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Am 1. Februar streikten rund eine halbe Million Beschäftigte aus verschiedenen Sektoren in Großbritannien: Eisenbahnen, Busse, Beamte und vor allem Beschäftigte im Bildungswesen, sowohl an Schulen als auch an Universitäten. Dies war die größte Zahl von Beschäftigten die an einem Tag streikten, seit die Streikwelle in Großbritannien im letzten Sommer begann.
Als Reaktion auf das wachsende Gefühl in der Arbeiterklasse, dass "wir alle im selben Boot sitzen" und dass wir gemeinsam kämpfen müssen, verwenden die militanteren Gewerkschaftsführer wie Mick Lynch, die von ihren Anhängern in der extremen Linken (Socialist Workers Party SWP, usw.) unterstützt werden, seit einiger Zeit eine radikalere Sprache und sprechen von der Notwendigkeit der Einheit und Solidarität der Arbeiterklasse und sogar von koordinierten Streikaktionen[i]. Und obwohl die Gewerkschaften bisher darauf bedacht waren, Großdemonstrationen zu vermeiden, die sich aus allen an der aktuellen Bewegung beteiligten Sektoren zusammensetzen, zog am 1. Februar in Bristol eine "gemeinsame Kundgebung" der Beschäftigten im Bildungswesen, der Beamten und der Eisenbahner rund 3.000 Arbeiter an. In London versammelte sich eine viel größere Demonstration, wahrscheinlich Zehntausende, am Portland Place und marschierte nach Westminster. Neben den Bannern der Nationalen Bildungsgewerkschaft und der Universitäts- und Hochschulgewerkschaft gab es auch kleine Kontingente der RMT (Rail-Maritime-Transport) und der Gesundheitsgewerkschaft sowie eine größere Zahl von Beamten. Auch in einer Reihe anderer Städte wie Leeds und Liverpool gab es kleinere Demonstrationen.
Diese Demonstrationen zeigten eine starke Präsenz junger Arbeiter und Arbeiterinnen, von denen viele mit selbstgebastelten Plakaten anreisten und die besonders laut jubelten, wenn neue Arbeitnehmerkontingente, egal aus welchem Sektor, eintrafen. Solche Veranstaltungen bieten die Gelegenheit, durch die Zugehörigkeit zu einer größeren Bewegung Selbstvertrauen zu gewinnen.
Aber wie es der Titel des von unserer Sektion in Frankreich herausgegebenen Flugblatts ausdrückt: "Es reicht nicht aus, in großer Zahl zu erscheinen, wir müssen unsere Kämpfe selbst in die Hand nehmen". In Frankreich ist die Zahl der Streiks zwar viel geringer als in Großbritannien, aber die Gewerkschaften haben zu großen Demonstrationen aufgerufen, um gegen die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre zu protestieren. Am letzten "Aktionstag" waren ungefähr 2 Millionen auf der Straße. Aber unsere Genossen wiesen darauf hin, dass bei früheren Kämpfen gegen die Rentenreformen, 2010 und 2019, große Demonstrationen allein die Regierung nicht dazu gezwungen hatten, ihre Angriffe zurückzunehmen; und die Demonstrationen selbst wurden zu einer Art ritueller Veranstaltung, die darin bestand, "mit den Kollegen zusammen zu kommen, mit den Kollegen unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Beschallungsanlagen zu gehen und mit den Kollegen zu gehen. Keine Versammlung, keine Debatte, kein wirkliches Treffen. Diese Demonstrationen wurden damals auf den Ausdruck einer einfachen Parade reduziert".
Genau das Gleiche könnte man über die Demonstrationen in Großbritannien vom 1. Februar sagen. Ein Großteil des Enthusiasmus entstand zu Beginn der Demonstrationen, als sich die Arbeiter und Arbeiterinnen versammelten und sich bewusst wurden, dass sie an etwas teilnahmen das über ihren eigenen Arbeitsplatz oder ihren speziellen Sektor hinausging, aber sobald die Demonstration zu seinem vororganisierten Ende kam, nachdem sie passiv einigen Reden von Gewerkschaftsfunktionären zugehört hatten, suchte die große Mehrheit der Teilnehmer die nächste U-Bahn-Station auf und ging nach Hause. Noch einmal: keine Versammlung, keine Debatte, kein wirkliches Treffen.
Der Nutzen und Missbrauch von Streikposten
Der gleiche Prozess der "Entmachtung" ist bei einem anderen charakteristischen Element der aktuellen Streikwelle zu beobachten: den Streikposten. Die Organisation von Streikposten am Eingang von Betrieben an Streiktagen ist ein elementarer Ausdruck von Solidarität, und es ist offensichtlich, dass eine der Aufgaben dieser Streikposten darin besteht, so viele Kollegen wie möglich zum Streik zu bewegen. Und das Engagement der Arbeitnehmer im Kampf hat sich in den letzten Monaten bei vielen Gelegenheiten gezeigt, als sich Dutzende und sogar Hunderte von Arbeitnehmern an der Streikpostenkette beteiligten und dabei routinemäßig die Gesetze ignorierten, welche die Streikpostenketten formell auf 6 Streikende beschränken.
Doch wie bei den von den Gewerkschaften organisierten Kundgebungen und Demonstrationen, bei denen die Arbeitnehmer weitgehend in getrennte Gruppen aufgeteilt sind und ihre jeweiligen Gewerkschaftsfahnen schwenken, werden auch bei den "offiziellen" Streikpostenketten die wichtigsten Grenzen des Kampfes akzeptiert, die durch die so genannten "gewerkschaftsfeindlichen" Gesetze auferlegt werden, die eigentlich verhindern sollen, dass die Aktionen der Beschäftigten der Kontrolle der Gewerkschaften entgehen, und die daher vom Gewerkschaftsapparat rigoros durchgesetzt werden. Die Aufforderung an die Kolleginnen und Kollegen im eigenen Betrieb, die einer anderen oder gar keiner Gewerkschaft angehören, die Streikpostenlinie nicht zu überqueren, und insbesondere die Entsendung von Streikposten in andere Betriebe und Sektoren mit der Aufforderung, sich dem Kampf anzuschließen - all dies sind illegale "Sekundärstreikposten", die die Gefahr einer wirklichen Vereinheitlichung der Arbeiterkämpfe in sich bergen. Das Ergebnis ist, dass Streikposten unter gewerkschaftlicher Kontrolle letztendlich als Grenzen fungieren, die die Beschäftigten voneinander trennen.
Die Notwendigkeit für die Arbeiter und Arbeiterinnen den Kampf selbst zu organisieren
Das Flugblatt unserer französischen Sektion weist auch darauf hin, dass die Kämpfe gegen die Renten-"Reformen" in den Jahren 2010 und 2019 zwar mit einer Niederlage endeten, dass aber 2006 der Kampf gegen den CPE, ein Gesetzesvorschlag der Regierung, der die Arbeitsplatzunsicherheit für Berufsanfänger institutionalisieren würde, anders verlief: "Im Jahr 2006 organisierten die prekären Studenten große Vollversammlungen an den Universitäten, an denen Beschäftigte, Arbeitslose und Rentner teilnahmen und die ein gemeinsames Motto hatten: den Kampf gegen die Prekarisierung und die Arbeitslosigkeit. Diese Versammlungen waren die Lunge der Bewegung, wo Debatten geführt und Entscheidungen getroffen wurden.
Ergebnis: An jedem Wochenende nahmen mehr und mehr Sektoren an den Demonstrationen teil. Arbeiter und Rentner schlossen sich den Studenten an, unter dem Slogan: "Junge Schmalzstullen, alte Croutons, alle derselbe Salat". Die französische Bourgeoisie und die Regierung sahen sich angesichts dieser Vereinheitlichungstendenz der Bewegung gezwungen, ihren CPE zurückzuziehen".
Was die herrschende Klasse zum Einlenken zwingt - auch wenn sie der Arbeiterklasse keine dauerhaften Verbesserungen ihrer Lebensbedingungen mehr zugestehen kann - ist der Anblick einer Arbeiterklasse, die alle Spaltungen zwischen Gewerkschaft und Berufsstand zu überwinden droht und diese Einheit durch ihre Vollversammlungen und gewählten Streikkomitees, den Keimzellen der künftigen Arbeiterräte, organisiert. Und die gegenwärtigen Kämpfe der Arbeiterklasse in Großbritannien und in anderen Ländern - auch wenn sie immer noch durch die korporatistische Ideologie belastet sind, die jedem Sektor seine eigenen Auseinandersetzungen mit den Arbeitgebern, seine eigenen besonderen Forderungen zugesteht - enthalten das Potenzial für dieses Wiederauftauchen der Arbeiterklasse als eine wirkliche Macht in der Gesellschaft, als eine Kraft für eine radikale Veränderung der Gesellschaft.
Deshalb ist selbst die kleinste Ansammlung von Arbeitern, sei es an den Streikpostenketten oder bei Kundgebungen und Märschen, die anfangen zu hinterfragen, warum die Kämpfe immer noch so gespalten sind, die sich nicht mit der leeren Rhetorik der Gewerkschaften zufrieden geben, die das Problem aufwerfen, was die effektivste Art des Kampfes ist - ein wichtiger Schritt im Kampf, den revolutionäre Organisationen bei jeder Gelegenheit ermutigen sollten.
Amos 4. 2. 2023