Zur Debatte um Lotta Comunista - Internationalismus und der 2. Weltkrieg

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Ausgehend von einer Einschätzung der italienischen Gruppe Lotta Comunista durch die IKS hat Genosse Riga sich dazu  kritisch bzw. ablehnend geäußert. Nachfolgend unsere Antwort auf seine Reaktion.  

Welche internationalistische Haltung gegenüber der deutschen Wehrmacht?

Weshalb empört sich der Genosse so über unseren Artikel? Scheinbar nicht über unsere Sichtweise der Partisanenbewegungen gegen Hitlerdeutschland im Weltkrieg als bürgerlich. Denn er räumt ein, dass die Partisanen „historisch gesehen“ dies auch waren. Dies, schreibt er, sehr zu recht, ist eine „schwierig zu vermittelnde, aber notwendige Einsicht“. Sondern er empört sich über unsere Darstellung der deutschen Wehrmacht als eine teilweise aus „Proletariern in Uniform“ bestehende imperialistische Armee, wie die anderen Armeen auch, so dass die Haltung der Marxisten darin bestehen müsste, diese Proletarier dazu zu gewinnen, sich gegen ihre Befehlshaber zu empören, anstatt sie abzuknallen, wie die Partisanen es taten. Es hat den Anschein, als ob für den Genossen Riga die internationalistische Pflicht im Weltkrieg, die Soldaten auf allen Seiten aufzufordern, sich zu verbrüdern, in diesem Krieg nicht mehr galt, zumindest der deutschen Armee gegenüber. Und warum?  Weil die Wehrmacht eine „der Kapitalherrschaft direkt unterworfene Armee bestialischer Killer“ war.

Genosse Riga kommentiert einen Artikel auf unserer Webseite, in welchem wir die Behauptung einer Gruppe aus Italien, Lotta Comunista, zu widerlegen bestrebt waren, dass diese zum Lager der Kommunistischen Linken gehöre. Der Genosse zeigt sich wenig überzeugt von der Notwendigkeit einer solchen Klarstellung, zumal die Gruppe im deutschsprachigen Milieu nicht sehr bekannt ist. Dass diese Gruppe der IKS „eben missfällt“, so der Genosse, „unterstreicht nicht gerade die Bedeutung des Artikels“.

Aus unserer Sicht ist es selbstverständlich, dass man eine solche Behauptung von Seiten einer Gruppe wie Lotta Comunista widerlegen muss. Aber dass dies für unsere Leserinnen und Leser alles anders als selbstverständlich erscheinen muss, sehen wir natürlich gerne ein. So gesehen, hätte unser Artikel sich wahrscheinlich zuallererst damit befassen müssen, warum die zu behandelnde Gruppe überhaupt von Relevanz ist. Wir sind also für den Hinweis des Genossen in dieser Sache dankbar.

Warum ist die Einordnung einer Gruppe wie Lotta Comunista von Belang?

An dieser Stelle aber nur so viel dazu: Aus der Sicht des Alltagsbewusstseins ist Christ, wer sich auf Christus einschwört, Moslem, wer nach dem Koran lebt, und Marxist, wer sich auf Marx bezieht. Aus dieser Sicht ist es selbstredend, dass die „Kommunistischen Parteien“ der 1930er und 1940er Jahre und ebenso die Trotzkisten Marxisten waren. Daraus folgert man, dass die marxistische Haltung im 2. Weltkrieg ohne jeden Zweifel darin bestand, erstens die Sowjetunion zu unterstützen und zweitens auf der Seite der Kriegsgegner von Hitlerdeutschland zu stehen (eine andere, daraus sich ergebende, durchaus spannende Frage, was dann die „selbstverständliche“ marxistische Haltung während des Hitler-Stalin-Paktes wäre, wird dann meistens doch nicht gestellt).

Gerade weil die meisten Menschen auch heute noch von den oben beschriebenen Annahmen ausgehen, ist es uns um so wichtiger darauf hinzuweisen, dass es während des Zweiten Weltkrieges Marxisten gab, welche die Unterstützung aller Kriegsparteien ablehnten und den proletarischen Internationalismus von Lenin und Karl Liebknecht hochhielten. Nicht nur, dass es in erster Linie die Kommunistische Linke war, welche diese Haltung einnahm (auch einige Abspaltungen vom Trotzkismus taten dies): diese Einstellung ist das eigentliche politische Markenzeichen der Kommunistischen Linken (dass es außerdem auch andere, nicht marxistische Internationalisten gab, wollen wir an dieser Stelle nicht verschweigen).

Nun, mit welchen Schwächen unser Artikel zu Lotta Comunista auch immer behaftet sein mag, wir denken, dass er zu Genüge bewiesen hat, dass besagte Gruppe nicht proletarisch-internationalistisch ist!

Schwankungen auf internationalistischem Boden oder rückhaltlose Unterstützung des Partisanenkampfes?

Jetzt gibt der Genosse Riga einen wichtigen Hinweis, indem er schreibt, dass „das Kapitel Faschismus-Antifaschismus längst nicht so abgeschlossen (ist) innerhalb der Kommunistischen Linken, wie diese manchmal den Anschein erwecken will“. Wir nehmen an, dass der Genosse hier auf die Tatsache anspielt, dass die IKS der Internationalistischen Kommunistischen Partei in Italien (aus der sowohl die verschiedenen „bordigistischen“ Gruppen wie auch Battaglia Comunista hervorgegangen sind) vorwirft, hier und da auf unzulässige Weise während des Zweiten Weltkriegs sich auf Gruppen der Partisanen eingelassen zu haben. Das ändert aber nichts daran, dass die Gruppe Lotta Comunista, welche sich politisch auf die Partisanen (wie auch auf den Stalinismus) beruft, mit dem Erbe der Kommunistischen Linken nichts zu tun hat. Unsere Kritik an anderen Strömungen der Kommunistischen Linken in dieser Frage ist etwas ganz was anderes. Diese Strömungen kritisieren wir lediglich dafür, den proletarischen Internationalismus nicht immer konsequent genug vertreten zu haben. Wir kämen im Traum nicht auf die Idee, die proletarisch-internationalistische Gesinnung der PC Int in Italien während des Weltkrieges in Frage zu stellen. Es handelt sich aus unserer Sicht hier um Schwankungen innerhalb des Lager des Proletariats (die traditionelle Bezeichnung hierfür ist Opportunismus), während Lotta Comunista aus unserer Sicht eine bürgerliche, nationalistische Strömung darstellt (was keineswegs ausschließt, dass GenossInnen aus einer solchen Gruppe zum wirklichen proletarischen Internationalismus stoßen können).

Zum „einmaligen historischen Zivilisationsbruch“ durch den Faschismus

Jetzt erst kommt der Genosse Riga zu seiner Hauptkritik an unserem Artikel, und dies bezieht sich nicht auf Lotta Comunista, sondern auf die Darstellung der Frage des proletarischen Internationalismus im Zweiten Weltkrieg selbst. Hier wird er heftig, er wirft uns vor, Behauptungen aufzustellen, welche „nicht mal am Stammtisch unter euch“ unhinterfragt bleiben dürfen.

Folgen wir nun der Argumentation des Genossen. Zunächst räumt er ein, dass der Faschismus wie der Antifaschismus beide bürgerlich, beide „antiproletarische“ Ideologien sind. So weit so gut. Dann schreibt er, dass der Faschismus, besonders in seiner deutschen Form, nicht bloß Ideologie geblieben ist, sondern einen historisch einmaligen Zivilisationsbruch darstellt, „der weit über die konterrevolutionären Strömungen dieser Zeit, auch den Stalinismus hinausreicht“. Und er schließt daraus: „wer diese Differenz nicht (an)erkennt, der kann nicht wirklich an einer Aufarbeitung der Geschichte interessiert sein, sondern nur an Ideologiebildung.“

Anders als der Genosse selbst anzunehmen scheint, können wir uns seinen Ausführungen hierzu ganz und gar anschließen. Denn das, was er hier schreibt, gehört zum Kern der Analyse der Weltlage, welche die sog. Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken in den 1930er Jahren entwickelte. Die beiden Hauptsätze dieser Analyse lauteten: 1. Durch die Niederlage des Proletariats in Deutschland war es die Bourgeoisie gelungen, in diesem zentralen Land des europäischen Kapitalismus ein Regime von unerhörter Brutalität zu etablieren. 2. Dieser Sieg der deutschen Bourgeoisie bedeutete die Niederlage nicht nur der Arbeiterklasse in Deutschland, sondern die des gesamten Weltproletariats. Denn gerade die beispiellose Barbarei des Naziregimes ermöglichte es der Bourgeoisie der anderen Länder, auch ohne physische Niederschlagung die eigenen Arbeiter gegen den Faschismus und somit für den imperialistischen Krieg zu mobilisieren.

Stalinismus und Faschismus - gleiche Wirkung?

So weit so gut. An dieser Stelle dennoch zwei Klarstellungen. Erstens: Das Stalinregime war eines der mörderischsten Regime der Weltgeschichte, und trotzdem nicht so mörderisch wie der Nazismus. Aber in anderer, und zwar in politischer Hinsicht, war es in einem gewissen Sinne schlimmer. Denn der Hitlerismus war die offene Konterrevolution gegen den Marxismus, während der Stalinismus die versteckte, heimtückische Konterrevolution im Namen des Marxismus, im Namen der Revolution selbst war. Sicherlich hat der Stalinismus mehr als jede andere politische Strömung es zustande gebracht, den Namen des Kommunismus auf Jahrzehnte hinaus zu diskreditieren. Zweitens: die Westmächte gingen weniger brutal vor als die Nazis im Weltkrieg; gewiss, und dennoch stellten auch Hiroshima und Nagasaki einen Zivilisationsbruch dar, und zwar einen, welcher die atomare Vernichtung der gesamten Menschheit ankündigte, falls es nicht gelingt, noch rechtzeitig den Kapitalismus abzuschaffen. Das hat übrigens nichts zu tun mit einem Abwiegen dieses Verbrechens mit dem des Holocausts: Solch ein Abwiegen wäre selbst barbarisch.

Welche internationalistische Haltung gegenüber der deutschen Wehrmacht?

Weshalb empört sich der Genosse so über unseren Artikel? Scheinbar nicht über unsere Sichtweise der Partisanenbewegungen gegen Hitlerdeutschland im Weltkrieg als bürgerlich. Denn er räumt ein, dass die Partisanen „historisch gesehen“ dies auch waren. Dies, schreibt er, sehr zu recht, ist eine „schwierig zu vermittelnde, aber notwendige Einsicht“. Sondern er empört sich über unsere Darstellung der deutschen Wehrmacht als eine teilweise aus „Proletariern in Uniform“ bestehende imperialistische Armee, wie die anderen Armeen auch, so dass die Haltung der Marxisten darin bestehen müsste, diese Proletarier dazu zu gewinnen, sich gegen ihre Befehlshaber zu empören, anstatt sie abzuknallen, wie die Partisanen es taten. Es hat den Anschein, als ob für den Genossen Riga die internationalistische Pflicht im Weltkrieg, die Soldaten auf allen Seiten aufzufordern, sich zu verbrüdern, in diesem Krieg nicht mehr galt, zumindest der deutschen Armee gegenüber. Und warum? Weil die Wehrmacht eine „der Kapitalherrschaft direkt unterworfene Armee bestialischer Killer“ war.

Nun, dass die Wehrmacht einer der Kapitalherrschaft direkt unterworfene Armee bestialischer Killer war, steht außer Frage. Längst ist die Mär wiederlegt worden, derzufolge die Massenerschießungen und Vernichtungsfeldzüge allein von der SS, der Sonderpolizei und anderen gesonderten Staffeln ausgeführt wurden! Aber bedeutet dies, dass es in einer solchen Lage nicht mehr die Aufgabe der Marxisten wäre, auch gegenüber einer solchen Armee sich an das Klassenbewusstsein der Proletarier in Uniform zu richten? Etwa weil die Soldaten dieser Armee irreversibel in der „Volksgemeinschaft“ der Nazis integriert waren, und zwar so, dass man die Proletarier innerhalb dieser Armee faktisch als Vertreter der Bourgeoisie zu bekämpfen hätte? Wohlgemerkt: Es geht hier um das Prinzip, und nicht um das Wie, denn dass die Internationalisten von damals (von denen übrigens einige auch Juden waren) sich nicht direkt und offen an die deutschen Soldaten richten konnten, versteht sich von selbst.

Was die Geschichte angeht, ist man hinterher immer viel klüger. In Nazideutschland blieb der von den Internationalisten erhoffte proletarische Aufstand gegen den Krieg aus. Aber gab es für die Bolschewisten und Spartakisten 1914-15 eine Garantie, dass die von ihnen angestrebte Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg auch gelingen würde?

Die Strategie des deutschen Kapitals zur Verhinderung eines Aufstands

Nicht nur die Revolutionäre, auch die Herrschenden gingen davon aus, dass auch der Zweite Weltkrieg – der Niederlage des Weltproletariats in den 1930er Jahren zum Trotz – die Möglichkeit der Revolution in sich bergen könnte. Das galt übrigens auch für die Nazis. Für sie war die Novemberrevolution von 1918, welche die Beendigung des Ersten Weltkrieges erzwang, die größte Schmach in der deutschen Geschichte. Um diese Schmach zu „tilgen“, veranstalteten sie sowohl den sog. Hitlerputsch von 1923, wie auch die sog. Reichskristallnacht von 1938 am 9. November. Und auch während des Zweiten Weltkrieges taten sie alles, um dieser Gefahr vorzubeugen.

Wie gingen sie dabei vor? Anders als beispielsweise die Westalliierten, anders auch als der deutsche Imperialismus im Ersten Weltkrieg. Denn diese konnten auf die „freien Gewerkschaften“ und die „Arbeiterparteien“ zurückgreifen, sowie auf die Ideologien der Humanität oder der Demokratie, um die Arbeiter bei der Stange zu halten. Hitlerdeutschland konnte darauf verzichten, weil das deutsche Proletariat zunächst niedergeschlagen war. Und Hitlerdeutschland glaubte, darauf verzichten zu müssen, weil die einzige Chance, den kommenden Waffengang erfolgreich gestehen zu können, darin zu bestehen schien, rücksichtslos einen klaren rüstungsmäßigen Vorsprung zu erzielen. Da der totalitäre Staatskapitalismus damals noch nicht so weit entwickelt war wie heute, ging das am besten mittels einer offenen und brutalen Diktatur.

Aber die Notwendigkeit, eine eventuelle Revolte gegen den Krieg zu bekämpfen, blieb dennoch bestehen. Hierzu entwickelte der Nazismus eine Strategie, welche zwei Hauptpfeiler besaß. Der erste bestand darin, möglichst bis zum letzten Kriegstag eine ausreichende materielle Versorgung der Soldaten und der „Heimatfront“ zu sichern. So ist beispielsweise bekannt, dass eines der Motive, schon im Spätsommer 1941 in die Sowjetunion einzumarschieren (obwohl die Militärstrategen dringend davon abrieten und auf die Gefahren eines Winterfeldzugs hinwiesen) darin bestand, angesichts drohender Versorgungsengpässe in Deutschland die Ernte in der Ukraine abzuholen. Das Ganze lief auf das perfide Vorgehen hinaus, durch die Erschießung von großen Teilen der Bevölkerung der okkupierten Gebiete bzw. ihre Versklavung die Versorgung der Wehrmacht und in Deutschland selbst zu gewährleisten. Aber bereits die Ausplünderung der Juden in Deutschland diente u.a. diesem Ziel (wohlgemerkt: dieses Vorgehen gegenüber der Arbeiterklasse ist nur ein Aspekt der Politik der Nazis, erklärt weder den Antisemitismus der Nazis noch den Holocaust!). Der zweite bestand aber darin, gerade durch die Brutalität des Vorgehens in den besetzten Ländern und v.a. durch die Beteiligung der einfachen Soldaten an den Verbrechen der Wehrmacht bewusst die Arbeiter an ihre Ausbeuter zu binden und ein Verbrüderung mit dem „Feind“ von vorn herein zu verunmöglichen.

Mit anderen Worten: Darauf zu verzichten, in der Wehrmacht die Proletarier in Uniform zu sehen, auch als Opfer des Kapitals, würde auch bedeuten, der Strategie der Nazis auf den Leim zu gehen – nicht nur damals, sondern heute noch.

Und dennoch kam es gerade in der Wehrmacht beispielsweise zu Desertationen. In der amerikanischen Armee „musste“ im gesamten Weltkrieg ein einziger Soldat, so viel wir wissen, wegen Desertation hingerichtet werden. In der Wehrmacht waren es wohl zehntausende. Und wir als Nachwelt wissen von Fällen, wo solche Soldaten aufgrund der Unterstützung der Bevölkerung überlebten – Beweise dafür, dass es selbst in dieser „Mitternacht des Jahrhunderts“ Momente der Menschlichkeit und des Internationalismus gab. KS

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