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Beiläufig, zufällig nur erfuhren gut 2000 Mitarbeiter des Handyherstellers Nokia Mitte letzter Woche, dass das Werk Bochum, von dem ihre Existenzen leider abhängen, geschlossen werden soll. Keine drei Tage später wurde schon Hunderten von mit Zeitverträgen ausgestatteten MitarbeiterInnen gekündigt. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie ab sofort auf dem Firmengelände nichts mehr zu suchen haben. Die Restlichen „dürfen“ eine kurze Zeit noch die Arbeit der bereits Entlassenen mitverrichten, bis auch sie auf die Straße gesetzt werden. So werden die Lebensplanungen von über 4000 Menschen im Werk Bochum und in der Zulieferindustrie über Nacht zunichte gemacht.
Das wahre Gesicht des Kapitalismus
Die deutsche politische Obrigkeit hat diese Umgangsweise des finnischen Weltkonzerns mit markigen Worten quittiert. Der NRW Ministerpräsident Rüttgers sprach von „Subventionsheuschrecken“, Bundesfinanzminister Steinbrück von „Karawanenkapitalismus“. Sie wollen uns damit sagen, Nokia habe einen sonst überall vorherrschenden “rücksichtsvollen“ und „sozial verantwortlichen“ Umgang der Kapitalisten mit der arbeitenden Bevölkerung verletzt. Da können wir den hohen Herren von der Politik nicht folgen. Es ist vielmehr so, dass die Brutalität und Unverfrorenheit von Nokia absolut typisch ist für das heutige Verhalten der Besitzerklasse gegenüber der Arbeiterklasse. Keine Firmenzentrale im fernen Helsinki, sondern ein deutsches Arbeitsgericht war es, welches monatelang den bundesweiten Streik der Eisenbahner schlichtweg verbot, den Arbeitskampf der Ausgebeuteten unter Strafe stellte. Die deutsche Telekom war es, welche 10.000 MitarbeiterInnen auf einen Schlag ausgliederte, um sie für deutlich weniger Geld länger arbeiten zu lassen. Und als im vergangenen Sommer viele Jugendliche, die für sich keine Perspektive mehr innerhalb dieses Gesellschaftssystems sehen, sich aufmachten, um gegen den G-8 Gipfel in Heiligendamm zu protestieren, erblickte die Bundesanwaltschaft darin die Bildung von terroristischen Vereinigungen. Die Antwort der Staatsgewalt auf die neue Generation ließ nicht lange auf sich warten: Vorbeugehaft sowie das Einsperren von Demonstranten in Käfige wie auf Guantanamo. Und dieselben Politiker, die sich nun mit den „Nokianern“ solidarisch erklären, haben monatelang in aller Öffentlichkeit gegen die Eisenbahner gehetzt, als diese sich aus guten Gründen zur Wehr gesetzt haben. Dieselben Vertreter des Bundes und des Landes NRW, welche Nokia vor zehn Jahren 88 Millionen Euro in den Rachen warfen, um den Kapitalisten ihr Bochumer Werk mitzufinanzieren, hetzen jetzt angesichts der bevorstehenden Tarifauseinandersetzungen gegen Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst! Ja die Zeiten, als Belegschaften regelmäßig „stufenweise“ und „sozialverträglich“ abgetragen wurden, gehören der Vergangenheit an. Die ungeheuere Verschärfung des Konkurrenzkampfes auf Weltebene, die hinter der Immobilienkrise sich abzeichnende Zuspitzung der Überproduktionskrise des Kapitalismus zwingen die alten Industriestaaten, die Maske der „Sozialpartnerschaft“ fallen zu lassen, welche in den meisten Weltteilen ohnehin nie groß aufgesetzt wurde. Was hat beispielsweise NRW-Chef Rüttgers getan, nachdem er auf dem Nokiagelände in Bochum die Betroffenen mit leeren Worthülsen abzuspeisen versucht hatte? Er eilte nach Düsseldorf zurück, um ein weiteres „Rettungspaket“ von voraussichtlich 2 Milliarden Euro für seine Landesbank WestLB zu schnüren, welche sich bei der US Immobilienkrise ein wenig verspekuliert hatte. Die vom deutschen Staat an Nokia verschenkten 88 Millionen Euro, worüber die politische Klasse sich nun öffentlich ereifert, sind eine lächerliche Summe im Vergleich zu den Milliarden, welche in den letzten Monaten locker gemacht wurden, um einen Zusammenbruch des maroden kapitalistischen Finanz- und Bankensektors zu vermeiden. Da hat die Besitzerklasse nicht mal mehr das Bisschen für die Lohnabhängigen übrig, das sie in früheren Zeiten eingesetzt hatte, um den „sozialen Frieden“ abzusichern. Hier liegt der Grund, warum das Kapital mit immer unverblümterer Brutalität gegenüber der Arbeiterklasse vorgeht. Nicht an der „Taktlosigkeit“ eines einzelnen Konzerns liegt es, sondern an der Notwendigkeit eines ganzen Systems, wenn heute immer systematischer versucht wird, die Lohnabhängigen einzuschüchtern. Die Brutalitäten gegenüber den Nokianern oder gegenüber den Lokführern sind kein Ausrutscher Einzelner, sondern pure Absicht. Sie zielen darauf ab, uns zu terrorisieren, um uns gefügig zu machen. Da arbeiten die „bösen“ Kapitalisten“ und der uns angeblich umsorgende Staat Hand in Hand. Nicht nur die Kündigung droht den Betroffenen bei Nokia und anderswo, sondern das, was danach kommt: Hartz IV!
Die Bochumer Werksschließung: Ein Angriff gegen die gesamte Arbeiterklasse
Die Nachricht von der beabsichtigten Werksschließung bei Nokia in Bochum wurde genau drei Tage bekannt, nachdem die Lokführer bei der Deutschen Bahn 8% mehr Lohn und eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit um eine Stunde durchgesetzt hatten. Das muss nicht Zufall sein. Dieser Teilerfolg bei der Bahn nach Jahren der Reallohnsenkung ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht für die Pläne der herrschenden Klasse, auf Kosten der Beschäftigten die DB in ein international tätiges Logistikunternehmen zu verwandeln. Es ist eine Ermutigung für die ganze Arbeiterklasse, dem Beispiel der Eisenbahner zu folgen und sich einen Ausgleich für die rapide steigenden Preise und Steuerlast zu erkämpfen. Ob beabsichtigt oder nicht, ob mit der Staatsmacht abgesprochen oder nicht (welche in Deutschland bei Entlassungen von über 50 Beschäftigten auf einmal vorab informiert wird): Die Nachricht von der Bochumer Werksschließung kam für das Kapital genau zum richtigen Zeitpunkt. Sie dient als Warnung an die gesamte arbeitende Bevölkerung, angesichts des Teilerfolgs bei der Bahn nicht „übermütig“ zu werden. Die Botschaft lautet: „erkämpfte Lohnerhöhungen der Beschäftigten werden durch Massenentlassungen von Seiten des Kapitals quittiert! Vergesst nicht, wer in dieser Gesellschaft am längeren Hebel sitzt, nämlich die Besitzer der Produktionsmittel!“Nachdem es ein Jahrzehnt lang die Reallöhne – auch im internationalen Vergleich – besonders stark abgesenkt, und sich dadurch Wettbewerbsvorteile erzwungen hatte, weiß das deutsche Kapital heute sehr genau, dass eine allgemeine Unzufriedenheit der arbeitenden Klasse sich angestaut hat. So ist die Kapitalseite heute emsig bemüht, durch v.a. kosmetische „Korrekturen“ beim Arbeitslosengeld, dem Gerede von „Mindestlöhnen“, „Reichenbesteuerung“ und „sozialer Gerechtigkeit“ die Wogen zu glätten. Denn eine allgemeine Streikwelle würde uns Lohnabhängigen einen Teil unserer Klassenidentität und unser Selbstvertrauen wieder geben. Der „Standort Deutschland“ will außerdem verhindern, dass durch eine solche allgemeine Kampfeswelle ein Teil der angesammelten Konkurrenzvorteile wieder verloren gehen könnten. Zwar hat in dieser Hinsicht die Regierung vorgesorgt: Maßnahmen wie die seit Anfang 2007 in Kraft getretene Mehrwertsteuererhöhung oder die geplante massive Besteuerung von Sparkonten ab 2009 sollen den größten Teil eventueller Reallohnerhöhungen wieder in die Taschen des Staates und der Unternehmen umleiten. Dennoch setzt das Kapital auch auf offene Einschüchterung, damit weder die bevorstehenden Lohnkämpfe noch die daraus hervorgehenden Abschlüsse zu umfangreich werden. Auch in dieser Hinsicht richtet sich der Angriff gegen die Nokiabeschäftigten in Wahrheit gegen die gesamte Arbeiterklasse!
Arbeitersolidarität gegen die Gewalt des Kapitals
Gegenüber der Wucht der kapitalistischen Angriffe kann es nur eine Antwort geben: Die Arbeitersolidarität. Dass die Betroffenen die Notwendigkeit dieser Klassensolidarität immer deutlicher spüren, zeigt die erste Reaktion der Bevölkerung des Ruhrgebiets auf die Nachricht von der Werksschließung bei Nokia. Die Beschäftigten spürten sofort das Bedürfnis, sich auf dem Werksgelände zu versammeln. Da standen die ZeitarbeiterInnen und die (nur scheinbar) „Festangestellten“ Schulter an Schulter, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Wichtiger noch: Nicht allein die üblichen rituellen Gewerkschaftsdelegationen waren vertreten, sondern es strömten Lohnabhängige aus den unterschiedlichsten Betrieben der Region herbei, um ihre Solidarität kundzutun. Die Leute von Opel erklärten: Ihr habt uns 2004 in unserem Kampf gegen die Werksschließung unterstützt, jetzt unterstützen wir euch! Bei den Gesprächen bezog man sich wie selbstverständlich auf die gemeinsamen Kampferfahrungen unserer Klasse, um gegenüber der jetzigen Lage eine Perspektive zu gewinnen. So war von der beispielhaften Kampfkraft der Eisenbahner die Rede. Auch wurde darauf hingewiesen, dass die Werksschließung bei Opel in Bochum vor vier Jahren nicht durch Unterordnung und „Opferbereitschaft“ der Beschäftigten, sondern allein durch die große Kampfkraft der Betroffenen und die Solidarität der gesamten arbeitenden Bevölkerung verhindert wurde. Die Lehren von vor 20 Jahren bei Krupp wurden ebenfalls aufgegriffen: Die Kraft der Solidarität, aber auch die Verelendung, welche auf der doch noch durchgesetzten Werksschließung damals in Duisburg-Rheinhausen folgte. Dort auf dem Nokiagelände und in den darauffolgenden Tagen tauchte ein Ausdruck der Arbeitersolidarität wieder auf, welcher zukunftsweisend ist. In den letzten Jahren wurde der Kampf gegen Massenentlassungen und Werksschließungen hauptsächlich von den unmittelbar Betroffenen getragen, während andere Beschäftigte oder Erwerbslose sich mehr unterstützend, sozusagen von außen helfend beteiligten. Das war 2006 bei der AEG in Nürnberg so, 2004 bei Opel Bochum und auch 1987 bei Krupp. Jetzt war aus dem Opelwerk in Bochum zu vernehmen, dass die Beschäftigten dort sich an einem eventuellen Streik der Nokianer beteiligen wollen. Das hat es im Ansatz bereits 2004 bei Mercedes gegeben, als die Beschäftigten im Werk Bremen mitgestreikt haben aus Solidarität mit ihren KollegInnen in Stuttgart. Damals handelte es sich noch um eine Solidarität unter Beschäftigten ein und desselben Konzerns, die sich nicht gegeneinander ausspielen lassen wollten. Nun keimt ein Bewusstsein wieder auf, dass auch die Lohnsklaven aus verschiedenen Firmen, Branchen usw. gemeinsame Interessen haben, die nur gemeinsam verteidigt werden können. Diese Einsicht gewinnt nicht nur in Deutschland, sondern weltweit an Boden. So haben gegen Jahresende 2006 in Frankreich kämpfende Eisenbahner und Studenten gemeinsame Kampfversammlungen abgehalten.Auch die große Popularität, welche der Eisenbahnerstreik in Deutschland innerhalb der arbeitenden Bevölkerung genossen hat, muss in diesem Lichte gesehen werden. Der herrschenden Klasse ist es zwar gelungen, die massive Unzufriedenheit eines Teils der Eisenbahner mit den bestehenden, v.a. dem DGB angegliederten Gewerkschaften wieder in kapitalistisch geordnete – sprich gewerkschaftliche – Bahnen zu lenken mittels einer Scheinradikalisierung der fossilen GDL. Dadurch ist ein Bild in der Öffentlichkeit gestiftet worden, welches der herrschenden Klasse nur recht sein kann. Dies ist das Bild von einer Berufsgruppe – in diesem Fall die Lokführer –, welche sich von einem gemeinsamen Kampf mit anderen Berufsgruppen oder Sektoren der Klasse verabschiedet, um zu versuchen, auf eigene Faust das Beste für sich herauszuholen. Aller Erfolge der GDL bei der Isolierung des Lokführerstreiks zum trotz entspricht dieses Bild heute nicht der Stimmung der Arbeiterklasse. Die Lokführer werden vielmehr als Vorkämpfer eines notwendig gewordenen allgemeinen Kampfes angesehen. Mit ihrer Bekundung der Bereitschaft zur aktiven Solidarität mit den Nokianern ist es den Opelaner in Bochum gelungen, dieser Gemeinsamkeit, welche nur indirekt durch die allgemeine Beliebtheit des Lokführerstreiks zum Ausdruck kam, eine direkte Konkretisierung zu geben. Wir können und müssen dem Terrorsystem der kapitalistischen Konkurrenz die Stirn bieten! Wir können und wir müssen den Versuch der herrschenden Klasse durchkreuzen, mittels Angriffe wie bei Nokia nicht nur die Betroffenen, sondern uns alle einzuschüchtern. Begreifen wir die Gleichzeitigkeit der Angriffe mittels Arbeitslosigkeit und Inflation als Herausforderung, unsere eigenen Kräfte zu bündeln. Während bei Nokia, bei Motorola in Flensburg oder bei BMW Jobs vernichtet werden, stehen in vielen Branchen Tarifverhandlungen an, es wächst der Unmut gegenüber Reallohnverlusten. Es gilt, direkte Verbindungen zwischen den kämpferischsten Arbeiterinnen und Arbeitern der verschiedenen Bereiche zu knüpfen, ohne gewerkschaftliche „Vermittlung“. Es gilt, sich den Versammlungen und Demonstrationen anderer Bereiche zielstrebig anzuschließen bzw. die eigenen Aktionen für andere zu öffnen. Es gilt, dort die Gemeinsamkeit der Interessen aller Lohnabhängigen hervorzuheben und gemeinsame Forderungen zur Sprache zu bringen. Es gilt, den Kampf gegen Massenentlassungen und die Lohnkämpfe bewusst zu verbinden, sie immer mehr zusammenzuführen. Gegenüber der gewerkschaftlichen Absonderung, wie von der GDL vorexerziert, und dem gewerkschaftlichen Streikbrechertum, wie zuletzt von Transnet gegenüber dem Lokführerstreik praktiziert, müssen die Kämpferischsten sich für die Eigenständigkeit der Aktionen der Betroffenen selbst stark machen. Nur eine breite, allgemeine Aktion, welche die Logik des Kapitals in Frage stellt, welche gegen das Prinzip der kapitalistischen Konkurrenz das sozialistische Prinzip der Solidarität geltend macht, kann Angriffe wie bei Nokia aufhalten.
Gegen den Terror des Kapitalismus hilft nur die Solidarität der Arbeiterklasse! 20.01.08
Dieser Artikel wird von der IKS als Flugblatt auf der Demonstration am 22.01.08 in Bochum verteilt.