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1923: Die Bourgeoisie will der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage beifügen
Wir haben in den vorherigen Artikeln gesehen, wie nach dem Erreichen des Höhepunktes der revolutionären Welle 1919 das Proletariat in Russland isoliert blieb. Während die Komintern gegenüber dem Rückflussß der Welle durch eine opportunistische Kehrtwende zu reagieren versuchte, dadurch ihre Degenerierung einleitete, verselbständigte sich der russische Staat zunehmend gegenüber der Klassenbewegung und versuchte, die Komintern verstärkt in seinen Dienst zu stellen.
Gleichzeitig spürte die Bourgeoisie, nachdem sie den Bürgerkrieg gegen Russland beendet hatte, dass nicht mehr die gleiche Gefahr von der Arbeiterklasse in Russland ausging und dass international die Welle von Kämpfen rückläufig war. Sie hatte bemerkt, dass die Komintern nicht mehr mit aller Kraft die Sozialdemokratie bekämpfte, ja, statt dessen sich gar mit ihr durch Einheitsfronten zu verbünden suchte. Instinktiv erkannte die bürgerliche Klasse, dass der russische Staat nicht mehr nach Ausdehnung der Revolution strebte, sondern zu einer Kraft geworden war, die nach einem eigenständigen Platz als Staat suchte, wie es die Konferenz von Rapallo hatte deutlich werden lassen. Die Bourgeoisie spürte, dass sie gegen die Arbeiterklasse eine internationale Offensive einleiten konnte, deren Schwerpunkt in Deutschland liegen sollte.
Neben Russland 1917 war die Arbeiterklasse in Deutschland und Italien am weitesten gegangen. Trotz der Niederlagen im Frühjahr 1920 nach der Abwehr des Kapp-Putsches und selbst nach den Märzkämpfen 1921 zeigte sich die Arbeiterklasse in Deutschland immer noch kämpferisch, aber international war sie relativ isoliert. Während die Arbeiter in Österreich, Ungarn und Italien bereits besiegt waren und sich massiven Angriffen ausgesetzt sahen, und das Proletariat Deutschlands, Polens und Bulgariens zu verzweifelten Reaktionen getrieben wurde, blieb die Lage in Frankreich und Großbritannien vergleichsweise stabil.
Bei ihrem Vorhaben, der Arbeiterklasse in Deutschland eine entscheidende Niederlage beizufügen und somit die ganze internationale Arbeiterklasse zu schwächen, konnte die Bourgeoisie mit der internationalen Unterstützung der gesamten Kapitalistenklasse rechnen. Zudem hatte sie sich gleichzeitig durch die Integration der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften in den Staatsapparat beträchtlich verstärken können.
1923 versuchte die Bourgeoisie, die Arbeiterklasse in eine nationalistische Falle zu locken, in der Hoffnung, sie so von ihrem Kampf gegen den Kapitalismus abzulenken.
Die verheerende Politik der KPD: Schutz der Demokratie und Einheitsfront
Wir haben in früheren Artikeln aufgezeigt, wie die KPD sich durch den Ausschluss der ‘Linksradikalen’, die später die KAPD gründeten, selbst schwächte und dadurch die Tür zum Opportunismus weit öffnete.
Während die KAPD vor den Gefahren des Opportunismus und der Degenerierung der Komintern sowie vor dem Staatskapitalismus in Russland warnte, reagierte die KPD opportunistisch. Sie war es, die 1921 in einem „Offenen Brief an die Arbeiterparteien“ als erste Partei zu einer Einheitsfront aufrief.
„Der Kampf um die Einheitsfront führt zur Eroberung der alten proletarischen Klassenorganisationen (Gewerkschaften, Genossenschaften usw.). Er verwandelt die durch die Taktik der Reformisten zu Werkzeugen der Bourgeoisie gewordenen Organe der Arbeiterschaft wieder in Organe des proletarischen Klassenkampfes.“
Und das, obwohl die Gewerkschaften selbst mit Stolz bekannt hatten: „Aber die Tatsache, dass die Gewerkschaften der einzige, feste Damm sind, der Deutschland bisher vor der bolschewistischen Flut geschützt hat, bleibt bestehen!“ (Korrespondenzblatt der Gewerkschaften, Juni 1921) Der KPD-Gründungsparteitag hatte sich nicht getäuscht, als er mit der Stimme Rosa Luxemburgs erklärte: „Die offiziellen Gewerkschaften haben sich im Verlaufe des Krieges und in der Revolution bis zum heutigen Tage als eine Organisation des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Klassenherrschaft gezeigt.“ Nun jedoch trat man für die Rückverwandlung der zum Klassenfeind übergelaufenen Organe in Arbeiterorgane ein.
Gleichzeitig plädierte die KPD-Führung unter Brandler für eine Einheitsfront von Oben, also mit der SPD-Führung. Dieser Ausrichtung stellte sich der Flügel um Fischer und Maslow mit der Losung der ‚Arbeiterregierung‘ innerhalb der KPD entgegen. Er meinte, die Losung der ‘Arbeiterregierung’ ebenso wie „die Unterstützung der sozialdemokratischen Minderheitsregierung (bedeutet) (...) nicht ein Weitertreiben der Zersetzung der SPD“, sie fördere „die Illusionen der Massen, als ob das sozialdemokratische Kabinett eine Machtposition der Arbeiterklasse wäre“; „es heiße die KPD zu liquidieren, wolle man der SPD als Partei zugestehen, dass sie revolutionär kämpfen könne“.
Aber vor allem die gerade entstandenen Strömungen der Kommunistischen Linken in Deutschland und in Italien wandten sich gegen diese Politik der Einheitsfront.
„Was die Arbeiterregierung angeht, fragen wir: Warum will man sich mit den Sozialdemokraten verbünden? Um nur das zu machen, was sie zu machen verstehen, was sie können und wollen, oder um sie zu aufzufordern, das zu machen, was sie nicht vermögen, nicht können und nicht wollen? Erwartet man von uns, dass wir den Sozialdemokraten sagen, wir seien bereit, mit ihnen zusammenzuarbeiten, gar im Parlament und gar in dieser Regierung, die man als ‘Arbeiterregierung’ bezeichnet? In diesem Fall, d.h. wenn man von uns verlangt, dass wir im Namen der Kommunistischen Partei ein Projekt der Arbeiterregierung erarbeiten, an dem sich die Kommunisten und Sozialdemokraten beteiligen sollten, und diese Regierung den Massen als eine ’anti-bürgerliche Regierung’ präsentieren, entgegnen wir: Wir übernehmen die volle Verantwortung für unser Handeln, denn solch eine Haltung steht im völligen Gegensatz zu den Grundprinzipien des Kommunismus.“ (Il Comunista, 26.3.1922)
Auf dem 4. Kongress „akzeptierte die KP Italiens somit nicht, sich an gemeinsamen Organen mit verschiedenen politischen Organisationen zu beteiligen (...) Sie vermied es auch, gemeinsame Erklärungen mit politischen Parteien zu verabschieden, wenn diese Erklärungen im Widerspruch zu ihrem Programm standen und der Arbeiterklasse als das Ergebnis von Verhandlungen dargestellt wurden, die darauf abzielten, eine gemeinsame Linie zu finden (...) Von Arbeiterregierung zu sprechen (....) heißt, in der Praxis das politische Programm des Kommunismus zu verwerfen, d.h. die Notwendigkeit, die Massen auf den Kampf für die Diktatur des Proletariats vorzubereiten.“ (Bericht der KPI auf dem 4. Kongress der Kommunistischen Internationale, Nov. 1922)
Ungeachtet dieser Kritik der Linkskommunisten bot schon im November 1922 die KPD entgegen dem Votum der Komintern der SPD in Sachsen eine Koalition an.
Die gleiche KPD, die es auf ihrer Gründungskonferenz Anfang 1919 noch abgelehnt hatte, „mit den Handlangern der Bourgeoisie, mit den Scheidemann-Ebert die Regierungsgewalt zu teilen, weil er (der Spartakusbund) in einer solchen Zusammenwirkung einen Verrat an den Grundsätzen des Sozialismus, eine Stärkung der Gegenrevolution und eine Lähmung der Revolution erblickt“, trat nun für das exakte Gegenteil ein.
Zudem ließ die KPD sich von den in den Parlamentswahlen errungenen Stimmenanteil blenden, als sie glaubte, diese Stimmen würden das tatsächliche Kräfteverhältnis oder gar einen entsprechenden Einfluss der Partei zum Ausdruck bringen.
Die ersten faschistischen Gruppierungen rekrutierten sich bereits aus Mittelstand und der Kleinbourgeoisie, etliche rechtsradikale Wehrgruppen fingen, meist mit Kenntnis des Staates, an, Militärübungen abzuhalten. Der Großteil dieser Gruppen war direkt aus den Freikorps hervorgegangen, die die SPD-geführte Regierung 1918-1919 als Antwort auf die revolutionären Kämpfe der Arbeiter aufgestellt hatte. Schon am 31. August 1921 hatte die Rote Fahne erklärt, dass „die Arbeiterschaft das Recht und die Pflicht hat, den Schutz der Republik vor der Reaktion zu übernehmen...“. Ein Jahr später, im November 1922, unterzeichnete die KPD ein Abkommen mit den Gewerkschaften und der SPD (‘Berliner Abkommen’), das die „Demokratisierung der Republik“ (Republikschutzgesetz, Entfernung der Reaktionäre aus Verwaltung, Justiz und Armee) anstrebte. Damit verstärkte die KPD die Illusionen der Arbeiter über die bürgerliche Demokratie und stellte sich in direkten Gegensatz zu den Positionen der Italienischen Linken um Bordiga, die auf dem 4. Weltkongress im November 1922 in ihrer Analyse des Faschismus betonte, dass die bürgerliche Demokratie nur die Maske der Diktatur der Bourgeoisie sei.
In einem früheren Artikel haben wir bereits hervorgehoben, dass die Komintern insbesondere in der Person Radeks ihre Kritik an der Politik der KPD nicht den Statuten entsprechend vortrug und der KPD-Führung oft dadurch in den Rücken fiel, indem sie parallel zu ihr fungierte. Zudem drangen immer mehr kleinbürgerliche Umgangsformen in die Partei ein. Eine Stimmung des Misstrauens und der Verdächtigungen machte sich breit, anstatt durch brüderliche Kritik, wo notwendig, eine Stärkung der Organisation herbeizuführen[1].
Die herrschende Klasse spürte, dass die KPD dabei war, Verwirrung in der Arbeiterklasse zu stiften, statt durch Klarheit und Entschlossenheit eine echte Führungsrolle zu übernehmen. Die herrschende Klasse ahnte, dass sie die opportunistische Haltung der KPD noch gegen die Arbeiterklasse einsetzen konnte.
Mit dem Abebben der revolutionären Welle eine Zuspitzung der imperialistischen Konflikte
Die Veränderung im Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat nach dem Abebben der revolutionären Welle nach 1920 wurde auch anhand der interimperialistischen Beziehungen sichtbar. Kaum war die unmittelbare Bedrohung durch die Arbeiterklasse zurückgegangen und die revolutionäre Flamme der russischen Arbeiterklasse erloschen, begannen die imperialistische Spannungen wieder an Schärfe zuzunehmen.
Deutschland selbst strebte mit allen Tricks danach, seine durch den Ausgang des Weltkriegs und die Unterzeichnung des Versailler Vertrages eingetretene Schwächung rückgängig zu machen. Gegenüber den ‘Siegerländern’ im Westen bestand seine Taktik darin zu versuchen, Großbritannien und Frankreich gegeneinander auszuspielen, da an eine offene militärische Konfrontation mit ihnen nicht zu denken war. Gleichzeitig versuchte Deutschland, die traditionell engen Beziehungen zu seinen Nachbarn im Osten wieder zu erneuern. Wir haben in einem früheren Artikel beschrieben, wie zielstrebig die deutsche Bourgeoisie in Anbetracht der imperialistischen Spannungen im Westen geheime Waffenlieferungen und militärische Zusammenarbeit mit dem neuen russischen Staat beschlossen hatte.
So erkannte einer der großen Militärchefs in Deutschland: „Seit dem Friedensabschluss sind die Beziehungen zu Russland die erste und bislang nahezu einzige Verstärkung, die wir durchsetzen konnten. Dass sich die Grundlagen dieser Beziehung in der Wirtschaft befinden, liegt in der Natur der Sache; aber die Stärke liegt darin begründet, dass diese wirtschaftliche Annäherung die Möglichkeit einer politischen und damit auch militärischen Verbindung eröffnet.“ (Seeckt, zitiert von Carr, S. 434)
Gleichzeitig hatte der russische Staat in Gestalt Bucharins verlauten lassen: „Ich behaupte, dass wir schon mächtig genug sind, ein Bündnis mit einer ausländischen Bourgeoisie einzugehen, damit wir mittels dieses bürgerlichen Staates eine andere Bourgeoisie besiegen (...) Falls ein Militärbündnis mit einem bürgerlichen Staat geschlossen wird, besteht die Aufgabe der Genossen in jedem Land darin, zum Sieg der beiden Verbündeten beizutragen.“ (Bucharin, zitiert von Carr, ebenda)
„Wir sagen diesen Herren der deutschen Bourgeoisie (...) wenn Sie wirklich gegen die Besatzung, wirklich gegen die Beleidigungen durch die Entente ankämpfen wollen, haben Sie keine andere Wahl als eine Annäherung mit dem ersten proletarischen Land zu suchen, das unbedingt diese Länder unterstützen muss, die jetzt in einer erbärmlichen Abhängigkeit gegenüber dem internationalen Imperialismus stecken.“ (Sinowjew, 12. Parteikongress, April 1923)
In nationalistischer Manier sprach das deutsche Kapital von der ‘Schmach und der Unterjochung’ durch das Auslandskapital, insbesondere durch Frankreich. So gaben deutsche Militärführer sowie prominente Vertreter der deutschen Bourgeoisie wiederholt öffentliche Erklärungen von sich, denen zufolge die einzige Rettung für die deutsche Nation gegen die Knechtschaft von Versailles in einem Militärbündnis mit der Sowjetunion und einem „revolutionären Volkskrieg“ gegen den französischen Imperialismus lag.
Innerhalb des russischen Staates, wo sich mittlerweile eine neue Schicht von staatskapitalistischen Verwaltern herausgebildet hatte, stieß diese Politik auf ein großes Echo.
Auch die proletarischen Internationalisten innerhalb der Komintern und der russischen Partei, die noch am Ziel der Ausdehnung der Weltrevolution festhielten, ließen sich durch diese Lockrufe des deutschen Kapitals blenden. Während es für das deutsche Kapital nie in Frage gekommen wäre, ein wirkliches Bündnis mit Russland gegen den Westen einzugehen, erschien den damaligen russischen Staatsführern und der Komintern-Spitze dieses Angebot als echt, sie ließen sich täuschen und liefen in die Falle. So trugen sie aktiv dazu bei, dass die Arbeiterklasse in die gleiche Falle getrieben wurde.
Mit Rückendeckung der gesamten Kapitalistenklasse heckte die deutsche Bourgeoisie folgenden Plan gegen die Arbeiterklasse aus. Einerseits wollte das deutsche Kapital dem Druck des Versailler Vertrages ausweichen, indem man insbesondere gegenüber Frankreich die Reparationsleistungen verschleppte und einzustellen drohte, andererseits sollte die Arbeiterklasse in Deutschland in eine nationalistische Falle gelockt werden. Dazu war jedoch die `Mithilfe‘ des russischen Staates und der Komintern erforderlich.
So fasste die deutsche Bourgeoisie den bewussten Entschluss, das französische Kapital durch Zahlungsverweigerung der Reparationsschulden zu provozieren. Frankreich reagierte darauf am 11. Januar 1923 mit der Besetzung des Ruhrgebietes.
Gleichzeitig ergänzte das deutsche Kapital seine Taktik durch den Entschluss, an der durch die Krise hervorgerufenen Inflationsspirale bewusst zu drehen. Das deutsche Kapital setzte die Inflation als eine Waffe ein, um die Reparationskosten abzuschwächen und um die Last der Kriegsanleihen zu erleichtern. Außerdem sollte somit die Modernisierung seiner Produktionsanlagen finanziert werden.
Die Bourgeoisie war sich dessen bewusst, dass die Inflation der Stachel im Fleisch der Arbeiterklasse sein würde, der sie in den Kampf treiben würde. Und der herrschenden Klasse kam es darauf an, diesen einkalkulierten Abwehrkampf der Arbeiterklasse auf ein nationalistisches Terrain zu locken. Der ausgelegte Köder war die in Kauf genommene Ruhrgebietsbesetzung durch französisches Militär. Es war daher kreuzwichtig für die Arbeiterklasse und ihre Revolutionäre, diese Falle der sich im Überlebenskampf befindlichen deutschen Bourgeoisie zu erkennen und zu entblößen. Andernfalls drohte die Gefahr, dass die deutsche Bourgeoisie der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage beifügte. So war die deutsche Bourgeoisie also bereit, erneut die Arbeiterklasse herauszufordern, da sie spürte, dass das internationale Kräfteverhältnis gekippt war und Teile des russischen Staates zu dieser Politik verführt werden konnten, ja, gar die Komintern in diese Falle gelockt werden konnte.
Die Provokation der Ruhrgebietsbesetzung: Welche Aufgabe der Arbeiterklasse?
Frankreich hoffte, durch die Einverleibung des Ruhrgebiets zum größten Stahl- und Kohleproduzenten in Europa aufzusteigen, denn das Ruhrgebiet lieferte für Deutschland 72% der Kohleproduktion, 50% der Eisen-Stahl-Produktion, 25% der gesamten deutschen Industrieproduktion. Es lag auf der Hand, dass, sobald diese Produktion für Deutschland ausfiel, der starke Produktionsrückgang zu Güterknappheit und schwerwiegenden wirtschaftlichen Zerrüttungen führen musste. Die deutsche Bourgeoisie war also zu einem großen Opfer bereit, weil für sie viel auf dem Spiel stand. Das Kapital setzte alles daran, die Arbeiter zu Streiks und Arbeitsniederlegungen mit nationalistischem Hintergrund anzustacheln. Unternehmer und die Regierung in Berlin beschlossen die Aussperrung, und wer unter den französischen Besatzungstruppen arbeitete, wurde mit Entlassung bedroht. Am 4. März kündigte SPD-Reichspräsident Ebert schwere Strafen für die Arbeiter an, die in den Gruben oder bei der Eisenbahn für Frankreich arbeiteten. Am 24. Januar 1923 appellierten Unternehmer und der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund gemeinsam, „sofort Geldmittel“ im Kampf gegen Frankreich zur Verfügung zu stellen. Die Folge: Immer mehr Firmen im Ruhrgebiet schmissen ihre Beschäftigten auf die Straße. Und das vor dem Hintergrund einer galoppierenden Inflation: Während der Dollar noch im April 1922 1.000 Mark kostete, betrug sein Preis im November 1922 schon 6.000, nach der Ruhrgebietsbesetzung im Februar 1923 20.000 Mark. Im Laufe des Jahres stieg er dann auf 100.000 Mark (Juni), auf 1 Mio. Mark Ende Juli auf 10 Mio. Mark Ende August, 100 Mio. Mark Mitte September und schließlich im November auf 4.200.000.000.000 Mark.
Diese Entwicklung traf die Kohlebarone im Ruhrgebiet nicht so hart, da sie in der Zwischenzeit eine Bezahlung in Gold bzw. in Sachwerten eingeführt hatten. Für die Arbeiterklasse dagegen bedeutete dies, am Hungertuch zu nagen. Häufig marschierten Arbeitslose und Beschäftigte zu den Rathäusern, um ihre Forderungen vorzulegen. Immer wieder kam es zu Zusammenstößen mit den französischen Truppen.
Die Komintern treibt die Arbeiter in die Falle des Nationalismus
Den Sirenengesängen des deutschen Kapitals über einen gemeinsamen Kampf zwischen den ‘unterdrückten Nationen’ Deutschland und Russland erlegen, verbreitete die Komintern selbst die Idee, in Deutschland sei eine starke Regierung erforderlich, die der französischen Besatzerregierung entschlossen und ungestört von jeglichem Klassenkampf die Stirn biete. Damit opferte die Komintern den proletarischen Internationalismus zugunsten der Interessen des russischen Staates.[2]
Diese Politik wurde im Namen des ‘Nationalbolschewismus’ vollzogen. Während die Komintern sich im Herbst 1920 noch energisch und entschlossen ‘national-bolschewistischen Tendenzen’ entgegengestellt und in den Verhandlungen mit der KAPD den Ausschluss der Nationalbolschewisten Laufenberg und Wolffheim aus ihren Reihen gefordert hatte, plädierte sie nun selbst für diese Linie.
Diese Kehrtwende der Komintern läßt sich nicht nur mit den Konfusionen und dem Opportunismus innerhalb des EKKI erklären. Jene ‘unsichtbare Hand’ der Kräfte, die nicht an der Revolution, sondern an der Stärkung des Staates interessiert waren, spielte dabei auch eine Rolle. Der Köder des Nationalbolschewismus konnte erst ausgelegt werden, als die Komintern schon in der Entartung begriffen, in die Fangarme des russischen Staates geraten und von diesem einverleibt worden war. Radek argumentierte: „Die Sowjetunion ist in Gefahr, alle Aufgaben müssen der Verteidigung der Sowjetunion untergeordnet werden, auf Grund dieser Analyse würde eine revolutionäre Bewegung in Deutschland gefährlich sein und den Interessen der Sowjetunion zuwiderlaufen (.....) Die deutsche kommunistische Bewegung ist nicht fähig, den deutschen Kapitalismus zu stürzen, sie hat als Stütze der russischen Außenpolitik zu dienen. Ein unter Führung der bolschewistischen Partei organisiertes Europa, das die militärische Leistungsfähigkeit der deutschen Armee gegen den Westen einsetzt, das ist die Perspektive, der einzige Ausweg.“
Die Rote Fahne schrieb im Januar 1923: „Die deutsche Nation wird in den Abgrund gestoßen, wenn das Proletariat sie nicht rettet. Die Nation wird von den deutschen Kapitalisten verkauft und vernichtet, wenn sich die Arbeiterklasse nicht dazwischen wirft. Entweder verhungert und zerfällt die deutsche Nation unter der Diktatur der französischen Bajonette oder sie wird durch die Diktatur des Proletariats gerettet.“
„Heute bedeutet jedoch der Nationalbolschewismus, dass alles von dem Gefühl durchdrungen ist, dass die Rettung nur bei den Kommunisten vorhanden ist. Wir sind heute der einzige Ausweg. Die starke Betonung der Nation in Deutschland ist ein revolutionärer Akt, wie die Betonung der Nation in den Kolonien“ (Rote Fahne, 21.06.1923). „Die Nation zerfällt. Das Erbe des deutschen Proletariats (...) ist bedroht. Nur die Arbeiterschaft kann die Nation retten.“ (1.4.1923, Rote Fahne)
Rakosi, Delegierter der Komintern, lobte die KPD für diese Linie: „... eine kommunistische Partei muss an die nationale Frage ihres Landes herantreten. Die deutsche Partei hat diese Frage mit glücklicher Hand angeschnitten. Sie ist dabei, den deutschen Faschisten die nationalistische Waffe aus den Händen zu schlagen.“ (Schüddelkopf, S. 177)
In einem Manifest an Sowjetrussland meinte die KPD: „Der Parteitag dankt Sowjetrussland für die mit Strömen von Blut und unermesslichen Opfern unverwischbar in die Geschichte geschriebene große Lehre, dass die Sache der Nation heute die Sache der Arbeiterklasse ist.“
Thalheimer sprach am 18. April sogar davon, „der proletarischen Revolution sei es vorbehalten, nicht allein Deutschland zu befreien, sondern das Werk Bismarcks mit dem Anschluss Österreichs zu vollenden. Diese Aufgabe muss das Proletariat an der Seite des Kleinbürgertums erfüllen.“ (Die Internationale, V 8, 18.4.23, S. 242-247)
Welche Perversion der Grundsatzpositionen der Kommunisten in der nationalen Frage! Welche Abkehr von der internationalistischen Position der Revolutionäre im 1. Weltkrieg, an deren Spitze Lenin und Rosa Luxemburg gestanden hatten, die für die Abschaffung aller Nationen eingetreten waren!
Im Rheinland und in Bayern war die separatistische Bewegung nach dem Krieg im Aufschwung begriffen. Die Gunst der Stunde witternd und mit französischer Unterstützung wollten diese Kräfte eine Loslösung des Rheinlands vom Reich durchsetzen. Mit Stolz berichtete die KPD-Presse, wie man der Cuno-Regierung unter die Arme griff, um gegen die Separatisten zu kämpfen. „Aus dem Ruhrgebiet wurden kleine bewaffnete Stoßtrupps nach Düsseldorf gezogen, die den Auftrag erhielten, die Ausrufung der ‘Rheinischen Republik’ unmöglich zu machen. Als mittags gegen 14.00 Uhr die Separatisten auf den Rheinwiesen versammelt waren und die Kundgebung beginnen sollte, griffen einige Stoßtrupps mit Handgranaten die Separatisten an. Einige wenige Handgranaten genügten, und die ganze Separatistenbande versuchte in völliger Auflösung und Panik, die Rheinwiesen zu räumen (...) Von einer Kundgebung oder Ausrufung der ‘Rheinischen Republik’ konnte keine Rede mehr sein.“ (W. Ulbricht, S. 132, Bd. I)
„Wir verraten kein Geheimnis, wenn wir aussprechen, dass die kommunistischen Stoßtrupps, die in der Pfalz, in der Eifel und am Düsseldorfer Totensonntag mit Revolvern und Handgranaten die Separatisten auseinandergetrieben haben, unter der Führung von nationalgesinnten preußischen Offizieren standen.“ (Vorwärts, 4.9.1930/Flugblatt der Gruppe)
Diese nationalistische Orientierung war aber nicht allein das Werk der KPD, sondern die Ausgeburt der Politik des russischen Staates und bestimmter Teile der Komintern.
Nach Absprache mit dem EKKI sollte der Zentrale zufolge der Kampf in erster Linie gegen Frankreich und erst in zweiter Linie gegen die deutsche Bourgeoisie geführt werden. Deshalb behauptete die Zentrale: „Die Niederlage des französischen Imperialismus im Weltkrieg war kein kommunistisches Ziel, seine Niederlage im Ruhrgebiet ist ein kommunistisches Ziel.“
Die KPD und die Hoffnung auf ein ‘nationales Bündnis’
Folglich wandte sich die KPD-Zentrale gegen die Auslösung von Streiks.
Schon auf dem Leipziger Parteitag Ende Januar, kurze Zeit nach Beginn der Ruhrgebietsbesetzung, hatte die Zentrale mit Unterstützung der Komintern eine Diskussion über ihre Orientierung blockiert, da sie befürchtete, es würde zu einer Ablehnung ihrer Orientierung kommen, weil der Großteil der Partei sich ihr widersetzte.
Als die Ruhrgebiets-Verbände der KPD am 23. März einen Bezirksparteitag abhielten, um über Kampfmaßnahmen zu entscheiden, wandte sich die Zentrale gegen die Ausrichtung der Ortsgruppen der KPD im Ruhrgebiet. Die Zentrale der KPD behauptete, „eine starke Regierung allein kann Deutschland retten, eine Regierung, die getragen ist von der lebendigen Kräften der Nation“ (Rote Fahne, 1. April 23).
Dennoch traten die meisten Delegierten der KPD-Konferenz im Ruhrgebiet ein für:
- die Niederlegung der Arbeit in allen militärisch besetzten Gebieten,
- die Übernahme der Betriebe unter Ausnutzung des deutsch-französischen Konfliktes und, wenn möglich, die lokale Machtergreifung.
Innerhalb der KPD prallten somit zwei inhaltlich unterschiedliche Orientierungen aufeinander: eine proletarisch- internationalistische Ausrichtung, die für die Konfrontation mit der Cuno-Regierung und eine Radikalisierung der Bewegung im Ruhrgebiet eintrat[3]; dagegen stand die Position der KPD-Zentrale, die sich energisch und mit Unterstützung der Komintern gegen Streiks aussprach und die Arbeiterklasse auf ein nationalistisches Terrain drängte.
Das Kapital war sich der Sabotage der Arbeiterkämpfe so sicher, dass der Staatssekretär von Malzahn nach einem Gespräch mit Radek am 26. Mai in einer streng geheimen Denkschrift an Ebert und die wichtigsten Minister berichtete: „Er (Radek) könne mir versichern, dass russische Sympathien schon aus eigenen Interesse im Ruhrkampf auf Seiten der deutschen Regierung ständen(...) Er habe in den letzten acht Tagen mit allen Kräften auf die kommunistischen Parteiführer eingewirkt, um ihnen die Dummheit ihres jetzigen Vorgehens gegen die deutsche Regierung vorzuhalten. Wir würden ja sehen, dass in einigen Tagen die Kommunistenputsche in der Ruhr abnehmen würden.“ (Archive des Auswärtigen Amtes, Bonn, Deutschland 637.442ff; in Dupeux, S. 181).
Nach dem Angebot der Einheitsfront an die konterrevolutionäre SPD und die Parteien der 2. Internationalen nun die Stillhaltepolitik gegenüber der kapitalistischen deutschen Regierung.
Wie weit die KPD-Führung sich darüber im Klaren war, dass sie der Regierung „nicht in den Rücken fallen durfte“, beweist eine Stellungnahme der Roten Fahne: „Die Regierung weiß, dass die KPD aus Rücksicht auf die Gefahr seitens des französischen Kapitalismus über vieles geschwiegen hat, was diese Regierung (...) unmöglich machen würde für jede internationale Verhandlung. Solange die sozialdemokratischen Arbeiter nicht zusammen mit uns für die Arbeiterregierung kämpfen, hat die Kommunistische Partei kein Interesse daran, dass an die Stelle dieser kopflosen Regierung eine andere bürgerliche tritt (...) Entweder lässt die Regierung die Mordhetze gegen die KP verstummen, oder wir werden das Schweigen brechen.“ (27.5.1923, Rote Fahne, Dupeux, S. 181)
Nationalistische Lockrufe an die patriotische Kleinbourgeoisie
Da die Inflation auch die Kleinbourgeoisie und den Mittelstand praktisch enteignet hatte, erblickte die KPD die Möglichkeit, diesen Schichten ein Bündnis vorzuschlagen. Statt auf den eigenständigen Kampf der Arbeiterklasse zu pochen, der in dem Maße, wie er an Stärke und Ausstrahlung zunimmt, andere nicht-ausbeutende Schichten mit einbeziehen kann, wurden diese Schichten mit der Aussicht geködert, ein Bündnis mit der Arbeiterklasse einzugehen. „Wir müssen vor die leidenden, verwirrten, aufgebrachten Massen des proletarischen Kleinbürgertums treten und ihnen sagen, dass sie sich selbst und die Zukunft Deutschlands nur dann verteidigen können, wenn sie sich mit dem Proletariat zum Kampf gegen die wahre Bourgeoisie verbunden haben.“ (Carr, Interregnum, S. 176)
„Aufgabe der KPD ist es, den breiten kleinbürgerlichen und intellektuellen nationalistischen Massen die Augen darüber zu öffnen, dass nur die Arbeiterklasse, nachdem sie gesiegt hat, imstande sein wird, den deutschen Boden, die Schätze der deutschen Kultur und die Zukunft der deutschen Nation zu verteidigen.“ (Rote Fahne vom 13. Mai 1923)
Auch diese Politik - Sammlung auf nationaler Grundlage - war nicht das Produkt der KPD allein, sondern wurde von der Komintern selbst mitgetragen. Die Rede, die Radek am 20. Juni 1923 vor dem EKKI hielt, legt Zeugnis davon ab. In dieser Rede lobte er Schlageter, Mitglied rechtsradikaler separatistischer Kreise, der am 26. Mai bei Sabotageaktionenen gegen Eisenbahnbrücken bei Düsseldorf von den französischen Militärs gefasst und erschossen worden war. Es war der gleiche Radek, der in den Reihen der Komintern 1919 und 1920 mit darauf gedrängt hatte, die Hamburger Nationalbolschewisten aus den Reihen der KPD und KAPD zu werfen. „Aber wir glauben, dass die große Mehrheit der national empfindenden Massen nicht in das Lager des Kapitals, sondern in das Lager der Arbeit gehört. Wir wollen und wir werden zu diesen Massen den Weg suchen und den Weg finden. Wir werden alles tun, dass Männer, wie Schlageter, die bereit waren, für eine allgemeine Sache in den Tod zu gehen, nicht Wanderer ins Nichts, sondern Wanderer in eine bessere Zukunft der gesamten Menschheit werden.“ (Radek, 20.06.23)
„Es ist klar, die deutsche Arbeiterklasse wird nie zur Macht kommen, wenn sie nicht imstande ist, den breiten Massen des deutschen Volkes das Vertrauen zu geben, dass sie für die Abschaffung des Joches des fremden Kapitals mit allen Kräften kämpfen wird.“ (Dupeux, S. 190)
Diese Idee, dass das „Proletariat als Vorhut, das nationalistische Kleinbürgertum als Nachhut“, kurzum: das Volk für die Revolution eintreten könnte, dass man die Nationalisten auf die Seite der Arbeiter ziehen müsse, wurde später vom 5. Kongress der Komintern 1924 vorbehaltlos bestätigt.
Während die KPD-Opposition sich gegen diese Orientierung auf die ‘Stillhaltepolitik’ wandte, die von der KPD-Zentrale bis September 1923 praktizierte wurde, schützte es sie nicht davor, die Arbeiterklasse selbst in Sackgassen zu lenken und nationalistischen Verlockungen anheim zu fallen. So betrieb Ruth Fischer eifrig anti-semitische Propaganda. „Wer gegen das Juden-Kapital aufruft, (...) ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß (...) Tretet die Juden-Kapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie (...) Der französische Imperialismus ist jetzt die größte Gefahr der Welt, Frankreich ist das Land der Reaktion (...) Nur im Bunde mit Russland (...) kann das deutsche Volk den französischen Kapitalismus aus dem Ruhrgebiet herausjagen...“ (Flechtheim S. 178)
Die Arbeiterklasse wehrt sich auf ihrem Klassenterrain
Während es der Bourgeoisie also darum ging, die Arbeiterklasse in Deutschland auf nationalistisches Terrain zu locken, sie damit von der Verteidigung ihrer eigenständigen Klasseninteressen abzubringen, während das EKKI und die KPD-Führung dabei tatkräftig mithalfen, ließ sich der Großteil der Arbeiterklasse im Ruhrgebiet und in den anderen Städten nicht auf dieses Terrain ziehen. Es gab fast keinen Betrieb, wo die Arbeiter nicht in den Streik traten.
Immer wieder und zunehmend landesweit kam es zu kleineren Streik- und Protestwellen. So am 9. März in Oberschlesien, wo 40‘000 Bergarbeiter streikten, am 17. März in Dortmund, wo ebenfalls Bergarbeiter in den Ausstand traten. Immer häufiger kam es zu Zusammenschlüssen zwischen demonstrierenden Arbeitslosen, Beschäftigten und Notstandsarbeitern, wie am 2. April in Mühlheim /Ruhr.
Obwohl sich Teile der KPD-Führung durch die nationalistischen Umwerbungsversuche verführen und täuschen ließen, war für die deutsche Bourgeoisie, sobald die Streiks im Ruhrgebiet ausgebrochen waren, klar, dass sie die Hilfe der anderen kapitalistischen Staaten einfordern musste. In Mühlheim/Ruhr hatten am 12. April Arbeiter mehrere Betriebe besetzt. Nahezu die ganze Stadt wurde bestreikt, das Rathaus besetzt. Da aufgrund der Besetzung durch französische Truppen die Reichswehr im Ruhrgebiet zur Niederschlagung der Streiks nicht intervenieren durfte, wurde die Polizei gerufen, deren Kräfte jedoch nicht ausreichten, um die Arbeiter vernichtend zu schlagen. Deshalb appellierte der Bürgermeister von Düsseldorf in einem Brief an den Oberbefehlshaber der französischen Besatzungstruppen um Unterstützung: „Ich muss sie daran erinnern, dass während des Kommune-Aufstandes das deutsche Oberkommando den französischen Truppen in jeder Beziehung entgegenkam, um den Aufstand gemeinsam zu unterdrücken. Ich bitte Sie, uns die gleiche Unterstützung zu erweisen, wenn Sie nicht wollen, dass künftig eine gefährliche Situation entsteht.“ (Dr. Lutherbeck, Brief an General de Goutte)
So wurde wiederholt die Reichswehr zu Niederschlagungsaktionen in verschiedene Städte geschickt - unter anderem nach Gelsenkirchen und Bochum. Während die deutsche Regierung ihre angebliche Feindschaft gegenüber Frankreich zur Schau trug, zögerte sie nie, ihr Militär gegen die Arbeiter zu schicken, die dem Nationalismus widerstanden hatten.
Die rasante Beschleunigung der Wirtschaftskrise, vor allem die Inflation, heizten die Kampfbereitschaft der Arbeiter wieder an. Löhne und Gehälter der Arbeiter verloren stündlich an Wert. Im Vergleich zur Vorkriegszeit war die Kaufkraft um drei Viertel gesunken. Immer mehr Arbeiter wurden arbeitslos. Im Sommer zählte man ca. 60% Arbeitslose. Selbst Beamte erhielten vom Staat nur Spottlöhne. Unternehmen wollten ihre eigene Währungen drucken, Gemeindeverwaltungen führten ‘Notwährungen’ zur Bezahlung ihrer Beamten ein. Da der Verkauf von Lebensmitteln für die Bauern nicht mehr Gewinn bringend war, hielten sie ihre Produkte zurück und horteten sie. Die Nahrungsmittelversorgung kam teilweise zum Erliegen. Arbeiter und Arbeitslose demonstrierten immer öfter gemeinsam. Überall kam es zu Hungerrevolten und Plünderungen. Oft konnte die Polizei den Hungerrevolten nur noch ohnmächtig zusehen.
Ende Mai traten im Ruhrgebiet ca. 400‘000 Arbeiter in den Streik, im Juni wiederum ca. 100‘000 Berg- und Hüttenarbeiter in Schlesien sowie 150‘000 Metaller in Berlin. Im Juli brach eine weitere Streikwelle aus, die auch von gewalttätigen Zusammenstößen gekennzeichnet war.
In diesen Kämpfen trat erneut ein Merkmal auf, das die Radikalisierung aller Arbeiterkämpfe in der Dekadenz auszeichnet: eine große Welle von Gewerkschaftsaustritten. Die Arbeiter kamen in den Betrieben zu Vollversammlungen zusammen und versammelten sich immer häufiger auch auf den Straßen. Man verbrachte mehr Zeit auf der Straße, in Diskussionen und Demonstrationen, als auf der Arbeit. Die Gewerkschaften stemmten sich mit aller Kraft gegen diese Entwicklung. Die Arbeiter strebten spontan danach, sich in Vollversammlungen, Fabrikkomitees und Fabrikausschüssen vor Ort zusammenzuschließen. Die Bewegung gewann weiter an Auftrieb. Sie scharte sich dabei nicht um nationalistische Forderungen, sondern suchte nach einer Klassenorientierung.
Was machten die revolutionären Kräfte an ihrer Seite?
Die KAPD, die mittlerweile durch das Fiasko der Spaltung in die Essener und Berliner Richtung und durch die Gründung der Kommunistischen Arbeiter-Internationale (KAI) zahlenmäßig stark geschrumpft und organisatorisch erheblich geschwächt war, konnte als solche in dieser Situation keine Präsenz zeigen, obwohl sie laut ihre Ablehnung der nationalbolschewistichen Falle äußerte.
Auch die KPD, die immer mehr Zulauf erhielt, hatte sich einen Strick um den Hals gelegt. Sie konnte keine klare Orientierung bieten - im Gegenteil. Was schlug sie vor?[4] Sie weigerte sich, auf den Sturz der Regierung hin zu arbeiten. Sie KPD und die Komintern stifteten mit ihrer Politik große Verwirrung und trugen zur Schwächung der Arbeiterklasse bei.
Einerseits wetteiferte die KPD mit den Faschisten auf nationalistischem Terrain. So hielt am 10. August z.B. (am gleichen Tag, als in Berlin eine Streikwelle ausbrach) in Stuttgart Thalheimer im Namen der KPD noch gemeinsame Versammlungen mit Nationalsozialisten ab. Andererseits rief sie gleichzeitig zum Kampf gegen die faschistische Gefahr auf. Während die Berliner Regierung jegliche Demonstrationen verboten hatte und die KPD-Zentrale sich dem Verbot beugen wollte, pochte die Parteilinke auf der unbedingten Durchführung einer Demonstration am 29. Juni, die zu einer großen Einheitsfrontdemonstration gegen die Faschisten werden sollte.
In ihrer Unfähigkeit, eine klare Entscheidung zu treffen, ließ die KPD am Tag der Demo 250‘000 Teilnehmer auf den Straßen und vor den Parteibüros vergeblich auf ihre Anweisungen warten.
Die KPD gegen die Intensivierung der August-Kämpfe
Im August setzte eine erneute Streikwelle ein. Nahezu täglich demonstrierten Arbeiter - beschäftigte wie arbeitslose. In den Betrieben brodelte es, an vielen Orten entstanden Fabrikkomitees. Der Einfluß der KPD erreichte seinen Höhepunkt.
Am 10. August traten die Drucker der Notenbankpresse in den Ausstand. In einer Wirtschaft, in der der Staat stündlich immer mehr Geld drucken musste, sollte der Streik der Notenscheindrucker eine besonders lähmende Wirkung auf die Wirtschaft haben. Die Papiergeldreserve war innerhalb weniger Stunden verbraucht. Die Löhne konnten nicht mehr ausgezahlt werden. Der Drucker-Streik, der in Berlin einsetzte, griff wie ein Lauffeuer auf andere Teile der Klasse über. Von Berlin aus pflanzte er sich fort über die Wasserkante, das Rheinland, Württemberg, Oberschlesien, Thüringen bis nach Ostpreussen. Immer mehr Teile der Arbeiterklasse schlossen sich der Bewegung an. Am 11. und 12. August kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen in mehreren Städten; über 35 Arbeiter wurden dabei erschossen. Wie schon in allen vorangegangenen Bewegungen der Arbeiterklasse seit 1914 zeichneten sich auch diese Kämpfe dadurch aus, dass sie sich außerhalb und gegen den Willen der Gewerkschaften entwickelten.
Die Gewerkschaften erkannten den Ernst der Lage. Einige von ihnen wollten vortäuschen, den Streik zu unterstützen, um ihn besser von Innen her sabotieren zu können. Andere stellten sich ihm offen entgegen. Die KPD selbst bezog nach der Ausdehnung der Berliner Streiks Stellung: „Für eine Verschärfung der ökonomischen Streiks, nicht aber für das Aufstellen von politischen Forderungen“.
Und sobald die Gewerkschaftsführung verkündet hatte, dass sie den Streik nicht unterstützte, rief die KPD-Zentrale zum Abbruch des Streiks auf. Man wolle nicht außerhalb der Gewerkschaften streiken.
Während Brandler darauf bestand, den Streik abzubrechen, da der ADGB offiziell nicht mitmachte, wollten örtliche Parteiorganisationen dagegen die zahlreichen lokalen Streiks ausdehnen und zu einer einzigen Bewegung gegen die Cuno-Regierung zusammenfassen. So wurde die „übrige Arbeiterschaft (aufgerufen), ihre Bewegung mit der mächtigen Bewegung des Berliner Proletariats zu vereinen und den Generalstreik über ganz Deutschland auszudehnen“.
Die Partei hatte sich selbst in eine Sackgasse manövriert. Denn die Parteileitung wandte sich gegen die Fortsetzung und Ausdehnung der Streiks, da andernfalls die Ablehnung des nationalistischen Sumpfes, in den das Kapital die Arbeiter zerren wollte, notwendig geworden wäre. Gleichzeitig wäre damit auch die Einheitsfront mit SPD und Gewerkschaften gefährdet gewesen. Noch am 18.August schrieb die Rote Fahne: „Sogar mit Leuten, die Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet haben, werden wir zusammengehen, wenn sie in unsere Reihen treten wollen“ (18.08.1923).
Die Ausrichtung auf die Einheitsfront, die Verpflichtung, in den Gewerkschaften zu arbeiten, unter dem Vorwand, dort die Arbeiter zu ‘erobern’, bedeutete in Wirklichkeit, sich der gewerkschaftlichen Ausrichtung und Struktur zu unterwerfen, dazu beizutragen, dass die Arbeiter ihren Kampf nicht in die eigenen Hände nehmen können. All das brachte die KPD in einen schrecklichen Konflikt: entweder die Dynamik des Arbeiterkampfes anerkennen, die nationalistische Orientierung und die gewerkschaftliche Sabotage zu verwerfen, oder sich gegen die Streiks wenden, in den gewerkschaftlichen Apparat aufgesogen, letztendlich zu einer Schutzmauer des Staates zu werden und als Hindernis der Interessen der Arbeiter zu wirken. Zum ersten Mal war damit die KPD wegen ihrer gewerkschaftlichen Ausrichtung in eine offene Konfrontation mit der kämpfenden Arbeiterklasse geraten, denn die Dynamik des Kampfes selbst zwang die Arbeiter dazu, den gewerkschaftlichen Rahmen zu sprengen. Die Konfrontation mit den Gewerkschaften war unausweichlich. Statt dessen diskutierte die KPD-Zentrale, wie sie die Unterstützung der Gewerkschaftsführer für den Streik gewinnen kann!
Unter dem Druck dieser Streikwelle trat am 12. August die Cuno-Regierung zurück. Am 13. August gab die Zentrale der KPD einen Aufruf zur Beendigung des Streiks heraus. Dieser Aufruf der Zentrale stieß auf den Widerstand der Betriebsräte in Berlin, die sich mittlerweile radikalisiert hatten, wie auch der örtlichen Parteileitungen, die für eine Fortführung der Bewegung eintraten. Die örtlichen Parteileitungen warteten auf Anordnungen der Zentrale. Sie wollten isolierte Zusammenstöße mit der Reichswehr vermeiden, bis die Waffen, die das Zentralkomitee angeblich zur Verfügung hatte, verteilt sein würden.
Während die KPD Opfer ihrer eigenen nationalbolschewistischen Politik und der Einheitsfronttaktik geworden war, die Arbeiterklasse damit wie benommen dastand und nicht wusste, was zu tun war, war die Bourgeoisie bereit, die Initiative zu ergreifen.
Wie auch in früheren Situationen aufsteigender Kampfkraft der Arbeiterklasse sollte die SPD die besondere Rolle übernehmen, der Bewegung die Spitze zu brechen. An die Stelle des der Zentrumspartei nahestehenden Cuno trat eine ‘große’ Koalition, an deren Spitze der Zentrumspolitiker Gustav Stresemann stand, der aber von vier SPD-Ministern unterstützt wurde (mit Hilferding als Finanzminister). Dieser Eintritt der SPD in die Regierung war nicht Ausdruck einer lähmenden Hilflosigkeit und Handlungsunfähigkeit des Kapitals, wie die KPD fälschlicherweise vermutete, sondern ein bewusster Schachzug der Bourgeoisie zur Eindämmung der Bewegung. Die SPD war keineswegs dabei auseinander zu brechen, wie die KPD-Führung später behauptete, noch war die Bourgeoisie gespalten oder unfähig, eine neue Regierungsclique aufzustellen.
Am 14. August kündigte Stresemann die Einführung einer neuen Währung und wertbeständiger Löhne an. Die Bourgeoisie hatte die Zügel in der Hand behalten und beschloss bewusst die Beendigung der Inflationsspirale - genauso wie sie sich ein Jahr zuvor dazu entschlossen hatte, diese bewusst auszulösen.
Gleichzeitig rief die Regierung zum Abbuch des ‘passiven Widerstandes’ gegen Frankreich im Ruhrgebiet auf und erklärte nach dem Kokettieren mit Russland nun den ‘Kampf gegen den Bolschewismus’ zu einem der obersten Ziele der deutschen Politik.
Durch das Versprechen, die Inflation zu beenden, konnte die Bourgeoisie eine Wende im Kräfteverhältnis herbeiführen - denn auch wenn nach dem Abbruch der Bewegung in Berlin am 20. August im Rheinland und Ruhrgebiet erneut eine Streikwelle aufloderte, flachte die Bewegung insgesamt schnell ab.
Auch wenn die Arbeiterklasse sich nicht auf das nationalistische Terrain hatte ziehen lassen, konnte sie ihre Bewegung nicht weiter vorantreiben. Einer der Gründe: Die KPD selbst war zum Gefangenen ihrer nationalbolschewistischen Politik geworden. So war die Bourgeoisie ihrem Ziel, der Arbeiterklasse eine entscheidende Niederlage beizufügen, einen Schritt näher gekommen.
Die Arbeiterklasse ging desorientiert aus diesen Kämpfen hervor, mit dem Gefühl, gegenüber der Krise hilflos zu sein.
Die linken Fraktionen in der Komintern, die sich nach der Aufkündigung des erhofften Bündnisses zwischen dem ‘unterdrückten Deutschland’ und Russland noch isolierter fühlten, versuchten nach dem Fiasko des Nationalbolschewismus nun, das Blatt durch einen verzweifelten Aufstandsversuch zu wenden. Dies werden wir im nächsten Artikel behandeln.
Dv
[1] Der Parteivorsitzende des Jahres 1922, Ernst Meyer, beschimpfte in seiner Privatkorrespondenz die Zentrale und einzelne Parteiführer. So schickte Meyer Charakterisierungen anderer Parteiführer an seine Frau. Er bat seine Frau, sie solle ihm über die Stimmung in der Partei unterrichten, während er in Moskau weilte. So gab es Privatkorrespondenzen von Mitgliedern der KPD-Zentrale mit der Komintern, und jeder der verschiedenen Flügel innerhalb der Komintern pflegte seine besondere Beziehungen zum entsprechenden ‘Flügel’ innerhalb der KPD. Das Netz ‘informeller Kanäle’ war weit verzweigt. Darüber hinaus war die Atmosphäre in weiten Teilen der Partei vergiftet. Auf dem 5. Kongress der Komintern berichtete Ruth Fischer, die selbst entscheidend zu dieser Entwicklung beigetragen hatte: „Auf dem Leipziger Parteitag (im Jan. 1923) kam es vor, dass Arbeiter verschiedener Bezirke an einem Tische saßen. Dann fragten sie zum Schluss: Woher kommst du? Und dann sagte der brave Arbeiter: Ich komme aus Berlin. Dann standen die anderen vom Tisch auf und ließen ihn sitzen. So war die Lage in unserer Partei.“ (R. Fischer auf dem 5. Kongreß der Komintern, S. 201)
[2] Innerhalb der tschechischen KP erhob sich dagegen Widerstand. So griff Neurath Thalheimers Position als einen Ausdruck der Zersetzung durch patriotische Gefühle an. Auch ein anderer tschechischer Kommunist, Sommer, verlangte in der Roten Fahne die Ablehnung dieser Orientierung. „Es kann keine Verständigung mit dem inneren Feind geben“ (Carr, Interregnum, S. 168).
[3] Gleichzeitig wollte man selbständige Wirtschaftseinheiten aufzubauen, was zum Teil auf starke syndikalistische Strömungen zurückzuführen ist. Die Vorstellung der KPD-Opposition war, eine im Rhein-Ruhr-Gebiet errichtete Arbeiterrepublik sollte eine Armee nach Mitteldeutschland schicken, um dort zur Machtergreifung beizutragen. Diese von R. Fischer eingebrachte Resolution wurde mehrheitlich mit 68 zu 55 Stimmen abgelehnt.
[4] Viele Arbeiter, die ohne Erfahrung, ohne größere theoretische und politische Bildung waren, fühlten sich zur Partei hingezogen. Die Partei öffnete sich für Masseneintritte. Jeder war willkommen. Bereits im April 1922 hatte die KPD verkündet: „In der gegenwärtigen politischen Situation [hat die KPD] die Pflicht, jeden Werktätigen, der zu ihr will, in ihre Reihen aufzunehmen.“ Im Sommer 1923 gingen viele lokale Parteibezirke in die Hände junger, radikaler Elemente über. Damit strömten noch mehr ungeduldige und unerfahrene Elemente in die Partei. Innerhalb von sechs Monaten verzeichnete sie einen Mitgliederzuwachs von 225.000 auf 295.000, von September 1922 bis September 1923 stieg die Zahl der Ortsgruppen von 2481 auf 3321. Damals verfügte die KPD über einen eigenen Pressedienst und 34 Tageszeitungen sowie zahlreiche Zeitschriften. Gleichzeitig hatten viele dubiose Kräfte die Partei infiltriert, um sie zu unterwandern.