Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten: Zwei Ausdrucksformen des Grauens und des irrationalen Wahnsinns des Kapitalismus!

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Einleitung aktualisiert am 2. Oktober 2024

Seit der Abfassung dieses Artikels haben die jüngsten Ereignisse und insbesondere die Entwicklungen im Nahen Osten die Vorhersage des Artikels eindeutig bestätigt, dass der Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon weiter eskaliert. Der Krieg hat sich bereits auf den Jemen mit israelischen Angriffen auf die von den Huthi gehaltene Häfen und auf Syrien mit einem Angriff auf Damaskus ausgeweitet. Auf die israelische Offensive gegen die Hisbollah, die mit einer vom Mossad ausgeklügelten und völlig barbarischen Operation im Herzen Beiruts begann, bei der gleichzeitig fast 500 präparierte Telefon-Pager und Walkie-Talkie-Bomben gezündet wurden, folgte ein intensives Bombardement der libanesischen Hauptstadt aus der Luft, bei dem bis zum 26. September Hunderte von Menschen, darunter viele Kinder, getötet und mehr als 1800 Zivilisten verletzt wurden und bis zu einer Million Menschen zur Flucht aus ihren Häusern gezwungen wurden. Berichten zufolge haben hunderttausende von ihnen in Syrien Zuflucht gesucht, wo es bereits zahlreiche Flüchtlingslager gibt, in denen selbst die Grundversorgung praktisch nicht mehr existiert.

Am 27. September ein weiterer Coup für den israelischen Staat: die Tötung des obersten Führers der Hisbollah, Hassan Nasrallah. Diese und andere Schläge gegen die Hisbollah kommen eindeutig dem Netanjahu-Regime zugute, das sich im Gegensatz zum tödlichen Morast in Gaza mit eindeutigen „Siegen“ brüsten kann. In der Zwischenzeit hat die israelische Bodenoffensive im Südlibanon bereits begonnen, mit Kommandoangriffen auf Hisbollah-Stützpunkte, unterstützt durch Luftangriffe. Die israelische Offensive hat die Hisbollah eines beträchtlichen Teils ihrer derzeitigen Führung beraubt, aber es ist eine völlige Illusion zu glauben, dass man den Terrorismus durch die Auslöschung einiger Kommandeure beseitigen kann. Der Krieg im Libanon wird für Israel kein schnelles und einfaches Ende haben, wie es bereits 2006 feststellen musste.

Die Hisbollah hat Rache geschworen und ruft weiterhin zur Zerstörung des Staates Israel auf, während Teheran seinerseits als Vergeltung einen Regen von ballistischen Raketen auf Tel Aviv und Jerusalem abfeuert, was wiederum eine Eskalation der israelischen Antwort provozieren wird. Beide Seiten nutzen die derzeitige Konzentration auf die bevorstehenden amerikanischen Wahlen, auf den ungewissen Ausgang und das Herannahen dieses Termins, um ihre provokative Politik zu intensivieren, und stellen sich dabei taub gegenüber den Aufforderungen sowohl der Vereinigten Staaten als auch der Europäischen Union, die zu einem sofortigen Waffenstillstand aufgerufen haben. Die lokalen Mächte stürzen sich in eine eskalierende und irrationale militärische Situation, die die gesamte Region in Brand zu setzen droht. Gleichzeitig offenbart der Konflikt die widersprüchliche Haltung der USA, die Israel weiterhin mit Waffen versorgen und einige seiner Angriffe mit Geheimdienstinformationen unterstützen, wie beispielsweise die israelische Attacke auf den Jemen. Washington hat ein Interesse an der Schwächung des Iran und seiner Verbündeten in der Region – was auch ein Schlag gegen Russland wäre, da der Iran einer seiner wichtigsten Waffenlieferanten ist. Sowohl die USA als auch Großbritannien haben eine direkte Rolle bei Israels Reaktion auf den iranischen Raketenangriff gespielt (Geheimdienstinformationen und Raketenabwehrfeuer durch die US-Mittelmeerflotte). Gleichzeitig will Washington aber nicht, dass die ganze Situation außer Kontrolle gerät, und Netanjahus wachsende Missachtung der amerikanischen Appelle ist ein weiteres Zeichen für die schwindende Autorität der USA auf globaler Ebene.

In geringerem Ausmaß, aber auch bedeutsam ist, dass sich der Krieg zwischen Russland und der Ukraine verhärtet und festgefahren ist. Selenskyj hat kürzlich in einer Rede vor der UNO versucht, die „internationale Gemeinschaft“ davon zu überzeugen, die Ukraine wirksamer zu unterstützen, indem er scheinheilig einen „Friedensplan“ vorstellte, während er in Wirklichkeit kaum verhohlen zugibt, dass es darum geht, Druck auf Moskau auszuüben, um Russland unter den neuen, von der Ukraine auferlegten Bedingungen „zum Frieden zu zwingen“. Dies veranlasste Putin zu einer heftigen Reaktion, indem er erklärte, er werde „niemals einen Frieden unter Zwang akzeptieren“, und bekräftigte, dass die Bedingungen Moskaus für einen Waffenstillstand immer dieselben seien: Anerkennung der von Russland zu Beginn des Krieges eroberten Regionen und Ausschluss einer Aufnahme der Ukraine in die NATO. Diese Bedingungen sind wiederum für Kiew völlig inakzeptabel. Darüber hinaus hat Großbritannien Langstreckenraketen des Typs Storm Shadow an die Ukraine geliefert und scheint seine Haltung in Bezug auf deren Einsatz gegen Ziele innerhalb Russlands geändert zu haben. Sollten die USA, Deutschland und andere westliche Länder grünes Licht für den Einsatz dieser Raketen in Russland geben, wäre dies ein weiterer Schritt in Richtung Abgrund. Als Reaktion darauf hat Putin das Protokoll für den Einsatz von Atomwaffen geändert, das nun ihren „asymmetrischen“ Einsatz im Falle einer Bedrohung wichtiger Einrichtungen auf russischem Boden, auch durch eine nicht-nukleare Macht, erlaubt. Infolgedessen wird die Aussicht auf die Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen den beiden Hauptakteuren des Konflikts erneut begraben. Vor Ort hingegen nehmen die Kämpfe und die gegenseitigen Zerstörungen nicht nur zu, sondern drohen mit der Wiederaufnahme von Bombenangriffen rund um die Kernreaktoren des Kraftwerks Saporischschja eine noch bedrohlichere Wendung zu nehmen, wobei sich beide Seiten gegenseitig vorwerfen, mit dem Feuer zu spielen.

Diese Kriege zeigen, wie beim Spiel mit dem Feuer die gesamte herrschende Klasse dieses barbarischen Systems schuldig ist!

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In diesem Sommer eskalierten die mörderischen Spannungen in der Ukraine und im Nahen Osten in einer zerstörerischen Spirale, deren Ergebnis nicht deutlicher sein könnte: Aus diesen Kriegen wird für keine der kriegführenden Parteien jemals etwas Gewinnbringendes hervorgehen.

Eine nicht enden wollende Eskalation des Krieges

Die Vorstöße der russischen Armee in der Ostukraine wurden von der ukrainischen Armee in der Region Kursk mit neuen Angriffen, diesmal direkt auf russischem Boden, beantwortet. Damit wurde ein weiterer Schritt unternommen, der die Bevölkerung und die Welt mit einer Ausweitung des Konflikts und einer noch tödlicheren Konfrontation bedroht. Alle Kriegsparteien befinden sich in einer äußerst gefährlichen Spirale: Selenskyj zum Beispiel wartet nur darauf, dank der europäischen und amerikanischen Raketen, die er erhält, Russland noch tiefer treffen zu können. Und das heizt die mörderische Eile des Kremls nur noch weiter an, wobei die Angriffe in Poltawa der endlosen Liste der Opfer 55 Tote hinzugefügt haben.

Weißrussland seinerseits ist immer noch eine Kraft, die eine aktive Rolle in dem Konflikt spielen könnte: Mit dem ukrainischen Angriff auf Kursk hat sich diese Möglichkeit erhöht. An der gemeinsamen Grenze zwischen Weißrussland und der Ukraine hat die Lukaschenko-Regierung ein Drittel ihrer Armee stationiert, und die Militärübungen im Juni erinnerten daran, dass sich russische Atomwaffen auf dem Territorium des Landes befinden.

Das gleiche Risiko, den Teufelskreis des Krieges zu verlängern, besteht in Polen, das erneut seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht hat und seine Truppen in Alarmbereitschaft hält. Obwohl die NATO, in der Polen Mitglied ist, offiziell die Entsendung von Truppen abgelehnt hat, sprach der polnische Ministerpräsident Donald Tusk Ende März von einer „Vorkriegszeit“.

Im Nahen Osten wurde die tägliche Schmach im Gazastreifen durch die Offensive der israelischen Armee im Westjordanland und ihr Eingreifen im Südlibanon gegen Ziele der Hisbollah in einer völlig irrationalen Flucht nach vorn noch verschlimmert. Die provokative Ermordung des Hamas-Chefs in Teheran hat nur dazu geführt, dass er durch einen neuen, noch extremistischeren und blutrünstigeren Führer ersetzt wurde, und hat eine weitere Lunte zum regionalen Pulverfass entzündet. All dies hat dem Iran und seinen Verbündeten natürlich neue Vorwände geliefert, sich noch stärker in den Konflikt einzumischen und ihre Verbrechen und Provokationen zu verstärken.

Während der heuchlerischen „Waffenstillstandsgespräche“ in Doha Mitte August gingen die Massaker und die Zerstörung unvermindert weiter. Netanjahu hört nicht auf, jeden Versuch einer diplomatischen Öffnung zu torpedieren, um seiner Politik der verbrannten Erde mehr Nachdruck zu verleihen, indem er Leichen anhäuft, um seine Haut zu retten. Jede Seite hat nichts anderes getan, als das Gemetzel zu vergrößern, um die Verhandlungen zu beeinflussen.

Netanjahu und Hamas, Putin und Selenskyj und die imperialistischen Mächte, die sie aktiv unterstützen – all diese imperialistischen Geier sind in einer unaufhaltsamen Logik endloser und zunehmend zerstörerischer Konfrontationen gefangen. Dies bestätigt nur, dass die Kriegsspirale des sich vollständig zersetzenden Kapitalismus jede wirtschaftliche Rationalität verloren hat und dazu neigt, sich der Kontrolle ihrer direkten Protagonisten und aller beteiligten imperialistischen Mächte zu entziehen.

Beschleunigter Zerfall verschärft die Konflikte

Diese Konflikte verdeutlichen das enorme Gewicht des Zerfalls des kapitalistischen Systems, dessen unumkehrbare Beschleunigung die Menschheit je länger je mehr zu zerstören droht: durch ihre Dauer, durch die politische Sackgasse, die sie offenbaren, durch ihre Irrationalität und ihre Logik der verbrannten Erde. Auch wenn ein Weltkrieg nicht auf der Tagesordnung steht, kann die Verschärfung und zunehmende Ausweitung der Konflikte aufgrund des allgemeinen „Jeder für sich“, der Instabilität der Bündnisse, die heute die internationalen Beziehungen kennzeichnen, auf lange Sicht nur zu immer mehr Zerstörung und Chaos führen.

Die Tatsache, dass es keine imperialistischen Blöcke mehr gibt, die zu einem Weltkrieg bereit sind (wie der Westblock und der Ostblock während des Kalten Krieges), führt letztlich zu noch mehr Instabilität: Da es keinen gemeinsamen Feind und keine Blockdisziplin mehr gibt, handelt jede Fraktion nun für ihre eigenen Ziele, was sie schneller zu Konfrontationen in einem Kampf jeder gegen jeden führt, der das Handeln der anderen behindert und es immer schwieriger macht, ihre Politik zu kontrollieren.

Diese Tendenz ist der Grund dafür, dass die Vereinigten Staaten zwar ihre Unterstützung für die NATO aufrechterhalten, ihre eigenen Fraktionen aber über die Politik sowohl zur Ukraine als auch zum Gazastreifen streiten. Während die Regierung Biden vorschlug, die Hilfe für ihre Verbündeten aufrechtzuerhalten, versuchten die Republikaner, sie einzuschränken, indem sie im Kongress zunächst 60 Milliarden Dollar für die Ukraine und 14 Milliarden Dollar für Israel einfroren, bevor sie schließlich nachgaben und der Freigabe zustimmten. Diese Brüche verstärken die Schwierigkeiten der Vereinigten Staaten, ihre Hegemonie in der Welt durchzusetzen. Sie verlieren mehr und mehr die Kontrolle über ihre Politik und ihre Autorität gegenüber den Akteuren in den Konflikten.

In diesem Rahmen gießt die zunehmende Polarisierung zwischen den beiden Großmächten China und USA Öl ins Feuer. Auch wenn die Aussicht auf einen ausgewachsenen Krieg zwischen diesen beiden Mächten vorerst nicht in Frage kommt, sind die Spannungen konstant und das Risiko einer regionalen Konfrontation um Taiwan nimmt zu. China setzt seine Militärübungen in der Nähe der Insel und um sie herum fort, führt seine militärischen Provokationen im Chinesischen Meer weiter und verstärkt sie, wenn auch vorsichtig, und schüchtert insbesondere die Philippinen und Japan zunehmend ein. Die Vereinigten Staaten, die sehr besorgt sind, erheben ihre Stimme und bekräftigen ihre Unterstützung für ihre bedrohten Verbündeten, während sie gleichzeitig ihre Provokationen verschärfen. Die Situation wird zunehmend unkontrollierbar und unberechenbar. Die Gefahr eines neuen Flächenbrands nimmt ständig zu.

Die ProletarierInnen bleiben die Hauptopfer

Proletarierinnen und Proletarier sind immer am stärksten betroffen, sei es direkt in den Konfliktgebieten oder abseits der Fronten durch die Angriffe im Zusammenhang mit der Kriegswirtschaft. In den Kriegsgebieten sind sie Opfer von Bombardierungen, leiden unter Einschränkungen und müssen Terror, Schrecken und Massaker ertragen. Wenn sie nicht gerade in Fabriken, Bergwerken oder Büros ausgebeutet werden, benutzt die Bourgeoisie sie als Kanonenfutter. In der Ukraine rekrutiert die Regierung jeden Mann zwischen 25 und 60 Jahren nach eigenem Gutdünken, entweder direkt durch Entführung oder mit der Verlockung eines höheren Gehalts als in einem zivilen Beruf. Neben der Zwangsrekrutierung nutzt die Bourgeoisie die miserablen Bedingungen der Arbeiter aus, um sich ihr Blut und ihr Leben zu erkaufen. All dies war nur dank intensiver nationalistischer Propaganda, umfangreicher ideologischer Kampagnen und staatlich geplanter Konditionierung möglich: „Der Krieg ist ein methodisches, organisierte, riesenhaftes Morden. Zum systematischen Morden muss aber bei normal veranlagten Menschen erst der entsprechende Rausch erzeugt werden. Dies ist seit jeher die wohlbegründete Methode der Kriegführenden. Der Bestialität der Praxis muss die Bestialität der Gedanken und der Gesinnung entsprechen, diese muss jene vorbereiten und begleiten".[1] Aus diesem Grund ist die Arbeiterklasse in der Ukraine, in Russland und im Nahen Osten derzeit nicht in der Lage, zu reagieren, und wird es angesichts des „Rausches“, dem sie unterworfen wird, auch nur sehr schwer tun können.

Es stimmt, dass Netanjahus Regierung zunehmend unpopulär ist, und die Nachricht von der jüngsten Ermordung israelischer Geiseln durch die Hamas hat große Demonstrationen ausgelöst, da immer mehr Israelis erkennen, dass die erklärten Ziele der Regierung, die Geiseln zu befreien und die Hamas zu zerstören, sich gegenseitig ausschließen. Aber die Demonstrationen, selbst wenn sie einen Waffenstillstand fordern, bleiben im Rahmen des Nationalismus und der bürgerlichen Demokratie und enthalten keine Impulse für eine proletarische Antwort auf den Krieg.

Das Proletariat der westlichen Länder bleibt durch seine Erfahrung mit dem Klassenkampf, insbesondere mit den raffinierten Fallen, die die bürgerliche Herrschaft stellt, das wichtigste Gegenmittel gegen die zerstörerische Spirale. Durch seine Kämpfe gegen die Auswirkungen der Kriegswirtschaft, sowohl gegen die Haushaltskürzungen als auch gegen die galoppierende Inflation, legt es die Grundlagen für seine künftigen Angriffe auf den Kapitalismus.

Tatlin/WH, 5. September 2024

 

[1] Rosa Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie (1916)

Rubric: 

Imperialistische Konflikte