste Schäden an den Fabriken und an den benachbarten Gebäuden verursachten. Als ihnen die Munition ausging, stellten die Arbeiter den Kampf ein.“ (Budapest, der Aufstand, François Fejtö.)

Nur der Hunger und der Mangel an Munition schienen die Kämpfe und den Arbeiterwiderstand beenden zu können.

Die Arbeiterviertel blieben völlig niedergemäht zurück, und gewisse Schätzungen gehen von mehreren Zehntausenden von Toten aus. Trotz dieser Massaker dauerte der Streik während einiger weiterer Wochen an. Auch nach seinem Ende gab es immer noch sporadische Widerstandsaktionen bis in den Januar 1957.

Die wieder entstandene Organisationsform der Arbeiterräte

Der Mut, die Revolte gegen das Elend, der Überdruss über die Ausbeutungsbedingungen und den stalinistischen Terror sind die Schüsselelemente, um diesen kämpferischen Widerstand der ungarischen Arbeiter zu erklären, aber ein weiterer wichtiger Faktor ist hinzuzufügen: die Tatsache, dass diese Revolte durch Arbeiterräte organisiert wurde.

In Budapest wie in der Provinz war ein wesentliches Merkmal des Aufstandes die Bildung von Räten. Zum ersten Mal nach fast 40 Jahren fanden die ungarischen Arbeiter in ihrem Kampf gegen die stalinistische Bürokratie spontan die Form der Organisation und der proletarischen Macht wieder, die ihre Väter zum ersten Mal in Russland im Laufe der Revolution von 1905 sowie in der revolutionären Welle schufen, die im Jahre 1917 von Petrograd ausging und 1919 auch Budapest mit seiner kurzen Räterepublik erreichte. Vom 25. Oktober 1956 an wurden die Städte Dunapentele, Szolnok (wichtiger Eisenbahnknotenpunkt), Pécs (mit den Bergwerken des Südwestens), Debrecen, Szeged, Miskolc, Györ, durch Arbeiterräte geführt, die die Bewaffnung der Aufständischen und die Versorgung organisierten und die wirtschaftlichen und politischen Forderungen stellten.

Auf diesem Weg wurde der Streik in den wichtigsten industriellen Zentren Ungarns mit Geschick geführt. So grundlegende Sektoren für die Mobilität des Proletariats wie die Transporte, so lebenswichtige Bereiche wie die Krankenhäuser und die Stromerzeugung funktionierten in vielen Fällen auf Befehl der Räte weiter. Ebenso bildeten und kontrollierten die Räte beim Aufstand die Arbeitermilizen, verteilten die Waffen (unter Kontrolle der Arbeiter der Zeughäuser) und forderten die Auflösung einiger Organisationen, die vom Regime ausgingen.

Schon am 25. Oktober rief der Rat von Miskolc die Arbeiterräte aller Städte dazu auf, „ihre Anstrengungen zu koordinieren, um eine einzige und einheitliche Bewegung zu schaffen“; allerdings gestaltete sich die Umsetzung dieses Vorhabens viel langsamer und chaotischer. Nach dem 4. November gab es in Csepel einen Versuch, auf der Ebene der Distrikte die Aktivitäten der Räte zu koordinieren. Im 13. und 14. Distrikt wurde ein erster Arbeiterdistriktrat gebildet. Später, am 13. November, regte der Rat von Ujpest die Schaffung eines mächtigen Rates für die ganze Hauptstadt an; dies war die Geburt des zentralen Rates von Großbudapest. Erster, wenn auch später Schritt in Richtung einer vereinten Macht der Arbeiterklasse.

Doch für die ungarischen Arbeiter war die politische Rolle der Räte – die eigentlich den Kern dieses Organs ausmacht, das ja dazu bestimmt ist, die Macht zu ergreifen - nur ein Zufallsprodukt, eine Funktion, die die Lage mangels Alternative aufdrängte, bis die „Spezialisten“, die „Experten der Politik“ sich wieder einrichteten und die Zügel der Macht in die Hand nahmen: „Niemand schlägt vor, dass die Arbeiterräte selbst die politische Vertretung der Arbeiter sein könnten. Sicherlich... der Arbeiterrat musste bestimmte politische Funktionen ausüben, denn er widersetzte sich einem Regime, und die Arbeiter hatte keine andere Vertretung, aber aus der Sicht der Arbeiter war dies nur eine einstweilige Lösung“ (Zeugenaussage von Ferenc Töke, Vizepräsident des zentralen Rates von Großbudapest).

Die Grenzen der Bewegung und der Räte

Wir berühren hier eine der wichtigsten Grenzen des Aufstandes: das schwache Bewusstseinsniveau des ungarischen Proletariats, das ohne revolutionäre Perspektive und ohne die Unterstützung der Arbeiter aller Länder keine Wunder vollbringen konnte. In der Tat bewegten sich die Ereignisse in Ungarn  gegen den Strom, in einer finsteren Zeit, nämlich derjenigen der Konterrevolution, die auf der Arbeiterklasse des Ostens wie des Westens lastete.

Es trifft zu, dass die Arbeiter die Triebkraft des Aufstandes gegen die Regierung bildeten, die durch die russischen Panzer unterstützt wurde. Doch wenn diese Bewegung ihr proletarisches Wesen im entschlossenen Widerstand gegen die Ausbeutung zum Ausdruck brachte, so wäre es umgekehrt falsch, die gigantische Kampfbereitschaft der ungarischen Arbeiter als eine Äußerung des revolutionären Bewusstseins zu sehen. Der Arbeiteraufstand von 1956 stellt unweigerlich einen Rückgang des Bewusstseinsniveaus der Proletarier im Vergleich zu demjenigen in der revolutionären Welle von 1917-1923 dar. Während die Arbeiterräte am Ende des Ersten Weltkrieges sich als politische Organe der Arbeiterklasse verstanden, Ausdruck ihrer Diktatur waren, stellten die Räte von 1956 zu keinem Zeitpunkt den Staat in Frage. Der Arbeiterrat von Miskolc verkündete zwar am 29. Oktober „die Abschaffung der AVH“ (die ohne weiteres mit dem Terror des Regimes identifiziert wurde), fügte aber gleich hinzu, dass „die Regierung sich nur auf zwei Streitkräfte stützen darf, die nationale Armee und die gewöhnlichen Polizei“. Der kapitalistische Staat wurde nicht bloß nicht in seiner Existenz bedroht, sondern seine zwei Hauptlinien der bewaffneten Verteidigung wurden bewahrt.

Demgegenüber erkannten die Räte von 1919, die das historische Ziel ihres Kampfes klar begriffen, sofort die Notwendigkeit, die Armee aufzulösen. Damals gaben die Arbeiter der Fabriken von Csepel zur gleichen Zeit, als sie die Räte bildeten, die Losungen aus:

„- Sturz der Bourgeoisie und ihrer Institutionen

- es lebe die Diktatur des Proletariats

- Mobilisierung für die Verteidigung der revolutionären Errungenschaften durch die Bewaffnung des Volkes“.

Im Jahre 1956 gingen die Räte so weit, dass sie sich selbst die Hände banden, indem sie sich als einfache Organe der wirtschaftlichen Fabrikverwaltung definierten: „Unsere Absicht bestand nicht darin, eine politische Rolle zu beanspruchen. Wir dachten im Allgemeinen, dass es in der Politik ähnlich wie in der Wirtschaft, wo die Führung den Spezialisten überlassen wird, Experten braucht, die diese Aufgabe übernehmen.“ (Ferenc Töke). Manchmal verstanden sie sich sogar als eine Art Unternehmensausschuss: „Die Fabrik gehört den Arbeitern, diese bezahlen dem Staat Steuern, die auf Grund der Produktion von Dividenden berechnet werden, die nach den Gewinnen festgelegt sind... der Arbeiterrat entscheidet im Konfliktfall über die Beschäftigung und die Entlassung der Arbeiter“ (Resolution des Rates von Großbudapest).

In dieser dunklen Periode der fünfziger Jahre war das internationale Proletariat ausgeblutet. Die Aufrufe des Rates von Budapest an „die Arbeiter der restlichen Welt“ zugunsten von „Solidaritätsstreiks“ blieben toter Buchstabe. Und ähnlich wie ihre Klassenbrüder in den anderen Ländern hatten die ungarischen Arbeiter (trotz ihres Mutes), ein sehr geschwächtes Bewusstsein. Auf diesem Hintergrund tauchten die Räte instinktiv auf, aber ihre eigentliche Bestimmung, die Machtergreifung, konnte sich nicht verwirklichen. Die Räte von 1956 waren „Form ohne Inhalt“, sie können nur als „unvollendete“ Räte oder im besten Fall als Entwurf von Räten aufgefasst werden.

Umso einfacher ist es für die ungarischen Offiziere und die Intellektuellen, die Arbeiter im Gefängnis der nationalistischen Ideen einzuschließen, und für die russischen Panzer, sie zu massakrieren.

Während die Räte von den Arbeitern selbst nicht als politische Organe aufgefasst wurden, so sahen sie Kadar, das russische Oberkommando und die großen westlichen Demokratien aufgrund ihrer Erfahrungen durchaus als höchst politische Organe an. In der Tat entsprach die Niederschlagung des ungarischen Proletariats trotz all seiner Schwächen, die mit der damaligen Periode zusammenhingen, der ständigen Furcht, welche die Bourgeoisie angesichts jedes Ausdrucks des proletarischen Kampfes packt.

Von Anfang an, als Nagy von der Entwaffnung der Arbeiterklasse sprach, dachte er natürlich an die Maschinengewehre, aber auch und besonders an die Räte. Und als Janos Kadar die Macht im November wieder herstellte, drückte er genau dasselbe Anliegen aus: die Räte müssen „wieder unter Kontrolle gebracht und von den Demagogen gesäubert werden, die da nichts zu suchen haben“.

Ebenso widmeten sich die Gewerkschaften im Solde des Regimes seit dem Auftauchen der Räte derjenigen Arbeit, die sie am besten kennen: der Sabotage. Als der Nationale Gewerkschaftsrat (NGR) “den Arbeitern und den Angestellten vorschlägt, ... mit der Wahl von Arbeiterräten in den Fabriken, den Betrieben, den Bergwerken und an allen Arbeitsorten zu beginnen...“, so geschah dies nur, um sie besser zu kontrollieren, ihre Tendenz zur Beschränkung auf wirtschaftliche Aufgaben zu verstärken, sie daran zu hindern, die Frage der Machtergreifung zu stellen, und sie in den Staatsapparat zu integrieren. „Der Rat der Arbeiter wird für seine Verwaltung vor allen Arbeitern und vor dem Staat verantwortlich sein... [die Räte] haben unmittelbar die wesentliche Aufgabe, die Wiederaufnahme der Arbeit zu gewährleisten, die Ordnung und die Disziplin wiederherzustellen und zu garantieren.“ (Erklärung des Vorsitzes des NGR am 27. Oktober).

Glücklicherweise genossen die Gewerkschaften, die unter der Herrschaft von Rákosi ernannt worden waren, nur sehr wenig Glaubwürdigkeit unter den Arbeitern, wie es diese Richtigstellung beweist, die durch den Rat von Großbudapest am 27. November verabschiedet wurde: „Die Gewerkschaften versuchen gegenwärtig, die Arbeiterräte als Ergebnis des Kampfes der Gewerkschaften darzustellen. Es ist überflüssig darauf hinzuweisen, dass es sich dabei um eine haltlose Behauptung handelt. Einzig und allein die Arbeiter kämpften für die Schaffung der Arbeiterräte, und der Kampf dieser Räte wurde in vielen Fällen durch die Gewerkschaften gestört, die sich hüteten, ihnen zu helfen.“

Die Komplizenschaft der demokratischen Bourgeoisie mit der stalinistischen Repression

Am 6. Dezember begannen die Verhaftungen der Mitglieder der Räte (ein Vorspiel zu weiteren massenhafteren und blutigeren Festnahmen). Russische Truppen und die AVH umzingelten mehrere Fabriken. Auf der Insel von Csepel sammelten Hunderte von Arbeitern die wenigen Kräfte, die ihnen verblieben und lieferten der Polizei eine letzte Schlacht, um sie daran zu hindern, in die Fabriken einzudringen und Verhaftungen vorzunehmen. Am 15. Dezember wurde die Todesstrafe für die Beteiligung an Streiks durch Ausnahmegerichte in die Praxis umgesetzt, die befugt waren, die als „schuldig“ verurteilten Arbeiter auf der Stelle zu exekutieren. Girlanden von Gehängten zierten die Brücken der Donau.

Am 26. Dezember erklärte György Marosan, Sozialdemokrat und Minister von Kadar, dass die Regierung nötigenfalls 10’000 Menschen töten werde, um zu beweisen, dass sie, und nicht die Räte die wahre Ordnungsmacht ist.

Hinter der Repression durch Kadar stand die Entschlossenheit des Kremls, die Arbeiterklasse zu zermalmen. Für Moskau ging es nicht bloß darum, den nach Unabhängigkeit strebenden Satelliten die Flügel zu stutzen, sondern vor allem das Gespenst des proletarischen Selbstbewusstseins und ihres Sinnbilds, des Arbeiterrates, zu vernichten. Deshalb unterstützten die Titos, Maos und alle Stalinisten der ganzen Welt die Linie des Kremls bedingungslos.

Auch der Block der großen Demokratien stellte der Repression einen Persilschein aus. Der amerikanische Botschafter in Moskau, Charles Bohlen, erzählte in seinen Memoiren, dass er am 29. Oktober 1956 von Staatssekretär John Foster Dulles beauftragt worden war, den sowjetischen Führern Chruschtschow, Schukow und Bulganin  eine dringliche Mitteilung zu übermitteln. Dulles ließ den Machthabern der UdSSR sagen, dass die Vereinigten Staaten weder Ungarn noch sonst einen Satelliten als möglichen militärischen Verbündeten betrachteten. Mit anderen Worten: „Sie sind bei sich zu Hause Herr und Meister.“

Entgegen allen Lügen, die die Bourgeoisie nicht aufgehört hat, über den Aufstand von 1956 in Ungarn zu verbreiten, war er in der Tat ein Kampf der Arbeiter gegen die kapitalistische Ausbeutung. Zwar war die Periode nicht günstig. Die Gesamtheit der Arbeiterklasse schaute nicht mehr Richtung weltweite revolutionäre Welle, wie dies noch 1917-1923 der Fall war, als im März 1919 eine leider nur kurzlebige ungarische Räterepublik das Licht der Welt erblickte. Aus diesem Grund konnten sich die ungarischen Arbeiter 1956 die Überwindung des Kapitalismus und die Übernahme der Macht gar nicht zur Aufgabe machen, was auch ihr fehlendes Verständnis für das höchst politische und subversive Wesen der Räte erklärt, die sie im Laufe ihres Kampfes schufen. Und doch ist es die wirklich revolutionäre Natur des Proletariats selbst, die soeben mutig durch die Revolte der ungarischen Arbeiter und ihre Räteorganisation erneut bestätigt wurde; die Bestätigung der historischen Rolle des Proletariats, wie es Tibor Szamuelly[7] im Jahre 1919 formuliert hatte: „Unser Ziel und unsere Aufgabe ist die Zerstörung des Kapitalismus.“

Jude, 28. Juli 2006


[1] Früherer Militärkommandeur Ungarns und Diktator von 1920 bis 1944.

[2] Generalsekretär der Kommunistischen Partei Ungarns KPU und Premierminister nach 1952.

[3] Als Führer der NKVD in Spanien organisierte Gerö im Juli 1937 die Entführung und Ermordung von Erwin Wolf, einem engen Mitarbeiter Trotzkis. Er kehrte 1945 nach Ungarn zurück, um seine Arbeit als stalinistischer Schlächter in der Rolle des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Ungarns weiterzuführen. 

[4] Ein russisches Wort, welches die Erhöhung der Arbeitkadenz bis zum Letzten beschreibt.

[5] Sandor Kopasci: „Im Namen der Arbeiterklasse“

[6] Am 13. Juni 1953 wurde Nagy im Zuge der Entstalinisierung anstelle von Rákosi zum Premierminister ernannt. Trotz der Propaganda für einen „nationalen und menschlichen Sozialismus“ flammte der Machtkampf innerhalb der Partei erneut auf und es war die stalinistische Gruppe um Rákosi, welche den Sieg davon trug. Nagy wurde am 14. April 1955 durch die Führung der ungarischen Kommunistischen Partei seines Amtes enthoben und einige Monate später aus der Partei ausgeschlossen.  

[7] Tibor Szamuelly war eine führende Figur in der ungarischen Arbeiterbewegung und ein glühender Verfechter der Gründung einer Kommunistischen Einheitspartei, die Marxisten und Anarchisten vereinen sollte und schließlich im November 1918 auch gegründet wurde. Ihr Programm beinhaltete die Diktatur des Proletariats. Er verteidigte entschlossen die Revolution in Ungarn und wurde im August 1919 von den konterrevolutionären Kräften hingerichtet.

Erbe der kommunistischen Linke: