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In den vergangenen drei Monaten waren 80.000 Bergarbeiter in Südafrika in einer Welle von wilden Streiks in den Gold-, Platinum- und Kohlebergwerken beteiligt gewesen. Wir haben in der Weltrevolution Nr. 175 bereits über das Massaker an 34 Bergarbeitern in Marikana berichtet („Massaker in Südafrika: Die Herrschenden hetzen ihre Bluthunde auf die Arbeiter“). Wir wiesen darauf hin, wie Gewerkschaften und Regierung zusammen gegen die Arbeiterklasse agierten. Damals war noch nicht klar, in welche Richtung sich die Ereignisse entwickeln würden. Seither haben wir die größte Streikwelle seit der Machtergreifung durch den ANC 1994 erlebt.
Südafrika wird gerne als das „wirtschaftliche Kraftzentrum“ Afrikas dargestellt, das den Kontinent bei der Industrieproduktion und der Produktion von Mineralien anführt. Und dennoch, wenn man die Bedingungen betrachtet, unter denen die Mehrheit der Menschen lebt, mit einer – offiziell – 25%igen Arbeitslosigkeit und einer Kinderarmutsquote von über 50 Prozent, und dies in einer Gesellschaft, die allgemein als eine der ungleichsten in der Welt geschildert wird, so ist es nicht weiter verwunderlich, dass die ArbeiterInnen sich zur Wehr setzen. Hinter allen „Wirtschaftswundern“ stecken wachsende Verarmung und widerstreitende Klasseninteressen. Die Kämpfe in Südafrika zeigen, dass dieses Land keine Ausnahme darstellt.
Die Fortsetzung des Kampfes
Die Bergarbeiter von Marikana setzten ihren Streik noch weitere sechs Wochen fort, bis ein Vertrag unterschrieben wurde. Dabei wurde ein Schlaglicht auf die Bedingungen der ArbeiterInnen in Südafrika geworfen, auf die Armut und Entbehrungen in den Townships, auf das Elend in den Bergarbeiterlagern und vor allem auf die Lüge, dass die ANC-Regierung etwas anderes repräsentiert als eine kapitalistische Regierung; so wie das frühere Apartheid-Regime ist sie jederzeit bereit, streikende Bergarbeiter niederzuschießen.
Der Tarifabschluss der Bergarbeiter beinhaltete 11-22%ige Lohnerhöhungen und einen einmaligen Zuschlag in Höhe von 2.000 Rand (rund 180 Euro). Mineure (die meist gefährdeten Maschinisten im Bergbau) erhielten den größten Lohnzuwachs.
Ein Streik bei der Anglo American Platinum (Amplats), dem größten Platin-Produzenten der Welt, der nun schon sieben Wochen andauert, führte bereits zur Schließung von fünf Minen bei Rustenburg. Einmal feuerte die Firma 12.500 Arbeiter auf einen Schlag – 40 Prozent ihrer Arbeitskräfte. Bei Unruhen sind neun Menschen umgekommen. Es gab eine Reihe von Zusammenstößen zwischen Arbeitern und der Polizei – bei mindestens einer Gelegenheit setzte die Polizei Tränengas, Blendgranaten, Gummigeschosse und scharfe Waffen ein. Wie die südafrikanische Mail and Guardian am 2. November meldete: „Der Streik hat bisher mehr als drei Dutzend Verhaftungen und nicht mehr als ein einmaliges Angebot von 2.000 Rand wie auch Darlehen in Höhe von 2.500 Rand erbracht, die im Januar zurückerstattet werden müssen.“
Neben den Aktivitäten der verschiedenen Gewerkschaften wurden Streik- und Schachtkomitees gebildet. Letztere trafen zusammen, „um Möglichkeiten zu diskutieren, dem Streik mehr Nachdruck zu verleihen“. Es hat sich eine Menge Unmut über die Gewerkschaften zusammengebraut, insbesondere als eine geheime Abmachung, die Letztere mit dem Konzern getroffen hatten, bekannt wurde. Das Hauptstreikkomitee lehnte die Abmachung ab. Auch im o.g. Artikel wird der Zorn über die Gewerkschaften ersichtlich; so berichtet er, dass „ein NUM-Büro am Khuseleka-Schacht in Brand gesetzt wurde, möglicherweise als Ausdruck des Zorns über die Antwort des Managements und das Beharren der NUM, dass sie die Wiedereinstellung der Amplats-Streikenden gesichert habe“.
Als der Führer der südafrikanischen Kommunistischen Partei zusammen mit Führern der Bergarbeitergewerkschaft (NUM) und der COSATU-Föderation versuchte, ein Massentreffen im Rustenburger Olympiastadion abzuhalten, musste er feststellen, dass „über 1.000 streikende Amplats-Kumpels frühzeitig erschienen waren und den Veranstaltungsort übernommen hatten“ (Daily Maverick, 27. Oktober). „Sie marschierten ins Stadion (…) Nachdem sie Hüte, Schale und andere Devotionalien des ANC und der COSATU geschändet hatten, zogen sie sich wieder zurück.“ Die protestierenden Streikenden trugen T-Shirts mit der Aufschrift „Erinnert euch an die Getöteten von Marikana“ und „Vorwärts zu einer menschenwürdigen Entlohnung: 12.500 Rand!“ und Plakate, auf denen zu lesen war: „Wir sind hier, um die NUM zu beerdigen“ und „Ruhe in Frieden, NUM“. Die Polizei, die unvermindert die Streikenden attackierte und die Gewerkschaftsbonzen schützte, demonstrierte deutlich, dass Arbeiter und Gewerkschaften sich auf unterschiedlichen Seiten befinden.
In der Zwischenzeit kämpft Amplats darum, 30.000 Arbeiter zurück zur Arbeit zu bewegen, nachdem Einschüchterung und etliche Vergleiche andere Streiks beendet hatten. Sie hatten jenen, die sich am Streik beteiligt hatten, „Härtezulagen“ angeboten und „Treuezulagen“ jenen, die sich nicht am Streik beteiligt hatten.
Bei AngloGold Ashanti (der drittgrößte Goldbarren-Produzent der Welt) legten Ende September 35.000 Arbeiter das Werkzeug nieder und begannen einen illegalen Streik, der fast einen Monat lang andauerte. Und nach dem Vergleich gab es weitere Sitzstreiks für die frühe Auszahlung eines Zuschlags, an denen Hunderte von Arbeiter beteiligt waren.
In der Gold One’s Aurora Goldmine in Modder East nahe Johannesburg schossen Sicherheitsleute auf 200 Bergarbeiter und töteten dabei vier Streikposten. Diese Mine soll sich im Besitz des Neffen von Jacob Zuma und des Enkels von Nelson Mandela befinden.
Die Gold Fields‘-Mine blieb nach einem Streik geschlossen, da das Unternehmen gegen die Berufung von 8.500 Arbeitern prozessierte, die wegen eines illegalen Streiks gefeuert worden waren. Insgesamt wurden zwölftausend Bergarbeiter von der Gold Fields‘ KDC East entlassen, weil sie sich geweigert hatten, die Arbeit wieder aufzunehmen.
Unter den mehr als fünfzig Getöteten waren zwei Personen von den Sicherheitsleuten der Forbes Coal erschossen worden. Streikende Bergarbeiter wurden in ein Township in der Provinz KwaZulu-Natal hineingejagt, wo die Wachleute auf die Arbeiter feuerten. Dies zeigt die ganz normale repressive Seite der Bourgeoisie.
Indes stimmte Coal of Africa nach den höheren Abschlüssen in Marikana einer 26%igen Lohnerhöhung (einschließlich Zuschüsse) für die Arbeiter ihrer Mooiplaats-Zeche zu. Gleichzeitig wurde bei jeder Gelegenheit damit gedroht, dass hohe Lohnsteigerungen zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit führen könnten.
Falsche Freunde – in den Gewerkschaften und darüber hinaus
Die herrschende Klasse Südafrikas blufft nicht. Sie ist von der echten Sorge über die Auswirkungen der Streikwelle getrieben. Die Bergbauindustrie erlebte infolge der Weltrezession bereits den Absturz ihrer Aktienkurse, die seither noch tiefer fielen. Die südafrikanische Wirtschaft ist gegenüber der gegenwärtigen Rezession nicht immun. Die weltweite Rezession führte bereits zu drastischen Kürzungen in der Förderung von Platin und Palladium, kostbaren Metallen, die in der Autoindustrie benötigt werden. Selbst im noch nicht lange zurückliegenden Mineralienboom ist die Produktion dieser Metalle jährlich um ein Prozent gekürzt worden. Der Ausstoß ist mittlerweile auf den niedrigsten Stand seit 50 Jahren gefallen.
Angesichts der Krise sind der ANC und die NUM ein dreiseitiges Bündnis mit den Minenbesitzern eingegangen. Es geht nicht nur darum, dass die Führer des ANC und der NUM beträchtliche Investitionen in den Bergbaugesellschaften getätigt haben und diese nun schützen wollen. Es ist ein integraler Bestandteil ihrer gesellschaftlichen Rolle, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Interessen ihrer bürgerlichen Partner zu schützen, sich der Ausbreitung der Aktionen der Streikenden entgegenzustellen und alles zu tun, um zu vermeiden, dass der Funke überspringt.
Vom Beginn der Streikwelle an haben die involvierten Gewerkschaften danach getrachtet, die Arbeiter in ihrem Kampf für menschenwürdige Löhne zu spalten. Nach dem Marikana-Massaker wurde ein Treffen organisiert. Am 28. August berichteten die SABC News: „Einer der fünf Delegierten, die von den Lonmin-Kumpels auserwählt worden waren, Zolisa Bodlani, sagte, die Arbeiter seien skeptisch hinsichtlich des morgigen Treffens zwischen der Arbeitsministerin Mildred Oliphant, den Gewerkschaften, dem Management und Arbeitervertretern. Die Arbeiter glauben, die Gewerkschaften hätten sie im Stich gelassen und nicht ihre Interessen vertreten, genauso wenig wie das Management, das von Bodlani des Unwillens bezichtigt wurde, sich vor der fatalen Tragödie letzte Woche, die zum Tod von 44 Menschen führte, mit den Arbeitern zu treffen. Bodlani äußerte dies in einem Interview auf SAfm’s AM Live heute Morgen.
‚Wir sind nicht sicher, ob wir das morgige Treffen aufsuchen. Sie versprachen uns heute, dass wir die Arbeitsministerin treffen werden – wir haben Fragen an sie – wir möchten wissen, warum sie beschlossen haben, uns zusammen mit den Gewerkschaften zusammenzurufen. Wir sind nicht gewillt, mit den Gewerkschaften zussammenzuarbeiten. Wir haben unsere Gründe, aber wir wollen sie jetzt nicht preisgeben. Wir glauben ebenfalls, dass unsere Gewerkschaften uns seit langem im Stich gelassen haben. Wir werden keinen Gebrauch von ihnen machen. Wir möchten keiner der Gewerkschaften beitreten‘, sagt Bodlani.“
Neben den Gewerkschaften gibt es noch weitere falsche Freunde, derer sich die Arbeiter bewusst sein müssen, beispielsweise Ex-ANC-Führer wie Julius Malema, der behauptet, eine Alternative anbieten zu können. Er missbrauchte den Streik für seine eigenen Zwecke. Einerseits wirbt er für einen landesweiten Bergarbeiterstreik und sagt, dass ein „Kampf um Leben und Tod“ notwendig sei; andererseits drängt er auf Verstaatlichungen. Er erklärte: „Sie haben euch das Gold gestohlen. Nun seid ihr an der Reihe.“ Doch Verstaatlichungen bedeuten nicht eine Verbesserung der Löhne und Arbeitsbedingungen der Kumpel. Sie bedeuten lediglich staatliche Kontrolle – Kontrolle durch den kapitalistischen Staat.
Nicht die Tatsache, dass er in seinem Mercedes-Benz-SUV aufkreuzt, um sich an die Bergarbeiter zu wenden, macht Malema zum Sprecher der Bourgeoisie; es ist die Ideologie, die er verbreitet. Man kann dies daran ablesen, wie er „den Lonmin-Boss und das ANC-Schwergewicht Cyril Ramaphosa – ein führender Gewerkschafter während der Herrschaft der weißen Minderheit – als Marionette der Weißen und Fremden porträtiert hat“ (BBC News, 12. September). In dieser Sichtweise sind die „Weißen und Ausländer“ die Feinde. In Wahrheit steht Ramaphosas Weckruf gegen die Lonmin-Arbeiter auf einer Linie mit seinen Aktivitäten im ANC und in den Gewerkschaften – die Verteidigung der nationalen Interessen gegen die Interessen der Arbeiterklasse.
Die gegenwärtige Streikwelle in Südafrika scheint sich dem Ende zuzuneigen. Für künftige Streiks wird es ganz wesentlich sein, dass sich die ArbeiterInnen über die Notwendigkeit im Klaren sind, dass sie sich auf ihre eigenen Bemühungen verlassen müssen.
M/C/EIG 3.11.2012