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Weltrevolution 189

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Kriege, „Naturkatastrophen“, Wirtschaftskrisen ... Der Kapitalismus ist eine Sackgasse! Wir müssen das gesamte System stürzen!

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Mit der Intensivierung der Bombardierungen in der Ukraine und in Russland und dem erneuten Ausbruch von Barbarei in Potrovsk geht die endlose Politik des Terrors und der Zerstörung weiter, die sich auf die Zivilbevölkerung niederschlägt. Im Nahen Osten setzt die israelische Armee ihre genozidalen Bombardierungen unerbittlich fort und startet eine neue blutige Operation, einen groß angelegten Plan zur Eroberung des bereits zerstörten Gazastreifens. Die verwüsteten Gebiete und unzähligen Opfer zeugen überall von der Verschärfung imperialistischer Konflikte. Kapitalistische Kriege sind auf allen Kontinenten unaufhaltsam festgefahren, gefangen in einer wahnsinnigen Logik der verbrannten Erde, einem unerschöpflichen Sturzflug in die Zerstörung und die Ausbreitung des Chaos. Das Wiederaufleben der nuklearen Bedrohung und die damit einhergehende verbale Eskalation sind ein erschreckender Ausdruck davon.

Vor diesem Hintergrund bot die Inszenierung des Treffens zwischen Trump und Putin in Alaska und das Treffen in Washington mit europäischen Staats- und Regierungschefs und Selenskyj ein Spektakel, das offensichtlich nichts daran änderte, wie schrecklich Krieg ist: Die Entfremdung zwischen den europäischen Mächten und Uncle Sam, die Unberechenbarkeit und Diskreditierung der amerikanischen Diplomatie und die Inhaltslosigkeit der Gespräche unterstreichen nur die Beschleunigung des globalen Chaos und die historische Sackgasse, in der sich das kapitalistische System befindet. Diese albtraumhafte Situation schürt Ängste und dient als Rechtfertigung für ein Wettrüsten, das noch größere Gefahren für die Menschheit mit sich bringt.

An allen Fronten zeigt die Bourgeoisie, dass sie keine andere Zukunft zu bieten hat als Krieg, Elend und Katastrophen aller Art. Auf völlig verantwortungslose und kriminelle Weise zerstört sie unter dem Gewicht der akuten Wirtschaftskrise auch weiterhin schamlos die Umwelt und verschärft damit die globale Erwärmung und eine ganze Reihe von Umweltverwüstungen, die die Menschheit und vor allem die Ärmsten direkt bedrohen. Jedes Jahr werden die Folgen deutlicher sichtbar, und auch die Hitzewelle dieses Sommers war erneut von Mega-Bränden in ganz Europa geprägt, die weite geografische Gebiete, insbesondere im Mittelmeerraum (Spanien, Portugal, Griechenland, Südfrankreich usw.), verwüsteten. Dies ist ein düsteres Bild, eine eindrucksvolle Bestätigung für die Beschleunigung des Zerfalls des kapitalistischen Systems, in dem sich alle Krisen und Katastrophen in einer regelrechten Abwärtsspirale gegenseitig verstärken.

Angesichts dieser apokalyptischen Welt hat die Bourgeoisie, mit dem Rücken zur Wand, keine andere Wahl, als massive Angriffe an allen Fronten zu starten, wie sie es überall sonst auch tut. Wie immer muss das Proletariat die Krise und die Kriegswirtschaft aus eigener Tasche bezahlen, mit seinem Schweiß und sogar seinem Blut. Die herrschende Klasse zeigt damit, dass sie keine wirkliche Lösung hat, keine Möglichkeit, den Lauf der Tragödie umzukehren, die sie durch ihre Plünderungen und die Konkurrenzlogik ihres sterbenden Systems verursacht hat.

Ist die Zukunft dann hoffnungslos? Wenn wir uns auf die herrschende Klasse verlassen, auf ihre Wahlversprechen und Lügen, die uns „Demokratie” und „soziale Gerechtigkeit” vor Augen führen, um die Sackgasse ihres Systems besser zu verbergen, sind wir verloren. Auf der anderen Seite gibt es jedoch eine soziale Kraft, die eine echte Perspektive bieten kann: das internationale Proletariat.

Der Kapitalismus im Niedergang, verstrickt in seine Widersprüche und der allgemeinen Konkurrenz, hat dem Proletariat keine wirklichen Reformen mehr zu bieten. Er kann nur noch seine Lebensbedingungen angreifen und es immer stärker auspressen wie eine Zitrone. Unsere Klasse hat daher absolut nichts von diesem System zu gewinnen. Aber weil sie kein anderes Sonderinteresse als den Kampf hat, weil sie eine ausgebeutete Klasse im Kern der weltweiten Produktion ist, hat sie auch die Besonderheit, eine revolutionäre Klasse zu sein. Sie allein verfügt aufgrund der universellen Bedingungen ihrer Ausbeutung über die Waffen, um die Ketten des Kapitalismus zu sprengen, indem sie dessen Gesellschaftsverhältnisse, die auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruhen, abschafft.

Die Geschichte der Arbeiterbewegung zeugt von der Schaffenskraft der Arbeiterklasse, der sozialen Kraft ihres Kampfes und ihrer Fähigkeit, eine revolutionäre Vision für eine befreite, klassenlose Gesellschaft anzubieten. Die Pariser Kommune, die Russische Revolution von 1917 und die revolutionäre Welle von 1917-1923 zeigen, dass dies nicht nur der Traum von Utopisten ist, sondern eine reale historische Bewegung, das Produkt materieller Notwendigkeit.

Heute, nach dreißig Jahren der Stagnation, einem Niedergang ihrer Militanz und ihres Bewusstseins, ist dieselbe Arbeiterklasse, auch wenn ihre neuen Generationen weniger erfahren sind, wieder auf dem Weg des Kampfes. Im Sommer 2022 markierte die massive Bewegung in Großbritannien, die als „Sommer des Zorns” bezeichnet wurde, den Beginn eines echten Bruchs. Dies in dem Sinne, dass es weltweit (was die Bourgeoisie mit einer massiven Medienblockade sorgfältig zu verbergen versucht) eine immense Wut und eine starke Kampfbereitschaft in den Kämpfen gibt: in Frankreich, den Vereinigten Staaten, Kanada, Korea, Belgien ... Durch diese Kämpfe, die überall als „historisch” bezeichnet werden, erleben wir eine spektakuläre Rückkehr der Kampfbereitschaft des Proletariats, angeheizt durch eine im Verborgenen gereifte Bewusstseinsbildung der Arbeiterklasse. Das Proletariat ist nicht mehr bereit, Angriffe ohne Protest hinzunehmen, wie die Kämpfe in Großbritannien im Jahr 2022 und danach an anderen Orten erneut gezeigt haben, mit dem gleichen Slogan: „Genug ist genug!“

Die massiven Angriffe, denen die Arbeitenden erneut ausgesetzt sind, müssen sie dazu bringen, sich zu wehren. Die Arbeiterklasse hat keine andere Wahl, als zu kämpfen. Der Kampf wird lang und schwierig sein, voller Fallstricke und Hindernisse, welche die Bourgeoisie und die Fäulnis ihres Systems geschaffen haben. Revolutionäre und die am meisten zum Kampf bereiten Minderheiten haben in diesem Zusammenhang bereits eine besondere Rolle und Verantwortung: sich zu engagieren, sich darauf vorzubereiten, die Kämpfe anzuregen, indem sie so schnell wie möglich entschlossen eingreifen, das Gedächtnis der Arbeiter wiederzubeleben, den Internationalismus und die Klassenprinzipien zu verteidigen. Angesichts intensiver demokratischer Propaganda, insbesondere von Seiten der Linken und Linksextremen, und angesichts der großen Gefahr des Interklassismus (jener Kämpfe, in denen die Forderungen und Kampfmittel der Arbeiterklasse von den Forderungen des „Volkes”, der Kleinunternehmer, des Kleinbürgertums usw. übertönt werden) müssen revolutionäre Minderheiten und die Arbeiterklasse ihre Autonomie und ihre Kampfmethoden verteidigen, so namentlich kommunistische und proletarische Treffpunkte, Vollversammlungen, Streiks und Massendemonstrationen. Dieser Kampf muss so breit wie möglich sowie entschlossen und vor allem bewusst geführt werden.

WH, 1. September 2025

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Editorial

Die ideologischen Angriffe der Linken des Kapitals gegen die Arbeiterklasse

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Mit dem Leitwort „genug ist genug“ hat die Arbeiterklasse in Großbritannien im Sommer 2022 ihr Haupt erhoben. Eine Welle von Streiks hat die lange Passivität nach der bitteren Isolierung und Niederschlagung des Bergarbeiterstreiks 1984 und der massiven Kampagne nach 1989 über den «Tod des Kommunismus» (durch die der Kommunismus mit dem Stalinismus gleichgesetzt wurde) nach dem Zusammenbruch des Ostblocks überwunden. Dieses Wiederauftauchen einer Kampfbereitschaft entwickelte sich schnell zu einer internationalen Antwort der Arbeiterklasse auf die jahrelangen Demütigungen und Angriffe. Seit diesem historischen Bruch in der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse 2022 wehrt sich das Proletariat gegen die ökonomische Ausbeutung und unternimmt damit auf seinem Klassenterrain Anstrengungen, auch seine Klassenidentität ansatzweise ganz zurückzuerobern. Doch die Bourgeoisie ist sich der Gefahr sehr bewusst und unternimmt alles, um die Arbeiterklasse in diesem Prozess zurückzuwerfen.

Wir gehen hier nicht auf die Gewerkschaften, die Speerspitze der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse ein, die die Aufgabe haben in den Kämpfen alles tun, um die Klasse zu isolieren und durch Manöver in die Falle zu locken, sondern konzentrieren uns auf die linksextremen Gruppen (in Wahrheit die Linke des Kapitals) und hier besonders die Trotzkisten (so z. B. Organisationen wie Klasse Gegen Klasse, Revolutionär Sozialistische Organisation RSO, Sozialismus von Unten, Sozialistische Organisation Solidarität SOL, Revolutionäre Kommunistische Partei RKP usw.). Diese gehen in den letzten Jahren mit enormen Anstrengungen gegen jede weitere Reifung des Klassenbewusstseins vor, indem sie versuchen, politisch suchende Leute für sich zu rekrutieren, politisch in die Irre zu führen, um zu verhindern, dass sie sich in Richtung echter revolutionärer Standpunkte entwickeln.

Diese Organisationen führen eine ideologische Kampagne, die darauf abzielt:

  • den proletarischen Internationalismus zu entstellen;
  • den Kampf der Arbeiterklasse gleichzusetzen mit der «Verteidigung der Demokratie».

Ihr „Internationalismus“

Diese Kampagne besteht vor allem in der Politik fanatischer Unterstützung eines «freien Palästinas», unter dem Slogan des «Rechts der Nation auf Selbstbestimmung».[1] Sie berufen sich dabei auf das barbarische Vorgehen Israels nach den mörderischen Angriffen der Hamas im Oktober 2023. Die Vertreibung und das Aushungern hunderttausender Menschen, das Leiden des Proletariats im Gazastreifen, vor den Augen der ganzen Welt empört Unzählige, dabei vor allem viele Jugendliche. Die tiefe Empörung, die dieser Krieg im Nahen Osten und der Krieg in der Ukraine hervorrufen, wird aber von den trotzkistischen Organisationen verwendet, um den historischen Internationalismus der Arbeiterklasse, der als konkrete Reaktion auf den 1. Weltkrieg als politisches Prinzip von revolutionären Organisationen verteidigt wurde, komplett zu entstellen.

Seit Beginn des Ukrainekrieges 2022 sind die Zeitungen trotzkistischer Organisationen voll von angeblich «internationalistischen» Stellungnahmen und Analysen in radikalem Stil. Nach einer Welle der Auflösung vieler trotzkistischer Gruppen in den 1990er Jahren oder jahrzehntelangem Fokus auf die Mitarbeit in Gewerkschaftsführungen, die Politik des Parlamentarismus – für Wahlen oder Abstimmungen, die Mitarbeit oder Untergrabung (Entrismus) der sozialdemokratischen Parteien oder die «grüne Politik», sind ihre Schlagzeilen nun «Internationalismus», «Klassenkampf», «internationale Solidarität». Sie berufen sich sogar auf Revolutionäre wie Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht, in Deutschland die konsequentesten historischen Verteidiger einer internationalistischen Haltung gegen den Krieg, deren Prinzip darin bestand, sich konsequent hinter keinen Staat und keine Kriegspartei zu stellen und auf der Basis des vereinten Kampfes der Arbeiterklasse den Krieg und den Kapitalismus als Ganzes zu bekämpfen.

Weshalb dieser radikale Schwenker der trotzkistischen Organisationen? Die dramatische Verschärfung aller Widersprüche im Kapitalismus, des Krieges und der ökonomischen Angriffe drängt die Arbeiterklasse dazu, nachzudenken. Dies drückt sich heute wesentlich in einer Politisierung von Minderheiten innerhalb der Arbeiterklasse aus. Diese Dynamik zwingt die trotzkistischen Organisationen und Gruppen dazu, ihre Politik anzupassen und eine radikalere Sprache zu sprechen, um gerade gegenüber der jungen Generation der Arbeiterklasse attraktiv, revolutionär und proletarisch und zu erscheinen.

Das Spektrum der Argumente und Positionen trotzkistischer Organisationen reicht weit. Es gibt Gruppen wie die Bewegung für den Sozialismus BFS, welche ganz offen unter dem Titel der «internationalen Solidarität» die Kriegsführung des ukrainischen Staates gegen den brutalen russischen Gegner begrüßen, und jegliche militärische Unterstützung durch andere Staaten fordern. Diese sind aber eher selten, und es ist keine große Kunst, den kapitalistischen Charakter solcher Organisationen zu erkennen.

Andere, welche «radikal» sowohl Russland als auch die Ukraine anprangern und so auf den ersten Blick internationalistisch scheinen, fordern aber im Krieg im Gazastreifen die «Unabhängigkeit und Selbstbestimmung Palästinas». Nichts anderes als einen palästinensischen kapitalistischen Staat. Sie bezeichnen einen solchen Staat aber geschickt als «unrealistisch», solange der israelische Staat nicht zerstört sei, und versuchen sich damit von der «Zweistaatenlösung», welche auch von der UNO und vielen westlichen Staaten gefordert wird, zu distanzieren. Die Lösung für das Leiden des Proletariats liegt aber nicht in einem «eigenen, unabhängigen, staatlichen Territorium», welches lediglich eine Ausbeutung unter einer anderen nationalen Flagge darstellt.

Explizit einen palästinensischen Staat (wohl unterstützt von Staaten wie dem Iran usw.) zu fordern, würde allzu offensichtlich und durchschaubar dem angeblichen «Internationalismus» der Trotzkisten widersprechen und sie unglaubwürdig machen, denn viele politisierte Leute haben erkannt, dass kapitalistische Staaten zu unterstützen dem historischen Prinzip des Internationalismus, den die Arbeiterklasse hervorgebracht hat, komplett entgegengesetzt ist und den Interessen des Proletariats, einer internationalen Klasse, widerspricht. Mit der Forderung des «Selbstbestimmungsrechts der Völker» in Wahrheit kapitalistische Staaten zu unterstützen ist (wie unter anderem schon im Vietnamkrieg in den 1970er Jahren groß angelegt) eine bestens bekannte Politik des Trotzkismus. Die Gruppe Sozialistische Organisation Solidarität SOL erklärt, «dass der Einsatz für das palästinensische Volk untrennbar verbunden ist mit Antirassismus, Antifaschismus und Internationalismus»[2]. Damit stellen sie eine internationalistische Position erstens als ein politisches Terrain «unter vielen anderen» dar, und meinen damit Aktionen wie die der Global Sumud Flotilla, antimilitaristische Aktionen aller Art und die großen Demonstrationen mit Hunderten nationaler palästinensischer Fahnen – nicht besser als ein Meer von Fahnen des israelischen Staates, oder aller anderen. Zweitens soll nach dieser Logik «Internationalismus» aus dem gleichen Holz geschnitzt sein wie die bürgerlichen Auffassungen des Antirassismus oder Antifaschismus und zu ihnen passen – mehr Demokratie im Kapitalismus also und das Recht auf eigene unabhängige Nationalstaaten.

Internationalismus ist ein Prinzip (und nicht bloß ein politisches Terrain unter vielen anderen) und ist in seinem Inhalt exakt das Gegenteil von dem, was die trotzkistischen Organisationen in verschiedensten Versionen proklamieren: Sich konsequent nicht für den Krieg und somit in die Abschlachtung der Arbeiterklasse anderer Länder mobilisieren zu lassen; jegliche nationalistische Ideologie zurückzuweisen; sich gegen die Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zu wehren, welche durch die zunehmende Militarisierung drastisch zunimmt; in diesem Kampf den Zusammenschluss mit der Arbeiterklasse in den anderen Ländern zu suchen.

Die Frage des Internationalismus ist Gradmesser für den Klassencharakter einer politischen Organisation. Ähnlich wie die Sozialdemokratie, welche 1914 ihren Klassencharakter definitiv änderte und ins Lager der Bourgeoise wechselte, befindet sich der Trotzkismus mit seinen Positionen, spätestens seit Beginn des Zweiten Weltkrieges, durch seine Verteidigung der Alliierten und des Stalinismus, unwiederbringlich im Lager der herrschenden Klasse.

Der Entstellung der Klassenidentität des Proletariats

Die Logik und die Argumentation des Trotzkismus entstellen den Klassencharakter des Proletariats und seinen Kampf. Eine seiner Methoden besteht darin, bestimmte „unterdrückte fortschrittliche Schichten“ – wie sie es nennen – in den Vordergrund zu rücken, die an sich und isoliert als revolutionär dargestellt werden, wie Frauen, Studenten, Immigranten usw. Dies sind im Wesentlichen spalterische Konstrukte, da Frauen, Studenten, Jugendliche oder Immigranten überwiegend Teil der Arbeiterklasse sind und nicht einer speziellen „fortschrittlichen“ politischen Bewegung bedürfen. So schreibt die RSO, eine “Welle der Solidarität [für Gisèle Pelicot] steht in Beziehung zu (…) [der] revolutionären Frauenbewegung im Iran…“ [3] Neben „den Arbeiter*innen, den armen Massen“ weist die SAV „der revolutionären Jugend“ eine besondere Rolle im „Befreiungskampf“ im Sudan zu.[4] Oder wie es die IMT formuliert: "Die Jugend zieht als erste revolutionäre Schlussfolgerungen.“[5]

Die Arbeiterklasse wird mit diesen Behauptungen nicht direkt mit Worten in Frage gestellt, sondern wohl über die Negierung und Verwischung der historischen revolutionären Aufgabe des Proletariats, welche nicht über die Ziele des Kampfes der genannten „fortschrittlichen“ politischen Bewegungen, welche sich auf bestimmte Schichten der Gesellschaft beziehen, hinausgehen würde. Studentenbewegungen oder Jugendbewegungen verschiedenster Art, wie sie in bestimmten Momenten entstanden sind, der bürgerliche Feminismus, Immigranten- und Flüchtlingsorganisationen und deren politische Kampagnen stellen die kapitalistischen Verhältnisse nicht grundlegend in Frage. Der Arbeiterklasse wird vorgeschlagen, eine Zusammenarbeit mit diesen anderen, als fortschrittlich und manchmal sogar als revolutionär bezeichneten Bewegungen, vor allem aber deren Organisationen, einzugehen. Allianzen, welche das Proletariat in seinem Kampf gegen den Kapitalismus angeblich stärken würden, die sie aber in Wirklichkeit in eine amorphe Masse der Bevölkerung eintauchen lassen.

Aber die Grundlage, auf der die Arbeiterklasse als Ganze ihren Kampf entwickelt, unterscheidet sich wesentlich von allen anderen gesellschaftlichen Bewegungen, welche sich nur auf bestimmte soziale Schichten der Gesellschaft berufen (meist klassenübergreifend) und die gemäß ihrem Charakter nicht zu einem Kampf zur Überwindung des Kapitalismus führen. Während die Jugend, Frauen und Flüchtlinge zwar im kapitalistischen System meist besonders benachteiligt sind, führt ihr Kampf nicht zur Aufhebung des Systems, das auf der Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter durch das Kapital beruht. Nur der Kampf des Proletariats als Klasse setzt den Hebel am Ganzen an. Die Arbeiterklasse muss jederzeit ihre Unabhängigkeit und Führungsrolle bewahren.

Der wesentliche Charakter der Politik des Trotzkismus und anderer linker Organisationen besteht aber vor allem darin, die Arbeiterklasse aufzuspalten mit dem Vorschlag, sich in separaten Bewegungen zu formieren!

Klassenautonomie bedeutet für die Arbeiterklasse: "kompromisslos für ihre eigenen Interessen (als Klasse) zu kämpfen, auf ihrem Klassenterrain, mit ihrer eigenen Kampfmethode, ihren eigenen Prinzipien“[6], unabhängig und in die entgegengesetzte Richtung als die „demokratischen“ Bewegungen, ausschließlich ausgerichtet auf die illusorische Beseitigung der Unterdrückung innerhalb des Kapitalismus, und ihre linksextremen Verteidiger.

Gerade heute, mit dem Aufkommen des Populismus, soll sich laut den Trotzkisten die Arbeiterklasse in den Antifaschismus einfügen. Die Revolutionäre Kommunistische Partei (IMT, Der Kommunist) anerkennt radikal, dass der Kampf zur Verteidigung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse notwendig ist, aber dieser müsse mit der Verteidigung der demokratischen Rechte gegen die faschistische Gefahr einhergehen. “Die Blochers, Trumps und Le Pens werden besiegt, indem wir den Kampf der Arbeiterklasse für ihre Lebensbedingungen und demokratischen Rechte organisieren.“[7] Doch die Arbeiterklasse hat überhaupt kein Interesse daran, die demokratischen Rechte im Kapitalismus zu verteidigen. Sie muss dieses System und seine demokratischen Lügen – historisch die geschickteste Ideologie zur Verteidigung des Kapitalismus – überwinden.

Wenn Trump vor drei Wochen die Antifas als terroristische Organisation einstufte, so gibt dies dem Antifaschismus, der linksextremen Variante der bürgerlichen Demokratie, ein scheinbar radikaleres Ansehen und stärkt deren Glaubwürdigkeit.

Der Aufruf der Revolutionären Kommunistischen Partei zur Verteidigung der demokratischen Rechte ist eine Politik, welche die Kraft der Arbeiterklasse auflöst, indem sie dem Proletariat einerseits einen Kampf für Demokratie innerhalb des Kapitalismus und andererseits einen Kampf für die proletarische Perspektive außerhalb des Kapitalismus vorschlägt. Eine altbekannte Politik des Trotzkismus im Krieg von 1936-38 in Spanien, als er der Arbeiterklasse glauben machte, dass der Antifaschismus und die Verteidigung der Demokratie eine notwendige „erste Phase“ im Kampf für die revolutionäre Umwälzung und die Einführung des Sozialismus seien. Eine Strategie, die zu einer schweren Niederlage für die Arbeiterklasse mit Millionen Opfern ganz wesentlich beigetragen hatte.

Nicht genug. Klasse Gegen Klasse behauptet unverschämt, dass der Kampf der Arbeiterklasse zur Verteidigung der Lebensbedingungen eigentlich besser unterlassen werden sollte, denn “die Reduzierung der Arbeitskämpfe einzig und allein auf ihren ökonomischen Inhalt, führt zum Chauvinismus (sic!), also eine Politik im Interesse der Bourgeoisie, weil dieser die demokratischen Kämpfe und die Kämpfe der Unterdrückten nicht als den Kampf der Arbeiter*innenklasse einstuft“.[8] Die Realität ist genau das Gegenteil von dem, was Klasse Gegen Klasse behauptet: der Kampf zur Verteidigung der Lebensbedingungen ist nicht „chauvinistisch“, denn jede Form dieses Kampfes der Arbeiterklasse stellt in ihrem grundlegenden Kern und in letzter Konsequenz  die Frage der Revolution.

Das Klassenterrain

Die Frage des Krieges und die Frage des dramatisch zunehmenden Zerfalls der Gesellschaft, bei der sich die Instabilität und die Auseinandersetzungen zwischen „vernünftigeren, weitsichtigeren und liberaleren“ Teilen der Bourgeoisie und dem Populismus zuspitzen, sind zentrale Probleme, vor denen die Arbeiterklasse heute steht.  

In Deutschland wird die Arbeiterklasse dazu gedrängt, die kapitalistische Demokratie zu verteidigen. Die CDU/SPD-Regierung ist dabei, noch intensivere Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse vorzubereiten und eine massive Aufrüstung voranzutreiben. Linksextreme Organisationen und Gruppen (in diesen Kampagnen sind trotzkistische Organisationen aufgrund ihrer langen Erfahrung wegweisend) rufen dazu auf, an der Seite von Teilen der SPD und der Partei Die Linke, die AfD als „faschistische Hauptgefahr“ zu stoppen – mit Demonstrationen, Aktionstagen und der Beteiligung an Wahlen. Parteien wie die AfD, darauf aufbauend, die Frustration, welche durch sich verschlechternde Lebensbedingungen entsteht, in Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus zu kanalisieren, sind Teil des Angriffes der Bourgeoisie als Ganzes gegen die Arbeiterklasse. Sie sind Ausdruck des Kapitalismus, seines Zerfalls und seiner Perspektivlosigkeit sowie vor allem der enormen Spannungen innerhalb der herrschenden Klasse. Unter der Parole des Antifaschismus und Antipopulismus zu einem „Widerstand gegen die AfD“ aufzurufen bedeutet, sich hinter die anderen, „demokratischeren“ Teile der herrschenden Klasse zu stellen.

Wir sprechen von Klassenterrain. Die Streiks und Demonstrationen seit 2022, mit all ihren Schwächen, sind erste neue Schritte auf diesem eigenen Boden. Sie sind Ausdruck der Verteidigung gegen die Angriffe auf die Lebensbedingungen im Kapitalismus, durch die das Proletariat seine Kampfbereitschaft und sein politisches Selbstvertrauen als revolutionäre Klasse wiedergewinnen kann. Solidarität und Einheit können nur so entstehen. Der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter gegen die Ausbeutung setzt den Hebel am Kern des Systems an und schafft die Grundlage, auf der sich die Kämpfe ausweiten und sich radikal neue gesellschaftliche Perspektiven entwickeln können.

Denn die Empörung und das Nachdenken über den Krieg, der die Brutalität und das zerstörerische Potential des Kapitalismus manifestiert und in dem die Arbeiterklasse ihr Blut lassen und alle Leiden ertragen muss, sind Teil der Bewusstseinsreifung innerhalb der Arbeiterklasse. Nebst der Frage, wie wir gemeinsam gegen die ökonomischen Angriffe kämpfen, diskutieren die Arbeiterinnen und Arbeiter auf Demonstrationen und in Versammlungen auch über Krieg und Kapitalismus – zuerst vor allem in Minderheiten, welche aus Streiks und Mobilisierungen hervorgehen. Die eigenständige Organisierung ist für das Proletariat das Terrain, auf dem alle politischen Fragen diskutiert und geklärt werden können, im Gegensatz zur Unterwerfung unter bürgerliche Ideologien, das heißt antifaschistische oder antipopulistische Bewegungen oder pazifistische (in Wirklichkeit aber pro-palästinensische – also nationalistische) Mobilisierungen, welche mit einem falschen „Internationalismus“ für den Krieg werben. Der Kampf der Arbeiterklasse gegen den Krieg findet nicht auf dem Terrain der Unterstützung unterlegener Nationen in Kriegen statt, nicht mit der Forderung nach „nationaler Selbstbestimmung“ oder mit antimilitaristischen Aktionen. Genau so wenig auf dem Terrain des Antifaschismus. Sich nicht im „Volk“ und „Allianzen“ aufzulösen und sich als autonome Klasse zu organisieren ist die Grundlage, um ganz direkt die ökonomischen Angriffe abzuwehren und sich alle politischen Fragen zu stellen.

Eine zentrale Bedingung dafür sind das Selbstvertrauen und die Fähigkeit sich als Klasse zu verstehen. Das Selbstvertrauen und die Klassenidentität eignen sich das Proletariat im gemeinsamen Kampf, in Streiks, Demonstrationen und Versammlungen an, was alles andere ist als „eine Reduktion des Kampfes auf ihren ökonomischen Inhalt“, wie Klasse Gegen Klasse behauptet.

Auch wenn trotzkistische Organisationen den bürgerlichen Staat kritisieren und mit oft radikalen Worten in Frage stellen, beleben sie bei genauerem Hinschauen den Kapitalismus immer von neuem mit ihrer «Theorie» und Praxis. Sie sind Anhängsel seines Apparats in Zeiten von Krise und Krieg. Aber auch in «Friedenszeiten» und wenn die Krise nicht so virulent ist. Es ist wichtig, dass wir uns darüber Gedanken machen und diskutieren. Nur so wird sich das Bewusstsein in der Klasse über zentrale Fragen entwickeln und vertiefen können.

Laszlo, 15.10.2025

 

[1] Siehe z. B. das Dossier von Klasse Gegen Klasse: Ein Jahr Genozid in Gaza [2] (https://www.klassegegenklasse.org/dossier/ein-jahr-genozid-in-gaza/ [2]), sowie die aktuelle Unterstützung der Global Sumud Flotilla; oder ähnliches der RSO: Kein Transport für Völkermord – Marsch zum Leipziger Flughafen (https://www.sozialismus.click/kein-transport-fuer-voelkermord-marsch-zum-leipziger-flughafen/ [3])

[2] Eberswalde: Kundgebung in Solidarität mit den Palästinenser*innen [4] (https://solidaritaet.info/2025/07/eberswalde-kundgebung-in-solidaritaet-mit-den-palaestinenserinnen/ [5])

[3] Frankreich: Gisèle Pelicot gibt allen Frauen eine Stimme, die sich gegen diese Gesellschaft wehren [6]

[4] Sudan: Generäle ergreifen die Macht – Revolution und Konterrevolution auf der Straße [7]

[5] Jugend und Weltrevolution: Werde Teil der International Marxist Tendency! [8]

[6] April 1939: Ende des spanischen Krieges und Prolog zum Zweiten Weltkrieg [9], IKSonline August 2019

[7] Wie kämpfen gegen Faschisten und Rechtspopulismus [10] (https://kommunismus.ch/deutsch/theorie/faschismus/wie-kaempfen-gegen-faschisten-und-rechtspopulismus/ [10])

[8] Partei und Unterdrückung: Warum organisieren wir uns nicht separatistisch? [11]

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Ideologien für den imperialistischen Krieg

Eine Welle wirtschaftlicher Angriffe gegen die Arbeiterklasse

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Überall auf der Welt lässt die Bourgeoisie das Proletariat für die Kosten der Wirtschaftskrise ihres Systems und die Ausweitung des Militarismus bezahlen, indem sie eine Welle von Angriffen auf die Arbeiterklasse eröffnet. Es ist diese Anhäufung von Angriffen, die zu einer massiven Verarmung führt und heute eine immer stärkere Wut in der Bevölkerung, insbesondere in der Arbeiterklasse, hervorruft, einen Willen zur Gegenwehr und zur Ablehnung der geforderten Opfer.

Neue Angriffe auf die Arbeiterklasse sind unvermeidlich

Um den Wirtschaftskrieg auf internationaler Ebene zu überstehen und die Aufrüstung zu finanzieren, hat die Bourgeoisie jedoch keine andere Lösung, als der Arbeiterklasse immer drakonischere Sparmaßnahmen aufzuerlegen. Diese sind jedoch keineswegs eine Lösung für die Krise, sondern verschärfen nur die Widersprüche des kapitalistischen Systems. Während die Schulden abgrundtief sind und die Bourgeoisie einerseits alle Sozialbudgets kürzt, gibt sie andererseits astronomische Summen für Rüstungsausgaben aus. Für alle Mächte, von den kleinsten bis zu den größten, gilt dieselbe Logik: eine historische Kriegsanstrengung, für die die Arbeiterklasse bezahlen muss! Diese Ausrichtung ist in den Industrieländern Europas und Nordamerikas bereits im Gange. Und machen wir uns keine Illusionen: Eine Rückkehr zu einer früheren, erträglicheren Situation ist ebenso ausgeschlossen wie die Mittel, um die berechtigte Wut zu besänftigen. Die am stärksten industrialisierten Länder Europas befinden sich im Zentrum dieser Dynamik.

In Belgien mobilisiert sich die Arbeiterklasse seit Anfang 2025 gegen die Maßnahmen der Regierung, die 26 Milliarden Euro an Haushaltseinsparungen durchsetzen will, um die Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität der nationalen Wirtschaft zu steigern, während gleichzeitig Dutzende Milliarden für den Kauf von Rüstungsgütern ausgegeben werden. Dieses umfangreiche Sparprogramm wird die gesamte Arbeiterklasse hart treffen, während die Beschäftigten in privaten Unternehmen bereits massenhaft entlassen, die automatische Indexierung der Löhne und Sozialleistungen ausgehöhlt, die Zulagen für Überstunden und Nachtarbeit gekürzt, die Flexibilität der Arbeit erhöht und das Recht auf Arbeitslosengeld eingeschränkt werden. Darüber hinaus werden drastische Kürzungen bei den Renten und der Krankenversicherung vorgenommen, die Gesamtzahl der Beamten reduziert und die Anstellung von Lehrkräften gefährdet usw.[1]

Auch in Deutschland plant die neue Regierung, in den nächsten zwei Jahren mehrere Milliarden Euro beim Sozialbudget einzusparen. Die Ausgaben sollen im nächsten Jahr um 1,5 Milliarden Euro gekürzt werden. Bis 2027 sollen die Einsparungen 3 Milliarden Euro erreichen. Gleichzeitig gehen jeden Monat 10.000 Industriearbeitsplätze verloren, und deutsche Unternehmen planen weitere Entlassungen von mehr als 125.000 Arbeiter:innen. Darüber hinaus hat die Zahl der Arbeitslosen im August die 3 Millionen Marke überschritten, und eine Studie des deutschen Wirtschaftsinstituts schlägt vor, die Dauer des Arbeitslosengeldes für Senioren zu verkürzen.

Und wenn ein Land wie Spanien mit einer BIP-Wachstumsrate von 2,5 %, von der die Nachbarstaaten nur träumen können, als eine Ausnahme von diesem allgemeinen Trend präsentiert wird, ist die Realität für das spanische Proletariat weniger idyllisch: Die „gute Gesundheit” der Wirtschaft wird durch einen starken Druck auf die Löhne, durch die massive Aufnahme unterbezahlter ausländischer Arbeitskräfte, die die Durchschnittslöhne nach unten drücken, und durch eine zunehmende Entkopplung von den steigenden Lebenshaltungskosten gestützt.

Der jüngste und „spektakulärste” Fall, der diese Situation veranschaulicht, ist Frankreich, wo das Proletariat ebenfalls sehr hart angegriffen wird. Der ehemalige Premierminister Bayrou kündigte am 15. Juli 2025 eine Reihe von Maßnahmen zur Reduzierung des kolossalen öffentlichen Defizits der französischen Wirtschaft an: die Streichung von zwei Feiertagen für alle Arbeitenden, verstärkte Kontrollen und Überwachung mit einer weiteren Verschärfung der Regeln für die Entschädigung von Hunderttausenden von Arbeitslosen, Personalabbau im öffentlichen Dienst (durch den Verzicht auf die Neubesetzung jedes dritten Beamtenpostens), Einfrieren der Renten und Sozialleistungen, Liberalisierung des Arbeitsmarktes ... Hinzu kommen alle Maßnahmen, die unter dem Vorwand der „sozialen Gerechtigkeit” und der „Bekämpfung von Missbrauch” zusätzliche Hindernisse für den Zugang zur Gesundheitsversorgung oder zur Entschädigung bei Krankheit darstellen. Die unbeschreibliche Heuchelei ihrer Rechtfertigung steht der Brutalität dieser Ankündigungen in nichts nach.

Kein Teil des Weltproletariats bleibt verschont

In Ländern wie Argentinien[2] oder den Philippinen[3] treibt die Bourgeoisie die Ausbeutung der Arbeiterklasse auf die Spitze. In Indien stellt die massive „Reform“ des Arbeitsgesetzes einen Frontalangriff auf die Arbeitsbedingungen dar, indem sie jede Form von Sicherheit oder gesetzlichen Rechten wie Mindestlohn, feste Arbeitszeiten und Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherheit schwächt oder sogar abschafft. Darüber hinaus wirken sich der Anstieg der Arbeitslosigkeit infolge der Erhöhung der US-Zölle in Verbindung mit der steigenden Inflation stark auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse aus.

Die Arbeiterklasse in China bleibt davon nicht verschont. Die zahlreichen Insolvenzen im Immobiliensektor haben bereits zu Hunderttausenden von Entlassungen sowie zu erheblichen Lohnkürzungen in Bau-, Immobilienverwaltungs- und Zulieferunternehmen geführt. Technologiegiganten wie Alibaba, Tencent und ByteDance kündigen erheblichen Personalabbau an. Arbeiterinnen und Arbeiter werden seit Monaten um ihren Lohn gebracht. Die hoch verschuldeten Kommunen geben der Rückzahlung von Anleihen Vorrang vor der Zahlung der Gehälter von Beamten. Die Jugendarbeitslosigkeit hat bereits ein beispielloses Niveau erreicht: Jeder vierte junge chinesische Arbeitnehmer ist arbeitslos.

Die Arbeiterklasse in Nordamerika ist keineswegs vor heftigen wirtschaftlichen Angriffen geschützt, sondern direkt allen Folgen des Wirtschaftskriegs, des zunehmenden Chaos und der explosiven Ausweitung des Militarismus ausgesetzt. Im Frühjahr wurden in den Vereinigten Staaten Kürzungen in Höhe von fast 1 Billion Dollar bei den Sozialausgaben für das Gesundheitswesen (Medicaid) beschlossen. Konkret bedeutet dies den Verlust der Krankenversicherung für fast 15 Millionen Menschen. Ähnliche Maßnahmen wurden gegen das Nahrungsmittelhilfeprogramm (SNAP) ergriffen, wo Kürzungen in Höhe von 186 Milliarden Dollar zum Verlust eines Teils oder der gesamten Nahrungsmittelhilfe für 22,3 Millionen Menschen führen. Außerdem wurde die Entlassung von etwa 225.000 Bundesbeamten angekündigt, auf die aufgrund einer Haushaltskürzung von 7 Milliarden Euro wahrscheinlich Zehntausende Entlassungen im Bildungssektor folgen werden, sowie ähnliche Haushaltskürzungen bei Studienkrediten und den Pensionsgeldern von Bundesangestellten.[4]

Die Weltwirtschaftskrise und die kriegerischen Spannungen im Zentrum der Angriffe

Wie konnte es so weit kommen? Nach der Bankenkrise von 2007-2008 und der Staatsschuldenkrise in der Eurozone in den Jahren 2010-2012 hatte die Bourgeoisie große Schwierigkeiten, ihr Wirtschaftssystem über Wasser zu halten. Diese Anfälligkeit spiegelte sich in ihrem chaotischen Umgang mit der COVID-Krise im Jahr 2020 wider und zeigte sich beim Ausbruch des Krieges in der Ukraine und im Nahen Osten. Diese Konflikte führten zu einem enormen Anstieg der Rüstungsproduktion, zur Verdrängung der „grünen Wirtschaft” und zur Destabilisierung der Rohstoffmärkte, der industriellen Ziele und der Handelswege. „Die kapitalistische Wirtschaft befand sich bereits in einer Phase der Verlangsamung, die durch steigende Inflation, zunehmenden Druck auf die Währungen der Großmächte und wachsende finanzielle Instabilität (...) gekennzeichnet war. Der Krieg verschärft nun die Wirtschaftskrise auf allen Ebenen.”[5]

Die Wirtschaftspolitik der Trump-2-Regierung ist ihrerseits ein wichtiger Faktor für die weltweite wirtschaftliche Instabilität, insbesondere aufgrund ihrer protektionistischen Ausrichtung (die sich in ihrer Zollpolitik ausdrückt), ihrer Abkehr vom Multilateralismus und der Steuerung der Weltwirtschaft durch internationale Konferenzen und Gremien (WTO, Weltbank, GATT-Vertrag usw.) zugunsten bilateraler Verhandlungen zwischen Staaten. Eine solche Politik steht in völligem Widerspruch zu den Bedürfnissen der globalen kapitalistischen Wirtschaft. usw.) zugunsten bilateraler Verhandlungen zwischen Staaten. Eine solche Politik steht in völligem Widerspruch zu den eigentlichen Erfordernissen der kapitalistischen Weltwirtschaft.

Was wir derzeit beobachten, ist der „derzeitige Versuch der USA, die letzten politischen und militärischen Überreste der 1945 errichteten imperialistischen Weltordnung zu zerstören, [der einhergeht] mit Maßnahmen, die eindeutig alle globalen Institutionen bedrohen, die nach der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg zur Regulierung des Welthandels und zur Eindämmung der Überproduktionskrise geschaffen wurden.“[6] Die Abschaffung dieser Institutionen wird die gleichen Auswirkungen haben wie der Protektionismus, der auf die Depression von 1930 folgte und die Weltwirtschaftskrise verschärfte.

Die immer heftigeren und außer Kontrolle geratenden Erschütterungen der Wirtschaft legen nur das unlösbare Problem offen, mit dem die Bourgeoisie konfrontiert ist: die weltweite Krise der allgemeinen Überproduktion des dekadenten Kapitalismus, die jedes nationale Kapital dazu zwingt, die Arbeiterklasse noch härter auszubeuten, um auf einem übersättigten Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. Tatsächlich ist die Welt heute allgemein und endgültig mit dem konfrontiert, was Marx im 19. Jahrhundert als „eine gesellschaftliche Epidemie“ bezeichnete, „welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre – die Epidemie der Überproduktion”.[7]

Die Überproduktion, die im 19. Jahrhundert zyklisch war, ist seit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Niedergangsphase global und dauerhaft geworden.

Es gibt keine Lösung für die Krise des Kapitalismus innerhalb dieses dekadenten und verrotteten Systems. Heute wird die Arbeiterklasse aufgefordert, den Gürtel enger zu schnallen, morgen wird sie aufgefordert werden, sich in den Kriegen des Kapitalismus die Haut durchlöchern zu lassen, wie es bereits in verschiedenen Ländern der Fall ist. Angesichts der Lügen der Bourgeoisie, die glauben machen will, dass die Krise das Ergebnis von Gier, der „Reichen” oder der Dummheit dieser oder jener Regierung sei, haben die revolutionären Organisationen die Aufgaben, die historischen Herausforderungen und die Notwendigkeit aufzuzeigen, das kapitalistische System als Ganzes zu bekämpfen, sowie die damit einhergehende Falle demokratischer Illusionen aufzudecken, die versuchen es schönzureden. All diese heuchlerischen und perfiden Reden der Bourgeoisie über die notwendigen Korrekturen und die möglichen Alternativen, die durch die demokratische Mitarbeit verwirklicht werden sollen, die auf die eine oder andere Weise die soziale Bewegung zu den Wahlurnen lenken, diese Reden haben zum Ziel, Verwirrung zu stiften, das Bewusstsein und die Bedingungen des Kampfes zu zerstören. Die grundlegende Aufgabe, auf die sich das Proletariat vorbereiten muss, besteht daher darin, einen unabhängigen Kampf auf seinem eigenen Klassenterrain zu führen. Es geht darum, auf die Sabotage der Ausweitung und Vereinigung seines Kampfes durch die Gewerkschaften und auf die Mystifizierung einer „Volksregierung” durch linke Politiker zu reagieren. Diese falschen „Freunde“ der Arbeiterklasse, die hinter trügerischen Reden immer Sparmaßnahmen vorbereiten, müssen entlarvt werden.

Stopio, 28. August 2025

 

[1] Le combat ne fait que commencer! Comment renforcer notre unité et solidarité? [12] (Flugblatt der IKS auf unserer Webseite, Internationalisme Juni 2025, https://fr.internationalism.org/content/11618/combat-ne-fait-commencer-comment-renforcer-notre-unite-et-solidarite [12])

[2] Die Inflation liegt dort bereits bei 214,4 %, eine Rate, die weit über der liegt, die bei der Machtübernahme der Regierung Milei im Jahr 2023 prognostiziert wurde. Seitdem sind 3 Millionen Menschen in absolute Armut gestürzt (die schlimmste seit 20 Jahren) und die Unterernährung von Kindern hat ein Ausmaß erreicht, das heute nur noch in Gebieten wie Gaza oder Subsahara-Afrika zu finden ist.

[3] Stetiger Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel bei stagnierenden Löhnen.

[4] Gegen Trumps fremdenfeindliche Angriffe auf die Arbeiterklasse und die Rufe nach "Verteidigung der Demokratie": Die Arbeiterklasse muss ihren Kampf auf dem eigenen Terrain entwickeln! [13], IKSonline Juni 2025

[5] Resolution des 26. Kongresses der IKS zur internationalen Lage [14], Mai 2025

[6] ebenda

[7] Marx, Manifest der Kommunistischen Partei (1848)

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Krise des Kapitalismus

KANN MAN DIE WELT VERÄNDERN, INDEM MAN „ALLES BLOCKIERT”?

  • 49 reads

Die Angriffe auf unsere Lebensbedingungen sind derzeit extrem brutal. Man muss bis in die 1930er Jahre zurückgehen, um Spuren ähnlich gewaltsamer Maßnahmen zu finden.

Angesichts dieser unerträglichen Situation breitet sich in der gesamten Gesellschaft Wut aus. Diese wachsende Unzufriedenheit verwandelt sich in allen Ländern zunehmend in Kampfeslust. In Großbritannien haben sich die Arbeiterinnen und Arbeiter 2022 massiv mobilisiert und „Enough is enough“ (Zu viel ist zu viel) skandiert.

Bayrou behauptete wochenlang in allen Fernsehsendungen, dass die Verschuldung uns in den Bankrott treibe, dass wir über unsere Verhältnisse lebten, dass die „Boomer” egoistisch und privilegiert seien und dass wir für die Zukunft unserer Kinder akzeptieren müssten, auf unsere „Privilegien” zu verzichten. Was für eine Schande! Und das zu einer Zeit, in der der Staat Hunderte von Milliarden in seine Militärausgaben investiert und die „Ultrareichen” Dividende um Dividende einstreichen.

Die Regierung Bayrou ist gestürzt, Bayrou hat seinen Rücktritt vor der heutigen Mobilisierung organisiert, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass die Straße regiert. Aber wir dürfen uns keine Illusionen machen, all diese brutalen Angriffe wird der Staat weiterhin versuchen, uns zuzufügen, egal wie die neue Regierung aussieht.

UNABHÄNGIG VON DER FARBE IHRER REGIERUNG WIRD DIE BOURGEOISIE DAS PROLETARIAT IMMER MEHR ANGREIFEN

In Belgien, Italien, Spanien, den Vereinigten Staaten, überall verhängen die Regierungen Kürzungen der Sozialbudgets und der Löhne, Personalabbau und höhere Arbeitszeiten. Und alle erhöhen die Mittel für den Krieg um Milliarden.

Deutschland, das doch für seine wirtschaftliche Stabilität bekannt ist, erlebt eine beispiellose Entlassungswelle. Unter dem direkten Druck der Handelsspannungen und der Kriegslast wurden innerhalb eines Jahres 112.000 Arbeitsplätze abgebaut, Tausende weitere sind bedroht. Die Regierung plant eine umfassende Sparpolitik, um das für 2027 prognostizierte Defizit von mehr als 30 Milliarden Euro auszugleichen. Gleichzeitig verspricht Friedrich Merz, Deutschland mit der „mächtigsten Armee Europas” auszustatten. Das Verteidigungsbudget soll von 62 Milliarden Euro im Jahr 2025 auf 153 Milliarden im Jahr 2029 steigen (gegenüber nur 44 Milliarden im Jahr 2019).

„Blut, Mühen, Tränen und Schweiß“ – diese Worte Churchills werden von all diesen Regierungen, ob links oder rechts, ob demokratisch, rechtsextrem oder populistisch, aufgegriffen. Unabhängig von der politischen Ausrichtung derjenigen, die den Staat führen, verteidigen sie alle das „nationale Interesse”, d. h. die Interessen der nationalen Bourgeoisie. Gerade jetzt werden dieselben Angriffe in Großbritannien von einer Labour-Regierung (also „Arbeiter“-Regierung) durchgeführt!

Die Schulden, die sie uns aufbürden wollen, sind kein Ausdruck unserer angeblichen Privilegien, sondern der historischen Krise des Kapitalismus. Das ist die einzige Zukunft, die dieses bankrotte System zu bieten hat: immer mehr Elend, immer mehr Krieg.

DAS PROLETARIAT KÄMPFT ÜBERALL AUF DER WELT!

Angesichts dieser Brutalität wollen sich die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht mehr beugen. Seit mehr als drei Jahren hat das Proletariat in Frankreich, Großbritannien, Schweden, Korea, den Vereinigten Staaten, Kanada und Belgien seine Reaktionsfähigkeit wiedergefunden und weiterentwickelt. Die Medien berichten kaum darüber, es herrscht eine regelrechte Nachrichtensperre. Warum? Weil die Bourgeoisie auf keinen Fall will, dass wir uns bewusst werden, dass das Problem global ist und dass die Antwort nur global sein kann. Sie will nicht, dass die Ausgebeuteten erkennen, dass sie überall die gleichen Interessen haben, dass sie überall die gleichen Kämpfe führen. Noch mehr fürchtet sie, dass sie ihre Solidarität und ihre internationale Einheit entwickeln:

– In Belgien: Seit den „Aktionstagen” im Dezember 2024 bis zu den Demonstrationen im Sommer haben sich die Kampfbereitschaft der Arbeiter und der Wille zur Vereinigung des Kampfes nicht verringert.

– In Kanada: Nach den Streiks in Montreal sind es heute diejenigen in Quebec.

– In den Vereinigten Staaten: Die Streiks bei Boeing, in der Automobilindustrie und in den Häfen haben sich ausgeweitet, auch mitten im Wahlkampf.

– In China: Trotz des brutalen Polizeiaufbaus kam es im August zu Streiks in Branchen wie der Pharmaindustrie, der Textilindustrie, der Verpackungsindustrie und der Ersatzteilindustrie.

All diese Kämpfe zeigen, dass die Arbeiterklasse nicht mehr bereit ist, sich auf dem Altar des nationalen Interesses und ihrer Ausbeuter zu opfern!

IST DIE BEWEGUNG „BLOQUONS TOUT” EIN AUSDRUCK DES KAMPFES DER ARBEITERKLASSE?

„Wie kämpfen wir?” ist die Frage, die sich heute, aber auch morgen stellt. Die aktuelle Bewegung schlägt für diesen Kampf vor, „alles zu blockieren”, um „Druck” auf Macron auszuüben und „eine gerechtere und fairere Politik” der neuen Regierung zu erreichen.

Ja, wir müssen kämpfen! Ja, wir müssen massiv kämpfen! Ja, wir müssen auf die Straße gehen! Aber diese Bewegung „Bloquons tout“ versteht sich als eine Versammlung der französischen Bürger, des „Volkes“, in der sich zahlreiche Gruppen (Kleinunternehmer, Arbeitgeber, Gastronomen ...) gegen die Steuermaßnahmen der Regierung, gegen den Angriff auf ihren Status oder ihre korporatistischen Privilegien mobilisieren. Was können wir von einer Bewegung erwarten, die die Wirtschaft boykottieren will und uns auffordert, unseren Konsum zu reduzieren, den Verkehr zu blockieren, die Nutzung unserer Bankkarten einzuschränken und uns auf Kreisverkehren zu versammeln? Was kann man von einer Bewegung erwarten, deren Parolen ziviler Ungehorsam und das Referendum zur Volksinitiative (das der Gelbwesten) sind und deren Logik darin besteht, sich gegen die Eliten zu richten, die den Staat regieren? Wohin führt eine solche Bewegung? Sie verbreitet die Illusion, dass die Lösung darin besteht, Druck auf die Führungskräfte auszuüben, und dass eine bessere Regierung für das „Volk” möglich sei.

Nur weil andere Teile der Bevölkerung ebenfalls Opfer von Angriffen seitens der Regierung sind, heißt das nicht, dass sich die Arbeiterklasse einer solchen Bewegung anschließen muss, in der sie sich als Klasse verliert. Nur die Arbeiterklasse, eine international ausgebeutete Klasse, hat keine nationalen Interessen zu verteidigen. Ihr Kampf gegen die Auswirkungen der Ausbeutung und für die Verteidigung ihrer Lebensbedingungen ist kein Kampf für die Verbesserung ihres sozialen Status, sondern enthält den Keim für die Zerstörung des kapitalistischen Systems selbst, die Abschaffung der Ausbeutung, des Staates, der Klassen, der Grenzen und der Nationen.

Diese „Blockieren wir alles”-Bewegung bringt keinen neuen Schwung in den Kampf gegen den Kapitalismus. Die Werbung für die Bewegung durch alle Medien und die Parteien der Linken und der extremen Linken zielt darauf ab, die Arbeiterinnen und Arbeiter in eine Bewegung zum Dampfablassen zu locken, sie im „Volk” als „wütende Bürger” zu verwässern. Diese ohrenbetäubende Kampagne bläst eine Bewegung auf, in der die Forderungen der Arbeiter untergehen und in der die machtlosen Aktionen nicht die unseren sind.

Das bedeutet, die aktuellen Schwierigkeiten der Arbeiterinnen und Arbeiter, sich als Klasse zu erkennen, auszunutzen, um sie in eine Sackgasse zu führen, auf den Weg der demokratischen Illusion, dass die Lösung in einem Regierungswechsel oder sogar einem Präsidentenwechsel liege.

SOWOHL RECHTS ALS AUCH LINKS EINE KAMPAGNE DER LÜGEN

Angesichts unseres Willens zu kämpfen greifen uns alle politischen Kräfte der Bourgeoisie ideologisch an, indem sie uns spalten oder Illusionen über den Kapitalismus nähren. Widerlich ist die Rede von Bayrou, der die „Boomer“ für die Verschuldung verantwortlich macht. Widerlich ist der Wille des bürgerlichen Staates, die Spaltung zwischen den Generationen zu schüren, zwischen den Jüngeren, die den Kampf gegen den Kapitalismus weiterführen sollen, und denen, die im Mai 1968 die größten Streiks in der Geschichte der Arbeiterbewegung organisiert haben und deren Erfahrungen sie an die neue Generation weitergeben können. Die Propaganda der Linken und der extremen Linken, die glauben machen will, dass es keine Krise gebe, dass es ausreichen würde, den Reichen tiefer in die Tasche zu greifen, um alle Probleme zu lösen, ist verlogen. Ja, ihre Milliarden sind angesichts des Elends, das sich in den Reihen des Proletariats ausbreitet, zum Kotzen. Aber das ist der Ausdruck der Profitlogik der kapitalistischen Gesellschaft: ein System der Ausbeutung der Mehrheit durch eine herrschende Minderheit. Weder in Frankreich noch anderswo kann der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter eine „gerechte” Verteilung des Reichtums zum Ziel haben, denn es gibt keine „gerechte” kapitalistische Ausbeutung. Das Ziel des Arbeiterkampfes ist es, der kapitalistischen Ausbeutung, dem Gesetz des Profits ein Ende zu setzen, um endlich die Bedürfnisse der gesamten Menschheit zu befriedigen.

WIE KÄMPFEN?

In Frankreich wie auch anderswo müssen wir, um ein Kräfteverhältnis aufzubauen, das es uns ermöglicht, den unaufhörlichen Angriffen auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen zu widerstehen, die sich morgen noch weiter verschärfen werden, uns überall, wo wir können, versammeln, um zu diskutieren und die Kampfmethoden hervorzuheben, die die Stärke der Arbeiterklasse ausgemacht und es ihr zu bestimmten Zeitpunkten ihrer Geschichte ermöglicht haben, die Bourgeoisie und ihr System ins Wanken zu bringen:

– die Suche nach Unterstützung und Solidarität über „seine” Zunft, „sein” Unternehmen, „seinen” Wirtschaftsbereich, „seine” Stadt, „seine” Region, „sein” Land hinaus;

– die autonome Organisation des Arbeiterkampfes, insbesondere durch Vollversammlungen, ohne die Kontrolle den Gewerkschaften zu überlassen, diesen sogenannten „Spezialisten” für Kämpfe und deren Organisation;

– eine möglichst breite Diskussion über die allgemeinen Bedürfnisse des Kampfes, über die Lehren, die aus den Kämpfen und auch aus den Niederlagen zu ziehen sind, denn es wird Niederlagen geben, aber die größte Niederlage besteht darin, die Angriffe hinzunehmen, ohne zu reagieren. Der Eintritt in den Kampf ist der erste Sieg der Ausgebeuteten.

Wir schließen mit diesem historischen Beispiel, das für die Zukunft lehrreich ist: 1980 schlossen sich die Arbeiter in Polen zu riesigen Arbeitervollversammlungen zusammen, um ihren Kampf selbst in die Hand zu nehmen und gemeinsam über Forderungen und Kampfmethoden zu entscheiden. Sie haben nicht „das Land lahmgelegt“, sondern sich in Versammlungen und als Klasse organisiert, und so konnten sie ein Kräfteverhältnis mit dem Staat herstellen, um die Sparmaßnahmen abzuwehren. Sie haben sogar die Organisation der Produktion und des Wirtschaftslebens zum Wohle und zur Befriedigung der Bedürfnisse der Streikenden und der gesamten Bevölkerung übernommen, in einem gigantischen Elan der Solidarität und der Bewusstseinsbildung. Das ist einer der Samen, die unsere Vorgänger auf dem langen Weg zur Revolution gesät haben, das ist einer der Samen, die wir in Zukunft keimen lassen müssen, das ist es, was wir vorbereiten müssen, indem wir uns schon heute versammeln und diskutieren, damit dieser Klassenkampf in Zukunft möglich ist. Denn letztendlich wird es nur eine Alternative geben:

Weltrevolution oder Zerstörung der Menschheit

Internationale Kommunistische Strömung (10. September 2025)

 

KOMMT ZU UNSERER NÄCHSTEN ÖFFENTLICHEN VERANSTALTUNG UND DISKUTIERT MIT!

Die Bedeutung der Lehren aus dem Jahr 1905 für die Kämpfe von heute und morgen

Paris: 15 bis 18 Uhr im CICP 21 Ter rue Voltaire 75011 Paris

Marseille: 14 bis 17 Uhr Association Mille Bâbords 61 Rue Consolât 13001 Marseille

INTERNATIONALISM.ORG

(vgl. dazu auf der deutschen Webseite: Online-Diskussionstreffen am 8. Oktober 2025 [15] zum gleichen Thema)

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Flugblatt zum Aktionstag in Frankreich am 10. September 2025

ANGESICHTS DER ANGRIFFE ALLER REGIERUNGEN – KÄMPFEN WIR GEMEINSAM UND SOLIDARISCH

  • 41 reads

Wir sind heute zahlreich auf der Straße. Wir können keine weiteren Angriffe auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen mehr hinnehmen.

Der neue Premierminister Lecornu kündigt an, die Streichung der beiden Feiertage aufzugeben, um „die Arbeitenden zu schonen“. Gleichzeitig fordert er, andere Einsparungsmöglichkeiten zu finden! Wie kann man seinen Worten Glauben schenken, wenn die Angriffe unvermindert weitergehen, immer noch genauso massiv, immer noch genauso brutal: Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen oder bei den Sozialleistungen, Senkung der Löhne und Renten, Massenentlassungen, Preissteigerungen, höllisches und unerträgliches Arbeitstempo.

Machen wir uns keine Illusionen! Die neue Regierung tritt in die Fußstapfen ihrer Vorgängerin!

Und Frankreich ist bei weitem nicht das einzige Land in dieser Situation. Überall ist die Arbeiterklasse von Angriffen betroffen. Elend und Prekarität breiten sich wie ein Lauffeuer aus.

Uns wird immer wieder gesagt, dass wir all diese Opfer für „die Zukunft unserer Kinder“ akzeptieren sollten. Was für eine unerträgliche Heuchelei! Diejenigen, die von uns Schweiß und Tränen verlangen, lassen gleichzeitig die Rüstungsausgaben explodieren. Die Militärbudgets steigen weltweit. Frankreich, Polen, Großbritannien und Deutschland wetteifern um den Titel der „mächtigsten Armee Europas“ (so Bundeskanzler Merz). In den Vereinigten Staaten will Trump das Verteidigungsbudget auf 1 Billion Dollar erhöhen! In Frankreich ist dies ein Symbol: Der neue Regierungschef ist auch der ehemalige Verteidigungsminister.

Tatsächlich will die Bourgeoisie hinter den Reden über „untragbare“ Schulden und „zukünftige Generationen“ uns für ihre Kriege, ihre Krise und den Bankrott ihres Systems bezahlen lassen!

Angesichts dieser unerträglichen Situation wächst die Wut in der gesamten Gesellschaft, insbesondere unter den Arbeitern. Seit 2022, mit dem „Sommer der Wut“ in Großbritannien und der Bewegung gegen die Rentenreform in Frankreich im Jahr 2023, gibt es überall auf der Welt Kämpfe:

– Häfen, Automobilindustrie, Luftfahrt in Nordamerika;

– massive Protestbewegung seit Dezember in Belgien gegen die Sparpläne;

– Streiks in China in zahlreichen Unternehmen.

Dies sind nur einige aktuelle Beispiele unter vielen. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen!

Während die Regierung zuschlägt, führen uns die Gewerkschaften in eine Sackgasse!

Wir versammeln uns wieder auf den Straßen, kämpferisch und wütend. Aber „Mobilisierungstage” der Gewerkschaften, wie den heutigen, haben wir in der Vergangenheit schon hunderte Male erlebt.

Bei den Protesten gegen die Rentenreform waren wir sogar zu Millionen auf den Straßen. Vierzehn Aktionstage, sechs Monate Kampf. Die Demonstrationszüge waren sehr kämpferisch. Die Arbeiter waren froh, sich wiederzusehen, begeistert, gemeinsam und so massiv zu kämpfen. Aber das reichte nicht aus, um die Regierung zum Einlenken zu bewegen!

Die gleichen Mobilisierungen gab es 2022 in Großbritannien. Auch dort kämpften die Arbeiter massiv. Mit großer Wut und dem Stolz, zu rufen: „Die Arbeiterklasse ist zurück!”, hielten sie Woche für Woche, über ein Jahr lang unter Kontrolle der Gewerkschaften durch! Voneinander isoliert, verstreut hinter ihren Streikposten, blieben sie in ihren Betrieben eingeschlossen und erreichten nichts.

Das gleiche Bild bot sich in diesem Jahr in Belgien, wo die als „historisch“ bezeichneten Gewerkschaftsproteste sechs Monate lang andauerten, ohne dass die Bourgeoisie auch nur einen Schritt zurückgewichen wäre.

Die Kampfbereitschaft, die Begeisterung, nicht mehr allein zu sein, der frische Wind, wenn wir uns zu Tausenden versammeln, all das ist eine immense Kraft. Aber allein reicht das nicht aus.

Angesichts der immensen Wut und der Notwendigkeit einer Gegenwehr innerhalb der Arbeiterklasse ruft die Gewerkschaftsvereinigung heute zu einem neuen Mobilisierungstag auf. Laut der Gewerkschaft CGT muss man sich „in gewerkschaftlicher Einheit” mobilisieren. Für die Gewerkschaft FO ist ein „massiver Streik unerlässlich”, für die CFDT „muss man die Welt der Arbeit verteidigen”. Kurz gesagt, man sollte sich massenhaft auf die Seite der Gewerkschaften stellen, um ihnen angeblich mehr Gewicht in den Verhandlungen mit der Regierung zu verschaffen.

Aber nach dem von den Gewerkschaften organisierten „Spaziergang”, bei dem jeder hinter dem Transparent seines Unternehmens, seines Sektors steht, mit voller Lautstärke, ohne Diskussion, ohne Debatte, ohne die Organisation des Kampfes in die Hand zu nehmen, muss jeder nach Hause gehen. Wir können dann nur auf den nächsten „Tag“ warten, den die Gewerkschaften organisieren wollen, und uns in unserer Ecke ein bisschen mehr demoralisieren lassen. Und am Ende wird die Regierung nicht zurückweichen, die Angriffe werden weitergehen...

Aus diesem Grund sagten viele während der Bewegung gegen die Rentenreform bereits: „Mit den Gewerkschaftstagen sehen wir, dass wir viele sind. Aber wir müssen etwas anderes tun, um unsere Stärke zu zeigen”, „Wir müssen den Kampf anders organisieren, denn dem Staat ist es egal, dass wir brav demonstrieren.”

Das hat im Sommer die Idee entstehen lassen: „Wenn wir blockieren, gewinnen wir!“ Das war eine der Parolen, die am 10. September während der Bürgerbewegung „Bloquons tout“ (Lasst uns alles blockieren) verkündet wurde. Überall in Frankreich haben sich 200.000 Menschen durch Blockaden oder Demonstrationen gegen die Angriffe der Regierung, gegen die Inkompetenz der Eliten, gegen die Vermögensunterschiede, gegen den Haushalt, gegen die „Steuerlast“, gegen „die Abgaben“, gegen „die erstickenden Normen“ mobilisiert... Aber letztendlich hat sich auch nichts geändert!

Die Idee, „die Wirtschaft zu blockieren“, ist nicht wirksamer, sie wird sogar oft von den Gewerkschaften vorgebracht! Während der Massenbewegungen von 2010 und 2023 gegen zwei Rentenreformen haben die Gewerkschaften die Eisenbahner und Raffineriebeschäftigten, besonders kämpferische Sektoren, an ihren Arbeitsplätzen eingeschlossen. Es galt, „die strategischen Sektoren zu blockieren“. Sie hielten wochenlang durch... umsonst! Als „Geiselnehmer“ bezeichnet und vom Rest ihrer Klasse isoliert, waren sie am Ende völlig demoralisiert.

Ja, selbst wenn wir zu Millionen auf die Straße gehen, „blockieren“ oder „demonstrieren“, führt der Kampf mit den Gewerkschaften immer zur Niederlage! Wie können wir also ein echtes Kräfteverhältnis aufbauen?

Um zu gewinnen, müssen wir unsere Kämpfe ausweiten und selbst in die Hand nehmen

Ja, wir haben die Kraft, eine Regierung zum Rückzug zu zwingen, ihre Angriffe zu bremsen. Einige Kämpfe der Vergangenheit zeigen, dass dies möglich ist:

– Im Mai 1968, nach den massiven Demonstrationen vom 13. Mai gegen die Polizeirepression, breitete sich der Streik mit hoher Geschwindigkeit aus, begleitet von souveränen Generalversammlungen, die allen Arbeitern offenstanden. Diese Dynamik der Ausweitung und Einheit führte zum größten Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung mit neun Millionen Streikenden. Die Regierung und die Gewerkschaften beeilten sich daraufhin, eine Vereinbarung über allgemeine Lohnerhöhungen zu unterzeichnen, um die Dynamik der Bewegung so schnell wie möglich zu bremsen.

– 1980 in Polen gingen die Streikenden angesichts steigender Lebensmittelpreise noch einen Schritt weiter, indem sie sich in riesigen Vollversammlungen versammelten, selbst über Forderungen und Aktionen entschieden und vor allem stets darauf bedacht waren, den Kampf auszuweiten. Von den Versammlungen aus wurden massive Delegationen an alle Arbeitsstätten entsandt, um zur Solidarität und zum Streik aufzurufen. Ohne Behinderung durch die Gewerkschaften breitete sich der Kampf innerhalb von 48 Stunden einheitlich im ganzen Land aus.

– Beim Kampf von 2006 gegen den „Contrat Première Embauche” (CPE) zog die französische Regierung nach nur wenigen Wochen der Mobilisierung ihren Entwurf zurück. Studierende in prekären Verhältnissen organisierten an den Universitäten massive Vollversammlungen, die auch Arbeitnehmern, Arbeitslosen und Rentnern offenstanden, und stellten ein verbindendes Motto in den Vordergrund: den Kampf gegen Prekarisierung und Arbeitslosigkeit. Jedes Wochenende schlossen sich immer mehr Branchen den Demonstrationen an. Arbeitnehmer und Rentner schlossen sich den Studierenden an.

Heute wie gestern müssen wir uns zusammenschließen, überall an den Arbeitsplätzen diskutieren und Vollversammlungen einberufen, um zu überzeugen, dass unsere Stärke in unserer Einheit und unserer Klassensolidarität liegt. Nur offene, massenhafte und autonome Vollversammlungen, die wirklich über den Verlauf der Bewegung entscheiden, können die Grundlage für einen gemeinsamen und sich ausweitenden Kampf bilden, der von der Solidarität zwischen allen Sektoren und Generationen getragen wird.

Wir können gemeinsam immer einheitlichere Forderungen stellen. Wir können in massiven Delegationen losziehen, um die Solidarität der Arbeiter*innen in den Fabriken, Krankenhäusern, Schulen und Verwaltungen in unserer Nähe zu suchen.

Dafür dürfen wir nicht auf die Gewerkschaften vertrauen, die staatliche Organe sind, die dazu dienen, unsere Kämpfe zu behindern, um sie besser kontrollieren zu können.

Durch unsere Kämpfe und Debatten bereiten wir die Zukunft vor

Ja, wenn wir unsere Kämpfe selbst in die Hand nehmen, können wir die Regierungen zum Einlenken zwingen. Aber der Kapitalismus wird nicht aufhören, das Überleben der menschlichen Zivilisation zu bedrohen. Die Weltwirtschaftskrise wird weiterhin überall Elend verbreiten. Krieg und Chaos werden sich ausbreiten und verstärken. Und die Bourgeoisie wird immer mehr unerträgliche „Opfer” von unseren Lebens- und Arbeitsbedingungen verlangen.

Angesichts dessen müssen wir uns auch außerhalb der Kämpfe überall, wo wir können, versammeln, um unsere Standpunkte auszutauschen, zu diskutieren, Lehren aus den Kämpfen von gestern zu ziehen und die Kämpfe von morgen vorzubereiten. Auch wenn wir nur wenige sind, können wir durch unsere Debatten diesen langen Kampf für den Kommunismus vorbereiten, an die Erfahrungen der Arbeiterbewegung anknüpfen, eine Perspektive entwerfen und damit beginnen, zu verteidigen, dass unsere „defensiven” Kämpfe nicht ausreichen, sondern dass sie auch politisiert werden müssen.

Unsere Kämpfe, ob sie nun erfolgreich sind oder nicht, sind nicht umsonst! Indem wir gemeinsam den Kopf heben und uns weigern, uns mit der Resignation abzufinden, bereiten wir die Kämpfe von morgen vor und schaffen trotz der unvermeidlichen Niederlagen nach und nach die Voraussetzungen für eine neue Welt. Nur durch den Kampf kann das Proletariat erkennen, dass es die einzige Kraft in der Gesellschaft ist, die in der Lage ist, die kapitalistische Ausbeutung abzuschaffen.

Der Weg zur proletarischen Weltrevolution, zum Sturz des Kapitalismus, wird lang und schwierig sein. Er wird mit Hindernissen und Niederlagen gepflastert sein, aber es gibt keinen anderen Weg.

„Die Emanzipation der Arbeiter wird das Werk der Arbeiter selbst sein“!

Internationale Kommunistische Strömung

(18. September 2025)

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Flugblatt zur Gewerkschaftsmobilisierung vom 18. September 2025 in Frankreich

1905: Als die Arbeiterklasse in Russland ihren revolutionären Charakter zeigte

  • 57 reads

Für die Arbeiterklasse, eine Klasse, deren Bewusstsein eine äußerst wichtige Waffe ist[1], ist es von immenser Bedeutung, aus ihren eigenen Erfahrungen zu lernen. Jedes Mal, wenn sie auf ihrem eigenen Terrain reagiert, in großem Umfang, vereint und solidarisch und vor allem mit revolutionärem Elan, ergeben sich daraus wichtige Lehren für die Zukunft, Lehren, die die Arbeiterklasse verstehen und in zukünftigen Kämpfen nutzen muss.

Dies war der Fall bei der Pariser Kommune von 1871, nach der Marx und Engels erkannten, dass die Arbeiterklasse bei der Machtübernahme den bürgerlichen Staat nicht nutzen konnte, um die Gesellschaft zum Kommunismus zu transformieren. Sie musste diesen Staat zerstören und eine neue Form der Gesellschaftsorganisation aufbauen, mit gewählten Vertretern, die sofort abberufen werden konnten.

Dies war auch der Fall bei der Revolution in Russland im Jahr 1905, deren 120. Jahrestag in diesem Jahr begangen wird. In diesem Fall wurde mit dem Aufkommen des Massenstreiks und der Schaffung seiner Machtorgane, der Arbeiterräte (auf Russisch Sowjets), die Lenin als „endlich entdeckte Form der Diktatur des Proletariats” bezeichnete, eine noch wertvollere Lehre gezogen.

Dieser Erfahrung wollen wir diesen Artikel widmen, um zu sehen, wie sie uns helfen kann, die aktuelle Dynamik des Klassenkampfs zu verstehen, die die IKS als historischen „Bruch” mit der der vergangenen Jahrzehnte beschrieben hat.

Januar 1905

Bevor wir uns mit der Dynamik der Russischen Revolution von 1905 befassen, müssen wir kurz auf den internationalen und historischen Kontext eingehen, in dem diese Revolution an Dynamik gewann. Die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts waren geprägt von einer wirtschaftlichen Entwicklung, die in ganz Europa deutlich zu spüren war. Vor diesem Hintergrund wurde das zaristische Russland, ein Land, dessen Wirtschaft noch immer von erheblicher Rückständigkeit geprägt war, zum idealen Standort für den Export großer Kapitalmengen zum Aufbau mittelständischer und großer Industriebetriebe. Innerhalb weniger Jahrzehnte vollzog sich ein tiefgreifender wirtschaftlicher Wandel. In Russland führte das Wachstum des Kapitalismus Ende des 19. Jahrhunderts zu einer hohen Konzentration des russischen Proletariats in wenigen großen Industrieregionen. Dies förderte in hohem Maße die Suche nach Solidarität und die Ausbreitung ihres Kampfes. Es waren diese strukturellen Merkmale der Wirtschaft, die die revolutionäre Vitalität eines jungen Proletariats erklärten, das in einem zutiefst rückständigen Land lebte, in dem die bäuerliche Wirtschaft vorherrschte.

Im Januar 1905 wurden zwei Arbeiter in den Putilow-Werken in Sankt Petersburg entlassen. Es kam zu einer Welle von Solidaritätsstreiks, und es wurde eine Petition für politische Freiheiten, das Recht auf Bildung, den 8-Stunden-Tag, Widerstand gegen Steuern usw. verfasst, die dem Zaren in einer Massendemonstration übergeben werden sollte. „Tausende von Arbeitern – wohlgemerkt keine Sozialdemokraten, sondern religionsfromme, kaiserfromme Leute – unter der Führung des Priesters Gapon gehen von allen Stadtteilen aus zum Zentrum der Hauptstadt, zum Platze vor dem Winterpalast, um dem Zaren eine Petition zu überreichen. Die Arbeiter gehen mit Heiligenbildern, und ihr damaliger Führer Gapon versicherte dem Zaren schriftlich, er bürge ihm für die Unverletzlichkeit seiner Person und bitte ihn, vor dem Volke zu erscheinen.”[2]

Die Situation spitzte sich zu, als die Arbeiter bei ihrer Ankunft am Winterpalast mit ihrer Bitte an den Zaren von Truppen angegriffen wurden. „Das Militär wird aufgeboten. Ulanen und Kosaken greifen die Menge mit der blanken Waffe an, es wird geschossen gegen die waffenlosen Arbeiter, die auf den Knien die Kosaken anflehten, sie zum Kaiser zulassen. Nach polizeilichen Mitteilungen gab es mehr als tausend Tote, mehr als zweitausend Verwundete. Die Erbitterung der Arbeiter war unbeschreiblich.”[3]

Es war diese tiefe Empörung der Arbeiter von Petersburg gegenüber dem Mann, den sie „Väterchen“ nannten und der auf ihre Bitte mit tödlichen Waffen reagiert hatte, die zu den revolutionären Kämpfen im Januar führte. In dieser Zeit kam es zu einer sehr raschen Stimmungsänderung im Proletariat: „Eine gewaltige Streikwelle fegte über das ganze Land hinweg und erschütterte die gesamte Nation […] An der Bewegung beteiligten sich etwa eine Million Männer und Frauen. Fast zwei Monate lang, ohne jeden Plan, in vielen Fällen ohne Forderungen zu stellen, mal unterbrochen, mal wieder aufgenommen, nur dem Instinkt der Solidarität folgend, beherrschte der Streik das Land.”[4]

Dieser Streik ohne konkrete Forderungen und in breiter Solidarität war sowohl Ausdruck als auch aktiver Faktor für die Reifung des Klassenbewusstseins innerhalb des russischen Proletariats jener Zeit und der Notwendigkeit, sich als Klasse seinem Klassenfeind zu stellen. Auf den Generalstreik im Januar folgte eine Phase anhaltender Kämpfe für wirtschaftliche Forderungen, die im ganzen Land aufkamen und wieder abebbten. Diese Phase war weniger spektakulär, aber ebenso wichtig. In Warschau kam es zu blutigen Zusammenstößen, in Lodz wurden Barrikaden errichtet, und die Matrosen des Schlachtschiffs Potemkin im Schwarzen Meer meuterten. Diese gesamte Phase ebnete den Weg für die zweite große Phase der Revolution.

Oktober 1905

„Diese zweite große Aktion des Proletariats weist bereits einen wesentlich anderen Charakter auf als die erste im Januar. Das Element des politischen Bewusstseins spielt bereits eine viel größere Rolle. Auch hier war der unmittelbare Anlass für den Ausbruch des Massenstreiks zwar eine untergeordnete und scheinbar zufällige Angelegenheit: der Konflikt der Eisenbahner mit der Geschäftsleitung über die Pensionskasse. Aber der allgemeine Aufstand des Industrieproletariats, der darauffolgte, wurde nach klaren politischen Vorstellungen durchgeführt. Der Prolog des Januarstreiks war ein Zug zum Zaren, um politische Freiheit zu fordern: Das Losungswort des Oktoberstreiks war: Weg mit der konstitutionellen Komödie des Zarismus! Und dank des unmittelbaren Erfolgs des Generalstreiks, dank des Manifests des Zaren vom 30. Oktober, fließt die Bewegung nicht wie im Januar in sich selbst zurück, sondern stürzt sich nach außen in die eifrige Aktivität der neu gewonnenen politischen Freiheit. Demonstrationen, Versammlungen, eine junge Presse, öffentliche Diskussionen.”[5]

Eine qualitative Veränderung trat im Oktober mit der Gründung des Petersburger Sowjets ein, der zu einem Meilenstein in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung werden sollte. Nach der Ausweitung des Streiks der Typografen auf die Eisenbahnen und Telegrafen beschlossen die Arbeiter in einer Generalversammlung die Gründung des Sowjets, der zum Nervenzentrum der Revolution werden sollte: „Der Sowjet entstand als Antwort auf eine objektive Notwendigkeit – eine Notwendigkeit, die sich aus dem Lauf der Ereignisse ergab. Es war eine Organisation, die autoritär war und dennoch keine Traditionen hatte; die sofort eine verstreute Masse von Hunderttausenden von Menschen einbeziehen konnte.“[6]

Dezember 1905

„Die Gärung nach der kurzen konstitutionellen Periode und das grausame Erwachen führen schließlich im Dezember zum Ausbruch des dritten allgemeinen Massenstreiks im ganzen Reich. Diesmal unterscheiden sich sein Verlauf und sein Ausgang völlig von denen der beiden früheren Fälle. Politische Aktionen gehen nicht wie im Januar in wirtschaftliche Aktionen über, aber sie führen auch nicht mehr wie im Oktober zu einem schnellen Sieg. Die Versuche der zaristischen Clique, echte politische Freiheit zu gewähren, werden nicht mehr unternommen, und damit stößt die revolutionäre Aktion zum ersten Mal und auf ihrer gesamten Länge auf die starke Mauer der physischen Gewalt des Absolutismus.“[7]

Die kapitalistische Bourgeoisie, erschreckt durch die Bewegung des Proletariats, stellte sich hinter den Zaren. Die Regierung wandte die gerade erst gewährten liberalen Gesetze nicht an. Die Führer des Petrograder Sowjets wurden verhaftet, aber der Kampf ging in Moskau weiter: „Der Höhepunkt der Revolution von 1905 kam mit dem Dezemberaufstand in Moskau. Neun Tage lang kämpfte eine kleine Gruppe von Rebellen, organisierte und bewaffnete Arbeiter – es waren nicht mehr als achttausend –, gegen die Regierung des Zaren, die es nicht wagte, der Moskauer Garnison zu vertrauen. Tatsächlich musste sie diese unter Verschluss halten und konnte den Aufstand nur durch die Herbeirufung des Semenovsky-Regiments aus St. Petersburg niederschlagen.“[8]

Was war also die Dynamik, die 1905 am Werk war? Die des Massenstreiks, dieses „Ozeans von Phänomenen“ (Luxemburg), bestehend aus Streiks, Demonstrationen, Solidarität, Diskussionen, wirtschaftlichen und politischen Forderungen, kurz gesagt, allen Ausdrucksformen, die den Kampf der Arbeiterklasse charakterisieren und sich gleichzeitig als Ergebnis einer Reifung des Bewusstseins des Proletariats manifestierten, einer Reifung, die während der Ereignisse selbst stattfand, aber auch und vor allem das Ergebnis einer unterirdischen Reifung, einer Anhäufung von Erfahrungen und einer tiefen Reflexion, die zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr relevant wurde. Tatsächlich kamen die Ereignisse von 1905 nicht aus dem Nichts, sondern waren das Ergebnis einer Anhäufung von Erfahrungen und Reflexionen, die Russland seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erschüttert hatten. Wie Rosa Luxemburg feststellte: „Der Massenstreik im Januar wurde zweifellos unter dem unmittelbaren Einfluss des gigantischen Generalstreiks durchgeführt, der im Dezember 1904 im Kaukasus, in Baku, ausgebrochen war und lange Zeit ganz Russland in Atem hielt. Die Ereignisse vom Dezember in Baku waren ihrerseits nur die letzte und mächtigste Auswirkung jener gewaltigen Massenstreiks, die wie ein periodisches Erdbeben ganz Südrussland erschütterten und deren Prolog der Massenstreik in Batum im Kaukasus im März 1902 war. Diese erste Massenstreikbewegung in der fortlaufenden Reihe der gegenwärtigen revolutionären Ausbrüche liegt schließlich fünf oder sechs Jahre vor dem großen Generalstreik der Textilarbeiter in St. Petersburg in den Jahren 1896 und 1897. “

Der „Bruch“, ein Produkt der unterirdischen Reifung

Dieses Konzept der unterirdischen Reifung des Bewusstseins wird von einem Großteil der Gruppen im proletarischen politischen Milieu, aber auch von einer Reihe unserer Kontakte oder Sympathisanten nur schwer akzeptiert. Es hat jedoch seine Wurzeln in den Schriften von Marx[9], während Luxemburg auf den „alten Maulwurf“ Bezug nahm, ebenso wie Lenin.[10]

Trotzki verwendet zwar nicht ganz dasselbe Vokabular wie die IKS, um das Phänomen der „unterirdischen Reifung“ des Bewusstseins innerhalb des Proletariats zu beschreiben, aber er macht dies in seiner Geschichte der Russischen Revolution sehr deutlich, und die folgende Passage veranschaulicht dies perfekt: „Die unmittelbaren Ursachen der Ereignisse einer Revolution sind Veränderungen in der Geisteshaltung der miteinander in Konflikt stehenden Klassen. […] Veränderungen im kollektiven Bewusstsein haben natürlich einen halbverborgenen Charakter. Erst wenn sie eine gewisse Intensität erreicht haben, brechen die neuen Stimmungen und Ideen in Form von Massenaktivitäten an die Oberfläche.“

Vor allem aber bestätigt sich das Wesen der Prozesse der unterirdischen Reifung in allen wichtigen Momenten des Kampfes der Arbeiterklasse. Wir haben es 1905 gesehen, wir haben es 1917 in Russland wiedergesehen, wo der Oktoberrevolution Streiks gegen den Krieg vorausgingen, und wir haben es auch in anderen historischen Momenten gesehen. Es zeigte sich 1980 in Polen mit der Streikbewegung, die das „Wiederaufleben“ des Massenstreiks auf der historischen Bühne mit sich brachte. Die polnischen Arbeiter hatten bereits 1970 und 1976 an wichtigen Kampfphasen teilgenommen, Kämpfe, die unter dem stalinistischen Regime brutal und blutig niedergeschlagen worden waren. Mit diesen Erfahrungen, die zu einer echten unterirdischen Reifung des Bewusstseins beitrugen, konnten sich die Arbeiter 1980 in einen mächtigen und unmittelbaren Kampf stürzen, dessen organisatorische Verbindungen und Koordinierungsgruppen im ganzen Land die Grundlage für den Massenstreik bildeten. Angesichts dieser Situation waren die Behörden gelähmt und gezwungen, zu verhandeln und Zugeständnisse zu machen, bevor sie nach dem Abklingen des Kampfes mit Repressionen reagierten.[11]

In der Tradition all dieser Erfahrungen der Arbeiterbewegung haben wir die Streiks in Großbritannien im Jahr 2022 als Ergebnis einer neuen Reifung des Klassenbewusstseins interpretiert, nicht als zufälliges Strohfeuer, sondern als Produkt einer tiefen Reflexion, die wir mit der Rückkehr des Kampfes der Arbeiterklasse nach Jahrzehnten der Apathie und Lethargie fortgesetzt sehen. Wir haben diese Bewegungen als „Bruch” bezeichnet, um zu betonen, dass es sich um ein Phänomen von historischer und internationaler Bedeutung handelt. Die großen Kämpfe, die auf diese erste Manifestation und Wiederbelebung der Kampfbereitschaft der Arbeiter folgten, in Frankreich, den USA, anderen Teilen der Welt und zuletzt in Belgien, bestätigen, dass die Streiks in Großbritannien kein lokales und vorübergehendes Phänomen waren, sondern das Ergebnis dieser unterirdischen Reifung, die endlich an die Oberfläche kam. Die verschiedenen Merkmale der Bewegungen, die in den letzten drei Jahren stattgefunden haben, bestätigen unsere Analyse:

- Der weit verbreitete Slogan „Genug ist genug” drückte das seit langem gehegte Gefühl aus, dass alle Versprechen, die nach der „Finanzkrise” von 2008 gemacht worden waren, sich als Lügen herausgestellt hatten und dass es höchste Zeit war, dass die Arbeiter ihre eigenen Forderungen stellten;

- Die Slogans „Wir sitzen alle im selben Boot” und „Die Arbeiterklasse ist zurück“ drückten eine Tendenz in der Arbeiterklasse aus (noch im Embryonalstadium, aber real), das Gefühl wiederzuentdecken, eine Klasse mit einer eigenen kollektiven Existenz und eigenen Interessen zu sein, trotz jahrzehntelanger Atomisierung durch den allgemeinen Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft und unterstützt durch die absichtliche  Zerstörung vieler traditioneller Industriestandorte, die eine erfahrene Arbeiterklasse beschäftigten (Bergbau, Stahlindustrie usw.);

- In der französischen Bewegung gegen die Anhebung des Rentenalters auf 64 Jahre drückte der kraftvolle Slogan „Ihr sagt 64, wir geben euch 68“ die Wiederbelebung eines kollektiven Gedächtnisses aus, nämlich die Erinnerung an die Bedeutung der Massenstreiks von 1968;

- Die internationale Entwicklung von Minderheiten, die zu internationalistischen und kommunistischen Positionen neigen, wobei die Mehrheit dieser Elemente und ihre Bemühungen um Vereinigung weniger das Ergebnis des unmittelbaren Klassenkampfs sind als vielmehr dem Aufwerfen von Fragen zum Krieg, ist ein Beweis dafür, dass die aktuellen Klassenbewegungen mehr als nur unmittelbare Sorgen über sinkende Lebensstandards zum Ausdruck bringen. Sie bringen, oft noch auf verwirrende Weise, ihre Besorgnis über die Zukunft zum Ausdruck, die uns dieses Produktionssystem, der Kapitalismus, bietet;

- Ein weiterer Beweis für diesen Reifungsprozess sind die Bemühungen der Bourgeoisie, ihre Macht durchzusetzen und durch die Gewerkschaften und die linken Organisationen Verwirrung innerhalb der Arbeiterklasse zu stiften. Indem sie radikale Botschaften an die Arbeiterklasse vermittelt, versucht sie, deren Denken zu untergraben und ihre eigene Kontrolle zu stärken.

Wir stehen erst am Anfang dieser Erneuerung der Kampfbereitschaft, der Wiederaufnahme der Kämpfe der Klasse auf ihrem eigenen Terrain, einer Anhäufung neuer Erfahrungen, die die Klasse dazu bringen könnten, ihre Kämpfe so zu radikalisieren, dass sie einen politischeren Charakter erhalten, der das System als solches in Frage stellt und nicht nur das Ausmaß seiner Angriffe und deren unmittelbare Auswirkungen.

Dies wird ein langer, schwieriger Prozess voller Hindernisse sein, denn wir befinden uns nicht mehr in derselben Situation wie 1905 in Russland, als die Klasse innerhalb eines Jahres von einer einfachen Petition an den Zaren zu einer offen aufständischen Phase übergehen konnte. Die gegenwärtige Situation ist die des Zerfalls des Kapitalismus, der letzten historischen Phase des Kapitalismus, die sich nicht nur in der Verwesung des politischen Lebens der Bourgeoisie zeigt, sondern auch auf die Arbeiterklasse durch Phänomene lastet, deren Auswirkungen von der herrschenden Klasse ideologisch ausgenutzt werden, um das Bewusstsein des Proletariats schwerwiegend und heimtückisch zu untergraben:

- „Bewusstsein, Klarheit, kohärentes und einheitliches Denken, die Vorliebe für Theorie haben es schwer, sich inmitten der Flucht in Illusionen, Drogen, Sekten, Mystik, der Ablehnung oder Zerstörung des Denkens, die für unsere Epoche charakteristisch sind, durchzusetzen. Das kollektive Handeln und die Solidarität stoßen mit der Atomisierung, dem "Jeder für sich", dem "Frechheit zahlt sich aus" zusammen.

- Das Bedürfnis nach Organisierung steht dem gesellschaftlichen Zerfall entgegen, der Zerstörung von Beziehungen, die erst ein gesellschaftliches Leben ermöglichen.

- Die Zuversicht in die Zukunft und in die eigenen Kräfte wird ständig untergraben durch die allgemeine Hoffnungslosigkeit, die in der Gesellschaft durch den Nihilismus, durch die Ideologie des "No future" immer mehr überhandnimmt.

- Das Bewußtsein, die Klarheit, die Kohärenz und Einheit im Denken, der Sinn für Theorie müssen sich mühsam ein Weg bahnen inmitten der Flucht in Trugbilder, der Drogen, Sekten, des Mystizismus, der Verweigerung des Nachdenkens und der Zerstörung des Denkens, die unsere Epoche charakterisieren."[12]

Wir dürfen also nicht ungeduldig sein und jeden Moment eine Bestätigung dieses Prozesses erwarten. Revolutionäre müssen innerhalb der Klasse klar intervenieren, indem sie eine langfristige Perspektive auf den Kampf einnehmen und vor allem Minderheiten dabei unterstützen, zu verstehen, worum es in dieser Situation geht und welche alternativen und unvermeidlichen Konsequenzen es gibt: entweder die Bedrohung des Überlebens der Menschheit durch die Bourgeoisie oder die Möglichkeit für die Arbeiterklasse, ihre Perspektive durchzusetzen, nämlich die einer Gesellschaft ohne Klassen, ohne Ausbeutung, ohne Krieg, ohne Zerstörung des Planeten, kurz gesagt, einer wahrhaft kommunistischen Gesellschaft.

Helis, 22. Juni 2025

 

[1] Die Arbeiterklasse ist die erste Klasse in der Geschichte, die in der Lage ist, ein revolutionäres Bewusstsein ihrer eigenen Existenz zu entwickeln, im Gegensatz zur damalig revolutionären Bourgeoisie, deren Bewusstsein durch ihre Position als neue Ausbeuterklasse begrenzt war.

[2] Lenin, Vortrag über die Revolution von 1905, Januar 1917

[3] Ebenda

[4] Trotzki in seinem Buch 1905

[5] Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei, Gewerkschaften

[6] Trotzki, 1905

[7] Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei, Gewerkschaften

[8] Lenin, Vortrag über die Revolution von 1905, Januar 1917

[9] Für Marx ist die Revolution ein alter Maulwurf, „… der es so gut versteht, unterirdisch zu arbeiten und plötzlich aufzutauchen“.

[10] Siehe seine Polemik gegen den Ökonomismus in Was tun?

[11] Die Geschichte erinnert uns an das Spektakel dieser Verhandlungen zwischen den Streikenden und den Ministern, bei denen die Gespräche zwischen den Arbeiterdelegierten und den Ministern über Lautsprecher live an die vor dem Regierungsgebäude versammelten Arbeiter übertragen wurden. Zum besseren Verständnis dieser Bewegung siehe „Massenstreiks in Polen 1980: Das Proletariat öffnet eine neue Bresche“, Internationale Revue Nr. 23 und „Anmerkungen zum Massenstreik“, Internationale Revue NR. 27 (engl., franz., span.)

[12] Der Zerfall: Die letzte Phase der Dekadenz des Kapitalismus [16], Internationale Revue Nr. 13

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Geschichte der Arbeiterbewegung

Gegen alle nationalen Fahnen!

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Diejenigen, die an den Demonstrationen gegen Asylsuchende und Flüchtlinge in Großbritannien teilnehmen und sich dazu verleiten lassen, „Ausländer” für alles Schlechte verantwortlich zu machen, von Kürzungen im Sozialbereich bis hin zur Gefährdung von Kindern, präsentieren sich als wahre Patrioten, indem sie den Union Jack und das Kreuz des Heiligen Georg schwenken. Insbesondere die englische Flagge schmückt Laternenpfähle oder wird auf Wände und Verkehrskreisel gemalt. Die Bedeutung ist klar: Einige von uns haben das Recht, hier zu leben, Ausländer und/oder „Illegale“ sollten verschwinden. Eine perfekte Umsetzung des Bedürfnisses der ausbeutenden Klasse, die Ausgebeuteten gegeneinander auszuspielen.

In den USA, wo bereits brutale Massenabschiebungen stattfinden, schwenken einige derjenigen, die von derselben rassistischen Logik zur Zielscheibe gemacht werden, ebenfalls Fahnen. Manchmal die US-Flagge, um zu zeigen, dass auch Einwanderer Patrioten sein können, manchmal die Flagge Mexikos oder anderer lateinamerikanischer Länder, weil so viele der von den Razzien der Polizei und Zollbehörde ICE betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter aus diesen Ländern stammen.

Die Idee, dass die Ausgebeuteten selbst zeigen sollten, dass sie dieser oder jener Nationalflagge treu sind, ist nicht neu. Im Jahr 1912 schwenkten in den USA die streikenden Textilarbeiter von Lawrence, von denen viele neu angekommene Einwanderer waren, ebenfalls die Stars and Stripes Flagge als Antwort auf den Vorwurf, sie seien unamerikanische, von außen kommende Unruhestifter. Die Industrial Workers of the World IWW, die den Streik unterstützten, zögerten jedoch nicht, diesen Ansatz in einem Artikel mit dem Titel The Flag of the Free (Die Flagge der Freien) in Industrial Worker vom 21. März 1912)[1] zu kritisieren:

„Die Flagge der Freien, pah!

Tausende Streikende in Lawrence und Hunderte in der Menge in San Diego werden erkannt haben, dass der einzige Patriotismus, den der Kapitalismus anerkennt, der Profitpatriotismus ist – der Dollarpatriotismus. Und die Hunderttausenden, die davon lesen und davon hören, werden die wahre Bedeutung der götzenhaften Verehrung des Stückchens Stoff der Herren erkennen. Die Flagge ist nichts als ein Verband über den Augen der Arbeiter.”

Wir können dem nur zustimmen: Alle Nationalflaggen sind Lumpen der Herren! Ein Verband über unseren Augen, der uns blind macht für die Realität, dass die Arbeiterklasse kein Land hat, dass die Nation immer denen gehört, die den Reichtum, die politische Macht und die mächtigsten Waffen an sich gerissen haben. Kurz gesagt, der herrschenden Klasse. Zwei Jahre nach dem Artikel fügte die IWW hinzu, dass die amerikanische Flagge ein Mittel ist, um die Arbeiter für das Gemetzel des imperialistischen Ersten Weltkrieges zu rekrutieren, ebenso wie der britische Union Jack und die Trikolore Frankreichs oder Deutschlands.

Und deshalb sind Revolutionäre gegen alle Nationalflaggen. Nicht nur gegen die Flaggen der mächtigsten imperialistischen Staaten, sondern auch gegen die Fahnen der sog. „unterdrückten Nationen” wie der Ukraine oder Palästina, die sich nur durch Bündnisse mit anderen Imperialismen gegen die Herrschaft einer Macht „wehren” können. Im Falle der Ukraine sind das die amerikanischen und westeuropäischen Staaten, im Falle Palästinas und der Hamas unter anderem das islamische Regime des Iran.

Gegen alle Nationalflaggen und Spaltungen, für die internationale Einheit der Arbeiterklasse!

Amos, September 2025

 

[1] Auf diesen Artikel hat uns ein Genosse aufmerksam gemacht, der sich im Libcom-Diskussionsforum adri nennt. Zusammen mit einem anderen Genossen, msommer, der sich als Rätekommunist bezeichnet, kritisierte er Anarchisten in den USA, die das Schwenken mexikanischer und palästinensischer Flaggen bei Demonstrationen damit rechtfertigen, dass sie Symbole des Kampfes gegen die Unterdrückung seien, während sie in Wirklichkeit ein Mittel sind, um Arbeiter:innen in die bürgerliche Politik einzubinden. Der entsprechende Thread auf libcom.org heißt Are anarchist organisations in decline? [17] (Sind anarchistische Organisationen im Niedergang?).

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Kampf gegen jeden Nationalismus

Krieg Iran, Israel, USA ... Alle Staaten sind Kriegstreiber! Die einzige Lösung für die Menschheit ist der Internationalismus!

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„Der größte B-2-Schlag in der Geschichte“. Die Worte, die General Dan Caine, der Generalstabschef der US-Streitkräfte, wählte, um die Bombardierung mehrerer iranischer Atomanlagen in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni zu beschreiben, zeigen die historische Bedeutung des Ereignisses. 125 Flugzeuge in der Luft, ein U-Boot und mehrere Schiffe wurden mobilisiert, 75 Präzisionsraketen und 14 GBU-57-Bomben wurden in wenigen Stunden abgeworfen. Mit ihrer Operation Midnight Hammer sind die Vereinigten Staaten also gerade auf krachende Weise in den Krieg eingetreten.

Es ist noch nicht möglich, das Ausmaß der Schäden und die Zahl der Opfer im Iran und in Israel seit Beginn der Kämpfe am 13. Juni zu beziffern, aber die Zerstörungskraft ist gewaltig. Bei Drucklegung dieses Flugblatts erfuhren wir, dass die Kriegsparteien nach den iranischen Angriffen auf US-Militärstützpunkte einen „Waffenstillstand“ verkündeten, während es auf beiden Seiten noch immer Raketen regnete.

Der Nahe Osten wird in Barbarei und Chaos versinken

Die Kriegspropaganda trompetet aus allen Rohren, dass die Bombardierung des Iran ein riesiger Erfolg sei, dass das Mullah-Regime nachhaltig geschwächt sei und sogar verschwinden könnte, dass Israel und Amerika die atomare Bedrohung beendet hätten und dass sie Frieden und Sicherheit im Nahen Osten durchsetzen würden.

Das sind alles nur Lügen! Der Nahe Osten wird weiterhin im Chaos versinken, ein Chaos, das sich auf den gesamten Planeten auswirken wird. Da die Islamische Republik nicht in der Lage ist, direkt zu reagieren, wird sie mit dem Rücken zur Wand stehen und nicht zögern, überall, wo sie kann, Barbarei zu verbreiten, alle bewaffneten Gruppen unter ihrer Kontrolle zu aktivieren und sogar massiv von der Waffe des Terrorismus Gebrauch zu machen. Die Bedrohung der strategisch wichtigen Straße von Hormus durch den Iran ist ein Symbol dafür, dass sich die Weltwirtschaftskrise und damit die Inflation weiter verschärfen werden.

Und sollte das Terrorregime der Mullahs nicht überleben, wird die Zeit danach genauso schrecklich sein wie ihre Herrschaft: Aufteilung des Landes unter den Kriegsherren, ein Kreislauf der Rache zwischen den verschiedenen Cliquen, das Aufblühen von Terrorgruppen, die noch tödlicher bewaffnet und gefährlicher sind als Daesh/ISIS, Massenflucht der Bevölkerung ...

Dies ist keine apokalyptische Prophezeiung, sondern eine Lehre, die aus allen kriegerischen Konflikten der letzten zwanzig Jahre gezogen wurde. Die US-Invasion im Irak 2003, die der „Achse des Bösen“ den Todesstoß versetzen und die Pax Americana in der Region durchsetzen sollte, verwandelte das Land in ein Trümmerfeld, in dem sich bewaffnete Gruppen und mafiöse Cliquen gegenseitig zerfleischen. 2011 ist das benachbarte Syrien an der Reihe, in einen Bürgerkrieg zu verfallen, in den bewaffnete und terroristische Gruppen wie Daesh/ ISIS, Regionalmächte wie die Türkei, der Iran und Israel sowie internationale Mächte wie die USA und Russland verwickelt sind. Im Jahr 2014 tritt der Jemen in den makabren Tanz ein. Das Ergebnis: Hunderttausende Tote und ein verwüstetes Land. 2021 fällt Afghanistan wieder in die Hände der Taliban, nachdem die USA 20 Jahre lang einen Krieg geführt hatten, der darauf abzielte, die Taliban zu stürzen.

Ende 2023 verübt die palästinensische Hamas einen selten barbarischen Terroranschlag auf israelische Zivilisten. Die israelische Armee reagiert mit grenzenloser Brutalität mit einer Kampagne der Massenvernichtung des Gazastreifens, die schnell in einen schlichten Völkermord umschlägt. In den folgenden Monaten beschleunigt sich die Ausweitung des Chaos in unvorstellbarem Ausmaß: Gegenüber den Verbündeten der Hamas startet Netanjahu eine mörderische Rundum-Offensive im Libanon, in Syrien und nun auch im Iran. Im Grunde genommen ist die gleiche Dynamik in der Ukraine, im Sudan, in Mali und in der Demokratischen Republik Kongo am Werk. Die kapitalistische Welt versinkt im Kriegschaos: Wie in Gaza oder im Libanon in den letzten Monaten wird auch im Iran ein möglicher „Waffenstillstand“ nur vorübergehend und prekär sein, um die nächsten Massaker besser vorzubereiten. Der „Zwölf-Tage-Krieg“ (so der offizielle Name der jüngsten Kriegsepisode im Iran) dauert nun schon fast fünfzig Jahre und hat sich für die kommenden Jahrzehnte noch erheblich verschärft ...

Ein Krieg mit katastrophalen globalen Auswirkungen

Der Krieg mit dem Iran wird die wichtigsten Gegner der USA schwächen: Russland, das die iranischen Drohnen in der Ukraine benötigt, aber auch China, das iranisches Öl und einen Zugang zum Nahen Osten für seine „neue Seidenstraße“ braucht. Was die Operation Midnight Hammer betrifft, so zeigt sie erneut die unbestreitbare Überlegenheit der US-Armee, die in der Lage ist, auf der anderen Seite des Planeten massiv einzugreifen und alle ihre Feinde hinwegzufegen. Diese Schläge sind eine ausdrückliche Botschaft an China, so wie die Atombomben auf Japan 1945 in erster Linie eine Warnung an Russland waren.

Doch diese Machtdemonstration ist nur ein vorübergehender Sieg, der keinen Konflikt lösen und keinen der anderen imperialistischen Haie beruhigen wird. Im Gegenteil, die Spannungen werden überall eskalieren, jeder Staat, ob groß oder klein, jede bürgerliche Clique wird versuchen, das Chaos auszunutzen, um ihre schmutzigen Interessen zu verteidigen, was die globale Unordnung noch weiter verschärfen wird. Vor allem China wird sich das nicht gefallen lassen und schließlich ebenfalls die Muskeln spielen lassen, sei es in Taiwan oder anderswo.

Auch hier handelt es sich um Lehren, die wir aus der Geschichte ziehen. Seit dem Fall der UdSSR im Jahr 1991 sind die USA die einzige Supermacht. Es gibt keine Blöcke mehr, innerhalb derer die verbündeten Länder eine gewisse Form von Disziplin und Ordnung einhalten müssten. Stattdessen spielt jedes Land seine eigene Karte, jedes Bündnis wird immer brüchiger und umstandsbedingt, wodurch die Situation immer chaotischer und unkontrollierbarer wird. Die USA haben diese neue historische Dynamik sofort erkannt. Deshalb haben sie bereits 1991 den Golfkrieg angezettelt, eine wahre Machtdemonstration, um allen die Botschaft zu vermitteln: „Wir sind die Stärksten, ihr müsst uns gehorchen“. Die Ankündigung einer „neuen Weltordnung“ durch Bush Sr. sagte nichts anderes aus. Und doch unterstützte Frankreich zwei Jahre später, 1993, Serbien, Deutschland Kroatien und die USA Bosnien in einem Krieg, der schließlich Jugoslawien in die Luft sprengte.

Die Lektion ist klar und hat sich in den letzten 35 Jahren nicht geändert: Je mehr die amerikanische Vormachtstellung in Frage gestellt wird, desto härter müssen die USA zuschlagen – und je härter sie zuschlagen, desto mehr nähren sie den Protest und das Jeder-gegen-Jeden auf der ganzen Welt. Auf seiner regionalen Ebene ist es für Israel genau das Gleiche. Mit anderen Worten: Mit dem Krieg im Iran wird sich die Entwicklung von Chaos und Unordnung durch Krieg noch weiter beschleunigen. Asien wird zum Brennpunkt der weltweiten imperialistischen Spannungen werden, eingeklemmt zwischen den immer größeren Ansprüchen Chinas und der immer massiveren militärischen Präsenz der USA. Die US-Bourgeoisie weiß, dass sie hier künftig den größten Teil ihrer Streitkräfte konzentrieren muss.

„No King“, „Free Palestine“, „Stop Genocide“: Die einzige Zukunft des Kapitalismus ist der Krieg!

Angesichts dieser unerträglichen Schrecken, angesichts von Massakern im großen Stil, haben viele Menschen den Wunsch zu reagieren, ihre Wut herauszuschreien, sich zu versammeln, „Stopp“ zu sagen. Und das ist in der Tat eine Notwendigkeit, denn wenn wir es zulassen, wenn wir nicht reagieren, wird der Kapitalismus die gesamte Menschheit in ein riesiges Massengrab reißen, eine Reihe von verstreuten, unkontrollierbaren und immer tödlicheren Konflikten. Viele, die den Willen haben zu reagieren, finden sich heute auf der Straße in verschiedenen Bewegungen des „Widerstands gegen den Krieg“ wieder: No Kings, Free Palestine, Stop Genocide – alles Bewegungen, die von den linken Kräften des Kapitals unterstützt werden.

Aber die von der Linken vorgebrachten Parolen, einschließlich der scheinbar radikalsten, sind systematisch Fallen, die immer darauf hinauslaufen, die Ursachen des Krieges diesem oder jenem Führer zuzuschreiben, Netanjahu, der Hamas, Trump, Putin oder Chamenei, und schließlich eine Seite gegen eine andere zu wählen. Mit ihren scheinheiligen Reden „für den Frieden“, für die „Verteidigung der Demokratie“, für das „Recht der Völker auf Selbstbestimmung“ versuchen die Führungskräfte des Kapitals, uns zu täuschen und uns glauben zu machen, dass der Kapitalismus weniger kriegerisch und humaner sein könnte, dass es genügen würde, die „richtigen Vertreter“ zu wählen, „Druck auf die Herrschenden auszuüben“, um den Weltfrieden und „gerechtere“ Beziehungen zwischen den kapitalistischen Nationen herzustellen. All das läuft letztlich darauf hinaus, die Kriegsdynamik zu bestreiten, in die das gesamte kapitalistische System, alle Nationen und alle bürgerlichen Cliquen unaufhaltsam hineingezogen werden.

All diese Bewegungen auf diese Weise als Fallen zu entlarven, kann überraschen und sogar Wut bei denjenigen hervorrufen, die angesichts des Ausmaßes der Massaker aufrichtig handeln wollen: „Dann kann man eurer Meinung nach nichts tun?“, „Ihr kritisiert, aber man muss doch etwas tun!“.

Ja, man muss etwas tun, aber was?

Um die Kriege zu beenden, muss der Kapitalismus gestürzt werden

Die Arbeiterinnen und Arbeiter in allen Ländern müssen sich weigern, sich von nationalistischen Reden mitreißen zu lassen, sie müssen sich weigern, für die eine oder andere bürgerliche Seite Partei zu ergreifen, im Nahen Osten wie überall sonst. Sie müssen sich weigern, auf Reden hereinzufallen, die sie auffordern, ihre „Solidarität“ mit diesem oder jenem Volk zu bekunden, um sie besser gegen ein anderes „Volk“ indoktrinieren zu können. „Gequälte Palästinenser“, „bombardierte Iraner“, „terrorisierte Israelis“ – das sind alles Ausdrücke, die auf die Wahl einer Nation gegen eine andere festlegen. In allen Kriegen, auf beiden Seiten der Grenzen, werben die Staaten immer wieder mit dem Glauben an einen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Barbarei und Zivilisation. Das sind alles Lügen! Kriege sind immer eine Auseinandersetzung zwischen konkurrierenden Nationen, zwischen rivalisierenden Bourgeoisien. Sie sind immer Konflikte, in denen die Ausgebeuteten zugunsten ihrer Ausbeuter sterben.

„Iraner“, „Israelis“ oder „Palästinenser“ – unter all diesen Nationalitäten befinden sich Ausbeuter und Ausgebeutete. Die Solidarität der Proletarier gilt daher nicht den „Völkern“, sie muss den Ausgebeuteten im Iran, in Israel oder Palästina gelten, genauso wie den Arbeitern in allen anderen Ländern der Welt. Wirkliche Solidarität mit den Opfern des Krieges kann man nicht dadurch erreichen, dass man für einen illusorischen Kapitalismus in Frieden demonstriert oder sich dafür entscheidet, eine sogenannte angegriffene oder schwächere Seite gegen eine andere sogenannte angreifende oder stärkere Seite zu unterstützen. Die einzige Solidarität besteht darin, alle kapitalistischen Staaten, alle Parteien, die dazu aufrufen, sich hinter diese oder jene Nationalflagge, diese oder jene kriegerische Sache zu stellen, anzuprangern!

Diese Solidarität erfordert vor allem die Entwicklung unserer Kämpfe gegen das kapitalistische System, das für alle Kriege verantwortlich ist, einen Kampf gegen die nationalen Bourgeoisien und ihre Staaten.

Die Geschichte hat gezeigt, dass die einzige Kraft, die den kapitalistischen Krieg beenden kann, die ausgebeutete Klasse ist, das Proletariat, der direkte Feind der Bourgeoisie. Dies war der Fall, als die Arbeiter in Russland im Oktober 1917 den bürgerlichen Staat stürzten und die Arbeiter und Soldaten in Deutschland im November 1918 aufbegehrten: Diese großen Kampfbewegungen des Proletariats zwangen die Regierungen, den Waffenstillstand zu unterzeichnen.

Es war die Kraft des revolutionären Proletariats, die den Ersten Weltkrieg beendete! Den wirklichen und endgültigen Frieden überall muss die Arbeiterklasse erobern, indem sie den Kapitalismus weltweit stürzt.

Dieser lange Weg liegt vor uns, und er führt heute über eine Ausweitung der Kämpfe gegen die immer härteren wirtschaftlichen Angriffe, die uns von einem in eine unüberwindbare Krise gestürzten System zugemutet werden. Indem wir die Verschlechterung unserer Lebens- und Arbeitsbedingungen ablehnen, indem wir die ständigen Opfer im Namen der Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Wirtschaft oder der Kriegsanstrengungen ablehnen, beginnen wir, uns gegen das Herz des Kapitalismus zu stellen: die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. In diesen Kämpfen ziehen wir an einem Strang, entwickeln Solidarität, debattieren und werden uns unserer Stärke bewusst, wenn wir vereint und organisiert sind.

Diesen langen Weg begann das Proletariat im „Sommer des Zorns“ in Großbritannien 2022, in der sozialen Bewegung gegen die Rentenreform in Frankreich Anfang 2023, in den Streiks im Gesundheitswesen und in der Automobilindustrie in den USA 2024, in den seit Monaten andauernden Streiks und Demonstrationen, die in Belgien gerade jetzt fortgesetzt werden. Diese internationale Dynamik markiert die historische Rückkehr der Kampfbereitschaft der Arbeiter, die wachsende Weigerung, die ständige Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen hinzunehmen, die Tendenz, sich als kämpfende Arbeiter branchen- und generationenübergreifend zu solidarisieren, ohne Rücksicht auf Nationalität, Herkunft und Religion.

Man könnte den Revolutionären Folgendes vorwerfen: „Angesichts des Krieges schlagt ihr vor, nichts zu tun, den Kampf gegen die Massaker, die vor unseren Augen stattfinden, auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben!“ Heute haben die Kämpfe des Proletariats in der Tat noch nicht die Kraft, sich direkt gegen den Krieg zu stellen, das ist eine Tatsache. Aber es gibt zwei mögliche Wege: Entweder wir beteiligen uns an den sogenannten „Friedensbewegungen jetzt und sofort“ und lassen uns auf dem Gebiet des Kampfes für einen „gerechteren“, „demokratischeren“ Kapitalismus entwaffnen – Ideologien, die zur allgemeinen Entwicklung des Imperialismus beitragen, indem sie uns dazu bringen, die Nation, das Lager, die Clique zu unterstützen, die als „weniger schlimm“, „fortschrittlicher“ bezeichnet wird. Oder wir beteiligen uns geduldig durch Kämpfe auf unserem Klassenterrain am Wiederaufbau unserer Solidarität und Identität, wir arbeiten an einer historischen Bewegung, die als einzige die Wurzel von Kriegen und Elend, von Nationen und Ausbeutung zu Fall bringen kann: den Kapitalismus. Ja, dieser Kampf ist lang! Ja, er wird ein großes Vertrauen in die Zukunft erfordern, die Fähigkeit, der Angst und der Verzweiflung zu widerstehen, die uns die Bourgeoisie in den Schädel treiben will. Aber er ist der einzig mögliche Weg!

Um an dieser Bewegung teilzunehmen, müssen wir uns zusammenschließen, diskutieren, organisieren, Flugblätter schreiben und verbreiten, den wahren proletarischen Internationalismus und den revolutionären Kampf verteidigen. Gegen den Nationalismus, gegen die Kriege, in die uns unsere Ausbeuter hineinziehen wollen, sind die alten Losungen der Arbeiterbewegung, die Losungen des Kommunistischen Manifests von 1848, heute mehr denn je auf der Tagesordnung:

„Proletarier haben kein Vaterland!

Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“

Für die Entwicklung des Klassenkampfes des internationalen Proletariats!

Internationale Kommunistische Strömung

(24. Juni 2025)

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Internationale Kommunistische Strömung [19]

Theoretische Fragen: 

  • Internationalismus [20]

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Internationales Flugblatt

Von 1914 bis zum Völkermord an den Palästinensern in Gaza: eine ununterbrochene Kette von Massakern

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Seit über anderthalb Jahren sind wir Zeugen täglicher Operationen der israelischen Armee im Gazastreifen. Im Namen des „Selbstverteidigungsrechts Israels“ behauptet Netanjahu, die mörderischen Hamas-Kommandos in ihren Tunneln und überall dort zu jagen, wo die Terrororganisation Zuflucht gefunden hat, sei es in Krankenhäusern, Schulen oder Flüchtlingslagern, um, wie er behauptet, die seit dem 7. Oktober noch lebenden Geiseln zu befreien.

Aber die israelische Regierung schert sich nicht im Geringsten um die Geiseln, die nur ein Vorwand für ihre schmutzigen imperialistischen Ziele sind: Netanjahu und seine Clique haben ihre Absicht verkündet, den gesamten Gazastreifen für immer zu besetzen – vollständig gesäubert von seiner arabischen Bevölkerung! Um dies zu erreichen, scheut die israelische Bourgeoisie keine Kosten. Die Armee zeigt in diesem Freiluftgefängnis grenzenlose Grausamkeit: Inmitten von Leichenbergen, von einer Zone zur anderen geworfen, an einem Tag nach Norden, am nächsten nach Süden, in Verzweiflung gestürzt und ohne alles, lebt die Bevölkerung in ständiger Angst vor den abscheulichen Verbrechen der Soldaten, vor Bomben, Hunger und Krankheiten. Gleichzeitig haben die Angriffe und die Vertreibungspolitik im Westjordanland zugenommen, wo Abertausende Palästinenser terrorisiert und zur Flucht gezwungen werden.

Für Netanjahu und die religiösen Fanatiker um ihn herum ist die Auslöschung der Palästinenser von der Erde nun ein erklärtes Ziel: Wenn die Armee nicht gerade gezielt auf verängstigte Menschenmengen schießt, behindert sie ständig die Versorgung mit Lebensmitteln und Grundbedarfsgütern und hungert Erwachsene, Alte und Kinder schamlos aus. Seit mehr als drei Monaten blockiert die Regierung sogar die Versorgung unter Vorwänden, die so absurd sind, dass sie selbst eine weitere Provokation darstellen, ein kaum verhülltes Eingeständnis ethnischer Säuberung. Und all dies mit aktiver Komplizenschaft Ägyptens und Jordaniens, die offiziell ihre Besorgnis über das Schicksal der Palästinenser zum Ausdruck bringen, während sie sie effektiv strangulieren, indem sie ihnen die Flucht aus dieser Hölle verwehren.

Überall auf der Welt sind wir Zeugen einer immensen Empörung und Protesten gegen die Verbrechen, die vor unseren Augen geschehen. In vielen Städten finden Demonstrationen statt, die ein Ende der Kämpfe fordern, mit Rufen wie „Free Palestine!“[1] Selbst die Staats- und Regierungschefs mehrerer europäischer Länder sehen sich nach monatelanger Unentschlossenheit nun gezwungen, die Übergriffe der israelischen Armee in Gaza zu verurteilen und sogar die Realität eines andauernden Völkermords anzuprangern, wie beispielsweise der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez, der sich kürzlich gegen „eine katastrophale Situation des Völkermords“[2] ausgesprochen hat.

Hinter diesen Erklärungen verbergen sich jedoch nichts als Heuchelei und Lügen. Die Politik der systematischen Zerstörung in Gaza ist keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil! Weit entfernt von einer „Welt in Frieden“ zeigt die gesamte Geschichte des dekadenten Kapitalismus, dass die Gesellschaft unaufhaltsam in die Barbarei abgleitet und dass kein Teil der Bourgeoisie in der Lage ist, dem ein Ende zu setzen.

Eine ununterbrochene Kette der Gewalt

Bereits im 19. Jahrhundert hatte Karl Marx gezeigt, dass der Kapitalismus durch Gewalt, Massaker, Zerstörung und Plünderung entstanden ist, dass das Kapital „aus allen Poren, blut- und schmutztriefend“ zur Welt kommt: "Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation.“[3] Das für die industrielle Revolution notwendige ursprüngliche Kapital fiel nicht wie durch ein Wunder vom Himmel; seine anfängliche Akkumulation konnte nur durch Plünderung, Banditentum und Sklaverei erfolgen. Tatsächlich ist die Geschichte der ersten kapitalistischen Mächte eine Abfolge von Schandtaten, die weit entfernt sind von den Idealen ihrer Aufklärungsphilosophie: Seit dem groß angelegten Völkermord an den amerikanischen Ureinwohnern (zwischen 80 und 100 Millionen Opfer!) war die Entwicklung des Kapitalismus überall blutig. Ob in Großbritannien (Völkermord an den australischen Aborigines, neben vielen anderen Beispielen), Frankreich (Ausrottung eines Drittels der algerischen Bevölkerung ab 1830), Deutschland (Völkermord an den Herero und Nama in Namibia zwischen 1904 und 1908), Russland (1 bis 2 Millionen Opfer während der ethnischen Säuberung gegen die Tscherkessen zwischen 1864 und 1867), den Vereinigten Staaten (zum Beispiel während der Eroberung des Westens) und sogar dem „kleinen Land“ Belgien (mit 10 Millionen Toten im Kongo!) – alle Bourgeoisien waren an den schlimmsten Gräueltaten beteiligt. Diese Gewalt richtete sich auch gegen die Bauernschaft der traditionellen Gesellschaft, wie die Grausamkeiten Großbritanniens gegenüber den irischen Bauern zeigen.

Kapitalismus ist gleichbedeutend mit struktureller und institutionalisierter Gewalt, aber nach dem Ersten Weltkrieg nahm dieser Prozess eine neue, qualitative Wendung. Auf ihrem Gründungskongress 1919 erkannte die Kommunistische Internationale eindeutig den Eintritt des Kapitalismus in seine Phase des Niedergangs: „Eine neue Epoche ist geboren! Die Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seiner inneren Zersetzung. Die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats.“ Während die Eroberungen der Aufschwungphase den kapitalistischen Mächten die Entwicklung und Universalisierung neuer Produktionsverhältnisse ermöglicht hatten, bedeutete der Erste Weltkrieg, dass die Eroberung mangels ausreichender Räume und Märkte fortan nicht mehr in erster Linie auf „jungfräulichem Boden“ stattfinden würde, sondern in einer tödlichen Konfrontation mit anderen kapitalistischen Mächten.

Während also die Gewalt der Aufschwungsphase des Kapitalismus zumindest die Entwicklung der Produktivkräfte ermöglicht hatte, stellte die Gewalt seiner Dekadenz eine gewaltige Kette der Zerstörung dar, die sich immer weiter ausbreitete und vertiefte: „Geschändet, entehrt, im Blute watend, von Schmutz triefend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie. Nicht wenn sie, geleckt und sittsam, Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung, Frieden und Rechtsstaat mimt – als reißende Bestie, als Hexensabbat der Anarchie, als Pesthauch für Kultur und Menschheit –, so zeigt sie sich in ihrer wahren, nackten Gestalt. (…) Eines ist sicher: der Weltkrieg ist eine Weltwende. Es ist ein törichter Wahn, sich die Dinge so vorzustellen, daß wir den Krieg nur zu überdauern brauchen, wie der Hase unter dem Strauch das Ende des Gewitters abwartet, um nachher munter wieder in alten Trott zu verfallen. Der Weltkrieg hat die Bedingungen unseres Kampfes verändert und uns selbst am meisten.”[4]

Während des Ersten Weltkriegs kam es zu wissenschaftlich geplanten Massenmorden (wie Gasangriffen) und organisierten Gräueltaten in sehr großem Umfang, wie beispielsweise den Völkermorden an den pontischen Griechen und den Armeniern, bei denen Millionen Menschen getötet und vertrieben wurden. Deshalb stellte die Kommunistische Internationale in ihren Richtlinien von 1919 klar, dass angesichts des überholten Kapitalismus die Alternative für die Menschheit nun entweder Sozialismus oder Barbarei sei: „Der Menschheit, deren ganze Kultur jetzt in Trümmern liegt, droht die Gefahr vollständiger Vernichtung. Es gibt nur eine Kraft, die sie retten kann, und das ist das Proletariat. (...) Das Endresultat der kapitalistischen Produktionsweise ist das Chaos. Und dieses Chaos kann nur die größte, produktive Klasse überwinden: die Arbeiterklasse.“ Seitdem verbreitet der Kapitalismus weiterhin Tod und sät Barbarei: Vertreibungen, Völkermorde, ethnische Säuberungen und Hungerpolitik sind zu gewöhnlichen Kriegswaffen geworden, die von allen Kriegführenden in einem in der Geschichte der Menschheit beispiellosen Ausmaß eingesetzt werden. Nach dem Ersten Weltkrieg, noch bevor die Schrecken des Zweiten begannen, setzte sich diese Kette der Gewalt fort. Gräueltaten wurden begangen, diesmal jedoch nicht gegen einen „fremden Feind“, sondern gegen ukrainische Bauern (Holodomor) während einer von Stalin organisierten Hungersnot (zwischen 2,6 und 5 Millionen Tote) oder gegen die russische Bevölkerung, die zu Millionen bei der Arbeit im Gulag ums Leben kam.

Der Zweite Weltkrieg: die unerbittliche Logik des dekadenten Kapitalismus

Die Kette der Gewalt erreichte schließlich während des Zweiten Weltkriegs mit 60 bis 80 Millionen Toten in nur sechs Jahren ein neues Ausmaß an Barbarei, wobei die unzähligen Opfer von Hunger, Krankheit und Unterdrückung nach Ende der Kämpfe nicht mitgerechnet sind. Dieser Konflikt folgte derselben Logik wie der von 1914-1918, jedoch in noch mörderischerem Ausmaß, was die sich verschärfende historische Krise des Systems widerspiegelte.

Die Massengräuel des Nazi-Regimes und seiner Verbündeten sind gut dokumentiert, aber zweifellos ist es die industrialisierte Ermordung von 3 Millionen Menschen,[5] darunter überwiegend Juden, in den Vernichtungslagern, die am deutlichsten den Höhepunkt der Barbarei dieses Konflikts zum Ausdruck bringt. Doch obwohl die Nazis entsetzliche Barbaren waren, darf nicht vergessen werden, dass sie die Barbarei eines dekadenten Systems zum Ausdruck brachten, das im tödlichen Wettbewerb zwischen allen Staaten und allen bürgerlichen Fraktionen zu seinen verabscheuungswürdigsten Extremen getrieben wurde.

Weit weniger bekannt sind jedoch die Verbrechen, die die Alliierten während des Krieges begangen haben, auch gegen die Juden. Es ist heute erwiesen, dass die Alliierten seit der Errichtung der Vernichtungslager im Jahr 1942 genau über deren Existenz, die Details der Vernichtungsmethoden und die Zahl der bereits getöteten und noch zu tötenden Opfer informiert waren.[6] Dennoch unternahmen weder die britische noch die US-amerikanische noch die sowjetische Regierung irgendetwas, um das Massaker zu stoppen oder auch nur zu verlangsamen. Nicht einmal eine Eisenbahnlinie wurde bombardiert! Stattdessen bombardierten sie wiederholt (mit schrecklichen Phosphorbomben) zahlreiche deutsche Städte mit ausschließlich ziviler Bevölkerung, insbesondere Arbeiterviertel, wie Leipzig, Hamburg (mindestens 45.000 zivile Opfer) und vor allem Dresden. Letzteres Bombardement forderte unzählige Opfer. Die Schätzungen variieren erheblich und reichen von 25.000 bis 200.000 Toten. Wir sind nicht in der Lage, die Zahl der Opfer zu bestimmen, aber die Bombardierung Dresdens weist bestimmte Merkmale der von den Alliierten entfesselten Barbarei auf, sowohl hinsichtlich der Mobilisierung außergewöhnlicher Ressourcen (1.300 Bomber in einer Nacht und zwei Tagen) als auch hinsichtlich des Einsatzes „verbotener” Phosphorbomben, die die Stadt in einen wahren Feuerofen verwandelten. All diese Maßnahmen machen nur Sinn, wenn man bedenkt, dass Dresden weder eine bedeutende Industriestadt war noch von echtem strategischem Interesse. Hingegen hatte es eine riesige Bevölkerung von Flüchtlingen, die vor der Ostfront geflohen waren, weil sie glaubten, Dresden würde nicht bombardiert werden. Das Ziel dieser exemplarischen Zerstörung war es, die Bevölkerung und insbesondere die Arbeiterklasse zu terrorisieren, um ihnen jeden Wunsch nach Mobilisierung auf ihrem eigenen Klassenterrain zu nehmen, wie es bereits 1943 in mehreren deutschen und italienischen Städten geschehen war. In einem Memorandum vom 28. März 1945 an den britischen Generalstab schrieb Winston Churchill über diese Bombenangriffe: „Es scheint mir, dass es an der Zeit ist, die Bombardierung deutscher Städte zu hinterfragen, die mit dem Ziel durchgeführt wurde, den Terror zu verstärken, während andere Vorwände angeführt wurden. Andernfalls würden wir ein völlig zerstörtes Land übernehmen. Wir könnten beispielsweise keine Baumaterialien aus Deutschland für unseren eigenen Bedarf [...] erhalten. Die Zerstörung Dresdens warf ernsthafte Zweifel an der Durchführung der alliierten Bombardierungen auf.“ Erstaunlicher Zynismus!

Aber diese Verbrechen waren letztlich nur der Auftakt zu der unermesslichen Tragödie der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki (etwa 200.000 Opfer), die aus militärischer Sicht völlig unnötig waren und den „sowjetischen“ Rivalen einschüchtern sollten. Und mit dem gleichen Zynismus, mit derselben Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern stellten die russischen Truppen vor den Toren Warschaus den Kampf ein, um es den Nazis zu überlassen, den aufkommenden Aufstand niederzuschlagen (160.000 bis 250.000 getötete Zivilisten). Für die stalinistische Bourgeoisie, die vom Gespenst der revolutionären Welle von 1917 heimgesucht wurde und sich mitten in einem Weltkrieg befand, ging es darum, jede Möglichkeit einer proletarischen Reaktion zu zerschlagen und freie Hand zu haben, um eine Regierung unter ihrer Kontrolle zu installieren. In Italien hielt Churchill ebenfalls die Kämpfe zurück, um den Faschisten die Unterdrückung der wachsenden Streiks zu ermöglichen, und ließ sie, wie er selbst sagte, „in ihrem eigenen Saft schmoren”.

Der Kapitalismus versinkt in einer allgemeinen Barbarei

Seit 1945 haben die Massaker nie aufgehört: Unser Planet hat keinen einzigen Tag ohne militärische Konflikte erlebt. Kaum war der 2. Weltkrieg zu Ende, führte die Konfrontation zwischen den beiden neuen rivalisierenden Blöcken zu den Schrecken des Kalten Krieges: dem Koreakrieg (3 bis 5 Millionen Tote), Vietnamkrieg (rund 2 Millionen Tote), der erste Krieg in Afghanistan (nach Schätzungen 2 Millionen Tote) und unzählige extrem blutige Stellvertreterkriege, wie der Iran-Irak-Krieg Ende der 1980er Jahre, der mindestens 1,2 Millionen Tote forderte.

Nach dem Kalten Krieg gingen die Massaker mit voller Wucht weiter, und die Welt nahm eine Wendung zum Schlimmeren und wurde noch chaotischer und anarchischer, da die Logik der Blöcke den verschiedenen Staaten oder Fraktionen keine Disziplin mehr auferlegte. In dieser letzten Phase der Dekadenz, der Phase des Zerfalls, entstand eine neue Dynamik des Verfalls. Die Konflikte wurden zunehmend destruktiver und waren geprägt von kurzsichtigen Machtkämpfen, die keine anderen rationalen strategischen Ziele hatten, als Chaos unter den Rivalen zu säen.

Auch hier haben die großen Demokratien Blut an ihren Händen, wie die Kriege in Jugoslawien (mindestens 130.000 Tote) zeigen, die durch Waffenlieferungen aus den USA, Frankreich und Deutschland angeheizt wurden. Die Haltung der UN-Truppen während dieses Konflikts, als sie Milosevics Todesschwadronen im Juli 1995 die Massaker an der Bevölkerung von Srebrenica (rund 8.000 Tote) ermöglichten, ist ebenfalls charakteristisch für den permanenten Zynismus der Bourgeoisie. Ein weiteres Beispiel ist die Haltung der französischen Truppen unter UN-Mandat während des Ruanda-Krieges in den 1990er Jahren, die sich mitschuldig machten am Völkermord an den Hutus (1 Million Tote). Die Großmächte waren auch direkt an Massakern in großem Stil beteiligt und haben überall, wo sie intervenierten, Chaos gesät, insbesondere in Afghanistan (offiziell 165.000 Tote, aber zweifellos mehr), im Irak (1,2 Millionen Tote) und heute im Nahen Osten und in der Ukraine, wo der Konflikt bereits mehr als eine Million Menschenleben gefordert hat. Die Liste ist endlos.

Gaza, ein Beispiel für die Zukunft des Kapitalismus

Die Kette der Gewalt, die das 20. Jahrhundert geprägt hat, führt nun durch die Gefahr eines umfassenden Krieges, nuklearer Risiken und der Zerstörung der Umwelt zum möglichen Untergang der Zivilisation oder sogar der Menschheit selbst. Die Schreckensszenen in Gaza sind besonders schockierend, aber auch die ukrainische Bevölkerung und bestimmte Regionen Russlands leben seit mehr als drei Jahren unter Bomben und einer Politik des Terrors, mit der offenen Unterstützung derer, die sich jetzt über das Schicksal der Palästinenser empören. Gleichzeitig werden die Millionen Menschen, die in Sudan, Kongo, Jemen und so vielen anderen Teilen der Welt unter Krieg leiden, von den Medien kaum wahrgenommen. Allein im Sudan haben 12 Millionen Menschen vergeblich versucht, vor dem Krieg zu fliehen, und Millionen weitere sind unter den gleichgültigen Blicken aller „Demokratien” vom Hungertod bedroht. In der Sahara toben Kriege, und der Nahe Osten versinkt tiefer denn je im Chaos. Asien steht unter starkem Druck, und Teile davon stehen am Rande eines Krieges. In Süd- und Mittelamerika gleichen Regionen, die von Zusammenstößen rivalisierender Banden verwüstet werden, Kriegsgebieten, wofür die katastrophale Lage in Haiti ein Beispiel ist. Selbst in den Vereinigten Staaten sind die Keime eines möglichen Bürgerkriegs sichtbar. Der Kapitalismus bietet heute ein apokalyptisches Bild, und es ist auffällig, dass die für das Ende des Zweiten Weltkriegs typischen Trümmerfelder innerhalb weniger Wochen in der Ukraine und im Gazastreifen entstanden sind.

Die Kriege im Nahen Osten sind Teil dieses tödlichen Prozesses. Als Symbol für die Sackgasse, in die der Kapitalismus geraten ist, startete Israel im Mai eine neue Offensive im Gazastreifen, gerade als Trump arabische Länder bereiste und eine Reihe von Handelsabkommen und Investitionsprojekten feierte, von denen natürlich viele Waffenverkäufe betrafen (142 Milliarden Dollar allein mit Saudi-Arabien!).

Die europäische Bourgeoisie steht in Sachen Zynismus in nichts nach. Während sie sich etwas verspätet über die ethnische Säuberung gegen die Palästinenser empörte und Israel (ohne allzu großen Nachdruck) mit Sanktionen drohte, traf sie sich zur gleichen Zeit in Albanien zum Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft, um Unterstützung für die Ukraine zu sammeln. Ihr Hauptanliegen ist es nicht, den Flüchtlingen zu helfen, noch den Opfern der völkermörderischen Politik Israels, noch den Millionen von Flüchtlingen, die geflohen sind und verzweifelt versuchen, nach Europa zu gelangen. Ihr einziges Anliegen war es, mehr Waffen und Soldaten für den Krieg gegen Russland zu mobilisieren und gleichzeitig die brutalen Maßnahmen gegen „illegale Einwanderer” zu verschärfen.

Während die Propaganda der israelischen Regierung versucht, jede Empörung über die Verbrechen in Gaza als Antisemitismus darzustellen,[7] indem sie den Holocaust auf schändliche Weise instrumentalisiert, hat sich der hebräische Staat, der sich als Beschützer der Juden, der Nachkommen des Nazi-Völkermords, präsentiert,[8] selbst zum Vernichter gemacht. Das ist nicht verwunderlich: Der Nationalstaat ist keine transzendente Kategorie, die über der Geschichte steht, sondern die vollendete Form der kapitalistischen Ausbeutung und Konkurrenz. In einer Welt, die von der unerbittlichen Logik des Imperialismus und der Rivalitäten aller gegen alle beherrscht wird, ist jeder Staat, ob schwach oder mächtig, demokratisch oder nicht, ein Glied in der Kette der Gewalt, die der Kapitalismus der Menschheit zufügt. Für die Schaffung eines neuen Staates zu kämpfen, gestern Israel, heute Palästina, bedeutet, für die Institutionalisierung der Bewaffnung neuer Kriegführender zu kämpfen und einen neuen Friedhof zu schaffen. Deshalb entscheiden sich alle linksextremen Gruppen, die zur Unterstützung der „palästinensischen Sache” aufrufen, de facto für eine bewaffnete Seite und tragen damit zur Fortsetzung der Massaker und nicht zur Befreiung der Menschheit bei.

EG 13.07.2025

 

[1] Choosing one side against another always means choosing imperialist war! [21], publiziert auf ICConline, May 2024 (auf Englisch)

[2] Sánchez hat sich, wie alle seine Amtskollegen, nicht aus reiner Herzensgüte so geäußert: Spanien zieht alle Register seiner Verführungskunst, um sich gegenüber den arabischen Ländern als zentraler Akteur im Mittelmeerraum zu etablieren. Als die spanischen Interessen mit denen Israels übereinstimmten, hat die PSOE nie Anstalten getroffen, gegen die Machenschaften der israelischen Streitkräfte zu protestieren.

[3] Karl Marx, Das Kapital (1867), 24. Kapitel

[4] Rosa Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie (1915)

[5] Dies ist die offizielle Zahl der in den Lagern Getöteten, die aber gewaltig steigt, wenn andere Vernichtungsmethoden wie Massenerschießungen berücksichtigt werden.

[6] Dies ist eine seit langem von Historikern dokumentierte Tatsache, die durch die Veröffentlichung der UN-Archive im Jahr 2017 [22] gewissermaßen offiziell bestätigt wurde.

[7] Was nichts an der Realität eines zunehmenden Antisemitismus in der Gesellschaft ändert, auch in den Reihen der Linken des Kapitals.

[8] Zu den Lügen des Zionismus in der Zeit des Niedergangs des Kapitalismus siehe: Antisemitismus, Zionismus, Antizionismus: Alle sind Feinde des Proletariats [23], verfügbar auf der Website der IKS.

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Die Barbarei des Kapitalismus

Chaos und Konflikte in der US-Politik: Für die IKP/Le Prolétaire „nichts Neues“!

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Die ersten sechs Monate der Trump-2.0-Regierung waren eine Achterbahnfahrt. In dieser Zeit löste sie einen Wirbelwind von Erklärungen und Maßnahmen aus. In den USA hob sie 78 Exekutivverordnungen der Biden-Regierung auf, die nicht mit ihren politischen Zielen übereinstimmten; sie entließ mehr hochrangige Militärs, Generalinspektoren und nationale Sicherheitsbeamte als jeder andere Präsident in der Geschichte; sie berief sich in den ersten 100 Tagen acht Mal auf Notstandsbefugnisse, mehr als jeder andere Präsident im gleichen Zeitraum; sie schuf einen Wirbelwind der Unvorhersehbarkeit und Unsicherheit, der nach ihren ersten Ankündigungen der Rekordzölle im April und den größten Verlusten der wichtigsten US-Aktienmärkte seit 2020 am deutlichsten zu spüren war.

Darüber hinaus versetzte sie den Rest der Welt mit Äußerungen über die Annexion Grönlands und Kanadas, über den von der Ukraine begonnenen Krieg und über Europa, das nicht mehr als Verbündeter der USA angesehen wurde, in Angst und Schrecken.

Kürzlich veröffentlichte die IKP/Le Prolétaire einen Artikel[1], in dem sie uns dafür kritisiert, dass wir „das verschwommene Konzept des ‚Populismus‘, dieses wahre Medien-Hirngespinst“, übernommen hätten, und sie argumentiert, dass Trumps Politik nicht „im Widerspruch zu den grundlegenden Interessen der amerikanischen Bourgeoisie“ stehe. Eine Kritik unserer Positionen durch eine proletarische Organisation verdient immer unsere Aufmerksamkeit, aber der Artikel versagt in mehreren Punkten.

Ist Trumps Politik ein Bruch mit der Politik der „verantwortungsbewusstesten“ Fraktionen der amerikanischen Bourgeoisie?

Le Prolétaire scheint die Merkmale bestimmter von Trump durchgeführter Maßnahmen anzuerkennen und kommt zu dem in gewisser Weise richtigen Schluss, dass „die Kohärenz dieser standardisierten Maßnahmen zweifellos fragwürdig, ihre Wirksamkeit zweifelhaft und ihre Folgen für bestimmte bürgerliche Interessen schädlich sind“. Paradoxerweise fragt der Artikel jedoch nicht, warum diese Maßnahmen so zweifelhafte und schädliche Auswirkungen haben, sondern stellt sofort fest, dass dies nichts Neues sei, da Trumps Politik „einem grundlegenden Trend entspricht, der bereits in den vergangenen Jahren zu beobachten war“. Um diese Behauptung zu untermauern, werden drei Beispiele aus der Außenpolitik der USA angeführt, darunter die Hinwendung zum Osten, der Abzug des US-Militärs aus Kriegsgebieten und die Drohung, „Verbündete“ im Stich zu lassen, wenn sie nicht zahlen. Außerdem wird die Kampagne gegen „marxistische Verrückte“ und „woke“ Politik gegen rassistische oder sexuelle Diskriminierung erwähnt. Die ersten beiden Beispiele sind richtig: die „Hinwendung zu Asien“ und der „Rückzug aus Kriegsgebieten“ waren in der Tat bereits Eckpfeiler der Politik von Obama und Biden. Die anderen waren jedoch kein wesentlicher Bestandteil ihrer Politik, ganz im Gegenteil.

Biden mobilisierte die NATO-Mitglieder zur Unterstützung der Ukraine gegen Russland. Trump brach jedoch radikal mit dieser Politik der massiven Unterstützung für die Ukraine. Nachdem er erklärt hatte, dass die EU dazu diene, die Vereinigten Staaten zu schädigen, beschloss er, die Beziehungen abzubrechen und begann, seine ehemaligen Verbündeten zu erpressen. Die Trennung zwischen den USA und Europa war eine Tatsache, mit der Folge, dass „die absolute Garantie einer militärischen Intervention zur Unterstützung der NATO und des amerikanischen Atomschutzschildes nicht mehr zu erwarten ist“.[2] Darüber hinaus hat er auf dem letzten NATO-Gipfel in Den Haag die anderen NATO-Mitglieder unter Druck gesetzt, 5 Prozent ihres BIP für den Kauf von Waffen in den USA aufzuwenden.

Unter Biden verhängten bestimmte Bundesstaaten in Amerika ein Verbot von „wokem“ Material im Bildungswesen, und das Repräsentantenhaus konnte einige „Anti-Woke“-Gesetzespakete verabschieden, aber dies war mitnichten nicht die globale Politik der Bundesregierung und der meisten Bundesstaaten. Unter Trump wurde die „Anti-Woke“-Politik zu einer allgemeinen Hexenjagd. Von Beginn seiner Präsidentschaft an erklärte er jedem Ausdruck von „woke“ den Krieg. So unterzeichnete er am 28. Februar 2025 eine Durchführungsverordnung gegen woke und sogenannte antiamerikanische Kultur und wies J. D. Vance an, jede „unangemessene, polarisierende oder anti-amerikanische Ideologie” aus der amerikanischen Kultur zu entfernen. In seinem ersten Haushaltsentwurf kündigte das Weiße Haus Kürzungen bei „Woke-Programmen” an und erklärte, damit sollten „radikale Gender- und Rassenideologien, die den Geist der Amerikaner vergiften” beseitigt und dem „kulturellen Marxismus” entgegengewirkt werden.

Ein weiteres Beispiel, das wir nicht ignorieren können, ist die US-Zollpolitik. Auch Biden hatte viele Zölle eingeführt, jedoch nur teilweise und auf strategische Güter. Darüber hinaus gab er einem multilateralen Ansatz im wirtschaftlichen Wettbewerb durch die Nutzung bestehender internationaler Gremien den Vorrang. Trump machte die Frage der Zölle, „das schönste Wort”, zu einem zentralen Bestandteil der amerikanischen Politik und bezeichnete ihre Ankündigung als „Tag der Befreiung” für die USA. Seiner Vorstellung nach sorgen diese Zölle dafür, dass die US-Wirtschaft von der Plage billiger ausländischer Produkte und den unfairen Handelspraktiken anderer Länder befreit wird. Trumps Politik basiert auf Protektionismus und bilateralen Verhandlungen, um sicherzustellen, dass „Arbeitsplätze und Fabriken mit Macht in unser Land zurückkehren”.

Die Kritik von Le Prolétaire an der Position der IKS zu Populismus und Zerfall basiert auf ihrer berühmten „Unveränderlichkeit (Invarianz) des Marxismus seit 1848”. Ihrer Ansicht nach ist das marxistische Programm nicht „das Ergebnis eines ständigen theoretischen Kampfes, um die Realität zu analysieren und Lehren daraus zu ziehen, sondern ein 1848 offenbartes Dogma, an dem ‚kein Komma geändert werden muss’.”[3] Diese Position hat weitaus schwerwiegendere Folgen als eine bloße theoretische Verzerrung. Zu behaupten, der Marxismus sei unveränderlich, das kommunistische Programm könne nicht durch neue Elemente aus der Entwicklung des Kapitalismus und dem Kampf des Proletariats bereichert werden, läuft darauf hinaus, die Realität einzufrieren. Daher leugnet Le Prolétaire systematisch, dass sich in der Entwicklung des Kapitalismus und in der Politik der Bourgeoisie grundlegende Veränderungen vollzogen haben, und betrachtet nur Phänomene, die seinen unveränderlichen Glauben bestätigen. Folglich ist nicht nur seine Kritik an der Position der IKS oberflächlich, sondern vor allem widerspricht ihr Verständnis der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise und des Kräfteverhältnisses zwischen Bourgeoisie und Proletariat dem marxistischen Ansatz selbst.

Populismus: ein traditioneller Ausdruck bürgerlicher Politik?

Die Trump-Regierung ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck einer allgemeinen Dynamik. Bolsonaro in Brasilien, Orban in Ungarn, Modi in Indien usw. sind ebenfalls Manifestationen der populistischen Welle. Und diese Welle ist tatsächlich die spektakulärste Form eines viel umfassenderen Zerfallsprozesses, der die gesamte Weltbourgeoisie erfasst, die von der Epidemie des „Jeder für sich“ befallen ist. Aber die Tatsache, dass ein so inkompetenter Schwachkopf[4] zum Präsidenten des mächtigsten Landes der Welt geworden ist – und das zum zweiten Mal –, sowie seine völlige Gleichgültigkeit gegenüber den schwerwiegenden Funktionsstörungen des Staatsapparats, die durch sein eigenes Handeln verursacht wurden, sprechen Bände über die wachsenden Schwierigkeiten dieser Bourgeoisie, ihr politisches System zu führen.

Mit dem methodologischen Instrument der „Invarianz” weigert sich Le Prolétaire zunächst anzuerkennen, dass Populismus etwas anderes ist als ein Ausdruck des traditionellen politischen Lebens der Bourgeoisie. Er lehnt die Ansicht ab, dass Populismus ein Ausdruck des Kontrollverlusts über das eigene politische Spiel ist. Aus seiner Sicht scheint die Bourgeoisie sogar die volle Kontrolle zu haben! Aber zumindest am 6. Januar 2021 war das nicht der Fall, als eine Horde von Vandalen, angefeuert vom scheidenden Präsidenten, das Kapitol stürmte, sollte man meinen. Le Prolétaire vertritt offenbar eine andere Ansicht.

„Der Kapitalismus steht noch immer und es gelingt ihm, die politische und soziale Vorherrschaft der bürgerlichen Klasse aufrechtzuerhalten; das demokratische System, das diese Vorherrschaft verschleiert, steht noch immer. (...) Selbst wenn die Bourgeoisie als Erste zeigt, dass sie nicht zögert, ihre eigenen Gesetze und ihr eigenes politisches System mit Füßen zu treten, nur um ihre privaten Interessen zu verteidigen, verblasst der Mythos der Demokratie nicht“.[5] Die Missachtung der Rechtsstaatlichkeit, Trumps gescheiterter Putsch, die Besetzung des Kongressgebäudes, das Konzept der Wahllegitimität selbst: Für Le Prolétaire scheint dies die übliche Art und Weise zu sein, wie die Bourgeoisie ihre eigenen privaten Interessen verteidigt! Der ehemalige Präsident George W. Bush, Mitglied derselben Partei wie Trump, vertrat jedoch eine andere Ansicht: „So werden Wahlergebnisse in einer Bananenrepublik angefochten.“

Der Artikel von Le Prolétaire über die Ereignisse vermittelt sogar den Eindruck, dass die Bourgeoisie den Sturm auf das Kapitol provoziert habe, denn „um das Kapitol vor den vorhersehbaren Übergriffen der Pro-Trump-Demonstranten zu schützen, gab es nur eine dünne Polizeikette ... die die Tore öffnete, um die Menge durchzulassen ...“[6]. Der Artikel sagt uns jedoch nicht, was die Bourgeoisie zu einem solchen Manöver motiviert haben soll und welche ihrer Fraktionen davon profitiert hätte. Tatsächlich unterschätzt Le Prolétaire völlig die Auswirkungen und die Verschärfung des Chaos, das durch diese Art von populistischer Eskalation verursacht wurde.

Ohne sich für seine völlig verzerrte Erklärung der Ereignisse vom 6. Januar 2021 zu schämen, behauptet Le Prolétaire anschließend, die Position der IKS zum Populismus sei „ein impressionistisches Urteil“ und nicht marxistisch. Wir verstehen mit Le Prolétaire, dass die Ereignisse, Phänomene und Tendenzen in der Gesellschaft auf die Anatomie des sozialen Lebens, den wirtschaftlichen Apparat, zurückgeführt werden können. Und die IKS hat ihre Analysen immer auf diesen Ansatz gestützt, wie wir beispielsweise in Wie die Bourgeoisie sich selbst organisiert [24] (Internationale Revue Nr. 60) lesen können. Dieser Artikel zeigt ohne jede Zweideutigkeit, dass „die Hauptantriebskraft für den Zerfall des politischen Apparats daher in der sich verschärfenden Wirtschaftskrise und der Unfähigkeit der Bourgeoisie liegt, die Gesellschaft für einen Weltkrieg zu mobilisieren“. Für uns zeigt dieses Zitat und der Rest des Artikels deutlich, wenn auch nicht direkt, den Zusammenhang zwischen der kapitalistischen Wirtschaft in der Krise, für die die Bourgeoisie keinen Ausweg hat, und der Tendenz zum „Jeder für sich“ und zur Disziplinlosigkeit in der bürgerlichen Politik, die zur Entstehung populistischer Cliquen führt.

Aber Le Prolétaire irrt, wenn er hartnäckig leugnet, dass der Populismus „ein autonomes Phänomen mit einer eigenen Dynamik“ ist. Dies ist eine weitere entscheidende Frage der Methode, um die Politik der Bourgeoisie verstehen zu können. Le Prolétaire lässt es so erscheinen, als ob der Kapitalismus einer einfachen Kausalität unterliege, in der die Politik mechanisch von der Wirtschaft bestimmt wird. Wir müssen die Genossen enttäuschen, denn die bürgerliche Politik ist kein einfaches Spiegelbild der materiellen Verhältnisse. Die Elemente des Überbaus, einschließlich der Politik, folgen ihrer eigenen Dynamik, wie Friedrich Engels in einem seiner Briefe an Conrad Schmidt erklärte: „Es ist Wechselwirkung zweier ungleiche Kräfte, der ökonomischen Bewegung auf der einen, der nach möglichster Selbständigkeit strebenden und, weil einmal eingesetzten, auch mit einer Eigenbewegung begabten neuen politischen Macht“ auf der anderen Seite.[7] Die Leugnung der Wechselwirkung zwischen Basis und Überbau und einer der politischen Dimension der herrschenden Klasse eigenen Dynamik ist zumindest kurzsichtig und sicherlich undialektisch.

Als letzten Punkt bringt Le Prolétaire das Argument vor, dass „Trumps Politik nicht das Ergebnis der Launen eines Einzelnen oder der Fantasien eines Kreises von Visionären ist“. Dieser Punkt macht jedoch keinen Sinn, da wir dies in unserem Artikel auch nicht gesagt haben. Was wir gesagt haben, ist, dass Trumps Politik im Widerspruch zu den grundlegenden Interessen der amerikanischen Bourgeoisie und der Politik steht, die sie zu verfolgen versucht. Trumps Politik ist im Wesentlichen:

- motiviert durch den Wunsch nach Vergeltung, basierend auf der langjährigen Überzeugung, dass jede politische Opposition Sabotage ist und dass die Loyalität gegenüber Trump persönlich die höchste politische Tugend ist;

- gekennzeichnet durch eine systematische Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit durch Machtübergriffe der Exekutive, institutionelle Säuberungen, Angriffe auf die Presse, Vergeltungsmaßnahmen gegen das Justizsystem usw.

Die Politik Trumps ist Ausdruck eines verzweifelten Aufbegehrens gegen den Niedergang der USA als Supermacht, aber „nicht auf die Zukunft, sondern auf die Vergangenheit ausgerichtet, nicht auf Vertrauen, sondern auf Angst, nicht auf Kreativität, sondern auf Destruktivität und Hass gegründet”.[8]

Eine verantwortungsvolle Debatte zwischen linkskommunistischen Organisationen

Schließlich gibt es noch einen Punkt, der angesprochen werden muss. Wir wissen nicht, welchen Artikel Le Prolétaire gelesen hat, aber der Artikel, den Le Prolétaire kritisiert, sagt nicht, dass die US-Bourgeoisie „eine vernichtende Niederlage“ erlitten hat. Er sagt wörtlich, dass die Rückkehr Trumps an die Spitze des amerikanischen Staates „ein vernichtender Misserfolg für den ‚verantwortungsbewussteren‘ Flügel der US-Bourgeoisie“ darstellt.[9] Der Artikel von Le Prolétaire beginnt und endet mit einer Kritik, die auf dieser falsch zitierten Aussage basiert. Dies könnte einige Leser auf die falsche Fährte führen, aber die starke Konzentration auf diesen einen Aspekt des Artikels, während die wichtigsten Aspekte, wie Trumps Angriff auf den sogenannten Deep State, vernachlässigt werden, trägt sicherlich nicht wesentlich zur Klärung der Natur des Populismus bei.

Und das bringt uns zurück zu einer anderen Frage: Wie sollte eine Debatte zwischen den Organisationen der Kommunistischen Linken geführt werden? Le Prolétaire zeichnet sich nicht nur durch ungenaues Zitieren und Lesen unseres Artikels aus, sondern verweist auch nicht auf andere Artikel, die die IKS seit 2018 (der letzten Polemik zwischen Le Prolétaire und der IKS) zu diesem Thema geschrieben hat. Wir haben bereits den Artikel Wie die Bourgeoisie sich selbst organisiert erwähnt, aber es gibt noch weitere, wie Der Aufstieg des Populismus ist ein reines Produkt des kapitalistischen Zerfalls [25] und Trump 2.0: Neue Schritte ins kapitalistische Chaos [26] (International Review Nr. 173 – engl./frz./span. Ausgabe).

Es würde Le Prolétaire zur Ehre gereichen, wenn er einen neuen und ernsthafteren Versuch unternehmen würde, die Position der IKS zum Populismus auf der Grundlage stichhaltiger Argumente zu kritisieren. Als revolutionäre Organisation ist dies Teil ihrer politischen Verantwortung gegenüber der Klasse und den politisierten Minderheiten, die sich innerhalb dieser Klasse herausbilden.

Dennis, 10. September 2025

 

[1] Le CCI et le ‘populisme’. Les élections américaines sont-elles ‘un échec cuisant pour la bourgeoisie américaine’? (Le Prolétaire Nr. 557, April-Mai-Juni 2025)

[2] The upheaval in alliances is exacerbating the war of each against all [27], World Revolution Nr. 403

[3] 15th Congress of the ICC, Today the Stakes Are High--Strengthen the Organization to Confront Them [28], International Review Nr. 114

[4] Trump liest nicht, nicht einmal die Memos seiner Berater. Er hat eine tödliche Abneigung gegen das Lesen, nutzt aber soziale Medien zehnmal häufiger als seine Vorgänger.

[5] January 6, 2021, Washington: a dark day for the Capitol, symbol of American democracy, Proletarian Nr. 17, Frühjahr 2021

[6] ebenda

[7] F. Engels, Brief an Conrad Schmidt, 27. Oktober 1890, MEW Bd. 37 S. 490

[8] Über das Problem des Populismus [29], Internationale Revue Nr. 54

[9] Letzteres hat nicht die gleichen Konsequenzen, da eine Niederlage der gesamten Bourgeoisie etwas Positives für die Arbeiterklasse bedeutet, während eine Niederlage einer Fraktion der Bourgeoisie nicht automatisch für die Arbeiterklasse von Vorteil ist. Im Gegenteil, sie birgt die Gefahr, dass das Proletariat in einen Kampf zwischen verschiedenen bürgerlichen Fraktionen hineingezogen wird.

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Debatte im proletarischen politischen Milieu

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Links
[1] https://de.internationalism.org/files/de/welt-189-lr.pdf [2] https://www.klassegegenklasse.org/dossier/ein-jahr-genozid-in-gaza/ [3] https://www.sozialismus.click/kein-transport-fuer-voelkermord-marsch-zum-leipziger-flughafen/ [4] https://solidaritaet.info/2025/07/eberswalde-kundgebung-in-solidaritaet-mit-den-palaestinenserinnen [5] https://solidaritaet.info/2025/07/eberswalde-kundgebung-in-solidaritaet-mit-den-palaestinenserinnen/ [6] https://www.sozialismus.click/frankreich-gisele-pelicot-gibt-allen-frauen-eine-stimme-die-sich-gegen-diese-gesellschaft-wehren/ [7] https://www.sozialismus.info/2021/10/sudan-generaele-ergreifen-die-macht-revolution-und-konterrevolution-auf-der-strasse/ [8] https://kommunismus.ch/deutsch/jugend/jugend-und-weltrevolution-werde-teil-der-international-marxist-tendency/ [9] https://de.internationalism.org/content/2872/april-1939-ende-des-spanischen-krieges-und-prolog-zum-zweiten-weltkrieg [10] https://kommunismus.ch/deutsch/theorie/faschismus/wie-kaempfen-gegen-faschisten-und-rechtspopulismus/ [11] https://www.klassegegenklasse.org/partei-und-unterdrueckung-warum-organisieren-wir-uns-nicht-separatistisch/ [12] https://fr.internationalism.org/content/11618/combat-ne-fait-commencer-comment-renforcer-notre-unite-et-solidarite [13] https://de.internationalism.org/content/3292/gegen-trumps-fremdenfeindliche-angriffe-auf-die-arbeiterklasse-und-die-rufe-nach [14] https://de.internationalism.org/content/3290/resolution-zur-internationalen-lage-mai-2025 [15] https://de.internationalism.org/content/3310/die-lehren-von-1905 [16] https://de.internationalism.org/content/748/der-zerfall-die-letzte-phase-der-dekadenz-des-kapitalismus [17] https://libcom.org/discussion/are-anarchist-organisations-decline [18] https://de.internationalism.org/files/de/202506internationales_flugblatt_gegen_krieg-no2.pdf [19] https://de.internationalism.org/en/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/internationale-kommunistische [20] https://de.internationalism.org/en/tag/3/44/internationalismus [21] https://en.internationalism.org/content/17521/choosing-one-side-against-another-always-means-choosing-imperialist-war [22] https://www.theguardian.com/law/2017/apr/18/opening-un-holocaust-files-archive-war-crimes-commission [23] https://en.internationalism.org/content/17615/anti-semitism-zionism-anti-zionism-all-are-enemies-proletariat-part-1 [24] https://de.internationalism.org/content/3225/wie-die-bourgeoisie-sich-selbst-organisiert [25] https://en.internationalism.org/content/17538/rise-populism-pure-product-capitalist-decomposition [26] https://en.internationalism.org/content/17623/trump-20-new-steps-capitalist-chaos [27] https://en.internationalism.org/content/17666/upheaval-alliances-exacerbating-war-each-against-all [28] https://en.internationalism.org/ir/114_congress.html [29] https://de.internationalism.org/content/2715/ueber-das-problem-des-populismus