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Der vorangehende Artikel hat einen Blick auf die Bemühungen der revolutionären syndikalistischen Strömung geworfen, auch in Deutschland eine internationalistische Position gegen den Weltkrieg von 1914-18 zu verteidigen. Die Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften (FVDG) überlebte den Krieg mit nur einigen Hundert Mitgliedern in der Illegalität und war wie andere Revolutionäre durch die Bedingungen der brutalen Repression während des Krieges meist zum Schweigen verdammt. Ende 1918 überstürzten sich die Ereignisse in Deutschland. Der Funke der Russischen Revolution vom Oktober 1917 war mit dem Ausbruch der Kämpfe vom November 1918 endlich auch auf das Proletariat in Deutschland übergesprungen.
Die Reorganisierung der FVDG 1918
In der ersten Novemberwoche 1918 zwang der Aufstand der Matrosen in Kiel den deutschen Militarismus in die Knie. Am 11. November unterzeichnete Deutschland den Waffenstillstand. „Die kaiserliche Regierung wurde gestürzt, nicht mit parlamentarisch-gesetzlichen Mitteln, sondern mit Hilfe der direkten Aktion, nicht mit dem Stimmzettel, sondern durch Waffengewalt durch streikende Arbeiter und meuternde Soldaten. Ohne auf den Auftrag weiser Führer zu warten, bildeten sich spontan allerorten Arbeiter- und Soldatenräte, die sofort daran gingen, die alten Gewalten beiseite zu schieben. Alle Machte den Arbeiter- und Soldatenräten! Das wurde jetzt Parole.“[1]
Mit dem Ausbruch der revolutionären Welle begann für die syndikalistische Bewegung in Deutschland eine turbulente Epoche, mit einem rasanten Zulauf an Mitgliedern. Sie wuchs von den Tagen der Novemberrevolution 1918 bis Mitte 1919 auf ca. 60.000 Mitglieder an und zählte Ende 1919 über 111.000 Mitglieder. Die breite politische Radikalisierung der Arbeiterklasse gegen Ende des Krieges trieb viele Arbeiter, die sich von den großen sozialdemokratischen Gewerkschaften wegen deren offen chauvinistischen Politik gelöst hatten, in die Arme der syndikalistischen Bewegung. Sie war unbestreitbar ein Sammelbecken aufrechter und kämpferischer Arbeiter und gerade deshalb auch sehr heterogen.
Mit der Herausgabe der neuen Zeitschrift Der Syndikalist am 14. Dezember 1918 meldete sich die FVDG wieder zu Wort: „Unsere Presse wurde in den ersten Augusttagen verboten, führende Genossen in ‚Schutzhaft‘ gesteckt, den Vereinen und Agitatoren jede öffentliche Tätigkeit unmöglich gemacht. Und dennoch: die Kampfmittel des Syndikalismus werden heute in allen Ecken des Deutschen Reiches angewandt, instinktiv fühlt die Masse, dass die Zeit des Wünschens und Forderns vorbei, dass die Zeit des Nehmens begonnen hat.“[2] Am 26./27. Dezember organisierte Fritz Kater in Berlin eine Konferenz, auf der 43 Lokalgewerkschaften der FVDG anwesend waren und die ihre eigentliche Reorganisation nach der Illegalität in der Kriegszeit darstellte.
Den größten Mitgliederzulauf zur FVDG verzeichnete die Industrie- und Bergbauregion des Ruhrgebiets. Der Einfluss der Syndikalisten war besonders stark im Arbeiter- und Soldatenrat in Mühlheim und zwang die sozialdemokratischen Gewerkschaften am 13. Dezember 1918 zum Austritt aus dem Rat, weil dieser ihnen die Interessenvertretung der Arbeiter klar versagt hatte und sie stattdessen selbst in die Hand nahm. Ausgehend von den Zechen der Hamborner Region kam es von November 1918 bis Februar 1919 zu massiven Streiks der Bergarbeiter, die von der syndikalistischen Bewegung angeführt wurden.[3]
Arbeiterräte oder Gewerkschaften?
Schon die Frage des Krieges von 1914 hatte die syndikalistische Strömung vor eine historische Prüfung gestellt: eine internationalistische Haltung gegen den Krieg zu vertreten oder sich wie die große Mehrheit der Gewerkschaften hinter die Kriegsziele der herrschenden Klasse zu stellen. Sie bestand sie mit Bravour. Der Ausbruch der Revolution 1918 brachte nun die Herausforderung einer anderen Art mit sich: Wie soll sich die Arbeiterklasse organisieren, um die Bourgeoisie zu entmachten und zur Revolution zu schreiten?
Waren die Arbeiterräte nun eine Alternative zur alten gewerkschaftlichen Organisationsform, die damit obsolet wurde? Oder waren Räte und Gewerkschaften eine organische Einheit?
Die Jahre seit der Formierung ihrer Bewegung - ab 1892 zunächst als „Lokalisten“ und schließlich nach ihrer formellen Gründung 1901 als FVDG - waren nicht von direkten revolutionären Erhebungen geprägt. Die Frage, ob die gewerkschaftliche Form überholt war, hatte sich historisch noch nicht konkret gestellt. Die FVDG formte ihre Tradition vornehmlich aus Kämpfen um ökonomische Forderungen, aus denen auch die Gewerkschaftsbewegung als Ganzes historisch hervorgegangen war. Zwar hatten die ersten Massenstreiks in anderen Ländern in den 1890er Jahren der alten, permanent bestehenden gewerkschaftlichen Organisationsform, in embryonaler Form und auch nur sehr punktuell eine organisatorische Alternative entgegengehalten. Die Massenstreiks überschritten mit ihrer Spontaneität, ihrer rasanten Ausbreitung und der Aufnahme von politischen Forderungen die Schemata und den Charakter der von oben organisierten, streng ökonomischen Kampfweise der Gewerkschaften.
Doch im Gegensatz zu Russland, wo schon 1905 die ersten Arbeiterräte entstanden, blieb in Deutschland der Rätegedanke bis 1918 noch abstrakt, da die Situation dazu noch nicht reif war. Dies änderte sich im November 1918 schlagartig. Auch in Deutschland hatte das Proletariat nun Arbeiterräte hervorgebracht – als Ausdruck der revolutionären Situation, die mittlerweile auch in Deutschland eingetreten war.
Die FVDG verstand sich bezüglich ihrer Organisationsform während des kurzen, aber begeisternden „Rätewinters“ 1918/19 in Deutschland zweifellos als Gewerkschaft. Als Gewerkschaft, die in ihren Augen mit voller Berechtigung gerade in dieser Form wieder auf die Bühne tritt. Andererseits reagierte die FVDG mit offener Begeisterung auf das Novum der Arbeiterräte.
Das revolutionäre Herz der Mehrheit der FVDG-Mitglieder schlug für die Arbeiterräte, und so forderte Der Syndikalist Nr. 2 vom 21. Dezember 1918 klar und deutlich: „Alle Macht den revolutionären Arbeiter- und Soldatenräten!“. Der theoretische Verstand, zumindest in ihrer Presse, hinkte der proletarischen Intuition oft hinterher. Als wäre trotz des Auftauchens der Arbeiterräte nicht viel Neues auf dem Planeten geschehen, schrieb Der Syndikalist, Nr. 4, die FVDG sei die einzige Arbeiterorganisation, „deren Vertreter und Organe nicht umzulernen brauchten“ – ein Ausdruck, der den stolzen Geist der Reorganisierungs-Konferenz der FVDG vom Dezember 1918 zusammenfasste und in der syndikalistischen Strömung in Deutschland zum geflügelten Wort wurde. Es zeigte, dass sie sich als reine Gewerkschaft genügte. Doch für die Arbeiterbewegung war eine Zeit angebrochen, in der es sehr viel umzulernen galt, gerade bezüglich ihrer Organisationsformen.
Die FVDG neigte dazu, bei der Erklärung der beschämenden Politik der großen Gewerkschaften, den Krieg zu unterstützen und sich gegen die Arbeiterräte zu wenden, sich mit einer Erklärung zufrieden zu geben, die lediglich die halbe Wahrheit traf, die andere Hälfte aber ausblendete. Demnach sei allein die „sozialdemokratische Erziehung“ das Problem. Wohl wegen der eigenen internationalistischen Standhaftigkeit während der Kriegsjahre wurde die Frage übersehen, ob die gewerkschaftliche Form den Anforderungen des Kampfes gegen den Krieg und für die Revolution noch ausreicht.
Zweifellos waren die FVDG und ihre Nachfolgeorganisation FAUD (Freie Arbeiter Union Deutschlands) revolutionäre Organisationen mit gewerkschaftlicher Vergangenheit. Bestätigte aber gerade die „Ausnahme“ der FVDG nicht die Regel, wonach Gewerkschaften historisch ausgedient haben? Für die Mehrheit der Syndikalisten war der Stolz auf ihre Standhaftigkeit zwischen 1914-18 Grund genug, sich am alten gewerkschaftlichen Zopf festzuklammern. Sie schreckten davor zurück zu realisieren, dass gerade ihre Organisation von den Eigenschaften lebte, die auch die Arbeiterräte prägten: die Spontaneität, der Drang nach Ausdehnung und der revolutionäre Geist - was weit über die Tradition der Gewerkschaft hinausging.
In den Publikationen der FVDG aus dem Jahr 1919 sind kaum Ansätze erkennbar, den grundlegenden Widerspruch zwischen der gewerkschaftlichen Tradition und den Arbeiterräten als Instrumente der Revolution zu thematisieren. Im Gegenteil, sie betrachteten die „revolutionären Gewerkschaften“ als Basis der Rätebewegung. „Revolutionäre Gewerkschaften haben die Expropriateure zu expropriieren (…) Arbeiter- oder Betriebsräte müssen die sozialistische Leitung der Produktion übernehmen. Die Macht den Arbeiterräten, die Arbeitsmittel und die erzeugten Güter der Allgemeinheit. Das ist das Ziel der Arbeiterrevolution: Die revolutionäre Gewerkschaftsbewegung ist der Weg dahin.“[4]
Doch war die revolutionäre Rätebewegung in Deutschland tatsächlich durch die Gewerkschaftsbewegung entstanden? „Es waren Arbeiter, die sich zu ‚Fabrikkomitees‘ zusammengeschlossen hatten, die wirkten, wie die Fabrikkomitees der Petersburger Großbetriebe im Jahre 1905, ohne deren Tätigkeit gekannt zu haben. Der politische Kampf im Juli 1916 konnte nicht mit Hilfe der Parteien und Gewerkschaften geführt werden. Die Führer dieser Organisationen waren Gegner eines solchen Kampfes; sie haben auch nach dem Kampf dazu beigetragen, die Leiter dieses politischen Streiks der Militärbehörde ans Messer zu liefern. Diese ‚Fabrikkomitees‘, die Bezeichnung ist nicht ganz zutreffend, kann man als Vorboten der heutigen revolutionären Arbeiterräte in Deutschland bezeichnen. (…) Diese Kämpfe wurden nicht getragen und geführt von den bestehenden Partei- und Gewerkschaftsorganisationen. Hier zeigten sich die Ansätze einer dritten Organisation, die der Arbeiterräte.“[5] So beschreibt Richard Müller, Mitglied der Revolutionären Obleute den „Weg dahin“.
Mit ihrer Weigerung, die gewerkschaftliche Organisationsform zu hinterfragen, standen die Syndikalisten der FVDG nicht allein. Es war damals für die Arbeiterklasse noch nicht möglich, umfassend und in voller Klarheit alle Schlussfolgerungen, die die neu angebrochene „Periode der Kriege und Revolutionen“ beinhaltete, zu ziehen. Auch Richard Müller machte später, als die Arbeiterräte entmachtet waren, wieder einen Schritt zurück und schrieb: „Haben wir aber die Notwendigkeit des täglichen Kleinkampfes erkannt – und niemand kann das bestreiten – dann müssen wir auch die Notwendigkeit der Erhaltung derjenigen Organisationen anerkennen, die diesen Kampf zu führen hat, und das sind die Gewerkschaften. (…) Haben wir nun die Notwendigkeit der bestehenden Gewerkschaften erkannt (…) so müssen wir weiter prüfen, ob die Gewerkschaften innerhalb des Rätesystems einen Platz finden können. Diese Frage ist für Zeit des Aufbaues des Rätesystems unbedingt mit Ja zu beantworten.“[6]
Die sozialdemokratischen Gewerkschaften hatten gegenüber den breiten Arbeitermassen ihr Gesicht verloren und es wuchsen unterschwellig mehr und mehr Zweifel, ob solche Organisationen überhaupt noch die Interessen der Arbeiterklasse vertreten können. In der Logik der FVDG löste sich das Dilemma des historischen Niedergangs der alten gewerkschaftlichen Form in der Perspektive einer „revolutionären“ Gewerkschaft auf.
In der damals angebrochenen Epoche der Dekadenz des Kapitalismus und damit der Unmöglichkeit eines Kampfes um Reformen, in der der Staatskapitalismus permanente Massenorganisationen der Arbeiterklasse entweder in den Staat einbinden (wie generell mit den sozialdemokratischen Organisationen geschehen - aber auch mit syndikalistischen Gewerkschaften wie der CGT in Frankreich) oder zerschlagen muss (schlussendlich das Schicksal der syndikalistischen FAUD!), tauchte die Frage, ob die proletarische Revolution auch andere Organisationsformen erfordert, gerade erst auf. Mit der heutigen Erfahrung wissen wir, dass man neue Inhalte nicht in alte Formen wie Gewerkschaften gießen kann. Die Revolution ist nicht nur eine Sache des Inhalts, sondern auch der Form. Was der theoretische Kopf der FAUD Rudolf Rocker im Dezember 1919 sehr treffend als Herangehensweise gegen die falschen Visionen eines „revolutionären Staates“ formulierte - „Man komme uns nicht mit der Phrase vom revolutionären Staate. Der Staat ist immer reaktionär, und wer dies nicht begreift, hat die Tiefe des revolutionären Prinzips nicht erkannt. Jedes Instrument ist seiner Form nach dem Zweck angepasst, dem es dienen muss; dasselbe ist der Fall mit Institutionen. Die Zange des Hufschmied eignet sich nicht zum Zähne ziehen, mit der Zange des Zahnarztes kann man keine Hufeisen formen (…)“ [7] -, genau das hat die syndikalistische Bewegung leider verpasst, in der Frage der Organisationsform konsequent anzuwenden.
Gegen die Falle der „Betriebsräte“
Um den Geist des Rätesystems politisch zu kastrieren, begannen die Sozialdemokratie und ihre Gewerkschaften im Dienste der gesamten Bourgeoisie den Rätegedanken und das Prinzip der Autonomie der Arbeiterklasse geschickt von innen her auszuhöhlen. Dies war nur dadurch möglich geworden, dass die Arbeiterräte, die aus den Kämpfen des November 1918 entstanden waren, ihre Kraft und Dynamik mit dem ersten Rückfluten der Revolution verloren hatten. Der 1. Rätekongress vom 16.-20. Dezember 1918 hatte sich unter dem raffinierten Einfluss der SPD und aufgrund der noch vorhandenen Illusionen der Arbeiterklasse in die Demokratie selbst entmachtet, indem er Wahlen zu einer Nationalversammlung vorschlug.
Im Frühjahr 1919 wurde nach der Streikwelle an der Ruhr auf Initiative der SPD-Regierung die Installierung so genannter. „Betriebsräte“ in den Fabriken vorgeschlagen - de facto Vertretungen der Belegschaft, die nun dieselbe Funktion der Verhandlung und Kollaboration mit dem Kapital garantieren sollten, wie es traditionell der Rolle der Gewerkschaften entsprach. Unter Federführung der sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre Gustav Bauer und Alexander Schlicke wurde nur knapp ein Jahr später im Februar 1920 das Betriebsrätegesetz verbindlich in die bürgerliche Verfassung des deutschen Staates aufgenommen.
Der Arbeiterklasse sollte vorgegaukelt werden, ihr kämpferischer Rätegeist hätte in dieser Form der direkten Vertretung der Arbeiterinteressen seine Vollendung gefunden. „Die Betriebsräte sind zur Regelung aller das Arbeits- und Angestelltenverhältnis betreffenden Fragen heranzuziehen. Ihnen liegt es ob, den Fortgang und die Steigerung der Produktion im Betrieb zu sichern und für die Beseitigung aller eintretenden Hemmungen Sorge zu tragen (…) Die Bezirksräte regeln und überwachen gemeinsam mit den Direktionen die Arbeitsleistung im Bezirk, ebenso die Verteilung der Rohmaterialien.“[8] Nach der blutigen Repression gegen die Arbeiterklasse sollte die Integration in den demokratischen Staat die Gegenrevolution vollends besiegeln. Mit diesen Ausschüssen, die noch direkter als die Gewerkschaften vor Ort agieren, sollte die Zusammenarbeit mit dem Kapital komplettiert werden.
Die Presse der FVDG wandte sich im Frühjahr 1919 mutig und unmissverständlich gegen das Täuschungsmanöver durch die Betriebsräte: „Kapital und Staat lassen nur Arbeiterausschüsse zu, die jetzt Betriebsräte genannt werden. Der Betriebsrat hat nicht Arbeiterinteressen allein zu vertreten, sondern Betriebsinteressen. Und da die Betriebe Eigentum des Privat- oder Staatskapitals sind, müssen sich die Arbeiterinteressen den Interessen der Ausbeuter unterordnen. Daraus ergibt sich, dass der Betriebsrat für die Ausbeutung der Arbeiter eintreten und sie zum ruhigen Fortarbeiten als Lohnsklaven anhalten muss (…) Die syndikalistischen Kampfmittel sind mit den Aufgaben des Betriebsrates unverträglich.“[9]
Diese Haltung wurde in den Reihen der Syndikalisten weitgehend geteilt, weil einerseits die Betriebsräte unübersehbar ein verlängerter Arm der Sozialdemokratie waren und andererseits der Kampfgeist der syndikalistischen Bewegung in Deutschland noch ungebrochen war. Die Illusion, etwas erreicht zu haben und mit den Betriebsräten „einen greifbaren Schritt weiter“ gekommen zu sein, stieß 1919 noch auf wenig Gegenliebe bei den entschlossensten Teilen des Proletariats – die Arbeiterklasse war noch nicht geschlagen[10].
Es verwundert deshalb nicht, dass später, nach dem unübersehbaren Rückgang der revolutionären Bewegung ab 1921, die syndikalistische FAUD jahrelang von einer heftigen Debatte über die Beteiligung an den Betriebsrats-Wahlen beherrscht war. Eine Minderheit nahm die Haltung ein, es müsse nun durch die gesetzlich verankerten Betriebsräte eine „Verbindung mit den Arbeitermassen hergestellt werden, um in günstigen Situationen Massenkämpfe auszulösen“.[11] Als Organisation lehnte die FVDG die Fahrt aufs „tote Gleis der Betriebsräte (ab), um die revolutionäre Räteidee unschädlich zu machen“, wie es der Syndikalist August Beil formulierte. Zumindest bis zum November 1922, als der 14. Kongress die FAUD in der allgemeinen Hilflosigkeit nach der Niederlage der Revolution diese Haltung aufweichte und den Mitgliedern das Recht einräumte, an Betriebsratswahlen teilzunehmen. Nach dem Krieg 1945 war in den Überresten der syndikalistischen Strömung das Engagement für die Betriebsratswahlen in Deutschland fast ausnahmslos akzeptiert.
Die Dynamik der Revolution bringt Syndikalisten und Spartakusbund näher
Wie in Russland im Oktober 1917 hatte der Aufstand der Arbeiterklasse in Deutschland zunächst eine Dynamik des Zusammenschlusses der Arbeiterklasse erzeugt. Ein wichtiger, unter den Revolutionären allgemein anerkannter und internationalistischer Orientierungspunkt der syndikalistischen Bewegung in Deutschland war bis Ende 1919 zweifellos die Solidarität mit dem Kampf der Arbeiterklasse in Russland. Die Russische Revolution besaß 1918/19 angesichts des Ausbruchs revolutionärer Erhebungen in anderen Ländern noch eine Perspektive und war noch nicht der inneren Degeneration erlegen. Die FVDG verteidigte ihre Klassenbrüder in Russland gegen die Lügen der SPD und sozialdemokratischen Gewerkschaften, denen „kein Mittel zu schmutzig, keine Waffe zu gemein gewesen ist, um die russische Revolution zu verleumden, das Sowjetrussland mit seinen Arbeiter- und Soldatenräten zu verunglimpfen“[12]. Trotz vieler Vorbehalte gegenüber den Auffassungen der Bolschewiki - die nicht alle unbegründet waren – solidarisierten sich die Syndikalisten mit der Russischen Revolution. Sie nahmen nicht dieselbe Haltung ein wie später Teile der rätekommunistischen Strömung, die den Oktober 1917 als bürgerliche Revolution bezeichneten. Selbst Rudolf Rocker, ab Herbst 1919 prägender Kopf in der FVDG und vehementer Kritiker der Bolschewiki, rief ein Jahr nach der Novemberrevolution in seiner berühmten Rede über die Prinzipienerklärung der FAUD im Dezember 1919 zur Solidarität mit der Russischen Revolution auf: „Wir stehen einmütig auf der Seite Sowjetrusslands in seiner heldenmütigen Verteidigung gegen die Mächte der Alliierten und der Gegenrevolutionäre, nicht weil wir Bolschewisten sind, sondern weil wir Revolutionäre sind.“
Obwohl die Syndikalisten in Deutschland ihre traditionellen Vorbehalte gegenüber dem Marxismus hatten, da dieser vor allem die politische Macht erobern wolle, was sie auch im Spartakusbund zu erkennen glaubten, traten sie unmissverständlich für ein gemeinsames Vorgehen mit allen anderen revolutionären Organisationen ein: „Der Syndikalismus hält deshalb die Zweiteilung der Arbeiterbewegung für zwecklos, er will die Konzentration der Kräfte. Vorläufig aber empfehlen wir unseren Mitgliedern, allerorten mit den am weitesten linksstehenden Gruppen der Arbeiterbewegung: den Unabhängigen, dem Spartakusbund, in wirtschaftlichen und politischen Fragen gemeinsam zu handeln. Wir warnen aber vor einer Beteiligung am Wahlrummel zur Nationalversammlung.“[13]
Die Novemberrevolution 1918 war nicht das Machwerk einzelner politischer oder betrieblicher Organisation wie der Spartakisten oder der Revolutionären Obleute, auch wenn diese in den Novembertagen die klarste Haltung einnahmen und am aktivsten waren. Sie war eine Erhebung der gesamten Arbeiterklasse und drückte für eine kurze Zeit ihre potenzielle Klasseneinheit aus. Ausdruck davon war das verbreitete Phänomen der Doppelmitgliedschaft in der FVDG und im Spartakusbund. „In Wuppertal engagierten sich die Aktivisten der ‚Freien Vereinigung‘ zunächst in der KPD. Eine von der Polizei angefertigte Liste über Wuppertaler Kommunisten im April 1919 weist alle später führenden FAUD-Mitglieder auf (…)“[14] In Mühlheim gab der Arbeiterrat ab 1. Dezember 1918 die Zeitung Die Freiheit, Organ für die Interessen des gesamten werktätigen Volkes. Publikations-Organ der Arbeiter- und Soldatenräte heraus, die von Syndikalisten und Mitgliedern des Spartakusbundes gemeinsam redigiert wurde.
Anfang 1919 äußerte sich innerhalb der syndikalistischen Bewegung ein ausgeprägter Wunsch nach Vereinigung mit anderen Organisationen der Arbeiterklasse. „Noch sind sie sich ja nicht einig, noch sind sie gespalten, noch sind sie nicht alle recht denkende und ehrlich wollende Sozialisten, noch verbindet sie nicht einheitlich und untrennbar das proletarische Zauberband: Solidarität. Noch scheiden sie sich in Rechtssozialisten, Linkssozialisten, Spartakisten und sonst was. Mit dem groben Unfug der politischen Partikularei muss die Arbeiterklasse nun endlich aufräumen.“[15] Diese Haltung der offenen Arme spiegelte aber auch stark den Zustand der politischen Heterogenität und der Konfusionen in der rasant angewachsenen FVDG wider. Ihr innerer Zusammenhalt basierte weniger auf einer fundierten programmatischen Klärung oder einer formulierten Abgrenzung gegenüber anderen proletarischen Organisationen, sondern vielmehr auf dem Band der Arbeitersolidarität.
Seit der Repression gegen Liebknecht und Luxemburg während des Krieges war die Solidarität der Syndikalisten gerade gegenüber dem Spartakusbund angewachsen und lebte bis zum Herbst 1919 weiter. Sie gründete aber nicht auf einer gemeinsamen Geschichte mit den Spartakisten. Im Gegenteil, noch bis zur Zimmerwalder Konferenz 1915 hatte vielmehr das gegenseitige Misstrauen dominiert. Wesentlicher Grund für die Annäherung waren politische Klärungsprozesse, die die gesamte Arbeiterklasse und ihre revolutionären Organisationen in der Novemberrevolution erfassten: die Ablehnung der bürgerlichen Demokratie und des Parlamentarismus. Die syndikalistische Bewegung in Deutschland hatte den Parlamentarismus schon lange abgelehnt und betrachtete diese Position als ihre ureigene Tradition. Im Spartakusbund, der sich mit großer Klarheit gegen Illusionen in die Demokratie aussprach, sah die FVDG eine Organisation, die in Deutschland ihrem eigenen Weg am nächsten stand.
Rudolf Rocker jedoch, der im Dezember 1919 die politische Prägung der syndikalistischen Bewegung in Deutschland übernehmen sollte, waren von Beginn weg „die Aufforderungen an die Genossen im Lande, den linken Flügel der sozialistischen Bewegung, die Unabhängigen und die Spartakisten, zu unterstützen und das Eintreten des Blattes für eine ‚Proletarische Diktatur‘(…) nicht nach dem Herzen.“[16] Rocker, ein syndikalistischer Anarchist, der stark von den Ideen Kropotkins geprägt war, trat der FVDG im März 1919 bei, nachdem er aus der Kriegs-Internierungshaft in England zurückgekehrt war.
Trotz der unterschiedlichen Auffassungen zwischen Rocker und der in den ersten Monaten der Revolution 1918/19 die FVDG prägenden Tendenz um Fritz Kater, Carl Windhoff und Karl Roche über den Spartakusbund wäre es falsch, in dieser Zeit von Richtungskämpfen innerhalb der FVDG zu sprechen, so wie sie später, ab 1920, innerhalb der FAUD als Symptom der Niederlagen der Deutschen Revolution entbrannten. Es existierte keine bedeutende Tendenz bei den Syndikalisten, welche sich a priori von der KPD abgrenzen wollte. Vielmehr war die Suche nach einer Aktionseinheit mit den Spartakisten Ausdruck der Dynamik der vereinigenden Kämpfe der Arbeiterklasse und Produkt des „Drucks von der Basis“ beider Strömungen in jenen Wochen und Monaten, in denen die Revolution in greifbarer Nähe zu sein schien. Erst die schmerzliche Niederlage des überstürzten Januaraufstandes 1919 in Berlin mit der anschließenden Niederschlagung der Streikwelle im April im Ruhrgebiet, die von den Syndikalisten, der KPD und der USPD gemeinsam getragen wurde, und die daraufhin um sich greifende Enttäuschung führten zu gegenseitigen und emotionalen Schuldzuweisungen, denen es auf beiden Seiten an Reife mangelte.
Die „informelle Allianz“ mit den Spartakisten bzw. der KPD sollte also schon im Sommer 1919 wieder zerbrechen. Auslöser war weniger die FVDG, sondern vielmehr der aggressive Kurs, den die KPD gegen die Syndikalisten einzuschlagen begann.
Das „provisorische Programm“ der Syndikalisten vom Frühling 1919
Im Frühjahr 1919 veröffentlichte die FVDG eine von Roche entworfene Broschüre mit dem Titel Was wollen die Syndikalisten? Sie sollte bis zum Dezember 1919 als Programm und Orientierungspunkt ihrer Organisation dienen. Die syndikalistische Bewegung ist wegen der verschiedenen Ideen, die in ihren Reihen nebeneinander existierten, schwerlich an einem einzigen Text zu beurteilen. Dennoch ist dieses Programm vom Frühling 1919 ein Meilenstein und stellt in verschiedenen Punkten eine der reifsten Positionen der syndikalistischen Bewegung in Deutschland dar. Trotz der Traumata der eigenen Geschichte mit der Sozialdemokratie und der daraus resultierenden permanenten Dämonisierung der „Politik“[17] schlussfolgerte es: „Die Arbeiterklasse muss sich zum Herrn der Wirtschaft und der Politik machen“[18].
Die Stärke der Positionen, die dieses Programm der FVDG ab Frühjahr 1919 vertrat, liegt woanders: in ihrer Haltung gegenüber dem bürgerlichen Staat, der Demokratie und dem Parlamentarismus. Es bezog sich ausdrücklich auf Friedrich Engels‘ Beschreibung des Staates als Produkt der Spaltung der Gesellschaft in Klassen. Der Staat ist das „Produkt der Gesellschaft auf bestimmter Entwicklungsstufe“, das „Eingeständnis, dass diese Gesellschaft sich in einen unlösbaren Widerspruch mit sich selbst verwickelt, sich in unversöhnlichen Gegensätzen gespalten hat (…)“, und daher nicht „eine der Gesellschaft von Außen aufgezwungene Macht“ oder ein rein willkürlich geschaffenes Instrument der herrschenden Klasse.[19] Die FVDG rief konsequent zur Zerschlagung des bürgerlichen Staates auf.
Die FVDG legte mit dieser Haltung in einer Zeit, in der die Sozialdemokratie unbestreitbar die hinterlistigste Waffe der Konterrevolution war, den Finger auf die richtigen Wunden. Gegen die Schmierenkomödie der SPD im Zusammenhang mit der Unterwerfung der Arbeiterräte und deren Eingliederung in die bürgerliche Nationalversammlung mahnte ihr Programm: „Der sozialdemokratische ‚Sozialismus‘ allerdings braucht einen Staat. Und dazu einen, der noch ganz andere Mittel gegen die Arbeiterklasse anwenden müsste als der kapitalistische (…). Er wird die Frucht einer halben proletarischen Revolution sein und das Opfer einer ganzen proletarischen Revolution werden. Weil wir den Charakter des Staates erkannt haben und wissen, dass die politische Herrschaft der besitzenden Klassen in ihrer ökonomischen Macht wurzelt, so ringen wir nicht um die Eroberung des Staates, sondern um seine Beseitigung.“
Karl Roche versuchte im Programm der FVDG auch grundlegende Lehren aus den Ereignissen der November- und Dezembertage 1918 zu formulieren, die weit über die den Syndikalisten fälschlich unterstellte rebellische oder individualistisch motivierte Ablehnung des Staates hinausgingen und die klar das System der bürgerlichen Demokratie in seinem Kern entlarvten. „Demokratie ist nicht Gleichheit, sondern demagogische Anwendung einer vorgespiegelten Gleichheit (…) Die Besitzenden haben, soweit sie gegen die Arbeiter zusammengehen müssen, immer gleiche Interessen (…) Die Arbeiter haben nur gleiche Interessen mit sich selbst, keine mit der Bourgeoisie. Da wird Demokratie Generalunsinn. (…) Demokratie ist eines der gefährlichen Schlagworte im Munde der Demagogie, die mit der Indolenz und Unwissenheit der Lohnarbeiterschaft rechnen. (…) Die modernen Demokratien in der Schweiz, in Frankreich, in Amerika sind demokratisch-kapitalistische Heuchelei in der widerlichsten Form.“ Diese klaren Worte zur Falle der Demokratie sind heute aktueller denn je.
Man könnte sich an dieser Stelle dazu hinreißen lassen, mit den Erkenntnissen von heute auf die vielen Mängel im Programm der FVDG aus dem Frühjahr 1919 hinzuweisen oder sich kritisch auf die darin vertretenen und sicher klassisch syndikalistischen Ideen des „vollkommenen Selbstbestimmungsrechts“ und auf ihren Föderalismus zu stürzen. Doch der Text erschien just zu der Zeit, als die KPD nach einer Reihe von Niederlagen der Arbeiterklasse in Deutschland ab Mitte 1919 ihre einst klare Haltung gegen den Parlamentarismus und gegen eine Mitarbeit in den sozialdemokratischen Gewerkschaften zu ändern begann mit dem taktischen Argument, dass ansonsten die Gefahr drohe, „sich von den Massen zu isolieren“, und politisch damit eine dramatische Regression hinter ihre Gründungpositionen vom Januar 1919 erlebte.
Das von Roche verfasste Programm blieb in der Ablehnung des Parlamentarismus standhaft. „Es gilt vom Parlamentarismus, was bei der Sozialdemokratie gilt: will die Arbeiterklasse den Sozialismus erkämpfen, dann muss sie die Bourgeoisie als Klasse beseitigen. Sie darf ihr dann nicht ein Herrschaftsrecht einräumen, darf nicht mit ihr zusammen wählen und mit ihr verhandeln. Arbeiterräte sind die Parlamente der Arbeiterklasse (…) Nicht bürgerliche Parlamente, sondern proletarische Diktatur werden den Sozialismus durchführen.“
Einige Monate später, im Dezember 1919, sollte die Prinzipienerklärung der FAUD andere Schwerpunkte legen. Karl Roche, der die FVDG in der ersten Zeit nach dem Krieg programmatisch entscheidend geprägt hatte, trat im Dezember 1919 zum Unionismus der AAU über.
Der Bruch mit der KPD
In den Tagen der Novemberrevolution lassen sich zwischen den Revolutionären der syndikalistischen FVDG und des Spartakusbundes viele Gemeinsamkeiten feststellen: der Bezug auf die Erhebung der Arbeiterklasse in Russland 1917, die Forderung: „Alle Macht den Arbeiterräten“, die Ablehnung der Demokratie und des Parlamentarismus sowie eine klare Haltung gegenüber der Sozialdemokratie und ihren Gewerkschaften. Wie kam es im Sommer 1919 zwischen diesen beiden Strömungen, die zuvor so viel geteilt hatten, zum Bruch?
Es gibt verschiedene Faktoren, an denen eine Revolution scheitern kann, wie zum Beispiel die Schwäche der Arbeiterklasse und ihre Illusionen oder die Isolierung einer Revolution. 1918/19 war es aber vor allem die Erfahrung der deutschen Bourgeoisie, der es mittels der Sozialdemokratie gelang, die Bewegung zu sabotieren, demokratische Illusionen zu schüren, ihre klarsten Revolutionäre und Tausende engagierter Proletarier zu ermorden und die Arbeiterklasse in die Falle isolierter und vorzeitiger Aufstände wie im Januar 1919 zu locken.
Die Polemiken zwischen der KPD und den Syndikalisten nach der Niederschlagung der Aprilstreiks 1919 im Ruhrgebiet zeigen den beiderseitigen Versuch, das Scheitern der Revolution bei den Anderen zu suchen. Roche hatte sich schon im April, in seinem Schlusswort zum Programm der FVDG, zu der Warnung hinreißen lassen, dass „(…) nicht Spartakisten die Arbeiterklasse zerklüften dürfen“, und sie dabei – völlig konfus - in einen Topf mit den „Rechtssozialisten“ geworfen. Ab dem Sommer 1919 wurde es in der FVDG üblich, von „den drei sozialdemokratischen Parteien“ zu sprechen, womit SPD, USPD und KPD gemeint waren – eine polemische Attacke, die die Frustration über die Niederlagen der Klassenkämpfe ausdrückte und keinen Unterschied mehr zwischen konterrevolutionären und proletarischen Organisationen machte.
Die KPD veröffentlichte im August ein Pamphlet über die Syndikalisten, das ebenso unglücklich argumentierte. Sie sah die Präsenz von Syndikalisten in ihren Reihen nun als Gefahr für die Revolution: „Die eingefleischten Syndikalisten müssen endlich einsehen, dass sie die grundlegenden Dinge nicht mit uns gemeinsam haben. Wir dürfen es uns nicht mehr gefallen lassen, dass unsere Partei den Tummelplatz für Leute abgibt, die dort alle möglichen der Partei fremden Ideen propagieren.[20]
Die Kritik der KPD an den Syndikalisten zielte auf drei Punkte ab: die Auffassungen über den Staat und die Wirtschaftsorganisation nach der Revolution, die Taktik und die Organisationsform – also die klassischen Debatten mit der syndikalistischen Strömung. Auch wenn die KPD mit ihrer Schlussfolgerung richtig lag („In der Revolution geht die Bedeutung der Gewerkschaften für den Klassenkampf immer mehr zurück. Die Arbeiterräte und die politischen Parteien werden zu den ausschließlichen Trägern und Leitern der Kämpfe“), so deckte die Polemik gegen die Syndikalisten vor allem die Schwächen der KPD unter der Führung von Levi auf: die Fixierung auf die Eroberung des Staates: „Wir meinen, dass wir den Staat nach der Revolution unbedingt gebrauchen werden. Die Revolution bedeutet zunächst gerade die Machtergreifung im Staate“; der Irrglaube, dass der Zwang innerhalb der Arbeiterklasse die Revolution vollenden könne: „Sagen wir mit der Bibel und mit dem Russen: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Wer nicht arbeitet, soll nur bekommen, was die Fleißigen entbehren können.“; das Liebäugeln mit der Wiederaufnahme der parlamentarischen Tätigkeit: „Unsere Einstellung zum Parlamentarismus zeigt, dass für uns die taktische Frage ganz anders gestellt ist als für die Syndikalisten (…) Sowie das ganze Leben des Volkes etwas Lebendiges, etwas Wechselndes ist, ein Prozess, der beständig neue Formen annimmt, so muss auch unsere ganze Taktik sich ständig den neuen Bedingungen anpassen.“; und schließlich die Tendenz, die permanente innerorganisatorische Debatte gerade über politische Grundsatzfragen nicht als etwas Positives zu betrachten: „Dagegen müssen wir Maßregeln ergreifen, gegen die Personen, die uns das Parteileben planmäßig schwer machen. Die Partei ist eine geschlossene Kampfgemeinschaft und kein Diskutierklub. Wir können uns nicht ständig über die Organisationsformen und dergleichen auseinandersetzen.“
Die KPD versuchte so jene Syndikalisten, die auch KPD-Mitglieder waren, loszuwerden. Im Juni 1919 hatte sie in ihrem Aufruf An die Syndikalisten in der KPD! diese zwar als „von ehrlich revolutionärem Streben erfüllt“ dargestellt. Jedoch bezeichnete die KPD den Kampfgeist der Syndikalisten als tendenziell putschistische Gefahr und stellte ihnen das Ultimatum, sich in einer straff zentralisierten Partei zu organisieren, andernfalls: „Die Kommunistische Partei Deutschlands kann Mitglieder, die mit ihrer Propaganda durch Wort, Schrift und Aktion gegen diese Grundsätze verstoßen, nicht in ihren Reihen dulden. Sie ist gezwungen, sie auszuschließen.“ Angesichts der beginnenden Unklarheiten und der Verwässerung der Positionen des Gründungskongresses der KPD war dieses sektiererische Ultimatum gegen die Syndikalisten Ausdruck der Hilflosigkeit angesichts des Rückflusses der revolutionären Welle auch in Deutschland. Es beraubte die KPD des lebendigen Kontakts mit den kämpferischen Teilen des Proletariates. Der Schlagabtausch zwischen der KPD und den Syndikalisten im Sommer 1919 zeigt auch auf, dass eine Stimmung der Niederlage bei gleichzeitiger Neigung zu größtem Aktionismus eine ungünstige Kombination für die politische Klärung darstellt.
Ein kurzer gemeinsamer Weg mit den Unionen
Die Stimmung im Sommer 1919 war in Deutschland einerseits von großer Ernüchterung angesichts der Niederlagen, andererseits von einer Radikalisierung in Teilen der Arbeiterklasse gekennzeichnet. Es kam zu massenhaften Austritten aus den sozialdemokratischen Gewerkschaften und einem Massenzulauf zur FVDG, deren Mitgliederzahl sich verdoppelte. Unter dem Einfluss linksradikaler Tendenzen innerhalb der Hamburger KPD und unterstützt durch die aktive Agitation der amerikanischen International Workers of the World (IWW) mit den ihr nahestehenden Kreisen um Karl Dannenberg aus Braunschweig, entstand im Ruhrgebiet die Allgemeine Arbeiter Union Essen und die Allgemeine Bergarbeiter Union.
Neben den Syndikalisten begann sich also, ebenfalls mit großer Resonanz, eine zweite Strömung gegen die traditionellen Gewerkschaften zu entwickeln. Im Gegensatz zur syndikalistischen FVDG versuchten die Unionen das Prinzip der gewerkschaftlichen Berufsorganisationen hinter sich zu lassen und die Arbeiterklasse ganzer Betriebe in „Kampforganisationen“ zusammenzufassen. Ihrer Ansicht nach waren es nun die Betriebe, nicht mehr die Berufe, die der Arbeiterklasse gesellschaftliche Macht verleihen - wenn sie sich entsprechend organisiert. Damit suchten die Unionen eine größere Einheit; sie betrachteten die Gewerkschaften als historisch veraltete Form der Arbeiterorganisation. Man kann sagen, dass die Unionen in gewisser Weise eine Antwort der Arbeiterklasse auf die Frage nach einer neuen Organisationsform waren – genau jener Frage, der die syndikalistische Strömung in Deutschland – bis heute[21] - auszuweichen versucht.
Was die Unionen, die selbst keine Räte, keine Gewerkschaften, aber auch keine Parteien darstellten, tatsächlich für einen Charakter hatten, kann hier nicht befriedigend beantwortet werden. Dazu ist ein spezifischer Text notwendig.
Es ist oft schwierig, die syndikalistische und unionistische Strömung in dieser ersten Phase genau auseinanderzuhalten. In beiden Strömungen existierten Vorbehalte gegenüber den politischen Parteien, auch wenn die Unionen der KPD im Jahr 1919 noch viel näher standen. Beide Strömungen waren der direkte Ausdruck der kämpferischsten Teile der Arbeiterklasse in Deutschland, richteten sich gegen die Sozialdemokratie und propagierten zumindest bis Ende 1919 gemeinsam das Rätesystem.
In einer ersten Phase bis zum Winter 1919/20 gliederte sich die unionistische Strömung im Ruhrgebiet auf einer sog. Verschmelzungs-Konferenz, die am 15./16. September 1919 in Düsseldorf stattfand, in den Rahmen der stärkeren syndikalistischen Bewegung ein. Die Unionisten nahmen auch an der Gründung der Freien Arbeiter Union (FAU) für Rheinland-Westfahlen teil. Diese Konferenz war ein erster Schritt zur Gründung der FAUD, die drei Monate später stattfand. Die FAU Rheinland-Westfahlen drückte inhaltlich einen Kompromiss zwischen dem Syndikalismus und Unionismus aus. Die verabschiedeten Richtlinien sprachen davon, dass „der wirtschaftliche und politische Kampf mit Erfolg und Nachdruck von den Arbeitern geführt werden soll.“ Und: „Als wirtschaftliche Organisation duldet die Freie Arbeiter Union keinerlei Parteipolitik in ihren Versammlungen, stellt es aber jedem Mitglied frei, sich den linksstehenden Parteien anzuschließen und dort zu betätigen, sofern der einzelne dies als notwendig betrachtet.“[22] Noch vor der Gründung der FAUD im Dezember schieden die Allgemeine Arbeiter Union Essen und die Allgemeine Bergarbeiter Union zu großen Teilen wieder aus der Allianz mit den Syndikalisten aus.
Die Gründung der FAUD und ihre Prinzipienerklärung
Das rapide numerische Anwachsen der FVDG im Verlaufe des Sommer/Herbstes 1919 und die Ausbreitung der syndikalistischen Bewegung in Thüringen, Sachsen, Schlesien, Süddeutschland sowie an der Nord- und Ostseeküste verlangte nach einer nationalen Zusammenfassung der Bewegung. Der 12. Kongress der FVDG am 27.-30. Dezember in Berlin wurde zum Gründungskongress der FAUD, an dem 109 Delegierte teilnahmen.
Dieser Kongress wird oft als „Wende“ des deutschen Syndikalismus zum Anarcho-Syndikalismus oder als Beginn der Ära von Rudolf Rocker beschrieben – eine Etikettierung, die vor allem von kategorischen Gegnern des Syndikalismus als „Schritt ins Negative“ bezeichnet wird. Meist wird die Gründung der FAUD plakativ als die Zelebrierung des Föderalismus, als Abschied von der Politik, Ablehnung der Diktatur des Proletariats und Hinwendung zum Pazifismus bezeichnet. Diese Einschätzung wird der FAUD vom Dezember 1919 aber nicht gerecht. „Deutschland ist das Dorado der politischen Schlagworte. Man spricht ein Wort aus, berauscht sich an dem Klang, ohne sich über den Sinn desselben Rechenschaft zu geben“, kommentierte Rocker (den wir auch im Folgenden zitieren) in seiner Rede zur Prinzipienerklärung diese Vorwürfe gegen die Syndikalisten.
Ohne Zweifel waren die Ideen des auch im Krieg internationalistischen Anarchisten Rocker, der die neue Prinzipienerklärung verfasste, innerhalb der FAUD allein durch seine physische Präsenz spürbar. Aber die Gründung der FAUD spiegelte zuallererst die Popularität der syndikalistischen Ideen innerhalb der Arbeiterklasse in Deutschland wider und war Zeichen einer deutlichen Auslotung der Positionen gegenüber der KPD und dem entstehenden Unionismus. Die starken Positionen, die die FVDG schon seit Kriegsende innerhalb der Arbeiterklasse verbreitet hatte - die ausdrückliche Solidarität mit der Russischen Revolution, die explizite Ablehnung jeder Form von parlamentarischer Betätigung und der bürgerlichen Demokratie und die Zurückweisung aller „willkürlich gezogenen politischen und nationalen Grenzen“ - wurden in der Prinzipienerklärung vom Dezember 1919 erneut bestätigt. Die FAUD befand sich damit auf dem Boden revolutionärer Positionen.
Im Vergleich zum Programm der FVDG vom Frühjahr 1919 äußerte sich der Kongress aber kritischer und distanzierter zur Perspektive der Arbeiterräte. Die Anzeichen der Entmachtung der Arbeiterräte in Russland war für den Kongress ein Zeichen der latenten Gefahr „politischer Parteien“ und ein Beweis dafür, dass die gewerkschaftliche Organisationsform resistenter sei und den Rätegedanken am besten zum Ausdruck bringe[23]. Die Entmachtung der Arbeiterräte in Russland war zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Realität und die Bolschewiki trugen tragischerweise dazu bei. Was die FAUD aber in ihrer Analyse übersah, war schlicht die internationale Isolierung der Russischen Revolution, die unweigerlich zur Ausblutung der Arbeiterklasse führen musste.
„Man bekämpft uns Syndikalisten hauptsächlich deshalb, weil wir ausgesprochene Föderalisten sind. Föderalismus, sagt man uns, sind die Zersplitterer der Arbeiterbewegungen“, so Rocker. Die Aversion der FAUD gegen den Zentralismus und ihr Bekenntnis zum Föderalismus gründeten nicht auf einer Vision der Zersplitterung des Klassenkampfes. Die Realität und das Leben der syndikalistischen Bewegung nach dem Krieg hatte genug Drang nach Koordination und Einheit des Kampfes bewiesen. Die übertriebene Zurückweisung der Zentralisierung hatte ihre Wurzeln im Trauma der Kapitulation der Sozialdemokratie: „Die Zentrale von oben hat befohlen, die Massen gehorchten. Dann kam der Krieg, Partei und Gewerkschaften standen vor vollendeten Tatsachen: Wir müssen den Krieg unterstützen, um das Vaterland zu retten. Nun wurde die Verteidigung des Vaterlandes zur sozialistischen Pflicht, und dieselben Massen, die eine Woche vorher gegen den Krieg protestiert hatten, waren nun für den Krieg, aber auf Befehl ihrer Zentrale. Das zeigt Ihnen die moralischen Folgen des Zentralisationssystems. Zentralisation heißt: das Herausschneiden des Gewissens aus dem Hirn des Menschen, nichts anderes. Es heißt das Gefühl der Selbständigkeit töten.“ Für viele Genossen der FAUD war der Zentralismus in seinem Kern eine von der Bourgeoisie übernommene Methode der „Organisation der Gesellschaft von oben nach unten, um die Interessen der herrschenden Klasse aufrecht zu erhalten“. Wir sind mit der FAUD von 1919 absolut einverstanden, dass eine proletarische Revolution allein vom politischen Leben und der Initiative der Arbeiterklasse getragen wird. Der Kampf der Arbeiterklasse muss gemeinsam geführt werden und bringt immer wieder selbst und spontan eine Dynamik des Zusammengehens hervor, und durch die Ernennung von jederzeit abwählbaren Delegierten eine Zentralisierung. Das „Dorado der politischen Schlagworte“ hatte die Mehrheit der Syndikalisten der FAUD im Dezember 1919 dazu verführt, sich selbst immer wieder das Schlagwort des Föderalismus aufzusetzen, eine Etikette, die nicht wirklich den in ihren Reihen existierenden Drang nach der Gründung der FAUD als eine ihren Kampf zusammenführende Organisation repräsentierte.
Hat der Gründungskongress der FAUD tatsächlich Abschied von der Idee der „Diktatur des Proletariats“ genommen? „Wenn unter der Diktatur des Proletariats nichts anderes verstanden wird als Ergreifung der Staatsmaschine durch eine Partei, wenn man darunter nur die Etablierung eines neuen Staates versteht, dann sind die Syndikalisten geschworene Gegner einer solchen Diktatur. Wenn aber darunter verstanden werden soll, dass das Proletariat den besitzenden Klassen diktieren will, ihre Privilegien aufzugeben, also nicht mehr Diktatur von oben nach unten, sondern Auswirkung der Revolution von unten nach oben, dann sind die Syndikalisten Anhänger und Vertreter der Diktatur des Proletariats.“[24] Absolut richtig! Die kritischen Gedanken über die Diktatur des Proletariates, die zur damaligen Zeit mit der dramatischen Situation in Russland gleichgesetzt wurde, waren eine allzu berechtigte Reflexion angesichts der drohenden Gefahr der inneren Degeneration der Russischen Revolution. Im Dezember 1919 war eine Bilanz der Russischen Revolution noch nicht möglich. Dennoch deuteten Rockers Ausführungen die schon spürbaren Widersprüche an und waren der Beginn einer jahrelangen Debatte in der Arbeiterbewegung über die Gründe des Scheiterns der weltrevolutionären Welle nach dem Krieg. Diese Zweifel tauchten nicht zufällig in einer Organisation wie der FAUD auf, die mit dem Leben der Arbeiterklasse stehen und fallen sollte.
Auch die gängige Einstufung des FAUD-Gründungskongresses als „Schritt in den Pazifismus“, der die Entschlossenheit der Arbeiterklasse untergrabe, entspricht nicht der Wirklichkeit. Ähnlich wie die Diskussion um die Diktatur des Proletariats war die Debatte über die Gewalt im Klassenkampf vielmehr Signal eines realen Problems, mit dem die Arbeiterklasse international konfrontiert war. Mit welchen Mitteln gelingt es, die stockende revolutionäre Welle am Leben zu erhalten und die Isolierung der Arbeiterklasse in Russland zu durchbrechen? Es war für die Arbeiter in Russland, aber auch in Deutschland unumgänglich, sich mit der Waffe in der Hand gegen die gewaltsamen Angriffe der herrschenden Klasse zu verteidigen. Doch eine Ausbreitung der Revolution mit militärischen Mitteln oder gar ein „revolutionärer Krieg“ waren unmöglich, wenn nicht absurd. Gerade in Deutschland versuchte die Bourgeoisie, das Proletariat mit Hinterlist und permanent militärisch zu provozieren. „Das Wesentliche der Revolution besteht nicht in der Gewaltanwendung, sondern in der Umwälzung der wirtschaftlichen und politischen Einrichtungen. Die Gewalt an und für sich ist durchaus nicht revolutionär, sondern reaktionär in höchstem Grade (…) Revolutionen sind Folgen einer großen geistigen Umwälzung in den Anschauungen der Menschen; sie können nicht willkürlich durch Waffengewalt gemacht werden (…) Aber auch ich erkenne die Gewalt als Verteidigungsmittel, wenn die Verhältnisse selber uns jedes andere Mittel versagen“, argumentierte Rocker gegen Krohn, einen Anhänger der KPD. Die tragischen Ereignisse von Kronstadt 1921 haben bestätigt, dass eine kritische Haltung gegenüber den falschen Hoffnungen, dass Waffen die Revolution retten könnten, nichts mit Pazifismus zu tun hat. Auch nach ihrem Gründungskongress hatte die FAUD keine pazifistische Haltung eingenommen. Ein Großteil der Roten Ruhr-Armee, die sich gegen den Kapp-Putsch im Frühling 1920 zur Wehr setzte, wurde von syndikalistischen Arbeitern gestellt.
Wir haben in diesem Artikel neben kritischen Anmerkungen bewusst auch die Stärken der syndikalistischen Positionen in Deutschland in der Zeit von 1918/19 hervorgehoben. In einem nächsten Beitrag werden wir die Jahre nach 1920 bis zur Machtergreifung Hitlers 1933 und der Zerschlagung der FAUD betrachten.
Mario 16.6.2012
[1] Der Syndikalist Nr. 1: „Was wollen die Syndikalisten? Der Syndikalismus lebt!“ 14. Dezember.1918
[2] ebenda
[3] Siehe dazu: Ulrich Klan, Dieter Nelles, Es lebt noch eine Flamme, Trotzdem Verlag
[4] Karl Roche in Der Syndikalist Nr. 13, „Syndikalismus und Revolution“, 29. März 1919
[5] Richard Müller, 1918: Räte in Deutschland, S. 3
[6] Richard Müller, Hie Gewerkschaft, hie Betriebsorganisation! 1919
[7] Rede Rockers zur Erläuterung der Prinzipienerklärung der FAUD.
[8] Protokoll der Ersten Generalversammlung des Deutschen Eisenbahnerverbandes in Jena vom 25. bis 31. Mai 1919, Seite 244 f.
[9] Der Syndikalist Nr. 36, 1919, „Betriebsräte und Syndikalismus“
[10] Weit größer als die Illusionen über Betriebsräte als „Verhandlungspartner“ mit dem Kapital, waren - auch in den Reihen der Syndikalisten insbesondere in Essen im Ruhrgebiet – die Illusionen über die Möglichkeit sofortiger „Sozialisierungen“ resp. Verstaatlichungen der Betriebe und Zechen. Eine Schwäche innerhalb der gesamten Arbeiterklasse in Deutschland, die vor allem eine Ungeduld ausdrückte. Die Ebert-Regierung bildete dazu schon am 4. Dezember 1918 eine reichsweite Sozialisierungskommission, der neben Vertretern des Kapitals renommierte Sozialdemokraten wie Kautsky und Hilferding angehörten. Dies mit dem erklärten Ziel, durch Verstaatlichungen die Produktion aufrechtzuerhalten.
[11] Siehe v.a. die Debatte auf dem 15. Kongress der FAUD 1925
[12] Der Syndikalist Nr. 2, „Verschandelung der Revolution“, 21. Dezember 1918
[13] Der Syndikalist Nr. 1: „Was wollen die Syndikalisten? Der Syndikalismus lebt!“ 14. Dezember.1918
[14] Ulrich Klan, Dieter Nelles, Es lebt noch eine Flamme, Trotzdem Verlag, S. 70
[15] Karl Roche in Der Syndikalist Nr. 13, „Syndikalismus und Revolution“, 29. März 1919
[16] Rudolf Rocker, Aus den Memoiren eines deutschen Anarchisten, Suhrkamp, S. 287
[17] Als existiere niemals die Möglichkeit revolutionärer Parteien der Arbeiterklasse, schrieb Roche: „Parteipolitik ist die bürgerliche Methode, den Schacher um das den Arbeitern gestohlene Arbeitsprodukt zu betreiben (…) Politische Parteien und bürgerliche Parlamente hängen ineinander, sind beide dem proletarischen Klassenkampf hindernd und wirken verwirrend“. Und wie verhielt es sich mit dem Kampfgefährten Spartakus, der eine politische Partei war?
[18] Was wollen die Syndikalisten? Programm, Ziele und Wege der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften“, März 1919
[19] Diese Analyse vertritt grundsätzlich die Ansicht, dass es keinen „proletarischen Staat“ nach der Revolution geben kann, da der Staat immer Ausdruck einer noch bestehenden Teilung der Gesellschaft in Klassen ist und einen konservativen Charakter einnimmt.
[20] Syndikalismus und Kommunismus, F. Brandt, KPD-Spartakusbund, August 1919
[21] In der Realität spielen viele Sektionen der FAU in Deutschland, wie sie heute existieren, seit Jahrzehnten vielmehr die Rolle politischer Gruppen als Gewerkschaften, welche sich zu vielen politischen Fragen äußern und sich keineswegs auf den „wirtschaftlichen Kampf“ beschränken – was wir, abgesehen davon, ob wir gleicher Meinung sind oder nicht, nur positiv finden.
[22] Der Syndikalist, Nr. 42, 1919
[23] Trotz des Misstrauens gegen die existierenden politischen Parteien stellte Rocker klar, dass „der Kampf nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein politischer sein müsse. Dasselbe sagen wir auch. Wir verwerfen nur die parlamentarische Betätigung, keineswegs aber den politischen Kampf im allgemeinen (…) Auch der Generalstreik ist ein politisches Mittel und desgleichen die antimilitaristische Propaganda der Syndikalisten usw.“ Eine theoretische Ablehnung des politischen Kampfes dominierte die FAUD zu diesem Zeitpunkt nicht, obwohl ihre Organisationsform klar auf den wirtschaftlichen Kampf zugeschnitten war.
[24] Rocker in Der Syndikalist, Nr. 2, 1920