Kapitel 8: Die Herausforderung des Krieges: Von der Fraktion zur Partei

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   Der Ausbruch des II. Weltkrieges im September 1939 überraschte die italienische und belgische Fraktion völlig unvorbereitet. Das Internationale Büro bestand praktisch nicht mehr, auch der Kontakt zwischen den verschiedenen Sektionen und Fraktionen war abgebrochen. Einige Wochen zuvor war die letzte Ausgabe von Octobre erschienen. Noch zu einem Zeitpunkt, als die halbamtlichen Kontakte zwischen Russland und Deutschland wiederhergestellt wurden und den bevorstehenden Kriegsausbruch auf dem europäischen Kontinent ankündigten, deuteten beide Fraktionen die fieberhaften Vorbereitung als bevorstehende Wiederaufführung von München. „Die Tatsache, dass der Weltkapitalismus im September 1938 zu einem Kompromiss gekommen ist, statt zu den Waffen zu schreiten, bestätigt möglicherweise die These, dass selbst in der gegenwärtigen angespannten Lage lediglich eine provisorische Lösung in Gestalt eines zweiten München gefunden werden kann.“ (1) Noch unzutreffender war der Einfall, dass es zu einer Solidarisierung unter den Imperialisten kommt, um den Krieg angesichts des gemeinsamen Feindes, der Arbeiterklasse, zu vermeiden. „Wenn man die Zeitungen liest und die Reden hört, hat man stets den Eindruck, kurz vor der Auslösung eines Waffenganges zu stehen (...) Wenn man die verschiedenen imperialistischen, bis an die Zähne bewaffneten Armeen sowie die Kriegswirtschaft, die nicht auf ewig ins Blaue produzieren kann, betrachtet und wenn man andererseits diese schauerliche imperialistische Solidarität feststellt, ist man vielleicht überrascht, sofern man sich nicht vor Augen hält, dass Demokratie und Faschismus einen gemeinsamen Feind haben – nämlich das Proletariat, das wieder auf den Weg zur Klasse zurückfindet.“

Abgesehen von einer Minderheit, die den Krieg für unvermeidbar hielt und ihn in den nächsten Wochen erwartete, gerieten sämtliche Mitglieder der Fraktionen durch den Einmarsch deutscher Truppen in Polen völlig durcheinander. Die belgische trotzkistische Dissidentenströmung, die von Vereecken angeführt wurde und ihr Büro in Brüssel hatte, stellte voller Ironie fest: „Nach acht Wochen des Krieges wissen wir immer noch nicht, welchen Standpunkt die Bordigisten dazu einnehmen. Vielleicht sind sie noch zu erschüttert über die Folgen der Ereignisse, über den Ausbruch des Krieges; denn noch fünf Minuten vor Hitlers Einmarsch in Polen waren sie der Meinung, dass es der Bourgeoisie gelingen würde, den Ausbruch des Konfliktes zu verhindern, ja, gar ihre Widersprüche zu kaschieren.“ (Gegen die Strömung, Bulletin der Internationalistischen Kommunistischen Gruppe für den Aufbau der IV. Internationalen, Nr. 1, November 1939)

Die „bordigistische“ Strömung war die einzige politische Gruppierung, die weder Flugblätter noch Manifeste beim Ausbruch des II. Weltkrieges veröffentlichte. Doch die Desorientierung beschränkte sich nicht nur auf sie. "L'Union Communiste“ und die „Ligue des Communistes Internationalistes“ (LCI) stellten ihre Zeitungen ein und lösten sich auf, obgleich sie den nahenden Kriegsausbruch vorausgesagt hatten. Auch wenn ihre Mitgliederzahlen seit 1937 langsam gesunken waren, befanden sich die italienische und die belgische Fraktion noch in der Lage, ihre politische Kontinuität aufrechtzuerhalten. Die alten Mitglieder der PCI waren im harten, illegalen Kampf gegen das Mussolini-Regime gestählt worden und hatten dabei viele Erfahrungen gemacht. Zudem hatten sie geheime Verbindungen nach Italien aufrechterhalten. Es waren also ihre politischen und theoretischen Fehler, die in der Theorie der „Kriegswirtschaft und der lokalen Krieg“ deutlich zum Ausdruck kamen, welche zu ihrer organisatorischen Auflösung und zum Verschwinden beider Fraktionen führten. Der unmittelbare Übergang in die Illegalität, der aufgrund ihrer unnachgiebigen Opposition gegen den Krieg und ihrer Weigerung, irgendein imperialistisches Lager zu unterstützen, notwendig geworden war, führte zur Atomisierung und Zersplitterung ihrer Mitglieder. Die Besetzung Belgiens und Frankreichs durch deutsche Truppen, das unmittelbare Zusammenwirken der örtlichen politischen Polizei mit der Gestapo, die selbst wiederum Hand in Hand mit der italienischen Orva bei der Jagd nach politischen Flüchtlingen und Aktivisten zusammenarbeitete, sollten schreckliche Folgen für beide Fraktionen haben. Jacobs (Michel), der Jude war, wurde verschleppt und starb in einem KZ. Der bekannteste Genosse neben Vercesi, Mitchell (Jéhan), wurde zusammen mit seinem Sohn, der Mitglied der belgischen Fraktion gewesen war, ebenfalls verschleppt und verschwand für immer. Andere hatten mehr „Glück“. Von der Gestapo verhaftet, wurden Bruno Bibbi und Fausto Atti nach der Gefangenschaft in deutschen KZs der italienischen Polizei ausgeliefert und auf Gefängnisinseln inhaftiert, wo die Bedingungen ungleich weniger hart waren.

In Brüssel versammelten sich offensichtlich Vercesi und einige andere Mitglieder in einem kleinen Kreis. Viele waren der Auffassung, dass der Krieg die soziale Abwesenheit und Auflösung des Proletariats bewiesen habe und es unter diesen Umständen vergeblich sei, organisierte, militante Aktivitäten aufrechtzuerhalten. Anderer Meinung war eine Handvoll italienischer und französischer Genossen, alle Mitglieder der italienischen Fraktion, die aus dem von deutschen Truppen besetzten Teil Frankreichs geflohen waren, um sich in Marseille zu sammeln, ohne dabei den Kontakt nach Paris zu verlieren. In Marseille hatte sich 1940 eine große Anzahl von Emigranten aller Nationalitäten zusammengefunden. Ob im Besitz richtiger oder falscher Papiere, sie alle befanden sich in einer äußerst misslichen materiellen Lage. Einige von ihnen fanden Arbeit in einer Obstfabrik, die von trotzkistischen Militanten eröffnet worden war und bald zu einem Treffpunkt vieler Militanter aller Couleur wurde. Die Fabrik hieß „Croque-fruit“. Die Methoden der Arbeitsrationalisierung (2) sollten übrigens auch hier zur Entlassung einiger Beschäftigter führen, die nicht von den Lohnforderungen lassen wollten. In diesem Flüchtlingshort für politische Emigranten gelang es einem kleinen Kreis von Mitgliedern der italienischen Fraktion, einige Anhänger des Trotzkismus auf ihre Seite zu ziehen und für ihre Positionen zu gewinnen.

Dieser Kern hatte die von Vercesi proklamierte Auflösung der Fraktionen abgelehnt und sich  1940 zusammengeschlossen, wobei systematisch die Kontakte mit den in Frankreich und Belgien verstreuten Mitgliedern wiederhergestellt wurden.

1942 entstand aus einem Kreis von rund zehn Genossen der „Französische Kern der Kommunistischen Linken“, der sich auf folgendes Prinzip stützte: „1943 hat sich inmitten des imperialistischen Krieges eine Gruppe von Genossen, die politisch und organisatorisch mit den Verwirrungen und dem Opportunismus der trotzkistischen Organisationen und mit dem imperialistischen Krieg gebrochen haben, in einem Kern der Kommunistischen Linken zusammengeschlossen. Dies geschah auf der Grundlage der Kommunistischen Linken Italiens.“ (3)

Diese Erklärung beinhaltete eine deutliche Ablehnung der „Thesen zur Verteidigung der UdSSR“, die von den Trotzkisten vertreten wurden und sie zur Beteiligung am Partisanenkrieg veranlassten. „Der sowjetische Staat als Instrument der internationalen Bourgeoisie erfüllt eine konterrevolutionäre Funktion. Die Verteidigung der UdSSR im Namen der Errungenschaften des Oktobers muss abgelehnt und anstelle dessen ein kompromissloser Kampf gegen die stalinistischen Agenten der Bourgeoisie geführt werden.“

Ebenso deutlich wurde das „demokratische“ und „faschistische“ Lager abgelehnt. „Die Demokratie und der Faschismus sind zwei Aspekte der Diktatur der Bourgeoisie, die den wirtschaftlichen und politischen Interessen der Bourgeoisie zu einem gegebenen Zeitpunkt entsprechen. Daher muss die Arbeiterklasse ihre eigene Diktatur errichten, sobald sie den kapitalistischen Staat zerschlagen hat. Und sie darf weder für den einen noch für den anderen Flügel Partei ergreifen.“ Die Beteiligung am imperialistischen Krieg stelle somit ein Überschreiten der Klassengrenze dar, wobei einerseits „nunmehr deutlich die Fraktion als einziger Stellvertreter für die proletarischen Interessen wirkte und andererseits (...) es all die anderen Parteien oder Gruppen (gab), die die verschiedenen imperialistischen, konterrevolutionären Interessen auf die unterschiedlichste Art vertreten.“

Diese Position stellte somit nicht nur einen Bruch mit dem Trotzkismus dar, sondern verwarf praktisch auch die alte Position der Italienischen Linken, die noch am Vorabend des Krieges Begriffe wie „zentristische Partei“ als Bezeichnung der stalinistischen Strömung und ihres linken Flügels benutzt hatte – eine Bezeichnung, die nicht ausdrücklich ausschloss, dass es sich hierbei immer noch um Arbeiterparteien handelte.

Was jedoch die Parteiauffassung der Italienischen Linken anging, so knüpfte der französische Kern nahtlos daran an. „Die Partei ist die politische Führung des Proletariats in einem gegebenen Land und stellt dessen Bewusstsein dar. Die Partei ist es, die nach der Machtergreifung im Namen der Arbeiterklasse die Diktatur ausübt. Man kann nicht von einer revolutionären Bewegung sprechen, wenn die Partei nicht existiert.“

Die Partei sei nicht das Ergebnis irgendwelcher Willenshandlungen, denn „sie kann nur in revolutionären Zeiten geschaffen werden, wenn die Massen sich von dem Einfluss der Verräterparteien befreien und das Kräfteverhältnis sich zugunsten des Proletariats gewendet hat“. Wir werden später sehen, dass die Frage des Zeitpunktes für die Gründung der Partei, die von Anbeginn in der bordigistischen Strömung debattiert wurde, nicht gelöst wurde und lange Diskussionen in ihren Reihen provozierte, als 1943 Streiks in Italien ausbrachen. Schließlich kam es darüber auch noch zur Spaltung.

In den „bordigistischen Thesen“ wurde die „gewerkschaftliche Einheitsfront“ wieder aufgegriffen und der „politischen Einheitsfront“ entgegengestellt. Der französische Kern forderte zudem seine Mitglieder zur Arbeit in den Gewerkschaften auf. „Es wird von jedem Mitglied, dem es möglich ist, die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft gefordert. Auch erwarten wir, dass dabei die Gewerkschaftspolitik der Organisation in den Gewerkschaften vertreten wird.“

Es war das Ziel des französischen Kerns, eine französische Sektion der Linkskommunisten aufzubauen, was vor dem Krieg nicht möglich gewesen war. Die unmittelbare Gründung solch einer Sektion war angesichts der schwachen Konstitution und der mangelnden Kräfte dieser kleinen Gruppe, die sich, abgesehen von einigen wenigen älteren Genossen, aus jungen und unerfahrenen Mitgliedern zusammensetzte, noch nicht gegeben. Doch es kam nicht darauf an, überstürzt solch ein Organ zu gründen, wenn es sich nur auf „verstreute Mitglieder hätte stützen können, die untereinander durch sentimentale Bindungen oder durch eine bislang noch relativ vage gebliebenen Ablehnung der Gesellschaft, in der man lebt, zusammengehalten wurden“. Auch Rekrutierungskampagnen oder die Unterwanderung anderer Organisationen seien kein geeignetes Mittel. Dieser Rat richtete sich an die Adresse der Trotzkisten, die bekanntlich Spezialisten im Entrismus waren, und besonders an jene jungen Militanten, die mit den trotzkistischen Strömungen gebrochen hatten, aber noch sentimentale Verbindungen zu ihnen aufrechterhielten. So hatten sich nach den Spaltungen in den Reihen des Trotzkismus Menschen gesammelt, die sich auf internationalistische Positionen und den Kampf gegen den Krieg hinzu bewegten. Schnell wurde Verbindung zur Italienischen Linken aufgenommen.

So im Falle der „Revolutionären Kommunisten Deutschlands“: Sie stammten zumeist aus Österreich. 1935 hatten mehrere Gruppen junger Leute aus der kommunistischen Jugend und der österreichischen KP eine trotzkistische Fraktion gegründet, die sich den Namen „Revolutionäre Kommunisten Österreichs“ (RKÖ) gab. Die RKÖ, die die Zeitschrift Bolschewik veröffentlichte und der die ersten Trotzkisten angehörten, wurde 1936 zur ersten offiziellen Sektion Österreichs in der IV. Internationalen gekürt. Unterdrückung und die Androhung von Gefängnisstrafen führten dazu, dass die meisten Mitglieder der RKÖ ins Exil, in die Tschechoslowakei und die Schweiz, später, 1938, nach Frankreich und Belgien gehen mussten. Bald darauf machte sich auch gegen den Trotzkismus eine Opposition bemerkbar. Auf dem Gründungstag der IV. Internationalen am 3. September 1938 in Périgny äußerten sich die beiden Delegierten der RKÖ, Karl Fischer und G. Scheuer, gegen die Bildung einer neuen Internationalen. Sie betrachteten ihre Gründung, die von ganzen 20 Genossen an einem einzigen Tag beschlossen wurde, als abenteuerlich und bürokratisch und wechselten in die Opposition über (4). Als der Krieg ausbrach, trennten sich beide vom offiziellen Trotzkismus und wechselten zur „Internationalen Kontaktmission für die IV. Kommunistische Internationale“, die von der RWL (Oehler) gegründet worden war. In enger Zusammenarbeit mit belgischen Oppositionellen veröffentlichten sie zwischen 1939 und 1940 in Antwerpen die Zeitschrift Der Marxist. Sie bezeichneten sich in der Frage des „revolutionären Defätismus“ als Leninisten und rekrutierten 1941 einige Mitglieder aus der trotzkistischen Gruppe „Internationale Kommunisten Deutschlands“ (IKD). Mittlerweile bezeichneten sie sich nicht mehr als RKÖ, sondern als RKD. Als der deutsch-russische Krieg ausbrach, sprach sich die Mehrheit der RKD für den „revolutionären Defätismus“ und gegen eine „an Bedingungen geknüpfte Verteidigung der UdSSR“ aus. Beeinflusst von Anton Ciliga und seinem Buch „Im Land der großen Lüge – Das Russische Rätsel“ bezeichneten sie Russland als staatskapitalistisch. Aber selbst diese kleine Minderheit, die sich zum revolutionären Defätismus gegenüber allen imperialistischen Lagern, einschließlich dem russischen, bekannte, tat dies erst nach zwei Jahren langer Diskussionen. Die große Mehrheit der Trotzkisten dagegen hatte bereits 1939 ihren imperialistischen Favoriten gewählt. (5)

Das Debakel von 1940 und die Zwangsinternierungen aller deutschen und österreichischen Flüchtlinge in Frankreich zwangen die RK zum Rückzug aus Belgien und Nordfrankreich und zur Flucht in den Süden des Landes. Dies führte zur Wiederherstellung der Kontakte mit dem trotzkistischen Milieu. Insbesondere wurden ab 1944 dadurch die Spaltungsprozesse im Südwesten (Toulouse, Montauban, Bordeaux) und in Paris vorangetrieben. Schon zuvor, im Jahre 1942, waren Gruppen mit dem Namen „Communiste Révolutionnaire“ (RC) gegründet worden, die ab 1943 die Positionen der RKD zur „proletarischen Verbrüderung“ vertraten. 1944 entstand die „Organisation Communistes Révolutionnaire“, die gemeinsam mit der RKD die Zeitschriften Rassemblement Communiste International (Internationale Kommunistische Sammlung) und L’Internationale veröffentlichte. Die Gruppen CR und RK waren selbständig, zum Teil auf nur einem Ort beschränkt, besaßen ihre eigenen Positionen, obwohl sie im Prinzip identisch waren. Dennoch hatten beide ein eigenes Organ: Die CR aus Toulouse veröffentlichte von 1944 bis 1945 Le Prolétaire, die Genossen aus Paris brachten 1944 Pouvoir Ouvrier (Arbeitermacht) heraus.

Die Presse der RKD (von 1941 an das RK-Bulletin, von 1943 bis 1945 Spartakus und Vierte Kommunistische Internationale) offenbarte eine starke Annäherung an die internationalistischen Positionen der Italienischen Linken. Nachdem sie sich anfangs noch als „Ultrabolschewiki“ betrachtet hatten (als welche sie jede Position Lenins als Evangelium anbeteten), führte ihr Bruch mit dem Trotzkismus sie jedoch zu linkskommunistischen Positionen und zur Ablehnung der Einheitsfront sowie zur Verweigerung jeder Unterstützung nationaler Befreiungskämpfe. Nachdem sie Rosa Luxemburg entdeckt hatten (daher der Titel Spartakus für ihre Agitationsschrift), näherten sie sich schrittweise den Rätekommunisten an. „Die Demokratie der Räte ist die gesündeste Form der Arbeitermacht. Sie bedeutet volle demokratische Freiheiten für alle Parteien der Räte, die sich auf dem Boden des Proletariats befinden.“ (Programmatische Plattform der RKD, 1941) (6)

Auch wenn sie nur geringe Kräfte besaßen, betrieben die RKD innerhalb der deutschen Armee eifrig Agitation für „die Weltrevolution und die Räterepublik in Deutschland und auf der ganzen Welt“ (Spartakus, Dezember 1943). Auch traten sie für die „Gründung einer IV. Internationalen“ ein. Sie riefen die Soldaten dazu auf, zu meutern und ihre Gewehre auf die Offiziere zu richten sowie Arbeiter- und Soldatenräte nach Rückkehr in die „Heimat“ zu gründen. Wie die meisten Revolutionäre überschätzten sie stark das Ausmaß der Revolte der italienischen Arbeiter im März 1943. „In Deutschland, Amerika und Russland entfalten sich Klassenkämpfe, Streiks und Aufstände: Die Arbeiter bereiten die Revolution gegen ihre Ausbeuter vor.“ (Spartakus, Juni 1944)

Die Italienische Fraktion in Frankreich und der französische Kern hatten zahlreiche Kontakte und Diskussionen mit den RK und dem CR. Bisweilen verrichteten sie sogar gemeinsame Arbeit, brachten gemeinsame Flugblätter gegen den Krieg heraus. Ob bewusst oder unbewusst, beide Tendenzen beeinflussten sich durch ihre Kontakte gegenseitig, so dass sie die Positionen der deutschen bzw. der italienischen Linken kennenlernten. Doch 1945 erhielten diese Kontakte durch die Vercesi-Affäre (siehe unten), hinter der die RKD einen „Verrat“ der Italienischen Linken witterte, einen Dämpfer. Neben der Kommunistischen Linken und der RK-CR, die, wie übrigens auch einige wenige Anarchisten (Violine in Marseille), internationalistische Positionen gegenüber dem Krieg vertraten, zogen auch Gruppen der holländischen Linkskommunisten am gleichen Strang.

Am Vorabend des Krieges war die rätekommunistische Strömung der Niederlande desorganisiert und zerstritten. 1937 hatte die GIK die Veröffentlichung der Rätekorrespondenz eingestellt, brachte aber weiterhin die Zeitschrift Radencommunismus und die Agitationsschrift Proletenstemmen (Proletarierstimmen) heraus. Die Kontakte in Deutschland, wo noch immer einige linkskommunistische Gruppen existierten, waren allmählich abgebrochen. Andere Gruppen, wie der „Arbedersraad“ (Arbeiterrat), der aus der KAPN hervorgegangen war, oder die L.A.O. (Linke Arbeiteropposition, die Spartakus veröffentlichte), waren vor Kriegsausbruch verschwunden. Die GIK verfiel wie alle kleinen rätekommunistischen Gruppierungen, die überlebt hatten, der Lethargie. Doch im Januar 1941 bildete die Gruppe Sneevliets die „Marx-Lenin-Luxemburg-Front“. Sie veröffentlichte eine Zweimonatszeitschrift mit dem Titel Organ der 3. Front, die jene Front des Klassenkampfes gegen die militärische Front bezeichnen sollte. Sie arbeitete eng mit der Gruppe Vereekens in Belgien zusammen. Als die deutsche Armee in Russland einmarschierte, sprach sich die Mehrheit der Gruppe gegen die Verteidigung der UdSSR aus. Sneevliet und sieben andere Mitglieder der MLL-Front wurden von der Gestapo verhaftet und im April 1942 erschossen. Es entstand eine trotzkistische Abspaltung, die die Position des „entarteten Arbeiterstaates“ vertrat. Die restlichen Mitglieder der Mll-Front gründeten den „Communistenbond-Spartacus“, dem sich die meisten Mitglieder der GIK anschlossen. Diese Gruppe sprach sich deutlich gegen den imperialistischen Krieg aus, in Tradition der „AAU – Eenheidsbeweging“, die wenig später in die Hände der holländischen KP fiel. Sie hatte kaum Kontakt zum Ausland, abgesehen von einigen Kontakten zu belgischen Genossen. Nach Kriegsende trat sie in Diskussionen mit den RK und der französischen Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linken. (7)

Die Bewegung der internationalistischen Kommunisten war naturgemäß stark eingeschränkt. Die RK-CR und die Holländische Linke machten bei ihrer Anti-Kriegs-Propaganda den aktiveren Eindruck. Abgesehen von dem französischen Kern, der 1942 in Marseille gegründet worden war, war ein großer Teil der Italienischen Linken vor allem in Belgien der Lethargie verfallen und verhielt sich sehr misstrauisch gegenüber den neuen „französischen“ Mitgliedern. Die italienische Fraktion in Marseille setzte ihre Bemühungen beim Wiederaufbau der Organisation fort. An ihr beteiligten sich Mitglieder aus Lyon, Paris und Toulon. Diese Bemühungen ermöglichten es von 1941 an, jährliche Konferenzen abzuhalten. Es wurde eine Exekutivkommission gewählt, der Viccino, Marco, Tullio und Butta angehörten. Die Grundlage des Wiederaufbaus der italienischen Fraktion in Frankreich war die Ablehnung der 1936/37 eingeschlagenen Orientierung, die sich auf folgende Positionen stützte: die Theorie der Kriegswirtschaft und der lokalen Kriege, interimperialistische Solidarität, Charakterisierung Russlands als „entarteter Arbeiterstaat“, gesellschaftliches Verschwinden des Proletariats – d.h. alle Positionen, die von Vercesi und seinen Genossen in Brüssel vertreten worden waren.

Anfang Oktober 1942 brach ein Massenstreik in den FIAT-Werken in Turin aus. Diese Bewegung, die in der Region mit der zweitgrößten Arbeiterkonzentration Italiens stattfand, war der Auftakt zu Massenstreiks, die im März 1943 die Metall-, Nahrungsmittel- und Chemiebranche erfassten. Diese Ereignisse führten zur Ablösung Mussolinis. Am 25. Juli 1943 trat Badoglio an dessen Stelle. Diese Streiks besaßen einen revolutionären Inhalt. In den Fabriken von Turin und Mailand sprachen junge, in Opposition zur PCI befindliche Arbeiter davon, Fabrik- und Arbeiterräte zu bilden. Diese Bewegung gegen den Krieg war nicht nur auf Italien beschränkt, sondern hatte internationale Dimensionen. Im November 1941 streikten auch deutsche Arbeiter. Trotz Unterdrückung und Isolierung kam es auch 1942 zu Streiks. Die größten Kämpfe fanden 1943 statt, als sämtliche italienischen Fremd(bzw. Zwangs)arbeiter die Arbeit niederlegten, wobei sie stillschweigend oder offen, durch Streiks der deutschen Arbeiter, unterstützt wurden. (8)

Diese Ereignisse signalisierten das Erwachen des Klassenkampfes inmitten des Krieges und bestätigten die neue Orientierung der wiederaufgebauten italienischen Fraktion. Sie veranlasste die neue Exekutivkommission dazu, trotz aller Gefahren und Schwierigkeiten beim Grenzübertritt Abgesandte nach Belgien zu schicken, um den Kontakt wiederherzustellen. Die Exekutivkommission wollte die belgische und italienische Fraktion so dazu drängen, ihre organisatorischen Aktivitäten wiederaufzunehmen. Trotz der Opposition von Vercesi, der dies als unnütz betrachtete, wurde für den August 1943 eine Konferenz der italienischen Fraktion in Frankreich vorbereitet. Sie sollte die Bilanz aus den Ereignissen in Italien ziehen und Perspektiven der Intervention aufzeigen.

Ein im Juli 1943 für diese Konferenz verfasster Text, der vom Exekutivkkommissionsmitglied Marco geschrieben worden war, vertrat die Auffassung, dass die „Phase der Revolution“ durch die Lage in Italien und Deutschland eröffnet worden sei, und ging davon aus, dass „die revolutionären Aufstände, die den imperialistischen Krieg in Europa beenden werden, eine chaotische Situation und damit eine gefährliche Lage für die Bourgeoisie herbeiführen werden“. Der Text warnte allerdings vor den Versuchen des „russisch-amerikanisch-englischen imperialistischen Blocks, diese Revolten von Außen niederzuschlagen“ und vor den „Linksparteien, die in Italien dem revolutionären Bewusstsein einen Maulkorb anlegen wollen“ durch die Schaffung von „Gewerkschaften und Organisationen, die die kapitalistischen Wirtschaftsverhältnisse widerspiegeln“. Er rief zur Bildung von Sowjets auf, um den ökonomischen Kampf in einen politischen Kampf umzuwandeln, weil dieser das „einzige Mittel ist, der kapitalistischen Unterdrückung wirksam entgegenzutreten“. (9)

Auf der Grundlage der Ereignisse in Italien gelangte die Konferenz zur Auffassung, dass die Fraktion sich notwendigerweise in eine Partei umwandeln müsse. "Während der Konferenz im August 1943 hat sich die gesamte Organisation einstimmig dafür ausgesprochen und die Analyse als richtig beurteilt, dass der Kurs zur Bildung der Partei jetzt wieder eröffnet ist. Die Umwandlung der Fraktion in eine Partei ist in Italien eingeleitet.“

Die Fraktion verstärkte also ihre Aktivitäten und bereitete sich darauf vor, im Falle einer Arbeiteroffensive zu intervenieren. „Im Gegensatz zur Fraktion ist die Partei das spezifische Organ des offensiven Kampfes der Arbeiterklasse. Die Partei während der Niederlage zu gründen hieße, eine Frühgeburt herbeiführen zu wollen (...) Ja, die Fraktion hat ihre spezifisch ‚defensive‘ Aufgabe beendet. Mit dem neuen Kurs, der jetzt mit den Ereignissen im August in Italien begonnen hat, ist der Kurs zur Partei eröffnet.“ (Internes Bulletin der Fraktion der Italienischen Kommunistischen Linken, Nr. 2, Februar 1944, „Revolutionäres Geschwätz oder methodisch fortgesetzte Aktivität“)

Zu diesem Zweck beschloss die Konferenz, den Kontakt mit Italien wiederaufzunehmen. Sie forderte die Genossen dazu auf, sich auf eine baldige Rückkehr vorzubereiten. Der neue Kurs stieß auf den Widerstand der belgischen Fraktion, vor allem auf den Vercesis, der an der Konferenz nicht teilgenommen hatte. Nachdem er anfangs behauptet hatte, dass nun der revolutionäre Kurs in Italien eröffnet sei (10) – er hatte im Juli sogar erfolglos versucht, nach Italien zurückzukehren -, vollzog er nun eine Kehrtwendung. Ihm zufolge seien die Ereignisse in Italien überschätzt worden, und sie bestätigten die „gesellschaftliche Abwesenheit der Arbeiterklasse in Kriegszeiten“. Daher sei jede Aktivität, jede Intervention der Fraktion, ja, die Fortsetzung ihrer eigenen Existenz vergeblich, wenn nicht gar rein aktivistisch. Die Divergenzen nahmen in den folgenden Monaten an Schärfe zu und weiteten sich aus, da sie auch die russische Frage sowie die Position Perrones zur Kriegswirtschaft umfassten. Um diese Divergenzen zu klären, veröffentlichte die italienische Fraktion 1944 acht internationale Diskussionsbeiträge auf Französisch.

a) Die gesellschaftliche Abwesenheit des Proletariats

Die italienische Fraktion und der französische Kern sprachen sich einhellig gegen diese Theorie aus. Das Verschwinden äußerer Erscheinungen der gesellschaftlichen Klassenexistenz bedeute keineswegs die Abwesenheit der Klasse und schon gar nicht die „gesellschaftliche Abwesenheit der Klasse“. Tatsächlich beweise „die Erfahrungen aus Italien, dass Massenbewegungen auch während des Krieges entstehen können und dass es trotz der verstärkten Bemühungen der Konterrevolution die Tendenz gibt, sich vom kapitalistischen Programm loszulösen, wodurch der Klasseninhalt deutlicher zum Tragen kommt“ („Internationales Bulletin“, Nr. 5, Mai 1944, „Unsere Antwort“, Marco). Doch die „orthodoxe“ Tendenz (so jedenfalls bezeichnete sie sich selbst) übersah dabei nicht, dass Badoglio und Togliatti die Lage in Italien wieder in den Griff bekamen. Sie stellte fest, dass die objektiven und subjektiven Bedingungen für das Wiederauftreten der aus der Fraktion herausgehenden Partei reif seien. Ihre Anwesenheit in Italien hätte „die Auslösung von Bewegungen ermöglicht, die es zugelassen hätten, einen revolutionären Kurs einzuschlagen“.

Da sie den Kontakt mit Italien verloren hatte, hatte die italienische Fraktion keine Kenntnis davon, dass schon Ende 1943 die „Partito Comunista Internazionalista“ (siehe unten) in Italien gegründet worden war. Obgleich die Konferenz vom August 1943 und der französische Kern sich für die sofortige Rückkehr nach Italien ausgesprochen hatten, stellten sich dem unüberwindbare materielle Hindernisse in den Weg. Bis 1945 gab es keinen Kontakt zwischen der neuen Partei und den Fraktionen in Frankreich und Belgien. Darüber hinaus hatten es Letztere mit der Unbeweglichkeit der Tendenz Vercesis zu tun. Die französische Gruppe wandte sich gegen die Tendenz zum Rückzug aus dem politischen Leben und warnte davor, eine „Akademie, ein Kreis von Intellektuellen zu werden, der über die reine Theorie brütet, aber den Ereignissen hinterher hinkt“ (ebenda).

 

b) Die russische Frage

Auf der Suche nach einer Definition des russischen Staates wurde eine Diskussion über sein Klassenwesen eröffnet. Ein Teil der belgischen Fraktion behauptete auf der Grundlage der Position von Bilan, dass der russische Staat proletarisch sei. Die Mehrheit der Italienischen Linken lehnte jedoch diese Position ab und stellte ihre „Unausgereiftheit“ und „Fragwürdigkeit“ fest, wobei sie ihre Aufmerksamkeit auf die in Bilan veröffentlichten Diskussionen richtete. Der russische Staat sei also ein kapitalistischer und imperialistischer Staat, und die Aufgabe des Proletariats bestünde darin, sich von dieser großen Lüge des „proletarischen Wesens des russischen Staates“ zu trennen.

„Die kommunistische Avantgarde wird ihre Aufgabe als Führerin der Arbeiterklasse in der Revolution nur in dem Maße lösen, wie es ihr gelingt, sich von der großen Lüge des ‚proletarischen Wesens‘ des russischen Staates zu lösen. Sie muss sein tatsächliches Wesen, seine wirkliche Funktion, mithin seine kapitalistische und imperialistische konterrevolutionäre Natur aufzeigen (...) Es reicht aus festzustellen, dass das Ziel der Produktion die Gewinnung von Mehrwert bleibt, um das kapitalistische Wesen dieser Wirtschaft dazulegen (...) Der russische Staat beteiligt sich auch am Kurs zum Krieg, nicht nur aufgrund seiner konterrevolutionären Stellung, die in der Niederschlagung des Proletariats deutlich wurde, sondern auch aufgrund seine kapitalistischen Natur, aufgrund des Bedürfnisses, seine Rohstoffe zu verteidigen und seine Stellung auf dem Weltmarkt zu schützen, Mehrwert herauszupressen, seine wirtschaftlichen Einflussgebiete zu stärken  und den Zugang zu ihnen zu gewähren.“ (11)

 

c) Die Diskussion über Russland

Sie sollte zu einer Vertiefung des Verständnisses der Ursachen für den Niedergang der Russischen Revolution führen, so dass die entsprechenden Lehren aus der Niederlagen gezogen und somit die Bedingungen für den Sieg der künftigen proletarischen Revolution klarer erkannt werden konnten. Wie Bilan lehnte auch die italienische Fraktion, die diese alte Debatte wieder aufgegriffen hatte, in ihren vom französischen Kern formulierten Beiträgen jederlei „Staatssozialismus“ ab, da dieser nur zum Staatskapitalismus führe. Sie warnte vor dem Wesen des Staates, das auch in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus stets reaktionär sei.

„Im Laufe der Geschichte erscheint der Staat als ein konservativer und reaktionärer Faktor ersten Grades. Er ist eine Fessel, auf die die Entwicklung der Produktivkräfte immer wieder stößt. Um seine doppelte Rolle als Vertreter der Sicherheit und der Reaktion zu spielen, stützt sich der Staat auf seine materielle Kraft, auf die Gewalt. Seine Autorität liegt einzig in der Anwendung von Zwang. Durch die Aufrechterhaltung seiner politischen Funktion als kapitalistischer Staat und durch seine Verstärkung entwickelt er sich auf wirtschaftlicher Ebene in Richtung Staatskapitalismus.“

Dies entsprach nicht der Auffassung der Anarchisten, die die Abschaffung des Staates unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Arbeiter für möglich hielten. Die Fraktion war sich über die Unentbehrlichkeit des Staates in der Übergangsphase, aber auch über die Gefahr seiner Verstärkung im Falle einer Nichtausdehnung der Weltrevolution bewusst. Sie meinte, dass die einzige Garantie gegen diese staatliche Tendenz nicht die „sozialistische Wirtschaft“ sei, sondern das Bewusstsein und die Organisation des Proletariats. Auch liege es weniger an der Gewalt, dem „roten Terror“ der Arbeiter gegen bürgerliche Individuen, sondern vielmehr an der politischen Wachsamkeit, um sich eines Staates zu erwehren, der in sich den Keim kapitalistischer Produktionsverhältnisse trage. Erstmals sprach die Italienische Linke von der Unmöglichkeit eines proletarischen Staates in der Diktatur des Proletariats. „Die Zerstörung des Staates durch die Arbeiterklasse ist nur der erste revolutionäre Akt der Arbeiterklasse, der einen revolutionären Prozess zunächst in Richtung Weltrevolution und schließlich auf wirtschaftlicher Ebene mit dem Ziel der Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft eröffnet (...) Als gesellschaftliche Einrichtung bleibt der Staat, der nach dem Sieg des Arbeiteraufstandes existiert, eine dem Sozialismus gegenüber fremde und feindliche Institution (...) Die Geschichte und die russischen Erfahrungen haben bewiesen, dass es keinen proletarischen Staat als solchen gibt, sondern einen Staat in den Händen des Proletariats, dessen Wesen antisozialistisch bleibt und der, sobald die Wachsamkeit des Proletariats nachlässt, in den Vordergrund rückt, zum Ausdruck und Zentrum des Zusammenschlusses der enteigneten Klassen wird und somit dem wiedererstarkten Kapitalismus dient.“ (Interne Bulletin, Nr. 7, Juli 1944, „Das Wesen des Staates und der proletarischen Revolution“) Doch wo kommt das Bewusstsein und die Organisation des Proletariats, seine Diktatur besser zur Geltung als im Staat? Der angeführte Text antwortet darauf: in den Gewerkschaften, die die Arbeitskraft gegen staatliche Übergriffe schützen müsse, und in den Räten. In beiden Organen müsse jede Gewalt gegen Arbeiter abgelehnt werden. Aus ihren Reihen werde sich die Klassenpartei entwickeln. Anstelle der Diktatur der Partei, die von Bilan vertreten worden war, bezog man nun Position für die Diktatur des gesamten Proletariats in Gestalt der Räte und der Einheitsgewerkschaften. Somit näherte sich die Italienische Linke den Positionen der KAPD an, die als erste von einer Rätediktatur gesprochen hatte. Der einzige prinzipielle Unterschied zwischen beiden bestand darin, dass die Italienische Linke der Auffassung war, dass die Existenz von wirklichen Gewerkschaften während der Revolution möglich sei, während die deutsche Linke die sofortige Zerstörungen derselben und ihre Ersetzung durch die Räte befürwortete. Doch näher betrachtet, entpuppten sich die von der Italienischen Linken vorgeschlagenen Gewerkschaften auch als Räte.

 

d) Die Theorie der Kriegswirtschaft

Die Ablehnung der Theorie Vercesis über die Kriegswirtschaft durch die italienische Fraktion hatte jedoch unmittelbar tiefgreifende Konsequenzen. Als er, wie oben angegeben, vor dem Krieg die Auffassung äußerte, dass die Rüstungswirtschaft es dem Kapitalismus ermögliche, seine Funktionsstörungen durch die Herstellung überflüssiger Produkte zu lösen, musste Vercesi zwangsläufig zur Schlussfolgerung gelangen, dass der Krieg den Widerspruch zwischen der Produktion und der Realisierung des in den Waren konzentrierten Mehrwerts löst. Wenn der Krieg die Lösung ist, dann gibt es keinen Grund für die Wiederauferstehung des Proletariats und keine Grundlage für die Reifung objektiver, revolutionärer Bedingungen. Aus der Sicht der Italienischen Linken war diese Auffassung nicht deshalb inakzeptabel, weil sie die Schlussfolgerung beinhaltete, dass eine organisierte Existenz des Proletariats unmöglich ist, sondern auch, weil sie die Orientierung Lenins, dem Vorbild aller Linken, ablehnte, der für die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg eingetreten war. Um die Ereignisse in Italien zu erklären, erfand Vercesi eine neue Theorie: die Auszehrung der Kriegswirtschaft durch die „Unterproduktion“ von Waffen. Die Zuspitzung der Widersprüche des Kapitalismus äußere sich nicht auf der gesellschaftlichen Ebene, in Gestalt des Klassenkampfes gegen die wachsende Armut, sondern auf der Ebene des Produktionsapparates, der außerstande sei, ausreichend auf den Waffenbedarf zu reagieren. Durch eine theoretische Kehrtwendung, deren Geheimnis nur Vercesi kannte, wanderten die Widersprüche von der Produktion zur Realisierung auf dem kapitalistischen Markt. Im Mai 1944 fand eine neue Konferenz der italienischen Fraktion statt. Sie lehnte die von Vercesi und der während des Krieges um ihn versammelten Minderheit entwickelten Theorien ab, einschließlich der neuen Theorie über die Kriegswirtschaft. Zu diesem Zweck wurde eine politische Erklärung verfasst, die die Auffassung von „lokal beschränkten Kriegen“ ablehnte und das imperialistische Wesen des Krieges betonte. Gestützt auf die Analyse von Rosa Luxemburg, die auch von Bilan und Communisme vertreten worden war, betonte sie, dass die Kriegswirtschaft keinen neuen Wohlstand, sondern eine massive Verschlechterung der Lebensbedingungen des Proletariats bewirke, wodurch der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital sich derart zuspitze, so dass er in einem revolutionären Aufstand ende. Schließlich fasste sie auch die Fortsetzung der Diskussionen „bis zum vollständigen Sieg der kommunistischen Position ins Auge, die eine Vorbedingung dafür ist, dass die Fraktion ihrer historischen Aufgabe auf dem gegenwärtigen Weg der revolutionären Reifung gerecht werden kann“. (13)

Es ist aufschlussreich, die Argumente, die Marco in die noch ein ganzes Jahr währenden Diskussionen einbrachte, zu untersuchen. Diese wichen nämlich von Rosa Luxemburg ab, die in der Rüstungsproduktion „ein Feld der Akkumulation und der Verwirklichung des Mehrwertes sah“. Mit seinen Argumenten versuchte er auch, dem Eindruck entgegenzutreten, dass die USA sich am Krieg entscheidend bereichert habe. In Anbetracht der aktuellen Ereignisse ist diese Analyse auch heute von grundlegender Bedeutung.

„Der imperialistische Krieg entwickelt sich nicht in Reaktion auf die Entfaltung der Revolution, die einer Niederlage des revolutionären Kampfes folgt. Der imperialistische Krieg bedeutet, dass die Gefahr einer Revolution vorübergehend gebannt ist, so dass die kapitalistische Gesellschaft auf die Auslösung des Krieges hinarbeiten kann, der durch die Widersprüche und innere Zerrissenheit des kapitalistischen Systems hervorgerufen wird (...)

Die Kriegsproduktion hat nicht zum Ziel, eine Lösung des wirtschaftlichen Problems anzustreben. Am Anfang ist sie das Ergebnis einer Notwendigkeit für den kapitalistischen Staat, sich gegen die besitzlosen Klassen zu verteidigen und mit Gewalt ihre Ausbeutung aufrechtzuerhalten. Andererseits muss sie mit Gewalt ihre wirtschaftlichen Positionen verteidigen und auf Kosten anderer kapitalistischer Staaten erweitern (...) In der Kriegsproduktion scheiden all die Werte, die sie realisiert, aus der Produktion aus. Sie tauchen nicht mehr im Produktionsprozess auf, sondern werden zerstört. Nach jedem Produktionszyklus wächst der gesellschaftliche Reichtum nicht mehr, sondern schrumpft und verarmt insgesamt (...)

Die Kriegsproduktion wird zuungunsten der arbeitenden Massen durchgeführt, wobei der Staat durch verschiedene Finanzmaßnahmen – Steuern, Anleihen, Inflation u.a. – Werte abschöpft, mit denen er zusätzliche Kaufkraft schafft (...) Der Großteil wird nicht realisiert und harrt darauf, im Krieg realisiert zu werden, d.h. durch die räuberischen Aktionen gegenüber dem unterlegenen Imperialismus. So findet im wahrsten Sinne des Wortes eine gewaltsame Realisierung statt. Der siegreiche Imperialismus stellt die Rechnung für seine Kriegsproduktion in Form von ‚Reparationsforderungen‘ aus und saugt den unterlegenen Imperialismus aus, indem er ihm sein Gesetz aufzwingt. Aber der Wert der Kriegsproduktion des unterlegenen Imperialismus wie auch anderer, kleinerer Staaten geht vollständig und unwiderruflich verloren. Wenn man also eine Gesamtbilanz der Auswirkungen auf die Weltwirtschaft zieht, kann diese nur katastrophal sein, obgleich bestimmte Bereiche und einzelne Imperialismen sich durchaus bereichert haben.“ (13)

Die Diskussion mit Vercesi blieb jedoch ohne Wirkung. Da er sich an keinerlei Aktivitäten der Fraktion mehr beteiligte, erschien sein Ausscheiden logisch. Hauptursache aber waren nicht seine theoretischen und organisatorischen Divergenzen, sondern seine Aktivitäten in einer „Antifaschistischen Koalition“ in Brüssel. Gegen Ende des Jahres 1944 erfuhr die italienische Fraktion in Marseille, d.h. der französische Kern, indirekt durch einen ehemaligen sozialistischen Abgeordneten, der sich auf einer Reise durch Frankreich befand, dass auch Ottorino Perrone sich an dieser Koalition beteiligte und dass er vorgab, dies im Namen der italienischen Fraktion zu tun. Aber nicht nur er, auch Ferdinando Borsacchi (Pieri) nahm daran teil. Diese Koalition war im September 1944 beim Vormarsch der angloamerikanischen Truppen ins Leben gerufen worden. Sie rekrutierte sich aus allen „antifaschistischen“ Parteien. Es wirkten mit: die „Demokratisch-Christliche Partei“, vertreten durch Domenico Tavano, die „Italienische Kommunistische Partei“, vertreten durch Enrico Cominotto, die „Republikanische Partei“ mit Pietro Liuti, die „Sozialistische Partei“ mit Savario Roncoroni, „Giustizia e Libertà“ (Gerechtigkeit und Freiheit) mit Jacopo Brandaglia, Gewerkschafter wie Ateo Vannucci und die „Liberale Partei“, die allerdings keinen Delegierten stellte.

Mitte September wurde auch Ottorino Perrone die Mitgliedschaft in dieser Koalition angetragen. Er wurde zum provisorischen Delegierten an der Spitze des italienischen Roten Kreuzes ernannt, das in Verbindung mit dem belgischen Roten Kreuz alle Hilfsmaßnahmen für die Italiener koordinierte. Die Ironie an der Geschichte ist, dass sich der Sitz der Koalition im italienischen Konsulat befand, das ausgerechnet an der Livorno-Straße lag. Livorno war für die italienischen „Bordigisten“ das Symbol des Bruchs mit der Sozialdemokratie und der bürgerlichen Demokratie gewesen.

Diese Koalition brachte die Zeitschrift L’Italia di domani (Das Italien von Morgen) auf Italienisch und ab Anfang 1945 auch auf Französisch heraus. Ihr offizieller Zweck bestand darin, den italienischen Kriegsgefangenen bei der Rückkehr nach Italien zu helfen. Auch sollte in „Schwierigkeiten“ geratenen Italienern Unterstützung angeboten werden. Doch ihre eigentlichen Ziele waren politischer Natur. Neben diesen „karitativen“ Aufgaben veranstaltete sie auch kulturelle und literarische Diskussionen. L’Italia di domani stellte sich als Sprachrohr des „wirklich freien, demokratischen und antifaschistischen Italiens“ dar. Zu diesem Zweck organisierte die Koalition eine Spendensammlung, um die Kriegsbemühungen der Alliierten zu unterstützen. In den Spalten ihrer Zeitschrift wurden die „großen Taten“ der Résistance, ihre Attentate und Sabotage, gewürdigt, denn dadurch sei jenes militärische Bündnis unterstützt worden, das das „wirkliche Italien“ nach 1943 auserkoren hatte. In einigen Artikeln, die von „Logicus“ unterzeichnet waren, wurden die alliierten Behörden eindringlich dazu aufgefordert, Italien nach dem Krieg nicht auszuplündern und seine Grenzen zu erhalten als Lohn für die Kriegsbeteiligung.

L’Italia di domani war also ein antifaschistisches Organ im Dienste des angloamerikanischen Lagers, das eine „Säuberung“ nach der „Befreiung“ forderte. Es war alles andere als eine reine Kulturzeitung, wie sie Perrone später darzustellen versuchte. Aufrund ihrer Ideologie und ihrer Teilnehmer (die sich alle für den Krieg und den Wiederaufbau des „italienischen Vaterlandes“ aussprachen) war sie eng mit der „Popula d’Italia“ von 1915 verwandt, die seinerzeit auch von den Linkssozialisten unterstützt worden war.

Wie konnte es passieren, dass Perrone, der vor dem Krieg den Antifaschismus entschlossen und unaufhörlich als Instrument des imperialistischen Krieges und der arbeiterfeindlichen Verschleierung abgelehnt hatte, plötzlich zum „Antifaschisten“ geworden war? Hatte er tatsächlich seine kommunistischen Positionen aufgegeben und sich dem “demokratischen“ Lager angeschlossen?

Perrones Rolle in der Koalition war sehr zwiespältiger Natur. Einerseits schrieb er Artikel über die Kriegswirtschaft, die konterrevolutionäre Rolle Russlands, über die Notwendigkeit des Sozialismus und der Diktatur des Proletariats in Italien, in denen man noch den alten Perrone erkennen konnte. Andererseits verfasste er keinen einzigen Artikel, der ausdrücklich den Krieg und den Antifaschismus verurteilte. Perrone diente als „revolutionäres Alibi“ für die Koalition, die ihn als integeren Menschen darstellte, der unter den italienischen Emigranten für seine humanitäre Haltung, seine Kultiviertheit und seinen Intellekt bekannt war. Tatsächlich war Perrone häufig Sprecher der Koalition. So vertrat er sie auf einem Treffen, das der sozialistische Abgeordnete de Broukère im November 1944 organisiert hatte. In seiner abschließenden Rede behauptete Perrone, dass angesichts der gegenwärtigen wirren Lage, in der infolge der italienischen Kriegsbeteiligung den Italienern möglicherweise Feindseligkeiten drohen, de Broukère dafür sorgte, dass das belgische Volk denjenigen Menschen ihr Mitgefühl spendeten, die mehr als 20 Jahre unter der faschistischen Diktatur gelitten hatten. Er schloss in seine Würdigung auch Vandervelde mit ein, einen belgischen sozialistischen Abgeordneter, der 1914 für den Kriegseintritt auf Seiten der Entente plädiert hatte. Nun traf er „im Namen der politischen Flüchtlinge“ eine Aussage, die ebenfalls zweideutig und missverständlich war: „Sobald die im Exil lebenden Italiener nach Italien zurückkehren, werden sie ihre Verantwortung erfüllen.“ (L’Italia di domani, Nr. 6, November 1944)

Für ein Mitglied der Italienischen Kommunistischen Linken war seine Tätigkeit im Roten Kreuz nicht weniger erstaunlich. In dieser Funktion dankte er in einem Aufruf an „die in Belgien lebenden Italiener“ „seiner Exzellenz, dem apostolischen Nuntius für seine Unterstützung dieses Werkes der Solidarität und der Menschlichkeit“ und meinte, er sei sicher, dass „kein Italiener die Schande auf sich nehmen würde, sich gegenüber unserem dringenden Appell taub zu stellen“ (ebenda, Nr. 11, März 1945).

Seine Mitarbeit in der „Koalition“ und in der Führung des italienischen Roten Kreuzes hielt Perrone mindestens bis Mai 1945 aufrecht, bis er sich davon distanzierte und bald darauf seine Mitarbeit einstellte.

Anfangs wollte die italienische Fraktion nicht wahrhaben, dass Perrone sich an dieser Koalition beteiligte. Sie meinte, dies sei ein Gerücht, ja, eine Lüge. Als sie jedoch Ausgaben der L’Italia di domani gelesen hatte, wurde sie eines Besseren belehrt. Die Reaktion der Exekutivkommission (der u.a. Lecci, Botaioli und Marco angehörten) erfolgte umgehend. Am 20. Januar 1945 wurde Vercesi ausgeschlossen. „Die Resolution über den Fall Vercesi“, die sie gleichzeitig veröffentlichte, rief „das Proletariat dazu auf, mit den linken Sammlungsbewegungen zu brechen, in denen der Antifaschismus nur der Schleier ist, um das Proletariat der ‚demokratischen‘ Bourgeoisie zu unterwerfen“. Sie verurteilte „all die Elemente, die diese Politik betreiben, als Verwirrung Stiftende und Helfershelfer des Kapitalismus“ (15). „Pieri“ dagegen, von dessen Aktivitäten in der „Coalizione“ nichts bekannt war, wurde nicht ausgeschlossen.

Die Aktivitäten Vercesis standen um so mehr in direktem Gegensatz zur Tradition der Italienischen Linken, als die Fraktion und vor allem der französische Kern seit 1943 etliche offene Interventionen gegen den Krieg gerichtet hatte. In mehreren französischen Städten wurden Plakate gegen den imperialistischen Krieg und alle militärischen Lager geklebt. In den an die Front fahrenden Soldatenzügen wurden Flugblätter auf Deutsch, Englisch, Italienisch und Französisch verteilt. Nach der Landung der Amerikaner am 6. Juni 1944 in der Normandie wurde ein Aufruf an alle Arbeiter und Soldaten verbreitet, der zur Klassensolidarität über alle Landesgrenzen hinweg aufrief und dazu aufforderte, die Kriegshandlungen einzustellen und die Waffen niederzulegen, sich gegen den Weltkapitalismus zu vereinigen, um eine „internationale Klassenfront zu errichten“, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg umzuwandeln und somit den Sieg der Weltrevolution zu ermöglichen. Für dieses Ziel kämpften auch die RKD und die CR. Die Beziehungen zu ihnen wurden immer enger, ungeachtet der Schwierigkeiten, mit ihnen gemeinsame Diskussionstreffen zu organisieren. (16)

All diese Arbeit, die hauptsächlich vom französischen Kern ausgeführt wurde, bewirkte ein zahlenmäßiges Anwachsen der Strömung in Marseille, Paris und Nordfrankreich. Bald darauf, im Dezember 1944, wurde in Paris die „Französische Fraktion der Kommunistischen Linken“ gegründet. Neben der belgischen und italienischen Fraktion gab es nun also eine weitere Fraktion, deren Gründung einem 1937 vom „Internationalen Büro“ der Kommunistischen Linke geäußerten Wunsch nachträglich entsprach.

Die „Befreiung“ vom Hitlerfaschismus bewirkte nur geringfügige Änderungen an der geheimen Arbeitsweise der neuen Fraktion, denn die polizeiliche Überwachung der Internationalisten mit besonderer Hilfe der KPD wurde weiter aufrechterhalten. In Marseille entkam Marco, Mitglied der italienischen Exekutivkommission, nur knapp den FTP Tillons, die über seine Aktivitäten gegen den Krieg Bescheid wussten. Die französische Fraktion war in geschlossenen, territorialen Gruppen von drei bis fünf Mitgliedern organisiert. Die vertikalen Verbindungen wurden durch einen Mittelsmann der Exekutivkommission der „Französischen Fraktion der Kommunistischen Linken“ aufrechterhalten. In der Regel arbeiteten sie also weiter in der Illegalität, was sie aber nicht davon abhielt, Publikationen zu veröffentlichen und trotz ihrer zahlenmäßigen Schwäche umfangreich zu intervenieren.

Die programmatischen Grundlagen waren genau die gleichen wie die der italienischen und belgischen Fraktion: die Resolution des „Internationalen Büros der Kommunistischen Linken“ aus dem Jahre 1938, die ganze Tradition von Bilan. Die „Prinzipienerklärung“ des französischen Kerns aus dem Jahre 1942 diente als Arbeitsgrundlage für die französische Fraktion. Die Statuten sahen sehr strenge Beitrittsbedingungen zum Schutze der Organisation vor. Der von der Konferenz gewählten Exekutivkommission (EK) sollte ein Mitglied der EK der italienischen Fraktion angehören, um den „nicht-selbständigen“ Charakter der neuen Fraktion zu verdeutlichen.

Trotz alledem erkannte die italienische Fraktion in Marseille aufgrund früherer politischer Divergenzen (insbesondere über die Ausweitung der Intervention) nur zögernd die neue Fraktion an. Ja, sie begegnete den Neuankömmlingen, wobei es sich oft um junge Genossen handelte, die zudem keine Italiener waren, mit Misstrauen, weil sie zweifelsohne befürchtete, innerhalb der Kommunistischen Linken in die Minderheit zu geraten. Die Zersplitterung ihrer Mitglieder während des Krieges, die Rückkehr vieler von ihnen nach der Ankündigung von Damen und Maffi, die PCInt zu gründen, der sich die Gruppe um Bordiga schrittweise anschloss – all dies ließ die zahlenmäßige Bedeutung der italienischen Fraktion in Frankreich und Belgien schwinden. Sicherlich war es ein gewisser „Parteipatriotismus“, eine gefühlsmäßige Bindung der Emigranten an ihr „Heimatland“, was diese misstrauische Haltung verursachte, und keine politischen Motive. Schließlich beschloss eine Konferenz der italienischen Fraktion im Mai 1945 ihre Selbstauslösung und empfahl ihren Mitgliedern den Eintritt in die PCInt. Dieser Auflösung widersetzte sich Marco mit allen Kräften, der auf der Fortsetzung der Fraktionsarbeit bestand, bis die politischen Positionen der neuen Partei besser bekannt waren und politisch überprüft werden konnten, bis feststand, dass diese nicht im Widerspruch zu den Positionen der Fraktion stehen. Aus Protest gegen die Selbstauslösung trat er aus der Exekutivkommission zurück und verließ die Konferenz. Als Reaktion darauf erkannte die Konferenz die französische Fraktion offiziell nicht an und schloss Marco aus der italienischen Fraktion aus.

In der Zwischenzeit hatte sich Vercesi, der noch immer Mitglied des italienischen Roten Kreuzes und der antifaschistischen „Coalizione“ war, für die neue Partei Damens und Bordigas ausgesprochen und schickte sich an, nach Italien zurückzukehren. Nach der Verabschiedung der Resolution über seinen Ausschluss schien er seinen Fehler einzusehen. Doch nur halbherzig, denn obgleich er seine Aktivitäten einschränkte und vorsichtiger wurde, stellte er sie nicht ganz ein. Er versuchte, seine früheren Aktivitäten in der „Coalizione“ ideologisch zu rechtfertigen. In einem von ihm im Frühjahr 1945 verfassten Text, der von der französischen Fraktion mit beißendem Spott beantwortet wurde („Wenn der Opportunismus umherirrt – eine Antwort an Verc.“), versuchte er, eine Rechtfertigung für seine „antifaschistischen“ Aktivitäten zu liefern. Es sei „notwendig gewesen (...), den Faschismus und die Faschisten auszulöschen“, um so den „Zusammenstoß zwischen dem Proletariat und dem kapitalistischen Staat voranzutreiben“. Im Übrigen verlangten heute die Arbeiter selbst die „Niederschlagung des Faschismus“. Er führte weiter aus, dass seine Aktivitäten rein kultureller und humanitärer Art gewesen seien, um den italienischen Arbeitern zu helfen, und „sich nicht auf die rein politischen Fragen und die Unstimmigkeiten zwischen den Parteien beschränken“ sollten. Auch behauptete er, dass die Fraktion nur intervenieren könne, wenn „der Faschismus davongejagt“ worden sei. Dagegen könne sie nicht intervenieren, wenn, „wie jetzt, das Proletariat gesellschaftlich noch nicht in Erscheinung getreten ist“. (17)

Die Gründung der PCInt in Italien und der Einfluss Vercesis, der der französischen Fraktion wegen ihrer Unnachgiebigkeit gegenüber Ersterer feindlich gesinnt war, führten zur Spaltung der französischen Fraktion. Zwei Mitglieder der EK der Fraktion, Frédéric alias Suzanne und Albert alias Véga (der aus der POUM kam und später „Socialisme ou Barbarie“ beitrat), nahmen in Brüssel Kontakt zu Vercesi auf. Offensichtlich ließen sie sich von seiner Argumentation überzeugen, nachdem sie zuvor noch seinen sofortigen Ausschluss ohne Wenn und Aber befürwortet hatten.

Wie im Falle der italienischen Fraktion war der eigentliche Grund der Abspaltung dieser Genossen nicht wirklich politischer Natur. Hintergrund dieser Handlung war das Prestige Vercesis und des Kerns der italienischen Partei. Der offizielle Vorwurf lautete: „Neotrotzkismus“ der französischen Fraktion. Tatsächlich hatte die französische Fraktion (bzw. die Kommunistische Linke Frankreichs) beschlossen, anlässlich des 1. Mai gemeinsam mit den RKD und der CR ein Flugblatt herauszubringen, um die französischen Arbeiter vor dem antideutschen Chauvinismus zu warnen und sie dazu aufzurufen, jede revolutionäre Bewegung, die in Deutschland zwangsläufig ausbrechen werde, zu unterstützen. Die italienische Fraktion und die Minderheit der französischen Fraktion witterten dahinter eine Politik der Einheitsfront, die im Gegensatz zu den Prinzipien der Italienischen Linken stünde. Tatsächlich aber waren RKD und CR Gruppierungen deutscher und französischer Revolutionäre, die äußerst mutig gegen den Krieg gekämpft hatten und dabei, wie ihr Gründer Karl Fischer, der Gefahr der Deportation nur knapp entronnen waren. Da sie die Affäre um die „Coalizione“ als ein Indiz für den „Verrat“ der italienischen Fraktion betrachteten, zogen RKD und CR den Kontakt mit der Kommunistischen Linken Frankreichs, der belgischen Fraktion und den holländischen Rätekommunisten in Form von Diskussionen und Konferenzen vor. Die offene Ablehnung des „Revisionismus“ der Tendenz Vercesis durch die französische Fraktion und die RK-CR sowie ihre Bereitschaft, die Auseinandersetzung der Ideen zu suchen – dies waren die offen eingestandenen oder unausgespochenen Motive der Anhänger der neugegründeten PCInt und Vercesis, um eine Spaltung herbeizuführen. Das von der französischen Fraktion und den RKD gemeinsam veröffentlichte Flugblatt war nur ein billiger Vorwand, um jeden Kritiker Vercesis mundtot zu machen.

So wie Bilan mit ihrer Minderheit verfuhr, so versuchte auch die „Französische Fraktion der Kommunistischen Linken“ bis zum Schluss, die Spaltung zu verhindern, indem sie es vermied, vollendete organisatorische Tatsachen zu schaffen. Doch es war vergeblich. (18)

Im Juli 1945 fand die zweite Konferenz der französischen Linkskommunisten statt. Sie suspendierte für eine Dauer von zwei Jahren die beiden oppositionellen Mitglieder der EK, da sich diese nicht mehr an den Aktivitäten beteiligt hatten. Die französischen Linkskommunisten bildeten endgültig eine organisatorisch von den italienischen Linkskommunisten getrennte Gruppe. Dies war für sie der Anlass, die historischen Perspektiven, vor denen man stand, zu umreißen. Sie rechneten immer noch mit einem revolutionären Aufbegehren des italienischen und deutschen Proletariats, da „dieses weniger eine Zerstörung seines Bewusstseins als seine physische Zerstörung hat hinnehmen müssen und sich dem Krieg nur aufgrund von Gewaltanwendung unterworfen hat“. Sie stellten aber fest, dass „der internationale Kapitalismus wesentlich besser auf die Eventualität einer revolutionären Bedrohung vorbereitet ist und dass er daher gemeinsam sowie mit großer Cleverness und Vorsicht gegen ein Proletariat vorgegangen ist, das nicht mehr im Besitz seiner Avantgarde war..."

„... mit dem ersten revolutionären Anzeichen in Italien im Juli 1943 ergriff der Kapitalismus die Initiative und führte einen erbarmungslosen Bürgerkrieg gegen das Proletariat. Er verhinderte gewaltsam jeden Zusammenschluss des Proletariats, zögerte das Kriegsende hinaus, selbst nachdem die Hitler-Regierung zusammengebrochen war und sich aufgelöst hatte und Deutschland nachdrücklich einen Waffenstillstand gefordert hatte. Denn man wollte ein riesiges Blutbad, ein präventives Massaker anrichten, um jede Gefahr einer Revolution durch das deutsche Proletariat auszuschalten (...) Die Gesamtzahl der Kriegstoten in Europa beläuft sich auf 40 Millionen, von denen zwei Drittel nach 1943 starben. Allein diese Zahl zeigt die wirkliche Bilanz des imperialistischen Krieges im Allgemeinen und des Bürgerkriegs des Kapitalismus gegen das Proletariat im Besonderen.“(19)

Tatsächlich sollte die Tatsache, dass es zu keinem revolutionären Erwachen gekommen war, eine zentrifugale Wirkung innerhalb der bestehenden revolutionären Kräfte hervorrufen. Die RKD und die CR fielen nach weiteren Spaltungen auseinander. Die Minderheit in der französischen Fraktion, die von der PCInt Italiens unterstützt wurde, gründete eine „Französische Fraktion Nr. 2 (bis)“ und behauptete, die einzige Nachfolgerin (20) der Kommunistischen Linken zu sein. Ihre Zeitschrift trug denselben Namen wie die Zeitschrift L’Etincelle (Der Funke), die von der Originalfraktion seit Januar 1945 herausgegeben wurde. Mehr als ein Jahr lang existierten zwei verschiedene L’Etincelle, ehe die „Französische Fraktion Nr. 2(bis)“ ihre Zeitschrift in L’Internationaliste umtaufte. Die ursprüngliche französische Fraktion wiederum veröffentlichte bis 1952 eine theoretische Monatszeitschrift mit dem Namen Internationalisme.

Es existierten so gut wie keine politischen Kontakte zwischen den beiden Fraktionen. Der Bruch war vollständig, als die „Französische Fraktion Nr. 2(bis)“ die alte Minderheit von Bilan, die sich zwischenzeitlich der „Union Communiste“ angeschlossen hatte, und ihren Hauptsprecher, Chazé, Ende 1945 in ihre Reihen aufnahm. Von da an gingen ihre Wege völlig auseinander. Die französische Fraktion versuchte, den theoretischen Beitrag von Bilan wiederaufzugreifen und ihn zu vertiefen. Die „Französische Fraktion Nr. 2(bis)“ stützte sich hingegen ausschließlich auf bordigistische Positionen von vor 1926 und fasste sich selbst als Fortsetzung der alten Minderheit auf, die die italienische Fraktion vor dem Krieg ausgeschlossen hatte.

 

(Fußnoten sind hier aus Platzgründen nicht aufgeführt.)

Politische Strömungen und Verweise: 

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: