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Im ersten Teil dieses Artikels (siehe Internationale Revue Nr. 14) haben wir gesehen, dass die Russische Revolution im Gegensatz zu der Propaganda der Herrschenden kein Staatsstreich war, sondern die gigantischste und bewussteste Bewegung der ausgebeuteten Massen in der Geschichte - die einen an Erfahrung, Initiative und Kreativität reichen Schatz hinterlassen hat. Ungeachtet der späteren Niederlage war es der klarste Beweis, dass die Arbeiterklasse die einzig revolutionäre Klasse in der Gesellschaft ist, und als einzige dazu in der Lage, die Menschheit vor der Katastrophe zu retten, in die der zerfallende Kapitalismus uns treibt.
Die Ereignisse des Oktober 1917 hinterliessen uns eine grundlegende Lehre: als herrschende Klasse wird die Bourgeoisie gegenüber dem revolutionären Kampf der arbeitenden Massen nicht die Hände in den Schoss legen. Sie wird im Gegenteil versuchen, diesen mit allen möglichen Mitteln zu sabotieren. Neben Zuckerbrot und Peitsche benutzt sie eine sehr gefährliche Waffe: die Sabotage von Innen heraus, die von den Vertretern der Herrschenden in den Reihen der Arbeiter - die mit einem radikalen Gewand bekleidet sind - betrieben wird. Damals waren es die ‚sozialistischen Parteien’, heute sind es die linken und ‚extrem-linken’ Parteien und die Gewerkschaften.
Diese Sabotage stellte die Hauptbedrohung für die im Februar begonnene Revolution dar. Die Sabotage der Sowjets mittels der sozialverräterischen Parteien, wodurch der bürgerliche Staat sein Werkzeug in den Sowjets zum Einsatz bringen konnte. In diesem 2. Artikel werden wir uns näher mit dieser Frage befassen und untersuchen, wie die Arbeiterklasse damit mittels der Erneuerung der Sowjets und mit Hilfe der Bolschewistischen Partei und dem Aufstand fertig wurde.
DIE SOWJETS ERGRIFFEN DIE MACHT
Die Ereignisse des Oktober 1917 hinterliessen uns eine grundlegende Lehre: die Bourgeoisie wird angesichts von revolutionären Kämpfen der Arbeiterklasse nicht tatenlos zusehen. Im Gegenteil wird sie versuchen, den Kampf wo immer möglich zu sabotieren. Deshalb benutzt sie neben Zuckerbrot und Peitsche eine sehr gefährliche Waffe: Sabotage im Innern, ausgeführt durch bürgerliche Kräfte, die das Gewand der Arbeiterklasse anlegen und eine radikale Sprache sprechen, damals die ‚sozialistischen Parteien’, heute tun dies die Parteien der ‚Linken’ und ‚Extremen Linken’ sowie die Gewerkschaften.
Die Sabotage der Sowjets durch die sozialverräterischen Parteien, die es dem Apparat des bürgerlichen Staates erlaubte, weiter Widerstand zu leisten, stellte die Hauptgefahr der Revolution dar, die im Februar begonnen hatte. Wir wollen nun aufzeigen, wie das Proletariat dem Problem begegnete durch die Erneuerung der Sowjets, durch die Bolschewistische Partei und durch den Aufstand.
DIE BOURGEOISIE SABOTIERTE DIE SOWJETS
Die Bourgeoisie stellte die Februarrevolution als eine Bewegung dar, die zur ‚Demokratie’ hinstrebte und durch die Machenschaften der Bolschewisten vergewaltigt wurde. Diese Verschleierung beruhte auf der Gegenüberstellung der Ereignisse des Februars und des Oktobers, wobei die Februarereignisse als ein echter ‚demokratischer’ Schritt, die des Oktobers als ein ‚Staatsstreich gegen den Volkswillen’ dargestellt wurden.
Diese Lüge zeigt die Wut der Bourgeoisie darüber, dass die Ereignisse zwischen Februar und Oktober sich nicht so abspielten, wie sie sich das gewünscht hatte. Die Bourgeoisie dachte, dass die Massen nach dem Rücktritt des Zaren im Februar ruhig nach Hause zurückkehren und die Politik wieder der Bourgeoisie überlassen würden, ab und zu durch ‚demokratische Wahlen’ abgesichert. Das Proletariat aber schluckte den Köder nicht. Dagegen entfaltete es eine gewaltige Aktivität, wurde sich zunehmend seiner historischen Aufgaben bewusst und entwickelte die notwendigen Kampfmittel: die Sowjets. So entstand eine Situation der Doppelmacht: ‚entweder erobert die Bourgeoisie tatsächlich den alten Staatsapparat und erneuert ihn für ihre eigenen Ziele, wobei die Sowjets verschwinden müssen oder die Sowjets werden zur Grundlage eines neuen Staates, wobei sie nicht nur den alten Apparat, sondern auch die Herrschaft jener Klassen, denen er gedient hat, liquidieren“ (Trotzki, Doppelherrschaft S. 186).
Die herrschende Klasse setzte die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre ein, ehemalige Arbeiterparteien, und die mit dem Krieg ins bürgerliche Lager übergewechselt waren, die aber nunmehr das Ziel verfochten, die Sowjets zu zerstören und die Autorität des bürgerlichen Staates wiederherzustellen. Zu Beginn der Februarrevolution gewannen diese Parteien ein grosses Vertrauen in den Reihen der Arbeiter, das sie einsetzten, um die Exekutivorgane der Sowjets zu kontrollieren und die Aktionen der Bourgeoisie zu verbergen.
„Dort, wo sich kein Bourgeoisminister zeigen konnte, um die Regierung zu rechtfertigen vor den revolutionären Arbeitern oder in den Sowjets, dort erschien ein ‚sozialistischer’ Minister, Skobelew, Zereteli, Terschnow u.a. (richtiger, dorthin wurde er von der Bourgeoisie geschickt) und verrichtete gewissenhaft die Sache der Bourgeoisie, gab sich alle Mühe, die Regierung zu rechtfertigen, die Kapitalisten reinzuwaschen, narrte das Volk mit der Wiederholung von Versprechungen, Versprechungen und Versprechungen, mit Ratschlägen, abzuwarten, abzuwarten und nochmals abzuwarten“ (Lenin, Die Lehren der Revolution, Ausgew. Werke, Bd. 2, S. 236). Im Februar entwickelte sich eine für die Arbeiterklasse sehr gefährliche Situation. Sie kämpfte (mit den Bolschewiki als Vorhut), um den Krieg zu beenden, das Agrarproblem zu lösen und für die Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung. Um dies zu erreichen, brachte sie die Sowjets hervor und das Vertrauen seitens der Klasse in die Sowjets war riesengross. Aber die aus dem Proletariat hervorgegangenen Sowjets wurden von den menschewistischen und sozialrevolutionären Demagogen vereinnahmt, die zu diesem Zweck alle möglichen Sabotagetaktiken benutzten: Ununterbrochen versprachen sie Frieden, während sie die Provisorische Regierung den Krieg fortführen liessen.
Am 27. März versuchte die Provisorische Regierung, die Dardanellenoffensive zu entfesseln, deren Ziel die Eroberung Konstantinopels war. Am 18. April ratifizierte Miljukow, der Aussenminister, die berühmte Note über den Beitritt Russlands zur Entente (Frankreich und Grossbritannien). Im Mai unternahm Kerenski eine Kampagne an der Front, um die Moral der Soldaten zu heben und um sie kampfwillig zu machen; eine Kampagne, die den tiefen Zynismus Kerenskis verdeutlichte: ‚Ihr werdet mit den Spitzen Eurer Bajonette Frieden bringen’. Im Juni und August versuchten die Sozialdemokraten enger Zusammenarbeit mit den zaristischen Generälen die Arbeiter und Soldaten in eine neue militärische Schlacht zu ziehen.
Auf dieselbe Weise gingen sie mit den Menschenrechten hausieren. Tatsächlich versuchten sie die brutale Militärdisziplin in der Armee wieder herzustellen und die Todesstrafe wieder einzuführen. Auch versuchten sie, die Soldatenkomitees zu überzeugen, die Offiziere nicht zu provozieren. Als beispielsweise der Petrograder Sowjet seinen berühmten “Befehl Nr. 1ä veröffentlichte, der die körperliche Bestrafung der Soldaten verbot und deren Würde und Rechte verteidigte, verbreitete das Exekutivkomitee als Gegengift einen Appell an die Soldaten, der unter dem Scheine der Verurteilung der Selbstjustiz gegen Offiziere Unterordnung gegenüber dem alten Kommandobestand forderte“ (Trotzki, Die Regierenden und der Krieg, S. 237).
Endlos redeten sie über die ‚Lösung des Agrarproblems’, während sie die Macht der Grossgrundbesitzer unangetastet liessen und die Bauernrevolten niederschlugen.
Systematisch blockierten sie jede geringste Anweisung im Agrarwesen - zum Beispiel diejenige, die die Landübertragung beendet hätte. Stattdessen gaben sie das spontan von den Bauern besetzte Land an die Grossgrundbesitzer zurück. Strafexpeditionen wurden zur blutigen Niederschlagung der Bauernrevolten gesandt, und die Vorarbeiter konnten wieder die Peitsche gegen die Landarbeiter benutzen.
Sie blockierten die Einführung des 8-Stunden-Tages und erlaubten den Besitzern, die Fabriken zu schliessen. Den Bossen wurden erlaubt, die Produktion zu sabotieren mit dem Ziel, einerseits die Arbeiter verhungern zu lassen und andererseits, sie zu zerstreuen und zu demoralisieren: „Die Kapitalisten nutzten die Struktur der modernen kapitalistischen Produktion und deren enge Verbindung mit den nationalen und internationalen Banken und anderen Organisationen des vereinigten Kapitals (Syndikate, Trusts, verschiedene Fabrikantengesellschaften usw.) und begannen, ein umfassendes, wohlüberlegtes System der ‚Sabotage’ aufzuziehen. Als Mittel wandten sie anfangs Einstellung der Arbeiter der Fabrikverwaltung, Desorganisation der Betriebe, Verstecken und Entfernen von Material, Brandstiftungen an... Die Kapitalisten legten sich bei der Wahl ihrer Methoden keinen Zwang auf“ (A.M. Pankratova, Fabrikräte in Russland, Moskau 1923/Frankfurt 1976, S. 179).
Sie entfesselten eine wilde Repression gegen den Kampf der Arbeiter.
„In Charkow akzeptierte eine Versammlung von 30.000 organisierten Bergarbeitern den Grundsatz der IWW (Industriearbeiter der Welt): 'Die arbeitenden und die besitzenden Klassen haben nichts miteinander gemein'. Kosaken jagten die Bergarbeiter auseinander; einige wurden von den Bergwerksbesitzern ausgesperrt, der Rest rief den Generalstreik aus. Der Minister für Handel und Industrie, Konowalow, gab seinem Vertreter Orlow unbeschränkte Vollmacht, der Schwierigkeiten mit allen ihm gutdünkenden Mitteln Herr zu werden. Die Bergarbeiter hassten Orlow. Aber das Zentralexekutivkomitee der Sowjets bestätigte nicht nur seine Ernennung, sondern lehnte auch die Forderung ab, die Kosaken aus dem Donezbecken zurückzurufen“ (J. Reed, S. 83).
Sie täuschten die Massen mit leeren Worten über die revolutionäre Demokratie, während sie die Massnahmen der Sowjets sabotierten.
Sie versuchten, die Sowjets aus dem Innern heraus zu liquidieren, indem sie seine Resolutionen nicht verwirklichten oder Vollversammlungen aufschoben und alles den Machenschaften der kleinen Komitees überliessen. Sie versuchten, die ausgebeuteten Massen zu spalten: Bereits seit April hatten Menschewiki und -Sozialrevolutionäre an die Provinz gegen Petrograd zu appellieren begonnen, an die Soldaten gegen die Arbeiter, an die Kavallerie gegen die Maschinengewehrschützen. Sie gaben den Kompanien privilegiertere Vertretungen in den Sowjets als den Fabriken; begünstigten die kleinen, vereinzelten Betriebe gegenüber den Metallgiganten. Verkörperungen des gestrigen Tages suchten sie Schutz bei Rückständigkeiten jeglicher Art. Den Boden unter den Füssen verlierend, hetzten sie die Arrieregarde gegen die Avantgarde“ (Trotzki, „Julitage - Kulminationspunkt und Zertrümmerung“, S. 451).
Sie versuchten die Sowjets dazu zu bringen, die Macht an demokratische Organe zu übergeben: die Zemstvos - vom Zar eingerichtete lokale Organe; an die Moskauer demokratische Augustkonferenz, ein wahres Schlangennest, das repräsentative Kräfte wie den Adel, das Militär, die schwarzen Hundertschaften, die Kadetten usw. zusammenfasste.
Im September versuchten sie, die Sowjets kaltzustellen durch die Einberufung der Vordemokratischen Konferenz, in der die Bourgeoisie und der Adel auf den ausdrücklichen Wunsch der Sozialverräter 683 Abgeordnete hatten im Vergleich zu 230 Sowjetabgeordneten. Kerenski versprach dem amerikanischen Botschafter: Wir werden die Sowjets eines natürlichen Todes sterben lassen. Der politische Schwerpunkt wird sich zunehmend von den Sowjets zu den neuen demokratischen Organen mit autonomer Repräsentation verschieben.
Die Sowjets, die das Proletariat aufriefen, die Macht zu übernehmen, wurden demokratisch mit Waffengewalt niedergeschlagen: Dazu kam die Sprengung des Sowjets in Kaluga. Die Bolschewiki hatten dort die Mehrheit erlangt und einige politische Gefangene freigesetzt. Die Stadtduma rief mit Zustimmung des Regierungskommissars Truppen aus Minsk herbei, die das Gebäude des Sowjets mit Artillerie beschossen. Die Bolschewiki kapitulierten. Während sie das Gebäude verliessen, wurden sie plötzlich von Kosaken mit dem Ruf überfallen: 'So werden wir es mit allen bolschewistischen Sowjets machen, die von Petrograd und Moskau nicht ausgenommen“(J. Reed, S. 84). Die Arbeiter sahen, wie ihre Klassenorgane untergraben wurden und eine Politik verfolgt wurde, die gegen ihre Interessen gerichtet war. Wie oben aufgezeigt, riefen die politischen Krisen im April, Juni und hauptsächlich im Juli entschiedene Taten hervor: Die Erneuerung der Sowjets, um sie auf die Machtergreifung hin zu orientieren. Die Sowjets waren - wie Lenin sagte - Organe, die sich „auf die unmittelbare Initiative der Volksmassen von unten“ (Lenin, Über die Doppelherrschaft) stützten. Dies befähigte die Massen zu einer schnellen Änderung in dem Augenblick, wo sie erkannten, dass sie nicht ihre Interessen vertraten. Von Mitte August an beschleunigte sich das Leben der Sowjets zu einem schwindelerregenden Tempo. Tag und Nacht wurden ununterbrochen Versammlungen abgehalten. Arbeiter und Soldaten führten bewusste Diskussionen, verabschiedeten Resolutionen, stimmten mehrmals täglich ab. In diesem Klima einer intensiven eigenständigen Aktivität der Massen in verschiedenen Sowjets (Helsingfors, im Ural, Kronstadt, Reval, im Baltikum usw.), wählten diese von den Bolschewiki, den internationalistischen Menschewiki, linken Sozialrevolutionären, Anarchisten gebildete revolutionäre Mehrheiten.
Am 31. August nahm der Petrograder Sowjet einen bolschewistischen Antrag an. Die Führer des Sowjets - die Menschewiki und Sozialrevolutionäre - lehnten den Antrag ab. Am 9. September wählten die Sowjets eine bolschewistische Mehrheit. Moskau folgte unmittelbar und so setzte sich das im ganzen Land fort. Die Massen wählten diejenigen Sowjets, die sie brauchten, um die Macht zu übernehmen und auszuführen.
DIE ROLLE DER BOLSCHEWISTISCHEN PARTEI
Im Kampf der Massen um die Kontrolle ihrer Organe gegen die Sabotage der Bourgeoisie spielten die Bolschewiki eine entscheidende Rolle. Das Zentrum der Aktivität der Bolschewiki war die Entwicklung der Sowjets:
„Die Konferenz wiederholt, dass es notwendig ist, eine vielfältige Aktivität in den Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten zu entwickeln, die Anzahl der Sowjets zu erhöhen, ihre Macht zu festigen und die proletarischen internationalistischen Gruppen unserer Partei in den Sowjets zusammenzuschweissen“ ( 7. Gesamtrussische Konferenz der SDAPR , April 1917).
Diese Aktivität war zentral für die Entwicklung des proletarischen Klassenbewusstseins, eine geduldige Arbeit in der Klärung des proletarischen Klassenbewusstseins und des Zusammenhaltes zwischen den Arbeitern der Städte und auf dem Lande“. (ebenda).
Dies hiess, Vertrauen zu haben einerseits in die kritische und analytische Fähigkeit der Massen: „Während aber die Agitation der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre zerfahrenen, widersprechenden, am häufigsten ausweichenden Charakter trug, zeichnete sich die Agitation der Bolschewiki durch Überlegung und Konzentriertheit aus. Die Versöhnler suchten durch Geschwätz sich der Schwierigkeiten zu entledigen, die Bolschewiki gingen diesen entgegen. Dauernde Analyse der Situation, Nachprüfung der Parolen an den Tatsachen, ernsthaftes Verhalten dem Gegner, sogar dem wenig ernsten, gegenüber, verliehen der bolschewistischen Agitation besondere Stärke und Überzeugungskraft“ (Trotzki, Die Bolschewiki und die Sowjets, S. 656).
Andererseits in die Fähigkeit zur Einheit und Selbstorganisation: „Glaubt nicht an Worte. Lasst euch nicht von Versprechungen ködern. Überschätzt eure Kräfte nicht. Organisiert euch in jedem Betrieb, in jedem Regiment, in jeder Kompanie, in jedem Häuserblock. Arbeitet täglich und stündlich an der Organisation, arbeitet daran selber, diese Arbeit darf man niemandem anderen anvertrauen“ (Lenin, Einleitung zu den Resolutionen der 7. Gesamtrussischen Konferenz der SDAPR, Bd. 2, S. 156).
Die Bolschewiki versuchten nicht, die Massen, wie ein General seine Truppen anführend, einem vorgefassten Aktionsplan zu unterwerfen. Sie verstanden, dass die Revolution die Arbeit der Massen in direkten Aktionen war, und dass sie durch diese direkten Aktionen ihre historische Aufgabe erfüllten:
„Die Hauptstärke Lenins war, dass er die innere Logik der Bewegung begriff und danach seine Politik richtete. Er zwang den Massen nicht seinen Plan auf. Er half den Massen, ihren eigenen Plan zu erkennen und zu verwirklichen“ (Trotzki, Die Umbewaffnung der Partei, S. 277).
Die Partei entwickelt keine Rolle als Vorhut der Klasse, indem sie sagt: „Hier ist die Wahrheit, auf die Knie jetzt“. Im Gegenteil wurde die Partei von all den Ungewissheiten und Hindernissen erfasst, die der Klasse im Wege standen; und wie der Rest der Klasse - wenn auch auf andere Weise - war sie dem zerstörerischen Einfluss der bürgerlichen Ideologie ausgesetzt. Sie war aber fähig, ihre Rolle als ein Motor in der Entwicklung des Klassenbewusstseins zu spielen, weil sie durch eine Reihe politischer Debatten die Fehler und Unvollkommenheiten ihrer alten Positionen überwinden konnte und einen Kampf auf Leben und Tod mit den gefährlichen opportunistischen Verirrungen führte, um diese auszulöschen.
Vom Beginn des Monats März an hatte ein beträchtlicher Teil der Bolschewiki die Forderung nach der Wiedervereinigung mit den sozialistischen Parteien (Menschewiki und Sozialrevolutionären) gestellt. Sie brachten ein anscheinend unfehlbares Argument auf, das in den ersten Augenblicken der generellen Begeisterung und wegen des Mangels an Erfahrung der Massen auf diese eine Wirkung hatte: Warum sollten sich die sozialistischen Parteien zu einer Zeit, wo sie Seite an Seite marschieren, nicht vereinigen? Warum die Arbeiter mit 2 oder 3 verschiedenen Parteien verwirren, die alle behaupten, das Proletariat und den Sozialismus zu repräsentieren?
Tatsächlich bedeutete dieses Argument eine ernsthafte Bedrohung für die Revolution: Die Partei, die von 1902 an gegen den Opportunismus und Reformismus ankämpfte, die von 1914 an am konsistentesten und entschiedensten die internationale Revolution gegen den 1. Weltkrieg verteidigte, lief Gefahr, sich im trüben Wasser der Sozialverräter aufzulösen. Wie konnte das Proletariat mit seinen eigenen Kräften die Verwirrungen und Illusionen, an denen es litt, überwinden? Wie konnte es die Manöver und Fallen des Feindes bekämpfen? Wie konnte es den Kampf in der richtigen Richtung weiterführen angesichts der Schwankungen oder der Niederlage? Lenin und die Partei bekämpften siegreich die falsche Einheit, die nur eine Einheit mit der Bourgeoisie bedeutet hätte.
Anfangs war die bolschewistische Partei eine kleine Minderheit. Viele Arbeiter hatten Illusionen über die Provisorische Regierung und betrachteten diese als eine Erscheinung, die aus den Sowjets hervorgegangen war, obwohl sie in Wirklichkeit ihr schlimmster Feind war. Im März und April nahmen die führenden bolschewistischen Organe in Russland eine versöhnlerische Haltung gegenüber der Provisorischen Regierung ein, womit sie die Arbeiter in eine offene Unterstützung für den imperialistischen Krieg führten. Eine von der Basis der Partei ausgehende Bewegung (das Vyborgkomitee) erhob sich gegen diese opportunistische Abweichung. Diese Bewegung fand ihren klarsten Ausdruck in Lenin und seinen Aprilthesen. Für Lenin war die Schlüsselposition: „Keinerlei Unterstützung der Provisorischen Regierung, Aufdeckung der ganzen Verlogenheit aller ihrer Versprechungen, insbesondere hinsichtlich des Verzichts auf Annexionen. Entlarvung der Provisorischen Regierung statt der unzulässigen, Illusionen erweckenden 'Forderung', diese Regierung, die Regierung der Kapitalisten, solle aufhören, imperialistisch zu sein“ (Lenin, Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution, Bd 2, S. 40).
Gleichzeitig verwarf Lenin die Aktivitäten der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre gegen die Sowjets: „Der 'Fehler' der genannten Führer liegt in ihrer kleinbürgerlichen Haltung, liegt darin, dass sie das Bewusstsein der Arbeiter trüben, anstatt es zu klären, dass sie kleinbürgerliche Illusionen einflössen, statt sie zu zerstören, dass sie den Einfluss der Bourgeoisie auf die Massen stärken, anstatt die Massen von diesem Einfluss zu befreien“ (Lenin, Über die Doppelherrschaft, Bd. 2, S. 46).
Gegenüber denjenigen, die diese Entblössung als wenig praktisch betrachteten, erwiderte Lenin: „In Wirklichkeit ist es im höchsten Grade praktische revolutionäre Arbeit, denn man kann eine Revolution nicht vorwärtstreiben, die zum Stillstand gekommen, die in Redensarten versandet ist, die 'auf der Stelle tritt' nicht etwa äusserer Hindernisse wegen..sondern weil die Massen in blinder Vertrauensseligkeit befangen sind....
Nur durch den Kampf gegen diese blinde Vertrauensseligkeit (der ausschliesslich mit geistigen Waffen, durch kameradschaftliche Überzeugung, durch Hinweis auf die Erfahrungen des Lebens geführt werden kann und darf) können wir uns von der grassierenden revolutionären Phrase befreien und wirklich sowohl das Bewusstsein des Proletariats als auch das Bewusstsein der Massen sowie ihre kühne, entschlossene Initiative überall im Lande, die selbständige Verwirklichung, Entfaltung und Festigung der Freiheiten, der Demokratie, des Prinzips des Gemeinbesitzes des Volkes am gesamten Boden vorantreiben“ (Lenin, Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution, Bd. 2, S. 57).
Die Verteidigung der geschichtlichen Erfahrung der Arbeiterklasse, ihrer Klassenpositionen, bedeutet, dass man in vielen Situationen in den Reihen der Arbeiter in der Minderheit ist. Das kommt daher, weil „die Masse schwankt: zwischen dem Vertrauen zu ihren alten Herren, den Kapitalisten, und der Erbitterung über sie; zwischen dem Vertrauen zu der neuen Klasse, die allen Werktätigen den Weg in eine lichte Zukunft eröffnet, zu der einzigen konsequent revolutionären Klasse, dem Proletariat, und der mangelhaften Erkenntnis seiner welthistorischen Rolle“ (Lenin, Die Lehren der Krise, Bd. 2, S. 87).
Um diese Schwankungen zu überwinden, „kommt es nicht auf die Zahl an, sondern auf den richtigen Ausdruck der Ideen und der Politik des wirklich revolutionären Proletariats“ (Lenin, Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution, Bd. 2, S. 75)
Wie alle anderen proletarischen Parteien waren auch die Bolschewiki ein unzertrennlicher Teil der Klassenbewegung. Bolschewistische Militante waren am aktivsten in den Kämpfen, in den Sowjets, den Fabriken und Versammlungen. Die Julitage zeigten klar die nicht zu lösende Bindung und das Engagement der Bolschewiki gegenüber der Klasse.
Wie wir weiter oben gesehen haben, wurde die Situation gegen Ende Juni untragbar wegen des Hungers, des Krieges und des Chaos. Die Situation wurde noch verschlimmert durch die verdeckte Politik der Bourgeoisie und durch die Tatsache, dass das Zentralexekutivkomitee, das noch immer in der Hand der Sozialverräter war, nichts anderes unternahm als die Sowjets zu sabotieren. Die Arbeiter und Soldaten, hauptsächlich diejenigen in der Hauptstadt, begannen den Sozialverrätern zu misstrauen. Ungeduld, Verzweiflung und Wut wurden in den Arbeiterreihen stärker und stärker; es trieb sie zur unmittelbaren Machtergreifung. Jedoch waren die Bedingungen dazu zu dem Zeitpunkt noch nicht reif:
- die Arbeiter und Bauern in den Provinzen waren noch nicht auf demselben politischen Niveau wie ihre Brüder in der Hauptstadt;
- die Bauern hatten noch immer Vertrauen in die Provisorische Regierung;
- unter den Arbeitern der Hauptstadt war die vorherrschende Meinung, nicht wirklich die Macht zu übernehmen, sondern eine Kraftanstrengung zu unternehmen, um die „sozialistischen Führer zu zwingen, die Macht zu übernehmen. Anders ausgedrückt: die 5. Kolonne der Bourgeoisie bitten, die Macht im Namen der Arbeiter zu übernehmen.
Unter diesen Bedingungen wäre der Beginn der entscheidenden Konfrontation mit der Bourgeoisie und ihren Hilfssheriffs ein Abenteuer gewesen, das das Schicksal der Revolution hätte ernsthaft gefährden können. Es wäre eine Aktion gewesen, die zu einer endgültigen Niederlage geführt hätte.
Die Bolschewiki warnten vor solch einer Aktion; aber als sie sahen, dass die Massen ihre Warnungen nicht berücksichtigten und fortfuhren, standen sie nicht abseits und sagten: „Das ist euer Begräbnis. Die Partei beteiligte sich an den Aktionen und versuchte, die Katastrophe abzuwenden und gleichzeitig den Arbeitern die Möglichkeit zu geben, ein Maximum an Lehren daraus zu ziehen, um sie für den wirklichen Augenblick des Aufstands vorzubereiten. Sie kämpfte mit all ihrer Kraft, um sicherzustellen, dass der Petrograder Sowjet durch ernsthafte Diskussionen und durch die Einsetzung von adäquaten Führern sich selbst so erneuerte, dass er in Übereinstimmung mit der politischen Orientierung der Massen kam.
Die Bewegung war jedoch erfolglos und erlitt eine Niederlage. Die Bourgeoisie und ihre menschewistischen und sozialrevolutionären Hampelmänner begannen eine brutale Repression gegen die Arbeiter und hauptsächlich gegen die Bolschewiki. Das Proletariat hatte einen hohen Preis zu zahlen: Verhaftungen, Erschiessungen und Exil. Das Opfer jedoch half der Klasse, die Auswirkungen der Niederlage zu begrenzen und die Frage des Aufstandes in bewussterer und organisierter Weise, unter besseren Bedingungen neu zu stellen.
Die Bindung der Partei zur Klasse erlaubte ihr, als die schlimmsten Augenblick der Reaktion der Bourgeoisie im August vorüber waren, die Synthese von Partei und Klasse zu verwirklichen, die für den Triumph der Revolution Voraussetzung war: äIn jenen Tagen der Februarumwälzung hatte sich die gesamte vorangegangene langjährige Arbeit der Bolschewiki gezeigt, und die von der Partei erzogenen fortgeschrittenen Arbeiter hatten ihren Platz im Kampfe gefunden; doch eine unmittelbare Leitung seitens der Partei gab es noch nicht. In den Aprilereignissen enthüllten die Parteiparolen ihre dynamische Kraft, die Bewegung jedoch entwickelte sich spontan. Im Juni offenbarte sich der riesige Einfluss der Partei, doch die Massen traten noch im Rahmen einer offiziell vom Gegner bestimmten Demonstration auf. Und erst im Juli erscheint die bolschewistische Partei, nachdem sie den Druck der Massen erfahren hat, gegen alle übrigen Parteien auf der Strasse und bestimmt nicht nur ihre Parolen, sondern auch durch ihre organisatorische Leitung den grundlegenden Charakter der Bewegung. Die Bedeutung einer geschlossenen Avantgarde zeigt sich zum erstenmal in ihrer ganzen Stärke während der Julitage, wo die Partei- um einen hohen Preis - das Proletariat vor Zerschmetterung bewahrt und die Zukunft der Revolution und ihre eigene Zukunft sichert“ (Trotzki, Konnten die Bolschewiki im Juli die Macht ergreifen?, S. 475).
DIE SOWJETS FÜHRTEN DEN AUFSTAND DURCH
Der Zustand der Doppelherrschaft, der die ganze Zeit von Februar bis zum Oktober bestimmte, war eine instabile und gefährliche Zeit. Da sie aufgrund der Unfähigkeit der beiden Klassen, sich jeweils durchzusetzen, sich fortzusetzen drohte, schadete sie hauptsächlich dem Proletariat: Während die Unfähigkeit und das Chaos dieser Periode den wachsenden Popularitätsverlust der herrschenden Klasse verdeutlichte, erschöpfte und vernebelte sie gleichzeitig die Arbeitermassen. Sie wurden in fruchtlose Kämpfe reingezogen, und all das führte zu einer Entfremdung, zu einem Verlust der Sympathien der Mittelklassen gegenüber dem Proletariat. Diese Situation erforderte eine Klärung, eine Loslösung, sie machte den Aufstand zu einer zwingenden Lösung: „Entweder muss die Revolution sehr rasch und entschlossen vorwärtsstürmen, mit eiserner Hand alle Hindernisse niederwerfen und ihre Ziele immer weiter stecken, oder sie wird sehr bald hinter ihren schwächlichen Ausgangspunkt zurückgeworfen und von der Konterrevolution erdrückt“ (Rosa Luxemburg, Zur russischen Revolution, Bd. 4, S. 339).
Der Aufstand ist eine Kunst. Er muss in einem bestimmten Augenblick in der Entfaltung und Reifung der revolutionären Situation ausgeführt werden; er darf weder zu früh erfolgen, was zu einem Fehlschlag führen würde, noch zu spät, was heissen würde, eine Gelegenheit verpasst zu haben, was wiederum bedeuten würde, dass die revolutionäre Bewegung zu einem Opfer der Konterrevolution werden würde.
Anfang September versuchte die Bourgeoisie mit Hilfe von Kornilow einen Putsch - das Signal für die letzte Offensive der Bourgeoisie, um die Sowjets zu beseitigen und ihre Macht wieder vollständig herzustellen. Das Proletariat durchkreuzte in intensiver und breiter Zusammenarbeit mit den Soldaten den Plan der Bourgeoisie und beschleunigte gleichzeitig die Zersetzung der Armee: in zahlreichen Regimentern sprachen sich die Soldaten für die Absetzung der Offiziere aus und für die Organisierung von Soldatenräten - kurzum, sie stellten sich auf die Seite der Revolution.
Wie wir weiter oben gesehen haben, änderte die Erneuerung der Sowjets ab Mitte August klar das Gleichgewicht der Kräfte zugunsten des Proletariats. Die Niederlage des Kornilowputsches beschleunigte diesen Prozess.
Ab Mitte September strömte eine Flut von Resolutionen, die die Machtübernahme verlangten, in die lokalen und regionalen Sowjets (Kronstadt usw.). Der Sowjetkongress der Nordregionen vom 11. bis 13. Oktober sprach sich offen für den Aufstand aus. Der Minsker Regionalkongress der Sowjets entschied, den Aufstand zu unterstützen und schickte Soldaten, die der Revolution loyal waren: „Am 12. gab die Versammlung einer der revolutionärsten Fabriken der Hauptstadt (Stari-Parvyeinen) auf die Hetze der bürgerlichen Presse die Antwort: 'Wir erklären kategorisch, dass wir auf die Strasse gehen werden, sobald wir es für nötig erachten sollten. Uns schreckt nicht der nahe bevorstehende Kampf, und wir glauben fest, dass wir aus ihm als Sieger hervorgehen werden“ (Trotzki, Das militärische Revolutionskomitee, S.769).
Am 17. Oktober beschloss der Petrograder Soldatenrat: „Die Petrograder Garnison kennt nicht länger die Provisorische Regierung an. Unsere Regierung ist der Petrograder Sowjet. Wir werden nur die Befehle des Petrograder Sowjets, die er mittels des Militärisch-revolutionären Komitees ausgibt, ausführen“ (J. Reed).
Der Vyborger Distriktsowjet rief zu einer Demonstration zur Unterstützung der Resolution auf, an der sich Matrosen beteiligten. Eine Moskauer liberale Zeitung - die von Trotzki zitiert wird - beschrieb die Atmosphäre in der Stadt folgendermassen: „In den Arbeitervierteln, in den Fabriken Petrograds, Vevskis, Obujows und Putilows, hat die bolschewistische Agitation für den Aufstand ihren Höhepunkt erreicht. Die Haltung der Arbeiter ist die, dass sie bereit sind, zu jedem Zeitpunkt loszuschlagen“ .
Die Zunahme von Bauernrevolten im September zeigte eine anderes Element der Heranreifung der notwendigen Bedingungen für den Aufstand: „Ein vollendeter Verrat an der Bauernschaft. Die Niederwerfung des Bauernaufstandes zulassen, obwohl wir beide hauptstädtischen Sowjets in Händen haben, heisst jedes Vertrauen der Bauern verlieren und verdientermassen verlieren, heisst sich in den Augen der Bauern mit den Liberdan und den anderen Schuften auf eine Stufe stellen“ (Lenin, Die Krise ist herangereift, Bd. 2, S. 439).
Aber die internationale Lage war der Schlüsselfaktor für die Revolution. Lenin unterstrich dies in einem Brief an die Bolschewistischen Genossen, die am Kongress der Sowjets des Nordgebietes (vom 8.10.1917) teilnahmen:
„Unsere Revolution macht eine im höchsten Grade kritische Zeit durch. Diese Krise fällt zusammen mit der grossen Krise des Heranreifens der sozialistischen Weltrevolution und ihrer Bekämpfung durch den Weltimperialismus. Den verantwortlichen Führern unserer Partei fällt eine gigantische Aufgabe zu, und wenn sie diese nicht erfüllen, so droht der völlige Zusammenbruch der internationalistischen proletarischen Bewegung. In diesem Augenblick bedeutet eine Verzögerung wahrhaftig den Tod“ (Brief an die Genossen Bolschewiki, die am Kongress der Sowjets des Nordgebiets teilnehmen, Bd. 2, S. 496). In einem anderen Brief hob Lenin hervor: „Die Bolschewiki haben nicht das Recht, auf den Sowjetkongress zu warten, sie müssen die Macht sofort ergreifen. Dadurch retten sie sowohl die Weltrevolution (denn andernfalls droht ein Pakt der Imperialisten aller Länder, die nach den Erschiessungen in Deutschland einander entgegenkommen werden, um sich gegen uns zu vereinigen) wie auch die russische Revolution (sonst kann die Welle echter Anarchie stärker werden als wir) und das Leben von Hunderttausenden im Felde“ (Brief an das ZK, das Moskauer Komitee, das Petrograder Komitee.., Bd. 2, S. 491). Dieses Verständnis der internationalen Verantwortung des russischen Proletariats war nicht auf Lenin und die Bolschewiki beschränkt. Im Gegenteil: viele Teile der Arbeiterklasse begriffen sie.
- am 1. Mai 1917 „beteiligten sich in ganz Russland Kriegsgefangene an der Seite der Soldaten an den Märschen mit den gleichen Fahnen, manchmal sangen sie die gleichen Lieder in anderer Stimmlage... der kadettische Minister Schingarew (verteidigte) den Befehl Gutschkows gegen die 'übermässige Nachsicht' mit den Gefangenen... Der Minister fand nicht die geringste Zustimmung. Die Versammlung sprach sich entschieden für die Erleichterung des Schicksals der Gefangenen aus“ (Trotzki, Die Regierenden und der Krieg, S. 242).
„Ein Soldat sprach, von der rumänischen Front, abgemagert, voll bebender Leidenschaft: 'Genossen, wir hungern an der Front, wir frieren, wir sterben und wissen nicht wofür. Ich bitte die amerikanischen Genossen, es in Amerika zu sagen, dass wir Russen unsere Revolution bis zum Tode verteidigen werden. Wir werden alles daransetzen, unsere Feste zu halten, bis die Massen der ganzen Welt sich erheben werden, um uns zu Hilfe zu eilen. Sagt den amerikanischen Arbeitern, dass sie aufstehen mögen zum Kampfe für die soziale Revolution“ (J. Reed, S. 68).
Die Kerenski Regierung beabsichtigte, die revolutionärsten Regimenter von Petrograd, Moskau, Vladimir, Reval usw. an die Front oder in entfernte Regionen zu schicken, um den Kampf unter ihre Kontrolle zu bringen. Gleichzeitig begann die liberale und menschewistische Presse eine Verleumdungskampagne gegen die Soldaten. Sie wurden angeklagt, selbstgefällig zu sein und “ihr Leben nicht für das Vaterland geben zu wollen“. Die Arbeiter der Hauptstadt antworteten unmittelbar: zahlreiche Fabrikversammlungen unterstützten die Soldaten, riefen „Alle Macht den Sowjets“ und verabschiedeten Resolutionen für die Bewaffnung der Arbeiter.
In dieser Atmosphäre entschied der Petrograder Sowjet am 9. Oktober, ein militärisches Revolutionskomitee zu bilden mit dem anfänglichen Ziel, die Regierung zu kontrollieren. Bald wurde es jedoch in das Zentrum der Organisierung des Aufstandes umgewandelt. Es umfasste Abgesandte des Petrograder Sowjets, des Matrosensowjets, des finnischen Sowjets, der Eisenbahnergewerkschaft, des Kongresses der Fabrikräte und der Roten Garde. „Die Roten Garden entstanden zum ersten Mal in der Revolution von 1905 und erschienen erneut in den Märztagen 1917 auf dem Schauplatz, als eine Kraft gebraucht wurde, um Ruhe und Ordnung in den Städten zu wahren. Sie waren bewaffnet, und jeder Versuch der Provisorischen Regierung, sie zu entwaffnen, blieb mehr oder weniger erfolglos. In jeder grossen Krise der Revolution erschienen die Roten Garden auf der Strasse, ungeschult und undiszipliniert, aber von revolutionärem Elan erfüllt“ (J. Reed, S. 27).
Bei der Gründung berief das militärische Revolutionskomitee (MRK) eine Konferenz der Regimentskomitees ein, wo am 18. Oktober offen die Frage des Aufstands diskutiert wurde. Die Mehrheit der Komitees, ausgenommen zwei, die dagegen waren und zwei, die sich für neutral erklärten (es gab 5 weiter Regimenter, die nicht mit der Konferenz übereinstimmten), sprach sich zugunsten des Aufstands aus. Gleichzeitig verabschiedete die Konferenz eine Resolution zugunsten der Bewaffnung der Arbeiter. Die Resolution wurde bereits ausgeführt: In Massen strömten Arbeiter zu den Arsenalen und verlangten nach allen Waffen. Als die Regierung die Aushändigung der Waffen verbot, beschlossen die Arbeiter und Angestellten der Peter-Paul-Festung (einer reaktionären Bastion), sich selbst dem MRK zu Verfügung zu stellen und organisierten gemeinsam mit anderen Arsenalen die Verteilung der Waffen an die Soldaten.
Am 21. Oktober nahm die Konferenz der Regimentskomitees folgende Resolution an:ä1. Die Garnison von Petrograd und Umgebung verspricht dem Militärischen Revolutionskomitee volle Unterstützung bei all seinen Schritten. 2. Die Garnison wendet sich an die Kosaken: Wir laden euch zu unseren morgigen Versammlungen ein. Seid willkommen, Brüder-Kosaken!. 3. Der Allrussische Sowjetkongress muss die Macht in seine Hände nehmen. Die Garnison verspricht feierlich, alle ihre Kräfte dem Kongress zur Verfügung zu stellen. Verlasst euch auf uns bevollmächtigte Vertreter der Soldaten, Arbeiter und Bauern. Wir alle sind auf unseren Posten, bereit zu siegen oder zu sterben“ (Trotzki, Bd 3, S. 785, Das militärische Revolutionskomitee).
Hier haben wir die charakteristischen Merkmale eines Arbeiteraufstands: die kreative Initiative der Massen, geradeaus vorwärts, direkt und eine bewunderswerte Organisationsfähigkeit, Diskussionen und Debatten, die Resolutionen hervorbringen, die den Stand des Bewusstseins, das die Massen erreichten, zusammenfassten; Verlass auf Überzeugungen, wie in dem Aufruf an die Kosaken, die Regierung zu verlassen oder das leidenschaftlich geführte und dramatische Treffen der Soldaten der Peter-Paul-Festung, das am 23. Oktober stattfand und wo entschieden wurde, den Befehlen von niemand anders zu folgen als denen des MRK. Diese Wesensmerkmale sind hauptsächlich Ausdrücke einer Bewegung zur Emanzipation der Menschheit; der direkten, leidenschaftlichen, kreativen Initiative und Führung der ausgebeuteten Massen.
Der Sowjettag am 22. Oktober, der vom Petrograder Sowjet ausgerufen wurde, beschloss endgültig den Aufstand: In allen Distrikten und Fabriken fanden jeden Tag Versammlungen und Treffen statt, die überwältigend mit den Slogans „Nieder mit Kerenski“ und „Alle Macht den Sowjets“ übereinstimmten. Das war ein gigantischer Akt, in dem sich Arbeiter, Beschäftigte, Soldaten, viele Kosaken, Frauen und Kinder offen für den Aufstand vereinigten.
Es ist nicht möglich, im Rahmen dieses Artikels all die Einzelheiten wiederzugeben (dazu empfehlen wir die Bücher von Trotzki und J. Reed). Was wir zeigen wollten, ist das massive, offene und kollektive Wesen des Aufstands.
„Der Aufstand wurde deshalb für einen bestimmten Tag festgelegt, den 25. Oktober. Aber darauf hatte man sich nicht in irgendeiner geheimen Sitzung geeinigt, sondern offen und öffentlich, und die Revolution wurde genau am 25. Oktober siegreich durchgeführt (6. November), wie vorher beschlossen. In der Weltgeschichte hat es viele Revolten und Revolutionen gegeben, aber hatte es jemals einen anderen Aufstand von einer unterdrückten Klasse gegeben, der so offen und öffentlich für ein bestimmtes Datum festgelegt worden war und genau an dem vorgesehenen Datum dann auch siegreich durchgeführt wurde? Aus diesem und anderen Gründen ist die Oktoberrevolution (‚Novemberrevolution’) einzigartig und ohne Vergleich in der Geschichte“ (Trotzki, Die Novemberrevolution 1919). Die Bolschewisten hatten seit September klar die Frage des Aufstands in den Arbeiter- und Soldatenversammlungen gestellt; sie nahmen die kämpferischsten und entschiedensten Positionen im MRK und in den Roten Garden ein; sie rüttelten da, wo Zweifel waren oder wo Positionen für die Provisorische Regierung eingenommen wurden. Dies wurde durch die Überzeugung der Soldaten erreicht: Trotzkis Ansprache war zentral, um die Soldaten der Peter-Paul-Festung zu gewinnen. Auch entblössten sie unermüdlich die Manöver, Vorwürfe und Fallen der Menschewiki. Schliesslich kämpften sie für die Einberufung des 2. Sowjetkongresses gegen die Sabotage der Sozialverräter.
Trotzdem waren es nicht die Bolschewiki allein, sondern das ganze Proletariat Petrograds, das den Aufstand entschied und ihn ausführte. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre hatten ständig das Zusammenkommen des 2. Kongresses der Sowjets hinauszuzögern versucht. Durch den Druck der Massen, das Beharren der Bolschewki, das Verschicken von Tausenden von Telegrammen seitens der örtlichen Sowjets an entsprechende Stellen mit der Aufforderung der Abhaltung dieses Kongresses, das zu seiner Einberufung für den 25. Oktober führte. „Nach der Revolution vom 25. Oktober sprachen die Menschewiki und vor allem Martow viel von der Machtergreifung hinter dem Rücken der 'Sowjets' und der 'Arbeiter'. Man kann sich eine schamlosere Verdrehung der Tatsachen kaum vorstellen. Als die Sowjets - in einer Sitzung - mehrheitlich beschlossen, den 2. Kongress für den 25. Oktober einzuberufen, sagten die Menschewiki 'ihr habt die Revolution beschlossen'. Als wir im Petrograder Sowjets mit einer überwältigenden Mehrheit beschlossen, die Zerstreuung der Regimenter weg von der Hauptstadt nicht zuzulassen, sagten die Menschewiki, 'das ist der Anfang der Revolution“. Als wir im Petrograder Sowjet das militärische Revolutionskomitee schufen, meinten die Menschewiki, 'dies ist das Organ des bewaffneten Aufstands'. Aber als der Aufstand, der zuvor von diesem Organ geplant, ausgearbeitet und 'erfunden' war, auch an jenem festgelegten Tag stattfand, riefen die gleichen Menschewiki: 'eine Verschwörung hat eine Revolution hinter dem Rücken der Arbeiter angezettelt“ (Trotzki, ebenda).
So schuf das Proletariat selbst die Kraft, das Mittel - die allgemeine Bewaffnung der Arbeiter, die Bildung des MRK, der Aufstand - damit der Sowjetkongress wirklich die Macht übernehmen könnte. Hätte der Kongress der Sowjets entschieden, die „Macht zu übernehmen“, ohne vorher diese Massnahmen durchzuführen, wäre dies nur eine leere, inhaltslose Geste geblieben, die leicht durch die Feinde der Revolution hätte zerschlagen werden können. Es ist nicht möglich, den Aufstand als eine isolierte, formale Handlung zu betrachten. Er muss als Teil einer umfassenden Dynamik der ganzen Klasse gesehen werden, konkret in einem Prozess auf internationaler Ebene, auf der sich die Bedingungen für die Revolution entwickelten. Aber auch in Russland, wo unzählbare örtliche Sowjets die Machtergreifung forderten: die Sowjets von Petrograd, Moskau, Tula, im Ural, in Sibirien, in Jukow - führten sie den siegreichen Aufstand gemeinsam durch.
Der Sowjetkongress traf die endgültige Entscheidung, womit die Stärke der Initiative des Proletariats in Petrograd voll bestätigt wurde: „Gestützt auf den Willen der gewaltigen Mehrheit der Arbeiter, Soldaten und Bauern, gestützt auf den in Petrograd vollzogenen siegreichen Aufstand der Arbeiter und der Garnison, nimmt der Kongress die Macht in seine Hände...Der Kongress beschliesst: Die ganze Macht geht allerorts an die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten über, die eine wirkliche revolutionäre Ordnung zu gewährleisten haben“. (An die Arbeiter, Soldaten und Bauern!, Band 2, S. 525).
Adalen, aus Internationale Revue Nr. 72 (1993)
Wir haben die Fehler der Bolschewistischen Partei nie geleugnet, auch nicht ihren Niedergangsprozess, und wie sie zum Rückgrad der verhassten stalinistischen Diktatur wurde. Siehe dazu unsere Artikel in der Internationalen Revue sowie unser Sonderheft: „Die Kommunistische Linke in Russland“.