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Revolutionäre haben immer mit größter Behutsamkeit die Frage der Übergangsperiode aufgeworfen. Die Menge, die Komplexität und vor allem das Neue an den Problemen, denen sich das Proletariat stellen muß, verhindern jegliche Erarbeitung von detaillierten Plänen für die zukünftige Gesellschaft; jeder Versuch, so zu verfahren, riskiert, sich in eine Zwangsjacke zu verwandeln, die die revolutionären Aktivitäten der Klasse ersticken würde. Marx zum Beispiel hat sich immer geweigert, "Rezepte für die Probleme der Zukunft" zu geben. Rosa Luxemburg hob die Tatsache hervor, daß wir hinsichtlich der Übergangsgesellschaft "nur wenige große Wegweiser (besitzen), die die Richtung anzeigen, in der die Maßnahmen gesucht werden müssen, dazu vorwiegend negativen Charakters."(Zur Russischen Revolution) (Ges. Werke, Bd. 4, S. 359).
Wenn die unterschiedlichen revolutionären Erfahrungen der Klasse (die Pariser Kommune, 1905, 1917-20) und auch die Erfahrungen der Konterrevolution eine gewisse Anzahl von Problemen klären, die in der Übergangsperiode auftreten, dann handelt es sich hierbei um die Betrachtung des allgemeinen Rahmens und nicht um ihre detaillierte Lösung. Es ist dieser Rahmen, den wir in diesem Text ans Licht zu bringen versuchen.
DAS WESEN DER ÜBERGANGSPERIODE
Die menschliche Geschichte setzt sich aus unterschiedlichen, stabilen Gesellschaften zusammen, die mit der entsprechenden Produktionsweise und daher mit stabilen sozialen Verhältnissen verknüpft sind. Diese Gesellschaften basieren auf den vorherrschenden ökonomischen Gesetzen, die ihnen innewohnen. Sie bestehen aus festen sozialen Klassen und fußen auf einem geeigneten Überbau. Die wesentlichen, stabilen Gesellschaftsformen in der geschriebenen Geschichte sind die Sklavengesellschaft, die asiatische Geschichte, die Feudalgesellschaft und die kapitalistische Gesellschaft.
Was die Übergangsperioden von Zeiträumen unterscheidet, in denen die Gesellschaft stabil ist, ist die Auflösung der alten sozialen Strukturen und die Bildung neuer Strukturen. Beide sind mit der Entwicklung der Produktivkräfte verknüpft und werden von dem Auftreten und der Entwicklung neuer Klassen als auch von der Entwicklung von Ideen und Institutionen begleitet, die diesen Klassen entsprechen.
Die Übergangsperiode stellt keine eigene Produktionsweise dar, sondern ist das Bindeglied zwischen zwei Produktionsweisen, der alten und der neuen. In dieser Periode entwickeln sich auf Kosten der alten allmählich die Keime der neuen Produktionsweise, bis sie soweit sind, die alte Produktionsweise zu verdrängen und eine neue, vorherrschende Produktionsweise zu bilden.
Zwischen zwei stabilen Gesellschaften ist (und dies trifft für die Periode zwischen Kapitalismus und Kommunismus genauso zu wie für die Vergangenheit) die Übergangsperiode eine absolute Notwendigkeit. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß sich aus der Austrocknung der Existenzbasis der alten Gesellschaft nicht automatisch die Heranreifung der Bedingungen für die neue ergibt. Mit anderen Worten, der Zerfall der alten Gesellschaft bedeutet nicht unweigerlich die Reifung einer neuen, sondern ist lediglich die Bedingung dafür.
Die Dekadenz und die Übergangsperiode sind zwei sehr unterschiedliche Phänomene. Jede Übergangsperiode setzt die Auflösung der alten Gesellschaft voraus, deren Produktionsweise und -verhältnisse die äußerste Grenze ihrer Möglichkeiten erreicht haben. Jedoch bedeutet nicht jede Periode der Dekadenz notwendigerweise eine Übergangsperiode, denn diese stellte eine Überwindung, einen Schritt hin zu einer neuen Produktionsweise dar.
Z.B. hat die Stagnation der asiatischen Produktionsweise nicht die Tür aufgestoßen zu einer neuen Produktionsweise. Ebenso gab es im antiken Griechenland nicht die Voraussetzungen für die Überwindung des Sklaventums. Das gleiche trifft auf das alte Ägypten zu.
Dekadenz bedeutet die Erschöpfung der alten sozialen Produktionsweise; Übergang bedeutet das Aufkommen neuer Kräfte und Bedingungen, die eine Auflösung und die Überwindung der alten Widersprüche erlauben.
DER UNTERSCHIED ZWISCHEN DER KOMMUNISTISCHEN UND ANDEREN GESELLSCHAFTEN
Um die Natur der Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Kommunismus zu skizzieren und hervorzuheben, was diese Periode von allen anderen vorhergehenden Perioden unterscheidet, darf man einen grundlegenden Gedanken nicht vergessen. Jede Übergangsperiode geht aus dem Wesen der neuen Gesellschaft hervor, die im Entstehen begriffen ist. Daher müssen die grundlegenden Unterschiede, die die kommunistische Gesellschaft gegenüber all den anderen Gesellschaftsformen auszeichnen, deutlich gemacht werden:
a) Alle früheren Gesellschaften (mit Ausnahme des Urkommunismus, der der Vorgeschichte angehört) waren Gesellschaften gewesen, die in Klassen gespalten waren.
Der Kommunismus ist eine klassenlose Gesellschaft.
b) Alle anderen Gesellschaften fußten auf Eigentum und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.
Der Kommunismus kennt keine Art von individuellem oder kollektivem Eigentum; er ist die vereinigte und harmonische menschliche Gesellschaft.
c) Die anderen Gesellschaften in der Geschichte basierten auf einer ungenügenden Entwicklung der Produktivkräfte im Verhältnis zu den Bedürfnissen der Menschen. Sie waren Gesellschaften des Mangels. Aus diesem Grund wurden sie von blinden, ökonomischen, sozialen und natürlichen Kräften beherrscht. Die Menschheit hat sich der Natur und, als ein Ergebnis davon, den sozialen Kräften, die sie selbst erzeugt hat, entfremdet.
Der Kommunismus ist die völlige Entwicklung der Produktivkräfte, eine Fülle an Produktion, die die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen imstande ist. Er ist die Befreiung der Menschheit von der Vorherrschaft der Natur und der Ökonomie. Er ist die bewußte Meisterung der Lebensbedingungen durch die Menschheit. Er ist die Welt des Friedens und nicht mehr die Welt der Notwendigkeit, die die vergangene Geschichte der Menschheit gekennzeichnet hat.
d) Alle vergangenen Gesellschaften überlieferten anachronistische Überbleibsel vergangener Wirtschaftssysteme, sozialer Beziehungen, Ideen und Vorurteile. Dies ist der Tatsache zuzuschreiben, daß all diese Gesellschaften auf Privateigentum und der Ausbeutung der Arbeit anderer beruhten. Aus diesem Grunde konnte und mußte eine neue Klassengesellschaft, wenn sie erst einmal triumphiert hatte, mit den Überresten der alten besiegten Gesellschaft, der ehemals herrschenden Klassen fortfahren und sie anpassen. Die neue Klassengesellschaft konnte sogar Elemente der alten herrschenden Klasse in die Macht eingliedern. Auf diese Weise konnten Sklaverei- und Feudalverhältnisse innerhalb des Kapitalismus weiter existieren, und lange Zeit teilte die Bourgeoisie die Macht mit dem Adel.
Die Situation in einer kommunistischen Gesellschaft ist völlig anders. Der Kommunismus behält keine ökonomischen oder sozialen Überbleibsel der Gesellschaft bei. Solange solche Überreste weiter existieren, kann man nicht von einer kommunistischen Gesellschaft sprechen: was für einen Platz könnte es in einer solchen Gesellschaft z.B. für Kleinproduzenten oder Sklavenverhältnisse geben? Dies macht die Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Kommunismus derart lang. Genauso wie das hebräische Volk 40 Jahre lang in der Wüste ausharren mußte, um sich von der in der Sklaverei geformten Mentalität zu befreien, wird die Menschheit mehrere Generationen benötigen, um sich von den letzten Spuren der alten Welt freizumachen.
e) Genauso wie sie sich auf eine Teilung in Klassen stützten, so beruhten alle vorhergehenden Gesellschaften auf regionalpolitischen oder nationalstaatlichen Spaltungen. Dies geht primär auf die Gesetze der ungleichen Entwicklung zurück, die vorschreiben, daß die Entwicklung der Gesellschaft - obwohl überall eine ähnliche Orientierung verfolgt wird - relativ unabhängig und separat in den verschiedenen Bereichen stattfindet, mit zeitlichen Abständen von zum Teil mehreren Jahrhunderten. Die ungleiche Entwicklung selbst wird durch die schwache Entwicklung der Produktivkräfte verursacht: es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Entwicklungsgrad und der Ebene, auf der diese Entwicklung erscheint. Erst die Produktivkräfte, die durch den Kapitalismus auf seinem Gipfel entwickelt wurden, erlauben zum ersten Mal in der Geschichte eine wirkliche Interdependenz zwischen den verschiedenen Teilen der Welt.
Die Etablierung einer kommunistischen Gesellschaft hat sofort die gesamte Welt zu ihrer Arena. Um den Kommunismus zu etablieren, ist die gleiche Entwicklung in derselben Zeit in allen Ländern erforderlich. Er ist völlig universell oder es ist nicht.
f) Auf der Basis von Privateigentum, Ausbeutung, der Teilung in Klassen und in verschiedene geographische Zonen neigte die Produktion in den vorhergehenden Gesellschaften notgedrungen zur Warenproduktion, mit all dem, was der Konkurrenz und der Anarchie in der Verteilung und im Verbrauch folgte, die allein durch das Wertgesetz, durch den Markt und durch das Geld reguliert werden.
Der Kommunismus kennt keine dieser Spaltungen und bedarf keines Staates. Darüberhinaus kann er keinen Organismus zum Regieren der Menschen in sich dulden. Im Kommunismus gibt es nur noch Platz für die Verwaltung von Dingen.
CHARAKTERISTIKEN VON ÜBERGANGSPERIODEN
Die Übergangsperiode zum Kommunismus ist ständig durch die Gesellschaft beeinträchtigt, aus der sie entstand (die Vorgeschichte der Menschheit), zugleich aber auch beeinflußt von der Gesellschaft, zu der sie hinstrebt (die völlig neue Geschichte der menschlichen Gesellschaft). Dies unterscheidet sie von all den früheren Übergangsperioden.
FRÜHERE ÜBERGANGSPERIODEN
Bisherigen Übergangsperioden ist die Tatsache gemeinsam, daß sie sich innerhalb der alten Gesellschaft entfalteten. Die endgültige Durchbruch der neuen Gesellschaft - vollzogen durch eine Revolution - kommt zum Ende des Übergangsprozesses selbst. Diese Situation ist das Resultat zweier wesentlicher Gründe:
1. Vergangene Gesellschaften hatten alle dieselbe soziale, wirtschaftliche Grundlage - die Spaltung in Klassen und die Ausbeutung, was die Übergangsperiode auf einen einfachen Wechsel oder Transfer der Privilegien, nicht deren Unterdrückung, reduzierte.
2. All diese Gesellschaften ordneten sich, und dies bildete ihren Wesenszug, blind dem Imperativ von Gesetzen unter, die auf der schwachen Entwicklung der Produktivkräfte (die Herrschaft der Notwendigkeit) beruhen. Die Übergangsperiode zwischen solchen Gesellschaften ist daher durch eine blinde ökonomische Entwicklung gekennzeichnet.
DIE ÜBERGANGSPERIODE ZUM KOMMUNISMUS
Da der Kommunismus einen totalen Bruch mit der ganzen Ausbeutung und all den Klassenspaltungen darstellt, erfordert der Übergang zu dieser Gesellschaft einen radikalen Bruch mit der alten Gesellschaft. Auch kann der Kommunismus sich nur außerhalb der alten Gesellschaft entfalten.
Der Kommunismus ist nicht eine Produktionsweise, die Gegenstand blinder ökonomischer, gegen die Menschen gerichteter Gesetze ist, sondern beruht auf einer bewußten Organisation der Produktion, die eine Vielfalt von Produktivkräften ermöglicht, wie sie von der alten kapitalistischen Gesellschaft selbst nicht erreicht werden konnte.
WAS UNTERSCHEIDET DIE ÜBERGANGSPERIODE ZUM KOMMUNISMUS VON DEN ANDEREN?
1. Die Übergangsperiode zum Kommunismus kann nur außerhalb des Kapitalismus beginnen. Die Reifung der Bedingungen für den Sozialismus erfordert als Vorbedingung die Zerstörung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Vorherrschaft des Kapitalismus in der Gesellschaft.
2. Die Übergangsperiode zum Kommunismus kann nur auf Weltebene begonnen werden.
3. Anders als in den früheren Übergangsperioden können in jener zum Kommunismus die wesentlichen Institutionen des Kapitalismus - Staat, Polizei, diplomatischer Korps - nicht vom Proletariat benutzt werden. Sie müssen daher vollständig zerstört werden.
4. Folglich ist die Eröffnung der Übergangsperiode wesentlich durch die politische Niederlage des Kapitalismus und durch den Sieg der politischen Vorherrschaft des Proletariats gekennzeichnet.
"Um die gesellschaftliche Produktion in ein umfassendes und harmonisches System freier Kooperativarbeit zu verwandeln, bedarf es allgemeiner gesellschaftlicher Veränderungen, Veränderungen der allgemeinen Bedingungen der Gesellschaft, die nur verwirklicht werden können durch den Übergang der organisierten Gewalt der Gesellschaft, d.h. der Staatsmacht, aus den Händen der Kapitalisten und Grundbesitzer in die Hände der Produzenten selbst" (Instruktionen für die Delegierten des Zentralrates, Karl Marx, MEW 16, S. 193, Aug. 1866).
"Die Eroberung der politischen Macht wird zur ersten Aufgabe der Arbeiterklasse" (Marx)
DIE PROBLEME DER ÜBERGANGSPERIODE
Die weltweite Generalisierung der Revolution ist die erste Bedingung für die Eröffnung der Übergangsperiode. Die Frage der ökonomischen und sozialen Maßnahmen, die besonders zum Schutz isolierter "Vergesellschaftungen" in einem Land, einer Region, einer Fabrik oder in einer Gruppe von Menschen notwendig sind, ist der weltweiten Generalisierung der Revolution untergeordnet. Selbst nach einem ersten Sieg des Proletariats setzt der Kapitalismus seinen Widerstand in Form eines Bürgerkrieges fort. In dieser Periode muß alles der Zerstörung der Macht des Kapitalismus untergeordnet werden. Dieses erste Ziel ist die Bedingung für jede weitere Entwicklung.
Einzig und allein eine Klasse ist am Kommunismus interessiert: das Proletariat. Andere produktive und ausgebeutete Klassen können in den Kampf gezogen werden, den das Proletariat gegen den Kapitalismus führt, aber sie können als Klasse niemals zu Trägern des Kommunismus werden. Daher ist es notwendig, eine wesentliche Aufgabe zu betonen: die Notwendigkeit für das Proletariat, sich nicht durch andere Klassen verwirren zu lassen oder sich in ihnen aufzulösen. In der Übergangsperiode kann das Proletariat als einzige revolutionäre Klasse, die sich die Aufgabe der Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft aufbürdet, die Erfüllung dieser Aufgabe nur sicherstellen, wenn es sich als autonome und politisch herrschende Klasse in der Gesellschaft bestätigt. Das Proletariat allein hat ein kommunistisches Programm, das es auszuführen versucht, und als solches muß es alle politischen und bewaffneten Kräfte in seinen Händen behalten: Es besitzt ein Monopol an Waffen. Um seine Aufgabe zu vollbringen, schafft sich das Proletariat organisatorische Strukturen: die Arbeiterräte mit den Fabriken als Basis und die revolutionäre Partei.
Die Diktatur des Proletariats kann in folgenden Worten zusammengefaßt werden:
- das Programm (das Proletariat weiß, wo lang es geht);
- seine allgemeine Organisation als Klasse;
- die bewaffnete Kraft.
Die Beziehungen zwischen dem Proletariat und den anderen Klassen sind wie folgt:
1. Gegenüber der kapitalistischen Klasse und den alten Herrschern der kapitalistischen Gesellschaft (Abgeordnete, hohe Funktionäre, die Armee und die Kirche): totale Unterdrückung aller Bürgerrechte und Ausschluß aus dem politischen Leben.
2. Hinsichtlich der Bauern und Handwerker, d.h. unabhängige und nicht-ausbeutende Produzenten, die den Hauptteil der Gesellschaft bilden: das Proletariat kann sie nicht völlig aus dem politischen Leben und am Anfang auch nicht aus dem Wirtschaftsleben eliminieren. Das Proletariat wird notgedrungen veranlaßt sein, einen Modus vivendi mit diesen Klassen zu finden, wobei es gleichzeitig eine Politik verfolgen sollte, die auf die Auflösung und Integration dieser Klassen in die Arbeiterklasse abzielt.
3. Wenn die Arbeiterklasse diesen anderen Klassen im Wirtschafts- und Verwaltungsleben schon Rechnung tragen muß, so darf sie ihnen dennoch nicht die Möglichkeit zur Bildung autonomer Organisationen (Presse, Parteien etc.) einräumen. Diese zahlreichen Klassen und Schichten werden in ein auf territorialen Räten basierendes Verwaltungssystem integriert. Sie werden als Bürger, nicht als eine Klasse in die Gesellschaft eingegliedert werden.
4. Im Hinblick auf jene sozialen Schichten, die im gegenwärtigen Kapitalismus einen besonderen Platz in der Wirtschaft besitzen, wie jene der akademischen Berufe, Ingenieure, Technokraten, Intellektuelle (die als die "neue Mittelschicht" bezeichnet werden), muß das Verhalten des Proletariats auf folgenden Gesichtspunkten beruhen:
- diese Klassen sind nicht homogen. Ihre höchsten Schichten sind grundlegend in die kapitalistische Funktion und Mentalität eingebunden, während ihre untersten Schichten dieselbe Funktion und Interessen wie die Arbeiterklasse haben.
- das Proletariat muß also dahingehend handeln, daß es diese bereits existierenden Unterschiede noch verschärft.
Die Übergangsgesellschaft ist immer noch eine in Klassen gespaltene Gesellschaft, und so wird sich in ihr notwendigerweise jene Institution erheben, die allen in Klassen gespaltenen Gesellschaften eigen ist: der STAAT. Trotz aller Beschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen, die man dieser Institution auferlegen wird (Beamte werden delegiert und können jederzeit wieder abgewählt werden; ihre Bezahlung wird die gleiche eines Arbeiters sein; die gesetzgebenden und -ausführenden Funktionen werden vereinheitlicht, etc), und die diesen Staat in einen "Halb-Staat" verwandeln werden, dürfen wir niemals die historisch anti-sozialistische und daher anti-proletarische und im wesentlichen konservative Natur aus dem Blick verlieren. Der Staat bleibt der Wächter des Status Quo.
Wir erkennen die Unvermeidbarkeit dieser Institution an, die das Proletariat als ein notwendiges Übel benutzen muß, um den Widerstand der dahinschwindenden kapitalistischen Klasse zu brechen und den einheitlichen administrativen und politischen Rahmen in dieser Periode zu wahren, in der die Gesellschaft immer noch von unüberbrückbaren Interessen zerrissen ist.
Aber wir lehnen kategorisch den Gedanken ab, diesen Staat als einen Faktor der Entwicklung und gar als ein Symbol des Kommunismus zu betrachten. Durch sein eigenes Wesen ("bürgerlicher Natur in seinem Wesen" - Marx) ist er in seinem Kern ein Organ zur Erhaltung des Status quo und ein Hemmnis für den Kommunismus. So kann der Staat weder mit dem Kommunismus noch mit dem Proletariat, dem Träger des Kommunismus, identifiziert werden. Das Proletariat ist per Definition die dynamischste Klasse in der Geschichte, da es die Aufhebung aller Klassen einschließlich sich selbst herbeiführt. Deshalb drückt das Proletariat, während es den Staat benutzt, seine Diktatur nicht durch den Staat, sondern ÜBER ihn aus. Deshalb auch kann das Proletariat dieser Institution (dem Staat) unter keinen Umständen erlauben, mit Gewalt innerhalb der Klasse zu intervenieren oder gar den Schiedsrichter in den Diskussionen und Aktivitäten der Klassenorgane zu stellen - den Räten und der revolutionären Partei.
Auf der ökonomischen Ebene besteht die Übergangsperiode aus einer Wirtschaftspolitik (und nicht mehr aus der politischen Ökonomie) des Proletariats, mit Blick auf die Beschleunigung des Prozesses der allgegenwärtigen Vergesellschaftung von Produktion und Verteilung.
Aber die Verwirklichung dieses Programms eines auf allen Ebenen integrierten Kommunismus wird als das von der Arbeiterklasse bejahte und verfolgte Ziel in der Übergangsperiode noch lange Gegenstand unmittelbarer, gemeinsamer Maßnahmen aller Art sein, was nur der pure utopische Voluntarismus ignorieren kann. Das Proletariat wird umgehend versuchen, soweit wie möglich seinem Ziel zuzustreben, wobei es die unvermeidlichen Zugeständnisse anerkennen muß, die es zu tolerieren gezwungen ist. Zwei Gefahren bedrohen eine solche Politik:
- die Idealisierung dieser Politik, die als kommunistisch dargestellt wird, obwohl sie nichts dergleichen ist;
- das Leugnen der Notwendigkeit einer solchen Politik im Namen eines idealistischen Voluntarismus.
EINIGE MASSNAHMEN IN DER ÜBERGANGSPERIODE
Ohne vorgeben zu wollen, einen Entwurf für diese Maßnahmen zu schaffen, können wir zumindest allgemeine Gedanken dazu beisteuern:
1. Sofortige Vergesellschaftung der großen kapitalistischen Konzentrationen und der führenden Zentren produktiver Aktivität.
2. Planung der Produktion und Verteilung - der Maßstab der Produktion muß die maximale Befriedigung der Bedürfnisse und nicht länger die Akkumulation sein.
3. Massive Arbeitszeitverkürzung.
4. Beträchtlicher Anstieg des Lebensstandards.
5. Der Versuch, die auf Löhne und ihrer Geldform basierende Vergütung abzuschaffen.
6. Sozialisierung des Verbrauchs und der Befriedigung der Bedürfnisse (Transport, Freizeit, Ernährung etc.).
7. Die Beziehung zwischen dem kollektivierten Bereich und den Produktionsbereichen, die noch in privater Hand sind - besonders auf dem Land - muß zu einem organisierten, kollektiven Austausch durch Kooperativen streben, um so den Markt und den individuellen Tauschhandel aufzuheben.
M.C. Révolution Internationale / Frankreich, erschienen in The International Review, Nr. 1 (April 1975)