Der Lohnkampf bei den Deutschen Eisenbahnen, der jetzt schon neun Monate anhält, kam Mitte November 2007 mit einem dreitägigen landesweiten Streik zu einem Höhepunkt. Dieser Streik lähmte den Gütertransport und stürzte den öffentlichen Personenverkehr in ein Chaos. Zum ersten Mal in vielen Jahren stand das öffentliche Leben in Deutschland im Licht des Klassenkampfs. Was die herrschende Klasse am meisten überraschte, war die enorme Popularität des Streiks. Trotz einer intensiven Medienkampagne, die darauf abzielte, die Bahnarbeiter/Innen in Misskredit zu bringen, drückten die meisten von jenen, die vergeblich auf ihre Zugverbindungen warteten, Sympathie und sogar offene Solidarität mit den Forderungen der Streikenden aus. Eine Stimmung, die von halb offiziellen Meinungsumfragen völlig bestätigt wurde. Kaum überraschend. Dank dieses Streiks hat die "Öffentlichkeit" herausgefunden, dass die Lokführer und Zugschaffner, weit entfernt davon, einer "privilegierten Minderheit" anzugehören, ein gutes Beispiel dafür sind, was heutzutage die "working poor" genannt wird, dass sie wenig mehr als 1500 Euro im Monat nach Hause bringen. Was die herrschende Klasse außerdem überraschte, war, dass dieser Streik in demselben Moment wie der Arbeitskonflikt bei den französischen Eisenbahnen stattfand. Zufällig am Bahnhof vom Fernsehen interviewt, drückten Pendler spontan ihre Bewunderung für die sprichwörtliche Kampfbereitschaft der französischen Arbeiter/Innen und ihre Zufriedenheit darüber aus, dass dieses Mal, die "Flamme der Rebellion" auch in Deutschland aufloderte. Die Gleichzeitigkeit der Streiks auf beiden Seiten des Rheins widerlegte mit einem Schlag die Propaganda der Bourgeoisie: in Frankreich dergestalt, dass die Bahnarbeiter eine privilegierte Minderheit (bezüglich ihrer Renten) seien, und in Deutschland, dass es die Bahnarbeiter verdienten, als besonderer Fall sorgfältig behandelt zu werden, weil sie im Vergleich mit ihren "wohlhabenden" Kollegen in den anderen europäischen Ländern besonders schlecht bezahlt werden.
Neun Monate Kampf
Der Konflikt bei den Deutschen Eisenbahnen hat seit dem frühen Sommer 2007 geschwelt. Nachdem die Mitglieder der Lokführergewerkschaft GDL für einen uneingeschränkten Streik für höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingung gestimmt hatten, antwortete die herrschende Klasse mit der Drohung offener Repression. Das Arbeitsgericht entschied, dass Streiks nur im Nahverkehr erlaubt, aber im Güterverkehr sowie Intercity Personenverkehr verboten sind, weil sie dort die Volkswirtschaft schädigten. Der folgende isolierte Streik im Nahverkehr stellte sich natürlich als völlig unwirksam heraus. Er traf ausschließlich den ärmsten Teil der arbeitenden Bevölkerung, jene, die sich kein eigenes Auto leisten können und die jetzt nicht zur Arbeit gelangten. Die Reaktion der GDL: Sie warnte ihre Mitglieder, nur ja keine illegalen Maßnahmen zu ergreifen, und sagte, dass sie nichts tun werde, um sie gegen die Folgen der staatlichen Repression zu verteidigen. Stattdessen zog sie den Konflikt Monate lang auf die gerichtliche Ebene, wo geprüft werden sollte, ob das erstinstanzliche Verbot eines landesweiten Streiks korrekt sei. Aber diese Phase, die den ganzen Herbst 2007 andauerte, war alles andere als in der Lage, die Kampfbereitschaft der Bahnangestellten zu brechen, wie die herrschende Klasse gehofft hatte. Sie machte einer allgemeineren Entrüstung über den offenen Klassencharakter des Eingriffs des "demokratischen Staats" Platz - einer Entrüstung und eines kritischen Nachdenkens in breiten Kreisen der arbeitenden Bevölkerung. Dies war der Grund, warum das Arbeitsgericht in Chemnitz sich gezwungen sah, das Streikverbot Anfang November aufzuheben und damit den Weg frei zu machen für den dreitätigen Streik Mitte November. Bis dahin hatte die deutsche Regierung erklärt, dass Lohnverhandlungen die private Angelegenheit der "Verhandlungspartner" seien, der halbstaatlichen Eisenbahngesellschaft Deutsche Bahn und der Gewerkschaften. Doch nach diesem Streik hat die Regierung massiv in die Verhandlungen eingegriffen, wild entschlossen, den Konflikt sobald wie möglich zu beenden. Es ist offensichtlich, dass die Regierung als der offizielle Vertreter des kapitalistischen Staats befürchtet, dass dieser Konflikt im neuen Jahr Kristallisationspunkt für die allgemeine Kampfbereitschaft in der Arbeiterklasse zu werden droht.
Die "Bahnreform" und zunehmende Unruhe
Hintergrund dieses Streiks ist ein seit langem andauernder, massiver, allgemeiner Angriff gegen alle Bahnarbeiter. Er begann im Jahr 1994, nach der Fusion der staatlichen Bahngesellschaften von West- und Ostdeutschland als Folge der "deutschen Wiedervereinigung". Seitdem war die Anzahl von Bahnangestellten im Namen einer viel gerühmten "Bahnreform" um über die Hälfte auf unter 200.000 reduziert worden. Zur gleichen Zeit haben die Arbeitsbedingungen sich fürchterlich verschlechtert, während die Realeinkommen fünfzehn Jahre hintereinander stagnierten und real um zehn Prozent in den letzten Jahren gesunken sind. Das Ziel dieser "Bahnreform" war nicht nur, die Rentabilität der Bahngesellschaft auf Kosten der Arbeiter zu erreichen, sondern die Deutsche Bahn (DB) zu einem privatisierten Global Player zu machen, der dazu fähig ist, Eisenbahnen, Hafen- und Transportsysteme überall auf der Welt aufzukaufen. Weit davon entfernt, lediglich die Angelegenheit der Deutschen Bahn zu sein, ist dies ein Ziel von strategischer Bedeutung, das von der gesamten deutschen Bourgeoisie geteilt und unterstützt wird. Dies hilft, die ungewöhnliche Offensichtlichkeit und Brutalität zu erklären, mit denen der Staat mittels seiner Gerichte versuchte, die Bahnarbeiter im Sommer 2007 einzuschüchtern. Man war bereit zu riskieren, dass der Klassencharakter des angeblich unparteiischen Staats deutlich wird, um der Unruhe und Unzufriedenheit Einhalt gebieten zu können. Die Tatsache, dass die Bourgeoisie gezwungen war, das Streikverbot im November aufzuheben, ist nicht das einzige Zeichen ihrer wachsenden Schwierigkeiten, die Situation vollständig zu kontrollieren. Schon im Frühjahr 2007, als bei der DB neue Lohnverhandlungen aufgenommen wurden, war es klar, es würde diesmal nicht möglich sein, eine weitere Lohnsenkung zu erzwingen. Um den Druck in dem offensichtlich überhitzten Dampfkessel zu mildern, gewährte der Bahnkonzern der größten Bahngewerkschaft, Transnet, eine Lohnerhöhung von 4.5 Prozent. Obwohl diese Lohnerhöhung kaum die Inflationsrate und die Folgen der Mehrwertsteuererhöhung vom Anfang des Jahres ausglich, war dieses Verhandlungsergebnis 2007 das beste, welches den Arbeitern gewährt wurde, und es wurde als solches auch eifrig publik gemacht. Zur gleichen Zeit erhob die Lokführergewerkschaft GDL noch weitaus höhere Lohnforderungen für ihre Mitglieder, um die schwelende Kampfbereitschaft noch weiter zu schwächen. In bestimmten Ausnahmefällen konnte dies eine Lohnerhöhung von bis zu 31 Prozent für bestimmte Kategorien bedeuten. Obgleich klar war, dass es nur um eine durchschnittliche Lohnerhöhung von etwa 12 Prozent ging, und dass solch eine Erhöhung, selbst wenn sie erreicht worden wäre, nicht einmal die Verluste der Vorjahre kompensiert hätte, starteten die Arbeitgeber und die Medien sofort eine breite Kampagne gegen die "unerhörte" und "habgierige" 31%-Forderung. Die GDL für ihren Teil entschied sich eingestandenermaßen, dieser Darstellung der Dinge "nicht in der Öffentlichkeit zu widersprechen". Das Ziel war eindeutig: die Arbeiterklasse und darüber hinaus die Bahnarbeiter untereinander in die "egoistischen" Lokführer, die "Privilegien" wollen, und die anderen, von Transnet "vertretenen" KollegInnen zu spalten, die sich mit viel weniger "begnügen". Seither kommen die unerhörtesten und verleumderischsten Denunziationen des Bahnstreiks nicht etwa von den Bossen, von der Regierung oder von der Boulevardpresse, sondern von der Transnet und ihren Freunden vom Riesen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Transnet selbst hat systematisch Streikbruch organisiert und massiv ihre Mitglieder mit Strafmaßnahmen seitens des Unternehmens und von ihrer Seite bedroht, sollten sie am "GDL"-Streik teilnehmen. Es ging darum, die Bahnbeschäftigter vom Rest ihrer Klasse zu trennen, ihre Forderungen als Kampf für besondere Privilegien darstellen oder als ein Bitten darum, als "Sonderfall" zu gelten, was der allgemeinen Notwendigkeit von "Lohnverzicht" nicht widersprechen würde. Nun, diese Karte ging wie das Streikverbot nach hinten los. Auch wenn sich die Transnet-Arbeiter nicht aktiv dem Streik anschlossen - sie hätten riskiert , sofort rausgeschmissen zu werden -, ist das Internet voll von Solidaritätserklärungen ihrer Mitglieder für die Streikenden und von Berichten über Solidaritätsbesuche anderer Bahnbeschäftigter bei Versammlungen der Streikenden. Und wie wir schon gesagt haben, sah sich die herrschende Klasse veranlasst, sowohl die allgemeine Beliebtheit der Eisenbahn zuzugeben als auch ihr Erstaunen über diese Tatsache. Ja, die Bourgeoisie vergegenwärtigt sich gut genug, dass hinter dieser "Beliebtheit" in der arbeitenden Bevölkerung die Gefahr lauert, dass die Bahnarbeiter als eine Art Vorhut für einen allgemeinen Kampf um Lohnerhöhungen betrachtet werden, dessen Notwendigkeit zunehmend geahnt wird!
Einheitsgewerkschaft oder Spartengewerkschaften - eine falsche Wahl
Aber auch wenn die herrschende Klasse mit einigen ihrer Tricks bisher keinen Erfolg gehabt hat, so hat sie doch einen wichtigen Erfolg auf politischer Ebene errungen. Dieser Erfolg besteht darin, dass es ihr gelang, zwar nicht das Prestige des bestehenden Gewerkschaftsbundes DGB, wohl aber die Gewerkschaftsideologie im Allgemeinen mittels "radikaler" Spaltengewerkschaften wie der GDL zu erhalten. Wir sind auf öffentlichen Solidaritätsversammlungen für den Bahnstreik gewesen, wo die IKS die einzige politische Organisation und Strömung war, die die GDL nicht unterstützte. Nicht nur die traditionellen Linken, sondern auch radikalere Strömungen wie jene um die autonomistische Zeitschrift Wildcat ("operaistischer" Anhänger der " militanten Arbeiteruntersuchung ", einst propagiert von Potere Operaio in Italien) oder die Strömung GegenStandpunkt - ein "Kapital"-Studienkreis, welcher regelmäßig den bürgerlichen Charakter der Gewerkschaftsideologie (und der Arbeiter, deren Weltbild die Gewerkschaften angeblich ausdrücken) anprangert, drückten mehr oder.weniger kritisch ihre Solidarität mit der GDL aus. Angesichts des schwindenden Einflusses der etablierten DGB-Gewerkschaften können wir sicher sagen, dass die Propagierung der angeblichen Alternative zu den engstirnigen, korporatistischen Gewerkschaften ein zentraler Teil der politischen Strategie der deutschen Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse geworden ist. Darin folgt sie nur dem Beispiel anderer Länder wie Frankreich, wo kleinere, scheinbar radikalere Gewerkschaften dazu beigetragen haben, das Wiederauftauchen von Tendenzen unter den Arbeitern zu behindern, ihre Kämpfe in die eigenen Hände zu nehmen, sie unter ihre Kontrolle zu bringen. Aber dass heute die deutsche Bourgeoisie auch gezwungen ist, diese Karte zu spielen, ist von besonderer Bedeutung. Nach dem Krieg wurde Deutschland wie andere nordeuropäische Länder (z.B. Schweden), wo die Sozialdemokratie traditionell stark ist, jahrzehntelang als Modell dafür betrachtet, was man Einheitsgewerkschaft nannte. Was bedeutet dieser Ausdruck? Als in den Jahrzehnten vor dem 1. Weltkrieg zunehmend deutlich geworden war, dass die existierenden Gewerkschaften wegen ihrer korporatistischen Enge und ihres Philistertums zu Fesseln für den Klassenkampf im modernen Kapitalismus geworden waren, antwortete die syndikalistische Strömung innerhalb der Arbeiterklasse auf diese Entwicklung mit der Forderung nach "einer großen Gewerkschaft", die alle Arbeiter umfasst. Auf diese Utopie einer großen Gewerkschaft, die die Einheit aller Arbeiter garantiert, zielten die "Wobblies" (Internationale Arbeiter der Welt - IWW) in den Vereinigten Staaten ab oder auch die anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT in Spanien im frühen 20. Jahrhundert. Eine solche Gewerkschaft wurde im Feuer des Klassenkampfes nie erreicht, da die Unmöglichkeit dauerhafter Reformen im dekadentem Kapitalismus beinhaltet, dass sich die Arbeiter nicht mehr in permanenten Massenorganisationen organisieren können, um sich zu verteidigen, sondern nur im Verlauf des Kampfs durch Massenversammlungen und durch gewählte und jederzeit abrufbare Streikkomitees. Aber sie wurde paradoxerweise erreicht durch den bürgerlichen Staat in Gestalt des DGB in Deutschland oder der LO in Schweden - Gewerkschaftsföderationen von Millionen Beschäftigter der verschiedensten Branchen und Berufen, die angeblich offen für alle Arbeiter sind, aber in Wirklichkeit nicht nur die Arbeitslosen und Gelegenheitsarbeiter, sondern vor allem auch die kämpferischsten und politisch radikalsten Arbeiter ausschließen, die im Namen der "politischen Neutralität" und "Demokratie" systematisch verfolgt werden. Doch dies hinderte die deutsche Bourgeoisie nicht daran, die ganze Nachkriegsperiode hindurch den angeblichen Nutzen solcher Gewerkschaften für die Einheit der Arbeiter zu preisen und zu propagieren. Es ist nicht weniger paradox, dass die Bourgeoisie heute versucht, die Arbeiterklasse zu überreden, zur Borniertheit der offen korporatistischen Gewerkschaften zurückzukehren, welche das Proletariat schon ein Jahrhundert zuvor als ungeeignet für seinen Kampf befunden hatte.
Die wachsende Gleichzeitigkeit von Lohnkämpfen und Kämpfen gegen die Arbeitslosigkeit
Diese plötzliche Rückkehr zu einem engstirnigen, korporatistischen Gewerkschaftswesen in Deutschland zeigt vor allem zwei Dinge. vor allem die große Flexibilität und politische Intelligenz der herrschenden Klasse, welche, nachdem sie ein halbes Jahrhundert lang das Lied der "Einheitsgewerkschaft" gesungen hatte, in der Lage ist, plötzlich neue Karten auszuspielen. Und zweitens das Ausmaß, in welchem in den letzten 30 Jahren der langsamen, oft wenig spektakulären, aber unbarmherzigen Zuspitzung der Wirtschaftskrise und des Klassenkampfes die großen, etablierten Gewerkschaften als Bollwerke der herrschenden Ordnung erodiert sind. Doch diese Änderungen in der Art und Weise, wie die Bourgeoisie ihre Gewerkschaftsideologie verbreitet, geben uns auch einen wichtigen Hinweis darauf, welche Stufe wir seit der jüngsten Wiederbelebung der Kampfbereitschaft um 2003 herum in der Entwicklung der Arbeiterkämpfe erreicht haben. 2004 gab es in Deutschland zwei spektakuläre wilde Streiks in der Automobilindustrie gegen die Androhung von Entlassungen: bei Daimler-Mercedes in Stuttgart und Bremen im Sommer und bei Opel/Bochum später im Jahr. Seitdem sind die Arbeitskämpfe, die die öffentliche Aufmerksamkeit erregt haben, Reaktionen auf Entlassungen oder Fabrikschließungen (AEG, Siemens, Siemens-Bosch in Berlin usw.) gewesen, oder sie fanden im Zeichen der Erpressung - Lohnverzicht oder Rausschmiss - statt (Airbus, Telekom). In dieser Zeit stieg die offizielle Arbeitslosigkeit auf über 4,5 Millionen an, in fast allen Sektoren wurden Zehntausende von Jobs gestrichen. Die Arbeitskämpfe waren äußerst defensiv, und fast niemand wagte Lohnerhöhungen zu fordern. Jedoch gab es einige Ausnahmen von dieser Regel. Ausnahmen, die sich als ziemlich bedeutsam herausstellten, da sie eine allgemeinere Entwicklung ankündigen. In allen diesen Fällen handelte es sich um Teile der Arbeiterklasse, die seit Jahren, manchmal über ein Jahrzehnt lang in aller Stille besonders massive Angriffe ertragen mussten und darüber so wütend und frustriert waren, dass selbst die Drohung der Massenarbeitslosigkeit nicht mehr ihren Kampfgeist zügeln konnte. Das erste solche Beispiel war das der Flugzeugpiloten und des Bordpersonals, deren Arbeitsbedingungen sich im Zusammenhang mit der "Liberalisierung" der europäischen Luftfahrt massiv und stetig verschlechtert hatten. Das neueste Beispiel für die Kampfbereitschaft dieses Sektors war letzten Sommer die Streikwelle des LTU Personals, die trotz der Drohung der Arbeitgeber, den Betrieb zu schließen, Lohnerhöhungen erzwangen. Diesem Beispiel folgten die Krankenhausärzte und jetzt die Lokführer. In allen diesen Fällen sehen wir dasselbe Muster: großer Kampfgeist und hohe Lohnforderungen der betroffenen Arbeiter. Die Medien versuchen, diese Forderungen als egoistisch dazustellen und eine Atmosphäre der Klassenspaltung zu schaffen. Die Streiks werden organisiert von offen korporatistischen Spartengewerkschaften (Vereinigung Cockpit, der Marburger Bund für die Ärzte und die GDL für die Lokführer) Wobei die DGB-Föderation im Namen der "Einheit" offen die Rolle des Streikbrechers übernimmt. Die bornierten Spartengewerkschaften waren in der Lage, ein beträchtliches Prestige zu gewinnen - vor allem als offizieller Veranstalter von Streiks, in denen kämpferische Arbeiter wirkliche Lohngewinne erreicht haben. Die Bourgeoisie ist zurzeit gezwungen, diese Karte zu spielen und ihnen so viel Glaubwürdigkeit wie möglich zu verleihen. Trotz der Tatsache, dass wichtige Teile der Bourgeoisie, insbesondere die SPD, über die Entwicklung von Gewerkschaften abseits des DGB unzufrieden sind, da das den Einfluss der Sozialdemokratie auf den Staatsapparat zu vermindern droht, kann niemand innerhalb der herrschenden Klasse derzeit interessiert sein, einer solchen Organisation wie die GDL zu schaden. Doch früher oder später werden auch diese Gewerkschaften beginnen, ihre wirkliche Funktion - die Kontrolle der Arbeiterklasse im Interesse des Kapitals - zu offenbaren. Trotz der Verstärkung, die die herrschende Klasse durch diese Gewerkschaften erfahren hat, können sie die Aktivität des "alten Maulwurfs", wie Marx ihn nannte, nicht ungeschehen machen - die unterirdische Reifung des proletarischen Klassenbewusstseins. Zum ersten Mal seit den 1960ern und 1970ern haben Tausende von kämpferischen ArbeiterInnen in Deutschland sich mit Abscheu von den offiziellen Gewerkschaften abgewandt. Und obwohl solche Gewerkschaften wie die GDL in der Lage waren, Erstere wieder unter die Kontrolle des Gewerkschaftswesens zu bringen, zeigten die Eisenbahner deutlich, dass das, was die GDL für gegenwärtige Generation der Arbeiter anziehend macht, nicht deren heimtückischer Korporatismus ist, sondern die Illusion, dass sie kämpferischer sei, eine Illusion, die noch immer weit verbreitet ist. Obwohl die GDL wieder und wieder erklärt hat, sie wolle nur die Lokführer vertreten, musste sie zulassen, dass Tausende von verärgerten Zugschaffnern und vom Bordrestaurantpersonal, die den DGB leid sind, aufgenommen wurden. Wir sind zuversichtlich, dass Letztere eine Alternative finden werden, aber nicht in den Rängen der GDL, wohl aber in der vereinten und selbstorganisierten Solidarität aller Arbeiter. Am Anfang des neuen Jahres konstatierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Zeitung der Börse, die Änderung in der sozialen Situation 2008, wie er durch den Kampf der Eisenbahner ankündigt wurde. Sie formulierte das Problem mit folgendem Satz: Die zentrale Sorge und das Hauptanliegen der arbeitenden Bevölkerung ist nicht mehr die Arbeitslosigkeit, sondern die "soziale Gerechtigkeit" (das Lohnniveau im Vergleich mit der Entwicklung der Profite). Die Formulierung ist ungenau. Seitens der Bourgeoisie ist das Problem nicht länger die Alternative zwischen Rezession oder Inflation, sondern die Gefahr, dass beides gleichzeitig eintritt (in Gestalt der "Stagflation"). Aus der Sicht des Proletariats geht es nicht nur um die Gleichzeitigkeit des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit und gegen die dramatischen Reallohnsenkungen bei steigender Inflation, sondern auch und gerade um die Einheit zwischen beiden einerseits und um den Kampf gegen das System der Ausbeutung, Kapitalismus genannt, andererseits. Weltrevolution, 6. Januar 20