Ganz so, als ob sie sich um das Aufschwungsgeschrei des "neuen deutschen Wohlstand" (Kohl) gar nicht kümmere, spitzt sich die Wohnungsnot in den bundesdeutschen Großstädten gnadenlos zu.Es gibt über 1 Mio.Fälle von akuter Wohnungsnot in der Bundesrepublik. 700.000 müssen in zu kleinen, nicht menschenwürdigen Unterkünften ausharren. 200.000 werden in Notunterkünften beherbergt: Turnhallen, Blechcontainern, Baracken, Wohnwagen, sogar Schiffen. 100.000 haben überhaupt kein Dach überm Kopf.
In Köln fehlen nach Angaben des Wohnungsamtes 20.000 Wohnungen. In Frankfurt liegen 10.000 Dringlichkeitsfälle vor. In München, der deutschen Wohnungsnotmetropole Nr. 1, werden in Appartementhäusern wie 'Ancona' Familien auf 14 Quadratmeter eingepfercht, und sie müssen dafür 1100,- monatlich zahlen.
• 1987 brachte ein neues Rekordtief im Wohnungsbau (nur 217.000 Neubauten) seit dem Bestehen der Bundesrepublik (Statistisches Bundesamt).
Diese wachsende Misere ist Hinweis genug, daß viele Millionen Menschen - insbesonders die Arbeiter - an dem "neuen deutschen Wohlstand" gar nicht beteiligt sind.
• geflügelte Wort von "drohenden Pariser Verhältnissen" (dort verdoppelten sich die Mieten innert 3 Jahren nach einer Lockerung der Preisbindung) sagt es schon: diese Entwicklung ist international. Auch im Ostblock (Paradebeispiel Budapest) wird der Wohnraum immer knapper und teurer.
In den USA z.B. (um nur das reichste Land der Welt anzuführen) leben 3 Mio. Obdachlose: doppelt so viel wie bei Reagans Amtsantritt vor 8 Jahren. Die Mietpreise kletterten in jenem Zeitraum um 43%. 1,3 Mio. billige Wohnungen verschwanden vom Markt. Allein in New York gibt es 50.000 Wohnhausruinen und 80.000 Männer, Frauen, Kinder ohne ein Dach über dem Kopf. Das Massachusetts Institute for Technology sagt gar 19 Mio. Obdachlose in den USA bis zum Jahr 2003 voraus (Deutsches Allgemeines Sontagsblatt 49, 4.12.88). Trotz Aufschwung und Perestroika kann der Kapitalismus im Osten wie in Westen seinen Lohnsklaven nicht mal Schutz vor Wind und Schnee geben.
Für die Ideologen des Kapitals ist die Wohnungsnot eine Art Schluckauf eines sonst gesunden Wirtschaftskörpers.
"Größer könnten die Gegensätze kaum sein : nach sechs Wachstumsjahren rollen mehr PS-starke Autos über die Straßen denn je, Neckermänner und TUI-Touristen jetten
zuhauf in die Südsee und nach Bangkok, für Milliarden von Mark werden Kabel durchs Land gezogen, weil erst 25 TV-Programme das I,eben schön machen.... Und gleichzeitig können Hunderttausende keinen akzeptablen Wohnraum finden" (Der Spiegel 42, 12.12.88). 'Die unzulängliche Versorgung mit Wohnungen zu mäßigen Preisen - im Gegensatz etwa zur Versorgung mit Automobilen oder Kosmetika - darf als der größte Mangel des modernen Kapitalismus gelten." US-Ökonom J.K.Galbraith).
So ist es also! Da die Wohnmisere nicht mehr zu übersehen ist, wird sie jetzt ausgenutzt, um alle anderen Folgen der kapitalistischen Krise zu überspielen. Frei nach dem Motto: auch den Arbeitern geht es hierzulande gut. Nur mit dem Wohnraum hapert es... Stimmt es aber, daß es den unter der Wohnungsnot leidenden "unteren Einkommensgruppen" sonst gut geht? Und warum gibt es überhaupt eine Wohnungsnot, wenn die Wirtschaft -wie behauptet- blüht und uns allgemeinen Wohlstand beschert? Leiden alle Klassen der heutigen Gesellschaft gleichmäßig unter der Wohnungsnot?
Im Wirklichkeit ist die Wohnmisere keine Ausnahme, sondern eine der Auswirkungen der kapitalistischen Niedergangskrise heute.
Einerseits verursacht die 'Wohnkrise' nicht nur unerträgliches Wohnelend, sondern sie greift die allgemeinen Lebensbedingungen der Arbeiter insgesamt an. Wer, wie fast jeder dritte Münchner 'Kleinverdiener' (Haushaltseinkommen unter monatlich 1500,-) mehr als die Hälfte seines Nettoverdienstes für die Wohnung ausgeben muß, lebt bereits unter der Armutsgrenze und kann ganz bestimnt nicht mit nach Bangkok fliegen. Anderseits atpr verursacht der Wohnungsnotstand nicht nur Armut, sondern ist selbst wiederum das Ergebnis der Wirtschaftskrise und der damit verbundenen Verarmung der Arbeiter.
Eine der Hauptursachen des Rückgangs des Wohnungsbaus seit 1973 liegt in der Stagnation bzw. Abnahme der Reallöhne seit dieser Zeit. Das in den 70er Jahren entwickelte Modell der staatlichen Vermietungszuschüsse ging davon aus, daß die Kaufkraft der Arbeiter wie in den 60er Jahren kontinuierlich steigen würde. Gemäß dieser Erwartung sollten die anfangs hohen Zuschüsse Jahr für Jahr gestaffelt verringert werden. Der Arbeiter selbst würde ja jedes Jahr mehr bezahlen können.
Die Rechnung ging nicht auf, weil das Ende des Nachkriegswiederaufbaus Ende der 60er Jahre von einer jetzt 20 Jahre währenden wirtschaftlichen Stagnation abgelöst wurde, die auch nicht durch Schuldenberge und'Reaganomics' überwunden werden konnte. Das Ergebnis: der Markt für Billigwohnungen brach zusammen. Zwangsräumungen häuften sich. Die trostlosen Trabantensilos am Stadtrand standen oft halbleer, weil zu teuer... 250.000 leerstehende Wohnungen in den deutschen Großstädten zählte man 1981. Der DGB, der nach dem Krieg viel Geld durch den Bau von Billigwohnungen verdiente, konnte jetzt seine -'Neue Heimat' nicht schnell genug abstoßen. Viele Besitzer von Altbauwohnungen 'streikten'. Sie ließen ihre Häuser lieber leer stehen, da sie einerseits durch die Arbeitermieter nichts mehr verdienen konnten, anderseits aber durch die gängige Preisregulierung gehindert wurden, sich an dem blühenden Markt der obersten Einkommenskategorien zu orientieren.
Hinzu kam die Massenarbeitslosigkeit, die in den 80er Jahren z.B. in der Bundesrepublik 2 Mio. nicht mehr unterschritten hat. In dieser Zeitspanne kamen über 1 Mio. neue Sozialhilfeempfänger hinzu - insgesamt 4 Mio. Arme. Die Verbindung zwischen dieser Verarmung und der Wohnungsnot liegt hier auf der Hand - trotz "25 TV Programmen", die "das Leben erst schön machen".
Die Arbeiterwohmmg gehört zu den Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft. Der Kapitalist muß in Form des Lohnes dafür aufkommen, weil ohne ein Dach überm Kopf der Arbeiter nicht mehr lange profitträchtig ausgebeutet werden kann. Das Einkommen der Langzeitarbeitslosen, so wie wir sie heutzutage kennen, kann dagegen vom kapitalistischen Standpunkt aus ruhig unter das Fxistenzminimum herabsinken. Aus ihm ist sowieso kein Mehrwert herauszuschlagen. So geschieht es auch. Der Sozialhilfeempfänger etwa stellt keinen wirklichen, d.h zahlungsfähigen Nachfrager mehr dar. Nicht Wohlstand und Überfluß, sondern Reallohnrückgang und Arbeitslosigkeit sind der wirkliche Hintergrund der Wohnungsnot.
Trotz all dem Gerede vom Wohlstand beweist die bürgerliche Klasse, daß sie genau bescheid weiß über diesen Zusammenhang und zwar da, wo es ihr am unmittelbarsten darauf ankomnt: bei den Investitionen. Bei Investitionen, die schnelle Profite versprechen, ist man natürlich nicht abgeneigt, das Marktsegment des armen Mannes zu erschließen (Textilien, tragbare TVs usw.). Der Wohnungsbau dagegen rentiert sich erst nach 15 bis 20 Jahren. Wer glaubt heute noch, daß bis dahin große Teile der Arbeiterschaft eine zahlungsfähige Nachfrage darstellen werden? Offenbar keiner. Und das ist mit die Erklärung für die J.K. Galhraith so rätselhaft erscheinende Tatsache, daß der Kapitalismus dem Arbeiter lieber Kosmetika als Wohnungen anbietet.
Und überhaupt zweifeln die Bürgerlichen imner mehr an der Zukunft und schrecken vor langfristigen Investitionen zurück. So z.B. der Trend zu Eigentumswohnungen. In den ersten 9 Monaten des Jahres 1988 wurden 25.000 Neubauten von Eigentumswohnungen genehmigt im Vergleich zu nurr 44.000 Mietwohnungen. Bereits Friedrich Engels ('Die Wohnungsfrage') warnte vor den Versprechungen materieller Sicherheit, die mit Eigentumswohnungen verbunden werden. Im Wirklichkeit geht es den Anbietern darum, schnelles Geld zu machen und die Zukunftsrisiken auf den 'glücklichen Neubesitzer' abzuwälzen, der oft bald zur Stufe des Sklaven der Kreditinstitute herabsinkt.
Wie immer in Krisenzeiten sind die größten, schnellsten Profite gar nicht im Produktionsprozess, sondern durch Spekulationen jeglicher Art zu haben. Schon im letzten Jahrhundert gehörte die Bodenspekulation in den Großstädten dazu. Sie ist hauptsächlich mit verantwortlich für die verrückte Spirale der Mietpreise in Krisenzeiten. 'Viele Wohnblöcke sind innerhalb eines Jahrzehnts drei- oder viermal verkauft worden, jedesmal zu höheren Preisen, jedesmal mit Steuervorteil und meist mit nachfolgenden Mieterhöhunggen". (Der Spiegel 42, 12.12.88).
Von dem Börsenspekulationsfieber angeheizt wird z.B. in London, von der City ausgehend, ein Stadtteil der Riesenmetropole nach dem anderen von den Spekulationshaien aufgekauft. Die ursprünglichen Einwohner werden schlicht verjagt.
In der Krise werden nicht nur die Arbeiter ärmer, sondern ein Teil der besitzenden Klasse immer reicher. Das ist sicherlich der "neue deutsche Wohlstand", den Kohl meint. Hinzu kamt die Verschärfung der für den dekadenten Kapitalismus typischen Aufblähung der unproduktiven, parasitären Sektoren. Schmarotzer schießen wie Pilze aus dem Boden: Börsenspekulantenr, Hochstapler, die Yuppies. Für diese Neureichen werden die alten Arbeiterwohnungen in der Stadt als Luxusmaisonette-Wohnungen neu hergerichtet, in Eigentumswohnungen umgewandelt oder abgerissen, um Platz zu schaffen für teure Hotels, Boutique-Einkaufszentren und Versicherungsbüros. Dadurch verschwinden 130.000 Wohnungen pro Jahr (Deutsche Mieterbund). Das 'Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen', nach dem Amtsantritt von Kohl verabschiedet, hat diese Tendenz nicht ins Leben gerufen (wie die SPD behauptet), sondern lediglich juristisch anerkannt. Innenstädte wie z.B. in Köln (wo hinzugezogene Luxushotels sowie der Sender RTL Tausende von Wohnungen aufgekauft haben) werden in Hochburgen des Luxus verwandelt, die Arbeiter vertrieben. Weiß der Teufel wohin. Marx und Engels nannten es damals "HaussmannGeist (1).
Die Wohnungsnot ist also nur insofern ein Ausdruck des Wohlstands, als der wachsende Wohlstand der Reichen (die selber keine Wohnungsnot kennen, sondern im Gegenteil heute 'schicker' denn je wohnen können) die Wohnmisere der Armen mir vergrössert.
Da wir nicht mehr wie Mitte des letzten Jahrhunderts unter dem Regime der freien Konkurrenz leben, sondern im Staatskapitalismus, ist der Staat mit der Wohnmisere heute unzertrennlich verbunden. Obwohl die Gesamtwirtschaft, und damit der Staat, eigentlich daran interessiert sein muß, zumindest für den regelmäßig beschäftigten Teil der Arbeiterklasse halbwegs bewohnbare und bezahlbare Quartiere anzubieten, steigt der überaus verschuldete 'Vater Staat' stattdessen zusehends aus dem Wohnungsbau aus.
Seit 1986 ist die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus durch den Staat restlos gestrichen worden. Durch die Steuerreform fällt jetzt auch die 'Gemeinnützigkeit für Wohnungsbaugesellschaften' weg. Damit werden allein in München 80.000 Wohnungen teurer. Auch in den USA wurden die Mittel für Sozialwohnungen um 77% gekürzt. Die so eingesparten Milliarden können dann verwendet werden, um die Zinsen der Verschuldung des Staatshaushalts bzw. Um Militärausgaben wie Jäger 90 (bundesdeutscher Anteil 120 Mia. DM) zu decken. Somit entpuppt sich der Wohnungsnotstand nicht als Ergebnis einer 'falschen Politik' oder als paradoxaler Auswuchs der "Wohlstandsgesellschaft", sondern als Widerspiegelung des gesellschaftlichen Bankrotts des Kapitalismus, der immer mehr von der Arbeiterklasse geschaffene Reichtümer für Instrumente des Todes und für die Abzahlung von Schulden vergeudet. Zehntausende amerikanische Arbeiter haben in den letzten 10 Jahre ihre Autos verkaufen müssen, um sich ihre Wohnung noch leisten zu können. Ebenso viele haben ihre Wohnungen verkauft, um ihre Autos behalten zu können. Denn ohne Auto kann man keinen neuen Job finden, bzw. ihn behalten, weil die öffentlichen Verkehrsmittel in den amerikanischen Städten erbärmlich sind. Somit hat der anfangs zitierte Galbraith zutiefst unrecht: der Kapitalismus kann den Arbeitern heutzutage weder Wohnung noch Auto sichern. Und was die Kosmetika betrifft, werden sie vor allem eingesetzt, um das wirkliche Ausmaß der kapitalistischen Verarmung der Arbeiter zu verdecken.
Auf viele Aspekte dieser komplexen Frage sind wir hier nicht eingegangen. Z.B. auf den Zerfall der bürgerlichen Familie, der die Anzahl der Einpersonenhaushalte steigen läßt und den Wohnungsmangel verschärft. (2) Es ging uns aber vor allem darum aufzuzeigen, daß die Wohnungsmisere, keine Ausnahme ist in der "Wohlstandsgesellschaft", sondern im Gegenteil eine getreue Widerspiegelung der kapitalistischen Krise mit ihrer Verarmung der Arbeiterklasse und anderer Bevölkerungsschichten darstellt.
'Andrerseits weiß jeder, daß die Teuerkeit der Wohnungen im taogekehrten Verhältnis zu ihrer Güte steht daß die Minen des Elends von Häuserspekulanten mehr Profit und weniger Kasten ausgebeutet werden als jemals die Minen von Potcsi. Der antagonistische Charakter der kapitalistischen Akkumulation wird hier so handgreifbar, daß selbst die offiziellen englischen Berichte über diesen Gegenstand wimmeln von heterodoxen Ausfällen auf das 'Eigentum und seine Rechte" (Marx, Kapital 1, S.687, MEW 23).
(Aus Weltrevolution, Nr. 35, 1989)
Das Proletariat hat sich heute mehr und mehr von den Ketten der Konterrevolution befreit. Umso wichtiger ist es, 70 Jahre nach der Gründung der III. Internationale den Beitrag der Komintern zu verstehen und sich anzueignen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, muß man nicht nur die stalinistischen Verfälschungen verwerfen, sondern auch den folgenschweren Fehler Trotzkis, der die Anerkennung der gesamten vier ersten Kongresse der Komintern zur Bedingung und Garantie für den Kampf gegen den Stalinismus machte. Ebenso irrig ist die gegensätzliche Haltung der Rätekommunisten, die die 3. Internationale von Beginn an außerhalb des proletarischen Lagers stellten, weil nach dem 5. Kongreß der Prozeß der Entartung voll in Gang kam. Die Grundlage dieser Fehleinschätzungen ist ein mangelndes Verständnis des Prozesses, den die Komintern durchlief: den Versuch der Arbeiterklasse und ihrer Vorhut, den Bruch, den der I. Weltkrieg darstellte, zu verstehen.
"Wenn es uns gelungen ist, uns trotz aller polizeilichen Schwierigkeiten und Verfolgungen zu versammeln, wenn es uns gelungen ist, in kurzer Zeit ohne irgendwelche ernst zu nehmenden Differenzen wichtige Beschlüsse über alle brennenden Fragen der heutigen revolutionären Epoche zu fassen, so verdanken wir das dem Umstand, daß die Massen des Proletariats der ganzen Welt eben diese Fragen schon durch ihr praktisches Auftreten auf die Tagesordnung gestellt und praktisch zu entscheiden begonnen haben."
(Rede Lenins bei Beendigung des I. Kongress der Komintern, 6. 3.1919).
Diese Feststellung Lenins drückt ganz deutlich aus, in welchem Zusammenhang die Komintern gegründet wurde: der Bruch von immer größeren Massen von Arbeitern mit der Konterrevolution, die die endgültige Niederlage der II. Internationale und den Ausbruch des imperialistischen Gemetzels verursacht hatte. Der tragischen Begeisterung für den Krieg folgte ziemlich rasch eine wachsende Abneigung angesichts der Wirklichkeit des Krieges, die die Barbarei eines überholten Systems zuspitzte.
Schon 1916 brachen die ersten großen Meutereien und Streiks aus, insbesondere in Rußland. Auch wenn dies anfänglich nur eine Minderheit war, auch wenn die Reaktion der Arbeiter nicht über den Wunsch nach Beendigung des Krieges hinausging, tat sich durch diese Kämpfe ein Bruch in dem grausamen Burgfrieden der Proletarier mit ihren Ausbeutern für das Vaterland auf. Zur gleichen Zeit begannen die wenigen revolutionären Kräfte, die den Verrat vom August 1914 und die Zusammenarbeit der Arbeiterparteien mit dem Imperialismus verworfen hatten, sich zu organisieren und zusammenzufinden (Konferenz von Zimmerwald und Kienthal). Auch da, wo die Bolschewiki, gefolgt von einigen kleinen Gruppen der Deutschen Linke als einzige eine wirkliche Alternative zeigten - "Umwandlung des imperialistischen Kriegs in Bürgerkrieg" - wurde ein erster Schritt gemacht.
Im Februar 1917 kam diese Entwicklung zum ersten Mal auf breiter Ebene deutlich zum Vorschein. Oktober 1917 war der Höhepunkt und zugleich das Sprungbrett für die Ausdehnung der revolutionären Welle: gewaltige Streiks brachen in Italien, Großbritannien, den USA aus; etwas später stand Deutschland kurz vor dem proletarischen Aufstand, in Ungarn entstand die 2. Räterepublik, während in "weiter entwickelten Kolonien geht der Kampf schon jetzt nicht bloß unter dem Banner der nationalen Befreiung, sondern nimmt gleich einen offen ausgesprochenen sozialen Charakter an". (Manifest). Die Gründung der Komintern fand in dieser revolutionären Welle statt, in welcher die Arbeiter mit ihrem neuen Wachhund - der Sozialdemokratie, die zum Feind übergewechselt war - brachen. Unter dem Einfluß dieser Kämpfe verstärkte sich die kommunistische Minderheit. 1916 kündigten sie schon mit Lenin an ihrer Spitze an, daß es nicht möglich sei, die 2. Internationale wieder aufzurichten, und daß eine neue Internationale gegründet werden muß.
Die tragische Verspätung der Gründung der Komintern (der Bürgerkrieg war seit einem Jahr im Gange) drückte die mangelnde Reife des Proletariats und die sehr große Schwierigkeit für die Revolutionäre aus, die neue Zeit und ihre Erfordernisse zu verstehen. Nur die Umgruppierung der Revolutionäre auf Weltebene konnte die Vertiefung dieses Verständnisses ermöglichen. Darin bestand die Aufgabe, die sich der I. Kongreß der Komintern setzte, und insofern war er ein wichtiges Moment in der Geschichte des proletarischen Kampfes.
"Die dritte Internationale ist die Internationale der offenen Massenaktion, die Internationale der revolutionären Verwirklichung, die Internationale der Tat".(Manifest)
Die KI betonte den unüberwindbaren Widerspruch zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die absolute Unmöglichkeit eines schrittweisen und friedlichen Übergangs zum Sozialismus und die Notwendigkeit der gewaltsamen Zerstörung des bürgerlichen Staates.
Der proletarische Internationalismus wurde angesichts des nationalistischen Giftes, das die Sozialdemokratie zerfressen hatte, hochgehalten.
"Die Internationale, die den Interessen der internationalen Revolution die sogenannten nationalen Interessen unterordnet, wird die gegenseitige Hilfe des Proletariats der verschiedenen Länder verwirklichen, denn ohne wirtschaftliche und andere gegenseitige Hilfe wird das Proletariat nicht imstande sein, die neue Gesellschaft zu organisieren."(Richtlinien der Komintern).
Der Dreh- und Angelpunkt für diese Verteidigung des Marxismus und die Bloßstellung der sozialdemokratischen Parteien als Agenten der Bourgeoisie war das Begreifen, daß eine neue Epoche hereingebrochen war: "Die neue Epoche ist geboren! Die Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seiner inneren Zersetzung, die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats".
Der gesamte Kongreß war von dieser Idee geprägt. Neue Erfordernisse entstanden mit dieser neuen Epoche:
- der Kapitalismus ist in unüberwindbare Widersprüche verstrickt und nimmt in seinem Niedergang neue Formen an. So betonte Bucharin in seinem Bericht, daß man nicht nur die allgemeinen Merkmale des kapitalistischen und imperialistischen Systems beschreiben müsse, sondern auch den Zerfallsprozeß und den Zusammenbruch des Systems... Das kapitalistische System dürfe nicht nur in seiner abstrakten Form, sondern auch praktisch als Weltkapitalismus, als ökonomische Ganzheit gesehen werden.
Von dem Verständnis, daß der Kapitalismus als System die gesamte Erde erobert hat, hängt die Haltung des Proletariats zu nationalen Befreiungskämpfen und zu vorübergehenden Bündnissen mit Fraktionen der Bourgeoisie ab. Bucharin führte dazu aus: "die primitiven Formen des Kapitalismus sind nahezu verschwunden. Dieser Prozeß begann schon vor dem Krieg und beschleunigte sich während desselben. Dieser Krieg war ein großer Organisator. Unter seinem Gewicht wurde das Finanzkapital in eine höhere Stufe übergeführt, umgewandelt: Staatskapitalismus".
Der Staatskapitalismus, wie Bucharin mit Recht feststellte, verringert nicht die kapitalistische Anarchie, sondern bringt sie auf die höchste Stufe, auf die Ebene der Staaten selber. Darin liegt die Grundlage für das Verständnis der besonderen Form des dekadenten Kapitalismus, wobei die sog. sozialistischen Länder nur eine Spielart dessen sind.
- in einer anderen grundsätzlichen Frage - der Machteroberung und der Diktatur des Proletariats- wird deutlich, daß eine neue Epoche der proletarischen Revolutionen angebrochen war. Die Erfahrung des Klassenkampfes lieferte die Grundlage dieser Erkenntnis. Bis dahin hatte die Pariser Kommune einige wertvolle aber begrenzte Elemente zur Frage geliefert, wie das Proletariat seine Diktatur ausübt. Und diese Erkenntnisse waren durch das Gewicht jahrzehntelangen parlamentarischen Kampfes vergessen worden "Diktatur des Proletariats! Das war bisher Latein für die Massen. Mit der Ausbreitung des Sowjetsystems in der ganzen Welt ist dieses Latein in alle modernen Sprachen übersetzt worden: die praktische Form der Diktatur ist durch die Arbeitermassen gefunden... Alles dieses beweist, daß die revolutionäre Form der proletarischen Diktatur gefunden, daß das Proletariat jetzt praktisch imstande ist, seine Herrschaft auszuüben".(Rede Lenins bei Eröffnung des I. Kongresses der KI,2.3.1919)
Während des ganzen Kongresses wurde die Wichtigkeit der Arbeiterräte betont. Die dringende Notwendigkeit, mit der II. Internationale und ihren linken Spielarten radikal zu brechen, wurde immer im Zusammenhang mit den Arbeiterräten, den Organen des revolutionären Proletariats gebracht. Der erste Kongreß verwarf die Auffassung, übernommen aus der bürgerlichen Revolution, in der eine Minderheit der revolutionären Arbeiterklasse die Macht im Namen aller ausübt. Diese Auffassung war auf die proletarische Revolution übertragen und durch die vielen Jahre des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Kampfes verstärkt worden. Durch das Verständnis der Änderung der Periode und der neuen proletarischen Praktiken, die daraus entstanden, konnten die Fragen der Gewerkschaften und des Parlamentarismus gestellt werden. Überall da, wo radikale Kämpfe stattfanden, wurden die Gewerkschaften von Streikkomitees verdrängt. Meistens, wie in Deutschland oder Großbritannien, stellten sich die Gewerkschaften offen gegen die revolutionäre Bewegung, während die kämpferischen Arbeiter sich von ihnen abwandten. Dennoch ermöglichte die Vielfalt der Erfahrungen und die Tatsache, daß der Prozeß der Einbeziehung der Gewerkschaften in den Staat erst am Anfang standen, es nicht, daß eine klare und umfassende Antwort auf diese Frage gegeben werden konnte. Auch wenn die Möglichkeit einer revolutionären Ausnutzung des Parlaments noch verteidigt wurde, unter anderem auch von den Bolschewiki, wurde die Notwendigkeit, die parlamentarische Frage im Zusammenhang mit der neuen Epoche zu diskutieren, erkannt.
Der wesentliche Beitrag des I. Kongresses der Komintern kann aber nicht auf eine einfache Wiederaneignung des Marxismus reduziert werden. Der Marxismus ist vor allem der Ausdruck der lebendigen Erfahrung des Proletariats und hat nichts mit einer erstarrten Lehre zu tun, die man nur zu bestimmten Zeitpunkten hervorzuholen brauchte. Auf der Grundlage der vergangenen Erfahrungen konnte die Komintern den Marxismus mit neuen Elementen bereichern. Der erste Kongreß der Komintern verdeutlichte das revolutionäre Programm des Proletariats in seiner Gesamtheit, so wie es damals von seinen revolutionären Minderheiten aufgefaßt und formuliert wurde. Durch die großen Kämpfe des Proletariats gibt es immer eine Bereicherung des Programms, auch auf der Ebene grundsätzlicher Fragen. Mit der Pariser Kommune machte das Proletariat die Erfahrung, daß es den bürgerlichen Staat nicht erobern, sondern ihn zerstören muß. Durch die Kämpfe von 1917 konnte es erst verstehen, welche Form seine Diktatur als Klasse annehmen muß: die Macht der Arbeiterräte.
Als Ausdruck der revolutionären Welle, der Möglichkeit und Notwendigkeit der kommunistischen Revolution verdeutlichte der 1. Kongreß eindrücklich die Änderungen der Epoche und die Probleme, die diese Veränderungen für die gesamte Arbeiterklasse mit sich brachten. Aus diesem Grund stellt er einen der wichtigsten Momente in der Geschichte der Arbeiterlasse dar. Heute muß jedes revolutionäre Programm die Errungenschaften der Komintern und insbesondere ihres ersten Kongresses anerkennen. Jedoch genügt es nicht, die von der Komintern entwickelten Positionen vorbehaltlos in ihrer Gesamtheit zu übernehmen. Denn, obwohl die Komintern einen enormen Schritt für die Arbeiterbewegung bedeutet hat, konnte sie angesichts des Rückflusses der proletarischen Bewegung und der Tatsache, daß sie an der Schwelle zwischen zwei Epochen des Kapitalismus gegründet wurde, nicht alle Folgen dieser Analyse herausarbeiten und sich völlig von der alten sozialdemokratischen Auffassung befreien. Die Grundlagen, die die Komintern geschaffen hat, haben es den aus der Komintern hervorgegangen Fraktionen der Kommunistischen Linke ermöglicht, diesen Bruch mit der alten sozialdemokratischen Auffassung vollständig zu vollziehen und zu vertiefen. Das Werk der Kommunistischen Internationale heute fortzusetzen, bedeutet, die theoretischen, programmatischen und organisatorischen Konsequenzen der vom ersten Kongreß entwickelten Analysen vollständig zu ziehen.
(aus "Revolution Internationale", Nr. 64, Zeitung der IKS in Frankreich, Dez. 1979).
Baut etwa eine Aktiengesellschaft oder der Staat eine neue Fabrik, so wird stets die Schaffung neuer Arbeitsplätze als Motiv dafür angegeben. Glaubt man den Behauptungen der Kapitalisten, so geschieht fast alles, was sie tun, im Interesse der Allgemeinheit, insbesondere zugunsten der von ihnen beschäftigten Arbeiter. Mit Ausbeutung und Plusmacherei hat das also nichts zu tun...
Ganz ähnlich tönt ihre unverfrorene Propaganda, wenn es um die Beschäftigung ausländischer Arbeiter in den Industriestaaten des Nordens geht. Dadurch haben nämlich die edlen "Arbeitgeber" Millionen Menschen aus den ärmsten Ländern einen neuen Wohlstand geschenkt, zugleich damit aber auch vielen deutschen Malochern, die "die Drecksarbeit nicht mehr machen wollten", neue Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet. So sieht es in der heilen bürgerlichen Märchenwelt aus.
Fast meinen sie, daß es für die Arbeiterschaft aus Osteuropa, den Mittelmeerländern oder aus den 3. Welt-Staaten ein ungeheueres Privileg sein muß, sich hierzulande ausbeuten zu lassen. Und dieses angebliche Privileg macht man den Fremdarbeitern heute wieder zum Vorwurf. Sie werden beschimpft, "Einheimischen" die knappen Arbeitsplätze und den Wohnraum wegzunehmen und dem deutschen Steuerzahler zu Last zu fallen.
Weit entfernt, der kapitalistischen Staatskasse der Industrieländer zur Last zu fallen, holt das Bürgertum der mächtigsten Länder schon seit Jahrzehnten gerade deshalb so gierig Fremdarbeiter zu sich, weil sie in der Regel SO GUT WIE KEINE SOLCHEN KOSTEN VERURSACHEN. Es handelt sich um ein besonderes Privileg der stärksten Fraktionen des Weltkapitals, ihre Kosten dadurch zu senken, daß sie einen Teil der Reproduktionskosten ihrer Arbeitskräfte anderen Ländern überlassen. Man importiert halt erst dann die Arbeiter, wenn sie bereits im arbeitsfähigen Alter sind.
Der ehemalige Chef des Reichsarbeitsamtes Friedrich Syrup urteilte bereits 1918 so:
"Es ist fraglos, daß die deutsche Volkswirtschaft aus der Arbeitskraft der im besten Alter stehenden Ausländer einen hohen Gewinn zieht, wobei das Auswanderungsland die Aufzuchtkosten bis zur Erwerbstätigkeit der Arbeiter übernommen hat. Von noch größerer Bedeutung ist jedoch das Abstoßen oder die verminderte Anwerbung der ausländischen Arbeiter in Zeiten wirtschaftlichen Niederganges."
Diese Vorteile wurden vor allem nach dem 2.Weltkrieg voll ausgeschöpft, da eine niedergeschlagene und durch das Kriegsgemetzel ausgeblutete Arbeiterklasse den Maßnahmen des Kapitals kaum noch widerstehen konnte. Außerdem fielen zwei Drittel der Weltwirtschaft unter die einheitliche Führung der USA, wodurch eine riesige, schier unerschöpfliche internationale Arbeitskraftreserve entstand. Das goldene Zeitalter der 'Gastarbeiter' brach für die Kapitalisten ganz Westeuropas an.
Weit entfernt davon, den einströmenden Arbeitern aus den unterentwickelten Gebieten einen neuen Anfang zu bieten, begegnete das Kapital des Nachkriegseuropas seine 'Gastarbeitern' mit Arbeitserlaubnissen von jeweils nur einem Jahr. Sie konnten quasi jederzeit rausgeschmissen werden, und sie wurden es auch: nicht nur bei Geschäftsflauten, sondern auch so, damit sie bloß nicht anfingen, sich heimisch zu fühlen.
Nicht nur die "Aufzuchtkosten" und das Arbeitslosengeld sparte sich das Kapital damit, sondern auch die Krankenkassen- und Rentenauszahlungen. Zwar durften die "Gäste" kräftig in diese Kassen einzahlen. Aber sie kriegten daraus so gut wie nichts zurück, da sie abgeschoben wurden, sobald sie älter oder krankheitsanfälliger wurden. Es war wohl einer der größten Betrugsfälle der Weltgeschichte - was das Bürgertum natürlich nicht daran hinderte, endlos über die Kosten der Bewirtung der 'Gastarbeiter' zu heulen.
Wie radikal der Staat sich der "Aufzuchtkosten" dieses Teils der Arbeiterklasse entledigte, zeigte die Tatsache auf, daß in der Bundesrepublik Mitte der 60er Jahre über 90% der ausländischen Arbeiter im besten Schaffensalter waren - überwiegend allein stehende Männer. 1961 waren über 80% aller in der BRD lebenden Ausländer erwerbstätig - bei der deutschen Bevölkerung 47%. Im Klartext: es waren so gut wie keine Kinder oder Rentner dabei.
Genauso wie die Staatskasse belasteten die Fremdarbeiter damals den heimischen Arbeits- und Wohnungsmarkt. Bei der Rezession 1967 etwa wurden 400.000 davon gleich hinausgeworfen. Arbeiter in Betriebsunterkünften verloren mit ihrem Job direkt auch das Dach überm Kopf und mußten damit auch schon vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gehen.
1962 wohnten zwei Drittel der neuangeworbenen Fremdarbeiter in Gemeinschaftsunterkünften. Andere wohnten in denselben Baracken, die seit den 30er Jahren der Reihe nach, von Reichsarbeitsdienstkolonnen, Zwangsarbeitern, 'Displaced Persons' und Vertriebenen bevölkert wurden. Damals wimmelte es sogar in der bürgerlichen Presse von Berichten über die empörende Wohnlage der Ausländer, die stark an die Berichte erinnern, die Marx im 'Kapital' über die Situation des Englands der industriellen Revolution zitierte. Ein damaliger Bericht aus Düsseldorf :
"Ein paar Straßen weiter befindet sich das zweite Ziel der Razzia, eine Baracke... Hundert Südländer führen hier ein trauriges Dasein... übereinander und eng zusammengerückt stehen die Betten: alle Männer liegen schon, obwohl es gerade erst halb Neun ist. Aber was sollen sie in diesem Loch anders anfangen?"
Die Erstellung von Wohnräumen war der einzige ins Gewicht fallende Kostenfaktor der superbiligen 'Gastarbeiter' für die Unternehmer. Natürlich waren sie nicht bereit dafür aufzukommen.
Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre bahnte sich folgendes an : die Gastarbeiter richteten sich häuslich ein, holten ihre Familien nach, und bekamen auch immer längere Aufenthaltserlaubnisse. Es war ein ganz normaler Prozess. Ein Teil dieser Arbeiter ist für das westeuropäische, japanische usw. Kapital einfach unentbehrlich geworden. Die Unternehmer selber sträubten sich dagegen, immer wieder neue Leute einarbeiten zu müssen, während die bereits eingeübten heimgeschickt wurden - zu kostspielig; Produktionsabläufe kamen durcheinander. Außerdem war etwas anderes, von enormer Bedeutung passiert - in ganz Westeuropa beteiligten sich die 'ausländischen' Arbeiter voll und ganz an der mächtigen Flut von Arbeiterkämpfen zwischen 1968-72, die das Ende der kapitalistischen Konterrevolution und der Friedhofsruhe im Klassenkampf signalisierte. Das Kapital konnte sich gegenüber der Arbeiterklasse, egal welcher Herkunft, nicht mehr einfach alles erlauben.
Dies alles bedeutet aber, daß das heimische Kapital auch für diese Arbeiter die stinknormalen Reproduktionskosten übernehmen mußte. Das Gejammer war natürlich groß.
"Der nicht integrierte, auf sehr niedrigem Lebensstandard vegetierende Gastarbeiter verursacht relativ geringe Kosten von vielleicht 30.000 DM. Bei Vollintegration muß jedoch eine Inanspruchnahme der Infrastruktur von 150.000 bis 200.000 DM je Arbeitnehmer angesetzt werden. Hier beginnen die politischen Aspekte des Gastarbeiterproblems".
('Mehr Auslandsinvestitionen - weniger Gastarbeiter', Handelsblatt 23.01.1971)
Da waren sie wieder, die schrecklichen "Aufzuchtkosten"! Aber auch jetzt kam das Kapital nur zum Teil dafür auf. Zusätzliche Wohnungen für die hinzuziehenden Familien der seit Jahren besonders profitabel ausgebeuteten "Südländer" wurden beispielsweise gar nicht gebaut. Stattdessen gibt man heute den Ausländern die Schuld an der Wohnungsnot.
Obwohl damals die große Zeit der 'Gastarbeiter' mit dem Aufflammen der Krise am Ende des Nachkriegswiederaufbaus zu Ende ging (die Ausländeranzahl dagegen ging nicht zurück, weil die Frauen und Kinder jetzt hinzukamen), verzichtete das Bürgertum nicht auf die alte Beschimpfung 'Gastarbeiter' ("die Bundesrepublik ist kein Einwanderungsland"), um damit zu versuchen, die Absonderung verschiedener Teile der Arbeiterklasse voneinander aufrechtzuerhalten, und um die Möglichkeit zu behalten, einen Teil dieser Arbeiter doch noch hinauszuwerfen - was unter Schmidt Mitte der 70er Jahre auch im großen Stil geschah.
Außerdem verzichtet das Kapital der Industriestaaten auch in Krisenzeiten nicht auf die Vorteile, bereits "aufgezüchtete" Arbeiter aus anderen Ländern zu holen. Die Aussiedler und Asylanten sind heute in dieser Hinsicht das, was die 'Gastarbeiter' der Nachkriegsjahre waren.
Also: Nicht die 'Gastarbeiter', Aussiedler und Asylanten nehmen 'uns' Wohnraum und Arbeitsplätze weg - sondern das Kapital. Dieses verfaulende System ist immer weniger imstande, Arbeitern (egal welcher Herkunft) überhaupt solche minimalen Lebensgrundlagen zur Verfügung zu stellen.
Falkenhayn
PS: Das für diese Nummer versprochene Kapitel über die internationale Auswanderung von Arbeitern heute im Vergleich zum vorigen Jahrhundert erscheint stattdessen in der nächsten Ausgabe.
In der letzten Nr. von WR veröffentlichten wir einen Artikel anläßlich des 70. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen (oder auch III). Internationalen. Die Gründung der KI im Jahre 1919 stellte einen gewaltigen Schritt vorwärts für die Weltarbeiterklasse dar, und ihr Tod in den Händen des Stalinismus weniger als ein Jahrzehnt später war der Ausdruck einer Niederlage, deren Auswirkungen zum Teil noch bis heute zu spüren sind. Denn seit dieser Zeit verfügt die Arbeiterklasse nicht mehr über ihr grundlegendes Element für ihre Befreiung: die Kommunistische Weltpartei der kommunistischen Revolution.
Aber ein anderer Jahrestag wurde neulich ebenfalls von einer politischen Kraft gefeiert, die sich auf eine Kontinuität mit den frühen Jahren der KI beruft, und die ebenso darauf besteht, daß die III. Internationale in der 1938 von Trotzki gegründeten IV. Internationale einen würdigen Nachfolger gefunden habe. Die verschiedenen trotzkistischen Gruppen mögen heute wutentbrannt darüber streiten, ob diese IV. Internationale noch lebt oder nicht, ob sie reformiert werden kann wiederaufgebaut werden muß; aber alle wollen sie als die wirklichen Erben der 1938'er Internationale und deren grundsätzlichen politischen Positionen angesehen werden.
Die Argumente als solche sind von geringem Interesse für die Arbeiterklasse. Aber weil die Trotzkisten bei der Sabotage des Klassenkampfes eine wachsende Rolle spielen, und weil ihr Ruf, ihre Glaubwürdigkeit als "Revolutionäre" und "Internationalisten" sich gerade auf ihren Anspruch stützt, daß sie die wirkliche Kontinuität mit der revolutionären Bewegung der Vergangenheit darstellen, müssen wir auf das wirkliche Wesen der IV. Internationale zu sprechen kommen, um die tatsächliche Rolle der Trotzkisten heute aufzuzeigen.
Die Gründung der IV. Internationale wurde auf Trotzkis Initiative hin ein Jahr vor dem Ausbruch des 2. Weltkriegs beschlossen. Innerhalb der trotzkistischen Strömung sprachen nur wenige Gruppen oder Elemente gegen diese Entscheidung - z.B. die österreichischen RKD, die mit dem Trotzkismus im Verlaufe des Krieges brachen und sich auf die Positionen der Kommunistischen Linken hinbewegten.
Die damaligen kleinen trotzkistischen Gruppen, von denen viele noch sozialdemokratischen Parteien angehörten und in ihnen die Taktik der "Unterwanderung" praktizierten, erklärten, daß es sich um eine "revolutionäre" Periode handele, und daß deshalb die Gründung einer neuen Internationale nötig sei. Diese Erklärung war sowohl abenteuerlich als auch rein voluntaristisch, d.h. reines Wunschdenken. Zu behaupten, indem man sich einfach Partei und Internationale nenne, mache man die Revolution möglich, hieß in Wirklichkeit, daß Trotzki und seine Anhänger die tatsächlichen damaligen Verhältnisse vollkommen außer Acht ließen. Damals steckte die Arbeiterbewegung in einem absoluten Tiefpunkt. Um Victor Serges Ausdruck zu verwenden, "es war Mitternacht im Jahrhundert". Nach dem Scheitern der revolutionären Welle von 1917-23 hatte die Konterrevolution überall auf die brutalste Art gesiegt, und das Bewußtsein der Arbeiterklasse entwickelte sich zurück. Das Proletariat war durch die Nazis und den Stalinismus physisch besiegt, und ideologisch war es durch die Unterstützung des Anti-Faschismus und die Volksfronten geschlagen, die ja eine direkte Vorbereitung für den Weltkrieg waren.
Nur einige wenige revolutionäre Kerne, insbesondere die Italienische und Belgische Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linken begriffen die Aufgaben, welche infolge des Siegs der Konterrevolution auf sie zukamen: die Bilanz der vorangegangenen revolutionären Welle zu ziehen und die zukünftigen revolutionären Kämpfe durch die Konsolidierung der kommunistischen Fraktionen vorzubereiten. Aber sie verstanden, daß auf dem Hintergrund der zunehmenden Kriegsvorbereitungen die Aussichten auf eine Revolution immer schlechter wurden, und daß die Gründung einer neuen Internationale nur ins Auge gefaßt werden konnte, wenn es zu einem neuen revolutionären Aufschwung der Kämpfe kommen würde.
Die IV. Internationale war nicht nur ein voluntaristischer Bluff. Sie stand in vollständigem Gegensatz zu den Arbeiterinternationalen der Vergangenheit.
In der Geschichte des proletarischen Klassenkampfes wurden die wirklichen Internationalen immer auf der Grundlage einer politischen und organisatorischen Entwicklung der Arbeiterbewegung gegründet, die allemal eine aufwärtsstrebende Entwicklung des Klassenkampfes selber widerspiegelten. Die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) oder auch I. Internationale genannt (1864-1872) war das Ergebnis einer Entwicklung der Arbeiterbewegung, die in der Pariser Kommune 1871 gipfelte. Die Niederschlagung der Kommune und das sich daraus ergebende Auseinanderbrechen der Internationale führten zu ihrer praktischen Auflösung 1872. Die Bildung eines mächtigen Industrieproletariats in Nord- und Mitteleuropa nach dem französisch-preußischen Krieg von 1870 und die tumultartige Entwicklung des Klassenkampfes 1880 waren die Grundlage für die Gründung der II. Internationale 1889. Und wiederum brach die Internationale an einem Tiefpunkt der Arbeiterbewegung zusammen: die Zustimmung für die Kriegskredite durch die größten Parteien im August 1914.
Die III. Internationale war das direkte Ergebnis des Oktoberaufstandes und der internationalen revolutionären Welle von Kämpfen, die danach stattfanden. Dies wiederum ermöglichte es den revolutionären Elementen von damals, mit den Parteien der II. Internationale zu brechen und wirklich kommunistische Parteien zu gründen. In all diesen Fällen war die neue Internationale sowohl eine Fortsetzung und ein neuer Schritt vorwärts gegenüber der vorherigen.
Abgesehen von ihrem tief greifenden Irrtum bei der Einschätzung der historischen Periode wurde die IV. Internationale auf ganz falschen politischen Positionen gegründet. Mit dem "Übergangsprogramm" übernahm sie all die schlimmsten Verirrungen der entartenden Komintern: "Arbeiterregierung" und "Einheitsfronten" mit der Sozialdemokratie, parlamentarische und Gewerkschaftspolitik. Ihr Programm war ein verwirrtes Durcheinander von revolutionären Forderungen wie der "Bewaffnung der Arbeiter" und reformistischen Forderungen wie die "Arbeiterkontrolle über die Produktion", Verstaatlichungen, öffentliche Arbeiten, gleitende Lohnskala usw... Zu einer Zeit, als es nicht mehr darum ging, dem System Reformen abzugewinnen, sondern es zu zerstören, weil es dekadent geworden war, propagierten die Trotzkisten einen "Übergangsweg" zum Sozialismus mit Hilfe solcher leerer Formeln. In vollständigem Gegensatz zu der III. Internationalen von 1919 besteht das Programm von 1938 auf der Notwendigkeit der Zerstörung des kapitalistischen Staats und der Diktatur des Proletariats mittels der Arbeiterräte.
Die trotzkistische Strömung hatte ihren Ursprung in dem proletarischen Widerstand gegen die stalinistische Konterrevolution. Aber ihre Unfähigkeit, eine tiefgreifende, konsequente Kritik am Stalinismus durchzuführen, sollte fatale Konsequenzen nach sich ziehen. Zu Anfang der 30er Jahre waren sie eine opportunistische Strömung innerhalb der revolutionären Bewegung gewesen, zu Anfang des neuen Jahrzehnts waren sie zu offenen Agenten der Konterrevolution geworden.
Obgleich sie behauptete, die Verbrechen des Stalinismus zu entblößen, machte sich die IV.Internationale von Anfang an zum Verteidiger des konterrevolutionären Regimes in Rußland. Das gesamte Programm Trotzkis und seiner Anhänger fußte auf der "Verteidigung der UdSSR", die sie immer noch ungeachtet ihres Verfalls als einen "Arbeiterstaat" betrachteten. In der Praxis konnte dies nur die Verteidigung der kapitalistischen Ausbeutung innerhalb Rußlands bedeuten, und damit auch die Verteidigung des russischen Imperialismus in dem bevorstehenden Weltkrieg. Der Trotzkismus schickte sich somit an, sich einem der Kriegslager des Kapitals direkt anzuschließen.
Eine andere ideologische Erklärung für diesen entscheidenden Schritt war die Unterstützung der Trotzkisten für die "Demokratie", für die Volksfronten und den anti-faschistischen Kreuzzug. Ihre Verteidigung des russischen Imperialismus ging somit logischerweise Hand in Hand mit der Verteidigung des "demokratischen" Imperialismus während des Krieges. Selbst vor 1939 hatten die Trotzkisten mit dieser Politik die Spanische Republik gegen Franco unterstützt. Trotzki selber hatte seinen Anhängern geraten, die "besten Soldaten" in diesem Krieg zwischen Republikanern und den anti-faschistischen Fraktionen der herrschenden Klasse zu sein. Die Unterstützung der Trotzkisten für Haile Selasses in dem italienisch-abessinischen Krieg von 1935 und das Eintreten für China gegen Japan 1937 waren weitere Schritte bei der vollständigen Aufgabe des Internationalismus. Und als Trotzki 1939 forderte, daß die amerikanischen Arbeiter zu den "besten Soldaten der Demokratie" werden sollten, als er einen sogenannten "Arbeiterpatriotismus" erfand und über die Möglichkeit einer Kriegsmobilisierung unter "Gewerkschaftskontrolle" spekulierte, war die Integration der Trotzkisten in das Lager des Kapitalismus schon vollständig vollzogen.
Der 2. Weltkrieg bewies, daß der von den Trotzkisten proklamierte Internationalismus eine reine Lüge war. Von einigen seltenen Ausnahmen abgesehen - wie den österreichischen RKD und der Gruppe um Munis in Mexiko - handelten die Gruppen der IV. Internationale als "kritische" Unterstützer des Krieges, des Nationalismus und des Staatskapitalismus. 1940 trat die POI (Parti Ouvrier Internationaliste - Internationalistische Arbeiterpartei) in Frankreich offen für die französische "Nation" und das "Vaterland" ein, dabei stützte sie sich auf eine nationalistische Sprache, die die Gaullisten im Vergleich dazu als blaß erschienen ließ. Die POI ist der Vorläufer der heutigen Ligue Communiste Revolutionnaire (LCR- Revolutionäre Kommunistische Liga) - der französischen Sektion der Tendenz um Mandel, die immer noch behauptet, die IV. Internationale zu sein. Andere trotzkistische Gruppen wie Lutte Ouvriere erinnern manchmal die LCR an diese dubiosen Vorfahren, aber sie verschweigen, daß ihre eigenen Vorfahren die gleiche kriegs-unterstützende, arbeiterfeindliche Haltung hatten. So beschrieb die Union Communiste Internationaliste, die Vorfahren von Lutte Ouvriere, den Vormarsch der Roten Armee in Europa enthusiastisch als das Voranschreiten des Sozialismus. Andere Trotzkisten gingen sogar noch weiter, indem sie in der patriotischen "Resistance" neben den Stalinisten und Gaullisten kämpften. In GB stellten sich die Vorfahren aller heute bestehenden trotzkistischen Gruppen, die Revolutionäre Sozialistische Liga und die Internationale Arbeiterliga, hinter Trotzkis Aufruf für die Unterstützung der antifaschistischen Kriegsbemühungen "unter Arbeiterkontrolle".
Soweit zum "Internationalismus" der IV. Internationale während des Kriegs, der ganz im Gegensatz stand zu dem Schlachtruf der Bolschewiki während des I. Weltkriegs, und auf den die Komintern sich bei ihrer Gründung stützte: "Umwandlung des imperialistischen Kriegs in einen Bürgerkrieg".
Die ganze Geschichte der IV. Internationale seit 1945, mit all ihren Spaltungen und ihrem Auseinanderbrechen, beweist nur, daß die Teilnahme der Trotzkisten am 2. Weltkrieg deren endgültigen Übergang in das Lager der Bourgeoisie verdeutlichte. Um nur einige Beispiele zu zitieren, und die Liste ist sehr lang:
- "bedingungslose" Unterstützung der UdSSR und des Ostblocks; Verteidigung des "selbstverwalteten Sozialismus" in Titos Jugoslawien. So wurde die Verteidigung der kapitalistischen Ausbeutung in Rußland jetzt auf eine ganze Reihe von Regimes ausgeweitet, die alle als "entartete Arbeiterstaaten" bezeichnet wurden, in denen der Kapitalismus angeblich umgestürzt worden sei;
- Unterstützung der nationalen Bourgeoisie der "3. Welt" im Namen des "Kampfes gegen den Imperialismus". Normalerweise bedeutete dies die Unterstützung der "nationalen Befreiungsbewegungen", welche vom russischen Imperialismus bewaffnet wurden, aber es kann auch die Länder mit einbeziehen, die vom US-Imperialismus unterstützt werden, wie im Falle der Socialist Workers Party in GB, die den russischen Abzug aus Afghanistan begrüßte.
- direkte Teilnahme an bürgerlichen Regierungen wie im Falle der LSSP in Ceylon 1964, oder als 1962 einer der Führer der IV. Internationale, Michel Raptis, auch Pablo genannt, zu einem hohen Führungstier im algerischen Staat unter Ben Bella gemacht wurde.
All die internen Streitigkeiten unter den trotzkistischen Gruppen, all die Argumente über die Frage, wer der wirkliche Erbe von 1938 ist, sind nur eine Rauchwolke, hinter der die Tatsache verborgen werden soll, daß die Bewegung als Ganzes in den Dienst des Kapitals getreten ist.
Die Trotzkisten mögen ihre IV.Internationale feiern oder von einer besseren träumen. Diese "Internationale" war nie die Fortsetzung der I.,II. und III. Internationale. Ihre ganze Geschichte ist die der Verwerfung des Internationalismus und der Verbrüderung der Arbeiter.
Eine wirkliche Internationale, die in tatsächlicher Kontinuität zu den früheren Internationalen steht, wird nur aus der Bewegung der internationalen Arbeiterklasse selber hervorgehen. Und eine ihrer Vorbedingungen wird die politische Zerstörung der trotzkistischen Strömung sein, die seit mehr als einem halben Jahrhundert zu den gefährlichsten und heimtückischsten Verteidigern der kapitalistischen Gesellschaft gehört.
CH. (aus Revolution Internationale und World Revolution, Zeitungen der IKS in Frankreich und GB).
"Sowenig die kapitalistische Produktion sich auf die Naturschätze und Produktivkräfte der gemäßigten Zonen beschränken kann,...sowenig kann sie mit der Arbeitskraft der weißen Rasse allein auskommen". (Rosa Luxemburg, Die Akkumulation des Kapitals, Ges. Werke, Bd. 5, 2. Teil, S. 311)
Laut der verlogenen bürgerlichen Propaganda ist der Weltmarkt für Arbeitskraft (und damit das sog. "Ausländerproblem") dadurch entstanden, daß die "fleißigen" Europäer, Nord-Amerikaner und Japaner ihre Länder so reich gemacht haben, daß alle anderen Völker "bei uns" wohnen wollen, um sich einen Teil "unseres Wohlstands" zu erschleichen.
In Wirklichkeit aber ist dieser Reichtum der bürgerlichen Schmarotzer das Ergebnis jahrhundertelanger Ausbeutung nicht nur der Arbeiterklasse der Metropolen sondern der Arbeiter der Bevölkerung aller Erdteile. Weit entfernt davon, das Resultat der Habgier der "rückständigen Völker" nach europäischem Luxus zu sein, ist der Weltmarkt für Arbeitskraft entstanden mittels rücksichtsloser Gewalt der kapitalistischen Staaten, da die Menschen aller Kontinente regelrecht gezwungen werden mußten, ihre Heimat zu verlassen und für das Kapital zu schuften.
Die gewaltsame Enteignung der Bauern in Europa des ausgehenden Mittelalters und ihre Vertreibung in die Städte als Lohnarbeiter (die 'ursprüngliche Akkumulation', die Marx anhand Englands des 16. Jahrhunderts so eindrucksvoll im Kapital Bd. I beschrieb), wurde von Anfang an durch eine blutige Arbeitskraftmobilisierung außerhalb Europas begleitet. Es begann mit der Sklavenarbeit der indianischen Wanderarbeiter ganz Amerikas in den Bergwerken, wodurch Europa damals mit Gold und Silber überflutet wurde. Allein durch das Fördern und Verarbeiten der Silbererze starben binnen 300 Jahren 8 Mio. Eingeborene. Die Bevölkerung Mexikos z.B. fiel von 1518 25 Mio. auf 1605 1 Mio. infolge von Überarbeitung und Massakern.
Als im 18. Jahrhundert die landwirtschaftliche Plantagenproduktion für den Weltmarkt in den Kolonien aufkam, organisierten die europäischen Kapitalisten dafür die wohl größte Zwangsmigration von Arbeitskräften aller Zeiten. Weit über 50 Mio. Menschen wurden aus Afrika geraubt, und als Sklaven in die USA, Brasilien und die Karibik verkauft. GB z.B. bezog dank der dortigen Sklavenarbeit damals viermal soviel Einkommen aus dem Handel mit den westindischen Inseln als aus dem Handel mit der gesamten übrigen Welt.
"Die direkte Sklaverei ist der Angelpunkt unserer heutigen Industrie ebenso wie die Maschinen, der Kredit etc. Ohne Sklaverei keine Baumwolle; ohne Baumwolle keine moderne Industrie. Erst die Sklaverei hat den Kolonien ihren Wert gegeben, erst die Kolonien haben den Welthandel geschaffen, der Welthandel ist die notwendige Bedingung der maschinellen Großindustrie". (Marx, MEW, Bd. 27, S. 458).
Die Sklaverei wurde nicht abgeschafft, weil die Kapitalisten humaner wurden, sondern weil in den USA die Lohnarbeit produktiver war; weil im 19. Jahrhundert die Kolonisierung Afrikas einsetzte (so daß die schwarzen Arbeitskräfte dort benötigt wurden), und weil eine neue, billigere Arbeit der Halbsklaverei aufkam: das Kuli-System. Die zwangsweise Verschleppung von Arbeitskräften in der ganzen Welt im Interesse des Kapitals ging also weiter.
Während in Afrika massiv Zwangs- und Wanderarbeit angewandt wurde (allein in Belgisch-Kongo starben dadurch in den 20 Jahren nach 1885 8 Mio. Menschen), wurden zwischen 1830-1930 aus Indien, China, Java, Japan über 30 Mio. Kulis durch Gewalt, List und die Ausnutzung von Hungersnöten nach den USA, Australien und die europäischen Kolonien verfrachtet. Die vorsätzliche Zerstörung z.B. der landwirtschaftlichen Kanalisationssyteme Indiens sowie die aufgezwungene Opiumeinfuhr nach China durch die europäische Kapitalistenklasse halfen, die Arbeitskräfte dieser Länder "freizusetzen".
Diese weitgehend unbekannte, weil verschwiegene Geschichte der Entstehung des Weltarbeitsmarkts zeigt die wirkliche Quelle des heutigen sog. "Ausländerproblems". Vier Jahrhunderte lang fußten die kapitalistischen Arbeitskräftewanderungen teils vorwiegend, teils ausschließlich auf brutalstem Zwang sowie auf der Vernichtung der wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen der Einwohner von 3 Kontinenten. (1) Aber auch "eigene" europäische Arbeitskräfte wurden zwangsverfrachtet, um neue Gebiete zu erschließen (z.B. die Sträflingsarbeit in Australien oder Sibirien).
Weit davon entfernt, über den vom kapitalistischen Europa bescherten "Wohlstand" begeistert zu sein, begingen z.B. die schwarzen Sklaven und die asiatischen Kulis zu Tausenden Massenselbsttötungen.
Glaubt man der bürgerlichen Propaganda, so sollte man meinen, der Weltarbeitsmarkt sei im "fortschrittlichen 20. Jahrhundert" weniger barbarisch und gewaltsam als zuvor. Aber das Gegenteil trifft zu. Daß Formen des Sklavenhandels und der Kuliarbeit bis tief in unser Jahrhundert hinein fortdauerten, daß die Reste der Staatssklaverei in den niederländischen Kolonien erst 1941 abgeschafft wurden (1 Jahr nach der Besetzung des "demokratischen" Hollands durch die faschistische deutsche Wehrmacht), daß es in den Weltkriegen in Deutschland, Japan usw. sowie jahrzehntelang in der UdSSR wieder millionenfache Verschleppungen und Sklavenarbeit gegeben hat, ist dabei nicht mal die Hauptsache.
Die Entstehung des Weltarbeitsmarkts zwischen 1500 - 1900, so unbeschreiblich brutal sie auch war, fand im Rahmen einer mächtigen ENTWICKLUNG der Produktivkräfte statt. Die gewaltsamen Arbeitskräftewanderungen ermöglichten die Ernährung einer unglaublich schnell sich entwickelnden städtischen Bevölkerung, die Entstehung der Industriegesellschaft, die Entwicklung einer kapitalistischen Infrastruktur (Eisenbahnen, Suez- und Panama-Kanäle usw.). Mehr noch: die millionenfache Auswanderung von Europa vor allem nach den USA und von der Ost- zur Westküste Nordamerikas, schufen durch die steten Exporte der Arbeitslosen (Reservearmee) die notwendigen günstigen Entwicklungsbedingungen in den Industriezentren für eine Arbeiterbewegung, die sich von dem Schrecken der "ursprünglichen Akkumulation" erholte und nacheinander drei Internationalen gründete.
Die letzten Endes fortschrittliche Rolle des Weltarbeitsmarktes bis 1900 (trotz alledem!) sowie seine zerstörerische Natur seitdem verdeutlicht sich anhand der demographischen Entwicklung. Zwischen 1750 und 1900 kämpften die Kolonialherren in den Kolonien ständig mit dem Problem des Arbeitskräftemangels, weil die dortigen vorkapitalistischen Strukturen, worin die Einheimischen eingebunden waren, kaum Arbeitskräfteüberschuß produzierten. In Europa dagegen fand wegen verbesserter landwirtschaftlicher, industrieller, medizinischer Methoden eine Bevölkerungsexplosion statt, wobei die Menschenüberschüsse von dort in die neue Welt produktiv exportiert werden konnten. Und insgesamt ging die Arbeitskraftwanderung hin zu Gebieten, die kapitalistisch noch zu entwickeln waren.
Von 1900 bis heute ist das genau umgekehrt. Die Auflösung der vorkapitalistischen Strukturen, ohne daß eine echte kapitalistische Entwicklung stattfindet, stellt die Bevölkerungsmehrheit der "peripheren" Länder außerhalb des Produktionsprozesses. Die Regelung der Geburtenrate versagt, die Fortpflanzung erscheint oft als einzige Überlebensmöglichkeit der Familieneinheiten. Diese BEVÖLKERUNGSEXPLOSION entspringt nicht mehr einer Entwicklung, sondern dem Ausbleiben dieser Entwicklung. In den Industriestaaten dagegen geht die Geburtenrate stetig zurück, weil die reine Lohnarbeit bei höchster Produktivität und Ausbeutung eine höhere Geburtenrate nicht mehr zuläßt. Der Arbeitskräftestrom ist jetzt umgekehrt: von den unterentwickelten, hin zu den entwickelten Gebieten, was offenbar unsinnig ist.
Aber die Gebiete mit niedriger Geburtenrate können diesen Überschuß nicht aufnehmen, weil sie aufgrund der permanenten Massenarbeitslosigkeit trotzdem selber einen eigenen Arbeitskräfteüberschuß produzieren. Das Hauptmerkmal der Weltwirtschaft ist nicht mehr Entwicklung sondern Zerstörung.
Deshalb werden die Industriestaaten infolge von zerstörerischen Kriegen für fremde Arbeitskräfte am aufnahmefähigsten: Kriegsgefangene in Deutschland, oder kriegsbedingte Arbeitereinwanderungen aus Mexiko in den USA im 2. Weltkrieg und im Koreakrieg, Wiederaufbau und Arbeitsmarktaufstockung nach 1945. Diese Arbeitermigration erfordert keinen Sklavenhandel mehr. Infolge von Hungersnöten, Katastrophen, Kriegen usw. geht das von ganz allein. Vielmehr übt der bürgerliche Staat Gewalt aus, um diese Arbeiterwanderung zu verhindern, oder gar rückgängig zu machen (wie 1983, als über 2 Mio. Gastarbeiter aus Nigeria gewaltsam vertrieben wurden).
Der dekadente Kapitalismus produziert stets ein zuviel an Menschen, die, was vom Standpunkt des Kapitals aus gesehen, überflüssig sind und gar nicht schnell genug verrecken können. Die Hungersnöte der Peripherie sowie die Massenarbeitslosigkeit der Industriestaaten sind Zeugen dieser aller fatalsten Überproduktion. Die Barbarei, die der Weltkapitalismus erzeugt hat, soll jetzt gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden, indem wir in einheimische und ausländische Konkurrenten gespalten werden. Aber die Arbeiter aller Länder haben ein gemeinsames Interesse, die Reichtümer dieser Erde, die wir seit Generationen gezwungenermaßen in aller Welt unter schlimmster Ausbeutung gemeinsam erarbeitet haben, auch gemeinsam durch die Zerschlagung des Kapitalismus anzueignen. Und gerade die Arbeiter der Industriestaaten (die Hauptzielscheibe der jetzigen chauvinistischen Spaltungspropaganda) tragen hierbei eine besondere Verantwortung.
"Nur aus Europa, nur aus den ältesten, kapitalistischen Ländern kann, wenn die Stunde reif ist, das Signal zur menschenbefreienden, sozialen Revolution ausgehen... Nur sie können, wenn die Zeit kommt, für die jahrhundertealten Verbrechen des Kapitalismus an allen primitiven Völkern, für sein Vernichtungswerk auf dem Erdenrund Rechenschaft fordern und Vergeltung üben" (R. Luxemburg, Juniusbroschüre, Ges. Werke, Bd. 4, S. 162).
Groener, Aug. 1989
(1) "... also gerade den ständigen Übergang der Arbeitskräfte aus nicht-kapitalistischen Verhältnissen in kapitalistische, also Ausscheidungsprodukt nicht der kapitalistischen, sondern vor-kapitalistischer Produktionsweise in dem fortschreitenden Prozeß ihres Zusammenbruchs und ihrer Auflösung" (R. Luxemburg, "Die Akkumulation des Kapitals", GW Bd. 5, S. 311).
(2) Wertvolle Dokumentation zu diesem Thema: "Weltmarkt für Arbeitskraft", Lydia Potts.