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Am Montag, den 10. September 2012, streikten die LehrerInnen in Chicago zum ersten Mal seit 25 Jahren und nach Jahren des Angriffs auf ihre Vergünstigungen, des Lohnstopps und der noch haarsträubenderen und entwürdigenden Arbeitsbedingungen.
Die Lage der LehrerInnen
Dieser Streik knüpft nahtlos an jene Streiks an, die im Sommer wie Pilze aus dem Boden schossen, Streiks der New Yorker Beschäftigten von Con-Edison (einem US-Energieversorger), der Schulwarte in Houston, der ArbeiterInnen der Palermo Pizza-Fabrik in Milwaukee, Wisconsin – um nur einige der bekannteren Streiks zu erwähnen – und mehr als ein Jahr zurückreichend der Streik der Beschäftigten des IT-Unternehmens Verizon in New York City sowie die öffentlichen Kundgebungen der öffentlichen Angestellten in Madison, Wisconsin. Nun haben die LehrerInnen endlich gleichgezogen! Als Teil der Arbeiterklasse sind die LehrerInnen nicht ausgespart geblieben von der Wirtschaftskrise und den schonungslosen Attacken unserer Machthaber gegen ihren Lebensstandard und ihre Arbeitsbedingungen. Bisher waren die LehrerInnen wegen ihrer Stellung als Teil des öffentlichen Sektors, der damit beauftragt ist, die künftige Arbeitergeneration auszubilden, damit sie die Bedürfnisse eines nach Profit und Konkurrenz strebenden Kapitalismus befriedigen, durch eine brutale Medienkampagne verunglimpft und dämonisiert worden, die zwei wesentliche Zwecke verfolgt:
1. die Arbeiterklasse zu spalten, einen Bereich gegen den anderen auszuspielen;
2. die drakonischen Maßnahmen gegen Jobsicherheit, Vergünstigungen und Arbeitsbedingungen mit dem Hinweis auf die so dringend benötigte „Bildungsreform“ zu rechtfertigen.
Diese Attacken und Kampagnen sind ein internationales Phänomen, das auch in Frankreich, Griechenland, Spanien, Portugal, Holland, Italien, Großbritannien, Deutschland, Österreich und im Rest der Welt stattfand und stattfindet. Die Reaktionen waren häufig massiv gewesen, nicht nur in den europäischen Ländern, sondern auch in Indien, in Afrika (Swasiland) und Lateinamerika. Die Mobilisierung der Chicagoer LehrerInnen reiht sich ein in den erwachenden internationalen Klassenkampf gegen die Angriffe der Bosse.
Warum streiken LehrerInnen?
Es gibt viele Gründe für die Unzufriedenheit der LehrerInnen. Ungeachtet der Behauptung des Chicagoer Bürgermeisters Rahm Emanuel, dass der Streik keinen ökonomischen Grund habe, und seines lächerlichen Ersuchens einer gerichtlichen Unterlassungsklage gegen die „illegal“ streikende Gewerkschaft gibt es jede Menge wirtschaftlicher Belange, die die LehrerInnen in den Streik getrieben haben: das Einfrieren der Beitragsraten der Krankenkassen, die Einführung einer neuen Lehrerevaluierung auf der Basis von Prüfungsleistungen der Studenten, d.h. ein Angriff auf die Jobsicherheit besonders im Zusammenhang mit der drohenden Schließung von mindestens 100 Schulen und und und. Die „Gehaltserhöhung“, die dieser Kontrakt feilgebot, würde nicht einmal ausreichen, um die erweiterten Schultage und –jahre zu bezahlen, und dies nennen sie eine Erhöhung! Sind diese keine ökonomischen Themen?? Nur unsere Bosse und Machthaber, die keine wirtschaftlichen Sorgen haben, die sie nicht schlafen lassen, empfinden diese Attacken nicht als ökonomisch! Aber natürlich liegen die LehrerInnen völlig richtig, wenn sie über die rein ökonomischen Fragen hinausgehen. Sie verlangen den Respekt all ihrer Klassenbrüder und -schwestern für ihren Kampf um ihre Würde als menschliche Wesen, für ihre Weigerung, ihre Leidenschaft fürs Lehren zu einem Gegenstand zu machen, der sich durch standardisierte Tests messen ließe, und für ihre Weigerung, ihre SchülerInnen der Mentalität und Praxis unserer Bosse auszusetzen, die menschliche Wesen als Objekte betrachten, welche sich entsprechend des Gesetzes der kapitalistischen Profitabilität und Konkurrenz quantifizieren lassen, die die Menschen auf bloße Waren reduzieren, welche verkauft oder verschleudert werden. Dies ist im Kern die Bedeutung ihrer vielgepriesenen Bildungs-„Reform“! Sie läuft auf eine versicherungstechnische Kalkulation hinaus: Wie viel sind die Bosse angesichts der durch die unaufhaltsame Krise ihnen aufgezwungenen Umstrukturierung der Arbeitskraft bereit für die öffentliche Bildung zu „verschwenden“? Wir können unseren KollegInnen Lehrer nur sagen: Wir bewundern und unterstützen eure Courage! Ihr seid eine Inspiration für alle von uns, die unter denselben Bedingungen leiden!
Wie lässt sich am wirksamsten kämpfen?
In den Medien drücken die herrschende Klasse und die Bosse ihre Sorge darüber aus, was dieser Streik für die Perspektive der Wiederwahl eines demokratischen Präsidenten bedeuten wird. Machen sie sich Sorgen darüber, dass die Arbeiterklasse immer mehr in der Lage sein wird, ihre Vernebelungsaktionen und Mystifikationen zu durchschauen und sich zu vergegenwärtigen, dass – ob nun blau (republikanisch) oder rot (demokratisch) lackiert – der Umfang, die Ziele und der Inhalt der Attacken im Grunde dieselben sind? Wenn sie sich Sorgen machen, dass die Arbeiterklasse sich irgendwann sagt, dass der wahre Kampf auf den Straßen ausgetragen werden muss, zusammen mit andern ArbeiterInnen, und nicht an der Wahlurne, dann täte die Arbeiterklasse auch gut daran, über die Rolle nachzudenken, die beide Parteien bei der Implementierung der Attacken spielen, und sodann die Frage stellen: Wer ist unserer wahrer Freund? Wem sollten wir uns zuwenden, um Hilfe zu bekommen? Ist das offizielle „Gewerkschaftswesen“ die Antwort auf diese Frage? Wie kann die Antwort „ja“ lauten, wenn die Gewerkschaftsführer hinter geschlossenen Türen mit den Bossen verhandeln? Wie kann es möglich sein, dass sie unsere Freunde sind, wenn Vertrag für Vertrag unsere Arbeits- und Lebensbedingungen immer mehr ausgehöhlt werden? Wie können wir ihnen glauben, wenn sie etwas, was für jedem Arbeiter eine Niederlage ist, als einen „Sieg“ preisen, da es ja noch viel „schlechter“ hätte kommen können? Ist es nicht genau dies, was uns Karen Lewis (Führerin der Chicagoer Lehrergewerkschaft) frecherweise sagen wollte, als sie damit hausieren ging, dass Rahm Emanuel sein Vorhaben, die LehrerInnen auf der Grundlage von Prüfungsleistungen der Studenten zu bewerten, immerhin von 40 auf 25 Prozent herabgesetzt habe? Doch wenn wir der offiziellen Gewerkschaft nicht trauen können, wem dann?
Geht auf die Straßen und in die allgemeinen Versammlungen!
Die effektivste Art, einen Kampf zu führen, ist die Etablierung offener Generalversammlungen, wie die ArbeiterInnen es in der Geschichte bereits getan hatten und es nun wieder von neuem lernen. Wir haben erste Versuche, die Bestimmung des Kampfes in unsere eigenen Hände zu nehmen, in Spanien während der Indignado-Bewegung und hier in den Staaten in der Occupy-Bewegung gesehen. Was diese Bewegungen anzeigen, ist das Bedürfnis, einen Raum für offene Diskussionen zu schaffen, in dem wir frei und schöpferisch reale Lösungen für unsere Probleme in Betracht ziehen können. Wir sind die einzigen „Experten“, und die Verantwortlichkeit für unsere Entscheidungen sollte allein den Arbeitergeneralversammlungen überlassen werden, die von den ArbeiterInnen selbst kontrolliert werden. Wenn wir in der Lage sind, den Kampf in unsere Hände zu nehmen, ist es möglich, ihn auf andere Sektoren und ArbeiterInnen, auf Eltern und Studenten auszuweiten und auf diese Weise zu einer wirklichen Stärke, Einheit und Solidarität zu gelangen sowie aus der Isolation auszubrechen, in die uns unsere Gewerkschaften sperren! Die Sympathie, die euer Streik unter vielen anderen ArbeiterInnen, selbst unter Eltern, die eine Menge Schwierigkeiten haben, jemand zu finden, der sich um ihre Kinder kümmert, geweckt hat, sagt genug über die Notwendigkeit aus, den Kampf auszuweiten, wirkliche Solidarität auszudrücken, dem Rest der Arbeiterklasse Vertrauen zu schenken. Dieser Streik ist einstweilen in der Isolation ertränkt worden, und die LehrerInnen sind an die Arbeit zurückgekehrt, ohne in Bezug auf den Vertrag auch nur irgendetwas erreicht zu haben. Doch wenn die LehrerInnen imstande sind, etwas in Bezug auf die Lehren, wie man effektiver kämpfen kann und wer unsere wirklichen Freunde und Feinde sind, erlangen, dann werden sie nicht verloren haben.
In den zwei Wochen vor der endgültigen Unterzeichnung des Kontrakts sollten die LehrerInnen zusammenkommen, um zu diskutieren und die Lehren aus diesem Kampf zu ziehen, und sich darauf vorbereiten, aus der Isolation, die von der Gewerkschaft durchgesetzt wurde, auszubrechen, indem sie zu anderen ArbeiterInnen gehen und offene Diskussionsforen abhalten, wo die Entscheidungen kollektiv getroffen werden und in den Händen der ArbeiterInnen selbst verbleiben.
Internationalism 10.9.2012