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Einleitung der IKS
Das Dokument, das wir hier publizieren, erschien zum ersten Mal 1948 in der Zeitschrift Internationalisme, dem Organ einer kleinen Gruppe mit dem Namen Französische Kommunistische Linke, auf die sich die IKS seit ihrer Gründung 1975 beruft. Wiederveröffentlicht wurde dieses Dokument in den 1970er Jahren im Studien- und Diskussionsbulletin der Gruppe Révolution International in Frankreich, die später zur französischen Sektion der neugegründeten Internationalen Kommunistischen Strömung (IKS) wurde. Dieses Bulletin war seinerseits Vorläufer des theoretischen Organs der IKS, der Internationalen Revue. Sein Ziel war die Konsolidierung der neuen Gruppe Révolution International und ihrer jungen Militanten durch einen theoretische Denkprozess und eine bessere Kenntnis der Geschichte der Arbeiterbewegung, einschließlich der Geschichte ihrer Konfrontationen mit den neuen theoretischen Fragen, die die Geschichte stellte.
Hauptziel dieses Textes ist die Ergründung der historischen Bedingungen, die den Aufbau und die Aktivitäten der revolutionären Organisationen bestimmen. Die bloße Idee einer solchen Festlegung ist grundlegend. Auch wenn die Gründung und die Aufrechterhaltung einer revolutionären Organisation die Frucht des militanten Willens ist, aktiver Faktor der Geschichte zu sein, ist die Form, die sich dieser Wille gibt, nicht losgelöst von der gesellschaftlichen Realität und vor allem nicht unabhängig vom Niveau der Kampfbereitschaft und des Bewusstseins in den breiten Arbeitermassen. Die Auffassung, dass die Bildung einer Klassenpartei allein vom „Willen“ der Militanten abhängt, zeichnete den Trotzkismus der 1930er Jahre, aber auch den gegen Ende des Zweiten Weltkrieges neu gebildeten "Partito Comunista Internazionalista" (IKP), dem Vorgänger der zahlreichen bordigistischen Gruppen und der heutigen Internationalen Kommunistischen Tendenz (dem ehemaligen IBRP), aus. Der Artikel von Internationalisme unterstreicht aus unserer Sicht absolut berechtigt, dass es sich hier um zwei grundlegend verschiedene Konzeptionen der politischen Organisation handelt: eine idealistisch-voluntaristische und eine materialistisch-marxistische. Bestenfalls führte die voluntaristische Konzeption zu einem genuinen Opportunismus – so wie es bei der IKP und ihren Nachfolgern der Fall war; schlimmstenfalls führte sie zur Versöhnung mit dem Klassenfeind und zum Übertritt ins Lager der herrschenden Klasse – wie bei den Trotzkisten.
Für die junge Generation nach '68 liegt die Bedeutung der theoretischen und historischen Reflexion über diese Frage auf der Hand. Es ging darum, die IKS vor den Auswirkungen des blinden Aktivismus und der typischen Ungeduld dieser Periode zu schützen (auch wenn wir weit davon entfernt sind, immun dagegen zu sein), die so viele Gruppen und Militanten zum Rückzug aus dem politischen Leben geführt haben.
Wir sind absolut überzeugt, dass dieser Text auch heute für die junge Generation völlig relevant ist, besonders weil er darauf beharrt, dass die Arbeiterklasse nicht lediglich eine soziologische Kategorie ist, sondern eine Klasse, die eine besondere Aufgabe in der Geschichte hat: die Überwindung des Kapitalismus und der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft. Die Rolle der Revolutionäre hängt auch von der historischen Periode ab. Wenn die Situation es der Arbeiterklasse unmöglich macht, den Verlauf der Ereignisse zu beeinflussen, ist es nicht die Rolle der Revolutionäre, diese Realität zu ignorieren und sich Illusionen zu machen, ihre Intervention könne den Gang der Dinge ändern. Sie muss sich vielmehr einer weitaus weniger spektakulären Aufgabe zuwenden: die Vorbereitung der theoretischen und politischen Bedingungen für eine Intervention, die die zukünftigen Klassenkämpfe beeinflusst.
Einleitung von Internationalisme
Unsere Gruppe hat es sich zur Aufgabe gemacht, die großen Probleme zu untersuchen, die die Notwendigkeit des Wiederaufbaus einer neuen revolutionären Arbeiterbewegung beinhalten. Wir müssen die Evolution der kapitalistischen Gesellschaft zum Staatskapitalismus und der alten Arbeiterbewegung berücksichtigen, die eine Zeit lang die kapitalistische Klasse unterstützten, um die Arbeiterklasse hinter diese zu scharen. Wir müssen ebenfalls untersuchen, wie und was aus dieser alten Arbeiterbewegung von der kapitalistischen Klasse für ihre Ziele genutzt werden kann. Darüber hinaus ist es unsere Aufgabe zu untersuchen, was seit dem Kommunistischen Manifest in der Arbeiterbewegung gültig geblieben ist und was ungültig wurde.
Es war für uns völlig normal, die Probleme zu untersuchen, die von der Revolution und vom Sozialismus gestellt werden. Dies vor Augen, hatten wir bereits eine Arbeit über den Staat nach der Revolution präsentiert und stellen heute die Studie über die Probleme der revolutionären Partei des Proletariates zur Diskussion.
Wir müssen uns bewusst sein, dass diese Frage eine der wichtigsten der revolutionären Arbeiterbewegung ist. Hier standen Marx und die Marxisten den Anarchisten, gewissen demokratisch-sozialistischen und der revolutionär-syndikalistischen Tendenzen gegenüber. Diese Frage stand im Zentrum der Bemühungen von Marx, der sich vor allem gegenüber verschiedenen Organismen kritisch verhielt, die sich „Arbeiterparteien“, „Sozialistische Parteien“, Internationale oder ähnlich genannt hatten. Obwohl er gelegentlich aktiv am Leben einiger dieser Organismen teilgenommen hatte, betrachtete er sie niemals als politische Gruppen, in denen, in Anbindung an einer Äußerung im Kommunistischen Manifest, Kommunisten sich als „Avantgarde des Proletariats“ ausdrücken konnten. Das Ziel der Kommunisten war es, die Aktivitäten dieser Organismen so weit wie möglich zu treiben und gleichzeitig sich jede Möglichkeit einer Kritik und autonomen Organisierung zu erhalten. Dann erfolgte anlässlich der von Lenin in Was tun? vorgestellten Ideen die Spaltung der sozialdemokratischen Partei Russlands in eine menschewistische und eine bolschewistische Tendenz. Es war dasselbe Problem, das unter den marxistischen Gruppen, die mit der Sozialdemokratie gebrochen hatten, die Rätekommunisten und die KAPD mit der Dritten Internationale entzweiten. Auch in den Divergenzen zwischen der Gruppe von Bordiga und Lenin über die Frage der „Einheitsfront“, die von Lenin und Trotzki vorbereitet und von der 3. Internationale angenommen wurde, ging es um diese Frage. Schlussendlich bleibt dasselbe Problem eine der Hauptmeinungsverschiedenheiten unter den verschiedenen Oppositionsgruppen, zwischen den "Trotzkisten" und den "Bordigisten"; und in der Tat war es ein Diskussionsthema in allen damaligen Gruppen.
Heute müssen wir eine kritische Untersuchung all dieser Ausdrücke der revolutionären Arbeiterbewegung machen. Wir hoffen, aus diesem Prozess - d.h. aus dem Ausdruck unterschiedlicher Denkrichtungen in dieser Frage - eine Strömung herauszuziehen, die unserer Ansicht nach den revolutionären Standpunkt am besten ausdrückt, um somit zu versuchen, das Problem für die zukünftige revolutionäre Arbeiterbewegung zu formulieren.
Wir müssen ebenfalls kritisch die Auffassungen untersuchen, die zur Organisationsfrage entwickelt wurden, um zu bestimmen, was im revolutionären Ausdruck des Proletariats bestehen bleibt, was überholt ist und welche neuen Probleme sich stellen.
Es ist klar, dass eine solche Arbeit nur dann Früchte tragen kann, wenn sie zwischen den Gruppen und innerhalb der Gruppen diskutiert wird, die eine neue revolutionäre Arbeiterbewegung wiederaufzubauen beabsichtigen.
Die Untersuchung, die wir heute vorstellen, ist also ein Beitrag zu dieser Diskussion, sie hat keine anderen Absichten, auch wenn sie in Thesen formuliert ist. Ihr Ziel ist vor allem, die Kritik und Diskussion zu stimulieren und nicht endgültige Lösungen anzubieten. Es ist eine Untersuchungsarbeit, die weniger auf Akzeptanz oder Ablehnung abzielt, sondern schlicht und einfach andere Arbeiten über diese Frage anregen will.
Das Hauptziel dieser Untersuchung ist die „Manifestation des revolutionären Bewusstseins“ im Proletariat. Doch es gibt eine Vielzahl von programmatischen Fragen, welche sich auf die Partei beziehen, die hier nur gestreift werden: organisatorische Probleme, Probleme des Verhältnisses zwischen der Partei und Organismen wie die Arbeiterräte, Probleme bezüglich der Haltung der Revolutionäre angesichts der Formierung etlicher Gruppen, die behaupten, DIE revolutionäre Partei zu sein, oder versuchen, eine solche aufzubauen, Probleme, die sich durch die Aufgaben vor und nach der Revolution ergeben, usw.
Daher sollten Militante, die verstehen, dass die Aufgabe der Stunde die Untersuchung dieser mannigfaltigen Probleme ist, aktiv in der Diskussion teilnehmen, entweder mit ihren eigenen Zeitschriften oder - für diejenigen, die zur Zeit nicht über solche Möglichkeiten verfügen - in diesem Bulletin.
Die entscheidende Rolle des Bewusstseins für die proletarische Revolution
1. Die Idee der Notwendigkeit eines politischen Organismus innerhalb des Proletariats scheint eine Errungenschaft in der sozialistischen Arbeiterbewegung zu sein.
Es ist wahr, dass die Anarchisten stets gegen den Begriff „politisch“ für diesen Organismus protestiert haben. Doch der Protest der Anarchisten gründete auf der Tatsache, dass sie den Begriff der politischen Aktion immer in einem sehr engen Sinne verstanden haben, war er doch für sie Synonym einer Aktion für gesetzliche Reformen: Beteiligung an den Wahlen und am bürgerlichen Parlament usw. Doch weder die Anarchisten noch irgendeine andere Strömung innerhalb der Arbeiterbewegung verneinten den Zusammenschluss der sozialistischen Revolutionäre in Assoziationen, die mittels Aktion und Propaganda die Aufgabe übernehmen, in den Arbeiterkämpfen zu intervenieren und sie zu orientieren. Und jede Gruppe, die sich die Aufgabe stellt, den sozialen Kämpfen eine Richtung zu verleihen, ist eine politische Gruppe.
In diesem Sinne ist der Ideenstreit um den politischen oder nicht-politischen Charakter dieser Organisationen nicht mehr als ein Wortgefecht, das im Grunde hinter allgemeinen Phrasen konkrete Divergenzen über die Orientierung, über die Ziele und die dazu notwendigen Mittel verbirgt. Mit anderen Worten: präzise politische Divergenzen.
Wenn heute neue Tendenzen aufkommen, die die Notwendigkeit einer politischen Organisation für das Proletariat in Frage stellen, so ist das eine Folge aus der Degeneration von Parteien, die einst Organisationen des Proletariats gewesen waren, und ihres Übertritts ins Lager des Kapitalismus: die Sozialistischen und Kommunistischen Parteien. Politische Begrifflichkeiten und politische Parteien leiden heute unter einer Diskreditierung, selbst im bürgerlichen Milieu. Doch was zu den erheblichen Schwächen geführt hat, ist nicht die Politik an sich, sondern eine BESTIMMTE Politik. Politik ist nichts anderes als die Orientierung, die sich die Menschen bei der Organisation ihres gesellschaftlichen Lebens geben. Von dieser Tätigkeit abzukehren bedeutet, jegliche Entschlossenheit aufzugeben, dem gesellschaftlichen Leben eine Orientierung zu geben und es folglich umzuwandeln. Es bedeutet, sich der Gesellschaft, so wie sie besteht, zu unterwerfen und sie zu akzeptieren.
2. Der Begriff der Klasse ist im Wesentlichen ein historisch-politischer Begriff und nicht lediglich eine ökonomische Klassifizierung. Ökonomisch sind alle Menschen Teil desselben Produktionssystems in einer gegebenen Periode. Die Teilung, die sich auf die unterschiedlichen Stellungen stützt, die die Menschen in demselben Produktions- und Verteilungssystem einnehmen und die den Rahmen dieses Systems nicht überschreiten, kann nicht zur Grundlage der historischen Notwendigkeit seiner Überwindung werden. Die Trennung in ökonomische Kategorien ist nur ein konstanter innerer Widerspruch, der sich mit diesem System entwickelt, doch sie bleibt innerhalb seiner Grenzen. Die historische Opposition ist sozusagen etwas Äußeres, in dem Sinne wie sie sich dem ganzen System entgegenstellt. Und diese Opposition verwirklicht sich in der Zerstörung des bestehenden Gesellschaftssystems und in dessen Ersatz durch ein anderes System, das auf einer neuen Produktionsweise basiert. Die Klasse ist die Personifizierung dieser historischen Opposition und gleichzeitig die gesellschaftliche, menschliche Kraft zu ihrer Verwirklichung.
Das Proletariat existiert als Klasse im vollen Sinne des Begriffs erst durch die Orientierung, die es seinen Kämpfen gibt, nicht im Hinblick auf eine Verbesserung seiner Lebensbedingungen innerhalb des kapitalistischen Systems, sondern durch seinen Widerstand gegen die bestehende Gesellschaftsordnung. Der Übergang von der Kategorie zur Klasse, von den ökonomischen Kämpfen zum politischen Kampf ist kein evolutionärer Prozess, keine kontinuierliche und inhärente Entwicklung, aus der eine historische Klassenopposition automatisch und natürlich entsteht, nachdem sie aus schon lange in der ökonomischen Stellung der Arbeiter enthalten war. Es gibt einen dialektischen Sprung von dem einen zum anderen. Er besteht in der Bewusstwerdung der historischen Notwendigkeit für das Verschwinden des kapitalistischen Systems. Diese historische Notwendigkeit fällt mit dem Streben des Proletariats nach Befreiung von seiner Ausbeutung zusammen und ist in ihm enthalten.
3. Alle gesellschaftlichen Transformationen in der Geschichte haben als bestimmende Grundlage die Tatsache gemeinsam, dass die Entwicklung der Produktivkräfte mit den restriktiven Strukturen der alten Gesellschaft unvereinbar geworden ist. Der Grund für den Zusammenbruch des Kapitalismus liegt in seiner Unfähigkeit begründet, die von ihm entwickelten Produktivkräfte weiterhin zu beherrschen. Dies ist auch die Bedingung und historische Berechtigung seiner Überwindung durch den Sozialismus.
Doch nebst dieser Bedingung bleiben die Unterschiede zwischen den vergangenen Revolutionen (die bürgerliche inbegriffen) und der sozialistischen Revolution entscheidend und erfordern eine vertiefte Untersuchung durch die revolutionäre Klasse.
Was die bürgerliche Revolution zum Beispiel angeht, so waren die Produktivkräfte, die mit dem Feudalismus unvereinbar geworden waren, immer noch in einem System eingebettet, das auf dem Privateigentum einer besitzenden Klasse basierte. Infolgedessen entwickelte der Kapitalismus seine ökonomische Basis langsam und für eine lange Zeit innerhalb der feudalen Welt. Die politische Revolution folgte den ökonomischen Tatsachen und segnete sie ab. Deshalb unterliegt die Bourgeoisie nicht der zwingenden Notwendigkeit eines Bewusstseins über ihre ökonomische und soziale Bewegung. Ihre Handlungen werden direkt ausgelöst durch den Druck der Gesetze der ökonomischen Entwicklung, die wie blinde Naturkräfte walten und ihren Willen bestimmen. Ihr Bewusstsein ist etwas Zweitrangiges, es kommt nach den Fakten. Es registriert die Ereignisse, statt ihnen eine Richtung zu verleihen. Die bürgerliche Revolution ist noch Teil der Vorgeschichte der Menschheit, in der die Produktivkräfte die Menschen noch dominieren.
Der Sozialismus basiert im Gegenteil dazu auf einer Entwicklung der Produktivkräfte, die unvereinbar sind mit jeglichem individuellen oder gesellschaftlichen Besitz einer Klasse. Daher kann sich der Sozialismus nicht auf ökonomische Fundamente innerhalb des Kapitalismus stützen. Die politische Revolution ist die erste Bedingung für eine sozialistische Orientierung der Ökonomie und der Gesellschaft. Aus diesem Grunde kann sich der Sozialismus nicht anders realisieren als durch das Bewusstsein über die Endziele der Bewegung, das Bewusstsein über die Mittel des Kampfes und den bewussten Willen zur Tat. Das sozialistische Bewusstsein geht der revolutionären Aktion der Klasse voraus und bestimmt sie. Die sozialistische Revolution ist der Beginn der Geschichte, in der die Menschheit berufen ist, die Produktivkräfte, die sie schon weit entwickelt hat, zu beherrschen, und diese Beherrschung ist exakt das Ziel, das sich die sozialistische Revolution setzt.
4. Aus diesem Grunde sind alle Versuche, den Sozialismus durch praktische Projekte innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft zu realisieren, durch die eigentliche Natur des Sozialismus zum Scheitern verurteilt. Der Sozialismus erfordert zeitlich eine fortgeschrittene Entwicklung der Produktivkräfte und räumlich die gesamte Erde: Seine Vorbedingung ist der bewusste Wille der Menschen. Experimentelle Vorzeigemodelle des Sozialismus innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft erreichen im besten Falle das Niveau einer Utopie. Sich auf diese Utopie zu fixieren führt dazu, den Kapitalismus zu konservieren und zu stärken. Sozialismus innerhalb des kapitalistischen Regimes kann nur ein theoretischer Ausdruck sein, seine Materialisierung kann nur die Form einer ideologischen Kraft annehmen, und seine Realisierung kann nur durch den revolutionären Kampf des Proletariats gegen die bestehende Gesellschaftsordnung vonstattengehen.
Und da die Existenz des Sozialismus sich zuallererst nur durch das sozialistische Bewusstsein ausdrücken kann, hat die Klasse, die es in sich trägt und verkörpert, nur durch dieses Bewusstsein eine historische Existenz. Die Bildung des Proletariats als historische Klasse ist nichts anderes als die Bildung seines sozialistischen Bewusstseins. Dies sind zwei Aspekte desselben historischen Prozesses, die getrennt undenkbar sind, da das eine ohne das andere nicht existieren kann.
Das sozialistische Bewusstsein entspringt nicht der ökonomischen Stellung der Arbeiter, es ist keine Widerspiegelung ihrer Bedingungen als Lohnabhängige. Aus diesem Grunde entwickelt sich das sozialistische Bewusstsein nicht simultan und spontan in den Köpfen der Arbeiter oder einzig und allein in ihren Köpfen. Der Sozialismus als Ideologie taucht separat von und parallel zu den ökonomischen Kämpfen der Arbeiter auf. Sie erzeugen einander nicht, obwohl sie sich gegenseitig beeinflussen. Beide sind in der historischen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft verwurzelt.
Die Herausbildung der Klassenpartei in der Geschichte
5. Wenn die Arbeiter nur durch das sozialistische Bewusstsein zu einer „Klasse an sich und für sich“ werden (ein Ausdruck von Marx und Engels), so kann man sagen, dass der Prozess der Konstituierung der Klasse mit dem Prozess der Formierung von Gruppen von revolutionären sozialistischen Militanten identisch ist. Die Partei des Proletariats ist nicht eine Auswahl oder eine „Delegation“ der Klasse, sie ist die Existenz- und Lebensweise der Klasse selbst. Genauso wenig wie man die Materie außerhalb ihrer Bewegung begreifen kann, kann man die Klasse ohne ihre Neigung zur Bildung von politischen Organismen verstehen. „Die Organisation der Proletarier zur Klasse und damit zur politischen Partei“ (Kommunistisches Manifest) ist keine zufällige Formulierung, sondern sie drückt das fundierte Denken von Marx und Engels aus. Ein Jahrhundert an Erfahrung hat meisterlich die Gültigkeit bestätigt, den Begriff der Klasse in dieser Weise zu verstehen.
6. Das sozialistische Bewusstsein wird nicht durch spontane Entstehung erzeugt, sondern reproduziert sich ohne Unterbruch. Und wenn es einmal das Tageslicht erblickt hat, wird es in seinem Gegensatz zur existierenden kapitalistischen Welt zum aktiven Prinzip, das seine eigene Weiterentwicklung durch die Tat bestimmt und beschleunigt. Jedoch wird diese Entwicklung durch die Entwicklung der kapitalistischen Widersprüche geprägt und eingeschränkt. In diesem Sinne ist die These von Lenin über das Bewusstsein, das von der Partei in die Arbeiterklasse injiziert wird, sicherlich exakter als Rosas These über die spontane Entwicklung von Bewusstsein, das im Verlauf einer Bewegung erzeugt wird, die mit den ökonomischen Kämpfen beginnt und im revolutionären sozialistischen Kampf kulminiert. Die „Spontaneitäts“-These birgt trotz ihrer demokratischen Erscheinungsweise im Grunde genommen eine schematische Tendenz, einen rigorosen ökonomischen Determinismus in sich. Sie geht vom Verhältnis zwischen Ursprung und Wirkung aus: Das sozialistische Bewusstsein sei nichts anderes als ein Effekt, das Ergebnis einer vorangegangenen Bewegung, d.h. ökonomischer Kämpfe der Arbeiter. Das sozialistische Bewusstsein ist nach dieser Auffassung etwas grundsätzlich Passives im Verhältnis zu den ökonomischen Kämpfen, die den aktiven Faktor darstellen. Die Auffassung Lenins basiert auf dem sozialistischen Bewusstsein und der Partei, die ihren Charakter als ein wesentlicher aktiver Faktor und Prinzip materialisiert. Sie trennt die Partei nicht vom Leben und der Bewegung, sondern versteht sie als Teil davon.
7. Die grundsätzliche Schwierigkeit der sozialistischen Revolution liegt in dieser komplexen und widersprüchlichen Situation: Einerseits kann die Revolution nur durch die bewusste Tat der großen Mehrheit der Arbeiterklasse gemacht werden, andererseits trifft dieses Bewusstsein auf die Bedingungen, die der Kapitalismus für die Arbeiter schafft und die permanent das Bewusstsein der Arbeiter für ihre revolutionäre historische Mission behindern und zerstören. Diese Schwierigkeit kann niemals unabhängig von der historischen Situation, allein durch die theoretische Propaganda überwunden werden. Aber noch weniger als durch die reine Propaganda kann dieses Problem durch die ökonomischen Kämpfe der Arbeiter gelöst werden. Ihrer eigenen Entwicklung überlassen, können die Kämpfe der Arbeiter gegen die kapitalistische Ausbeutung allenfalls zur Explosion von Revolten führen, d.h. zu negativen Reaktionen, die jedoch vollkommen ungenügend sind für die positive Tat der gesellschaftlichen Transformation, die ihrerseits nur durch das Bewusstsein über die Endziele der Bewegung möglich ist. Dieser Faktor kann nur das politische Element der Klasse sein, das seine theoretische Substanz nicht aus den Eventualitäten und dem Partikularismus der ökonomischen Position der Arbeiter bezieht, sondern aus der Bewegung der Möglichkeiten und den historischen Notwendigkeiten. Nur die Intervention dieses Faktors erlaubt es der Klasse, von der Ebene der rein negativen Reaktion auf die der positiven Aktion zu gelangen, von der Revolte zur Revolution.
8. Aber es wäre absolut verfehlt, die Klasse durch diese Organismen, die Ausdruck des Bewusstseins und der Existenz der Klasse sind, zu ersetzen und die Klasse als eine formlose Masse zu betrachten, die dazu bestimmt ist, als Material für diese politischen Organismen zu dienen. Dies hieße, die revolutionäre Konzeption des Verhältnisses zwischen Sein und Bewusstsein und zwischen Partei und Klasse durch eine militaristische zu ersetzen. Die historische Funktion der Partei ist es nicht, ein Generalsstab zu sein, der die Aktionen einer Klasse anführt, die sowohl des Endziels als auch der unmittelbaren Ziele der Operationen unkundig ist. Dies hieße, ihre Bewegung als eine Summe von Manövern zu betrachten.
Die sozialistische Revolution ist in keiner Weise mit einer militärischen Aktion vergleichbar. Ihre Umsetzung hängt vom Bewusstsein der Arbeiter ab, das ihre Entscheide und Taten diktiert.
Die Partei handelt nicht anstelle der Klasse. Sie beansprucht nicht das „Vertrauen“ im bürgerlichen Sinne des Wortes, mit anderen Worten: sie will nicht das Schicksal und Los der Gesellschaft überantwortet bekommen. Ihre einzige historische Funktion ist es, so zu handeln, dass die Klasse sich das Bewusstsein über ihre Mission, die Ziele und die Mittel aneignen kann, die das Fundament für ihre revolutionäre Tat bilden.
9. So wie wir das Konzept der Partei als Generalstab bekämpfen müssen, der anstelle der Klasse handelt, müssen wir auch das andere Konzept ablehnen, das ausgehend davon, dass „die Befreiung der Arbeiter das Werk der Arbeiter selbst“ sein muss (Inauguraladresse der Ersten Internationale), jegliche Rolle der Militanten und der revolutionären Partei verneint. Unter dem sehr lobenswerten Vorwand, den Arbeitern nicht ihren Willen aufzwingen zu wollen, drücken sich diese Genossen vor ihrer Aufgabe und individuellen Verantwortung und verbannen die Revolutionäre ans hintere Ende der Arbeiterbewegung.
Erstere stellen sich außerhalb der Klasse, in dem sie sie negieren und an deren Stelle handeln, Letztere stellen sich nicht weniger außerhalb der Klasse, indem sie die eigentliche Funktion der Klassenorganisation, d.h. der Partei, verleugnen, die eigene Existenz als revolutionären Faktor verleugnen und sich selbst ausschließen, indem sie sich jegliche eigene Aktion verbieten.
10. Ein korrektes Verständnis der Bedingungen der sozialistischen Revolution muss von folgenden Elementen ausgehen und sie verkörpern:
a) Der Sozialismus ist nur deshalb eine Notwendigkeit, weil die Entwicklung, die die Produktivkräfte erreicht haben, nicht mehr vereinbar ist mit einer in Klassen gespaltenen Gesellschaft.
b) Diese Notwendigkeit kann nur durch den Willen und die bewusste Tat der unterdrückten Klasse Wirklichkeit werden, deren die gesellschaftliche Befreiung einhergeht mit der Befreiung der Menschheit von ihrer Entfremdung von den Produktivkräften, der sie bis anhin unterworfen war.
c) Der Sozialismus, der einerseits objektive Notwendigkeit und andererseits subjektiver Wille ist, kann sich letztendlich nur durch die bewusste revolutionäre Tat ausdrücken.
d) Die revolutionäre Tat ist undenkbar ohne revolutionäres Programm. Die Ausarbeitung des Programms ist ihrerseits untrennbar mit der Tat verbunden. Dies, weil die revolutionäre Partei ein „Körper der Lehre und ein Wille zur Tat“ ist (Bordiga), der die umfassendste Konkretisierung des sozialistischen Bewusstseins und das fundamentale Element zu dessen Realisierung ist.
11. Die Tendenz zur Konstituierung der Partei des Proletariats existiert seit der Geburt der kapitalistischen Gesellschaft. Aber solange die historischen Bedingungen für den Sozialismus nicht genügen entwickelt sind, bleiben die Ideen des Proletariats, wie die Entstehung der Partei, nur in einem embryonalen Stadium. Erst mit dem „Bund der Kommunisten“ tauchte zum ersten Mal diese vollendete Form einer politischen Organisation des Proletariats auf.
Wenn man die Entwicklung der Bildung der Klassenparteien näher betrachtet, sticht sofort die Tatsache ins Auge, dass die Organisierung in Parteien nicht in einem konstanten Fluss fortschreitet, sondern im Gegenteil Zeiten der großen Entwicklung kennt, die von Zeiten abgelöst werden, in denen die Partei verschwindet. Die organische Existenz der Partei hängt also nicht einzig vom Willen der Individuen ab, die diese bilden. Ihre Existenz wird von den objektiven Situationen bestimmt. Die Partei, grundlegend ein Organismus der revolutionären Tat der Klasse, kann nur in Situationen existieren, in denen die Klassenaktion sich entfaltet. Wenn die Bedingungen für die Klassenaktionen fehlen (wie in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Stabilität des Kapitalismus oder in Folge entscheidender Niederlagen der Arbeiterkämpfe) kann die Partei nicht weiter existieren. Sie löst sich organisch auf, oder sie ist, um zu überleben, d.h. um Einfluss auszuüben, gezwungen, sich den neuen Bedingungen anzupassen, die die revolutionäre Tat ausschließen. So füllt sich die Partei unweigerlich mit einem neuen Inhalt. Sie wird reformistisch, das heißt, sie hört auf, Partei der Revolution zu sein.
Marx hat besser als die meisten die Bedingungen der Existenz der Partei verstanden. Zweimal unternahm er die Auflösung einer großen Organisation: Er sprach sich zuerst 1851 – nach der Niederlage der Revolution und dem Triumpf der Reaktion in Europa -, danach 1873 nach der Niederlage der Pariser Kommune ziemlich offen für die Parteiauflösung aus. Das erste Mal war es der Bund der Kommunisten, das zweite Mal die Erste Internationale.
Die Aufgabe der Stunde für die Revolutionäre
12. Die Erfahrung der Zweiten Internationale bestätigt die Unmöglichkeit für das Proletariat, seine Partei in einer länger anhaltenden Periode aufrechtzuerhalten, die von einer nicht-revolutionären Situation geprägt ist. Die Beteiligung der Parteien der Zweiten Internationale am imperialistischen Krieg von 1914 enthüllte nur die lange Korruption der Organisation. Die stets mögliche Durchlässigkeit der politischen Organisation des Proletariats für die Ideologie der herrschenden kapitalistischen Klasse kann in langen Perioden der Stagnation und des Rückflusses des Klassenkampfs einen solchen Umfang annehmen, dass die Ideologie der Bourgeoisie letztendlich die des Proletariats ersetzt, so dass die Partei zwangsläufig von all ihrem Klasseninhalt entleert und zum Instrument der feindlichen Klasse wird.
Die Geschichte der Kommunistischen Parteien der Dritten Internationale hat von neuem die Unmöglichkeit, die Partei in einer Zeit des revolutionären Rückflusses zu retten, und ihre unvermeidliche Degeneration in einer solchen Periode aufgezeigt.
13. Aus diesem Grunde sind Parteigründungen, wie die trotzkistische Internationale seit 1935 und die kürzlich erfolgte Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei in Italien, nicht bloß willkürlich: Sie können darüber hinaus lediglich Unternehmungen der Konfusion und des Opportunismus sein. Anstatt Momente in der Bildung der zukünftigen Klassenpartei zu sein, sind diese Gebilde lediglich Hindernisse und durch ihren karikaturistischen Charakter eine Diskreditierung der Klassenpartei. Weit entfernt davon, die Reifung des Bewusstseins und eine Weiterentwicklung des alten Programms auszudrücken, das sie in Dogmen verwandelt haben, reproduzieren sie nur das alte Programm und sind Gefangene dieser Dogmen. Es ist nicht erstaunlich, wenn diese Gebilde die überholten und rückständigen Positionen der alten Partei übernehmen und diese noch verschlimmern, wie z.B. die Taktik des Parlamentarismus, die Arbeit in den Gewerkschaften usw.
14. Aber der Bruch in der organisatorischen Existenz der Partei bedeutet nicht einen Bruch in der Entwicklung der Klassenideologie. Die revolutionären Rückflüsse verkörpern in erster Linie die Unreife des revolutionären Programms. Die Niederlage ist das Signal für eine kritische Überprüfung der bisherigen programmatischen Positionen und für die Verpflichtung, auf der Grundlage der lebendigen Kampferfahrungen über sie hinaus zu gehen.
Diese positive, kritische Arbeit der programmatischen Weiterentwicklung wird von Organismen weitergeführt, die aus der alten Partei hervorgegangen sind. Sie bilden in der Phase des Rückflusses das aktive Element für die Bildung der zukünftigen Partei in einer neuen Periode des revolutionären Aufschwungs. Diese Organismen sind die linken Gruppen oder Fraktionen der Partei, die nach deren Auflösung oder ideologischen Entfremdung aus ihr hervorgegangen sind. Als da waren: die Fraktion von Marx in der Zeit nach der Auflösung des Bundes bis zur Bildung der Ersten Internationale, die linken Strömungen in der Zweiten Internationale (während des Ersten Weltkrieges), die die neuen Parteien und die Dritte Internationale 1919 gründeten; ebenfalls die linken Fraktionen und Gruppen, die die revolutionäre Arbeit nach der Degeneration der Dritten Internationale fortsetzten. Ihre Existenz und ihre Weiterentwicklung sind die Bedingung zur Bereicherung des Programms der Revolution und zur Neugründung der Partei von morgen.
15. Die alte Partei, einmal in den Dienst des Klassenfeindes übergetreten, hört definitiv auf, ein Milieu zu sein, in dem revolutionäres Gedankengut erarbeitet werden kann und in dem sich Militante des Proletariats formieren. Die Erwartung, dass Strömungen aus der Sozialdemokratie oder aus dem Stalinismus als Material für die Bildung der neuen Klassenpartei dienen könnten, bedeutet, das eigentliche Fundament des Parteigedankens zu ignorieren. Die Anhänglichkeit der Trotzkisten gegenüber den Parteien der Zweiten Internationale oder die verlogene Maulwurfsarbeit in diesen Parteien, mit dem Ziel, in diesem anti-proletarischen Milieu „revolutionäre“ Strömungen zu kultivieren, mit denen sie die neue Partei des Proletariates bilden wollen, demonstriert lediglich, dass sie selbst eine tote Strömung sind, ein Ausdruck der vergangenen Bewegung und nicht der Zukunft.
So wie die neue Partei der Revolution nicht auf der Basis eines durch die Ereignisse überholten Programms gebildet werden kann, kann sie auch nicht mit Elementen aufgebaut werden, die organisch an Organisationen gebunden bleiben, die nie mehr der Arbeiterklasse angehören werden.
16. Die Geschichte der Arbeiterbewegung kannte nie eine düsterere Periode und einen tieferen Rückfluss des revolutionären Bewusstseins als die Gegenwart. Wenn sich die ökonomische Ausbeutung der Arbeiter als absolut ungenügende Bedingung für die Aneignung des Bewusstseins über ihre historische Mission herausstellt, dann zeigt sich damit, dass die Aneignung dieses Bewusstseins viel schwieriger ist, als es sich die revolutionären Militanten bisher vorstellten. Vielleicht muss die Menschheit, damit sich das Proletariat erholen kann, durch die Hölle eines Dritten Weltkriegs gehen, mit all dem Horror einer Welt im Chaos, und das Proletariat fühlbar vor dem sehr handfesten Dilemma stehen: sterben oder sich durch die Revolution retten, damit es die Bedingungen hat, um sich selbst und sein Bewusstsein zu erholen.
17. Es ist nicht das Ziel dieser Thesen, die genauen Bedingungen herauszuarbeiten, die die Bewusstseinsentwicklung des Proletariats ermöglichen. Auch wollen wir nicht der Frage nachgehen, was die Bedingungen zur Bildung der Einheitsorganisationen sind, die sich das Proletariat für seinen revolutionären Kampf schaffen wird. Was wir auf der Grundlage der Erfahrungen der letzten dreißig Jahre kategorisch sagen können, ist, dass weder die ökonomischen Forderungen noch die ganze Palette der so genannten „demokratischen“ Forderungen (Parlamentarismus, Selbstbestimmungsrecht der Völker usw.), für die historische Tat des Proletariates von Nutzen ist. Was die Organisationsformen angeht, erscheint es noch klarer, dass es nicht die Gewerkschaften mit ihren vertikalen, berufsständischen und korporatistischen Strukturen sein können. All diese Organisationsformen gehören der Vergangenheit der Arbeiterbewegung an und werden ins Museum verbannt werden. Doch sie müssen auch in der Praxis abgeschafft und überwunden werden. Die neuen Organisationen werden einen Einheitscharakter haben, das heißt, den Großteil der Arbeiterklasse einbeziehen und die Trennung durch partikularistische, berufliche Interessen überwinden. Ihr Fundament ist die gesellschaftliche Ebene, ihre Struktur die Örtlichkeit. Die Arbeiterräte, wie sie ab 1917 in Russland und 1918 in Deutschland entstanden waren, sind der neue Typus der Einheitsorganisation der Klasse. In diesem Typus von Arbeiterräten und nicht in einer Auffrischung der Gewerkschaften werden die Arbeiter die geeignetste Form der Organisation finden.
Doch was auch immer die neuen Einheitsorganisationsformen der Klasse sind, sie ersetzen keineswegs die Notwenigkeit eines politischen Organismus, der die Partei ist, und auch nicht die entscheidende Rolle, die diese zu spielen hat. Die Partei bleibt der bewusste Teil der Klassenaktion. Sie ist die unabdingbare ideologische Antriebskraft für die revolutionäre Tat der Arbeiterklasse. In der gesellschaftlichen Aktion spielt sie eine vergleichbare Rolle wie die Energie in der Produktion. Der Wiederaufbau dieses Klassenorganismus hängt vom Erscheinen einer Tendenz innerhalb der Arbeiterklasse ab, mit der kapitalistischen Ideologie zu brechen und sich praktisch im Kampf gegen das bestehende System zu engagieren, wobei dieser Wiederaufbau gleichzeitig eine Bedingung für die Beschleunigung und Vertiefung dieses Kampfes und die entscheidende Bedingung für dessen Erfolg ist.
18. Das Fehlen der für den Aufbau der Partei erforderlichen Bedingungen in der heutigen Periode sollte nicht zum Schluss führen, dass jede unmittelbare Aktivität der revolutionären Militanten unnütz oder unmöglich ist. Der Militante hat nicht zu wählen wischen dem heiligen „Aktivismus“ des Parteiaufbaus und der individuellen Isolation, zwischen Abenteurertum und machtlosem Pessimismus, sondern er muss beide als dem revolutionären Geist gleichermaßen feindlich gesinnte Haltungen und als eine Gefahr für die Revolution bekämpfen. Wir müssen sowohl die voluntaristische Konzeption der militanten Aktion, die als alleiniger Faktor präsentiert wird, der die Klassenbewegung determiniert, als auch die schematische Parteiauffassung zurückweisen, die eine bloße passive Widerspiegelung der Bewegung ist. Militante müssen ihre Tätigkeit als ein Faktor verstehen, der im Zusammenspiel mit anderen Faktoren die Klassenaktion bedingt und bestimmt. Diese Auffassung verschafft das Fundament für die Notwendigkeit und den Wert der Aktivitäten des Militanten und setzt gleichzeitig die Grenzen seiner Möglichkeiten und seines Einflusses. Die Aktivitäten an die Bedingungen der gegenwärtigen Zeit anzupassen ist das einzige Mittel, diese Aktivitäten effizient und fruchtbar zu gestalten.
19. Der Versuch, die neue Klassenpartei trotz aller ungünstigen objektiven Umstände in aller Hast und um jeden Preis aufzubauen, entspringt einem voluntaristischen und infantilen Abenteurertum und einer falschen Einschätzung der Situation und ihrer unmittelbaren Perspektiven. Es ist schlussendlich eine völlige Unkenntnis über die Rolle der Partei und über das Verhältnis zwischen Partei und Klasse. Diese Versuche sind also fatalerweise zum Scheitern verurteilt; ihnen gelingt es bestenfalls lediglich, opportunistische Gruppierungen zu schaffen, die im Kielwasser der großen Parteien der Zweiten und Dritten Internationalen dümpeln. Ihre Existenz wird fortan allein durch die Entwicklung eines Geistes einer Kapelle und Sekte gerechtfertigt.
So sind alle diese Organisationen in ihrer positiven Einstellung durch ihren unmittelbaren „Aktivismus“ nicht nur gefangen in den Zahnrädern des Opportunismus, sie produzieren in ihrer negativen Einstellung einen kleinkrämerischen Geist, der für eine Sekte typisch ist, ein Kirchturmpatriotismus ,wie auch eine ängstliche und abergläubische Anhänglichkeit an „Führer“, eine Karikatur der größeren Organisationen, eine Vergötterung von Organisationsregeln und eine Unterwerfung unter eine „freiwillige“ Disziplin, die in umgekehrter Proportionalität zu den Zahlen, die sie repräsentieren, noch tyrannischer und intoleranter wird.
Durch diesen doppelseitigen Charakter führt die willkürliche und verfrühte Bildung der Partei zur Negation des Aufbaus des politischen Organismus der Klasse, zur Zerstörung der Kader und über kurz oder lang zum unweigerlichen Verlust von Militanten, die verbraucht, ausgezehrt, ins Nichts gefallen und völlig demoralisiert sind.
20. Das Verschwinden der Partei - sei es durch ihre Schrumpfung und ihre organisatorische Verlagerung, wie es bei der Ersten Internationale der Fall war, sei es durch den Übertritt in den Dienst des Kapitalismus, wie bei den Parteien der Zweiten und Dritten Internationale - drückte jeweils das Ende einer Periode von revolutionären Kämpfen des Proletariats aus. Das Verschwinden der Partei ist also unvermeidlich, und weder der Voluntarismus noch die Präsenz eines mehr oder weniger brillanten Führers kann dies vermeiden.
Marx und Engels haben zweimal erlebt, wie die Organisation des Proletariats, in deren Leben sie beide eine wichtige Rolle gespielt hatten, zerbrach und starb. Lenin und Luxemburg mussten ohnmächtig dem Verrat der großen sozialdemokratischen Parteien zuschauen. Trotski und Bordiga konnten die Degeneration der Kommunistischen Parteien und ihre Umwandlung in monströse Apparate des Kapitalismus, wie wir sie seither kennen, nicht aufhalten.
Diese Beispiele zeigen uns nicht, dass die Partei etwas Sinnloses ist, so wie es etwa eine oberflächliche und fatalistische Analyse behaupten würde, sondern nur dass die notwendige Klassenpartei nicht auf der Basis einer einheitlich geradlinigen und ansteigenden Linie existiert, dass ihre eigentliche Existenz nicht immer möglich ist und dass ihre Entwicklung und ihre Existenz in einem Zusammenhang und in enger Verbindung mit dem Klassenkampf des Proletariats steht, der sie hervorbringt und dessen Ausdruck sie ist. Daher hat der Kampf der revolutionären Militanten innerhalb der Partei im Verlauf ihrer Degeneration und vor ihrem Tod als Arbeiterpartei eine revolutionäre Bedeutung, aber nicht die vulgäre Bedeutung, die ihr von den verschiedenen trotzkistischen Oppositionen verliehen wurde. Für Letztere geht es darum, die Partei aufzurichten, und dafür durfte die Organisation und ihre Einheit nicht gefährdet werden. Es geht für sie darum, die Organisation in ihrer alten Pracht zu erhalten, auch wenn die objektiven Bedingungen dies nicht mehr erlauben und wenn die ursprüngliche Pracht der Organisation nur noch zum Preis einer konstanten und wachsenden Veränderung ihres revolutionären Klassencharakters aufrechterhalten konnte. Sie suchen in organisatorischen Maßnahmen nach Heilmitteln, um die Organisation zu retten, ohne zu verstehen, dass der organisatorische Zusammenbruch stets die Widerspiegelung einer Periode des revolutionären Rückflusses ist und oft die bessere Lösung als das Überleben darstellt. Was die Revolutionäre zu retten haben, ist nicht die Organisation, sondern ihre Klassenideologie, die mit der Organisation unterzugehen droht.
Wenn man die objektiven Gründe für den unvermeidlichen Verlusts der alten Partei nicht versteht, dann begreift man auch die Aufgabe der Militanten in dieser Periode nicht. Einige kommen zu dem Schluss, dass, weil es ihnen nicht gelungen war, die alte Klassenpartei zu schützen, es notwendig sei, geradewegs eine neue auf die Beine zu stellen. Ein solches Unverständnis kann, basierend auf einer voluntaristischen Konzeption der Partei, nur im Abenteurertum enden.
Eine richtige Analyse der Realität macht deutlich, dass der Tod der alten Partei exakt die Unmöglichkeit eines sofortigen Wiederaufbaus der Partei beinhaltet; sie bedeutet, dass die notwendigen Bedingungen für die Existenz jeglicher Partei, ob alte oder neue, gegenwärtig nicht existieren.
In einer solchen Periode können nur kleine revolutionäre Gruppen überleben, die die weniger organisatorische als ideologische Kontinuität sicherstellen. Diese Gruppen konzentrieren in sich die vergangenen Erfahrungen des Klassenkampfes und schaffen eine Verbindung zwischen den Parteien von gestern und jenen von morgen, zwischen dem Höhepunkt der Kämpfe und der Reifung des Klassenbewusstseins in einer Zeit des Aufschwungs sowie ihre Wiederauferstehung auf einer höheren Stufe in einer neuen Aufschwungperiode in der Zukunft. In diesen Gruppen lebt die Ideologie der Klasse fort durch die Selbstkritik ihrer Kämpfe, die kritische Überprüfung ihrer vergangenen Ideen, die Ausarbeitung ihres Programms, die Reifung ihres Bewusstseins und die Bildung neuer Kader, neuer Militanter für die nächste Stufe des revolutionären Sturmlaufs.
21. Die gegenwärtige Periode, in der wir leben, ist einerseits das Produkt der Niederlage der ersten großen revolutionären Welle des internationalen Proletariats, die den ersten imperialistischen Weltkrieg beendet hat und ihren Höhepunkt in der Oktoberrevolution von 1917 in Russland und der spartakistischen Bewegung von 1918-19 in Deutschland erreichte, und andererseits das Produkt einer tiefgreifenden Transformation in der polit- ökonomischen Struktur des Kapitalismus, der sich auf seine ultimative und dekadente Form hin entwickelt: den Staatskapitalismus. Überdies existiert ein dialektisches Verhältnis zwischen dieser Entwicklung des Kapitalismus und der Niederlage der Revolution.
Trotz ihres heroischen Kampfgeistes, trotz der permanenten und unüberwindbaren Krise des kapitalistischen Systems und der beispiellosen Verschlimmerung der Lebensbedingungen der Arbeiter, konnte die Arbeiterklasse und ihre Avantgarde der Gegenoffensive des Kapitalismus nicht die Stirn bieten. Sie standen nicht mehr dem klassischen Kapitalismus gegenüber und wurden von seinen Transformationen überrascht, die sie vor Probleme stellten, auf die sie weder theoretisch noch politisch vorbereitet waren. Das Proletariat und seine Avantgarde, die lange Zeit und häufig den Kapitalismus mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln und den Sozialismus mit der Verstaatlichung gleichgesetzt hatten, wurden von den Tendenzen des modernen Kapitalismus zu staatlicher Konzentration und Wirtschaftsplanung verwirrt und desorientiert. Die große Mehrheit der Arbeiter wurde mit der Vorstellung zurückgelassen, dass diese Entwicklung eine neue gesellschaftliche Transformation vom Kapitalismus zum Sozialismus darstelle. Sie begannen diese Idee zu verinnerlichen, kehrten ihrer historischen Mission den Rücken und wurden die unerschütterlichsten Anhänger der kapitalistischen Gesellschaft.
Dies sind die historischen Gründe, die die gegenwärtige Physiognomie der Arbeiterklasse formen. So lange diese Bedingungen bestehen, solange die staatskapitalistische Ideologie die Köpfe der Arbeiterklasse dominieren, kann es nicht um den Wiederaufbau der Klassenpartei gehen. Nur durch den Verlauf der blutigen Katastrophen, die die Phase des Staatskapitalismus auszeichnen, wird das Proletariat den Unterschied zwischen dem befreienden Sozialismus und dem heutigen monströsen staatskapitalistischen Regime erkennen; nur so wird es eine wachsende Fähigkeit entwickeln, sich selbst von dieser Ideologie zu lösen, die es gegenwärtig und vernichtet. Nur dann wird der Weg wieder offen sein für „die Organisierung des Proletariats als Klasse und damit als politische Partei“. Diese Stufe wird umso schneller erreicht werden, wenn die revolutionären Kerne die notwendige theoretische Anstrengung unternommen haben, die benötigt werden, um auf die neuen Probleme, die durch den Staatskapitalismus gestellt werden, zu antworten und dem Proletariat helfen, seine Klassenlösung und die Mittel zu ihrer Durchsetzung zu finden.
22. In der gegenwärtigen Periode können die revolutionären Militanten nur durch die Bildung kleiner Gruppen überleben, die eine geduldige Propagandaarbeit in einem zwangsläufig limitierten Rahmen ausüben und gleichzeitig unermüdliche Anstrengungen der Untersuchung und theoretischen Klärung unternehmen.
Diese Gruppen werden ihre Aufgabe nur erfüllen können, wenn sie auf der Basis von Kriterien, die durch die Klassengrenzen bestimmt sind, national und international den Kontakt zu anderen Gruppen suchen. Nur diese Kontakte und ihre Vermehrung, mit dem Ziel, Positionen gegenüberzustellen und Probleme zu klären, ermöglichen es den Gruppen und Militanten, physisch und politisch dem schrecklichen Druck des Kapitalismus in der gegenwärtigen Periode zu widerstehen und einen echten Beitrag zum Emanzipationskampf des Proletariats zu leisten.
Die Partei von Morgen
23. Die Partei wird keine einfache Wiederholung der Partei von Gestern sein. Sie kann nicht nach dem alten Modell aus der Vergangenheit wiedererbaut werden. So wie ihr Programm, gründen sich auch ihre organische Struktur und das Verhältnis, das sie zwischen sich selbst und der Gesamtheit der Klasse etabliert hat, auf einer Synthese der vergangenen Erfahrungen und den neuen, fortgeschrittenen Bedingungen der gegenwärtigen Stufe. Die Partei folgt der Evolution des Klassenkampfes und entspricht auf jeder Stufe der Geschichte des Letzteren einer besonderen Form des politischen Organismus des Proletariats.
In den Anfängen des modernen Kapitalismus, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, unternahm die Arbeiterklasse, die sich noch in ihrer Phase der Konstituierung befand, sporadische und lokale Kämpfe und konnte nur doktrinäre Denkschulen, Sekten und Bündnisse hervorbringen. Der Bund der Kommunisten war der fortschrittlichste Ausdruck dieser Periode, während sein Kommunistisches Manifest mit dem Aufruf: „Proletarier aller Länder – Vereinigt Euch!“ bereits ein Vorbote der kommenden Periode war.
Die Erste Internationale entsprach dem wirkungsvollen Auftritt des Proletariats auf der Bühne der sozialen und politischen Kämpfe in den wichtigsten Ländern Europas. So sammelte sie alle organisierten Kräfte der Arbeiterklasse mit all ihren unterschiedlichen ideologischen Strömungen. Die erste Internationale brachte alle Strömungen und alle anfälligen Aspekte des Klassenkampfes zusammen: ökonomisch, erzieherisch, politisch und theoretisch. Sie war der Gipfel der Einheitsorganisation der Arbeiterklasse in all ihrer Vielfalt.
Die Zweite Internationale markierte eine Stufe der Differenzierung zwischen den ökonomischen Kämpfen der Lohnarbeiter und dem gesellschaftspolitischen Kampf. In dieser Periode, als die kapitalistische Gesellschaft in voller Blüte stand, war die Zweite Internationale die Organisation des Kampfes für Reformen und für politische Eroberungen für die politische Bestätigung des Proletariats. Gleichzeitig markierte sie eine höhere Stufe in der ideologischen Abgrenzung des Proletariats durch die Klärung und Erarbeitung der theoretischen Grundlagen seiner revolutionären historischen Mission.
Der Erste Weltkrieg offenbarte die historische Krise des Kapitalismus und leitete die Epoche seines Niedergangs ein. Die sozialistische Revolution entwickelte sich von der theoretischen Ebene zu einer praktischen Demonstration. In der Hitze der Ereignisse hat sich das Proletariat gewissermaßen gezwungen gesehen, in aller Eile seine revolutionäre Kampforganisation zu gründen. Der monumentale programmatische Beitrag der ersten Jahre der Dritten Internationale erwies sich dennoch als unzureichend, um den riesigen Problemen zu begegnen, die durch diese letzte Phase des Kapitalismus und durch die Aufgaben der revolutionären Transformation gestellt wurden. Gleichzeitig zeigten die lebendigen Erfahrungen schnell die allgemeine ideologische Unreife der gesamten Klasse. Angesichts dieser beiden Gefahren und unter dem Druck der Ereignisse, die sich in schneller Abfolge häuften, blieb der Dritten Internationale nichts anderes übrig, als mit organisatorischen Maßnahmen zu reagieren: eiserne Disziplin der Militanten, etc.
Dieser organisatorische Aspekt musste die Unvollständigkeit des Programms wettmachen und die Partei die Unreife der Klasse. Infolgedessen endete die Partei damit, die Klassenaktion selbst zu ersetzen, mit dem Resultat, dass sich die Vorstellungen über die Partei und ihr Verhältnis zur Klasse wandelten.
24. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen wird die zukünftige Partei auf der Wiederherstellung dieser Wahrheit gegründet werden: Wenn es in der Revolution ein organisatorisches Problem gibt, so ist das kein Problem der Organisation selbst. Die Revolution ist in erster Linie ein ideologisches Problem der Reifung des Bewusstseins in den breiten Massen des Proletariats.
Keine Organisation und keine Partei kann die Klasse selbst ersetzten, und mehr denn je zuvor gilt: „Die Befreiung der Arbeiter kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein.“ Die Partei, die die Kristallisierung des Klassenbewusstseins ist, ist weder unterschiedlich von noch synonym mit der Klasse. Die Klassenpartei bleibt zwangsläufig eine kleine Minderheit; sie hat keine Ambition, eine numerisch große Kraft zu sein. In keinem Moment kann sie sich von der lebendigen Tat der Klasse trennen, noch kann sie diese ersetzen. Ihre Funktion ist nach wie vor die ideologische Inspiration innerhalb der Bewegung und der Klassenaktion.
25. Während der aufständischen Periode der Revolution besteht die Rolle der Partei weder darin, die Macht für sich einzufordern, noch darin, die Massen aufzurufen, der Partei zu „vertrauen“. Sie interveniert und entfaltet ihre Aktivitäten zugunsten der Selbstorganisierung der Klasse, innerhalb derer sie den Triumph ihrer Prinzipien und der Mittel für die revolutionäre Tat anstrebt.
Die Mobilisierung der Klasse rund um die Partei, der sie die Führung „anvertraut“ oder die sie vielmehr in die Wüste schickt, ist ein Konzept, das einen Zustand der Unreife der Klasse widerspiegelt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es für die Revolution unter solchen Umständen unmöglich ist, zu siegen, und schnell degeneriert, was in einer Trennung der Klasse und der Partei resultiert. Letztere sieht sich veranlasst, mehr und mehr zu Zwangsmethoden zu greifen, um sich gegen die Klasse selbst durchzusetzen, und endet als ein großes Hindernis gegen den Vormarsch der Revolution.
Die Partei ist keine Organisation der Leitung und Ausführung; diese Funktionen gehören zur Einheitsorganisation der Klasse. Falls Militante der Partei an diesen Funktionen teilnehmen, übernehmen sie diese Aufgaben als Mitglieder der größeren Gemeinschaft des Proletariats.
26. In der post-revolutionären Periode, in der Periode der Diktatur des Proletariats, wird die Partei nicht die Einheitspartei sein, wie es das klassische Markenzeichen totalitärer Regimes ist. Letztere wird charakterisiert durch ihre Identifikation mit und Assimilierung in der Staatsmacht, die ihnen das Monopol überträgt. Im Gegensatz dazu zeichnet sich die Klassenpartei des Proletariats dadurch aus, dass sie sich vom Staat unterscheidet, der ihre historische Antithese ist. Die totalitäre Einheitspartei tendiert dazu, sich aufzublähen und Millionen von Individuen zu einzuverleiben, was ein physisches Element ihrer Dominanz und Unterdrückung ist. Ganz im Gegenteil dazu bleibt die Partei des Proletariats von Natur aus eine strenge ideologische Auswahl, deren Militante keine materiellen oder sozialen Vorteile zu erlangen oder zu verteidigen haben. Ihr Privileg besteht lediglich darin, zu den klarsten Kämpfern zu gehören, der revolutionäre Sache am stärksten verpflichtet zu sein. So beabsichtigt die Partei nicht, eine große Anzahl von Militanten aufzunehmen, weil, wenn ihre Ideologie zur Ideologie größerer Massen wird, die Notwendigkeit für ihre eigene Existenz zu verschwinden tendiert und die Stunde ihre Auflösung geschlagen hat.
Das interne Regelwerk der Organisation
27. Die organisatorischen Regeln, die das interne Regelwerk der Partei begründen, sind genauso entscheidend wie ihr programmatischer Inhalt. Die vergangenen Erfahrungen, im speziellen die Erfahrungen der Parteien der Dritten Internationale, haben gezeigt, dass die Parteiauffassung aus einem einheitlichen Ganzen zusammensetzt. Organisationsregeln sind ein Aspekt und Ausdruck dieser Konzeption. Die Frage der Organisation ist nicht zu trennen von der Vorstellung, die man von der Rolle und Funktion der Partei und von ihrer Beziehung zur Klasse hat. Keine dieser Fragen existiert an sich, stattdessen bringen sie Elemente zusammen, die ein begründendes Element und Ausdruck des Ganzen sind.
Die Parteien der Dritten Internationale hatten die Regeln oder die innere Ordnung, die sie hatten, weil sie in einer Zeit der offensichtlichen Unreife der Klasse errichtet wurden, die zur Substitution durch die Partei statt der Klasse, zur Organisation statt zum Bewusstsein, zur Disziplin statt zur Überzeugung führte.
Die organisatorischen Regeln der zukünftigen Partei werden sich also auf einer sehr unterschiedlichen Konzeption der Rolle der Partei auf einer weitaus fortgeschritteneren Stufe des Kampfes stützen, basierend auf einer viel größeren ideologischen Reife der Klasse.
28. Die Frage des demokratischen oder organischen Zentralismus, die einen wichtigen Platz in der Dritten Internationale eingenommen hat, hat ihre Relevanz für die zukünftige Partei verloren. Als die Klassenaktion sich auf die Aktion der Partei verließ, musste die Frage der maximalen praktischen Effizienz zwangsläufig die Partei dominieren und konnte darüber hinaus nur Teillösungen anbieten.
Die Wirksamkeit der Aktion der Partei liegt nicht in der praktischen Tätigkeit der Führung und Ausführung, sondern in ihrer ideologischen Aktion. Folglich liegt die Stärke der Partei nicht in der Unterwerfung ihrer Militanten unter die Disziplin, sondern in ihren Kenntnissen, in ihrer größeren ideologischen Entwicklung und in ihrer festen Überzeugung.
Die Regeln der Organisation kommen nicht von abstrakten Auffassungen, die auf den Sockel immanenter oder unanfechtbarer Prinzipien gehoben werden, seien sie demokratisch oder zentralistisch. Solche Prinzipien sind ohne Bedeutung. Wenn mangels einer geeigneteren Methode die Regelung von Entscheidungen der („demokratischen“) Mehrheit aufrechterhalten bleiben muss, bedeutet das auf keinen Fall, dass die Mehrheit per Definition das Monopol auf die Wahrheit und die richtigen Positionen besitzt. Eine richtige Position rührt von der größten Kenntnis des Objektes, vom höchstmöglichen Realitätsbezug her.
Die internen Regeln der Organisation müssen also mit ihren Zielen und so mit der Rolle der Partei korrespondieren. Wie wichtig auch immer die Effizienz ihrer praktischen unmittelbaren Aktion sein mag, die die Grundlage bieten kann, um eine größere Disziplin auszuüben, sie bleibt dennoch weniger wichtig als das maximale Gedeihen der Ansichten seiner Militanten und ist folglich diesem untergeordnet.
So lange wie die Partei ein Schmelztiegels bleibt, in dem die Klassenideologie entwickelt und vertieft wird, darf ihr Leitprinzip nicht nur die größtmögliche Gedankenfreiheit und die Vielfalt an Meinungen im Rahmen der ihrer programmatischen Prinzipien sein: Eine noch größere Sorge sollte sein, pausenlos das Feuerwerk der Gedanken aufrechtzuerhalten und zu erleichtern, indem die Mittel zur Diskussion und Konfrontation von Ideen und Tendenzen innerhalb der Organisation gestellt werden.
29. Betrachten wir die Konzeption der Partei von diesem Standpunkt aus, so liegt ihr nichts ferner als die monströse Vorstellung einer homogenen, monolithischen oder monopolistischen Partei.
Die Existenz von Tendenzen und Fraktionen innerhalb der Partei ist nicht nur etwas, das toleriert werden sollte, ein Recht, das einem zusteht, und damit Gegenstand der Diskussion.
Ganz im Gegenteil, die Existenz von Strömungen innerhalb der Partei ist – im Rahmen der erworbenen und verifizierten Prinzipien – eine der Manifestationen einer gesunden Konzeption der Idee der Partei.
Marco. Juni 1948