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Im vorliegenden Artikel wollen wir auf die Idee des IBRP, laut der unser Aufruf auf einer „idealistischen“ Methode beruhe, antworten.
„Wenn ihr in eurem Flugblatt schreibt, dass `die Weltarbeiterklasse seit den massiven Streiks vom Mai 68 in Frankreich ihre Kämpfe entfaltet und sich damit geweigert hat, sich der Logik des krisengeschüttelten Kapitalismus zu unterwerfen, (weshalb) sie die Auslösung eines 3. Weltkrieges hat verhindern können`, dann bleibt ihr Gefangene eures Schemas, welches wir schon zuvor als idealistisch charakterisiert haben und das heute für die Bedürfnisse der theoretisch-politischen Klarheit und Solidarität, um in der Arbeiterklasse zu intervenieren, besonders unbrauchbar ist.“ (Brief des IBRP vom 8.4.1999, von uns aus dem Englischen übersetzt)
Tatsächlich wäre der Idealismus für eine revolutionäre Organisation eine grosse Schwäche. Der Idealismus ist ein gewichtiges Bollwerk der bürgerlichen Philosophie. Er sieht die vorwärtstreibenden Kräfte der Geschichte in den Ideen, der Moral und den Wahrheiten, welche durch das menschliche Bewusstsein hervorgebracht wurden. Damit bildet er ein wichtiges Fundament für die verschiedenen bürgerlichen Ideologien, welche die Ausbeutung der Arbeiterklasse verschleiern und ihr jegliche Fähigkeit zur Selbstbefreiung absprechen. Die Teilung der Gesellschaft in Klassen, sowie die Möglichkeit und Notwendigkeit der kommunistischen Revolution mit dem Ziel, diese Gesellschaft zu überwinden, können nur mit einer materialistischen Sichtweise der Geschichte begriffen werden. Die Geschichte des Denkens erklärt sich aus der Geschichte des Seins, und nicht umgekehrt.
Der Idealismus und der historische Kurs
Weshalb soll denn die Auffassung des „historischen Kurses“, der zum Kräfteverhältnis zwischen den Klassen in einer gegebenen Periode Stellung bezieht und zur Schlussfolgerung kommt, dass heute nicht der Kurs hin zu einem generalisierten imperialistischen Krieg offen ist, sondern nach wie vor in Richtung einer verstärkten Klassenkonfrontation schreitet, wohl „idealistisch“ sein? Der Brief der Communist Workers Organisation (das IBRP in Grossbritannien) an die IKS, in dem der Vorschlag zu einer gemeinsamen öffentlichen Diskussionsveranstaltung zurückgewiesen wird, versucht uns dies zu erklären:
„Für euch scheint dies eine Nebensächlichkeit zu sein, doch für uns unterstreicht es, wie stark ihr von der Realität entfernt seid. Wir sind absolut bestürzt über die geringe proletarische Antwort gegenüber den momentanen Ereignissen. Das Motto „Sozialismus oder Barbarei“ hat in dieser Krise seine wahre Gültigkeit. Doch wie könnt ihr weiterhin behaupten, die Arbeiterklasse verhindere den Krieg, wenn die Ereignisse in Jugoslawien zeigen, wie die Imperialisten (ob klein oder gross) freie Hand haben?(...) Dieser Krieg ist nur 800 Meilen (ein Krähenflug) von London entfernt. Muss er sich nach Brighton ausdehnen, bis ihr eure Perspektiven korrigiert? Der Krieg ist ein direkter Schritt hin zur Barbarei. Wir können nicht zusammenspannen im Kampf für eine kommunistische Alternative, wenn ihr behauptet, dass man in der gegenwärtigen Periode auf die Arbeiterklasse zählen könne.“ (Brief der CWO vom 26.4.1999, von uns aus dem Englischen übersetzt)
Der Idealismus, unser Idealismus, scheint also nichts mit der „Realität“, den „Ereignissen“, zu tun zu haben, welche das IBRP als Tatsachen beschreibt. Der vom IBRP erhobene schwerwiegende Vorwurf des Idealismus ist kaum brauchbar, da er eine historische Frage auf ein Problem des „gesunden Menschenverstandes“ reduziert.
Dieser kurze Abschnitt, in welchem das IBRP seine Version der Realität darstellt, entbehrt jedoch einer seriösen materiellen Grundlage und gründet allzufest auf Überlegungen des „gesunden Menschenverstandes“, die durch kurzzeitige und lokale Fakten bestimmt sind. Sicherlich passt der Ausdruck „Sozialismus oder Barbarei“ zur gegenwärtigen Situation: die historischen Alternativen der zwei hauptsächlichen Klassenfeinde in der Gesellschaft stehen auf dem Balkan auf dem Spiel. Das IBRP widerspricht sich einige Zeilen später, wenn es behauptet, das Proletariat und seine historische Perspektive, der Sozialismus, habe in der gegenwärtigen Situation kein Gewicht.
Das IBRP hält die Fahne der kommunistischen Alternative offenbar alleine auf der ganzen Welt aufrecht. Seine widersprüchlichen Analysen über die Realität, die „unmittelbare“ Realität, die „wirklichen Ereignisse“ sind nicht „dialektisch“ wie es das IBRP gerne möchte, da es nicht fähig ist, zu begreifen, wie sich die grundlegenden historischen Tendenzen in einer gegebenen Situation ausdrücken.
Während die IKS versucht hat, zumindest das historische Gewicht der Arbeiterklasse in bezug auf den Krieg auf dem Balkan zu verstehen, ohne den Ernst der Situation herunterzuspielen, begibt sich das IBRP auf die Ebene des Empirismus à la Bacon und Lockei, und misst die Ereignisse an ihrer geografischen Nähe zu Brighton und London. Das Proletariat ist offenbar keine Kraft, „auf die man in der gegenwärtigen Periode zählen kann“, da es keine greifbaren Fakten gibt, welche dies beweisen und die sich empirisch belegen lassen. Das IBRP sieht in der heutigen historischen Periode das Proletariat nicht, riecht, fühlt oder hört es nicht, und deshalb existiert es nicht. Und jeder, der behauptet, die Arbeiterklasse sei eine Kraft, auch wenn eine bescheidene, ist offenbar ein Idealist.
So werden die Gegentendenzen zur anscheinenden Abwesenheit des Proletariats – vor allem die mangelnde Kriegsbegeisterung der Arbeiterklasse in Westeuropa und den USA – übersehen. Doch wer mit der historischen Wirklichkeit in Einklang stehen will, muss auch die unter der Oberfläche verborgenen Tendenzen in den Ereignissen wahrnehmen, die manchmal nur ein negativer Abdruck der Situation sind, wie eine Spur im Sand.
Eine Methode, welche die Ereignisse nur als simple Fakten betrachtet, ohne die historischen Zusammenhänge mit einzubeziehen, ist nur in einem metaphysischen Sinne materialistisch:
„Und indem, wie dies durch Bacon und Locke geschah, diese Anschauungsweise aus der Naturwissenschaft sich in die Philosophie übertrug, schuf sie die spezifische Borniertheit der letzten Jahrhunderte, die metaphysische Denkweise. Für den Metaphysiker sind die Dinge und ihre Gedankenabbilder, die Begriffe, vereinzelte, eins nach dem andern und ohne das andre zu betrachtende, feste, starre, ein für allemal gegebne Gegenstände der Untersuchung. Er denkt in lauter unvermittelten Gegensätzen; seine Rede ist ja, ja, nein, nein, was darüber ist, das ist vom Übel. Für ihn existiert ein Ding entweder, oder es existiert nicht: Ein Ding kann ebenso wenig es selbst und ein andres sein. Positiv und negativ schliessen einander absolut aus; Ursache und Wirkung stehn ebenso in starrem Gegensatz zueinander. Diese Denkweise erscheint uns auf den ersten Blick deswegen äusserst einleuchtend, weil sie diejenige des sogenannten gesunden Menschenverstands ist. Allein der gesunde Menschenverstand, ein so respektabler Geselle er auch in dem hausbackenen Gebiet seiner vier Wände ist, erlebt ganz wunderbare Abenteuer, sobald er sich in die weite Welt der Forschung wagt; und die metaphysische Anschauungsweise, auf so weiten, je nach der Natur des Gegenstands ausgedehnten Gebieten sie auch berechtigt und sogar notwendig ist, stösst doch jedes Mal früher oder später auf eine Schranke, jenseits welcher sie einseitig, borniert, abstrakt wird und sich in unlösliche Widersprüche verirrt, weil sie über den einzelnen Dingen deren Zusammenhang, über ihrem Sein ihr Werden und Vergehen, über ihrer Ruhe ihre Bewegung vergisst, weil sie vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht. (Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, MEW, Bd. 19, S. 203-204)
Der Empirismus - der gesunde Menschenverstand - setzt den historischen Materialismus und seine dialektische Methode dem Idealismus gleich und versteht nicht, dass der Marxismus sich weigert, die Dinge nur als einzelne Erscheinungen zu betrachten.
Das IBRP widerspricht der Geschichte der revolutionären Bewegung, wenn es das „Schema“ des historischen Kurses als idealistisch bezeichnet. War die linke Fraktion der italienischen Kommunistischen Partei, welche in den 30er Jahren die Zeitschrift BILAN herausgab, vom Idealismus beseelt, als sie dieses Konzept entwickelte, um herauszufinden, ob die Geschichte in Richtung Krieg oder Revolution führe? ii Dies ist eine Frage, auf die das IBRP eine Antwort geben muss, da BILAN ein Bestandteil der Geschichte der Italienischen Kommunistischen Linken ist, auf welche es sich beruft.
Auf der einen Seite meint das IBRP, den historischen Materialismus einseitig anwenden zu können, um eine angebliche und offensichtliche Wahrheit der Tatsachen zu proklamieren; auf der anderen Seite aber greift es auf mechanische Schemata zurück, um nicht existierende Tatsachen zu erfinden. In seinem internationalistischen Flugblatt gegen den Krieg in Ex-Jugoslawien behauptet es, dass der Hauptgrund der NATO-Intervention „die Kontrolle über das Öl im Kaukasus“ sei. Wie ist das IBRP zu dieser Fantasie gelangt? Durch die Anwendung des Schemas, nach dem die Haupttriebkraft des Imperialismus heute die Suche nach ökonomischen Profiten sei, „um sich die Kontrolle und Verwaltung des Erdöls anzueignen, der Ölprofite und der Finanz- und Handelsmärkte“.
Dies ist zwar ein materialistisches Schema, jedoch eines mechanischen Materialismus. Der Hauptfaktor des modernen Imperialismus sind zwar die wirtschaftlichen Widersprüche des Kapitalismus, doch übergeht dieses Schema die politischen und strategischen Faktoren, welche im Konflikt zwischen den Ländern Überhand genommen haben.
Die marxistische Methode und die Intervention der Revolutionäre gegen den Krieg
Auch wenn das IBRP in der Frage der Rolle der Arbeiterklasse in der Geschichte eine empiristische Herangehensweise übernimmt, zeigt es in den generellen und entscheidenden Fragen die Fähigkeit, eine marxistische Sichtweise anzuwenden, zu welcher der gesunde Menschenverstand nicht fähig ist. Sein Flugblatt über den Krieg – genauso wie die Flugblätter der anderen Gruppen der Kommunistischen Linken – deckte auf, dass hinter den angeblich humanitären Zielen der Grossmächte im Kosovo eine breite und unvermeidbare Konfrontation steckte. Es zeigte auf, wie die Pazifisten und Linken trotz ihrer grossen Erklärungen gegen die Gewalt in Wirklichkeit das Feuer des Krieges schürten. Und schliesslich, auch wenn es das Proletariat nicht als eine Kraft in der heutigen Situation sehen kann, hob es dennoch hervor, dass der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse das alleinige Mittel ist, um der um sich greifenden kapitalistischen Barbarei ein Ende zu setzen.
Die gemeinsame internationalistische, proletarische Position gegen den imperialistischen Krieg der verschiedenen Gruppen der Kommunistischen Linken, die auch von der IKS und dem IBRP geteilt wird, ist marxistisch und der Methode des historischen Materialismus treu.
Spätestens hier bricht der Vorwurf des Idealismus gegenüber der IKS zusammen.
Das Problem der Einheit in der Geschichte der revolutionären Bewegung
In seinem Brief an Wilhelm Bracke von 1875, der die Einleitung zur Kritik des Gothaer Programms der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands bildete, schrieb Marx: „Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme“(MEW Bd. 19, S. 13) Dieser berühmte Satz ist ein Referenzpunkt für die gemeinsame Aktion der Revolutionäre. Er ist eine perfekte Anwendung der ebenfalls berühmten Thesen über Feuerbach von 1845, die zeigten, dass der historische Materialismus keine neue beschauliche Philosophie ist, sondern eine Waffe des proletarischen Handelns:
„Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefasst werden und rationell verstanden werden.“ und „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an sie zu verändern.“ (Thesen über Feuerbach, MEW, Bd. 3, S. 6-7)
In seinem Einleitungsbrief und dem folgenden Text kritisierte Marx scharf das Einheitsprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wegen der gegenüber den Lassalleanern gemachten Kompromisse.iii Er ging davon aus, dass „...eine Übereinkunft für Aktionen gegen den gemeinsamen Feind...“ von grosser Wichtigkeit war und schlug vor, die Abfassung des Programms „...bis zur Zeit aufzuschieben, wo dergleichen durch längere gemeinsame Tätigkeit vorbereitet war...“. (Brief an Bracke, a.a.O.) Die grossen Differenzen waren kein Hindernis zu einer gemeinsamen Aktion, sondern wurden gerade in diesem Zusammenhang ausgetragen.
Wie wir schon in unserem Aufruf hervorgehoben haben, wandten Lenin und die anderen Vertreter der marxistischen Linken dieselbe Methode auf der Konferenz von Zimmerwald im September 1915 an, wo sie das aufsehenerregende Manifest gegen den Ersten Weltkrieg unterschrieben. Dennoch hatten sie Kritiken und Uneinigkeiten an den schwerwiegenden Schwächen des Manifests angebracht und legten ihren eigenen Standpunkt iv zur Abstimmung vor, der von der Mehrheit der Konferenz verworfen wurde.
Das IBRP hat bereits versucht aufzuzeigen, dass dieses Beispiel der Einigkeit unter den Revolutionären unter anderen Umständen stattfand und sich deshalb nicht auf die heutige Zeit übertragen lasse. In anderen Worten: Das IBRP will den Faden, der aus der Vergangenheit von Zimmerwald hin zur Aktualität führt, nicht sehen. Es sieht darin nur eine abgeschlossene Episode aus der Vergangenheit, welche nur noch für die Geschichtsschreiber von Wert ist.
Die unterschiedlichen Umstände, unter denen sich die Einheit der Revolutionäre in der Vergangenheit bewährte, beweisen nicht ihre Ungültigkeit für die heutige revolutionäre Bewegung, sondern vielmehr, dass die Grundsätze immer noch anwendbar sind.
Das Bemerkenswerteste an der Verteidigung der Zusammenarbeit der Revolutionäre durch Marx und Lenin in den zwei angeführten Beispielen ist, dass die Differenzen zwischen den Eisenachern und den Lassalleanern im einen, und zwischen der marxistischen Linken (vor allem den Bolschewiki) und den Sozialisten von Zimmerwald im anderen Beispiel, erheblich grösser waren als die Meinungsverschiedenheiten unter den Gruppen der Kommunistischen Linken von heute.
Marx befürwortete die Zusammenarbeit in einer Partei mit einer Tendenz, welche den „freien Staat“, die „Gleichheit“ und „die gerechte Verteilung des Arbeitsertrags“ verteidigte und vom „ehernen Lohngesetz“ und anderen bürgerlichen Vorurteilen sprach. Das Zimmerwalder Manifest war eine gemeinsame Stellungnahme gegen den ersten imperialistischen Weltkrieg, einerseits durch die unbeugsamen Internationalisten, welche zum Klassenkrieg gegen den imperialistischen Krieg und zur Bildung einer neuen Internationalen aufriefen, und andererseits den Pazifisten, Zentristen und anderen Zweiflern, die mit der Versöhnung mit den Sozialpatrioten liebäugelten und die Parolen der revolutionären Linken in Frage stellten. Im Gegensatz dazu existieren im heutigen kommunistischen Milieu keine Konzessionen gegenüber demokratischen und humanistischen Illusionen. Es gibt eine gemeinsame Anprangerung des Krieges als imperialistischen Krieg, eine gemeinsame Denunzierung des Pazifismus und Chauvinismus der Linken und ein gemeinsames Engagement für den „Klassenkrieg“, um dem imperialistischen Krieg die Perspektive und Notwendigkeit einer proletarischen Revolution entgegenzusetzen.
Lenin unterzeichnete das Zimmerwalder Manifest mit all seinen Schwächen und Haltlosigkeiten, um die tatsächliche Bewegung voranzutreiben. In einem direkt nach der ersten Zimmerwalder Konferenz veröffentlichten Artikel schreibt er:
„Dass dieses Manifest einen Schritt vorwärts macht zum wirklichen Kampf gegen den Opportunismus, ist eine Tatsache. Es wäre Sektierertum, wollte man darauf verzichten, gemeinsam mit der Minderheit der Deutschen, Franzosen, Schweden und Schweizer diesen Schritt vorwärts zu machen, solange wir uns die volle Freiheit und die volle Möglichkeit wahren, die Inkonsequenz zu kritisieren und mehr anzustreben. Es wäre schlechte militärische Taktik, wollte man es ablehnen, gemeinsam mit der wachsenden internationalen Protestbewegung gegen den Sozialchauvinismus zu marschieren, weil sich diese Bewegung langsam entwickelt, weil sie „nur“ einen Schritt vorwärts macht, weil sie bereit und gewillt ist, morgen wieder einen Schritt zurück zu machen und mit dem alten Internationalistischen Büro Frieden zu schliessen.“ (Lenin, Ein erster Schritt, 11. Oktober 1915, Ges. Werke, Bd. 21, S. 393-394)
Radek gelangte in einem anderen Artikel über diese Konferenz zur selben Schlussfolgerung:
„... die Linke hat aus folgenden Gründen beschlossen, für die Resolution zu stimmen. Es wäre doktrinär und sektiererisch, uns von den Kräften abzuwenden, welche in einem gewissen Grade begonnen haben, in ihrem eigenen Land gegen den Sozialpatriotismus zu kämpfen, während sie mit heftigsten Attacken der Sozialpatrioten konfrontiert sind.“ (Die Zimmerwalder Linke, von uns aus dem Englischen übersetzt)
Zweifellos müssen die heutigen Revolutionäre der Entfaltung des imperialistischen Krieges mit derselben Methode entgegentreten wie Lenin und die Zimmerwalder Linke gegen den Ersten Weltkrieg. Das Vorankommen der revolutionären Bewegung als Ganzes ist die wichtigste Priorität. Der hauptsächliche Unterschied zwischen den Bedingungen von damals und denen von heute ist der, dass es heute eine viel grössere Übereinstimmung unter den internationalistischen Gruppen gibt als zwischen der Linken und dem Zentrum in Zimmerwaldv, und deshalb auch eine viel grössere Notwendigkeit und Berechtigung zu einer gemeinsamen Aktion.
Eine gemeinsame internationalistische Erklärung und andere Ausdrücke von gemeinsamen Aktionen gegen den Krieg der NATO hätte die politische Präsenz der Kommunistischen Linken im Vergleich mit dem Widerhall, den jede Gruppe alleine hat, enorm verstärkt. Dies wäre ein handfester Gegenpol gegen die nationalistischen Spaltungen der herrschenden Klasse gewesen. Das gemeinsame Bestreben, die reale Bewegung voranzubringen, hätte ein verstärkter Anziehungspol für nach kommunistischen Positionen suchende Elemente dargestellt, welche heute von der verwirrenden Verstreutheit der einzelnen Gruppen enttäuscht sind. Und die Vereinigung der Kräfte hätte auf die Arbeiterklasse als ganzes eine grössere Wirkung gehabt. Zudem hätte dies ein historischer Referenzpunkt für die Revolutionäre der Zukunft dargestellt, wie dies beim Zimmerwalder Manifest der Fall war, welches über die Schützengräben hinweg ein Hoffnungsschimmer für die angehenden Revolutionäre war. Wie soll man eine politische Methode beschreiben, welche eine solche gemeinsame Aktion zurückweist? Die Antwort wurde von Lenin und Radek gegeben: sie ist doktrinär und sektiererisch. vi
Wenn wir hier nur zwei historische Beispiele aufführen, dann aus Platzgründen und nicht weil es an gemeinsamen Aktionen unter Revolutionären in der Vergangenheit gemangelt hätte. Die Erste, Zweite und Dritte Internationale wurden alle mit der Teilnahme von Elementen gegründet, die nicht einmal die wichtigsten marxistischen Voraussetzungen erfüllten, wie den Anarchisten in der Ersten Internationale oder den französischen und spanischen Anarchosyndikalisten, welche den Internationalismus und die Russische Revolution verteidigten und in die Kommunistische Internationale aufgenommen wurden.
Wir sollten auch nicht vergessen, dass der Spartakist Karl Liebknecht, der von der gesamten marxistischen Linken als einer der heroischsten Verteidiger der Arbeiterklasse im Ersten Weltkrieg anerkannt wurde, ein Idealist im wahren Sinne des Wortes war, da er den historischen Materialismus zugunsten des Kantismus zurückwies.
Die Methode der Konfrontation der Positionen in der revolutionären Bewegung
Die Mehrheit der heute existierenden revolutionären Gruppierungen gehen davon aus, dass eine Einheit zu einer wenn auch nur kleinen gemeinsamen Aktion die wichtigen Differenzen mit den anderen überdecken oder verwischen würden. Nichts ist falscher als dies! Nach der Gründung der deutschen Sozialdemokratischen Partei und nach Zimmerwald gab es keineswegs eine opportunistische Verwässerung der Meinungsverschiedenheiten, die unter den einzelnen Teilnehmern existierten, sondern im Gegenteil eine Zuspitzung und schlussendlich eine Bestätigung der klarsten Positionen in der Praxis. Die Marxisten errangen in der deutschen Sozialdemokratie und nach 1875 in der Zweiten Internationale über die Lassalleaner klar die Oberhand. Nach Zimmerwald setzten sich die unbeugsamen Positionen der Linken, welche in der Minderheit gewesen waren, gänzlich durch. Vor allem als die revolutionäre Welle 1917 in Russland begann, wurde ihre Politik durch den Gang der Ereignisse und das Zurückfallen der Zentristen in die Arme der Sozialpatrioten bestätigt.
Hätten sie ihre Positionen nicht in einer wenn auch beschränkten gemeinsamen Aktion auf den Prüfstein gelegt, wäre deren Erfolg nicht möglich gewesen. Die Kommunistische Internationale hat ihre Wurzeln in der Zimmerwalder Linken. vii
Diese Beispiele aus der Geschichte der revolutionären Bewegung bestätigen ebenfalls eine bekannte These über Feuerbach:
„Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i.e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.“ (MEW, Bd. 3, S. 5, Hervorhebungen durch Marx selbst)
Diejenigen Gruppen der Kommunistischen Linken, welche einen praktischen Rahmen für ihre gemeinsame Bewegung zurückweisen, in dem ihre Differenzen ausgetragen werden könnten, reduzieren ihre Meinungsverschiedenheiten über die marxistische Theorie auf ein scholastisches Niveau. Auch wenn diese Gruppen den Willen zeigen, die Gültigkeit ihrer Positionen der Praxis des breiten Klassenkampfes zu stellen, so bleibt dies ein frommer Wunsch, solange sie ihr eigenes Haus nicht in Ordnung bringen und ihre Positionen in der praktischen Zusammenarbeit mit den anderen internationalistischen Tendenzen nicht überprüfen.
Die Anerkennung eines Minimums an gemeinsamer Aktivität ist für Elemente, die aus den Reihen der Arbeiterklasse kommen, besonders in den Ländern, in welchen die Kommunistische Linke noch über keine organisierte Präsenz verfügt, die Basis, auf der die Meinungsverschiedenheiten klar dargelegt, konfrontiert, getestet und überprüft werden können. Die heutigen kommunistischen Gruppierungen weigern sich leider, dies zu verstehen. Die Gruppierungen der bordigistischen Strömung verteidigen das Sektierertum als ein Prinzip. Ohne selbst soweit zu gehen versucht das IBRP jegliche seriöse Konfrontation der politischen Positionen zu umgehen: „Wir kritisieren die IKS (...), auf ein, wie sie es nennt ‚politisches proletarisches Milieu‘ zu warten, welches ihre immer seltsameren politischen Anliegen aufnehmen und debattieren soll.“ viii (von uns aus dem Englischen übersetzt) Dies steht in Internationalist Communist Nr. 17, der Zeitschrift des IBRP, eine Nummer, die vor allem der Darstellung der Differenzen mit der IKS gewidmet ist und eine Antwort an suchende Elemente in Russland geben soll, Elemente die sich gerade über die Frage der Verantwortung der Internationalisten und ihrer gemeinsamen Aktion gegen den imperialistischen Krieg in Unklarheit befinden. Es ist wirklich bedauernswert, dass das internationalistische Milieu jede seriöse Debatte aus Angst vor der Konfrontation der unterschiedlichen Positionen zurückweist. Die heutige revolutionäre Bewegung braucht wieder Vertrauen, wie sie die Revolutionäre der Vergangenheit in ihre Ideen und Positionen hatten.
Die Anschuldigung, nach der die IKS idealistisch sei, ist absolut haltlos. Wir erwarten zumindest Kritiken, die solide und gründlich ausgeführt sind.
Angesichts der internationalen Situation und der Herausforderung, vor der die Arbeiterklasse steht, sollte klar sein, dass die materialistische Methode der revolutionären marxistischen Bewegung eine gemeinsame Antwort erfordert. Die Kommunistische Linke war angesichts des Krieges im Kosovo nicht fähig, ihre Verantwortung voll wahrzunehmen. Doch die Herausforderungen der Zukunft werden uns dazu zwingen, dies verstärkt zu tun. 11.9.1999 Como
i Francis Bacon (1561-1626) und John Locke (1632-1704) waren zwei materialistische englische Philosophen.
ii In einem Artikel mit dem Titel „Der Kurs hin zum Krieg“ stellte BILAN in Nr. 29 im März 1936 die Frage des historischen Kurses ausdrücklich: „Die heutigen Regierenden (...) haben ein Recht auf die ewige Anerkennung der kapitalistischen Herrschaft, da sie das Weltproletariat wie nie zuvor plattgewalzt haben. Doch durch die Erwürgung der einzigen Kraft, welche fähig ist, eine neue Gesellschaft zu gründen, haben sie auch die Türe zum unabwendbaren Krieg geöffnet, dem extremsten Ausdruck der Widersprüche der kapitalistischen Herrschaft. (...) Wann wird der Krieg ausbrechen? Niemand kann dies voraussagen. Nur eines ist sicher: alles ist bereit dazu.“ Ein anderer Artikel in derselben Nummer kommt auf die Frage der Vorbedingungen des Krieges zurück: „Wir sind überzeugt, dass mit der Politik des sozial-zentristischen Verrats der das Proletariat als Klasse in den `demokratischen` Ländern zur Ohnmacht geführt hat; dass mit dem Faschismus, der mit dem Terror zum selben Ziel gelangte, die Weichen für eine neue weltweite Schlächterei gestellt worden sind. Die Degenerierung der UdSSR und der Komintern ist eines der alarmierendsten Signale für den Kurs hin zum Abgrund des Krieges.“
Nebenbei ist es interessant, das IBRP und die bordigistischen Gruppen an den Vorschlag zu erinnern, welchen BILAN den übriggebliebenen kommunistischen Kräften machte: „Die alleinige Antwort, die diese Kommunisten den Ereignissen, in denen wir uns befinden, entgegensetzen können, die einzige politische Handlung, die auf dem Weg zum Sieg von morgen ein Wegweiser sein kann, ist eine internationale Konferenz, welche die traurigen Überbleibsel des Gehirns der Weltarbeiterklasse sammelt.“ Unsere Sorge, den historischen Kurs zu erkennen, und unser Appell zu einer gemeinsamen Verteidigung des Internationalismus befinden sich in der Tradition der Italienischen Linken, ob man dies nun wahrhaben will oder nicht.
iii Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands entstand durch die Vereinigung der zwei grossen Strömungen, die kleinbürgerliche, nach ihrem Führer Lassalle benannt, und die marxistische, die Eisenacher, benannt nach der Stadt, in der sich diese Strömung als Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands 1869 gegründet hatte.
iv Wir haben die Gültigkeit einer einheitlichen Politik wie der Zimmerwalder Linken auch für das internationalistische Lager von heute in der Internationalen Revue Nr. 44 (engl./franz./span.) beschrieben.
v Man kann sogar sagen, dass die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Zimmerwalder Linken selbst grösser waren als diejenigen innerhalb des heutigen internationalistischen Lagers. Es gab bedeutende Differenzen, ob die Möglichkeit der nationalen Befreiung noch vorhanden war und ob deshalb die Losung „Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ in der marxistischen Politik noch eine Gültigkeit hatte. Die verschiedenen und sich widersprechenden Auffassungen Lenins auf der einen und Trotzkis und Radeks auf der anderen Seite über den Aufstand von Ostern 1916 in Dublin zeigte klar die Differenzen innerhalb der Zimmerwalder Linken auf. Selbst innerhalb der bolschewistischen Partei existierten zu dieser Zeit bedeutende Differenzen zur Forderung der nationalen Selbstbestimmung mit Bucharin und Piatakov, welche diese als überlebt bezeichneten, und über die Gültigkeit der Losung des „revolutionären Defätismus“ und der „Vereinigten Staaten von Europa“.
vi Lenins Politik der internationalen Einheit beschränkte sich nicht auf die Zimmerwalder Bewegung. Er wandte sie auch innerhalb der russischen Sozialdemokratie an, indem er die Zusammenarbeit mit Trotzkis nicht-bolschewistischer Gruppe Nasche Slovo befürwortete. Wenn diese Bemühungen bis hin zur Russischen Revolution nicht von Erfolg gekrönt waren, dann nur wegen der Zweifel und des Sektierertums Trotzkis.
vii „Die Zimmerwalder und Kienthaler Konferenzen hatten zu der Zeit Bedeutung, wo es wichtig war, all diejenigen Elemente des Proletariats zu vereinigen, welche bereit waren, in dieser oder jener Form gegen das imperialistische Morden zu protestieren.(...) Die Zimmerwalder Vereinigung hat sich überlebt. Alles was wirklich revolutionär in der Zimmerwalder Vereinigung war, geht in die Kommunistische Internationale über.“ Dieser Text ist von Rakowski, Lenin, Sinowjew, Trotzki und Platten unterzeichnet. (Erklärung der Teilnehmer von Zimmerwald auf dem Kongress der Kommunistischen Internationale, Die Kommunistische Internationale Bd. 1, S. 97, Intarlit Verlag 1984)
viii „We critisice the ICC (…) for expecting what they call the “proletarian political milieu” to take up and debate their increasingly outlandish political concerns.”