Libyen - Ein imperialistischer Krieg

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Der UN-Sicherheitsrat hat die Resolution 1973 verabschiedet.  

Erneut schwingen die Führer dieser Welt große Reden mit toll ausgeschmückten humanitären Phrasen über „Demokratie“, „Frieden“, „Sicherheit der Bevölkerung“, um ihre eigenen imperialistischen Abenteuer zu vertuschen. So hat seit dem 20. März eine „internationale Koalition“ (1) eine umfangreiche militärische Operation in Gang gesetzt, die poetisch von den USA „Operation Odyssey Dawn“ genannt wird. Jeden Tag heben Dutzende Bomber von den beiden großen französischen und amerikanischen Flugzeugträgern  ab, um ihre Bomben auf all die Teile abzuwerfen, in denen sich dem Gaddafi-Regime treue Truppen aufhalten (2). Wenn man kein Blatt vor den Mund nimmt, heißt dies sie führen Krieg!

All diese Staaten verteidigen nur ihre eigenen Interessen mit Hilfe von Bombardierungen

Natürlich ist Gaddafi ein blutiger und verrückter Diktator. Nach wochenlangem Zurückweichen gegenüber der Rebellion, gelang es dem selbsternannten „lybischen Führer“ seine Elitetruppen für einen Gegenangriff zu organisieren. Jeden Tag konnte er Boden zurückgewinnen; dabei wurde alles plattgemacht, was ihm Wege stand; „Rebellen“ wie Zivilbevölkerung. Und er schickte sich sicherlich an, die Bevölkerung von Bengasi im Blut zu ertränken, als die Operation „Operation Odyssey Dawn “ ausgelöst wurde. Die Luftschläge der Koalition haben den lybischen Repressionskräften arg zugesetzt und in der Tat das angekündigte Massaker verhindert. Aber kann man wirklich auch nur einen Augenblick glauben, dass dieser Aufmarsch der ‚Koalitionsarmeen‘ dazu dient, dem Wohl der libyschen Bevölkerung zu dienen? Wo war diese Koalition, als Kaddafi 1996 im Gefängnis Abu Salim in Tripolis 1000 Gefangene ermorden ließ? In Wirklichkeit betreibt  dieses Regime seit 40 Jahren nichts anderes als Leute ungestraft zu foltern, zu terrorisieren, sie verschwinden zu lassen oder zu ermorden. Wo war diese Koalition vor kurzem, als Ben Ali in Tunesien, Mubarak in Ägypten oder Bouteflika in Algerien bei den Aufständen im Januar und Februar auf die Leute schießen ließen? Und was macht heute diese Koalition gegenüber den Massakern in Jemen, Syrien oder Bahrain? Oh Entschuldigung, wir können gar nicht sagen, dass sie hier ganz abwesend ist, denn eines ihrer Mitglieder, Saudi Arabien, greift in der Tat ein, um das Regime in Bahrain zu unterstützen und die Demonstranten niederzuschlagen! Ihre Komplizen verschließen die Augen.

Sarkozy, Cameron, Obama und Konsorten mögen sich gerne stolz als die Retter, die Verteidiger der Witwen und Waisenkinder darstellen, aber die leidenden Zivilisten Bengasis waren für sie nur ein Alibi, um vor Ort militärisch einzugreifen und ihrer eigenen schmutzigen imperialistischen Interessen zu verteidigen. All diese Gangster kennen nur einen Grund – und der ist keineswegs altruistisch, sich an diesem imperialistischen Kreuzzug zu beteiligen:

Im Gegensatz zu den früheren Kriegen stehen die USA dieses Mal nicht an der Spitze. Warum? In Libyen muss die US-Bourgeoisie eine ‚ausgleichende‘ Rolle spielen. Einerseits können sie es sich nicht erlauben, Bodentruppen zum Einsatz zu bringen. In der ganzen arabischen Welt würde dies als eine Aggression und neuer US-Einmarsch aufgefasst. Die Kriege im Irak und Afghanistan haben ja die allgemeine Aversion gegenüber dem „US-Imperialismus, dem Verbündeten Israels“ noch verstärkt. Und der Regimewechsel in Ägypten, das traditionell Verbündeter von Uncle Sam war, hat die Position der USA in der Region noch weiter geschwächt (3). Aber andererseits können sie nicht zulassen, völlig außen vor zu bleiben, denn dann würden sie Gefahr laufen, ihre Glaubwürdigkeit und ihren Status als „Kämpfer für die Demokratie auf der Welt“ völlig zu verlieren. Und es geht natürlich auch nicht, dass sie dem französisch-britischen Tandem das Jagdrevier überlassen.

Die Beteiligung Großbritanniens verfolgt zwei Ziele. Es versucht ebenfalls bei den arabischen Ländern seinen Ruf zu erneuern, der durch seine Beteiligung an den Kriegen im Irak und Afghanistan gelitten hat. Aber es versucht auch seine eigene Bevölkerung an ausländische Militärinterventionen zu gewöhnen, die in der Zukunft noch häufiger notwendig werden. „Die Bevölkerung vor Gaddafi zu retten“ ist dazu eine willkommene Gelegenheit (4).

Im Falle Frankreichs liegen die Dinge etwas anders. Es ist das einzige größere Land des Westens, das über eine gewisse Popularität im arabischen Raum verfügt, die es unter De Gaulle erworben hatte, und durch seine Weigerung sich am Irakkrieg 2003 zu beteiligen, noch ausbaute. Durch seine Intervention zugunsten des „libyschen Volkes“ wusste der französische Präsident Sarkozy genau, dass dies in der Bevölkerung gut aufgenommen werden würde, und dass die arabischen Nachbarstaaten dieser Intervention gegen Gaddafi wohlwollend gegenüberstünden, weil dieser zu wenig kontrolliert werden kann und für deren Geschmack zu unberechenbar ist. „Es lebe Sarkozy“, „Es lebe Frankreich“ (5).  Zumindest dieses Mal ist es dem französischen Staat gelungen, punktuell aus der US-Schwäche Vorteile zu erzielen. Der französische Präsident hat auch die Gelegenheit ausgenutzt, um wieder Boden zu gewinnen in Anbetracht all der Fehltritte seiner Regierung gegenüber Tunesien und Ägypten (Frankreich hatte die später durch die sozialen Revolten abgesetzten Diktatoren unterstützt, notorische Kumpanei während dieser Kämpfe zwischen seinen Ministern und den Regimes in diesen Ländern; der Vorschlag, Polizeikräfte zur Verstärkung der Repression nach Tunesien zu schicken…).

Wir können hier nicht genauer auf die einzelnen Interessen eines jeden Staates dieser Koalition eingehen, die heute gegen Libyen vorgeht, aber eins ist sicher: ihnen geht es nicht um humanitäre oder philanthropische Interessen. Und das trifft auch auf die Staaten zu, die sich bei der Abstimmung der UN-Resolution enthalten haben : China, Russland und Brasilien stehen dieser Intervention sehr feindselig gegenüber, weil sie beim Sturz Gaddafis nichts gewinnen können. Italien kann dagegen alles verlieren. Das gegenwärtige Regime hat bislang einen leichten Zugang zu den Ölquellen und eine drakonische Kontrolle der Grenzen gewährleistet. Die Destabilisierung des Landes kann all das infragestellen.  Angela Merkels Deutschland ist bislang noch ein militärischer Zwerg. All seine Kräfte sind in Afghanistan gebunden. Sich an solch einer Operation zu beteiligen, hätte erneut diese Schwäche noch deutlicher werden lassen. Wie die spanische Zeitung El Pais schrieb: „Es gibt eine gewisse Neuauflage der ständigen Wiederherstellung des Gleichgewichtes zwischen der deutschen ökonomischen Größe, die während der Eurokrise sichtbar war, und der politischen Fähigkeit Frankreichs, die sich auch auf militärischer Ebene zeigt“ (6). So gleicht Libyen wie der gesamte Nahe und Mittleren Osten einem riesigen Schachbrett, wo die Großmächte ihre jeweiligen Figuren zum Zug bringen.

Warum greifen die Großmächte jetzt ein?

Seit Wochen befanden sich die Truppen Gaddafis auf dem Vormarsch Richtung Bengasi, der Rebellenhochburg; sie wälzten dabei alles nieder, was ihnen im Weg stand. Warum haben die Länder, obwohl sie so große Interessen an diesem Land haben, so lange gezögert? In den ersten Tagen wehte der Wind der Revolte, der auch in Libyen zu spüren war, aus Tunesien und Ägypten. Die gleiche Wut über die Unterdrückung und die Armut erfasste alle Gesellschaftschichten. Es stand also außer Frage, dass die „großen Demokratien der Welt“ diese soziale Bewegung unterstützten, obwohl sie große Reden schwangen gegen die Repression. Ihre Diplomatie stellte sich völlig heuchlerisch gegen jede Einmischung und hob das „Recht der Völker auf Selbstbestimmung“ hervor. Die Erfahrung zeigt, dass es bei jedem sozialen Kampf so verläuft: die Herrschenden aller Länder verschließen die Augen vor der furchtbarsten Repression, wenn sie diese nicht direkt selbst unterstützen!

Aber in Libyen ist das, was anfangs als eine wahre Revolte „von Unten“ mit unbewaffneten Zivilisten anfing, die mutig zum Sturm auf die Kasernen ansetzten und die Büros der sogenannten „Volkskomitees“ anzündeten, in einen blutigen „Bürgerkrieg“ umgeschlagen, der jetzt zwischen verschiedenen Flügeln der Herrschenden ausgetragen wird. Mit anderen Worten, die Bewegung ist den nicht-ausbeutenden Schichten aus der Hand geraten. So ist zum Beispiel einer der Anführer der Rebellion und des Übergangsrates Al Jeleil, ehemaliger Justizminister unter Gaddafi gewesen. Diesem Führer klebt natürlich so viel Blut an den Fingern wie seinem früheren „Führer“, der zu dessen Rivalen geworden ist. Ein anderer Beleg: die provisorische Regierung hat die Fahne des alten, königlichen Libyens wieder hervorgeholt. Der französische Präsident Sarkozy hat den Übergangsrat als die „legitimen Repräsentanten des libyschen Volkes“ anerkannt.  Die Revolte in Libyen hat also eine völlig andere, entgegengesetzte Wendung genommen als die Bewegung in Tunesien und Ägypten. Dies ist hauptsächlich auf die Schwäche der Arbeiterklasse dieser Länder zurückzuführen. Die Ölindustrie, die Haupteinnahmequelle des Landes, beschäftigt fast ausschließlich ausländische Arbeitskräfte aus Europa, anderen Ländern des Nahen Ostens, Asiens und Afrikas. Dies haben sich von Anfang an nicht an dieser Bewegung beteiligt. So konnte die lokale Kleinbourgeoisie dem Kampf ihren Stempel aufdrücken und zum Beispiel die Bewegung unter der alten königlichen Fahne sammeln. Schlimmer noch! Die ‚ausländischen‘ Arbeiter konnten sich nicht mit diesem Kampf identifizieren; sie sind geflüchtet. Wenn sie nicht gar verfolgt wurden, wie es mit vielen schwarzafrikanischen Arbeitern geschah, die in die Hände der ‚Rebellen‘ fielen, denn es gab zahlreiche Gerüchte, denen zufolge gewisse Söldner aus Schwarzafrika von Gaddafis Regime rekrutiert worden waren, um die Aufstände niederzuschlagen, wodurch alle Migranten aus Afrika in Verruf gerieten.

Die Kehrtwendung der Lage in Libyen hat Konsequenzen, die weit über die Grenzen des Landes hinausreichen. Die Repression durch die Truppen Gaddafis und die Intervention der internationalen Koalition üben eine bremsende Wirkung aus für all die sozialen Bewegungen in  der Region. Dies ermöglicht den anderen diktatorischen Regimen, die mit Sozialprotesten zu kämpfen haben, eine ungebändigte blutige Repression auszuüben:  dies wird ersichtlich anhand der Lage in Bahrain, wo die saudi-arabische Armee das Regime vor Ort unterstützt, um die Demonstrationen gewaltsam niederzuschlagen(7); in Jemen, wo die Regierungstruppen am 18. März nicht zögerten, auf die Menge zu schießen. 51 Menschen wurden erschossen. Eine ähnliche Entwicklung gibt es seit kurzem in Syrien. Aber es ist keineswegs sicher, dass es sich um eine unumkehrbare Entwicklung handelt. Die Lage in Libyen lastet wie eine große Bürde auf dem Weltproletariat, aber die Wut ist so groß über die Zuspitzung der Armut, dass die Arbeiterklasse nicht völlig gelähmt ist. Zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels wurden Demonstrationen in Riad angekündigt, obwohl das saudi-arabische Regime dekretiert hat, dass alle Demonstrationen der Scharia widersprechen. In Ägypten und Tunesien, wo die ‚Revolution‘ angeblich triumphiert hat, kommt es ständig zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und dem ‚demokratischen‘ Staat, obwohl dieser von Kräften regiert wird, die mehr oder weniger die gleichen sind, die vor dem Abflug der ‚Diktatoren‘ die Zügel in der Hand hatten. In Marokko gehen die Proteste weiter, trotz der Verbesserungen, die Mohammed VI angekündigt hat.

Wie auch immer, die Lage der Bevölkerung, die unter der schrecklichen Repression unter den Bombardierungen der Demokratien der verschiedenen Staaten der internationalen Koalition leidet, wird sich erst dann verbessern, wenn das Proletariat der zentralen Länder, insbesondere Westeuropas, seinen Kampf massiv und entschlossen verstärken wird. Dann kann die Arbeiterklasse, die über eine größere Erfahrung verfügt und mit den Fallen der Gewerkschaften und der bürgerlichen Demokratie gebrochen hat, zeigen, dass man sich selbst organisieren und eine wirklich revolutionäre Perspektive aufbauen kann, welche als einzige einen Ausweg für die Menschheit bietet. Mit all den Menschen solidarisch zu sein, die heute durch Kugeln sterben, heißt nicht, das Regime Gaddafis zu unterstützen, auch nicht die ‚Rebellen‘ und erst recht nicht die UNO-Koalition. Man muss im Gegenteil all diese Kräfte als imperialistische Geier entblößen. Solidarisch sein heißt die internationalistische proletarische Seite zu wählen, gegen die eigenen Ausbeuter und Massakrierer in allen Ländern anzukämpfen, sich an der Stärkung der Arbeiterkämpfe und des Bewusstseins überall in der Welt zu beteiligen! Pawel, 25.3.2011.

<!--[if !supportLists]-->(1)     <!--[endif]-->Großbritannien, Frankreich, USA insbesondere, aber auch Italien, Spanien, Belgien, Dänemark, Griechenland, Norwegen, Niederlande, Vereinigte Arabische Emirate, Qatar,

<!--[if !supportLists]-->(2)     <!--[endif]-->Wenn man den westlichen Medien glauben würde, dann sterben nur die Anhänger Gaddafis durch die Bomben. Aber erinnern wir uns, dass dieselben Medien auch während des Golfkrieges die Lüge von einem „sauberen Krieg“ verbreiteten. Tatsächlich kamen 1991 im Namen des Schutzes des „kleinen Kuwaits“, das von der Armee des ‚Schlächters‘ Saddam Hussein besetzt wurde, mehrere Hunderttausend Menschen um.

<!--[if !supportLists]-->(3)     <!--[endif]-->Auch wenn der US-Bourgeoisie eine Schadensbegrenzung gelang, als sie die Armee unterstützte, um das von der Bevölkerung verabscheute  Regime zu ersetzen.

<!--[if !supportLists]-->(4)     <!--[endif]-->Man sollte nicht vergessen, dass 2007 der ehemalige britische Premierminister Tony Blair in Tripolis den Führer Gaddafi herzlich umarmte und ihm mit der Unterschrift eines Vertrages mit BP dankte. Die gegenwärtigen Verurteilungen des „verrückten Diktators“  sind reiner Zynismus und Heuchelei!

<!--[if !supportLists]-->(5)     <!--[endif]-->Erinnern wir uns daran, dass die französische Bourgeoisie auch hier umgeschwenkt ist, nachdem sie 2007 Gaddafi ebenso pompös empfing. Damals gingen die Bilder der Zelte Gaddafis, die mitten in Paris errichtet worden waren, um die Welt; all das machte  Sarkozy und seine Clique lächerlich.

<!--[if !supportLists]-->(6)     <!--[endif]-->https://elpais.com/articulo/internacional/guerra/europea/elpepuint/20110321elpepiint_6/Tes

<!--[if !supportLists]-->(7)            <!--[endif]-->Die Schwäche der Arbeiterklasse begünstigt die Repression. Die Bewegung wird nämlich von der schiitischen Bevölkerungsmehrheit dominiert, welche vom Iran unterstützt wird.

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