Leserbrief

Printer-friendly version

Der Metallarbeiterstreik in Ostdeutschland Ein Komplott gegen die Arbeiterklasse

Wir veröffentlichen hier in Auszügen einen Leserbrief zum Metallarbeiterstreik in Deutschland und unsere Antwort darauf.

"... meiner Einschätzung nach war der Streikabbruch im Osten ein abgekartetes Spiel, ausgekungelt zwischen Zwickel, Schröder und Kapitalvertretern, um den linksreformistischen Flügel um Peters, Düvel und Co. zu schwächen, was ja auch gelungen ist. Huber und seine Mannen werden ja in vier Jahren die Führung der IGM übernehmen. Was sehr betrüblich ist, ist die Tatsache, dass der Streikabbruch durch Zwickel auf keinen nennenswerten Widerstand in der IGM gestoßen ist..."

Unsere Antwort:

In der Tat war der Abbruch des Streiks der Metallarbeiter in Ostdeutschland ein "abgekartetes Spiel", wie im übrigen der gesamte Streik. Jedoch teilen wir nicht die Auffassung, dass der Zweck dieser Verschwörung die Schwächung des "linksreformistischen Flügels" der Gewerkschaften gewesen ist. Wir sind vielmehr der Ansicht, dass die Arbeiterklasse in Deutschland das Opfer dieses abgekarteten Spiels war. Wir bedauern auch nicht das Ausbleiben eines "nennenswerten Widerstandes" in der IGM gegen den Streikabbruch, sondern betrachten diesen Streik als ein Kind der Gewerkschaften, dessen unrühmliches Ableben bewusst einkalkuliert war.

Der Metallarbeiterstreik: Eröffnung eines Nebenkriegsschauplatzes

Um die wahre Bedeutung des Streiks für die 35-Stunden-Woche der ostdeutschen Metallarbeiter zu ermessen, ist es unerlässlich, einen Blick auf die Begleitumstände dieses Streiks zu werfen. Denn bevor er in die Schlagzeilen der bürgerlichen Medien geriet, beherrschte ein ganz anderes Thema die Öffentlichkeit - die Agenda 2010. Unter dem Druck fast täglicher Hiobsbotschaften aus der Wirtschaft holte Rot-Grün zum Rundumschlag gegen die Beschäftigten dieser Republik aus. Sie verstieß dabei nolens volens gegen ein Prinzip, das bisher die Strategie der Herrschenden gegenüber der Arbeiterklasse bestimmt hatte: Mit ihrer Renten- und Gesundheits"reform" greift die Schröder-Regierung erstmals die Arbeits- und Lebensbedingungen der gesamten Klasse massiv an und nicht mehr, wie bisher, von Teilbereichen.

Um dennoch die längerfristige Gefahr eines Widerstandes durch die gesamte Klasse zu bannen, griffen die Herrschenden mit Hilfe der Gewerkschaften zu einem altbewährten Mittel: Sie eröffneten einen Nebenkriegsschauplatz. Der insbesondere von IG Metall und Ver.di noch im Frühjahr lautstark angekündigte "heiße Sommer" gegen die Agenda 2010 ging nur meteorologisch in Erfüllung. Stattdessen entfachte die IGM in Ostdeutschland ein Strohfeuer um die 35-Stunden-Woche. Wir haben bereits in der letzten Ausgabe dieser Zeitung geschildert, wie ihr dabei das Kunststück gelang, ausgerechnet jenen Teil der Arbeiterklasse, der zu den schwächsten Sektoren zählt, erst für diesen unseligen Streik zu mobilisieren und anschließend in die Rolle von Streikbrechern zu manövrieren, die ihren eigenen Kampf sabotieren. Mit diesem perfiden Schachzug und mit Hilfe der Medien wurde nicht nur die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit vom eigentlichen Hauptangriff der rot-grünen Regierung, die Agenda 2010, abgelenkt; darüber hinaus wurde in Form medienwirksamer Auseinandersetzungen zwischen ostdeutschen Streikbrechern und westdeutschen Gewerkschaftsaktivisten das beispiellose Spektakel einer gespaltenen Arbeiterschaft inszeniert. Und nicht zuletzt wurde dem langsam aufkeimenden Kampfgeist der Arbeiter in ganz Deutschland ein empfindlicher Schlag versetzt, denn die Botschaft dieses gescheiterten Streiks lautete, dass sich der Kampf gegen die Logik der Krise nicht auszahlt.

Die Richtungskämpfe in der IG Metall: Manövriermasse für die Inszenierungen der Bourgeoisie

Es ist offenkundig, dass sich im Verlauf dieses Streiks auch gewisse Divergenzen innerhalb der Gewerkschaftsbürokratie herausgeschält haben. Je mehr sich die Ereignisse an der Streikfront verschärften, desto mehr spitzten sich auch die Flügelkämpfe zwischen den "Traditionalisten" und den "Modernisierern" in der IG Metall zu. Und die öffentliche Meinung trug zur Aufbauschung und Polarisierung bei, indem sie fast unisono die "Traditionalisten" um Peters, Düvel & Co. an den Pranger stellte.

Es wäre jedoch völlig unangebracht, in diese Auseinandersetzungen mehr hineinzuinterpretieren, als sie tatsächlich darstellen - nämlich reine Scheinmanöver zur Verwirrung der Arbeiterklasse. Sicherlich mag in dem einen oder anderen süddeutschen Betriebsratsvorsitzenden das Herz eines "Modernisierers" schlagen. Und es ist nicht auszuschließen, dass etlichen "Traditionalisten" selbiges blutet angesichts der "sozialen Unausgewogenheit" der Agenda 2010. Doch ähnlich wie die militärischen Truppen, die, ohne eingeweiht zu werden, vom eigenen Generalstab für Scheinangriffe gegen den Feind mobilisiert und geopfert werden, sind all die "Traditionalisten" und "Modernisierer" nur das Salz in der Suppe der Inszenierungen und Manipulationen der herrschenden Kreise.

Um die Spiegelfechtereien solcher untergeordneter Fraktionen zu instrumentalisieren, bedarf es für die Herrschenden lediglich einer Handvoll Eingeweihter an den richtigen Stellen. So auch im Fall der IG Metall: Einer der Drahtzieher ist Jürgen Peters, seines Zeichens "Traditionalist" und mittlerweile gewählter Vorsitzender der IGM. Er veranlasste die Änderung der Streiktaktik, indem er von den bislang ausgeübten Nadelstichstreiks überging zu unbefristeten Streiks in ausgesuchten Betrieben; Betriebe, die "zufällig" Zulieferer westdeutscher Automobilunternehmen sind. So leitete er zielstrebig eine Dynamik ein, die in den Boykottaktionen der Betriebsräte eben jener Autohersteller gegen den Streik in Ostdeutschland und letztendlich im Scheitern des Streiks der ostdeutschen Metallarbeiter gipfelte. Zwei andere Schlüsselfiguren fielen durch ihr beredtes Schweigen auf. Bei dem einen handelt es sich um keinen Geringeren als Bundeskanzler Schröder, der Obermodernisierer der Nation. Seine Zurückhaltung gegenüber dem Niedersachsen Peters, der quasi aus seinem Stall kommt, legt den Verdacht nahe, dass die beiden - Traditionen hin, Modernisierung her - unter einer Decke stecken und eine entsprechende Arbeitsteilung miteinander abgesprochen haben. Bei der anderen Schlüsselfigur in dieser Affäre handelt es sich um Berthold Huber, ebenfalls der Fraktion der "Modernisierer" angehörend und darüber hinaus Kronprinz des damals noch amtierenden IG Metall-Vorsitzenden Zwickel. Er stellte sich zunächst tot, indem er sich krank meldete, und als er sich schließlich dann doch zu Wort meldete, war's nicht etwa um Peters, sondern um Zwickel geschehen, und das totgesagte Tandemmodell (mit ihm als Vize und Peters als 1.Vorsitzenden) erlebte seine Wiederauferstehung.

Nein, das schmähliche Ende des ostdeutschen Metallarbeiterstreiks bedeutet beileibe keine Schwächung des "linksreformistischen Flügels um Peters, Düvel und Co.". Mit der jüngst erfolgten Wahl von Peters zum neuen Vorsitzenden der IG Metall vollzieht sich im Gegenteil eine Verschiebung der Prioritäten der Gewerkschaft im Angesicht einer weiteren Verschärfung der Austeritätspolitik. Die großen Gewerkschaften wie Ver.di und die IG Metall positionieren sich zunehmend links von der rot-grünen Regierung. Denn um den Widerstand der Arbeiter gegen die kommenden Angriffe unter Kontrolle zu behalten und letztendlich zu brechen, benötigt die Bourgeoisie in den nächsten Jahren Gewerkschaftsführer vom Schlage eines Peters', die mit ihrem scheinbaren Konfrontationskurs gegen die Regierung den wachsenden Unmut in der Klasse kanalisieren sollen. 11.9.2003