Filmbesprechung: Charles Darwin und der Baum des Lebens

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David Attenboroughs BBC-Beitrag zur 200-Jahresfeier Darwins (Charles Darwin und der Baum des Lebens, 1.2.09) war eine meisterhafte Verteidigung der Evolutionstheorie. Attenborough vermittelte dabei mit seiner bekannten Fähigkeit komplexe wissenschaftliche Ideen. Er benutzte eine unkomplizierte Sprache und viele tolle Darstellungen durch Filme. Sein Enthusiasmus sprang wieder auf den Zuschauer über, und wie immer zeigte er Respekt vor der Natur.

 

David Attenboroughs BBC-Beitrag zur 200-Jahresfeier Darwins (Charles Darwin und der Baum des Lebens, 1.2.09) war eine meisterhafte Verteidigung der Evolutionstheorie. Attenborough vermittelte dabei mit seiner bekannten Fähigkeit komplexe wissenschaftliche Ideen. Er benutzte eine unkomplizierte Sprache und viele tolle Darstellungen durch Filme. Sein Enthusiasmus sprang wieder auf den Zuschauer über, und wie immer zeigte er Respekt vor der Natur.

Indem er die Ideen Darwins in ihren historischen Kontext einbettete, hob Attenborough die subversiven Folgen der Evolutionstheorie durch natürliche Zuchtwahl hervor, da das wissenschaftliche Establishment, mit dem Darwin es in den 1840er und 1850er Jahren zu tun hatte, noch stark durch eine statische Sicht der Natur beeinflusst war, der zufolge Wesen durch göttliche Schöpfung geschaffen wurden. Damals wurden weite Bereiche der Frühgeschichte der Erde durch die Entwicklung der Geologie zum ersten Mal erforscht. Attenborough zeigte sehr deutlich auf, wie Darwin mitgerissen wurde von der Kraft dieses neuen Fortschrittes des Bewusstseins der Menschen über ihre Stellung in der Natur, trotz seines Widerwillens, seine fromme Frau zu beleidigen und einen Skandal in der ‚höflichen’ Welt hervorzurufen. Abgesehen davon, dass sie ein mächtiger Ansporn für Darwin war die Veröffentlichung seines Werkes voranzutreiben, belegte die zeitgleiche Formulierung einer Theorie der natürlichen Zuchtwahl durch Alfred Wallace die unwiderstehliche Macht der Entwicklung der Ideen, wenn die Bedingungen dafür gereift sind.

Als er auf die zeitgenössischen Einwände gegen Darwins Theorie einging, behandelte Attenborough diese aber nicht mit Verachtung. Er ordnete sie lediglich auf dem Hintergrund der historischen Grenzen ein und zeigte mit großer Überzeugung, wie neue Erkenntnisse der Paläontologie und der Zoologie deren Grundlagen zerstörten. Mit besonderer Freude erzählte er die Geschichte der Archaeopteryx und des Schnabeltiers, Übergangsformen zwischen Reptilien und Vögeln und Säugetieren, die eine solide Antwort auf die Frage lieferte: „Wenn sich Arten entwickeln, wo sind die fehlenden Glieder?“

Natürlich war Darwin das Erzeugnis eines Bürgertums, das sich noch sehr in seiner Aufstiegsphase befand. Ein klares Zeichen, dass diese Phase lange hinter uns liegt, sieht man darin, dass heute, im 21. Jahrhundert, ziemlich einflussreiche Flügel der herrschenden Klasse – ob die christliche Rechte in den USA oder die verschiedenen islamischen Parteien in der ganzen Welt – sich zurückentwickelt haben und an der wortgetreuen Version des Kreationismus der Bibel oder des Korans klammern und Darwin weiterhin verteufeln, obgleich in den letzten 150 Jahren eine Menge Beweise für seine grundlegenden Ideen zusammengetragen wurden. Aber wie Pannekoek und andere hervorgehoben haben, wurden die Tendenzen des Bürgertums, in Religion zu flüchten und die kühnen, bilderstürmerischen Auffassungen ihrer revolutionären Blütezeit aufzugeben, ersichtlich, sobald das Proletariat offen als eine dem Kapitalismus entgegen gesetzte Kraft in Erscheinung trat (vor allem nach den Aufständen von 1848). Und ebenso begriff die Arbeiterbewegung sofort die revolutionären Folgen einer Theorie, die aufzeigte, dass Bewusstsein aus den unbewussten Schichten des Lebens als Reaktion auf ein materielles Umfeld entstehen kann und nicht durch die Vermittlung eines Herrschers von Oben. Die offensichtlichen Konsequenzen daraus waren, dass die weitestgehend unbewussten Massen auch ihr Bewusstsein über sich selbst entwickeln können mittels ihres Kampfes zur Befriedigung ihrer eigenen materiellen Bedürfnisse.

Natürlich hat sich nicht gesamte bürgerliche Klasse zum Kreationismus zurück entwickelt; es gibt nämlich auch einen bürgerlichen Konsensus, dem zufolge Wissenschaft und Technologie als solche fortschrittlich seien. Aber indem man sie von den gesellschaftlichen Verhältnissen abstrahiert, die deren Entwicklung ermöglichten, ist es unmöglich zu erklären, warum so viel wissenschaftliche Forschung und so viele technologische Durchbrüche dazu verwandt wurden, die Gesellschaft und die Natur zugrunde zu richten. Gerade diese Entwicklung hat viele derjenigen, die aus dem gegenwärtigen Gesellschaftssystem keinen Nutzen ziehen, dazu bewogen, nach Antworten in den Mythologien der Vergangenheit zu suchen. Das gleiche Phänomen der Abstoßung trifft auch auf die Auffassung von der Stellung des Menschen im Universum zu, die so viele bürgerliche 'Verteidiger' der Wissenschaft vertreten. Es handelt sich dabei um eine grenzenlos düstere Sicht, denn sie bringt eine zutiefst entfremdete Auffassung der grundlegenden Trennung des Menschen von einer feindlichen Umwelt zum Vorschein. Aber Attenborough gehört nicht dieser Kategorie an. Fliegende Vögel bewundernd oder spielende Schimpansen anlachend, schloss Attenborough seine Vorstellung im Film damit ab, indem er an eine andere Konsequenz der Darwinschen Theorie erinnerte, dass sie nämlich eine Infragestellung der Auffassung der Bibel vom Menschen als einem Wesen ist, das die Natur "beherrscht". Stattdessen bekräftigt er das tiefgehende Verhältnis der Menschen mit anderen Lebewesen und unsere völlige gegenseitige Interdependenz mit diesen. An dieser Stelle hörte sich Attenborough ein wenig an wie Engels und dessen Aussage in "Der Anteil der Arbeit in der Menschwerdung des Affen“ der eine Warnung gegen Hybris (Anmaßungen) aber auch eine Perspektive für die Zukunft enthält:

Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, daß sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordabhang des Gebirgs so sorgsam gehegten Tannenwälder am Südabhang vernutzten, ahnten nicht, daß sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzel abgruben; sie ahnten noch weniger, daß sie dadurch ihren Bergquellen für den größten Teil des Jahrs das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit um so wütendere Flutströme über die Ebene ergießen könnten. Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wußten nicht, daß sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiteten. Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht - sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“ [Engels: Dialektik der Natur, S. 274. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 8597 (vgl. MEW Bd. 20, S. 453)]

Amos 6.2.09, aus World Revolution, Zeitung der IKS in Großbritannien