Juni 1944: Manifest der Kommunistischen Linken "AN DIE PROLETARIER EUROPAS"

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Einleitung der IKS von 1984

In der dekadenten Phase des Kapitalismus kann die Krönung der weltweiten Überproduktionskrise, wenn es keine proletarische Revolution gibt, nur der imperialistische Weltkrieg sein. Die Erfahrung des Proletariats aus den zwei imperialistischen Weltkriegen hat grundlegende Lehren hervorgebracht, deren Aneignung eine lebenswichtige Aufgabe für die Revolutionäre ist.

Vielleicht ist die grundsätzlichste Lehre, die von Lenin und Zinoview in ihren während des Ersten Weltkriegs geschriebenen Artikeln klar gezogen wurde, die absolute Notwendigkeit, daß das Proletariat und seine revolutionären Minderheiten gegen den imperialistischen Krieg mit dem revolutionären Defätismus antreten, d.h. den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zum Sturz des kapitalistischen Staats umzuwandeln. Die klare Erkenntnis dieser Notwendigkeit ist das Herausragende an dem "Manifest der Kommunistischen Linken", das im Juni 1944 verteilt wurde, d.h. zu dem Zeitpunkt, als der zweite imperialistische Weltkrieg einen Höhepunkt des Abschlachtens erreicht hatte, und dessen Übersetzung wir hier zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlichen.

Der I. Weltkrieg wurde nicht so sehr durch eine militärische Niederlage oder die Erschöpfung einer der imperialistischen Mächte (die deutsche Armee war im November 1918 noch intakt und kämpfte noch in Frankreich) zu Ende gebracht; vielmehr geschah dies durch das Gespenst der proletarischen Revolution, das schon den kapitalistischen Staat in Rußland umgestürzt hatte und 1918 eine tödliche Gefahr gegen das Kapital in ganz Mitteleuropa darstellte. Diesem Massenkampf des Proletariats entsprach eine wachsende Fähigkeit der revolutionären Minderheiten sich zu organisieren, die Lehren aus der Barbarei zu ziehen, in welche der imperialistische Krieg die Menschheit stürzte, und eine lebenswichtige und notwendige Rolle bei der Entwicklung des revolutionären Klassenbewußtseins zu spielen. In der Tat war es ein Prozeß, der lange vor dem ersten Erscheinen der proletarischen Kampfbereitschaft eingesetzt und eine internationale Form während der Zimmerwalder und Kienthaler Konferenzen angenommen hatte. Diese wiederum spiegelten nicht allein den proletarischen Kampf, der dem imperialistischen Weltkrieg ein Ende setzte, wider, sondern bedingten ihn auch.

Der II. Weltkrieg nahm jedoch einen unterschiedlichen Verlauf. Die Bourgeoisie hatte ebenfalls aus dem I. Weltkrieg und der proletarischen Revolution, die sie überrascht hatte, wichtige Lehren gezogen. Der II. Weltkrieg wurde nicht entfesselt, bis die Bourgeoisie sowohl die Arbeiterklasse vollständig zerschlagen als auch in den demokratischen imperialistischen Ländern ihre ideologische Mobilisierung hinter dem kapitalistischen Staat vollbracht hatte, was vor allem mit Hilfe der Sozialdemokratie, der Stalinisten und der Gewerkschaften geschah, d.h. des linken Flügels des Staatsapparates. Diese Kontrolle über die Arbeiterklasse durch den kapitalistischen Staat – die 1939 wesentlich stärker als 1914 war – ergab sich ebenso aus dem Wachstum des Staatskapitalismus, der allerdings dieses Mal nicht so sehr während des Krieges, sondern vor allem schon vorher in Gang gesetzt worden war. Schließlich wurde vorsorglich die inter-imperialistische Solidarität gegen das Proletariat eingesetzt; normalerweise greift die Bourgeoisie darauf nur zurück, um einem proletarischen Aufstand wie 1917–18 entgegenzutreten. Während des II. Weltkriegs kam dieses Vorgehen vom Kapital als eine Schlußfolgerung aus seiner Erfahrung aus dem ersten imperialistischen Weltkrieg voll zum Tragen.

Der II. Weltkrieg unterscheidet sich ebenso sehr vom I., wenn wir die Rolle und den Einfluß der Revolutionäre untersuchen. Nachdem die ersten Auswirkungen des Verrats der Sozialdemokratie (die durch die bürgerliche Ideologie seit langem verfault war) an der Arbeiterklasse überwunden waren, organisierten sich die revolutionären Marxisten und wurden zu einem wichtigen Faktor bei der Entwicklung des proletarischen Bewußtseins. Im II. Weltkrieg dagegen waren die revolutionären Organisationen nicht nur wesentlich schwächer als die linken Fraktionen der Sozialdemokratie aus der Vorkriegszeit, sondern auch ihre Zerstreuung und Verwirrung wurden – von einigen Ausnahmen abgesehen – nie überwunden.

Der Trotzkismus vollzog seinen stürmischen Übergang in die Arme der Konterrevolution, als er die Klassengrenzen völlig überschritt. Die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken war hinsichtlich der Frage der Möglichkeit eines Ausbruchs eines imperialistischen Krieges stark zerstritten und die Mehrheit um Vercesi, welche durch den Ausbruch des Krieges überrascht wurde, erklärte, der Krieg bedeute die "gesellschaftliche Auflösung" des Proletariats und somit die Einstellung der Aktivitäten ihrer revolutionären Minderheiten bis zum eventuellen Ausbruch einer hypothetischen "ökonomischen Krise der Rüstungswirtschaft".

Die Ausnahmen dieses düsteren Panoramas waren der Communistenbond Spartacus in den Niederlanden (der sich aus Elenenten der Vorkriegs-G.I.K. – Gruppe Internationaler Kommunisten – und der Gruppe um Sneevliet zusammensetzte), die Minderheit der Italienischen Fraktion, welche sich in Marseille rekonstituiert hatte (zusammen mit dem Kern einer Französischen Fraktion der Kommunistischen Linken) und den Elementen um Damen in Italien, die 1943 die Internationalistische Kommunistische Partei bildeten (siehe zu all diesen Gruppen unsere Broschüre "La Gauche Italienne"[1] erhältlich bei der Kontaktadresse). Diese Gruppen verteidigten die Positionen des proletarischen Internationalismus und revolutionären Defätismus inmitten der deutschen Besetzung Europas und der Organisierung von Partisanenarmeen für die Mobilisierung des Proletariats für einen imperialistischen Krieg durch den britisch-amerikanischen-russischen Imperialismus. Das nachstehend abgedruckte "Manifest" ist einer der Versuche der Italienischen und Französischen Fraktionen der Kommunistischen Linken, Klassenpositionen inmitten des imperialistischen Holocaustes zu verteidigen. Mit Stolz drucken wir diesen Text hier ab, der aufzeigt, daß selbst in den dunkelsten Stunden des größten Abschlachtens, in das der Kapitalismus die Menschheit gestürzt hatte, die Stimme des revolutionären Proletariats nicht zum Schweigen gebracht wurde.

Die internationalistische Position der Revolutionäre während der beiden Weltkriege hat an ihrer Aktualität nichts eingebüßt. Ob in den zahlreichen lokalen Konflikten von heute (Libanon, Iran-Irak usw.) oder in einem eventuellen dritten Weltkrieg, das Proletariat kann auf den imperialistischen Krieg nur mit seinem eigenen Klassenkrieg antworten. Der proletarische Internationalismus ist dennoch kein abstraktes Prinzip, sondern eine konkrete, praktische Aufgabe.

Deshalb müssen die Revolutionäre, wenn sie dem Geist des hier abgedruckten Manifestes treu bleiben wollen, dafür eintreten, daß die Arbeiter schon jetzt ihre Reihen international schließen, um auf revolutionäre Weise einen dritten Weltkrieg zu verhindern.

Während des I. Weltkriegs stellte R. Luxemburg fest, daß die Menschheit vor der Alternative Sozialismus oder Barbarei steht. Und weil die revolutionäre Welle von 1917–23 scheiterte, haben wir nun seitdem in ununterbrochener Barbarei leben müssen.

Aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat der Kapitalismus die Grundlage einer qualitativ neuen Stufe dieser Barbarei gelegt, indem er einen Weltkrieg vorbereitet, der die ganze Menschheit auszulöschen droht. Weil die kapitalistische Produktionsweise die Weiterentwicklung der menschlichen Produktivkräfte fesselt, sind die im Kampf ums Überleben verstrickten nationalen Kapitalien und imperialistischen Blöcke gezwungen, einen stets größer werdenden Anteil ihrer Ressourcen der Entwicklung und Anwendung von Zerstörungsmitteln zu widmen.

Während im vorigen Jahrhundert der wirtschaftliche Wettkampf der Motor der Expansion des kapitalistischen Systems war, das Militärische nur einen Zusatz dazu bildete, nimmt in der Niedergangsphase des Kapitalismus, wo es keine echte Expansion des Systems mehr geben kann, die militärische Konkurrenz den ersten Platz ein. Da, wo es nur noch ums Überleben geht, ist wirtschaftliche Stärke nur dann von Nutzen, ·wenn sie in militärische Stärke umgewandelt werden kann.

Während es im 19. Jahrhundert eine echte "industrielle Revolution" gegeben hat, gibt es deshalb in unserem Zeitalter nur noch eine "Revolution der Rüstungsindustrie". In den letzten 40 Jahren entwickelten sich im niedergehenden Kapitalismus die Zerstörungswissenschaften stärker als in der ganzen bisherigen Menschheitsgeschichte zusammen.

Deshalb wäre ein dritter Weltkrieg keine bloße Fortsetzung der beiden bisherigen, sondern eine Bedrohung der Weiterentwicklung der Menschheit, die die materiellen Grundvoraussetzungen einer klassenlosen Gesellschaft, die heute zweifelsfrei vorhanden sind, liquidieren könnte.

Die konventionellen Bomben des II. Weltkriegs, mit bis zu 20 Tonnen Trinitrotoluol gefüllt, konnten einen ganzen Häuserblock mit einem Schlag vernichten. 100.000 solcher Bomben sind zwischen 1939-45 abgeworfen worden, was einer Gesamtsprengkraft von 2 Mio. Tonnen oder 2 Megatonnen Trinitotoluol entspricht. Heute besitzt jede durchschnittliche thermonukleare Bombe eine Sprengladung von 2 Megatonnen, und sie enthält somit die ganze Vernichtungskraft des II. Weltkriegs. Ein erster nuklearer Schlagabtausch in einem dritten Weltkrieg würde bereits eine Zerstörungskraft von schätzungsweise 10.000 Megatonnen entfesseln, d.h. dies entspricht einer Million Bomben mit der Kraft der Bombe von Hiroshima. Eine neulich in London veröffentlichte Studie schätzt, daß in den ersten Stunden eines solchen Atomkrieges mindestens eine Milliarde Menschen sterben würden.

Wir wissen bereits, daß die unmittelbaren Auswirkungen einer solchen Entfesselung der Barbarei des Kapitalismus noch nicht das Schlimmste wären. Ein weltweiter Atomkrieg würde die obere Luftschicht in Stickstoff verwandeln, was möglicherweise zu einer Zerstörung des vegetativen Lebens auf der Erde führen würde.

Und selbstverständlich würde die radioaktive Verseuchung lange anhalten (Strontium z.B. braucht 96 Jahre, Cäsium 100 Jahre, um bis zu 90% zu zerfallen), so daß höchstwahrscheinlich die Überlebenden die Toten beneiden würden.

Wir malen dieses Schreckgespenst nicht auf, um Panik zu schüren, sondern um aufzuzeigen, was im Kampf des Proletariats auf dem Spiel steht. Nicht nur die Zukunft, selbst das Überleben der Menschheit liegt in den Händen des Proletariats. Der Zyklus von Krise – Krieg – Wiederaufbau – Krise usw., wovon der Kapitalismus seit 1914 gelebt hat, neigt seinem Ende entgegen.

Heute setzt die Arbeiterklasse bei ihrem Ringen um ihre Vereinigung im Kampf gegen die Auswirkungen der Krise die Tradition des revolutionären Defätismus fort. Die Arbeiterklasse braucht nicht mehr auf einen neuen Weltkrieg zu warten, um die Barbarei des Systems zu erkennen. Diese Barbarei ist längst zum Alltag geworden. Vielmehr geht es darum, diese Barbarei so rasch wie möglich zu beseitigen, bevor alles zu spät ist.

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Manifest 1944

AN DIE PROLETARIER EUROPAS

Seit fast 5 Jahren wütet der imperialistische Krieg in Europa mit all seinen Charakteristiken der Misere, Massakern und Zerstörung.

An der russischen, französischen und italienischen Front sind zig Millionen Arbeiter und Bauern dabei, sich gegenseitig zugunsten der schmutzigen Interessen eines blutigen Kapitalismus, der nur seinen Gesetzen des Profits und der Akkumulation gehorcht, abzuschlachten.

Während der 5 Kriegsjahre, vor allem während des letzten, dem Jahr der Befreiung, so sagt man, sind viele Lügenprogramme und Illusionen verschwunden, hinter deren Maske sich das widerwärtige Gesicht des internationalen Kapitals versteckte.

In jedem Land hat man Euch für verschiedene Ideologien mobilisiert, die aber alle das gleiche Ziel haben, Euch in ein Blutbad zu stürzen, wo Ihr Euch gegenseitig, Opfer der Krise gegen Opfer der Krise, Arbeiter gegen Arbeiter niedermetzelt.

Faschismus und Nationalsozialismus fordern Lebensraum für ihre ausgebeuteten Massen, dies soll ihre grausame Absicht verdecken, sich gegenseitig in dieser tiefgreifenden Krise, welche ihre gesellschaftliche Basis untergräbt, niederzumachen.

Der britisch-russisch-amerikanische Block wollte Euch angeblich vom Faschismus befreien, um Euch Eure Freiheit und Rechte wiederzugeben. Aber diese Versprechungen waren nur die Köder, um Euch zur Teilnahme am Krieg zu bewegen, um dann den später erfundenen großen imperialistischen Konkurrenten, den Faschismus, auszulöschen, welcher als Produktions­ und Lebensform des Kapitalismus veraltet ist.

Die Atlantikcharta, der Plan eines neuen Europas waren nur der Schleier, hinter dem sich die wahre Bedeutung des Konfliktes verbarg, nämlich der imperialistische Räuberkrieg mit seinen schauderhaften Zerstörungen und Massakern, unter deren furchtbaren Auswirkungen die Arbeiterklasse leidet.

PROLETARIER!

Man sagte Euch, man möchte Euch glauben machen, daß dieser Krieg nicht wie all die anderen sei. Das ist eine Täuschung. Solange es Ausbeuter und Ausgebeutete gibt, ist der Kapitalismus Krieg, und der Krieg ist der Kapitalismus.          

Die Revolution von 1917 in Rußland war eine proletarische Revolution. Sie war der unwiderlegbare Beweis der politischen Fähigkeit des Proletariats, als herrschende Klasse aufzutreten und sich auf eine Organisation der kommunistischen Gesellschaft hinzuorientieren. Sie war die Reaktion der Arbeitermassen gegen den imperialistischen Krieg von 1914-18.

Aber die Führer des russischen Staats haben seitdem die Prinzipien dieser Revolution aufgegeben, Eure kommunistischen Parteien in nationalistische Parteien umgewandelt, die Komintern aufgelöst, dem internationalen Kapitalismus geholfen, Euch in das imperialistische Massaker zu stürzen.

Falls man in Rußland dem Programm der Revolution und dem Internationalismus treu geblieben wäre, wenn man die proletarischen Massen ständig dazu aufgerufen hätte, die Kämpfe gegen den Kapitalismus zu vereinigen, wenn man nicht diesem Heuchelverein, dem Völkerbund, beigetreten wäre, wäre es dem Imperialismus unmöglich geworden, den Krieg anzufangen.

Durch die gemeinsame Teilnahme am imperialistischen Krieg mit einer Gruppe von kapitalistischen Mächten hat der russische Staat die russischen Arbeiter und das internationale Proletariat verraten.

PROLETARIER DEUTSCHLANDS!

Eure Bourgeoisie zählte auf Euch, verließ sich auf Eure Ausdauer und auf Eure Produktivkraft, um eine imperialistische Stellung einzunehmen, um so das industrielle und landwirtschaftliche Zentrum Europas zu beherrschen. Nachdem Deutschland in eine Kaserne verwandelt worden war, nachdem Ihr 4 Jahre lang zu einem mörderischen Arbeitstempo gezwungen worden wart, um die Kriegsmaschine in Gang zu setzen, schickte man Euch in alle Länder Europas, um überall wie bei jedem imperialistischen Konflikt Zerstörung und Verwüstung anzurichten.

Der Plan Eures Imperialismus wurde durch die Entwicklungsgesetze des internationalen Kapitalismus vereitelt, der seit 1900 alle Reifungsmöglichkeiten der imperialistischen Herrschaftsform und aller nationalistischer Erscheinungsweisen entfaltet hatte.

Die die Welt und insbesondere Europa erschütternde Krise ist die unüberwindbare Krise, Todeskrise der kapitalistischen Gesellschaft.

Nur das Proletariat kann durch seine kommunistische Revolution die Ursachen des Elends und der Misere der arbeitenden Massen und der Arbeiter aus der Welt schaffen.

ARBEITER UND SOLDATEN

Das Schicksal Eurer Bourgeoisie wird nunmehr auf dem Schlachtfeld der imperialistischen Konkurrenz entschieden. Aber der internationale Kapitalismus kann den Krieg nicht zu Ende bringen, denn der Krieg ist seine letzte, einzige Möglichkeit zu überleben.

Eure revolutionären Traditionen sind in den vergangenen Klassenkämpfen tief verwurzelt. 1918 habt Ihr mit Euren proletarischen Führern Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg und ungeachtet des schon wachsenden Opportunismus in der Komintern 1923 Euren revolutionären Willen und Eure Macht in die Geschichte eingeschrieben.

Der Nationalsozialismus Hitlers und der Opportunismus der Dritten Internationale haben Euch zum Glauben verleitet, daß Euer Schicksal mit dem Kampf gegen den Versailler Vertrag verbunden sei. Dieser falsche Kampf konnte Euch nur an das Programm Eures Kapitals fesseln, das sich durch ein Vergeltungsstreben und die Vorbereitungen für den gegenwärtigen Krieg ausdrückte.

Eure Interessen als Proletarier sind nur mit den Interessen aller Ausgebeuteten Europas und der ganzen Welt verbunden.

Ihr steht an entscheidender Stelle, um das Ende dieses monströsen Abschlachtens herbeizuführen. Dem Beispiel des Proletariats in Italien folgend, müßt Ihr den Kampf gegen die Kriegsproduktion aufnehmen, müßt Euch weigern, gegen Eure Klassenbrüder zu kämpfen.

Eure Revolte muß ein Ausdruck des Klassenkampfes werden. Sie muß sich in Streiks und einer Agitation der proletarischen Massen widerspiegeln. Wie 1918 hängt das Schicksal der proletarischen Revolution von Eurer Fähigkeit ab, die Ketten, die Euch an die gewaltige Kriegsmaschine des deutschen Imperialismus fesseln, zu zerschmettern.

ARBEITER, 'FREMDARBEITER' in DEUTSCHLAND!

Man hat Euch verschleppt, um Euch zum Bau von Zerstörungsmitteln zu zwingen. Anstelle eines jeden neu ankommenden Arbeiters kann ein deutscher Arbeiter an die Front geschickt werden. Egal welcher Nationalität Ihr angehört, Ihr seid Ausgebeutete. Euer einziger Feind ist der deutsche und internationale Kapitalismus, Eure Genossen sind die deutschen Arbeiter und die der ganzen Welt.

Ihr tragt in Euch die Traditionen und Erfahrungen der Klassenkämpfe in Euren Ländern und der ganzen Welt. Ihr seid keine "Ausländer".

Eure Forderungen, Eure Interessen sind die gleichen wie die Eurer deutschen Genossen. Durch die Teilnahme am Klassenkampf in den Fabriken, an den Arbeitsstätten tragt Ihr wirkungsvoll dazu bei, den Kurs des imperialistischen Krieges zu zerschlagen.

FRANZÖSISCHE ARBEITER!

Während der Streiks von 1936 haben alle Parteien daran mitgewirkt, Euren gerechten und legitimen Klassenforderungen zu einem Ausdruck der Unterstützung für den in der Vorbereitung befindlichen Krieg umzuwandeln. Die "Phase des Wohlstands" und der "vollen Reife", welche die Demagogen der Volksfront Euch versprachen, war in Wirklichkeit nur die tiefgreifende Krise des französischen Kapitalismus.

Eure vorübergehenden Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen waren nicht die Folgen eines wirtschaftlichen Aufschwungs, sondern dies rührte von der Notwendigkeit her, die Kriegsmaschine in Gang zu bringen.

Die Besetzung Frankreichs wurde von allen Verantwortlichen des Konflikts, von links und rechts, dazu ausgeschlachtet, um in Euren Köpfen einen Vergeltungsgeist und den Haß gegen die deutschen und italienischen Proletarier aufrechtzuerhalten, die wie Ihr für den Ausbruch dieses Krieges keine Verantwortung tragen und wie Ihr unter den schrecklichen Folgen eines von allen kapitalistischen Staaten gewollten und vorbereiteten Abschlachtens leiden.

Die Regierung Petain-Laval spricht von Nationaler Revolution, das ist die primitivste Lügengeschichte. Egal welche Form oder welches Aussehen die zukünftige Regierung haben wird, die arbeitenden Massen Frankreichs und der anderen europäischen Länder werden einen hohen Preis für den Krieg an die britisch-russisch-amerikanischen Imperialisten zu zahlen haben, ganz abgesehen von den Ruinen und Zerstörungen, die durch die sich bekämpfenden Armeen verursacht wurden.

PROLETARIER FRANKREICHS!

Zu viele von Euch sind zum Glauben verleitet worden, sie könnten von den Armeen, sei es der englischen, der amerikanischen oder der russische Wohlstand erwarten. Die Intrigen und Gegensätze, welche schon jetzt in den Reihen dieser Dreierbande hinsichtlich der zukünftigen Aufteilung aufgetreten sind, weisen darauf hin, daß die Bedingungen, unter denen das Proletariat zu leben haben wird, äußerst schwer sein werden, falls Ihr nicht den Weg des Klassenkampfes einschlagt.

Zu viele von Euch werden zu Gehilfen des Kapitalismus, indem sie am Partisanenkrieg, dem Ausdruck des schärfsten Nationalismus, teilnehmen.

Eure Feinde sind weder die deutschen, noch die englischen oder amerikanischen Soldaten, sondern der Kapitalismus, der sie zum Krieg, zum Töten, zum Mord zwingt. Euer Feind ist Euer Kapitalismus, egal ob er durch Laval oder durch De Gaulle vertreten wird. Eure Freiheit hängt weder vom Schicksal noch von den Traditionen Eurer herrschenden Klasse ab, sondern von Eurer Unabhängigkeit als proletarische Klasse.

Ihr seid die Kinder der Pariser Kommune, und nur wenn Ihr Euch durch diese inspirieren läßt und ihre Prinzipien wieder aufgreift, könnt Ihr die Sklavenketten zerschlagen, welche Euch an den veralteten Apparat der kapitalistischen Herrschaft, die Ideen von 1789 und die Gesetze der bürgerlichen Revolution fesseln.

PROLETARIER RUßLANDS!

1917 habt Ihr mit Eurer bolschewistischen Partei und Lenin das kapitalistische Regime gestürzt, um die erste Sowjetrepublik zu errichten. Eure gewaltigen Klassenaktionen eröffneten den historischen Zeitraum der entscheidenden Kämpfe zwischen zwei entgegengesetzten Gesellschaften: der alten, bürgerlichen, die unter dem Gewicht ihrer Widersprüche zum Verschwinden verurteilt ist, und der neuen, die mit dem Proletariat als herrschende Klasse entsteht, um sich auf die klassenlose Gesellschaft, den Kommunismus, zuzubewegen.

Damals hatte der imperialistische Krieg seinen Höhepunkt erreicht. Millionen von Arbeitern fielen auf den Schlachtfeldern des Kapitalismus. Eurem entscheidenden Kampf folgend erwuchs in den Arbeitermassen der Wille, diesem unnützen Massaker ein Ende zu setzen. Durch die Zerschlagung des Kurses zum Krieg wurde Eure Revolution zum Programm, zur Fahne des Kampfes der Ausgebeuteten aller Länder. Der Kapitalismus, der von der Wirtschaftskrise – durch den Krieg noch verstärkt – angenagt wurde, erzitterte vor der proletarischen Bewegung, welche durch ganz Europa fegte. Eingekesselt durch die Weißen Armeen und die des internationalen Kapitalismus, welche Euch durch den Hunger bezwingen wollten, habt Ihr es dennoch geschafft, Euch aus dieser konterrevolutionären Umklammerung zu befreien. Dies geschah dank der heldenhaften Unterstützung des europäischen und internationalen Proletariats, das durch den Klassenkampf die vereinigte Bourgeoisie daran hinderte, gegen die proletarische Revolution einzugreifen.

Dies war eine entscheidende Lehre. Von da an sollte, sich der Klassenkampf auf internationaler Ebene entwickeln, das Proletariat würde seine kommunistische Partei und die Internationale auf der Grundlage Eurer kommunistischen Revolution bilden. Die Bourgeoisie würde auf eine Unterdrückung der kommunistischen Bewegung hinarbeiten sowie auf die Korrumpierung Eurer Revolution und Eurer Macht.

In dem gegenwärtigen imperialistischen Krieg steht Ihr nicht auf der Seite des Proletariats, sondern gegen es. Eure Verbündeten sind nicht mehr die Arbeiter, sondern die Bourgeoisie. Ihr verteidigt nicht mehr die Sowjetverfassung von 1917, sondern das 'Sozialistische' Vaterland. Auf Eurer Seite stehen nicht mehr Genossen wie Lenin und seine Gefährten, sondern Generäle, Militaristen wie in allen kapitalistischen Ländern, allesamt Ausdruck eines blutigen Militarismus, der das Proletariat massakriert.

Man sagt Euch, bei Euch gebe es keinen Kapitalismus, aber Eure Ausbeutung gleicht der aller Proletarier, und Eure Arbeitskraft verschwindet in der Kriegsmaschine und in den Kassen des internationalen Kapitalismus. Eure Freiheit besteht darin, Euch töten zu lassen, um dem Imperialismus in seinem Überlebenskampf zu helfen. Eure Klassenpartei ist verschwunden, Eure Arbeiterräte sind ausgelöscht worden, Eure Gewerkschaften sind Kasernen, Eure Verbindungen zum internationalen Proletariat sind zerbrochen.

GENOSSEN, ARBEITER RUßLANDS

Bei Euch hat der Kapitalismus wie überall anderswo nur Zerstörungen und Misere gebracht. Die proletarischen Massen Europas warten wie Ihr damals 1917 auf den günstigen Augenblick, um gegen die schrecklichen, durch den Krieg verursachten Lebensbedingungen aufzustehen. Wie Ihr werden sie sich gegen die Verantwortlichen dieses furchtbaren Massakers wenden, egal ob sie faschistisch, demokratisch oder russisch sind. Wie Ihr versuchen sie das blutige Unterdrückungsregime, den Kapitalismus, zu zerschlagen.

Ihre Fahne wird Eure Fahne von 1917 sein.

Ihr Programm wird Euer Programm sein, das Euch von Euren gegenwärtigen Führern entrissen wurde: die kommunistische Revolution.

Euer Staat hat sich mit den Kräften der kapitalistischen Konterrevolution zusammengeschlossen. Seid solidarisch, verbrüdert Euch mit Euren kämpfenden Genossen. Kämpft an der Seite Eurer Brüder, um in Rußland und den anderen Ländern die Bedingungen für den Sieg der kommunistischen Weltrevolution wiederherzustellen.

ENGLISCHE UND AMERIKANISCHE SOLDATEN!

Euer Imperialismus ist zurzeit dabei, seinen Kolonisations- und Versklavungsplan der Völker durchzusetzen, um zu versuchen, sich aus der tiefen Krise zu retten, welche die gesamte Gesellschaft erfaßt. Schon vor dem Krieg habt Ihr trotz der Kolonialherrschaft und der Bereicherung Eurer Bourgeoisie unter der Arbeitslosigkeit und der Misere gelitten, es gab Millionen von Arbeitslosen.

Um gegen Eure Streiks für legitime Forderungen anzutreten, hat Eure Bourgeoisie nicht gezögert, das barbarischste Repressionsmittel gegen Euch einzusetzen: Gas.

Die Arbeiter Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Spaniens haben mit ihrer Bourgeoisie abzurechnen, da diese genau wie Eure Bourgeoisie für die Massaker verantwortlich ist.

Man möchte Euch zu Gendarmen der anderen Arbeiter machen, Euch gegen die revoltierenden Arbeitermassen einsetzen. Weigert Euch zu schießen, verbrüdert Euch mit den Soldaten und Arbeitern Europas.

Diese Kämpfe sind Eure Klassenkämpfe.

PROLETARIER EUROPAS!

Ihr seid von einer feindlichen Welt umzingelt.

Alle Parteien, alle Programme sind in den Krieg mit eingezogen, alle profitieren von Euren Leiden, alle sind vereint, um die kapitalistische Gesellschaft vor ihrem Zusammenbruch zu retten.

All die Schufte im Dienste der Hochfinanz, von Hitler bis Churchill, von Laval bis Petain, von Stalin bis Roosevelt, von Mussolini bis Bonomi arbeiten mit dem bürgerlichen Staat zusammen, um Euch Ordnung, Arbeit, Disziplin und die Vaterlandsverteidigung zu predigen, welche allemal zur Verewigung Eurer Versklavung führen.

Trotz des Verrats der Führer des russischen Staats werden die Schemata, Thesen und Voraussagen Marxens und Lenins durch den Verrat in der gegenwärtigen Situation vollauf bestätigt.

Nie zuvor war die Spaltung zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern so deutlich und gewaltig.

Nie zuvor war die Notwendigkeit so dringend, diesem blutigen System der Misere ein Ende zu bereiten.

Mit dem Abschlachten an der Front, den Massakern der Luftwaffe, nach 5 Jahren der Entbehrungen tritt die Hungersnot wieder auf. Der Krieg wütet auf dem Kontinent, der Kapitalismus kann und weiß nicht, wie der Krieg beendet werden kann.

Die Kämpfe können nicht verkürzt werden, indem Ihr der einen oder anderen Gruppe der zwei Formen der kapitalistischen Herrschaft helft.

Dieses Mal hat Euch das italienische Proletariat den Weg des Kampfes gezeigt, die Revolte gegen den Krieg.

Wie Lenin es schon 1917 unterstrich, gibt es keine andere Alternative, keinen anderen Weg außer der Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg.[2]

Solange wie das kapitalistische Regime besteht, gibt es für das Proletariat weder Brot, Frieden noch Freiheit.

KOMMUNISTISCHE ARBEITER!

Es gibt viele, zu viele Parteien. Aber alle, bis hin zu den trotzkistischen Grüppchen sind in der Konterrevolution untergegangen.

Eine einzige Partei fehlt: die politische Partei der proletarischen Klasse.

Nur die Kommunistische Linke ist dem Proletariat, dem Programm des Marxismus, der kommunistischen Revolution treugeblieben. Nur auf der Basis dieses Programms wird es möglich sein, dem Proletariat die Organisation wiederzugeben, seine Waffen wieder zu schmieden, mit denen es in den Kampf, zum Sieg geführt werden kann. Diese Waffen sind die neue Kommunistische Partei, die neue Internationale.

Gegen jeden Opportunismus, gegen jeden Kompromiß auf der Ebene des Klassenkampfes ruft die Fraktion Euch auf, Eure Bemühungen zu vereinigen, um dem Proletariat zu helfen, sich aus den Fesseln des Kapitalismus zu befreien. Gegen die vereinten Kräfte des Kapitalismus muß die unbesiegbare Kraft der Arbeiterklasse antreten.

ARBEITER UND SOLDATEN ALLER LÄNDER!

Nur Ihr könnt das furchtbarste Massaker der Geschichte aufhalten.

Arbeiter: Stoppt in allen Ländern die Produktion, welche zum Abschlachten Eurer Brüder, Frauen und Kinder bestimmt ist.

Soldaten: Stellt das Feuer ein, legt die Waffen nieder! Verbrüdert Euch über alle künstlichen Grenzen des Kapitalismus hinweg.

Verbrüdert Euch auf der internationalen Klassenfront.

ES LEBE DIE VERBRÜDERUNG ALLER AUSGEBEUTETEN! NIEDER MIT DEM IMPERIALISTISCHEN KRIEG!

ES LEBE DIE KOMMUNISTISCHE WELTREVOLUTION!

Juni 1944

 

[1] Heute auch als Buch auf Deutsch erhältlich: Die Italienische Kommunistische Linke (2007)

[2] Diese Losung von der Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg war die Losung, die von den Revolutionären im Ersten Weltkrieg ausgegeben wurde. Sie beruhte auf der Tatsache, dass das Proletariat zwar von den Parteiführungen der Zweiten Internationale verraten und ideologisch hinters Licht geführt worden war, aber von der Bourgeoisie nicht physisch besiegt wurde und seine gesamten Lebenskräfte noch fast unversehrt behielt. Das war 1939 nicht der Fall und 1944 erst recht nicht. Daher war der Aufruf der damaligen Revolutionäre ein Fehler, denn aus dem Krieg ging ein ausgeblutetes Proletariat hervor, dessen Klassenbewusstsein und -organisationen von Grund auf zerstört worden waren. Diese Fehleinschätzung der Fähigkeiten des damaligen Proletariats ändert jedoch nichts an dem unverbrüchlich proletarischen Charakter des Manifests, das wir hier veröffentlichen.

Theoretische Fragen: 

Rubric: 

Imperialistische Konflikte