Tarifverhandlungen: Die Gewerkschaften gegen den Klassenkampf

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Seit Beginn des Jahres 1978 hört man in jeder Nachrichtensendung, liest man in jeder Zeitung von Streiks, “harten“ Verhandlungen und ständig neuen Tarifrunden, die für “gescheitert“ erklärt werden. Gewerkschaften und Kapitalistenverbände führen dieses Jahr wieder ihr Schauspiel der Tarifrunde auf. Mit radikalen Phrasen und viel Radau sollen auch diesmal wieder alle Ansätze einer autonomen Klassenbewegung sabotiert werden. Offenbar ist es der Bourgeoisie und ihren Gewerkschaften diesmal nicht so leichtgefallen. Sie konnten Streiks nicht verhindern, sondern nur ins Abseits führen, was sie auch taten.

Dennoch kommt diesen ersten Anfängen einer Klassenbewegung in Deutschland eine Bedeutung zu. Schon die ersten Abschlüsse (nämlich in den deutschen Seehäfen) waren von Streiks begleitet. Und dies obwohl noch im letzten Jahr die Friedhofsruhe der Repression über die BRD ausgebreitet worden war. Die Arbeiterklasse hat also den Beweis angetreten, dass sie noch nicht besiegt ist. Sie hat im Gegenteil gerade erst begonnen, den Kampf aufzunehmen.

Nach einer Stagnationsperiode des Klassenkampfes – die die “extreme Linke“ dazu nutzte, ihre demoralisierenden Themen und Parolen in der Arbeiterklasse zu verbreiten - hat die immer weiter fortschreitende Krise jetzt die Arbeiter zur Reaktion gezwungen.

Die Krise des Weltkapitals hat jetzt begonnen, auch in den industriellen Metropolen das Herz der Arbeiterklasse anzugreifen!

Von den Maßnahmen der Bourgeoisie gegen die Krise, die bisher in erster Linie gegen die Mittelschichten gerichtet waren, kann das Kapital das Proletariat nicht mehr ausschließen. Lohnraub in ganz offener und unverhüllter Weise, Arbeitslosigkeit, die auch zunehmend den produktiven Sektor erfasst (weil einfach keine Absatzmärkte vorhanden sind), Abbau staatlicher Leistungen, der langsam aber sicher nicht mehr nur die Rentner betrifft - all dies lässt inzwischen keine Illusion mehr über die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage zu. Die wirklich äußerst niedrigen Angebote der Kapitalisten sind offenbar nicht nur eine Provokation, sondern “gesamtgesellschaftlich“ – will heißen: für das nationale Kapital –unabdingbar. In der Stahlindustrie ging es dieses Jahr tatsächlich um die internationale Konkurrenzfähigkeit. Im Druckgewerbe ging es um die Akkumulationsbedingungen, d.h. die Ausweitung des Kapitals überhaupt, während es in den Häfen um die Konkurrenz und die Versorgung der BRD mit ausländischen Gütern ging.

Der Hafenarbeiterstreik

Etliche Warnstreiks, die die Tarifrunden in anderen Branchen begleiteten, deuteten schon eine allgemein aufgeheizte Stimmung unter den Arbeitern an. Der ungekannt breite Streik der Hafenarbeiter war dennoch eine Überraschung. Zum ersten Mal nach einem Vierteljahrhundert wurde in den deutschen Seehäfen wieder gestreikt.

Ähnlich wie die Arbeiter hatten auch die Gewerkschaften im Hafen nicht gleich die Erfahrung und die Kraft, ihre Funktion zu erfüllen. Sie hatten vom ersten Tag an Schwierigkeiten ihre Streikbrecheraufgaben zu erfüllen. Ihr Vorgehen ist dennoch charakteristisch:

- Gestreikt wurde erst nach einer Urabstimmung, um zu verhindern, dass noch unentschlossene Arbeiter durch die Aktion der anderen mitgerissen werden konnten. Das Ergebnis war mit 97% unerwartet hoch.

- Die Streikposten waren so organisiert, dass, hätten die Arbeiter diese Aufgabe nicht selbst in die Hand genommen, jeder Streikbrecher hätte passieren können.

- Für “besonders wichtige Waren“, d.h. für Waren, deren Blockade eine schnelle Wirkung auf die Wirtschaft und somit einen schnellen Erfolg des Streiks zur Folge gehabt hätte, sind von der ÖTV streng überwachte Notdienste eingerichtet worden;

- Während des besagten Streiks ist keine einzige Streikversammlung durchgeführt worden.

- Der Streik wurde ohne irgendeine Rücksprache mit den Hafenarbeitern nach der Aushandlung des 6,4%-Kompromisses, durch die Schließung des Streiklokals abgebrochen.

Trotz der massiven Streikbrecheraktionen der Gewerkschaften haben sich die Arbeiter das Heft nicht ganz aus der Hand nehmen lassen. Noch während des Streiks musste die Forderung (eine Sechs vor dem Komma) wenigstens offiziell, und nach Abbruch des Streiks tatsächlich, um ein Prozent erhöht werden. Auch der Coup mit den Streikposten ist der Gewerkschaft nicht vollends gelungen; immerhin konnten die Hafenarbeiter schließlich den Hafen “ganz dicht machen“.

Es war der erste Versuch der Arbeiter der Seehäfen seit Beginn der neuen Periode des wiedererstarkenden Klassenkampfes 1968, ihrer Kraft und ihren Interessen Ausdruck zu verleihen.

Der Druckerstreik

Die Geschichte des Druckerstreiks, der in den letzten Wochen zu einer heftigen Konfrontation zwischen den Druckern und den Printkapitalisten geführt hat, beginnt schon mit den Streikaktionen im Sommer1976. Seit zwei Jahren ist nun die Gewerkschaft dabei, die Arbeiter der Druckindustrie auf die reformistischen und spalterischen Forderungen für eine "humane" Losung der Rationalisierungspläne im Druckgewerbe einzuschwören.

Im Zuge der allgemeinen Streikbereitschaft kam es auch in dieser Branche zu einer Zuspitzung des "Verhandlungsklimas". Die "große Tarifkommission" der DruPa (IG Druck und Papier) sah sich angesichts der Stimmung in ihrer "Basis" gezwungen, das vorläufige Verhandlungs- bzw. Vergewaltigungsergebnis abzulehnen. Mit allen Schlichen und Tricks versucht nun die Bourgeoisie samt ihrer Gewerkschaften, den Arbeitern einzureden, dass dieser ja ganz und gar nichts mit der übrigen Lohnbewegung zu tun habe. Wie nicht anders zu erwarten, versuchte die IG Druck auch nicht, den Anschluss an die anderen Streiks anzustreben oder gar proletarische Lehren aus dem Kampf der Drucker von 1976 zu vermitteln, sondern spezialisierte sich auf Forderungen dahingehend, wie die Verlagshäuser der Zeitungen strukturiert sein sollten.

Trotzdem kam es nicht viel später, d.h. nach der ganzen Prozedur des tarifautonomen Rituals mit Scheitern der Verhandlungen, Schlichtung und nochmals Schlichtung, Wartefristen, Entscheidungsterminen, Urabstimmung und Hin und Her, dann auch wirklich zum Streik an vier mehr oder weniger gut ausgesuchten Schwerpunkten. Die Gewerkschaft kennt bereits die "kampfstarken" Betriebe, die brav und lieb jede Notzeitung passieren lassen und sich nicht, wie 1976 in Berlin, Schlachten mit der Polizei liefern.

Die Metallindustrie

Es gibt viele Sorten von Metall, und dank der IG Metall (IGM) gibt es jetzt beinahe auch so viele Tarifbezirke und Sonderverhandlungen. In der Metallindustrie arbeiten traditionellerweise die wohl kämpferischsten Arbeiter; entsprechend geübt ist die Gewerkschaft, die diese Arbeiter zu kontrollieren hat. Seit einigen Monaten wird schon um neue Tarifverträge gerungen. Mit Warnstreiks von15 Minuten bis zu einer Stunde versucht die IGM, stets friedenspflichtbewusst, den Arbeitern die Streiklust vergällen.

In der Stahlindustrie, die tatsächlich vollkommen in den roten Zahlen steht und in der die Arbeitslosigkeit wirklich “hoffnungslos" ist, wurde das erste Lohnraubergebnis abgeschlossen. Wenn die Metaller die gewerkschaftlichen Pfade nicht verlassen, werden weitere folgen.

Mit radikalen, aber hohlen Phrasen versucht die Gewerkschaft, die Arbeiter den Kapitalisten ans Messer zu liefern. Sogar ein Führungswechsel ist schon vorprogrammiert, wenn die Menge den “Mann von der Basis“ erfordert.

Mit der Routine und der Behutsamkeit einer erfahrenen Sekundantin der Bourgeoisie steuert die IGM einen Abschluss mit einer "Fünf vor dem Komma" an – das bedeutet real 0,2% mehr als das Angebot der Kapitalisten mit 4,8% (Vgl. das Schlichtungsangebot). Die Gewerkschaft spekuliert darauf, durch die Isolierung der Streiks – diese hätten schon vor Wochen anfangen können – von den anderen Branchen und durch die Zersplitterung in "Schwerpunktstreiks" die Energie der Arbeiter lahmzulegen. Im Übrigen verfügt die IGM über ein reichhaltiges Repertoire an Tricks. Sie ist schließlich eine der Lehrerinnen der OTV, die den Hafenarbeiterstreik "erfolgreich" zu Ende führte.

Die Waffen der Gewerkschaften gegen den Streik der Arbeiter

Gewerkschaften welcher Art auch immer – ob DGB, RGO oder CNT –, haben für die Arbeiterklasse ausgedient. Seit der Reformismus zu einer Spielart der Konterrevolution geworden ist, können die Gewerkschaften für die Arbeiter keine andere Funktion als die einer Versicherung vor Lohneinbußen durch Streik haben. Dies ist aber gleichzeitig eine ihrer schärfsten Waffen. Wenn die Arbeiter nicht folgsam sind, wird der Geldhahn zugedreht. Dies geschieht aber nicht etwa, weil an der Spitze dieser Gewerkschaften eine ach so böse Führung steht, sondern weil die ganze Organisation die Aufgabe hat, die Arbeiter von den Karren der Bourgeoisie zu spannen, um diesen aus dem Krisenschlamm zu ziehen.

Das ganze Gerede von "der Verantwortung für die nationale Wirtschaft", "Blick für die Gemeinschaft", "die Konkurrenzfähigkeit nicht beeinträchtigen" und, wie jetzt besonders im Druckerstreik, vom "technischen Fortschritt" usw. soll der Arbeiterklasse einreden, sie habe von einer gesunden Wirtschaft etwas zu erwarten bzw. die Wirtschaft sei überhaupt noch zu retten. Die Todeskrise des Kapitals, deren einzige "Lösung" für das Kapital ein erneuter Weltkrieg ist, hat aber bereits wieder ihren Lauf begonnen. Nur indem das Kapital den Mehrwert durch Lohnraub erzwingt, kann es sich die Mittel für eine weitere Akkumulation holen. Denn eine Ausweitung der Produktion ist nicht mehr möglich, da es auch keine Absatzmärkte mehr gibt.

Die Gewerkschaften sind jetzt allerdings die einzige Fraktion des Kapitals, die fähig ist, die Arbeiter im Sinne des nationalen Kapitals ideologisch zu beeinflussen und gleichzeitig die notwendigen staatskapitalistischen Maßnahmen "glaubhaft" zu vertreten. Sie wird dabei tatkräftig vom linken Flügel des Kapitals unterstützt. Die SPD z.B. weiß ganz gut, dass die IG Druck und Papier besser einen Streik kaputt machen kann als die Verleger mit ihren Aussperrungen. Sie hat sich deshalb auf ihrem nordrhein-westfälischen Parteitag mit der DruPa und gegen die Aussperrung solidarisiert. Nicht zu vergessen die Linksextremisten, die uns weismachen wollen, dass die Kapitalisten an der Krise verdienen und die Arbeiter in den gewerkschaftlichen Kampf dagegen führen wollen Sie wollen, indem sie ständig allein auf die Kapitalisten zeigen, der Arbeiterklasse die Augen vor dem Charakter der Gewerkschaften verschließen.

Deshalb setzen diese und die Gewerkschaften, wo sie nur können, alles daran, die autonomen Kämpfe der Klasse zu sabotieren:

- jede Eigenaktivität der Arbeiter zu verhindern und die Streikenden nach Hause zu schicken;

- jede Generalisierung einer Streikbewegung auf nationaler oder gar internationaler Eben zu verhindern;

- politische Tendenzen der Arbeiterkämpfe, die sich nicht, wie etwa die Mitbestimmung, für die Kapitalisten bezahlt macht, zu vernichten.

Die Streiks der letzten beiden Monate haben den wahren Charakter des DGB wieder aufgezeigt. Ein Streik war so und so nicht mehr zu verhindern, also nur noch zu sabotieren, zu kontrollieren und am Ende ganz kaputt zu machen.

Soweit die Linke nicht ohnehin – in kritischer Unterstützung dieser Streikbrecherorgane –Werbung bei den Arbeitern für "ihre" Gewerkschaft macht, wird uns von dieser Seite nur die Lösung eines "Führungswechsels" eröffnet. Es ist aber die Organisation, die ihre Führung macht! Kein “Mann von der Basis" wird an der Aufgabe dieser Organisation etwas ändern – genauso wenig wie ein Kommunist aus der Bürgerkriegsarmee Bundesgrenzschutz eine Arbeitermiliz machen könnte!

Die Grundlage jeder gewerkschaftlichen Organisation, ob unionistisch oder syndikalistisch, ist der Reformismus und die Einschätzung, dass die Arbeiter ihren Kampf sowieso nicht selbst organisieren können. Die Reformen, d.h. Modifikationen ein und desselben Systems, sind in keinster Weise eine Lösung für das Proletariat. Entweder sind es ökonomische “Errungenschaften“, die in kürzester Zeit durch das Fortschreiten der Krise aufgefressen werden (wenngleich sie trotzdem lebensnotwendig sind für die Arbeiterklasse), oder es handelt sich um politische Reformen, die in Wirklichkeit nur ein Teil des kapitalistischen Programms gegen die Krise sind. Forderungen, wie die nach Mitbestimmung und Investitionslenkung oder – noch radikaler –Verstaatlichungen, sind allein im Stande, einige unprofitable Schnörkel des Systems zu beseitigen, ohne jedoch einen Fortschritt für das Proletariat zu bedeuten.

Eine Forderung wie z.B. die nach einer 35-Stundenwoche, die bemerkenswerter Weise erst 70 Jahre nach der ersten Durchsetzung des 8-Stundentages aufgestellt wird, impliziert, anders als vor 70 Jahren, Lohnkürzungen. Sie ist also nichts anderes als eine von den Gewerkschaften durchgesetzte Kurzarbeit. Vom Standpunkt des nationalen Kapitals im allgemeinen ist es in jedem Falle günstiger, dass die “vorhandene Arbeit“ auf alle Arbeiter aufgeteilt wird – die dann um so intensiver ausgebeutet werden können – als die Zahlung von Arbeitslosengeld an ungenutzte Kräfte. Jedoch nicht einmal für das Kapital ist die Kurzarbeit eine Dauerlösung. Binnen weniger Jahre würde die Arbeitslosigkeit wieder zum Vorschein kommen.

Auch die Praxis anderer Gewerkschaften, von denen man meinen könnte, dass sie nicht so “verbürokratisiert“ sind, wie z.B. die anarcho-syndikalistische CNT, zeigt uns, dass der Klassencharakter einer Organisation keine Frage von Führung ist. Diese ehemals sehr wichtige Arbeiterorganisation war trotz ihrer ausgesprochen antistaatlichen Grundhaltung schon 1936 im spanischen Bürgerkrieg bereit, an der Regierung der Republikaner teilzunehmen und so den bürgerlichen Staat zu unterstützen. Doch damit nicht genug – sie waren schließlich eine derjenigen Kräfte, die maßgeblich daran beteiligt waren, dass spanische Proletariat in den antifaschistischen Bürgerkrieg zu schicken und dadurch die begonnene soziale Revolution endgültig unter dem Gewicht der interklassistischen Bürgerkriegsarmee zu ersticken. Auch heute, nach dem Einsetzen des Demokratisierungsprozesses in Spanien, hat die CNT schon wieder ihre Loyalität gegenüber dem “demokratischen Spanien“ in alle Welt herausgeschrien. Die Arbeiterklasse kann sicher sein, dass diese Gewerkschaft im Zweifelsfalle damit ernst macht.

Grundlage der Politik der Linken in und um Gewerkschaften ist der Kampf für einen "gerechten" Lohn. Sie macht den Lohnkampf zu einer Frage der richtigen Forderung. Je hoher die Forderung, desto hoher das Ergebnis (8% ist revolutionärer als 7%). Oder die Prozentforderungen sollen in Festgeldforderungen umgewandelt werden. Und jüngst ist dem KBW das Licht aufgegangen, dass "ohne den Kampf gegen das Akkordsystem (…) der Lohnkampf nur schwer vorankommen (kann)". Wohin, bitte schön, soll denn der Lohnkampf kommen? Das einzig revolutionäre Ziel des Kampfes kann nur die Abschaffung der Lohnarbeit überhaupt sein. Die Forderungen der Arbeiter können noch so hoch, die Formulierungen noch so geschickt sein, und der Erfolg noch so "zufriedenstellend", der Lohnkampf des Proletariats kann nie mehr sein als der Existenzkampf der Arbeiter und die Schule des Klassenkampfes.

Aber mit solchen pseudo-proletarischen Phrasen wollen Linksextremisten den Kampf gegen die "Gewerkschaftsführung" aufnehmen. Die eine Illusion wird durch eine andere abgelöst. In den verschiedensten Variationen tauchte diese Taktik in den jüngsten Betriebsratswahlen auf. Die KPD/ML hat dabei mit ihrer RGO-Politik den "radikalsten" Eindruck gemacht. Sie lehnt den ganzen DGB-Apparat ab. Auch die Betriebsräte gelten ihr als Instrumente des bürgerlichen Staates gegen die selbst handelnde Arbeiterklasse. Deshalb sollen jetzt die Arbeiter ihre “wahren Interessenvertreter" in den Betriebsrat wählen, um sich von ihnen das Handeln abnehmen zu lassen. Mit Hilfe dieser "revolutionären Betriebsräte", die mit ihrem ganzen taktischen Geschick gegenüber dem Betriebsverfassungsgesetz die Arbeiter an die Bourgeoisie binden, will die KPD/ML "rote Gewerkschaften" aufbauen. Sie werden die Aufgaben des DGB dort übernahmen, wo dieser bereits ausgedient hat. Aber bis dahin fühlen sich diese "Genossen" im DGB noch ganz wohl: „Wir fühlen uns als Gewerkschafter. Wir wollen eine bestimmte revolutionäre Arbeit innerhalb der Gewerkschaften betreiben". (Frithjof Rausch, RGO-Liste bei BASF in der FAZ vom 9.3.78).

Sie alle – ob RGO-ler oder DGB-ler – werden ihre Aufgaben übernehmen, jeden autonomen Kampf der Arbeiterklasse zu verhindern zu versuchen. Mit der Radikalisierung des Klassenkampfes werden auch die Gewerkschaften zu einer radikaleren Phraseologie greifen. Dies ändert aber nichts an ihrem durch und durch bürgerlichen Charakter.

Eine neue Phase der Entwicklung der Krise und des Klassenkampfes hat begonnen

Die anarchische Ordnung der kapitalistischen Wirtschaft hat auch das Recht des Stärkeren mit sich gebracht. Dementsprechend schiebt die Weltbourgeoisie die Folgen der Krise von den stärksten imperialistischen Mächten auf die Länder der Peripherie. Ebenso wird innerhalb eines Landes zuerst die Bevölkerungsgruppe angegriffen, die sich am wenigsten wehren kann – das Kleinbürgertum. Die gesellschaftlichen Gruppen, die nicht direkt in der Produktion stehen bzw. keine Kampfstärke wie das Proletariat entwickeln können, sind in den letzten Jahren seit Einsetzen der Krisenentwicklung nach der Wiederaufbauperiode von den Folgen der Krise, d.h. dem Abbau staatlicher Leistungen, der Arbeitslosigkeit, der Inflation usw. am meisten getroffen worden. Jetzt schlägt die Folge der Krisenabwälzung, wie Inflationsexport und Ausweisung von Gastarbeitern auf die Länder in den industriellen Metropolen zurück; die Arbeiterklasse wird auf der ganzen Breite angegriffen.

Nicht lange nachdem diese Entwicklung deutlich wurde, hat die Arbeiterklasse begonnen zu reagieren. Dabei stehen die deutschen Arbeiter nicht allein. Wir erinnern an den Streik der Hafenarbeiter in den USA, den Poststreik in Frankreich, den Feuerwehrstreik in England, Streiks in Italien und an vielen Orten mehr. Auch in der UdSSR können wir nach den drastischen Preiserhöhungen Streiks und Unruhen nicht mehr ausschließen. Der Höhepunkt dieser Bewegung ist z. Zt. der Streik der amerikanischen Bergarbeiter, die ohne Rücksicht auf den Laden der Kapitalisten und zum Schrecken der gesamten herrschenden Klasse ihre proletarischen Interessen durchzusetzen versuchen. Von ihrer Kampfbereitschaft und ihrer Organisationskraft, die inzwischen über die UMW (die Gewerkschaft) hinausgeht, kann und wird die Arbeiterklasse in der ganzen Welt eine Menge lernen. Die Erfahrungen der Bergarbeiter mit dem amerikanischen Staat haben – Demokratie hin, Demokratie her – langsam auch die letzten Illusionen in dieses Machtorgan der bürgerlichen Klasse zerstört. Bei dem Vorgehen der Polizei gegen Arbeiterdemonstrationen wird schnell die Erinnerung an das blutige Auseinandertreiben einer Demonstration der Bergarbeiter im Jahre 1921 wach.

Das ganze Gerede von der "Wirtschaft in Gefahr" interessiert die Kumpel nicht mehr. Sie lassen sich auch durch die Befehle der bürgerlichen Gerichte nicht wieder an die Arbeit schicken, um in 80 Tagen all das wieder "in Ordnung" zu bringen, womit sie nach drei Monaten Streik jetzt die nationale Bourgeoisie bedrohen.

Eine ähnliche Tendenz, wenn auch in erheblich geringerem Maß, ist charakteristisch für die gesamte neu aufgeflammte Klassenbewegung. Überall versucht die Bourgeoisie vergeblich den Arbeitern Verantwortung für die kapitalistische  Wirtschaft einzureden. Die Arbeiter sollen den Karren der Kapitalisten aus dem barbarischen Sumpf der kapitalistischen Dekadenz ziehen. Der Bundeskanzler macht sich Sorgen um die Durchsetzung seines Konjunkturprogramms. Die Arbeiter haben ihm einiges durcheinandergebracht. Jetzt sollen sie verantwortlich gemacht werden für die Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt. All das hat das Proletariat nicht viel gestört. Nicht einmal die Hatz der Schleyer-Entführung, die der Staat jetzt so gern noch einmal aufwärmen möchte, hat wesentliche ideologische Spuren im Proletariat hinterlassen. Allein die Gewerkschaften – und schließlich die Polizei und die Armee – können jetzt die Arbeiter in den gewünschten Bahnen halten. Im Kampf gegen dieses Instrument der Herrschenden muss die Arbeiterklasse ihre Kampfkraft entwickeln. Mit der Zerschlagung der Gewerkschaften muss die Arbeiterklasse den autonomen Klassenkampf entwickeln.

Die Gewerkschaften haben ihre fortschrittliche Funktion für die Arbeiterklasse verloren. Sie begrenzen die Ziele auf ein bürgerliches Programm der Krisenbekämpfung und sind deshalb konterrevolutionär. An ihrer Stelle und gegen sie bildet das Proletariat in jedem Streik durch Vollversammlungen, Umzüge von Fabrik zu Fabrik, Demonstrationen und Besetzungen, neu seine eigene Organisation. Im ständigen Kampf lernt die Klasse ihre Organisationsfähigkeit – bis zur Bildung der Räte – auszubilden und ihr Bewusstsein – mit Hilfe der Organisation der Revolutionäre – zu erweitern. Die Arbeiter lernen, ihre Kämpfe zu generalisieren und zu vereinheitlichen. Die Arbeiterklasse muss sich für jeden Schlag neu zusammenfinden. Sie muss versuchen, ihrem Kampf die größtmögliche Verbreitung zu geben. Solidarität darf nicht länger die Sache von "Vertreter"-Organisationen sein, sondern muss den weltweiten Zusammenschluss der Klasse gegen die Diktatur des Kapitals bedeuten.

Aus der Geschichte der letzten revolutionären Welle von 1917–23 muss das Proletariat lernen, dass es seinen Kampf auf keinen Fall einer Gewerkschaft überlassen darf. Es muss seine historische Aufgabe von Anfang bis Ende selbst und mit all seinen Kräften durchführen.

IKS, März 1979