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Weltrevolution - 2007

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Weltrevolution Nr. 140

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Anarchismus, Bolschewismus, Arbeiterkontrolle

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In einer aktuellen Diskussion auf der Libcom-Website wurde die Frage nach der Rolle derRolle der bolschewistischen Partei in der Russischen Revolution aufgeworfen. Alle Fraktionen der Kommunistischen Linken, die mit der Komintern gebrochen hatten, werteten die Erfahrungen von einer marxistischen Perspektive aus, um die Lehren für die zukünftigen Kämpfe der Arbeiterklasse und die revolutionäre Partei zu ziehen. Die IKS hat dabei stets versucht, sich auf die klarsten Beiträge der italienischen, deutschen und holländischen Linken zu beziehen (siehe zum Beispiel unsere Broschüre „Die Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Kommunismus"). Der hier veröffentlichte Artikel wurde von einem engen Sympathisanten der IKS verfasst.

Ein häufig auftauchender Kritikpunkt von Anarchisten, sowohl der linksbürgerlichen wie der internationalistischen, ist, dass die Bolschewiki direkt nach der Oktoberrevolution damit begannen, die Organe der Arbeiterkontrolle zu demontieren. Die populärste unter diesen Kritiken präsentiert einen naiven Gegensatz zwischen dem utopischen Bild einer durch die Arbeiter selbst organisierten Ökonomie und der grotesk anmutenden Beherrschung des Staates durch bösartige Bolschewiki, die die Eigenaktivitäten der Arbeiterklasse an sich gerissen hätten.

Vieles an dieser Kritik erscheint oberflächlich wahr zu sein: Tatsächlich begannen die Bolschewiki die Organe der Arbeiter zu demontieren und sie dem zunehmend mächtigeren zentralen Apparat zu unterstellen. Die Frage für Kommunisten ist aber, welche materiellen Spannungen diesen Prozess antrieben - und ob diese Tendenzen völlig negativ waren.

Die ökonomischen und die politischen Strukturen wurden zwischen den beiden Polen des Lokalismus und Zentralismus hin und her gerissen. Zum Beispiel tauchte 1918 ein Moskauer Gebietssowjet der Volkskommissare auf. Dieser lokal gegründete Sowjet kopierte die Funktionen sowohl des Stadtsowjets als auch des nationalen Sowjets und des von ihm gebildeten Rates der Volkskommissare. Dies ging so weit, dass der Moskauer Gebietssowjet ein eigenes außenpolitisches Sekretariat besaß! Ein Rat wie dieser tendierte, im Gegensatz zu der vereinheitlichenden Entwicklung der Sowjets, in hohem Maße zum Lokalismus – indem er faktisch versuchte, einen Moskauer Stadtstaat zu etablieren. Die Organisation der Rätegesellschaft in dieser frühen Phase, die zweifellos auch die revolutionäre Energie des Proletariats ausdrückte, schuf viele Organe, ohne klare Vorstellungen, wie all diese in einen Zusammenhang gebracht werden sollen.

Gleichzeitig waren die Fabrikkomitees zwischen Hammer und Amboss gefangen, zwischen der Leitung von im Wesentlichen kapitalistischen Unternehmen inmitten einer schweren Krise einerseits und der Wut der Arbeiter andererseits. Die russische Wirtschaft, schon längst in ernsthafter Bedrängnis, brach in den sechs Monaten nach der Revolution praktisch zusammen. Die Komitees selbst waren auf Initiative von Arbeitern entstanden, um die Wirtschaftskrise zu bewältigen, die bereits seit dem Februar 1917 um sich gegriffen hatte. Trotz ihrer extremen Machtfülle und ihrem großen Einfluss und obwohl sie wirkliche Ausdrücke der Eigenaktivitäten der Arbeiterklasse darstellten, waren sie niemals etwas anderes als unmittelbare Adhoc-Arrangements zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise. Ihr eigentliches Fundament, die Aufrechterhaltung der Produktion in den Fabriken, machte sie für die Einflüsse des Lokalismus und den Illusionen der Arbeiterselbstverwaltung anfällig.

Als die Krise sich ausbreitete, konnte selbst den Mindestforderungen der Arbeiterklasse nicht mehr entsprochen werden. Viele Faktoren, nicht zuletzt die der Entscheidung der neuen proletarischen Macht, die militärische Produktion völlig abzuschaffen, führten dazu, dass etliche Fabriken geschlossen werden mussten. In Petrograd, wo die Industrie von der Waffenproduktion dominiert wurde, stieg die Arbeitslosigkeit auf 60 Prozent! Betriebe begannen bewaffnete Wachen aufzustellen, um die Arbeitslosen draußen zu halten. Angesichts des extremen sozialen Drucks begann die Arbeitersolidarität sich aufzulösen. Die Fabriken sandten Beschaffungsteams aus, die Nachschub besorgen sollten und die, häufig genug bewaffnet, des öfteren in Konflikt mit ähnlichen Gruppen aus anderen Fabriken gerieten.

Die politische Macht während der Wirtschaftskrise

Während dieser Periode existierten fünf Machtzentren, die in der Ökonomie aufeinander stießen: die Fabrikkomitees, die kapitalistischen Eigentümer, die Wirtschaftsverwaltungen der Sowjets, die Gewerkschaften und der Staat! Als sich die Krise verschärfte, standen all diese Organe unter extremem Druck. Aufgebrachte Arbeiter wählten Fabrikkomitees, die sie schon in der nächsten Woche wieder abwählten, beschuldigten sie des Machtmissbrauchs und der Unfähigkeit, die Krise zu meistern. In einigen Fabriken wechselten die Komitees nahezu täglich, was einen äußerst zerstörerischen Kreislauf schuf.

Sowohl die Sowjets als auch die Fabrikkomitees forderten zentralisierte Staatsinterventionen, um die Wirtschaft zu koordinieren und das wachsende Chaos zu ordnen. Aber auch die Antwort des von den Bolschewiki kontrollierten Staates war konfus. Tatsächlich waren es die ersten bolschewistischen Dekrete des nationalen Rates der Volkskommissare gewesen, die den Fabrikkomitees direkt die ökonomische Macht übertragen hatten, womit sie allerdings lediglich einen schon bestehenden Zustand nachträglich legalisierten.

Hinter dieser Kulisse des Chaos, in dem niemand mehr die Kontrolle über die allgemeinen ökonomischen Prozesse inne hatte – nicht die Kapitalisten, sicherlich nicht die Arbeiterklasse, nicht einmal die Bolschewiki –, gab es das wachsende Problem von Hungersnöten. Die landwirtschaftliche Produktion war von den Kleinbauern übernommen worden, die kaum bereit waren, die Arbeiter freiwillig mit Lebensmitteln zu versorgen, als diese aufgrund des faktischen Zusammenbruchs der Industrieproduktion nicht mehr in Lage waren, sich Nahrungsmittel leisten zu können. Die Zentralregierung war zudem mit dem fortdauernden Krieg mit Deutschland (der erst im März 1918 durch den Frieden von Brest-Litowsk beendet wurde), mit verschiedenen Anschlagsversuchen, marodierenden Kosakenbanden und einem weit verbreiteten Banditenwesen konfrontiert.

Mitte 1918 war Lenin völlig desillusioniert bezüglich der Kompetenz der Arbeiterklasse (zumindest in Russland), die Wirtschaft zu leiten. Die Partei, die stets als Avantgarde des Proletariats wahrgenommen worden war, wurde nun als radikale Sozialdemokratie verstanden, d.h. als diejenige, die Staat und die Wirtschaft zugunsten der Arbeiterklasse lenkt - bis die Revolution sich über Europa ausbreiten und die erfahreneren Arbeiter des Westens dem russischen Proletariat zu Hilfe eilen würde. Die organisatorischen Strukturen der Partei - die in der Zeit nach der Oktoberrevolution praktisch aufgelöst waren - wurden reorganisiert und eine neue Disziplin eingeführt. Von nun an hatten die Parteidirektiven für die Mitglieder Vorrang, ungeachtet ihrer Posten im Sowjetstaat. Die Partei wurde also zum Mittel der Ausübung administrativer Macht umorganisiert, entgegen der Rolle, die die Partei in der vorrevolutionären Epoche gespielt hatte, als sie die Arbeiterkämpfe mit einer politischen Orientierung versorgte.

Als die klassenbewusstesten Arbeiter zu den verschiedenen Fronten abrückten oder in den Organen des sich entwickelnden Sowjetstaates zu arbeiten begannen, schickten sich Fabrikkomitees und Sowjets an, eine weitaus menschewistischere Färbung anzunehmen. Einzelne Fabrikkomitees forderten die Reetablierung der alten Kommunalbehörden, d.h. die Rückkehr des bürgerlichen und zaristischen Staatsapparates! Andere verabschiedeten Resolutionen zugunsten einer Beendigung des Bürgerkriegs, d.h. für ein Entgegenkommen gegenüber denselben Weißen, die überall, wo sie ihrer habhaft wurden, kommunistische Arbeiter (buchstäblich) kreuzigten. In dieser Periode befürchteten die Bolschewiki vor allem anderen den Zusammenbruch der Revolution, und sie begannen, den Staat zu stärken, um die grundlegenden Errungenschaften der Revolution zu beschützen. Sie waren auch darauf vorbereitet, dies gegen die Opposition der Masse der Arbeiterklasse zu bewerkstelligen, weil sie (mit einiger Berechtigung in dieser Zeit) glaubten, dass die heftigste Opposition von den rückständigsten und degeneriertesten Teilen des Proletariats kommt.

Die Haltung der zeitgenössischen Anarchisten

Die Anarchisten verweisen heute auf diese Praktiken, um den bürgerlichen Charakter der Bolschewiki zu beweisen. In Wirklichkeit aber schwankten die Anarchisten damals selbst zwischen drei Hauptpositionen:

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Offene Unterstützung der Provisorischen Regierung unter Kerenski - sie sahen in der Februarrevolution mit ihrem kleinbürgerlich-demokratischen Charakter das wahre Ziel der Russischen Revolution. Beispielsweise diente Kropotkin als Berater der Kerenski-Regierung, obwohl er alle Posten in ihr ablehnte. Diese Anarchisten waren im Kern Menschewiki.

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Unterstützung der bolschewistischen Revolution - die besten Elemente des Anarchismus schlossen sich zumindest anfangs mit den Bolschewiki zusammen. Viele, wie etwa Victor Serge, blieben für den Rest ihres Lebens loyal zur Revolution und den ursprünglichen Inhalten des Bolschewismus und schlossen sich in ihrer Kritik an der Degeneration der Revolution den besten Elementen des Linkskommunismus an.

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Opposition gegenüber den Bolschewiki auf der Basis eines falschen Radikalismus, der jegliche Art der „Autorität" zurückwies. Diese Anarchisten teilten den Irrtum der damaligen Linkskommunisten bei ihrer Ablehnung des Friedens von Brest-Litowsk. Doch anders als die Kommunistische Linke, die sich dem demokratischen Willen der Sowjets unterordnete, versuchten Anarchisten und linke Sozialrevolutionäre, den Konflikt mittels Agitation an der Front und Attentaten auf prominente Deutsche neu zu entfachen. Dies sollte der Auslöser für den Versuch einer „Dritten" Russischen Revolution sein, um die „bolschewistische Diktatur" abzusetzen. Der Führer der Hauptkraft dieses Aufstandes war faktisch der linke Sozialrevolutionär Popow, der persönlich weit entfernt davon war, den Gebrauch der Staatsmacht zu verschmähen – war er doch damals leitender Funktionär der TSCHEKA!

Diese Schwankungen im anarchistischen Milieu sind auch in ihrer theoretischen Annäherung gegenüber der Oktoberrevolution gewärtig. Ihr Fetisch der Fabrikkomitees verrät ihre „kommunistische" Gesellschaftsvision: eine lockere Föderation genossenschaftlicher und miteinander Handel treibender Betriebe. Eine solche Vorstellung widerspricht aber keineswegs, was Marx als „Zellform des Kapitalismus" bezeichnete - die Warenproduktion. Welche Behauptungen auch immer bezüglich der „Arbeiterkontrolle" aufgestellt werden mögen, die wirklichen Herrscher bleiben immer der Markt, die Anarchie der Produktion und das Wertgesetz. Dies ist nicht die Vision des Proletariats, sondern die der Bauern, Handwerker und des Kleinbürgertums. Während die Kritik des modernen Anarchismus an der Degeneration der Russischen Revolution eine genuine proletarische Opposition zum Stalinismus enthält, gibt es in ihr auch ein starkes Element der bäuerlichen oder kleinbürgerlichen Ressentiments gegen die Zentralisierung, gegen die Unterordnung der Teile unter dem Ganzen und ihre allgegenwärtige reaktionäre Selbstgefälligkeit.

Lehren für die Zukunft

Der wirkliche Kommunismus kann das Wertgesetz nicht durch die Gründung eines Netzwerks von freien Handel treibenden Genossenschaften überwinden, sondern lediglich durch die rigorose Unterordnung der Produktion unter einen international koordinierten Plan. Dies bedeutet keineswegs die Herrschaft eines Staates, sondern die Mobilisierung der Weltarbeiterklasse nach dem Prinzip: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen". Diese wirklich proletarische Vision bedarf nicht des Handels, sondern nur der Verteilung, auch nicht der Rivalität zwischen dieser oder jener Fabrikgenossenschaft, sondern der Harmonie und Einheit aller Arbeiter, Betriebe und geographischen Regionen des „Kommune-Staates", indem sie ihre eigenen Bedürfnisse dem Ganzen unterordnen, denn dies ist der einzige Weg, auf dem die Bedürfnisse aller befriedigt werden können.

Dennoch darf dieses Verständnis und das natürliche Bedürfnis, den Bolschewismus gegenüber seinen Verleumdern zu verteidigen, uns nicht blind machen bezüglich seiner sehr realen Unzulänglichkeiten. Das Proletariat hat keine Angst vor der Konfrontation mit seinen vergangenen Misserfolgen. Die Bolschewiki begingen viele schwere Irrtümer beim Versuch der Zentralisierung der Wirtschaft und der Verteidigung der Revolution gegen die Bourgeoisie. Insbesondere waren sie nicht in der Lage zu erkennen, dass ihr zunehmendes Vertrauen in die staatliche Repression die eigentliche Bedrohung schuf, gegen die sie zu kämpfen meinten. Außerdem produziert die Zentralisierung der Wirtschaftsorgane der Gesellschaft nicht aus sich heraus den Sozialismus. Was die Russische Revolution zu einer wirklichen Revolution machte, war nicht die Tatsache, dass Arbeiter in ihrem Bemühen, sich gegen die fortschreitende kapitalistische Krise zur Wehr zu setzen, Komitees gründeten (2). Auch wenn sie ein Ausdruck des Klassenkampfes waren, können diese Organe nicht als endgültige Form der proletarischen Kontrolle über die Gesellschaft angesehen werden. Dies aus dem einfachen Grund, dass – auch wenn sie wichtig sind, um die lokalen Aspekte der Wirtschaftsaktivitäten in den Gang zu bringen – ihr Charakter sie von der Leitung der Wirtschaft für das gemeinsame Wohl der gesamten Gesellschaft ausschließt. Der wirklich revolutionäre Inhalt des Roten Oktober bestand in der Tatsache, dass die Arbeiterklasse sich nicht lediglich als fähig zur Kontrolle über die Fabriken mit dem Ziel ihres eigenen unmittelbaren Überlebens begriff, sondern auch als eine Klasse, die die politische Macht der Bourgeoisie, wie sie durch den kapitalistischen Staat verkörpert wurde, zerstören und schließlich beginnen kann, die Gesellschaft als Ganzes zu leiten. Die Bolschewiki begannen diese Revolution als Ausdruck dieses Prozesses, aber als das Klassenbewusstsein zurückging, begingen sie den Fehler, zu glauben, dass sie selbst die Arbeiterklasse ersetzen können.

  • [1]                Die anarchistische Fixierung auf rein ökonomische Formen offenbart auch die Tendenz, die Notwendigkeit für das Proletariat zu vernachlässigen, die politische Macht zu ergreifen, ehe es auch nur ansatzweise die ökonomische Macht ergreifen kann. Dieser fundamentale Irrtum ihres Ansatzes verleitet den Anarchismus zu der Behauptung, der Erfolg des spanischen Bürgerkrieges liege in den „Kollektiven". Während es zwar wahr ist, dass diese Kollektive die Form der Arbeiterkontrolle annahmen, stellten sie ihrem Inhalt nach jedoch die eigene Ausbeutung im Dienste einer bestimmten Fraktion des kapitalistischen Staates dar.
  • [2]
  •                Das Komitee war zu diesem Zeitpunkt ebenfalls pro-bolschewistisch. Die Kombination ihrer Unterstützung und ihres großen Einflusses führte dazu, dass Lenin in Betracht zog, die Parole: „Alle Macht den Räten!" in „Alle Macht den Fabrikkomitees!" umzuwandeln.

     

     

     Wie können die Klasse und ihre revolutionären Minderheiten sich auf solche zukünftigen Belastungen vorbereiten? Der erste prinzipielle Punkt - eine Lehre aus den Erfahrungen der Russischen Revolution – ist, dass die Revolution nicht durch das Handeln einer revolutionären Avantgarde gerettet werden kann, die sich, mit oder ohne Macht des Staates in ihren Händen, als Ersatz für die Klasse ansieht. Solche Aktionen dienen nur der Demoralisierung der Klasse, der Trennung von ihren bewusstesten Minderheiten und der Zerstörung des wesentlichen Inhalts einer Revolution – der Selbsttätigkeit der Arbeiter. Kommunisten müssen akzeptieren, dass die Klasse Fehler machen wird und dass oftmals ihre Ansichten innerhalb der Klasse in der Minderheit sein werden. Gelegentlich wird die Arbeiterklasse zögern und die Macht wieder in die Hände der Bourgeoisie zurückgeben, der sie sie gerade abgenommen hatte. Kommunisten können auf diese Zögerlichkeit nur so antworten, wie es die Bolschewiki taten, als sie sich den von den Menschewiki dominierten Sowjets in den ersten Etappen der Revolution gegenübersahen: durch beharrliche, aber energische Agitation. Konfrontiert mit der unvermeidlichen Konfusion des Lokalismus, müssen Kommunisten der Methode von Marx folgen und die Interessen des Proletariats als Ganzes propagieren. DG, 16/11/06

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    Politische Strömungen und Verweise: 

    • Internationalistischer Anarchismus [1]

    Geschichte der Arbeiterbewegung: 

    • 1917 - Russische Revolution [2]

    Den Kapitalismus überwinden, bevor er den Planeten zerstört

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    Am 18. Januar 2007 tobte der Organ Kyrill in Westeuropa, mit extrem verheerenden Auswirkungen in Deutschland, besonders in NRW. Nach ersten Schätzungen geht man von Schäden von mehr als einer Milliarde Euro aus. Zum ersten Mal musste die Deutsche Bahn ihren Verkehr bundesweit einstellen. Viele Menschen saßen in Bahnhöfen oder auf der Strecke fest, die blockiert waren durch unzählige Bäume, die auf Oberleitungen und die Gleise gefallen waren und jeden Zugverkehr unmöglich machten. Viele Menschen waren stundenlang ohne Strom.

    Dieser Orkan hinterließ seine Verwüstungen in einem der höchst entwickelten Industriestaaten der Welt. Kaum auszudenken, wie verheerend das Ausmaß der Zerstörungen in einem weniger entwickelten Land gewesen wäre. Jetzt schon lässt dieser Orkan erahnen, welche weiteren Umweltschäden, welches Chaos diese Klimakatastrophe noch bringen wird.

    Die Ursachen der Klimakatastrophe

    Auch wenn einige den Zusammenhang zwischen Klimakatastrophe, der Zunahme von Orkanen und deren Ausmaß und der Umweltverschmutzung bezweifeln oder gar leugnen, steht für die meisten Wissenschaftler dieser Zusammenhang fest. Deshalb sind wir in Diskussionsveranstaltungen der IKS in zahlreichen Städten zu diesem Thema zunächst auf die Frage eingegangen, welche Ursachen für die Umweltzerstörung verantwortlich gemacht werden müssen.

    Profitproduktion oder Produktion für die Bedürfnisse des Menschen

    Der Kapitalismus produziert nicht für die Bedürfnisse der Menschen, sondern für Profit, für Tauschwert. Nicht der Gebrauchswert, d.h. nicht der Nutzen einer Ware für die menschlichen Bedürfnisse motiviert den Kapitalisten, sondern er produziert einfach alles, was sich verkaufen lässt.

    Während in den früheren Produktionsweisen Produkte hergestellt wurden, die dem Gebrauch dienten, sei es dem Konsum der Ausgebeuteten oder dem Prunk der Herrschenden, wird im Kapitalismus ausschließlich für Profit produziert.

    Nutzen, Art, Zusammensetzung, Entstehung, Verwertung, Entsorgung der produzierten Waren sind dem Kapitalisten schnuppe – Hauptsache, damit lässt sich Geld machen.

    Dieser Mechanismus führt dazu, dass im Kapitalismus Waren hergestellt werden, die oft - wenn überhaupt - nur einen geringen Gebrauchswert haben.

    Ist der Nutzen eines Produktes oft schon verschwindend gering, nimmt die Herstellung bei vielen Produkten absurde Züge an.

    Es werden Produkte hin- und hertransportiert, nicht weil deren Beschaffenheit oder Veredelung dies verlangen würde, sondern weil die Herstellung bzw. Verarbeitung an verschiedenen Standorten für den einzelnen Kapitalisten kostengünstiger ist.

    Zwei Beispiele: Milch wird von Deutschland über die Alpen nach Italien transportiert, um dort zu Joghurt verarbeitet zu werden, bevor dieser wieder nach Deutschland über die Alpen zurückbefördert wird, um erst dann verkauft zu werden. Der Grund: einzig weil die Lohnkosten für den einzelnen Unternehmer an den beteiligten Orten günstiger sind, als das Ausgangsprodukt an einem Ort zu verarbeiten. Das andere Beispiel: Jeder PKW wird heute aus einzelnen Bestandteilen zusammengebaut, die zuvor durch halb Europa gekarrt werden, bevor der Wagen schließlich in einem Werk vom Band läuft. Bevor eine Ware zum Verkauf bereitsteht, haben ihre Bestandteile in verschiedenster Form schon unzählige Kilometer zurückgelegt.

    So sind unglaublich umfangreiche Güterbewegungen entstanden, die bei einer vernünftigen Produktionsform, die sich nicht nach den Profitinteressen eines einzelnen Unternehmers richtet, sondern nach den Bedürfnissen der Menschen und den Erfordernissen der Natur, nicht anfallen würden.

    Weil ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen auf den Verkehr zurückzuführen ist, lassen sich diese Emissionen auch gar nicht vermeiden, solange die Unternehmer ihre Güter hin und herkarren, nur weil in dem einen Ort billiger produziert werden kann als woanders.

    Ein Großteil des PKW-Verkehrs selbst aber ist ein Ergebnis eines unkontrollierten Prozesses, wo aufgrund der Konzentration der immer weniger werdenden Arbeitsplätze in einigen Gebieten auf dem Erdball jeden Tag Hunderte von Millionen Menschen zwischen Arbeitsplatz und Wohnort pendeln – viele legen dabei wahre Marathonstrecken zurück, oft stundenlang, mit entsprechendem CO2-Ausstoß.

    Solange diese Kette von Widersprüchen nicht durchbrochen ist, doktert man nur an den Symptomen herum.

    Konkurrenz und Anarchie bringen der Menschheit und der Natur den Tod

    Ein weiteres Prinzip im Kapitalismus ist, dass jeder Kapitalist für sich produziert. Er steht in meist mörderischer Konkurrenz zu anderen Produzierenden. Weil somit jeder der Rivale des anderen ist, kann es keine Absprachen, keine Planung, kein gemeinsames Vorgehen geben, sondern nur ein Sich-Durchsetzen des einen auf Kosten des anderen. Leidtragender ist die Natur und damit letztendlich der Mensch. Das hat zur Folge, dass bei der Erstellung eines Produktes nicht danach gefragt wird, ob der Aufbau einer Fabrik im Einklang steht mit den Gegebenheiten der Natur oder ob z.B. der Anbau eines landwirtschaftlichen Erzeugnisses gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist.

    Die Folge: Unternehmer können Fabriken inmitten unberührter Flecken errichten, weil sich dort leicht Rohstoffe fördern lassen oder weil dort mit billigen Löhnen produziert werden kann. Bauern bestellen die Felder mit Pflanzen, die ohne künstliche Bewässerung, ohne Unmengen von Pestiziden, Fungiziden usw. nicht gedeihen können, während sie an anderen Orten auf der Erde ohne all diese Hilfsmittel bzw. mit einem viel geringeren Aufwand gedeihen könnten. Mittlerweile entstehen in der Landwirtschaft ein Drittel der Ernteerzeugnisse mit künstlicher Bewässerung. Resultat: zwei Drittel des weltweit vorhandenen Süßwassers wird von der Landwirtschaft zur künstlichen Bewässerung benötigt.

    Die Folgen des Raubbaus an der Natur sind bekannt: Überdüngung, Entzug des Grundwassers, Versalzung der Böden. So ist infolge der künstlichen Bewässerung weltweit ca. ein Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche durch Versalzung bedroht.

    Welche Erklärung gibt es somit für die Tatsache, dass mehr als 150 Jahre Kapitalismus eine ökologische Trümmerlandschaft hinterlassen haben, dass die jeweiligen Konkurrenten – vom einzelnen Unternehmer bis hin zu den Staaten – nicht miteinander, sondern gegeneinander arbeiten? „In dem Ganzen, das sich über Ozeane und Weltteile schlingt, macht sich kein Plan, kein Bewusstsein, keine Regelung geltend; nur blindes Walten unbekannter, ungebändigter Kräfte treibt mit dem Wirtschaftsschicksal der Menschen sein launisches Spiel. Ein übermächtiger Herrscher regiert freilich auch heute die arbeitende Menschheit: das Kapital. Aber seine Regierungsform ist nicht Despotie, sondern Anarchie. Erkennen und bekennen, dass Anarchie das Lebenselement der Kapitalsherrschaft ist, heißt in gleichem Atem das Todesurteil sprechen, heißt sagen, dass ihrer Existenz nur eine Gnadenfrist gewährt ist" (Rosa Luxemburg, Einführung in die Nationalökonomie, Gesammelte Werke, Ökonomische Schriften, Bd. 5, S. 578).

    Der Kapitalismus kann sich die Frage nicht stellen, was wo wie am vernünftigsten produziert wird. Solange es keine Planung, keine Abstimmung über eine ökologisch vernünftige, auf Nachhaltigkeit abzielende Produktion gibt, müssen die Mechanismen der kapitalistischen Produktion uns weiter erdrücken. Solange die Produktion nicht nach diesen Kriterien organisiert wird, wird die Klimakatastrophe weiter zunehmen, werden Müllberge, Deponien, Kloaken weiter anwachsen.

    Welche Schritte sind erforderlich?

    In Anbetracht der überall in der Natur und in allen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens zu spürenden Auswirkungen der Umweltzerstörung kam in unserer öffentlichen Diskussionsveranstaltung in Köln die Frage auf, ob nicht eigentlich ein staatenübergreifendes, weltweit abgestimmtes Vorgehen erforderlich wäre, um weiteren Schaden von der Menschheit und dem Erdball abzuwenden.

    Auch wenn sich einige Verantwortliche in Regierung und Wirtschaft der Gefahr immer bewusster werden, ist der Kapitalismus unfähig, irgendeine Art Weltregierung zu bilden. Denn die Konkurrenz, die nationalstaatlichen Interessensgegensätze, der sich daraus ergebende Kampf des Jeder-gegen-Jeden verhindern ein weltweites und auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Vorgehen. Das jüngste Beispiel, das Kyoto-Protokoll, das eine (verschwindend geringe) Reduzierung vorsieht, belegt die Unfähigkeit, der Herrschenden, überhaupt an einem Strang zu ziehen. Dabei haben sowohl die größte Industriemacht der Welt – die USA – und das Land mit den seit Jahren beeindruckendsten Wachstumszahlen – China – dieses Protokoll nicht einmal unterzeichnet bzw. wurden von dieser Verpflichtung ausgenommen. Trotz des Kyoto-Protokolls steigt der weltweite CO2-Ausstoß weiterhin an. Statt diesen Trend zu brechen, betreibt die Kapitalistenklasse eifrig Emissionshandel. Eine weltweite Abstimmung der Produktion unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Natur ist erst in einer Gesellschaft möglich, in der nicht mehr für Profit, sondern für die Bedürfnisse der Menschen produziert wird.

    Eine Politik der ‚kleinen’ Schritte?

    Ein Teilnehmer meinte im weiteren Verlauf der Diskussion, dass Umweltschutzorganisationen nicht nur wertvolle Informationen und Einsichten lieferten, somit zum Problembewusstsein beitrügen, sondern auch handelten und notwendige kleine Schritte unternähmen.

    In der Diskussion wurde darauf entgegnet, dass zum einen die Herrschenden in Wirklichkeit die katastrophalen Perspektiven ausnutzen, um ein Gefühl der Hilflosigkeit zu erwecken und Maßnahmen vorzuschlagen, die alle auf eine Vereinzelung und letztendlich reine Kosmetik hinauslaufen. Dem gegenüber tun Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace so, als ob man durch spektakuläre Proteste wie Anketten an Fabrikschlote oder vor Werktoren von ‚Umweltsündern’ usw. Leute mobilisieren könnte.

    Wie die Diskussion hervorhob, lässt sich das ganze Ausmaß der Umweltzerstörung nicht durch einzelne Maßnahmen eindämmen. Es ist unumgänglich, das Übel an der Wurzel zu packen. Man muss die Grundlagen der Produktion selbst ändern. Während die fortschreitende Zerstörung der Erde es zu einer Überlebensfrage der Menschheit macht, dieses System zu überwinden, rufen die Umweltschutzorganisationen das Gefühl hervor, man habe etwas getan. Tatsächlich versperren sie den Blick auf das Ganze, d.h. den Zusammenhang zwischen den Widersprüchen des Systems, der Krise, dem Krieg und der Umweltzerstörung und damit der Notwendigkeit, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

    Die Tatsache, dass die Auswirkungen der Umweltkatastrophe überall weltweit festzustellen sind, verlangt nach einer weltweiten Lösung. Weil es keine lokale, keine regionale, keine nationale und auch keine Teillösung gibt, rückt die Frage der Überwindung des Kapitalismus immer mehr in den Vordergrund. Und weil die Lösung des Problems nur global, d.h. weltweit erreicht werden kann, muss und kann sie nur von einer Kraft herbeigeführt werden, die dazu in der Lage ist, international, d.h. planetar zu denken, und die kein Interesse an der Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems hat. Deshalb betonte ein Teilnehmer zu Recht, dass eigentlich nur der Klassenkampf, d.h. der Kampf der Arbeiterklasse für die Verteidigung ihrer ökonomischen Interessen einen Ansatzpunkt liefert, eine Kraft aufzubauen, die ein späteres Überwinden des Systems möglich macht. D.h. nicht die Mobilisierung für irgendwelche Teilbereiche der Gesellschaft führt zum notwendigen Zusammenschluss der Betroffenen, sondern der Abwehrkampf der Arbeiterklasse für ihre Klasseninteressen bietet einen gemeinsamen Nenner, all die anderen Fragen aufzugreifen, die notwendigerweise angepackt werden müssen.

    Auch wenn Teile der herrschenden Klasse sich des Ausmaßes der Umweltschäden immer bewusster werden, sind sie dennoch unfähig, einschneidende, eine Kehrtwendung herbeiführende Maßnahmen zu ergreifen, die diesem fatalen Verlauf Einhalt gebieten könnten. Ein klassischer Vorschlag zur Bekämpfung der Klimakatastrophe ist zum Beispiel der Einsatz von Instrumenten des Marktes, indem z.B. "Kohlendioxid (...) kurzerhand zu einem Wirtschaftsgut erklärt (wird), so wie Weizen, Autos oder Turnschuhe." (Spiegel, 45/2006). Auf die Frage, ob der Markt die Lösung oder die Wurzel des Problems ist, wurde in der Diskussion ausführlicher eingegangen - aus Platzgründen können wir jedoch nicht näher hier darauf eingehen. Wir verweisen auf das Einleitungsreferat, das wir auf unserer Webseite veröffentlicht haben.

    Einerlei, in der Veranstaltung wurde zum Schluss betont, dass die Zeit gegen die Menschheit arbeitet, denn die Gefahr besteht, dass durch die Umweltzerstörung irreparable Schäden entstehen, die die Überlebensfähigkeit der Menschheit aufs Spiel setzen.

    Theoretische Fragen: 

    • Umwelt [3]

    Die Gärung der Kampfbereitschaft und die Hindernisse auf diesem Weg

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    Es gibt gegenwärtig in der Schweiz keine spektakulären Ausbrüche der Arbeiterkampfbereitschaft. Der Stress am Arbeitsplatz wird zwar immer unerträglicher. Die Unzufriedenheit nimmt zu. Aber bis jetzt ist dieser Groll immer noch auf viele kleine Rinnsale und Bächlein verteilt, noch nicht zu einem Fluss oder gar Strom zusammengewachsen, der die eigene Kraft, die gemeinsame Stärke uns selber vorführen würde.

    Die technischen Angestellten am Schauspielhaus Zürich und die ehemaligen Crossair-Piloten bei der Fluggesellschaft Swiss streikten im Herbst. Auch gab es in Lausanne, Aarau und Zürich Demonstrationen der kantonalen Angestellten, eine landesweite Gewerkschaftsdemonstration in Bern für mehr Lohn und weitere so genannte Montagsdemonstrationen bei der Post und der Bahn gegen geplanten Stellenabbau und die Verlängerung der Arbeitszeit. Im Dezember 2006 entdeckte die NZZ am Sonntag gar eine „neue Lust am Streik": „Bauarbeiter, Piloten und Lehrer tun es, Pöstler und Bähnler drohen damit. Die Schweiz, einstiger Hort des Arbeitsfriedens, entdeckt die Lust am Streik. Die Zahl der Streikenden ist so hoch wie seit dem Generalstreik 1918 nicht mehr. (…) ‚Seit Mitte der neunziger Jahre nimmt die Zahl der Streikenden in der Schweiz deutlich zu’, sagt Bernard Degen, Gewerkschaftsexperte und Historiker an der Universität Basel. Die Zahl der Streikenden hat in den letzten Jahren ein Niveau erreicht, wie es letztmals in den Zeiten des Landesstreiks erreicht worden war. 2004 legten in der Schweiz 24'000 Personen die Arbeit nieder, genau gleich viele wie anno 1918." (NZZ am Sonntag, 10.12.06)

    Anzeichen für eine Zunahme der Kämpfe

    Es ist nicht anzunehmen, dass sich die Zeitung bei diesem Zahlenbeispiel auf den Historiker abstützt, denn am Generalstreik vom November 1918 beteiligten sich je nach Quelle 250'000 bis 400'000 Arbeiter bei einem Total von damals etwa 800'000 Industriearbeitern (1). Wir wollen hier auch nicht weiter bei der Frage verweilen, ob dieser krass falsche Vergleich der blossen Unwissenheit der Journalistin (und der Nachlässigkeit der verantwortlichen Redaktion) entspringt oder ob ein bewusstes Interesse dahinter steckt, den bisherigen Höhepunkt der Arbeiterkämpfe in der Schweiz in seiner Bedeutung möglichst herabzumindern (2).

    Tatsache ist, dass es verschiedene Anzeichen dafür gibt, dass die Kampfbereitschaft in den letzten Jahren wirklich zugenommen hat, wenn auch quantitativ erst in bescheidenem Ausmass. Die Streikstatistiken für die Schweiz sind das Eine. Hinzu kommt aber auch eine weltweite Tendenz der Zunahme der Kämpfe seit 2003, über die wir in diesen Spalten immer wieder berichtet haben. Da die Arbeiterklasse von ihrem Wesen her eine internationale Klasse ist, wächst ihr Selbstvertrauen auch bei Kämpfen, die anderswo stattfinden. Und bedeutsam ist auch das Auftauchen von immer mehr Leuten, die sich grundlegende Fragen über die Zukunft, ihre eigene Rolle und diejenige der Arbeiterklasse stellen.

    In diesem Kontext möchten wir eine kleine Zwischenbilanz über den Stand des Klassenkampfes in der Schweiz ziehen. Dabei ist insbesondere auch der Kampf der Swissmetal-Arbeiter in Reconvilier (La Boillat) einzubeziehen, der gerade vor einem Jahr mit einem zweiten Streik in eine neue Phase trat.

    Beginnende Desillusionierung über die Gewerkschaften

    Vom 25. Januar bis Ende Februar 2006 streikten die Arbeiter von Swissmetal in Reconvilier zum zweiten Mal. Der erste Streik im November 2004 war seinerzeit beendet worden, weil die Konzernleitung zugesagt hatte, den Standort Reconvilier und die Arbeitsplätze zu erhalten. Nachdem die Konzernleitung im Januar 2006 entgegen diesen Zusagen 27 Entlassungen ausgesprochen hatte, beschlossen die Arbeiter der Boillat in Solidarität mit den Entlassenen den Streik. Bei der Versammlung, die den Streik beschloss, war die Gewerkschaft nicht dabei. Danach schaltete sich aber die UNIA ein und bezahlte auch Streikgelder. Nach einem Monat stellte diese Gewerkschaft die kämpfenden Arbeiter vor die Alternative, den Vorschlag eines von der Regierung eingesetzten Vermittlers anzunehmen oder keine Streikgelder mehr zu erhalten. Der Vorschlag des Vermittlers beinhaltete im Wesentlichen, dass die Kündigungen vorübergehend aufgehoben, das Vermittlungsgespräch fortgesetzt und der Streik beendet werden sollen. Der Streik wurde nach dieser Erpressung durch die Gewerkschaft abgebrochen. Die Frustration, ja gar Wut auf die Gewerkschaft war unüberhörbar: „Es war ein Fehler, dass wir die Verhandlungen aus unseren Händen gegeben haben." „UNIA ist eine Bande von organisierten Dummköpfen, ich erkläre meinen Austritt." „UNIA hat die Angestellten hängen lassen und verraten." Dies war im Frühjahr/Sommer 2006 der Tenor unter den Arbeitern im weiteren Umkreis um Reconvilier (3). Wir hoben dabei vor allem zwei Dinge hervor:

    - Die Notwendigkeit, einen solchen Kampf rasch über die einzelne Fabrik hinaus auszudehnen, d.h. Delegationen zu bilden, die in die umliegenden Betriebe mit den Arbeitern diskutieren gehen und versuchen, sie auch für den Kampf zu gewinnen. Nur so kann ein Kräfteverhältnis geschaffen werden, das den Gegner (die Konzernleitung, die so genannten Vermittler und letztlich den Staat) zum Rückzug zwingt.

    - „Eine der wichtigsten Lehren ist, dass sich die Gewerkschaften als Gegner der Arbeiter entlarvt haben. Hüten wir uns auch vor all denen, die zwar den bestehenden Gewerkschaften oder ihrer Bürokratie kritisch gegenüberstehen, aber doch ihr Wesen verteidigen und uns die Idee verkaufen wollen, dass wir an diesen Organisationen festhalten müssten!" (3) Wir dürfen die Kontrolle über den Kampf nicht aus unseren Händen geben. Die Gewerkschaften sind Teil des staatlichen Apparats.

    Auch ein Jahr nach diesem Streik bei Swissmetal schwelt der Kampf weiter. Nach wie vor entlässt die Konzernführung weitere Angestellte und demontiert die Anlagen in Reconvilier, um sie an den zweiten Standort in der Schweiz, nach Dornach, zu verschieben, wo es den Gewerkschaften gelang, eine Solidarisierung und einen Eintritt in den gleichen Kampf zu verhindern.

    Was die Mobilisierungen der Gewerkschaften in den letzten Monaten betrifft, fällt auf, dass die Medienaufmerksamkeit umgekehrt proportional zum Echo ist, das die Demonstrationsaufrufe in der Arbeiterklasse finden. Während die von den Medien breit getretenen Montagsdemonstrationen bei Post und Bahn jeweils gesamtschweizerisch nicht mehr als einige Hundert (überwiegend gewerkschaftlich organisierte) Arbeiter mobilisierten, beteiligten sich an den Demonstrationen der kantonalen Angestellten in Lausanne, Aarau und Zürich jeweils 3000-5000 Leute, obwohl dafür kaum mobilisiert und anschliessend auch nicht überregional berichtet wurde. Dies ist ein Indiz dafür, dass es der Bourgeoisie nicht behagt, wenn sich die Arbeiterklasse für Forderungen, die unmittelbar ihre Interessen betrifft, massenhaft auf die Strasse begibt, selbst wenn die Mobilisierungen gewerkschaftlich organisiert sind.

    Wenn die Arbeiter auf ihrem Terrain zusammen kommen, entsteht für die Bourgeoisie die Gefahr, dass sich jene ihrer Macht bewusst werden. Wie formulierte es eine Arbeiterin der Boillat in Reconvilier gegenüber der Wochenzeitung? – „Mit der Solidarität, die wir aufbauen konnten, haben wir etwas Wertvolles geleistet. Es bleibt das Erlebnis der vollständigen Machtlosigkeit der Direktion, solange wir uns einig waren." (4) Diese Einigkeit der Arbeiter hat ihre Grundlage in der Gemeinsamkeit der Interessen, die grundsätzlich nicht auf einen Betrieb oder eine Region, ja nicht einmal auf ein Land beschränkt ist. Es scheint, dass sich die Bourgeoisie mit all ihren Apparaten, namentlich den Gewerkschaften und den Medien, dieser Gefahr bewusst ist und deshalb massenhafte Mobilisierungen möglichst vermeidet oder wenigstens nicht an die grosse Glocke hängt.

    Trotzdem will sie das Terrain auch nicht einfach der spontanen Gärung der Unzufriedenheit unter den Arbeitern überlassen. Deshalb mobilisieren die Gewerkschaften bei Bahn und Post, bei Piloten und beim Theater, überall in kleinen Dosen, um kontrolliert Dampf abzulassen.

    Vor Weihnachten 2006 gab es zwischen den Gewerkschaften und den Bahn- und Postunternehmen je eine Einigung. Bei der SBB wurde ein neuer Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen, wobei bis Ende 2007 weitere 100 Stellen abgebaut werden. Auch bei der Post bleibt es dabei, dass im Zuge des „Ymago" genannten Projekts 400 bis 500 Stellen abgebaut werden. Die Post wolle aber „wirtschaftlich begründete Kündigungen vermeiden". „Man sei „zufrieden", heisst es auf beiden Seiten." (NZZ, 16.12.06) Die Gewerkschaften handeln also zusammen mit den Unternehmen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen aus - Arbeitsplätze werden abgebaut, obwohl die Arbeitslast zunimmt – und erklären ihre Zufriedenheit. Die bürgerlichen Medien begleiten die Farce, indem sie scheinbar radikale Forderungen und Drohungen der Gewerkschaften ins Rampenlicht rücken, dann aber über die Resultate höchstens noch klein gedruckt berichten.

    Die Einheit von Staat, Unternehmen und Gewerkschaften zeigt sich auch in den Personalentscheiden, die ihre Apparate treffen. Die Spitze der Direktion für Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft muss neu besetzt werden, da der jetzige Amtsinhaber Jean-Luc Nordmann altershalber zurücktritt. Die Stelle wird nun auf 1. Februar 2007 vom bisherigen Chefökonomen und geschäftsführenden Sekretär des Gewerkschaftsbundes Serge Gaillard übernommen, der seine Karriere als Trotzkist begann.

    Weitere Stellungen der Bourgeoisie

    Die Desillusionierung über den Charakter der Gewerkschaften wird noch manche Hürde nehmen müssen. Die linksextremen Kräfte der Bourgeoisie – in der Schweiz z.B. die Bewegung für den Sozialismus (BFS) oder der Aufbau – kritisieren zwar die Gewerkschaftsführung, verteidigen aber um so mehr die Gewerkschaften an sich. Sie halten an der kapitalistischen Logik fest, verpacken sie aber in eine „radikalere" Rhetorik. Der Aufbau z.B. kritisiert im Zusammenhang mit der Post die Gewerkschaft, dass sie vor dem gemeinsamen Kampf Angst habe (was grundsätzlich stimmt), fordert aber von ihr mehr Entschlossenheit. Er setzt also auf eine Reform der Gewerkschaft. Im gleichen Atemzug beklagt er sich darüber, dass „der funktionierende Staatsbetrieb (die Post) verscherbelt werden" soll und meint, es sei ja „nicht ganz so schlimm", denn der Betrieb schreibe immer noch Gewinn (5). Die Botschaft ist klar: Wenn es wirklich schlimm für die Gewinne wäre, müsste man sich wohl die Angriffe (oder einen Teil derselben) gefallen lassen. Dies ist die gleiche Logik, die der Aufbau auch zum Kampf der VW-Arbeiter in Belgien propagiert: „Diese Fabrik war produktiv und wettbewerbsfähig", kritisierte der Generalsekretär der Gewerkschaft CSC, Guy Tordeur, die „blinde Umstrukturierung« des Konzerns" (aus einem aktuellen Artikel auf der Webseite des Aufbaus unter dem Titel „Arbeitskämpfe").

    Diese Logik findet ihre Fortsetzung in der konkreten Agitation, wenn der Aufbau die Postangestellten für den sterilen Protest gegen das World Economic Forum (WEF), das alljährlich im Januar in Davos stattfindet, mobilisieren will: „Beispielsweise für die Angestellten der Post würde sich das WEF als Protestadressat eignen." (aus dem Aufruf des Aufbaus zur Anti-WEF-Demo in Basel)

    Die Arbeiterklasse kann ihre Einheit und damit ihre Stärke nur auf ihrem eigenen Terrain erkämpfen, nämlich auf demjenigen der Verteidigung ihrer eigenen handfesten Interessen, nicht in symbolischen Protestaktionen gegen ein WEF oder einen G8-Gipfel. Wenn wir auf unserem Terrain kämpfen und dort unsere Stärke entwickeln, werden sich über die Verteidigung der gegenwärtigen Arbeits- und Lebensbedingungen hinaus schnell auch wirklich radikale Fragen stellen – nämlich diejenige der Überwindung dieses Systems, das uns keine Zukunft mehr zu bieten hat.

    Cassin, 14.01.07

    • Fussnoten:
  • 1. Vgl. André Rauber, Histoire du mouvement communiste suisse, Genf 1997, S. 70; Paul Schmid-Ammann, Die Wahrheit über den Generalstreik von 1918, Zürich 1968, S. 294 (mit weiteren Quellenangaben).
  • 2. Vgl. dazu auch den Artikel „1918 – Generalstreik in der Schweiz" in Weltrevolution Nr. 90, Okt./Nov. 1998 (
  • 3. Vgl. den Blog
  • 4. WOZ vom 9.11.06, S. 4
  • 5. aus einem Flugblatt des Aufbaus zu einer Montagsdemonstration im Dezember
  • welt90/1998_generalstreikschweiz). https://laboillat.blogspot.com/ [4] und auf unserer Webseite den Artikel „Zwischenbilanz im Kampf bei Swissmetal in Reconvilier - Welche Lehren für die Arbeiterklasse insgesamt?" vom Juli 2006, reconvilier_solidaritaetsstreik_lehren.

    Die USA bereitet eine Kurskorrektur ihrer imperialistischen Politik im Irak vor

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    (Der nachfolgende Artikel wurde Anfang Dezember 2006 verfasst. Auf die jüngste Reaktion Präsident Bushs gegenüber dem Bericht der Baker-Kommission und seinem Entschluss, entgegen den Empfehlungen der Kommission weitere Soldaten in den Irak zu schicken, sind wir in einem gesonderten Artikel eingegangen – siehe dazu: „Vom Mittleren Osten bis Afrika -

    Wenn das Chaos neue Höhepunkte erreicht").

    Der dominierende Teil der herrschenden Klasse der USA hat die Kongress-Wahlen vom letzten November genutzt, um seine imperialistische Politik neu zu justieren und die widerspenstige Bush-Administration zur Kurskorrektur im Irak zu zwingen. Im letzten Winter kam es zu einer Übereinstimmung innerhalb der dominierenden Fraktion in der Auffassung, dass die Lage im Irak ein absolutes Chaos darstellt, das auf Dauer die globalen Interessen des US-amerikanischen Imperialismus gefährdet. Die US-Armee wird durch die Kriege im Irak und Afghanistan derart beansprucht, dass sie nicht mehr auf Herausforderungen in anderen Teilen der Welt reagieren kann. Dies ist eine unakzeptable Situation, da die Ausübung der militärischen Macht im Ausland für den amerikanischen Imperialismus in einer Zeit, in der ihre Hegemonie zunehmend in Frage gestellt wird, eine absolute Notwendigkeit geworden ist. Was die Dinge noch schlimmer macht, ist, dass die Bush-Administration mit ihrem Pfusch im Irak-Krieg den ideologischen Gewinn, den die herrschende Klasse in den USA bei der Manipulierung der öffentlichen Zustimmung für ihre imperialistischen Übersee-Abenteuer nach 9/11 erzielt hatte, komplett verspielt hat.

    Dieser Konsens führte im vergangenen März zur Bildung einer überparteilichen Kommission, der Irak-Untersuchungskommission, angeführt von James A. Baker, einem engen Berater und Freund von George Bush sen. Baker hatte als Finanzsekretär in der Reagan-Administration und als Staatssekretär unter Bush sen. während der ersten US-Invasion im Irak 1991 gedient. Der frühere demokratische Abgeordnete Lee Hamilton, ehemaliger Co-Vorsitzender der Kommission für den 11. September, wurde zum Co-Vorsitzenden der Untersuchungskommission ernannt. Überwiegend zusammengesetzt aus prominenten Offiziellen der Reagan-, Bush sen.- und Clinton-Administration, stellt diese Kommission im Kern die Kontinuität des staatskapitalistischen Apparates dar, der es als notwendig erachtete, das herrschende Regierungsteam zu einer Kurskorrektur zu zwingen.

    Anfangs wurde die Arbeit der Kommission geheim und vertraulich ausgeführt. Doch im Laufe der Wahlkampagne begannen deren Mitglieder, sowohl Demokraten als auch Republikaner, vermehrt in der Öffentlichkeit aufzutreten und die von der Regierung ständig wiederholten Durchhalteparolen zu kritisieren. Sie mokierten sich über die polarisierende politische Rhetorik des Regierungsapparates, die die „Durchhalteparolen" der Devise „Abbruch und Abhauen" (Cut and run) gegenüberstellte, da dies ungenügend sei, um die nationalen imperialistischen Interessen zu fördern. Die Neigung der Regierung, den Patriotismus ihrer Kritiker in Frage zu stellen, war offensichtlich haltlos. Tatsächlich trugen die Medien die von der Baker-Kommission geäußerte Botschaft weiter, dass diese schlichte Spaltungspolitik eine unhaltbare Position darstellt, da sie die Wirklichkeit aus den Augen verloren hat. Dieser Druck war so stark, dass der Präsident Anfang September faktisch aufhörte, weiterhin von den „Durchhalteparolen" Gebrauch zu machen. Zwar schien Bush auch weiterhin störrisch an dieser Auffassung festzuhalten, als er die Demokraten als die Partei des „Abbruchs und Abhauens" denunzierte; und der Inhalt seiner eigenen Botschaft betonte noch immer, dass es notwendig sei, im Irak bis zum Sieg weiterzukämpfen. Doch die Baker-Kommission hatte damit schon vor den Kongress-Wahlen den Weg für einen Kurswechsel geebnet.

    In der Zeitschrift der US-Sektion der IKS, in Internationalism Nr. 140, hatten wir vorausgesagt, dass der bevorstehende Sieg der Demokraten „den Druck für Korrekturen im Regierungsapparat außerhalb der Wahlen erhöhen wird, einschließlich des vorzeitigen Rücktritts des Verteidigungsministers Donald Rumsfeld".

    Diese Voraussage wurde unmittelbar danach durch die Ankündigung des erzwungenen Rücktritt des Verteidigungsministers Rumsfeld und der Ernennung seines Nachfolgers am Nachmittag des ersten Tages nach den Wahlen bestätigt. Wenn man den Berichten der bürgerlichen Medien Glauben schenkt, so hatte Bush Rumsfeld schon am Wochenende vor den Wahlen zum Rücktritt aufgefordert und entschieden, ihn durch George Gates zu ersetzen, einem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter, der unter Bush sen. als CIA-Direktor gedient hatte. Die Tatsache, dass Gates Mitglied der Irak-Untersuchungskommission war (er trat erst einen Tag nach seiner Nominierung aus dieser Kommission aus), demonstriert anschaulich die Rolle der überparteilichen Irak-Untersuchungskommission als einen Mechanismus zur Wiedererlangung der Kontrolle durch die dominierende Fraktion der Bourgeoisie über eine verirrte und fehlgeleitete Regierungsmannschaft. Gates folgt im Wesentlichen Bakers vorsichtigem Kurs in der imperialistischen Politik und dessen Kritik an der Haltung der gegenwärtigen Regierung. Diese „Neujustierung in der Administration außerhalb der Wahlen" beinhaltet nicht einfach einen Personalwechsel, sondern die Durchsetzung eines Politikwechsels. Das Übertragen von wichtigen, entscheidenden Positionen an Leuten, die in der Frage der imperialistischen Politik von den überparteilichen Perspektiven der dominierenden Fraktion der Bourgeoisie ausgehen, ist dabei wesentlich.

    Die Wiederverstärkung der demokratischen Mystifikation, die durch die Novemberwahlen erreicht wurde, ist für die Bourgeoisie wichtig, weil die Überzeugung, dass das System funktioniert, eine Vorbedingung für die Akzeptanz ihrer Politik in der Bevölkerung ist. Trotz des öffentlichen Unmuts gegen den Krieg, insbesondere in der Arbeiterklasse, sind die Wahlen natürlich kein Sieg für den Frieden, sondern stattdessen ein Sieg für die Bemühungen der Bourgeoisie, den nächsten Krieg vorzubereiten, indem der Schaden, den das US-Militär, ihre Geheimdienste und ihre Außenpolitik durch die Fehler der Bush-Administration erlitten hat, repariert wurde.

     

     

    Die Entwicklung einer wirksameren imperialistischen Strategie

    Die Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klasse über den Irak sind tatsächlich nicht Ausdruck eines Kampfes zwischen Falken und Tauben, sondern eine Auseinandersetzung unter Falken, die sich darum streiten, wie man sich am besten im Irak aus der Affäre zieht, um das nächste militärische Abenteuer in Übersee vorzubereiten. Wie die „friedliebende" New York Times zwei Tage nach den Wahlen in ihrem Leitartikel schrieb: „Die wichtigste Aufgabe von Gates - gesetzt den Fall, er wird bestätigt – muss es sein, jene notwendigen Kommunikationsstränge mit den Spezialisten des Militärs, des Geheimdienstes und des auswärtigen Amtes vor Ort wieder zu öffnen. Nachdem er ihre Meinungen angehört hat, muss er Bush eine neue realistische Strategie anstelle der offensichtlich gescheiterten auf den Tisch legen (...) Er wird eine überstrapazierte Armee wieder aufbauen, die militärische Umwandlung durch den Austausch der unnötigen Waffen des Kalten Krieges durch neue, den gegenwärtigen Bedürfnissen entsprechende Technologien neu fokussieren und ein konstruktiveres Verhältnis zu den Kontrollausschüssen des Kongresses pflegen müssen".

    Nach den Wahlen bemühten sich die Generalstäbe schnell, ihre Unabhängigkeit gegenüber dem diskreditierten Rumsfeld zu bezeugen. Sie unternahmen eine Neueinschätzung der militärischen Lage im Irak und suchten nach eigenen politischen Alternativen, noch bevor Gates in seinem Amt bestätigt wurde und die Empfehlungen der Irak-Untersuchungskommission Mitte Dezember veröffentlicht wurden. Die Armee hat bereits neue Übungsanleitungen herausgegeben, welche Rumsfelds eher kontroverse Politik ersetzten, die eine minimale Truppenstärke für die Besetzung und den Wiederaufbau nach militärischen Invasionen vorsah - eine Politik, die im Irak im Desaster endete.

    Von der Auflage befreit, sich an die alten Weisungen der lahmen Ente Rumsfeld zu halten, sagte der Kommandant der US-Truppen im Irak, General Abizaid, vor dem Senat und dem Ausschuss des Weißen Hauses aus und kritisierte offen die einst von Rumsfeld und Bush gefällten Beschlüsse in der Irak-Politik. So sagte Abizaid zum Beispiel bezüglich des schon lange schwelenden Konflikts zwischen den Streitkräften und Rumsfeld um die notwendige Truppenstärke im Irak aus, dass General Eric Shinseki - der 2003 von Rumsfeld gefeuert wurde, weil er Rumsfelds Doktrin einer spärlichen Besatzungsstärke kritisierte und darauf bestanden hatte, dass bis zu 300.000 Soldaten notwendig seien - mit seiner Einschätzung richtig gelegen hätte.

    Abizaid widersprach ebenfalls der von der Regierung andauernd wiederholten Propaganda, als er darauf bestand, dass die größte Gefahr nicht von Al-Qaida ausgehe, sondern von sektiererischen Milizen, welche den Irak an den Rand eines Bürgerkrieges bringen würden. Abizaid war sowohl gegen einen stufenweisen Truppenabzug, wie er von einigen Demokraten befürwortet wurde, als auch gegen die Entsendung von weiteren Tausenden von Soldaten, wie sie vom republikanischen Senator John McCain befürwortet wurde. Stattdessen forderte er einen Kurswechsel, der die Verschiebung von beträchtlichen Truppenkontingenten von Kontroll- und Kampfaufträgen hin zur Schulung irakischer Sicherheitskräfte vorsieht.

    Trotz der öffentlichen Ernüchterung über den Krieg und einer breiten Unterstützung für die Forderung nach einem Rückzug wird es sicher keinen schnellen militärischen Rückzug aus dem Irak geben. Mit größter Wahrscheinlichkeit und trotz des halsstarrigen Widerstands einiger Neo-Konservativen, die noch immer im Regierungsapparat verharren, werden jene Maßnahmen durchgesetzt werden, welche von der Irak-Untersuchungskommission im Dezember vorgeschlagen wurden. Diese beinhalten einen erhöhten Druck auf die irakische Bourgeoisie, einen internen Kompromiss anzustreben, sowie eine Art Zeitplan für einen stufenweisen Rückzug und eine Aufhebung der Weigerung der Bush-Administration, mit Syrien und dem Iran zu verhandeln. Baker unterstrich bereits in der Öffentlichkeit die Wichtigkeit, „mit den Feinden zu sprechen", und baut auf die Einbeziehung der regionalen Mächte, um den Irak zu stabilisieren und die Ausbreitung des Chaos’ im Mittleren Osten zu verhindern. In der Tat scheint die Baker-Kommission zu einer Art Entgegenkommen gegenüber dem Iran als Schlüsselelement in ihrer neuen Orientierung zu neigen. Die Untersuchungskommission ließ Gerüchte über eine mögliche Konferenz im Mittleren Osten über die Zukunft des Irak durchsickern (ähnlich der Dayton-Verhandlungen über den Kosovo). Die Bush-Administration hat bereits begonnen, sich in diese Richtung zu bewegen, indem sie regionale Gespräche mit befreundeten Ländern wie Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten eröffnete. Auch wenn die Regierung sich mit Händen und Füßen gegen eine Einbeziehung des Iran und Syriens wehrt, so ist es unumgänglich, dass sich die neue Orientierung letztendlich durchsetzen wird. Sie ist die einzig verfügbare Option, die es den USA erlaubt, sich aus dem Irak-Desaster zurückzuziehen, gleichzeitig eine Präsenz in der Region aufrechtzuerhalten und die Avancen europäischer Staaten gegenüber dem Iran und Syrien abzublocken.

    Die Neujustierung der Situation im Mittleren Osten soll es dem amerikanischen Imperialismus ermöglichen, sich wirksamer den Herausforderungen im Fernen Osten und in Lateinamerika zu widmen.

    Die Wiedereinführung einer politischen Disziplin innerhalb der herrschenden Klasse, die Wiedererweckung der demokratischen Mystifikation, die Neuausrichtung der herrschenden politischen Führung und die Neujustierung der imperialistischen Politik sind wichtige Ziele der amerikanischen Bourgeoisie. Doch können diese Bestrebungen nicht die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise, die wachsende Infragestellung der amerikanischen imperialistischen Hegemonie und das wachsende Chaos auf internationaler Ebene lindern. Wie wir bereits des öfteren geschrieben haben, sehen sich die USA mit einer Krise des amerikanischen Imperialismus konfrontiert, nicht mit einer Krise von George W. Bush. Auch wenn diese Krise möglicherweise durch die Fehltritte der Bush-Administration bei der Durchsetzung der US-Politik verschlimmert wurde, so ist und bleibt sie eine Krise des Systems und kann nicht einer Person zugeschrieben werden. Es ist ein charakteristisches Kennzeichen der heutigen Zeit, dass, welche Aktionen die USA auch immer unternimmt, um ihre in Frage gestellte imperialistische Hegemonie zu verteidigen, sie am Ende das Gegenteil ihres ursprünglichen Ziels erreichen werden – die Verschlimmerung und nicht eine Abmilderung der Herausforderungen des US-Imperialismus. Im Moment kann die Bourgeoisie die euphorische Stimmung nach den Kongresswahlen auskosten, doch wird dies nicht lange anhalten. J. Grevin 2.12.2006

     

    Februar 1917 – Das Aufkommen der Arbeiterräte öffnete den Weg zur proletarischen Revolution

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    Der Ausbruch der russischen Revolution 1917 bleibt die gewaltigste, bewussteste und an Erfahrung, Initiativen und Kreativität reichste Bewegung der ausgebeuteten Massen, die es jemals in der Geschichte gegeben hat. Millionen von Arbeitern schafften es damals, ihre Atomisierung zu durchbrechen und sich bewusst zu vereinigen. Indem sie die Mittel zur Zerschlagung des bürgerlichen Staates und zur Übernahme der Macht – die Arbeiterräte (Sowjets) – geschaffen hatten, waren sie in der Lage, als gemeinsam handelnde Kraft auftreten zu können. Abgesehen von dem Sturz des Zarenregimes kündigte diese bewusste Massenbewegung nichts geringeres als den Beginn der proletarischen Weltrevolution im Rahmen einer internationalen Welle von Arbeiteraufständen gegen den Krieg und das kapitalistische System insgesamt an.

    Die Bourgeoisie hat sich nicht getäuscht. Seit Jahrzehnten verbreitet sie die abscheulichsten Lügen über dieses historische Ereignis. 80 Jahre nach der Machtübernahme durch die Sowjets in Russland singen die Propagandachefs der herrschenden Klasse immer noch das gleiche Loblied auf die Tugenden der bürgerlich-parlamentarischen ‘Demokratie’ und verbreiten gleichzeitig weiterhin die schlimmsten Verfälschungen über die ‘Diktatur des Proletariats’ in Russland. Dabei tischen diese im Dienst des Kapitals stehenden ‘Historiker’ eine ganze Reihe von Spitzfindigkeiten auf, um die Februarrevolution 1917 als eine Bewegung für die ‘Demokratie’ darzustellen, die von dem bolschewistischen Staatsstreich abrupt zu Ende gebracht, ja vergewaltigt wurde. Februar 1917 sei eine echte ‘demokratische Revolution’ gewesen, Oktober 1917 ein gewöhnlicher ‘Staatsstreich’, eine Manipulation der rückständigen Massen des zaristischen Russlands durch die Bolschewistischen Partei. Dieses schamlose ideologische Trommelfeuer ist ein Zeichen der Angst und der Wut, die die Weltbourgeoisie gegenüber dem kollektiven und solidarischen Werk, der bewussten Aktion der ausgebeuteten Klasse empfindet, einer Klasse, die es gewagt hat, ihr die Stirn zu bieten und die bestehende Weltordnung in Frage zu stellen. Der weltweite Widerhall der Revolution von 1917 lastet wie ein Alptraum auf dem Gedächtnis der Bourgeoisie. Deshalb setzt diese heute wie damals alles daran, der Arbeiterklasse den Zugang zu ihrer eigenen geschichtlichen Erfahrung zu versperren. Wenn die Bourgeoisie das Wesen der russischen Revolution und der Arbeiterräte verzerrt, verfolgt sie damit das gleiche Ziel wie bei ihrer hinterlistigen Kampagne zum ‘Tod des Kommunismus’. Indem der Kommunismus mit dem Stalinismus identifiziert wird, sollen revolutionäre Organisationen verleumdet und als Verfechter des Totalitarismus dargestellt werden. So wird die Idee verbreitet, dass jede Revolution nur zu einem neuen Gulag führe. Entgegen diesen Verleumdungen und Lügen ist die Verteidigung der russischen Revolution, dieses gewaltigen Werkes des im Kampf für den Kommunismus vereinten Proletariats, eine Aufgabe der Revolutionäre, um der Arbeiterklasse dabei zu helfen, den ganzen ideologischen Dreck über Bord zu werfen, den die herrschende Klasse verbreitet, und den ganzen Reichtum der Lehren dieser grundlegenden Erfahrung wieder aufzuarbeiten.

    Februar 1917: Erste Episode der proletarischen Weltrevolution

    Die Erhebung der Arbeiter von Sankt Petersburg (Petrograd) im Februar 1917 erfolgte nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie war eine Fortsetzung der wirtschaftlichen Kämpfe, die die Arbeiter seit 1915 als Reaktion auf das Abschlachten im Weltkrieg, auf den Hunger, die grausame Verarmung und Ausbeutung bis aufs Blut und den ständigen Terror im Kriegszustand geführt hatten, und auf die die Regierung mit einer brutalen Repression antwortete. Diese Streiks und Revolten waren damals keine Besonderheit des russischen Proletariats, sondern ein integraler Bestandteil der Kämpfe und Demonstrationen der Arbeiterklasse weltweit. Die gleiche Welle von Kämpfen der Arbeiter ergoss sich über Deutschland, Österreich, Großbritannien usw. An der Front kam es vor allem unter deutschen und russischen Soldaten zu Meutereien, Massendesertierungen und Verbrüderungen zwischen den Soldaten auf beiden Seiten. Nachdem die Arbeiterklasse zunächst durch das Gift des Patriotismus verseucht und den ‘demokratischen’ Lügen der Regierungen aufgesessen war, den Verrat der Mehrzahl der demokratischen Parteien und der Gewerkschaften geschluckt hatte, erhob die internationale Arbeiterklasse ihr Haupt und fing an, die Fesseln der chauvinistischen Benebelung abzustreifen. An der Spitze der Bewegung standen die Internationalisten - die Bolschewiki, Spartakisten, die ganze Linke der 2. Internationalen –, die seit seinem Ausbruch im August 1914 den Krieg als einen imperialistischen Beutezug brandmarkten und als einen Ausdruck des Debakels des Weltkapitalismus darstellten, als ein Signal, das die Arbeiterklasse dazu zwingen sollte, ihre geschichtliche Aufgabe zu erfüllen: die internationale sozialistische Revolution. Diese historische Herausforderung sollte von der Arbeiterklasse von 1917 bis 1923 auf internationaler Ebene angenommen werden. An der Spitze dieser proletarischen Bewegung, die den Krieg zu Ende brachte und die Tür zum Ausbruch der Weltrevolution aufstieß, stand im Februar 1917 das russische Proletariat. Der Ausbruch der Russischen Revolution war also keine nationale Angelegenheit oder ein isoliertes Phänomen, d.h. eine verspätet stattfindende Revolution, die sich zur Aufgabe gesetzt hätte, den absoluten Feudalismus zu stürzen - diese Bewegung stellte den Höhepunkt der Antwort des Proletariats auf den Krieg und darüber hinaus auf den Eintritt des Systems in die Phase seines Niedergangs dar.

    Die Bildung der Arbeiterräte: Die spezifischen Organe der Revolution

    Als Reaktion auf das historische Problem des imperialistischen Krieges brach am 22.Februar ein sechstägiger Aufstand der Arbeiter in St. Petersburg aus. Der Krieg war zum Ausdruck der Dekadenz des Kapitalismus geworden. Anfänglich ging die Bewegung von den Textilarbeitern aus; aber innerhalb von drei Tagen dehnten sich die Streiks auf nahezu alle Fabriken der Hauptstadt aus. Am 25. Februar hatten mehr als 240.000 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt. Anstatt passiv in den Werkstätten zu verharren, hielten sie überall Versammlungen und Straßendemonstrationen ab. Ihren ersten Forderungen nach ‘Brot’ wurden schnell die Forderung nach ‘Nieder mit dem Krieg’, ‘Nieder mit der Autokratie’ hinzugefügt.

    Am Abend des 27. Februar wurde der Aufstand, den die bewaffnete Arbeiterklasse in der Stadt durchgeführt hatte, erfolgreich abgeschlossen. Zum gleichen Zeitpunkt brachen in Moskau Streiks aus, und Demonstrationen wurden organisiert. Diese Bewegung dehnte sich in den nachfolgenden Tagen auf die Provinzstädte aus, insbesondere auf Samara, Saratow, Charkow. In die Isolation getrieben, war das Regime des Zaren, das sich außerstande zeigte, die vom Krieg selbst angeschlagene Armee gegen die revolutionäre Bewegung einzusetzen, dazu gezwungen zurückzutreten.

    Sobald die ersten Teile der Kette zerschlagen waren, wollten die Arbeiter nicht mehr zurückweichen. Und weil man nicht einfach blind in den Kampf treten wollte, stützten sie sich auf die Erfahrung von 1905. Damals waren in den Massenstreiks die ersten Arbeiterräte spontan gegründet worden. Diese Arbeiterräte waren direkt hervorgegangen aus unzähligen Versammlungen der Arbeiter in den Fabriken und Wohnvierteln. Die Versammlungen waren selbständig, die Treffen waren zentralisiert und die frei gewählten Delegierten waren jeweils gegenüber den Versammlungen rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar. Vielen Arbeitern mag dieser gesellschaftliche Prozess heute als Utopie erscheinen, aber es handelte sich um eine Errungenschaft der Arbeiter selber, die sich von einer unterworfenen und gespaltenen Masse in eine vereinigte Klasse verwandelten, als einheitlicher Körper auftraten und sich als fähig erwiesen, den revolutionären Kampf aufzunehmen.

    Trotzki hatte schon nach den Kämpfen von 1905 aufgezeigt, was ein Arbeiterrat ist:

    ‘Was war der Sowjet der Arbeiterdeputierten? Der Sowjet entstand als eine Reaktion auf ein objektives Bedürfnis – ein Bedürfnis, das im Laufe der Ereignisse entstanden war. Es handelte sich um eine Organisation, die Autorität ausstrahlte und dennoch über keine Tradition verfügte, und sofort eine zerstreute Masse von Hunderttausenden von Menschen zusammenfassen,... die Initiative ergreifen und spontane Selbstkontrolle ausüben konnte’ (Trotzki, 1905).

    Die Arbeiterräte, die während der russischen Revolution entstanden, waren nicht einfach ein unbeabsichtigtes Ergebnis außergewöhnlicher objektiver Bedingungen, sondern auch das Ergebnis einer kollektiven Bewusstwerdung. Die Rätebewegung hat selber Stoff geliefert für die Bewusstwerdung und Selbsterziehung der Massen. Die Arbeiterräte führten ständig jeweils die ökonomischen und politischen Aspekte des Kampfes gegen die bestehende Ordnung zusammen. Wie Trotzki schrieb:

    ‘Eine Revolution lehrt, und zwar schnell. Darin besteht ihre Kraft. Jede Woche brachte den Massen etwas Neues. Jeder zweite Monat schuf eine Epoche. Ende Februar – der Aufstand. Ende April – Auftreten bewaffneter Arbeiter und Soldaten in Petrograd! Anfang Juli - ein neues Auftreten in viel breiterem Maßstab und unter entschiedeneren Parolen. Ende August – der Kornilowsche Staatsstreichversuch, von den Massen zurückgeschlagen. Ende Oktober – Machteroberung durch die Bolschewiki. Unter diesen durch die Gesetzmäßigkeit ihrer Rhythmen verblüffenden Ereignissen vollzogen sich tiefe, molekulare Prozesse, die die verschiedenartigen Teile der Arbeiterklasse in ein politisches Ganzes verschmolzen.’ (Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution, ’Verschiebungen in den Massen’, S. 353, Bd. I

    ). ‘Treffen wurden in den Gräben, auf Dorfplätzen, in den Fabriken abgehalten. Monatelang wurde in Petrograd und in ganz Russland jede Straßenecke zu einer öffentlichen Tribüne’ (ebenda). Diese ‘endlich gefundene Form der Diktatur des Proletariats’, wie Lenin sie bezeichnete, bewirkte, dass die ständigen Organisationsformen, die Gewerkschaften, als überholt anzusehen waren. In dem Zeitraum, wo die Revolution historisch auf der Tagesordnung steht, brechen die Kämpfe spontan aus und neigen dazu, sich auf alle Bereiche der Produktion auszudehnen. So geht der spontane Charakter des Entstehens der Arbeiterräte direkt aus dem explosiven und nicht-programmierten Wesen des revolutionären Kampfes hervor.

    Die Rolle der Bolschewistischen Partei in den Arbeiterräten

    Auch wenn das russische Proletariat sich mit den Arbeiterräten seine Kampfinstrumente geschaffen hatte, so stand es doch ab Februar vor einer sehr gefährlichen Situation. Denn die Kräfte der internationalen Bourgeoisie versuchten sofort, die Lage zu ihren Gunsten auszunutzen. Da sie die Bewegung nicht blutig niederschlagen konnten, versuchten sie, sie auf bürgerlich ‘demokratische’ Ziele zu lenken. Einerseits bildeten sie eine offizielle provisorische Regierung, deren Ziel in der Fortführung des Krieges bestand. Andererseits wurden die Räte sofort von den Menschewiki und den Sozialrevolutionären (SR) ins Visier genommen.

    Viele Arbeiter schenkten zu Beginn der Februarrevolution den SR, deren Mehrheit im Laufe des Krieges durch die Unterstützung eben jenes Krieges auf die Seite des Kapitals gewechselt war, noch großes Vertrauen. Von dieser strategischen Position aus versuchten sie mit allen Mitteln, die Arbeiterräte zu sabotieren, sie zu zerstören.

    Nach einer Situation der ‘Doppelmacht’ im Februar kam man zu einer Situation der ‘doppelten Ohnmacht’ in den Monaten Mai und Juni 1917, weil der Vollzugsrat der Arbeiterräte der Bourgeoisie als Maske diente, um ihre Ziele zu verwirklichen. Insbesondere ging es ihr darum, die Ordnung hinter der Front und an der Front selbst wiederherzustellen, um den imperialistischen Krieg fortzusetzen. Diese menschewistischen oder sozialdemokratischen Demagogen machten noch immer Friedensversprechungen und versprachen auch eine ‘Lösung des Agrarproblems’, die Einführung des 8-Stunden-Tages usw., selbstverständlich ohne all dies in die Tat umzusetzen.

    Zwar waren die Arbeiter, zumindest die von Petrograd, überzeugt davon, dass nur die Macht der Arbeiterräte imstande war, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, zwar erkannten sie, dass ihre Forderungen nicht umgesetzt wurden, doch in den Provinzen und unter den Soldaten glaubte man noch immer an die ‘Versöhnler’, an die Anhänger der angeblichen bürgerlichen Revolution.

    Es sollte die Aufgabe Lenins sein, mit Hilfe seiner ‘Aprilthesen’ zwei Monate nach Ausbruch der Bewegung zunächst eine Plattform anzubieten, um die Bolschewistische Partei für die Lage der Dinge zu rüsten, denn auch die Bolschewistische Partei neigte dazu, sich versöhnlich gegenüber der provisorischen Regierung zu verhalten. Lenins Thesen brachten deutlich zum Ausdruck, in welche Richtung das Proletariat gehen musste, und sie formulierten auch die Perspektiven der Partei:

    _In unserer Stellung zum Krieg... sind auch die geringsten Zugeständnisse an die ‘revolutionäre Vaterlandsverteidigung’ unzulässig’.

    ‘Keine Unterstützung der Provisorischen Regierung, Aufdeckung der ganzen Verlogenheit aller ihrer Versprechungen, insbesondere hinsichtlich des Verzichts auf Annexionen. Entlarvung der Provisorischen Regierung statt der unzulässigen, Illusion erweckenden ‘Forderung’, diese Regierung, die Regierung der Kapitalisten, solle aufhören, imperialistisch zu sein’...

    ‘Keine parlamentarische Republik – von den Sowjets der Arbeiterdeputierten zu dieser zurückzukehren wäre ein Schritt rückwärts –, sondern eine Republik der Sowjets der Arbeiter,- Landarbeiter- und Bauerndeputierten im ganzen Lande, von unten bis oben’. (‘Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution’, Bd. 24, S. 3ff., 4. April 1917).

    Mit diesem Kompass ausgerüstet, konnte die Partei Vorschläge machen, die den Bedürfnissen und Möglichkeiten der jeweiligen Momente des revolutionären Prozesses entsprachen und sich jeweils nach der Perspektive der Machtergreifung ausrichteten. Dabei stützten sie sich auf die ‘geduldige und hartnäckige Überzeugungsarbeit’ (Lenin). Und bei diesem Massenkampf um die Kontrolle ihrer Organisationen gegen die bürgerliche Sabotage wurde es nach mehreren politischen Krisen im April, Juni und vor allem Juli, möglich, die Sowjets zu erneuern, denn die Bolschewiki hatten nunmehr in ihnen die Mehrheit erobert.

    Die entscheidenden Aktivitäten der Bolschewiki richteten sich auf die Fortentwicklung des Klassenbewusstseins. Dabei hatten sie großes Vertrauen in die Fähigkeit der Arbeiterklasse zur Selbstkritik, zur Lageanalyse sowie zu ihrer eigenen Vereinigung und Selbstorganisierung. Die Bolschewiki haben nie behauptet, die Massen einem ‘Aktionsplan’ unterwerfen zu wollen, der von vornherein festgestanden habe. ‘Die Hauptstärke Lenins war, dass er die innere Logik der Bewegung begriff und danach seine Politik richtete. Er zwang den Massen seinen Plan nicht auf. Er half den Massen, ihren eigenen Plan zu erkennen und zu verwirklichen’ (ebenda S. 277, Die Umbewaffnung der Partei).

    So stellten die Bolschewiki von September an klar die Frage des Aufstands in den Versammlungen der Arbeiter und Soldaten:

    ‘Der Aufstand wurde sozusagen auf ein festes Datum festgelegt, auf den 25. Oktober. Er wurde nicht von einem Geheimtreffen festgelegt, sondern offen und öffentlich, und die siegreiche Revolution fand genau am 25. Oktober statt’ (ebenda).

    Dies weckte eine bis dahin nie dagewesene Begeisterung unter den Arbeitern der ganzen Welt. Die Revolution in Russland wurde zum Hoffnungsschimmer, der die Zukunft aller Ausgebeuteten erstrahlen ließ..

    Heute noch ist die Zerstörung der politischen und ökonomischen Macht der herrschenden Klasse eine Überlebensnotwendigkeit. Die Diktatur des Proletariats, die sich in selbständigen Arbeiterräten organisiert, bleibt der einzige realistische Weg, um die Grundlagen einer neuen, wirklich kommunistischen Gesellschaft zu legen. Im Lichte der Erfahrung von 1917 müssen sich die Arbeiter diese Lehre wieder aneignen. SB

    Geschichte der Arbeiterbewegung: 

    • 1917 - Russische Revolution [2]

    Historische Ereignisse: 

    • Proletarische Revolution [5]
    • Klassenbewusstsein [6]
    • Sowjets [7]

    Theoretische Fragen: 

    • Arbeiterklasse [8]

    Erbe der kommunistischen Linke: 

    • Die revolutionäre Welle 1917-1923 [9]

    Rubric: 

    100 Jahre Russische Revolution

    Intervention der IKS in Brasilien - Debatte über die Perspektiven des Klassenkampfes

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    Intervention der IKS in Brasilien

     

    Vor allem wollen wir unterstreichen, wie die Teilnehmer gegenüber unserer Einleitung reagiert haben, deren Inhalt für sie ‚außergewöhnlich‘ war, da wir die Wahlen als etwas verwerfen, das völlig im Dienst der herrschenden Klasse steht. Wir entwickelten ebenfalls die Perspektive der Verstärkung der Arbeiterkämpfe auf internationaler Ebene. Aber unsere Analysen stießen keineswegs auf Feindseligkeit oder Skepsis, sondern haben im Gegenteil ein großes Interesse hervorgerufen und wurden oft auch direkt unterstützt.

    Im September 2006 hatte die IKS die Gelegenheit, vor ca. 170 Studenten in einer brasilianischen Universität ihre Analyse der Weltlage und die historische Alternative vorzutragen. Unsere Einleitung (1) drehte sich um die folgenden Achsen: Krieg, Klassenkampf und die Rolle der Wahlen. Wir wollen hier die wesentlichen Teile der Debatte wiedergeben. (2)

    Das Wesen der Gewerkschaften und der Linken

    In der Einleitung waren wir nur kurz auf die Rolle und das Wesen der Gewerkschaften eingegangen. Eine Intervention zu dieser Frage wurde besonders begrüßt, weil sie aufzeigte, dass diese ein Anhängsel der bürgerlichen Parteien und ein Sprungbrett für diejenigen darstellen, die zur führenden Bürokratie des Staates gehören wollen.

    Wir wurden gefragt, ob die Regierung Lula als rechts oder links einzuschätzen sei. Wir antworteten: "auf jeden Fall als links". Die Tatsache, dass die Regierung Lula als ein Feind des Proletariats handelte, ändert nichts an dieser Tatsache, da die Linken mit dem gleichen Auftrag wie die Rechten gewählt wurden: Verteidigung der Interessen des nationalen Kapitals. Dies kann nur auf Kosten des Proletariats geschehen.

    Egal, welche Tonart sie einschlagen, ob mehr oder weniger radikal, von Bachelet in Chile, Kirchner in Argentinien, Chavez in Venezuela oder Morales in Bolivien - sie verfolgen alle die gleiche Linie. Der ‚radikalste‘ unter ihnen, Chavez, der mit Teilen der nationalen Bourgeoisie zusammengestoßen ist und der keine Gelegenheit auslässt, um öffentlich den Imperialismus der USA zu brandmarken, strebt nach einer Vergrößerung seines Einfluss in der Karibik. Er zögert nicht, die Ausbeutung der Arbeiter Venezuelas mit der größten Brutalität zu betreiben.

    Wenn wir behaupten, die Linke und die Rechte verteidigen beide die Interessen des nationalen Kapitals gegen die Arbeiterklasse, heißt dies aber noch lange nicht, dass sie identisch seien. Im Allgemeinen haben die Arbeiter weniger Illusionen über die Pläne der Rechten, die offen die Interessen der Bourgeoisie verteidigen. Aber leider ist sich die gesamte Arbeiterklasse über die Rolle der Linken nicht so klar. Das heißt, die Linke, und mehr noch die Extreme Linke, verfügt über eine größere Fähigkeit der Täuschung des Proletariats. Deshalb sind diese Fraktionen der Bourgeoisie ein gefährlicherer Feind des Proletariats.

    Die Rolle der Wahlen

    In einigen Redebeiträgen sind wir auf die Wahlen eingegangen, deren Rolle wir in unserer Einleitung ausführlicher behandelt hatten. "Ist es wirklich unmöglich, die Wahlen zugunsten einer gesellschaftlichen Umwälzung zu nutzen?" Unsere Haltung gegenüber dieser Frage war keineswegs dogmatisch, sondern sie spiegelt eine weltweite Wirklichkeit wider, die seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts festzustellen ist. Von diesem Zeitpunkt an ist "der Schwerpunkt des politischen Lebens endgültig aus dem Parlament verschwunden", wie es die Kommunistische Internationale formulierte. Der Wahlzirkus kann nur als ideologische Waffe zugunsten der Bourgeoisie gegen das Proletariat dienen.

    Wie entwickelt sich der Klassenkampf?

    "Wenn die Wahlen kein Mittel des Klassenkampfes sind, wie kann denn das Proletariat kämpfen?"

    Die Kämpfe, die das Proletariat seit 1968 entfaltet hat, sind keine Kämpfe an der Wahlurne gewesen. Obgleich sie nicht ausdrücklich eine revolutionäre Perspektive entwickeln konnten, waren sie jedoch ausreichend stark, um einen Weltkrieg zur Zeit des Kalten Kriegs und frontale Zusammenstöße zwischen den Großmächten zu verhindern. Das Proletariat ist weiterhin ein Hindernis für die Entfesselung der Kriege. Das Proletariat und die Ausgebeuteten im Allgemeinen können nicht durch die verschiedenen nationalen Bourgeoisien mobilisiert werden. Die gegenwärtige Schwierigkeit der USA, Soldaten für den Einsatz als Kanonenfutter in den Konflikten im Irak und in Afghanistan zu rekrutieren, verdeutlicht dies.

    Indem es sich weigert, die ständige Verschlechterung seiner Lebensbedingungen durch die Zuspitzung der Krise hinzunehmen, wird das Weltproletariat notwendigerweise seine Kämpfe verstärken. Insbesondere seit zwei Jahren kann man bei seinen Kämpfen, die sich weltweit entfalten, eine zunehmende Zahl von Merkmalen feststellen, die notwendige Bestandteile für die zukünftige Entwicklung eines revolutionären Prozesses sind:

    den massiven Charakter des Kampfes, wie es der Streik von zwei Millionen Beschäftigten in Bangladesh zeigt,

    die Solidarität der Beschäftigten des Heathrower Flughafens und der New Yorker U-Bahner 2005,

    die Fähigkeit, während des Kampfes Massenversammlungen abzuhalten, die für alle Arbeiter offen sind, wie beim Streik der Metaller im spanischen Vigo im Frühjahr 2006,

    die Fähigkeit der Studenten in Frankreich im Frühjahr 2006, souveräne Vollversammlungen abzuhalten, um den Kampf selbständig und unabhängig von den Gewerkschaften und den bürgerlichen Parteien führen zu können, welche den Kampf unter ihre Kontrolle bringen wollen, um sie zu schwächen.

    Während der Debatte wurden wir gebeten, mehr über diese Bewegung in Frankreich zu berichten. In dieser Bewegung mobilisierten sich nicht so sehr die Beschäftigen; die kämpfenden Studenten selbst waren Teil des Proletariats. Denn ein Großteil der Studenten ist zum Arbeiten gezwungen, um zu überleben; und ein großer Teil von ihnen wird nach dem Abschluss des Studiums zu Lohnabhängigen. Die Studenten sind in den Kampf getreten mit Forderung nach der Rücknahme eines Gesetzes, das ihre prekären Bedingungen noch weiter verschlechtert hätte und einen Angriff gegen das ganze Proletariat darstellte. Die große Mehrheit der Bewegung hat deshalb bewusst die Solidarität des gesamten Proletariats gesucht und auch versucht, es aktiv am Kampf zu beteiligen. Mehrmals gab es in verschiedenen Städten Frankreichs Massendemonstrationen mit mehr als drei Millionen Teilnehmern. In den meisten streikenden Universitäten wurden regelmäßig Vollversammlungen abgehalten, die das Herz der Bewegung darstellten. Im Mittelpunkt der Bemühungen stand die Solidarität, während gleichzeitig in der gesamten Bevölkerung, und in der Arbeiterklasse insbesondere eine wachsende Sympathie für diesen Kampf aufkam. All dies zwang die Regierung zum Nachgeben, um zu vermeiden, dass die Mobilisierung noch größere Ausmaße annahm.

    In einigen Redebeiträgen kam die Sorge um die objektiven Schwierigkeiten der Entwicklung des Klassenkampfes zum Vorschein: "Wenn die vormals großen Produktionszentren sich auflösen, stellt dies keine Schwierigkeit für die Entfaltung des Klassenkampfes dar?" Insgesamt gibt es weniger in der Industrie beschäftigte Arbeiter, was sowohl auf die Änderungen im Produktionsprozess zurückzuführen ist - dagegen hat die Zahl der Beschäftigten im Dienstleistungssektor zugenommen - als auch auf die Wirtschaftskrise und die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Länder mit Niedriglöhnen wie China, wo in den letzten Jahren eine bedeutsame Entwicklung stattgefunden hat. Diese Erscheinung bringt für das Proletariat Schwierigkeiten mit sich, aber die Arbeiterklasse hat schon bewiesen, dass sie fähig ist, diese zu überwinden. Denn die Arbeiterklasse ist nicht beschränkt auf die Industriearbeiterklasse. Die Arbeiterklasse umfasst all diejenigen, die als Ausgebeutete nur ihre Arbeitskraft verkaufen können, um zu überleben. Die Arbeiterklasse existiert überall und ihr bevorzugter Ort, um zusammenzukommen, ist die Straße, wie die Bewegung der Studenten in Frankreich gegen die Prekarisierung bewiesen hat.

    Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in andere Länder wie China hat eine Spaltung zwischen dem chinesischen Proletariat, das unter den schrecklichsten Bedingungen bis aufs Blut ausgebeutet wird, und dem Proletariat der Industriestaaten, das aufgrund des Abbaus vieler Arbeitsplätzen unter der Massenarbeitslosigkeit leidet. Aber das ist keine Ausnahmeerscheinung. Denn von Anfang an hat der Kapitalismus ein Konkurrenzverhältnis unter den Arbeitern geschaffen. Und von Anfang an hat die Notwendigkeit des kollektiven Widerstands gegen diese Konkurrenz die Arbeiter dazu gezwungen, durch den kollektiven Kampf diese Konkurrenz zu überwinden. Die Gründung der I. Internationale 1864 ging aus der Notwendigkeit hervor, die englische Bourgeoisie daran zu hindern, die Arbeiter aus Frankreich, Belgien oder Deutschland als Streikbrecher gegenüber den englischen Arbeitern zu benutzen. Trotz wichtiger Kämpfe des chinesischen Proletariats ist dieses allein nicht dazu fähig, seine Isolierung zu durchbrechen. Damit lastet auf dem Proletariat der mächtigsten Länder eine noch größere Verantwortung, durch seine Kämpfe die internationale Solidarität voranzutreiben.

    Die Entwicklung des Klassenkampfes wird durch die wachsende Fähigkeit des Proletariats geprägt sein, seine Kämpfe kontrollieren und selbständig führen zu können. Deshalb wird es mehr zur Schaffung von souveränen Vollversammlungen kommen, in denen abwählbare Delegierte gewählt werden. Diese Stufe geht dem Entstehen von Arbeiterräten voraus, die die zukünftigen Organe der Ausübung der Arbeitermacht sind. Nur dieser Organisationstyp ermöglicht es den Arbeitern, kollektiv die Kontrolle über die Gesellschaft, über ihre Existenz und ihre Zukunft zu ergreifen.

    Solch ein Ziel kann aber nicht mit Organisationsformen erreicht werden, die nicht mit dem Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft brechen, wie zum Beispiel der ‚partizipativen Demokratie’, die sozusagen die Mängel der klassischen repräsentativen Demokratie korrigieren soll. Ein Diskussionsteilnehmer fragte nach unserer Position zu diesem Punkt. Aus unserer Sicht ist die partizipative Demokratie nichts anderes als ein Mittel, mit dessen Hilfe die Ausgebeuteten und die Ausgeschlossenen ihr eigenes Elend verwalten sollen und das sie glauben machen soll, dass sie eine Macht über die Gesellschaft ausübten. Somit ist die partizipative Demokratie nichts anderes als eine reine Mystifikation.

    Die revolutionäre Perspektive

    Die Perspektiven der Entwicklung des Klassenkampfes müssen sich auf die historische Erfahrung des Proletariats stützen. Dazu wurde uns folgende Frage gestellt: „Warum sind die Pariser Kommune und die russische Revolution besiegt worden? Warum ist die Russische Revolution degeneriert?"

    Die Pariser Kommune war noch keine ‚wirkliche Revolution’; es handelte sich um einen siegreichen Aufstand des Proletariats, der auf eine Stadt begrenzt blieb. Seine Grenzen waren im Wesentlichen das Ergebnis der noch nicht ausgereiften objektiven Bedingungen. Das Proletariat war damals noch nicht ausreichend entwickelt, um den Kapitalismus in den höchst entwickelten Ländern zu überwinden. Gleichzeitig war der Kapitalismus noch ein fortschrittliches System, das in der Lage war, die Produktivkräfte voranzutreiben, ohne dass die Widersprüche schon chronisch und in ihrer ganzen Brutalität auftraten. Die Dinge änderten sich Anfang des 20. Jahrhunderts, als 1905 in Russland die ersten Arbeiterräte auftauchten, die Machtorgane der revolutionären Klasse sind. Wenig später war die Auslösung des Ersten Weltkriegs die erste brutale Erscheinung des Eintritts des Systems in seine Dekadenzphase, in die „Epoche der Kriege und Revolutionen", wie die Kommunistische Internationale schrieb. Als Reaktion auf die Verbreitung der Barbarei in einem bislang unbekanntem Ausmaß erhob sich weltweit eine revolutionäre Welle von Kämpfen, in der wiederum die Arbeiterräte auftauchten. Dem Proletariat in Russland gelang es, die politische Macht zu ergreifen, doch der revolutionärer Anlauf 1919 in Deutschland wurde dank der Fähigkeit der Sozialdemokratie, die Arbeiter in die Irre zu führen, vereitelt. Diese Niederlage schwächte die weltweite revolutionäre Dynamik stark ab, so dass die Welle 1923 nahezu verebbt war. Isoliert konnte die Arbeitermacht in Russland nur degenerieren. Die Konterrevolution trat dort durch den Aufstieg des Stalinismus und durch die Bildung einer neuen bürgerlichen Klasse in Erscheinung, die durch die Staatsbürokratie verkörpert wurde. Aber im Gegensatz zur Pariser Kommune, die sich aufgrund der Unreife der materiellen Bedingungen nicht ausdehnen konnte, scheiterte die revolutionäre Welle von Kämpfen 1919-23 am mangelnden Bewusstsein der Arbeiter. Die Arbeiterklasse hatte nicht das verstanden, was historisch auf dem Spiel stand. Auch hatte sie nicht das wahre Gesicht, den Klassencharakter der Sozialdemokratie durchschaut, die den proletarischen Internationalismus und das Proletariat im 1. Weltkrieg endgültig verraten hatte. Die in den Reihen der Arbeiter fortbestehenden Illusionen über diesen Klassenfeind hinderten sie daran, die Schachzüge der SPD zur Bekämpfung der Revolution zu durchschauen.

    Weniger als ein Jahr nach einer Diskussion in der Universität von Vitòria da Conquista mit mehr als 250 Teilnehmern zum Thema „Die Kommunistische Linke und die Kontinuität des Marxismus" konnten wir in diesem jüngsten Treffen mit großer Zufriedenheit feststellen, dass vor dem Hintergrund einer wachsenden Ablehnung des materiellen, moralischen und intellektuellen Elends dieser zerfallenden Welt es ein wachsendes Interesse seitens der neuen Generation an der Zukunft des Klassenkampfes gibt. Wir fordern alle, die bei der Debatte anwesend waren oder diesen Artikel gelesen haben, auf, die jetzt begonnene Debatte fortzusetzen und schriftlich Stellung zu den aufgeworfenen Fragen zu beziehen. IKS, 12.Okt. 2006

     

    Vom Mittleren Osten bis Afrika -Wenn das Chaos neue Höhepunkte erreicht

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    Die dramatische Lage im Mittleren Osten, der dem Chaos ausgeliefert ist, zeigt den Zynismus und die große Doppelzüngigkeit der Bourgeoisie aller Länder auf. Jeder Teil der Bourgeoisie behauptet von sich, der Bevölkerung, die täglich unter diesen Schrecken und seit Jahren unter Massakern leidet, Frieden und Gerechtigkeit oder Demokratie zu bringen. Aber all dieses Gerede dient nur dem Vertuschen der schmutzigen, rivalisierenden imperialistischen Interessen und der Rechtfertigung der Interventionen, die bei der Zuspitzung der Konflikte und der kriegerischen Barbarei im Kapitalismus Ausschlag gebend sind. Dieser Zynismus und diese Heuchelei wird auch verdeutlicht durch ein weiteres Ereignis in der letzten Zeit - die überstürzte Hinrichtung von Saddam Hussein. Durch dessen Hinrichtung wird auf einer anderen Ebene deutlich, mit welch blutigen Mitteln rivalisierende Fraktionen der Bourgeoisie untereinander abrechnen

    Warum die überstürzte Hinrichtung von Saddam Hussein?

    Die Verurteilung und die Hinrichtung Saddam Husseins wurden von Präsident Bush als ein ‘Sieg der Demokratie’ gepriesen. Dahinter steckt ein Körnchen Wahrheit. Oft hat die Bourgeoisie im Namen der Demokratie und ihrer Verteidigung, die als Ideal der Bourgeoisie dargestellt wird, Rechnungen unter sich beglichen oder Verbrechen gerächt. Wir haben bereits einen Artikel dieser Frage gewidmet (siehe Internationale Revue Nr. 13, 3. Quartal 1991, «Die Massaker und die Verbrechen der großen Demokratien»). Mit grenzenlosem Zynismus erklärte Bush am 5. November 2006 nach der Urteilsverkündung der Todesstrafe für Saddam Hussein - zu einem Zeitpunkt, als er selbst mitten in der Wahlkampagne in Nebraska stand -, dass dieses Urteil als eine „Rechtfertigung der durch die US-Streitkräfte (seit März 2003 im Irak) erbrachten Opfer" betrachtet werden könne. So ist für ihn der Kopf eines Mörders wichtiger als das Leben von 3000 im Irak getöteten jungen Amerikanern (d.h. es gab mehr Opfer als die Zerstörung der Twin Towers hinterlassen hat), von denen die meisten erst in der Jugend ihres Lebens standen! Und er lässt all das Leben der Hunderttausenden Iraker außer Acht, die seit Beginn der US-Invasion ihr Leben gelassen haben. Seit der US-Besatzung im Irak gab es mehr als 600.000 Tote auf irakischer Seite. Die irakische Regierung hat übrigens beschlossen, die Zahl der Toten nicht mehr zu zählen, um die "Moral der Truppen" nicht zu zersetzen.

    Die USA waren sehr daran interessiert, dass die Exekution Saddam Husseins vor den nächsten Prozessen ausgeführt wurde. Sie wollten vermeiden, dass Tatsachen bekannt werden, die sie zu sehr kompromittiert hätten. Alle Anstrengungen sollten unternommen werden, um vergessen zu machen, dass sie und die anderen westlichen Großmächte die Politik Saddam Husseins zwischen 1979 und 1990 voll unterstützt hatten, einschließlich des Irak-Iran-Krieges (1980-1988).

    Eine der Hauptanschuldigungen gegen Saddam Hussein in einem dieser Prozesse war die Vernichtung von 5000 Kurden in Halabjah im Jahre 1988 mit Chemiewaffen. Dieses Massaker fand im Rahmen und am Ende des Krieges zwischen Irak und Iran statt, in dem mehr als 1,2 Mio. Menschen starben und doppelt so viele verletzt oder zu Invaliden wurden. Damals lieferten die USA und an ihrer Seite die meisten westlichen Staaten Waffen an Saddam Hussein und unterstützten ihn. Nachdem diese Stadt zuvor von den Iranern eingenommen worden war, war sie danach wieder von den Irakern zurückerobert worden. Dabei hatte der Irak eine Strafaktion gegen die kurdische Bevölkerung beschlossen. Dieses Massaker war übrigens nur das spektakulärste in einer Reihe von Vernichtungskampagnen, die unter dem Namen ‚Al Anfal’ (Kriegsbeute) geführt wurden. 180.000 irakische Kurden wurden dabei zwischen 1987 und 1988 getötet.

    Als damals Saddam Hussein den Krieg mit einem Angriff gegen den Iran begann, hatte er die volle Rückendeckung aller Westmächte. In Anbetracht der Ausrufung einer islamischen schiitischen Republik 1979 im Iran, als sich Ayatollah Khomeini erlaubte, die US-Militärmacht vorzuführen und die USA als den ‚großen Satan’ zu bezeichnen, ohne dass es den USA unter dem damaligen Präsidenten Carter, einem Demokraten, gelang, dieses Regime zu stürzen, spielte Saddam Hussein im Auftrag der USA und des westlichen Blocks den Gendarmen in der Region, indem er dem Iran den Krieg erklärte und diesen acht Jahre mit dem Ziel der Schwächung und Ausblutung des Irans fortsetzte. Der iranische Gegenangriff hätte übrigens zum Sieg gegen den Irak geführt, wenn der Irak nicht auf US-Militärhilfe hätte bauen können. 1987 hatte der westliche Block unter US-Führung eine gewaltige Flotte im Persischen Golf mobilisiert. Es beteiligten sich mehr als 250 Kriegsschiffe aus nahezu allen westlichen Ländern mit 350.000 Soldaten an Bord und mit den modernsten Kampfflugzeugen der Zeit ausgerüstet. Diese Armada, die seinerzeit als ‚humanitäre Eingreiftruppe’ bezeichnet wurde, hatte insbesondere eine Ölplattform und einige der leistungsfähigsten Kriegsschiffe der iranischen Marine zerstört. Dank dieser Unterstützung konnte Saddam Hussein ein Friedensabkommen unterzeichnen, bei dem die Grenzen an der gleichen Stelle belassen wurden wie bei Auslösung des Krieges.

    Saddam Hussein war mit CIA-Unterstützung an die Macht gekommen. Er ließ seine schiitischen und kurdischen Rivalen sowie andere Sunnitenführer innerhalb der Baath-Partei hinrichten, die zu Recht oder zu Unrecht beschuldigt wurden, gegen ihn Komplotte ausgeheckt zu haben. Jahrelang wurde ihm von den Staatsführern der Hof gemacht, die ihn gar als großen Staatsmann geehrt hatten (zum Beispiel wurde er in Frankreich als "großer Freund Frankreichs" betitelt – insbesondere von Chirac und Chevènement).

    Die Tatsache, dass er sich sein ganzes Leben lang durch blutige Erschießungen und Bestrafungen aller Art hervorhob (er ließ Leute hängen, köpfen, folterte seine Gegner, setzte Chemiewaffen ein und sperrte schiitische und kurdische Bevölkerungsgruppen ein) hat nie irgendeinen Politiker gestört, bis man schließlich vor dem Golfkrieg 1991 ‚entdeckte’, dass er ein ‚schrecklicher Tyrann’ war, woraufhin er damals zum ‚Schlächter von Bagdad’ erklärt wurde - ein Ruf, der zu der Zeit, als er Bluttaten im Interesse des westlichen Blocks beging, nie erklang. Man muss ebenso in Erinnerung rufen, dass Saddam Hussein in eine Falle gelaufen war, als er meinte, bei der Invasion Kuwaits im Sommer 1990 auf die Unterstützung Washingtons bauen zu können. Diese lieferte damals den USA den Vorwand für die schrecklichste kriegerische Operation seit dem 2. Weltkrieg. Damals, im Januar 1991, lösten die USA den ersten Golfkrieg aus. Saddam Hussein wurde als der Volksfeind Nr. 1 bezeichnet. Die von den USA angeführte und von ihnen als "Wüstensturm" getaufte Militäroperation, welche in der Propaganda als ein sauberer Krieg dargestellt wurde, kostete nach 106.000 Luftangriffen und dem Abwurf von mehr als 100.000 Tonnen Bomben sowie dem Einsatz der mörderischsten Waffen (Napalm-, Streu- und Druckbomben) binnen 42 Tagen nahezu 500.000 Irakern das Leben. Es ging den USA hauptsächlich darum, ihre überwältigende militärische Überlegenheit der Welt zur Schau zu stellen und ihre ehemaligen Verbündeten aus dem früheren westlichen Block, die mittlerweile zu ihren potenziell gefährlichsten Rivalen geworden waren, zu zwingen, ihren Krieg zu unterstützen. Für die USA ging es darum, die Tendenzen ihrer ehemaligen Verbündeten einzudämmen, sich nach der Auflösung des westlichen Blocks und der damit verbundenen Allianzen von der US-amerikanischen Vorherrschaft zu lösen.

    Mit dem gleichen Machiavellismus haben die USA und ihre ‚Verbündeten’ andere Umtriebe angezettelt. Nachdem sie zuvor die Kurden im Norden und die Schiiten im Süden zum Aufstand gegen das Regime Saddam Husseins ermuntert hatten, haben sie eine Zeitlang die Eliteeinheiten des Diktators intakt gelassen, um ihm so zynischerweise zu ermöglichen, diese Aufstände blutig niederzuschlagen, da die USA überhaupt nicht daran interessiert waren, die Einheit des Iraks in Frage zu stellen. Dabei wurde die kurdische Bevölkerung erneut schrecklichen Massakern ausgeliefert.

    Die gehorsamen europäischen Medien und der sehr pro-amerikanisch eingestellte französische Präsidentschaftskandidat Sarkozy mögen heute sehr heuchlerisch die ‚schlechte Wahl’, den ‚Fehltritt’ kritisieren, den die überstürzte Exekution Saddam Husseins darstelle. Genauso wenig wie die US-amerikanische Bourgeoisie sind die westeuropäischen Bourgeoisien daran interessiert, dass ihre Beteiligung an all den Verbrechen aufgedeckt wird - auch wenn dies nur durch die verzerrenden Prismen der "Prozesse" und "Urteile" geschähe. Es stimmt, dass die Umstände dieser Exekution zu einer Zuspitzung des Hasses unter den verschiedenen Gruppen führen. Das Todesurteil wurde vollstreckt, als die größte religiöse Feier des Islam, der Aid, stattfand. Jenem Teil der fanatisierten schiitischen Anhänger, die hasserfüllt den Sunniten gegenüberstanden (Saddam Hussein war Sunnit), mag dies gefallen haben. Aber die Sunniten konnten sich dadurch nur empören und die meisten Menschen islamischer Religion nur geschockt werden. Zudem wurde Saddam Hussein in der Generation, die nicht seine brutalen Methoden erlebt hat, als Märtyrer dargestellt.

    Aber all diese Bourgeoisien hatten keine andere Wahl, da sie bezüglich der schnellen Exekution die gleichen Interessen verteidigen wie die Bush-Administration – es ging ihnen um das Vertuschen oder die Tilgung ihrer eigenen Verantwortung und ihrer Mittäterschaft bei den Massakern aus dem Gedächtnis. Der Gipfel der Barbarei und der Doppelzüngigkeit, der heute im Mittleren Osten erreicht wird, zeigt nur in gebündelter Form den wirklichen Zustand der Welt. Sie verdeutlicht die totale Sackgasse des kapitalistischen Systems auf der ganzen Welt (1).

    Die Flucht in den Krieg im Mittleren und Nahen Osten

    Die jüngste Entwicklung des Konfliktes zwischen Israel und den verschiedenen palästinensischen Fraktionen sowie die Zuspitzung der Zusammenstöße zwischen verschiedenen Fraktionen innerhalb des palästinensischen Lagers haben den Gipfel der Absurdität erreicht. Es fällt auf, dass die verschiedenen beteiligten Fraktionen der Bourgeoisie aufgrund der Dynamik der Lage und der Stärke der Widersprüche dazu gebracht werden, Entscheidungen zu treffen, die absolut widersprüchlich und irrational sind und selbst ihren kurzfristigen strategischen Interessen widersprechen.

    Als Ehmoud Olmer dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas die Hand reichte und dabei den Palästinensern einige Zugeständnisse machte, insbesondere die Aufhebung einiger Straßensperren und die Zusage, die Blockade von 100 Millionen Dollar im Namen der ‘humanitären Hilfe’ abzubrechen, sprachen die Medien bereits von einem neuen Anschub des Friedensprozesses im Nahen Osten. Mahmoud Abbas versucht diesen Schritt gegenüber seinen Rivalen der Hamas, auszunutzen, indem er diese Scheinzugeständnisse als Beweis der Richtigkeit seiner Politik der Zusammenarbeit mit Israel darstellt, weil sie schließlich zum Erhalt von Zugeständnissen geführt hätten.

    Aber Ehoud Olmert selbst desavouierte teilweise diese wenigen Bereiche, die er mit dem Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde teilte, als er am tags darauf gezwungen war, unter dem Druck der erzkonservativen Teile seiner Regierung die Entscheidung zu treffen, erneut die Politik der Errichtung von israelischen Siedlerkolonien in den besetzten Gebieten zu praktizieren und die Zerstörung palästinensischer Wohnungen in Jerusalem zu beschleunigen.

    Die Abkommen zwischen Fatah und Israel bewirkte, dass Israel Ägypten die Erlaubnis zu Waffenlieferungen an die Fatah erteilte, um diese im Kampf gegen die Hamas zu begünstigen. Aber der letzte Gipfel zwischen Israel und Ägypten in Sharm-el-Sheik wurde durch die jüngste Militäroperation der

    Ein anderes Paradox : zum Zeitpunkt, als sich Olmert und Abbas trafen, beziehungsweise kurz vor dem israelisch-ägyptischen Gipfeltreffen gab Israel zu, eine Nuklearmacht zu sein, und drohte direkt mit dem Einsatz der Atombombe. Auch wenn diese Drohung im Wesentlichen gegen den Iran gerichtet war, weil dieser das gleiche Ziel verfolgt, richtete sich diese Warnung auch an alle anderen Nachbarn Israels. Wie kann man Verhandlungen mit solch einem gefährlichen und kriegstreiberischen Gesprächspartner führen?

    Zudem kann diese Erklärung den Iran nur dazu drängen, seinen eingeschlagenen Weg fortzusetzen und seine Ambitionen, zum Bollwerk und zum Gendarmen in der Region zu werden, zu legitimieren – genauso wie alle Großmächte eine ‘Abschreckungsarmee’ unterhalten. Aber es geht um viel mehr als um den hebräischen Staat. Man erhält den Eindruck, dass all die Beteiligten unfähig sind, die Maßnahmen durchzusetzen, die zur Verteidigung ihrer Interessen notwendig sind.

    Abbas seinerseits ist wiederum das Risiko eingegangen, ein Kräftemessen mit den Hamas-Milizen zu veranstalten. Dabei hat er die Lunte angezündet, als er seine Absicht verkündete, im Gazastreifen vorgezogene Neuwahlen durchzuführen, was wiederum aus der Sicht der Hamas, die „demokratisch" gewählt wurde, eine wahre Provokation war. Aber dieses Kräftemessen, das zu blutigen Zusammenstößen und Straßenkämpfen führte, war das einzige Mittel, um der palästinensischen Autonomiebehörde dazu zu verhelfen, die von Israel auferlegte Blockade zu überwinden und die seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Hamas zurückgehaltenen internationalen Hilfsgüter in Empfang zu nehmen. Diese Blockade erwies sich als eine Katastrophe für die palästinensische Bevölkerung, die die von der Polizei und der israelischen Armee abgesperrten Gebiete nicht mehr verlassen konnte. Diese Blockade hat auch den Streik von 170.000 Beschäftigten des palästinensischen „öffentlichen Dienstes" ausgelöst, da ihre Löhne im Gazastreifen und in Jordanland seit Monaten nicht mehr bezahlt wurden (insbesondere in so wichtigen Bereichen wie im Gesundheits- und Erziehungswesen). Die Wut der palästinensischen Beamten, die auch die Polizei und die Armee erfasst hat, wird sowohl von Hamas und Fatah ausgenutzt, um so neue Kräfte für ihre jeweiligen Milizen zu rekrutieren, indem man sich die Verantwortung für diese Lage gegenseitig in die Schuhe schiebt, wobei 10- bis 15jährige Jugendliche bei diesen Schießereien massenhaft als Kanonenfutter eingesetzt werden.

    Tsahal in Ramallah in Jordanland und durch die Wiederaufnahme der Luftangriffe im Gazastreifen als Vergeltung auf sporadische Raketenbeschüsse torpediert. So werden die Aufrufe zur Besänftigung oder die Absichtserklärungen zur Wiederaufnahme des Dialogs konterkariert; die israelischen Absichten erscheinen immer widersprüchlicher.

    Hamas ihrerseits strebt danach, die Lage zu ihrem Gunsten auszunutzen, indem sie versucht, direkt mit Israel einen Austausch von Gefangenen (zwischen dem im Juni 2006 entführten israelischen Soldaten und ihren eigenen Mitgliedern) auszuhandeln.

    Eine Verschärfung des blutigen Chaos, das aus dem brisanten Nebeneinander zwischen der gewählten Hamas-Regierung und dem Präsidenten der Autonomiebehörde seit einem Jahr entstanden ist, ist die einzig wirklich realistische Perspektive. In Anbetracht dieser Konstellation, die nur zur Schwächung der beteiligten Parteien führen kann, ist der Ende 2006 beschlossene Waffenstillstand zwischen den Milizen von Fatah und Hamas schlicht illusorisch. Er wird seitdem von mörderischen Zusammenstößen untergraben: Attentate mit Autobomben, Straßenkämpfe, ständige Entführungen führen zu Terrorisierung und Todesangst unter der Bevölkerung des Gazastreifens, die ohnehin schon in größter Armut lebt. Und um dem Ganzen eine Krone aufzusetzen, werden die israelischen Luftangriffe im Jordanland und die gezielten militärischen Interventionen der israelischen Polizei bei Kontrollen als weitere „Ausrutscher" (dérapages?) dargestellt: Kinder und Schüler verlieren bei diesen Abrechnungen zuhauf ihr Leben. Das vom Krieg schon ausgeblutete israelische Proletariat ist seinerseits zur Zielscheibe der Repressalien durch die Hamas und Hisbollah geworden.

    Gleichzeitig hat sich die Sicherheitslage im Südlibanon, wo UNO-Einheiten stationiert sind, nicht verbessert. Seit der Ermordung des Christenführers Pierre Gemayel im November 2006 herrscht überall Instabilität. Während die Hisbollah und die schiitischen Milizen (bzw. die christlichen Milizen des Generals Aoun, der sich vorübergehend mit Syrien zusammengeschlossen hat) sich einen Machtkampf lieferten, als sie mehrere Tage lang den Präsidentenpalast in Beirut belagerten, bedrohten gleichzeitig bewaffnete sunnitische Gruppen das libanesische Parlament und seinen schiitischen Präsidenten Nabil Berri. Die Spannungen unter den rivalisierenden Fraktionen haben einen Höhepunkt erreicht. Und niemand nimmt den Auftrag der UNO, die Entwaffnung der Hisbollah, ernst.

    In Afghanistan zeigt der Einsatz von 32.000 Soldaten der internationalen Truppen der Nato und von 8.500 US-amerikanischen Soldaten keine Wirkung. Die Kämpfe gegen Al-Qaida und die Taliban, die ca. 100 Angriffe im Süden des Landes durchgeführt haben, versanden immer mehr. Die Bilanz dieses Guerillakrieges: 4.000 Tote allein im Jahr 2006. Und Pakistan, das eigentlich ein Verbündeter der USA ist, dient weiterhin als Stützpunkt der Taliban und von Al-Qaida.

    Jeder Staat, jede Fraktion des Kapitals wird trotz aller Rückschläge in kriegerische Abenteuer getrieben.

    Diese Sackgasse wird am offensichtlichsten im Falle der größten Macht der Erde. Die Politik der US-Bourgeoisie ist diesen Widersprüchen am meisten ausgesetzt. Während der Bericht der Baker-Kommission, (Baker war u.a. ehemals Berater von Bush Sen.), welcher von der Bush-Administration in Auftrag gegeben worden war, ein Scheitern der Irak-Politik konstatierte und eine Neuorientierung der Politik vorschlug, wobei einerseits eine diplomatische Öffnung gegenüber Syrien und Iran sowie andererseits ein schrittweiser Rückzug der 144.000 US-Soldaten befürwortet wurde, die in einem Verschleißkrieg im Irak gebunden sind, geschieht das Gegenteil. Bush jun., der zu einer Teilerneuerung seiner Regierung gezwungen ist, insbesondere zur Ersetzung Rumsfelds durch Robert Gates als Verteidigungsminister, beließ es dabei, einige Köpfe rollen zu lassen, denen die Verantwortung für das Fiasko im Irak angelastet wurde (das jüngste Beispiel ist die Absetzung der beiden Stabschefs der Besatzungstruppen im Irak, die übrigens gegen den Einsatz von zusätzlichen Soldaten in Bagdad gestimmt haben, da sie von der Wirksamkeit solch eines Schrittes nicht überzeugt sind). Aber vor allem entschloss sich Bush zu einer Verstärkung der US-Truppenpräsenz im Irak. 21.500 zusätzliche Soldaten sollten in der nächsten Zeit in den Irak geschickt werden, um Bagdad „sicherer" zu machen, wobei man bereits jetzt auf Reservisten zurückgreifen muss. Der Wechsel der Mehrheitsverhältnisse im Kongress und im amerikanischen Senat, der nunmehr von den Demokraten beherrscht wird, ändert nichts daran: Jeder Rückzug oder jede Weigerung, neue Gelder für das Militär und den Krieg im Irak bereitzustellen, wird als Eingeständnis der Schwäche der USA, der amerikanischen Nation angesehen, für die das „demokratische Lager" keine Verantwortung übernehmen will. Die ganze US-Bourgeoisie steckt wie jede andere bürgerliche Clique oder jeder andere Staat in der Sackgasse des Krieges, wo jede Entscheidung und jede Bewegung sie noch mehr in die Flucht nach vorne treibt, um ihre imperialistischen Interessen gegenüber ihren Rivalen zu verteidigen.

    Der afrikanische Kontinent: eine weitere schreckliche Verdeutlichung der kapitalistischen Barbarei

    Seit Jahren werden jeden Tag furchtbare Kriegsverbrechen auf dem afrikanischen Kontinent begangen. Nach Jahrzehnten der Massaker in Zaire und Ruanda, nach den Zusammenstößen zwischen Clans an der Elfenbeinküste, die von den Rivalitäten zwischen den Großmächten angefacht wurden, sind jetzt in andern Regionen weitere Brandherde entstanden.

    Im Sudan ist die „Rebellion" gegen die pro-islamische Khartoum-Regierung in eine Reihe von sich gegenseitig bekämpfenden Fraktionen zersplittert; diese werden wiederum von anderen Mächten in sehr zerbrechlichen Allianzen instrumentalisiert. Innerhalb von drei Jahren sind in Darfour im Westen Sudans mehr als 400.000 Menschen umgekommen, mehr als 1.5 Millionen Menschen in die Flucht getrieben, Hunderte von Dörfer gänzlich zerstört worden. Es sind gewaltige Flüchtlingslager entstanden, in denen die Menschen aufgrund von Hunger und Epidemien inmitten der Wüste sterben. Zudem leiden die Menschen unter den schlimmsten Gewalttaten durch verschiedene bewaffnete Banden, wie zum Beispiel die sudanesischen Regierungskräfte. Die Bewegungen der Rebellen haben zur Ausdehnung des Konfliktes in andere Gebiete als den Darfour geführt; insbesondere hat sich der Konflikt auf die Zentralafrikanische Republik und den Tschad ausgedehnt. Dadurch ist Frankreich immer stärker in der Region militärisch involviert, um die letzten Überreste seiner afrikanischen „Jagdgründe" zu verteidigen. Insbesondere beteiligt sich Frankreich von Tschad aus aktiv an den Kämpfen gegen die sudanesische Regierung.

    Seit dem Sturz des ehemaligen Diktators, Präsident Siyad Barré, 1990, der gestürzt wurde, als auch die Sowjetunion auseinander fiel, ist Somalia im Chaos versunken. Ein ständiger Krieg zwischen den unzähligen Clans, die gleich Mafiabanden, plündernden, bewaffneten Banden und Auftragsmördern für denjenigen handeln, der am meisten bietet, hat das Land zerrüttet. Es herrscht Terror, die Armut breitet sich immer mehr aus. Die westlichen Staaten, die zwischen 1992 und 1995 im Land aktiv waren, mussten in Anbetracht des Chaos und des Zerfalls des Landes den Rückzug antreten. Die spektakuläre Landung der US-Marinesoldaten endete 1994 in einem jämmerlichen Fiasko; seitdem herrscht völlige Anarchie. Seit 1991 haben mehr als 500.000 Menschen in den Auseinandersetzungen in Somalia ihr Leben gelassen.

    Die Union der islamischen Gerichte, die eine Bande ohnegleichen war und unter dem Deckmantel der Sharia und eines „radikalen" Islam agierte, hatte schließlich im Mai 2006 die Hauptstadt Mogadischu mit Hilfe einiger Tausend bewaffneter Kämpfer unter ihre Kontrolle bringen können. Die nach Baidoa geflüchtete Übergangsregierung rief schließlich den mächtigen Nachbarn Äthiopien zu Hilfe (3). Die äthiopische Armee hat mit US-Unterstützung die Hauptstadt bombardiert und innerhalb weniger Stunden die islamistischen Truppen verjagt, von denen die meisten in den Süden geflüchtet sind. Mogadischu

    Die USA, Frankreich und alle anderen großen Mächte können nirgendwo eine stabilisierende Rolle spielen. Gleichgültig, welche Regierung an der Macht ist, sie können die kriegerische Barbarei in Afrika und anderswo nicht bremsen. Im Gegenteil, ihre imperialistischen Interessen tragen immer stärker dazu bei, diese Gewalttaten noch mehr auszubreiten.

    Der Kapitalismus kann die Menschheit nur noch tiefer in diese Barbarei und das Chaos stürzen, die jetzt schon in der Geschichte nie dagewesene Ausmaße erreicht haben. Das ist unsere Zukunft im Kapitalismus. Für den imperialistischen Krieg wird heute der gesamte Reichtum der Gesellschaft, der Wissenschaft, der Technologie und der menschlichen Arbeit mobilisiert. All das geschieht nicht zum Wohl der Menschen, sondern um ihren Reichtum zu zerstören. Es bleiben nur Ruinen und Leichen übrig. Der imperialistische Krieg zerstört und bedroht das Erbe der Menschheit, das in der Geschichte geschaffen wurde. Langfristig besteht die Gefahr, dass die ganze Menschheit ausgelöscht wird. Dies ist ein Ausdruck des totalen Wahnsinns dieses Systems.

    Mehr als je zuvor besteht die einzige Hoffnung in der Überwindung des Kapitalismus, in dem Aufbau von menschlichen Beziehungen, die frei sind von den Widersprüchen, welche diese Gesellschaft erdrosseln. Dieses Werk muss jene Klasse vollbringen, die als einzige der Menschheit eine Zukunft bieten kann – die Arbeiterklasse.

    Wim (10. Januar 2007).

     

        (1) Übrigens behält ein anderer Tyrann der Region, der Syrer Hafez-el-Assad, der ewige Rivale Saddams, seinen Ruf als ein „großer Staatsmann", der für seine Unterstützung des Westens zur Zeit der beiden Blöcke belohnt wurde, obwohl auch an seinen Händen viel Blut klebt und er die gleichen Mittel benutzte wie Saddam Hussein.

        (2) Einige Schreiberlinge der Bourgeoisie sind sogar dazu fähig, den Ekel, der durch diese unglaubliche Barbarei auf der Welt hervorgerufen wird, aufzugreifen. Aber sie führen diese Barbarei immer auf „individuelle Impulse" und letztendlich auf das „menschliche Wesen" zurück. Aber sie können nicht anerkennen und begreifen, dass diese Barbarei im Gegenteil ein historisches Produkt ist; ein Produkt des kapitalistischen Systems und dass es eine gesellschaftliche Klasse gibt, die diese Barbarei beenden kann – das Proletariat.

        (3) Äthiopien, das vormals auch eine Bastion der UdSSR war, ist seit der Flucht Mengistus 1991, zu einem Stützpfeiler der USA am Horn von Afrika geworden.

    ist nur noch eine Ruinenstadt, deren Bevölkerung dahinvegetiert. Eine neue Übergangsregierung, die von Äthiopien unterstützt wird, hat ihre Geschäfte aufgenommen, aber sie verfügt über keinerlei politische Autorität. So ist beispielsweise ihr Aufruf an die Bevölkerung zur Ablieferung der Waffen nicht befolgt worden. Nach dem schnellen Sieg Äthiopiens konnte der Waffenstillstand nur vorübergehend und zerbrechlich sein, denn die islamistischen „Rebellen" sind dabei, sich neu zu bewaffnen, insbesondere im Gebiet der sehr durchlässigen Grenze zu Kenia. Aber die Rebellen können auf andere Stützpunkte zurückgreifen (Sudan, Eritrea – traditioneller Gegner Äthiopiens, Jemen). Die USA sind besorgt, da das Horn von Afrika und die Militärbasis in Dschibuti angesichts der Brückenfunktion, die Somalia gegenüber Asien und dem Mittleren Osten darstellt, eine der wichtigsten strategischen Regionen der Welt ist. Deshalb sahen sich die USA gezwungen, am 8. Januar direkt mittels Bombardierungen im Süden des Landes einzugreifen, wohin die „Rebellen" geflüchtet waren, von denen das Weiße Haus behauptet, sie seien direkt von Al-Qaida manipuliert und gesteuert.

    Zuspitzung der Krise - Der Kampf des Proletariats ist international

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    Drei Jahre lang, von 2004 bis 2006, beherrschte der Kampf gegen Werkschließungen, massiven Personalabbau und die damit einhergehenden Erpressungen gegen die Belegschaften die soziale Lage in Deutschland. Den Anfang machte Daimler-Chrysler im Frühsommer 2004. Als die Konzernleitung drohte, einen Teil der Produktion von Stuttgart nach Bremen zu verlagern, wenn die Beschäftigten in Baden-Württemberg nicht empfindliche Einbußen hinnehmen, gingen aus Solidarität auch die Kollegen in Bremen auf die Straße. Im Herbst 2004 folgte die außergewerkschaftliche, einwöchige Betriebsbesetzung bei Opel in Bochum, um gegen den Personalabbau zu protestieren. Es folgten ähnliche Aktionen in den unterschiedlichsten Branchen. Am spektakulärsten war die wochenlange Betriebsbesetzung der AEG in Nürnberg 2006, wo es, wie auch bei Infineon in München, nicht mehr um die Abwendung der Werksschließung, sondern „lediglich" um die Durchsetzung eines „Sozialplans" ging. In den wenigsten Fällen gelang es den kämpfenden Arbeitern, ihre Forderungen durchzusetzen. Die Beschäftigten von Bosch-Siemens-Haushaltswaren in Berlin wurden durch einen langandauernden, isolierten Streik ausgepowert. Zuletzt mussten auch die Betroffenen bei der Handyproduktion von BenQ (ehemals Siemens) angesichts der Pleite des Konzerns die Waffen strecken. Allerdings haben bis zuletzt die bedrohten Belegschaften versucht, den Beispielen von Daimler und Opel folgend die Solidarität der Arbeiter als einzig mögliche Antwort auf die Angriffe des Kapitals zu entwickeln. So haben beispielsweise die zur gleichen Zeit von Standortschließungen Bedrohten bei der Allianz-Versicherung und bei BenQ in Nordrhein-Westfalen Ende 2006 gemeinsam in Düsseldorf demonstriert.

     

    Der Aufschwung auf Kosten der Arbeiterklasse

    Während dieser ganzen Zeit war die Kapitalistenklasse emsig darum bemüht, das Problem der Massenentlassungen als ein spezifisch deutsches Phänomen darzustellen. Während die „deregulierten" Wirtschaften Asiens, Osteuropas oder die Wirtschaft der angelsächsischen Länder expandieren und immer neue Jobs schaffen – so hieß es –, seien die Lohnkosten in Deutschland zu hoch, der Arbeitsmarkt zu unflexibel, die „bürokratischen Investitionshemmnisse" noch zu umfangreich usw. Tatsächlich lag während dieser Zeit die offizielle Arbeitslosigkeit in Deutschland deutlich oberhalb des Durchschnitts der führenden Industriestaaten. Jetzt aber sind die Anhänger des Kapitalismus darauf aus, uns davon zu überzeugen, dass eine Wende zum Besseren auch in Deutschland eingetreten sei. Man weist nicht ohne Stolz darauf hin, dass die amtlich gezählte Arbeitslosigkeit von fünf auf vier Millionen abgesenkt werden konnte, dass die staatliche „Agentur für Arbeit" soeben einen Milliardenüberschluss erzielte und dass daraufhin die Beiträge der Arbeitslosenversicherung zum ersten Mal seit vielen Jahren leicht abgesenkt werden konnten. Dabei geht es den Herrschenden in erster Linie darum, dass die Massenentlassungen, die wir über uns ergehen lassen mussten, sowie die mittels der Massenarbeitslosigkeit von uns erpressten Einschnitte und Verschlechterungen nicht umsonst waren. Wir sollen nun glauben, dass diese „Opfer" etwas gebracht haben, dass die Interessen der Lohnarbeit und des Kapitals auch und gerade in der Krise übereinstimmen können, dass der Kapitalismus auch für die Lohnsklaven ein lohnendes Geschäft sein kann. Der bürgerliche Ausblick auf das Jahr 2007 sagt einen weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit voraus. Die „Hochkonjunktur" sei „stabil" und werde sich fortsetzen. Vor allem habe die „Zuversicht" der Konsumenten zugenommen, so dass eine sich selbst tragende Binnenkonjunktur in Aussicht stehe. Der Albtraum der Massenentlassungen – gehört er nunmehr „auch in Deutschland" der Vergangenheit an? Werden sich die Wellen der sozialen Unruhe glätten?

    Die Vertiefung der sozialen Gegensätze

    Indessen haben im Saarland die Metaller das neue Jahr mit ersten Kampfmaßnahmen eingeläutet. In Saarlouis demonstrierten Tausende gegen die neue Rentenreform der Bundesregierung. Weitere Proteste in anderen Bundesländern sollen folgen. Vor allem aber werfen die bevorstehenden Tarifverhandlungen schon jetzt ihren langen Schatten voraus. Bereits Ende 2006 fand eine aufgeregte „öffentliche Diskussion" über diese Frage statt. Prominente Vertreter der Bundesregierung sprachen sich dafür aus, die „Arbeitnehmer" – zumindest dort, wo es den Betrieben gut gehe – „endlich" an den Früchten der „Hochkonjunktur" zu beteiligen. Nicht nur die SPD wiederholte die in Zeiten des Wirtschaftswachstums üblichen keynesianischen Sprüche über Lohnerhöhungen zur Steigerung des Massenkonsums als unverzichtbare Stützen der kapitalistischen Konjunktur, auch prominente Vertreter der CDU stimmte mit ein. Der Ministerpräsident der konservativen Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, Rüttgers, der der Union ein sozialeres Image verpassen will, sprach sogar von einer „Lebenslüge" der zu hohen Löhne in Deutschland. Damit wollen die Politiker die Unternehmer bei der bevorstehenden Lohnrunde zu einer umsichtigen, auf Provokationen verzichtende Vorgehensweise bewegen. Denn die direkten Vertreter des Staates wissen sehr wohl, dass die Arbeiterklasse – aller Niederlagen der letzten drei Jahren zum Trotz – keineswegs niedergeschlagen ist. Im Gegenteil: gerade weil es angesichts von Werksschließungen und massivem Personalabbau für die Arbeiter unmittelbar sehr schwierig ist, sich wirkungsvoll zur Wehr zu setzen, fürchtet die Bourgeoisie, dass die in den letzten Jahren aufgestaute Unzufriedenheit in einem anderen Rahmen wie etwa bei Tarifverhandlungen oder bei der Frage der Rente sich entladen könnte. Bereits im Herbst 2006, als eine erste Mobilisierung gegenüber dem Sozialabbau sich nicht mehr hinausschieben ließ, haben die Gewerkschaften dafür Sorge getragen, dass in den Betrieben nicht mobilisiert wurde, so dass die Arbeitslosen möglichst allein demonstrierten. Die Herrschenden wollen unbedingt größere Arbeiterkämpfe verhindern. Denn solche Kämpfe könnten nicht nur aufgrund der Entfaltung einer stärkeren Kampfbereitschaft Schwierigkeiten bereiten. Sie würden v.a. das derzeit zersplitterte, aber unter der Oberfläche vonstatten gehende Nachdenken über die Entwicklung des Kapitalismus und der Lage ihrer Lohnsklaven einen größeren und deutlicheren Rahmen liefern. Sie würden helfen klarzumachen, dass die Betroffenen dieser Krise nicht nur Einzelschicksale sind, sondern zu einer gemeinsamen, ausgebeuteten Klasse gehören.

     

    Der Kampf der Arbeiter ist international

    Während in Deutschland der Konjunkturhimmel sich angeblich aufhellt und die offizielle Arbeitslosenzahl zurückläufig ist, wird in der Öffentlichkeit sorgfältig vermieden, von den Aussichten der führenden Wirtschaftsmacht der Welt, der USA, zu sprechen, welche den Herrschenden immer mehr Kopfzerbrechen bereitet. Es ist auch kein Zufall, dass die bisherigen Sorgenkinder der Weltwirtschaft wie Deutschland, Japan oder die Schweiz sich im Vergleich zu ihren Hauptrivalen ein wenig gebessert haben, während beispielsweise im angelsächsischen Raum die Aussichten immer mehr eintrüben. Denn die Bourgeoisie der erstgenannten Länder hat in den letzten Jahren die dort besonders starke Zunahme der Erwerbslosigkeit ausgenutzt, um die Lage der Arbeiterklasse besonders brutal zu verschlechtern. Es spricht Bände, wenn eine Firma wie Volkswagen sich vornimmt, die Produktion bestimmter Modelle von Belgien – ein Staat, der im westeuropäischen Vergleich eher als Niedriglohnland galt – nach Deutschland zu verlagern. Diese Entwicklung zeichnete sich allerdings schon vorher ab, als DHL (ein aus der ehemaligen Deutschen Post hervorgegangenes, weltweit operierendes Logistikunternehmen) die Drehscheibe seines europäischen Frachtluftverkehrs von Brüssel nach Leipzig-Halle verlegte. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland sowie das Wirtschaftswachstum von knapp 2 % zeigen keineswegs eine Erholung der Weltwirtschaft an. Vielmehr wurden diese – in Wahrheit äußerst bescheidenen, durch statistische Manipulationen aufgebauschten – Erfolge direkt auf Kosten der Konkurrenten erzielt. Hinzu kommt, dass Deutschland, Japan und die Schweiz im Maschinenbau weltführend sind. Sie haben somit überdurchschnittlich von den Bestellungen aus China profitiert. Aber auch die Konjunktur in China ist in erster Linie Ausdruck der immer schärfer werdenden Konkurrenz eines unter chronischer Überproduktion stöhnenden kapitalistischen Weltmarkts. Inzwischen hat wohl jeder kapiert, dass China nur deshalb die deutsche Transrapid-Magnetschwebebahn oder, wie zuletzt, vierhundert Airbus-Passagierflugzeuge aus Europa bestellt hat (die in China gebaut werden sollen), um diese Produkte zu kopieren und billiger zu vermarkten.

     

    Die Grundlagen für einen umfassenden Widerstand der Arbeiter wachsen heran

    In den 1980er Jahren galten Deutschland und Japan als die kapitalistischen Wachstumsmodelle. Da diese beiden Länder aufgrund ihrer hohen Produktivität zugleich zu den Staaten mit den höchsten Löhnen gehörten, konnten sie noch dazu dienen, der Weltarbeiterklasse vorzugaukeln, dass ein erfolgreicher Kapitalismus auch „Erfolge" für ihre Lohnsklaven aufweisen könne. Heute sind die kapitalistischen Wachstumsmodelle - China und Indien. Somit realisieren die Arbeiter aller Länder immer mehr, dass selbst eine Produktion auf höchstem Niveau der Produktivität in den zentralen Ländern des Kapitalismus heute überall absolute Verarmung der Arbeiterklasse bedeutet. Die vorübergehend erzielten Vorteile der einen Nation oder des einen Unternehmens gegenüber seinen Konkurrenten sind nichts als Momente einer wahnwitzigen Abwärtsspirale, eines sinnlosen Unterbietungswettlaufs auf Kosten des Weltproletariats. Der Eindruck, dass die Arbeiterklasse in Deutschland in den letzten drei Jahren sich allein mit dem Problem der Massenentlassungen herumschlagen musste, während andernorts die Beschäftigten die Segnungen eines angeblichen Booms an Arbeitsplätzen genossen, ist nichts als ein Zerrbild. Der einzige Abwehrkampf der letzten drei Jahre in Europa, welcher zu einer wirklichen Massenbewegung anschwoll und das bürgerliche Regime zumindest vorübergehend zum Nachgeben zwingen konnte – der der Studenten und Schüler in Frankreich 2006 – richtete sich direkt gegen die zunehmende Unsicherheit der Beschäftigung. Auch die Ende 2006 angedrohte Werksschließung bei VW in Brüssel hat uns zuletzt an den internationalen Charakter der Massenarbeitslosigkeit erinnert. In China werden heute die Armeen der Erwerbslosen wie die der Wanderarbeiter stets größer.

    Auch die Mär, dass die Arbeiterklasse in Deutschland das Problem der Massenentlassungen nun hinter sich gebracht habe, wird durch die bittere Realität Lügen gestraft. Dies bewies die bereits im Januar 2007 angekündigte Beschleunigung der Zechenschließungen im Kohlebergbau Nordrhein-Westfalens.

    Zweifelsohne hemmt das Damoklesschwert der Massenarbeitslosigkeit zumeist noch die Abwehrreaktion der Arbeiterklasse. Auch wenn die dennoch erfolgten Reaktionen der Arbeiter auf Entlassungen und gar Betriebsschließungen zumeist isoliert blieben und fast nie konkrete Erfolge erzielen konnten, haben sie dennoch ein vertieftes Nachdenken über das Wesen des Kapitalismus ansatzweise angestoßen, welches jetzt schon den Ausbeutern Sorgen macht. Hinzu kommt, dass die Krise des Kapitalismus heute einen Frontalangriff gegenüber der Gesamtheit der Lebens- und Arbeitsbedingungen des Proletariats bedeutet: die Löhne, die Renten, die Erwerbslosenunterstützung, die Gesundheitsversorgung usw. Somit werden langsam, aber sicher die Grundlagen gelegt für einen umfassenden, internationalen Widerstand der Arbeiterklasse. 26.01.07

     

    Weltrevolution Nr. 141

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    Airbus, Telekom, Bayer -Die Notwendigkeit der internationalen Solidarität

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    Am Mittwoch, den 28. Februar, kündigte der Airbus-Konzern den Abbau von 10.000 Arbeitsplätzen binnen vier Jahren in Europa an, davon 4.300 Stellen in Frankreich, 3.700 in Deutschland, 1.600 in Großbritannien und 400 in Spanien. Betroffen davon werden je zur Hälfte Zeitarbeiter und Festangestellte. Die Werke St. Nazaire in Frankreich und Varel und Laupheim in Deutschland sollen verkauft, Nordenham als "Joint Venture" geführt werden. In mehreren französischen Werken reagierte man auf das "Power 8" getaufte "Sparprogramm" mit Arbeitsniederlegungen. In Varel, Laupheim und Nordenham fanden ebenfalls sofort Proteststreiks statt, welche meistenteils bis zum darauf folgenden Montag andauerten. Obwohl die Konzernleitung sichtlich bemüht war, den Eindruck zu erwecken, dass die Zukunft der wichtigsten, sich in städtischen Ballungsräumen befindlichen deutschen Standorte - Hamburg und Bremen -gesichert sei, fanden auch dort erste Arbeitsniederlegungen statt. Dies geschah teilweise als Reaktion auf den auch dort vorgesehenen Stellenabbau (1.000 Jobs in Hamburg, 900 in Bremen stehen zur Disposition) und teilweise aus Solidarität mit den noch härter betroffenen Belegschaften. Überall war von den betroffenen Arbeiterinnen und Arbeiter zu hören, dass die Beschäftigten der verschiedenen Standorte im In- und Ausland unbedingt zusammenstehen und verhindern müssen, dass die Belegschaften gegeneinander ausgespielt werden.

    Am selben Tag legten 12.000 Telekom-Beschäftigte ebenfalls die Arbeit nieder und zogen protestierend vor die Konzernzentrale in Bonn. Sie reagierten damit auf die Ankündigung des Managements, 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Konzern auszugliedern, was zunächst bedeutet: für deutlich weniger Geld vier Stunden die Woche mehr arbeiten zu müssen.  Inzwischen will die ‚Wirtschaftswoche' erfahren haben, dass nicht 50.000 sondern 85.000 Opfer dieses "Outsourcing" werden sollen.

    Genau zwei Tage später, am 2. März, demonstrierten aufgebrachte Arbeiterinnen und Arbeiter vor der Schering-Zentrale in Berlin. Ihr Protest galt dem soeben angekündigten Abbau von 6.100 Stellen weltweit. Betroffen sind Standorte in den USA, Japan, Kanada, Südamerika, dem asiatisch-pazifischen Raum sowie in Deutschland vornehmlich der Sitz der Bayer Schering Pharma AG mit 1.200 Stellen.

    Mit diesen Aktionen bewiesen die Betroffenen wieder einmal die urwüchsige Klugheit der kollektiv in Bewegung geratenen Arbeiterklasse. Indem sie die falschen Alternativen - passives Hinnehmen oder  kopflose und isolierte Streiks bis zum bitteren Ende - vermieden, setzten die Betroffenen ein erstes, aber deutliches Signal, mit den Plänen des Kapitals nicht einverstanden zu sein und sie nicht hinnehmen zu wollen. Dabei rückte die Frage der Solidarität unvermeidlich in den Mittelpunkt des Arbeiterkampfes. Mit ihrer Betonung des Zusammenhalts aller Airbus-Beschäftigten in Europa, mit den Solidaritätsaktionen in Hamburg und Bremen knüpfen die Betroffenen an die besten Traditionen der Arbeiterbewegung wieder an, wie das beispielsweise vor drei Jahren bei Mercedes geschah, als das Werk Bremen aus Solidarität mit den angegriffenen Kolleginnen und Kollegen in Stuttgart mitstreikte.

    Der Verlust der Illusionen

    So die ersten Reaktionen der Arbeiter. Und wie reagiert die Politik, die Regierungen dieser Welt auf diese neue Welle der Massenentlassungen und der "Präkarisierung"? Sie reagieren mit Sympathiebekundungen gegenüber den Betroffenen sowie mit Zusicherungen, helfen zu wollen. Warum plötzlich diese "Sympathie" der Regierenden, die sich sonst gnadenlos zeigen, wenn es darum geht, die Lasten der kapitalistischen Wirtschaftskrise auf die Schultern der Arbeiterklasse abzuwälzen? Von Sympathie war jedenfalls wenig zu spüren, als es darum ging, Hartz IV, die Rente mit 67, die "Lockerung" des Kündigungsschutzes oder einen erbarmungslosen Lohnabbau durchzusetzen. Die Herrschenden kennen keine Sympathie für die Klasse, von deren Ausbeutung sie leben. Sie sind aber jetzt aufgeschreckt, da die neuen Massenentlassungen im Herzen der modernen Industrie sowie die Reaktionen der Betroffenen die kommenden sozialen Explosionen ankündigen. Eigentlich wollte die Große Koalition am 28. Februar triumphal die Senkung der offiziellen Arbeitslosenzahlen um 826.000 gegenüber dem Vorjahr ankündigen und feiern lassen. Die Hiobsbotschaften  von Airbus, Telekom und dann Bayer, aber auch die von China ausgehende Panik an den Weltbörsen haben Union und SPD einen Strich durch die Rechnung gemacht. Von der immer krasser werdenden Retuschierung der Erwerbslosenstatistiken abgesehen, fragen sich immer mehr Menschen zu Recht, was das für neue Jobs sein sollen, die entstehen, während (mit einer Ausnahme) sämtliche in Deutschland börsennotierte Unternehmen im vergangenen Jahr kräftig Arbeitsplätze abgebaut haben (Mercedes z.B. in aller Stille 15.000)? Es handelt sich offensichtlich um Arbeit zu Hungerlöhnen, das, was man "working poor" nennt.


    Die Herrschenden sind also alarmiert und wollen kein Öl ins Feuer gießen. Sie sind nicht weniger besorgt als der Betriebsratsvorsitzende von Opel in Bochum, der die aufkommenden Spekulationen darüber, dass General Motors erneut in Erwägung zieht, ein Werk in Europa - entweder Bochum oder Antwerpen - zu schließen, Anfang März so kommentierte: "Wer dies tut, riskiert es, einen Krieg auszulösen". Dabei meinte er einen Klassenkrieg. Dieser Krieg wird zwar nicht so schnell kommen. Aber die ersten Vorgeplänkel dazu finden jetzt schon statt.

    Sie gehen einher mit dem Verlust der Illusionen der Lohnabhängigen über die Möglichkeit, Verbesserungen innerhalb dieses Systems zu erzielen, statt dessen merken sie, dass sie ihren jetzigen Lebensstandard im Kapitalismus nicht mehr halten können. Dies um so mehr, da derzeit sogar solche Firmen ihre Belegschaften massiv angreifen, die noch satte Profite erzielen (wie die Telekom) oder volle Auftragsbücher zu verzeichnen haben (wie bei Airbus). So wird das alte Märchen zunehmend der Lächerlichkeit preisgegeben, demzufolge es sich lohne, sich als Arbeiter für die Interessen des Kapitals zu opfern, da es den Arbeitern gut gehe, wenn es "ihren" Firmen gut geht. Stattdessen wird der Interessengegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital immer unübersehbarer.

    Auffallend an den Äußerungen der Demonstrierenden bei Airbus oder Telekom war die Beschäftigung mit der Zukunft, mit der (mangelnden) Perspektive der kommenden Generation und somit mit der Frage, in welcher Welt unsere Kinder leben werden. Es handelt sich um erste Ansätze, die Frage einer Alternative zum Kapitalismus wieder aufzuwerfen.

    Was die Entlassungen derzeit v.a. bei Airbus außerdem verdeutlichen, ist, dass die Arbeiter aller Länder vor denselben Problemen stehen. Seit Jahren will uns die bürgerliche Propaganda weismachen, dass es der arbeitenden Bevölkerung verschiedener europäischer Nachbarstaaten besser gehe als "hierzulande" da dort die Wirtschaft - sprich: der Kapitalismus - besser funktioniere. Auch hier macht die Realität dieser Propaganda den Ausbeutern einen Strich durch die Rechnung. Brisant bei Airbus ist nicht zuletzt die sich abzeichnende Erkenntnis, dass die Arbeiterklasse in Frankreich und Deutschland gleichzeitig frontal angegriffen wird. Brisant nicht nur, weil der moderne Kapitalismus in den letzten 150 Jahren die Arbeiter Frankreichs und Deutschlands in drei mörderischen Kriegen gegeneinander gehetzt hat, sondern auch, weil die Arbeiterbewegung dieser beiden Länder in der Geschichte immer wieder imstande war, voneinander zu lernen und durch ihre Kämpfe den Arbeitern aller Länder ein Signal zu geben. Aber auch die jüngste Ankündigung Daimler-Chryslers, Tausende von Stellen v.a. in den USA abzubauen, hilft zu verdeutlichen, dass es weltweit eine Arbeiterklasse gibt, der ein einziger Gegner gegenübersteht.

    Die Gewerkschaften: Speerspitzen der kapitalistischen Konkurrenz

    Und wie reagieren die Gewerkschaften? Sie haben angekündigt, um jeden Arbeitsplatz und um jeden Standort kämpfen zu wollen. Diesen "Kampf um jeden Arbeitsplatz" kann man natürlich nur als Floskel auffassen, wenn man bedenkt, welch millionenfache Arbeitsplatzvernichtung gerade die Gewerkschaften in der Vergangenheit mit unterschrieben und auch durchgesetzt haben. Dabei haben sie oft genug vorauseilend ihre eigenen "Sparpläne" vorgelegt, welche nicht selten über die der Unternehmen hinausgingen und noch raffinierter die Betroffenen untereinander spalteten.

    Sie taten und tun dies nicht in erster Linie aus Bösartigkeit oder weil sie korrumpiert sind, sondern weil sie als bekennende Verteidiger des Kapitalismus die Konkurrenz bejahen. Die Konkurrenz aber ist das Grundprinzip des Kapitalismus, während die Solidarität das Grundprinzip des Arbeiterkampfes bildet. Diese beiden Dinge lassen sich niemals vereinbaren. Dies macht derzeit z.B. die Haltung der französischen Gewerkschaften gegenüber der Lage bei Airbus deutlich. Sie quittierten die Nachricht von den "Power 8"-Plänen des Konzerns mit einem Aufschrei gegen "den Ausverkauf der französischen Industrie". Seitdem hetzen sie gegen "die Deutschen", die angeblich bei Airbus "die Franzosen" über den Tisch gezogen haben.

    Was ist aber mit der IG Metall in Deutschland? Redet sie nicht der "internationalen Solidarität" das Wort? War es nicht die IGM, welche als erste zu einem europaweiten Aktionstag bei Airbus (Mitte März) aufgerufen hat? Diese wohlfeilen Phrasen der internationalen Solidarität stehen den deutschen Gewerkschaften schlecht zu Gesicht. Auch sie kennen sich bestens aus, wenn es darum geht, sich der nationalistischen Hetze zu bedienen. Jedoch bietet die augenblickliche Lage in Deutschland, mit der Gleichzeitigkeit der Angriffe in verschiedenen Branchen, wenig Gelegenheit dazu. Oder sollen die Franzosen auch noch für die Misere bei der Telekom oder bei Bayer herhalten? So übernimmt die IGM in einer Art naturwüchsiger Arbeitsteilung den Part des "internationalistischen" Verteidigers des europäischen Airbuskonzerns insgesamt gegenüber der Konkurrenz von Boeing aus Amerika. Das verspricht eine "gehobenere", transatlantische Art, die Arbeiter verschiedener Länder gegeneinander aufzuhetzen. Dabei verteidigt diese Gewerkschaft damit durchaus die ureigenen Interessen des deutschen Kapitals. Denn Deutschland allein ist nicht imstande, gegenüber der amerikanischen Konkurrenz eine eigene Flugzeugindustrie zu unterhalten. Die Interessen des deutschen Kapitals verlangen somit eine Mäßigung der inner-europäischen Konkurrenz innerhalb des Airbuskonzerns, um Boeing die Stirn bieten zu können. Das titulieren sie dann "Solidarität aller europäischen Standorte". Die Gewerkschaften sind immer dabei, wenn es darum geht, den jeweiligen Betrieb, Konzern oder die Nation gegen andere zu verteidigen. Einen besonderen Eifer entfalten sie allerdings darin, wenn es um die Verteidigung der strategischen Interessen des eigenen Nationalstaats geht. Bei Airbus beispielsweise geht es auch und gerade um militärische Fragen, um den neuen, riesigen europäischen Militärtransporter, um die Satellitentechnologie des EADS-Konzerns usw. Da ist die IG Metall sehr engagiert. Nicht weniger engagiert zeigt sich die Gewerkschaft Verdi gegenüber der Deutschen Telekom. Jahrelang hat Verdi die Monopolstellung bzw. die Restprivilegien des einstigen Staatskonzerns erbittert verteidigt - angeblich im Interesse der Beschäftigten. Dabei sprechen die jetzt vom neuen Konzernchef Obermann vorgelegten Zahlen eine deutliche Sprache: Verluste im Inland, Gewinne im Ausland. Was bedeutet das? Jahrelang durfte die Telekom über überhöhte Inlandspreise spektakuläre Einkäufe im Ausland finanzieren, um zum "global player" aufzusteigen. Von wegen im Interesse der Beschäftigten, deren Arbeitsplätze immer wieder zehntausendfach abgebaut wurden! Es ging stattdessen um die Positionierung des deutschen Kapitals im strategisch wichtigen Telekommunikationsbereich, welcher für die kapitalistische Wirtschaft ebenso zentral ist wie fürs Militär. Jetzt, wo dieses Ziel mehr oder weniger erreicht ist, kann das deutsche Kapital es sich leisten, dem Druck der Europäischen Union (sprich: der europäischen Konkurrenz!) nachzugeben und mehr Konkurrenz im Inland zuzulassen. Dies liegt sogar im Interesse des deutschen Kapitals, denn langfristig bedeuten überhöhte Telekommunikationspreise einen Standortnachteil. Wie vorher das Erlangen der Konkurrenzfähigkeit im Ausland erfordert nun die Konkurrenzfähigkeit im Inland (was sonst?) neue Opfer der Beschäftigten. Nachdem Verdi zuvor die Kolleginnen und Kollegen bei der Telekom eine 34-Stunden-Woche mitsamt 8%ige Lohneinbußen mit aufgebürdet hat, sollen sie nun wieder vier Stunden mehr, und zwar gratis, arbeiten!

    Man könnte viele andere solche Beispiele nennen, etwa die deutsche Energiewirtschaft, die letztens wieder von sich reden machte im Rahmen des Vorziehens der Bergbauschließungen an der Ruhr und an der Saar. Diese Konzerne haben jahrelang mit Unterstützung der Gewerkschaft eine Art Monopolstellung in Deutschland bewahren können und damit viel Kapital angehäuft, mit dem man nun versucht, die Energiewirtschaft anderer Staaten, wie z.B. Spanien, unter ihre Kontrolle zu bekommen. Es geht dabei um mehr als nur um das Erzielen von Gewinnen. Denn wer die Energiewirtschaft anderer Staaten kontrolliert, kann diese Staaten auch erpressen, wie die jüngsten Konflikte Russlands mit der Ukraine und zuletzt Weißrussland wieder gezeigt haben. Es ist selbstredend, dass nicht nur der deutsche, sondern alle Staaten nach diesem Gesetz des Dschungels gegeneinander verfahren.

    Kein Wunder also, wenn der Airbus-Chef Gallois seinen "Power 8"-Masterplan nicht als starres Schema vorstellte, sondern als Richtlinie, welche zusammen mit den Gewerkschaften "schöpferisch" konkretisiert werden soll. Man zählt auf die Gewerkschaften vor Ort, die die Verhältnisse bestens kennen und für das In-Schach-Halten der Arbeiterklasse zuständig sind. Sie sollen dafür sorgen, dass der Widerstand der Arbeiter versandet, lokal abgekapselt und isoliert wird. Und die Gewerkschaften haben sofort ihre verantwortungsvolle Mitarbeit angekündigt. Sie werden umso "konstruktiver" mitarbeiten, da es nicht nur um das Wohl des Konzerns, sondern um das des Vaterlandes geht. Sie werden gegebenenfalls auch nicht zögern, die Arbeiter gegeneinander in einen imperialistischen Krieg zu hetzen, so wie sie es bereits im Ersten Weltkrieg getan haben.

    Das Problem des "Mismanagements"

    Was die Krise bei Airbus betrifft, beeilte sich Bundeskanzlerin Merkel, den Gewerkschaften beizupflichten, die von Mismanagement sprechen gegenüber der Konzernleitung, welche den "schwachen Dollar" als Hauptursache der Misere ausgemacht haben wollen. Das ist eine alte Leier. Wenn immer eine Firma ins Wanken gerät, sollen die Arbeiter denken, das liege nicht am kapitalistischen System sondern daran, dass man nicht kapitalistisch genug sei.

    Jetzt sehen sich die Verteidiger des Systems allerdings bei ihren Klagen über Mismanagement gezwungen, ein wenig mehr zu verallgemeinern. Auf einmal gibt es drei Spitzenkonzerne, die unter dieser Krankheit leiden. Was schlagen sie uns also vor? Eine bessere Ausbildung für Manager? Schön. Es gibt gute und schlechte Manager. Die Firmen mit "gutem" Management haben einen Konkurrenzvorteil gegenüber den schlecht geführten. Was wäre aber, wenn es nur noch gute Manager gäbe? Das Problem der Eliminierung der weniger konkurrenzfähigen Firmen und damit des permanenten Drucks, Stellen abzubauen und die Löhne zu drücken, würde wohl kaum verschwinden - deren Ursache nicht im "Mismanagement", sondern in der kapitalistischen Konkurrenz liegt.

    Oder wollen die Gewerkschaften beim Management der Konzerne mehr mitmischen, um dadurch deren Leitung aufzubessern? Dies ist seit Jahrzehnten längst geschehen! Die Gewerkschaften haben alle Entscheidungen bei Airbus oder der Telekom mitgetragen, die sie nun als "Mismanagement" abkanzeln!

    Die Notwendigkeit der internationalen Solidarität

    Bei Airbus sehen sich die Arbeiter mit den beiden derzeitig hauptsächlichen Denkrichtungen der Bourgeoisie konfrontiert. Die Konzernleiter unter Gallois stellen den Typus der neoliberalen Globalisierer dar, welche die Firma als international operierendes Unternehmen ohne Rücksicht auf die politischen Interessen der beteiligten Nationalstaaten führen möchte. Das ist natürlich eine Utopie. Denn Airbus ist überhaupt ein staatliches Geschöpf, eine Willensbekundung bestimmter europäischer Staaten. Aber selbst wenn das realistisch wäre, was würde es der Arbeiterklasse anderes bescheren als das, was ohnehin angekündigt worden ist?

    Die zweite, mehr protektionistisch ausgerichtete, die Rolle des Nationalstaates betonende Richtung wird auch heute wieder vornehmlich von der Politik und von den Gewerkschaften hochgehalten. Aber auch die Ideologie der "Globalisierungsgegner" wie ATTAC steht dieser Sichtweise nah. Sie fordern die Nationalstaaten dazu auf, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung gegenüber den "Multis" zu wahren. Das bedeutet aber, dass diese Richtung offen die nationale Konkurrenz befürwortet. Nebenbei bemerkt: einer der Gründe, weshalb Airbus trotz voller Auftragsbücher in die Krise rutschte, war, weil etliche Aufträge aufgrund von nicht passenden Teilen (z.B. zu kurze oder zu dicke Kabel!) nicht rechtzeitig ausgeführt werden konnten! Diese unglaubliche Inkompetenz ebenso wie das unsinnige Hin-und-her-Transportieren von Teilen durch halb Europa ist ein klassisches Produkt der "Einmischung der Nationalstaaten zugunsten der arbeitenden Bevölkerung"!

    Die neoliberale und die nationalstaatliche Richtung sind in Wahrheit keine Gegensätze und erst recht keine Alternativen, sondern stellen zwei Seiten ein- und derselben Medaille dar. Kapitalismus bedeutet Weltwirtschaft und zugleich Konkurrenz der Nationalstaaten. Die soeben erwähnten Ideologien betonen lediglich mehr die eine oder andere Seite dieses im Kapitalismus unlösbaren Widerspruchs.

     

    Wir brauchen unbedingt eine Weltwirtschaft. Denn kein einziges der großen Probleme der Menschheit kann heute anders als auf Weltebene gelöst werden. Aber die kapitalistische Konkurrenz, die Produktion für den Markt, die Lohnarbeit - einst ein unentbehrlicher Stachel, um die noch unterentwickelten Produktivkräfte der Menschheit zur Entfaltung zu bringen - brauchen wir längst nicht mehr. Sie sind vielmehr zu einer riesigen Fessel der Entwicklung von Wirtschaft und Kultur geworden.

    Die objektive Lage selbst wirft die Systemfrage auf und damit die Frage des Internationalismus. Nur die Arbeiterklasse ist international. Die Lohnsklaven bei Airbus müssen auf der Hut sein, dürfen sich nicht ausspielen lassen, nicht nur zwischen den einzelnen Airbus-Standorten, sondern auch zwischen Airbus und Boeing, zwischen Europa und Amerika (und China usw.) Das Kapital mit seiner Konkurrenz ist weltweit. Die Arbeiterklasse muss ihren Kampf aufnehmen. Das Wesen dieses Kampfes liegt in der Aufhebung der Konkurrenz unter den Arbeitern, in der Führung des Kampfes in allen Ländern im Zeichen der internationalen Solidarität.

    Proletarier aller Länder, vereinigt euch! IKS. 5. März 2007.

    Bemerkungen zur Finnischen Revolution 1918

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    Ab 29.01.1918 galt das südliche Finnland als das rote Finnland, das von der provisorischen Regierung, genannt Volkskommissariat, regiert wurde. Auf diesem Gebiet liegt ein  Industrieort, um ein großes Papierwerk herum gewachsen, wo ich herkomme. Zur Zeit der finnischen Revolution war mein Großvater ein Arbeiter  in diesem Papierwerk. Als die Bourgeoisie die Revolution niederschlug und das Gebiet, das als rotes Finnland galt, wieder eroberte, nahm sie Zehntausende Arbeiter gefangen. Unter diesen Gefangenen war auch mein Großvater.  Daher ist mir die Revolution in Finnland von  meiner Kindheit  an bekannt gewesen. Meine Tante, die 1918 zehn Jahre alt war, hat den Aufstand als Kind der Arbeiterfamilie  miterlebt und mir und meinen Brüdern einiges darüber erzählt. Ich kann mich erinnern, dass sie erzählt hat, dass es den Arbeitern schlecht ging, und sie hatten 12-Stunden-Tage in der Fabrik, und deshalb haben die Arbeiter sich gewehrt. Sie hat erzählt, wie die "Herren" (wie man in meiner Stadt die Oberschicht in der Fabrik genannt hat) höhnisch und menschenverachtend zu den streikenden Arbeitern gesagt haben, streikt nur, es gibt genug Elende draußen vor den Fabriktoren. Als die "Säuberung", wie die Bourgeoisie die Niederschlagung der Revolution nach den militärischen Sieg über die roten Garden nannte, dann vor sich ging, bedeutete dies unter anderem, dass die Weißgardisten die Wohnungen der Arbeiterklasse systematisch nach Männern und Waffen durchsuchten. Dieses spielte sich auch bei meinen Großeltern zu Hause ab. Meine Großmutter lag mit ihrem jüngsten Kind im Wochenbett, die Weißgardisten marschierten rein, zeigten mit der Waffe auf meine Großmutter, nannten sie eine Verbrecherin. Dieses Bild haben meine Tanten ihr ganzes Leben lang in Erinnerung behalten. Viele zu Tode verurteilten Arbeitern wurden nachts z.B. im Wald erschossen, dass wussten damals alle. Die Angehörigen gingen Nacht für Nacht in den Wald, um den Schüssen zuzuhören, weil man ja nie wusste, wann die eigenen Familienangehörigen dran waren. Die Angst, der Schrecken und die Bitterkeit saßen tief bei den Arbeitern. Meine Tante erzählte, es hätte damals schon für ein Todesurteil genügt, dass man Brot für die Roten gebacken hat, oder dass man einfach von jemanden als Roter beschuldigt worden wäre. Als ich in den 70er Jahren anfing, an  Treffen einer maoistischen Gruppe teilzunehmen, hatten meine Tanten wirklich Angst, dass dieses irgendwann ein Grund zur Erschießung sein könnte.

    Der Bürgerkrieg hat die Finnen zum Großen Teil erst mal in zwei Lager geteilt und ein Trauma hinterlassen. Trotz Erzählungen, die ich in meiner Kindheit gehört habe, war es allgemein so, dass man über den Bürgerkrieg nicht sprach. Die herrschende Meinung war, dass man die alten  Wunden nicht  aufreißen sollte und dass ein Bruderkrieg nie mehr entstehen sollte.  Heute verstehe ich, dass dieses zu Gunsten der finnischen Bourgeoisie geht, und ein Produkt der Konterrevolution ist.

    Als ich vor einigen Jahren den Artikel über die finnische Revolution in der Zeitung der schwedischen Sektion der IKS, Internationell Revolution las, wurde mir klar, dass es sich 1918 in Finnland um eine  proletarische Revolution handelte. Bis dahin war ich es gewohnt gewesen, dass man über den Bürgerkrieg oder über den Aufstand sprach.  Natürlich bekam ich Interesse auch mehr zu erfahren. Bis jetzt bin ich leider erst so weit, dass ich vier Bücher über die finnische Revolution gelesen habe. Die Art und Weise, wie man in diesen Büchern die finnische Revolution handelt, ist eine bürgerliche.  Die große Frage in diesen Büchern ist, wieso war es möglich, dass Finnen sich gegenseitig in einem grausamen Bürgerkrieg schlachteten.  Bei Erörterung dieser Frage, wie auch bei allen anderen Fragen, wird die internationale Situation 1918, vor allem die weltweite revolutionäre Welle ausgeblendet. Natürlich übergeht man in diesen Büchern  die Revolution in Russland nicht, genauso wie auch nicht  die Tatsache, dass die finnische Bourgeoisie Unterstützung vom kaiserlichen Deutschland erhielt. Aber meiner Meinung nach wird nicht mal ein Versuch gemacht, die wirklichen Gründe für die Revolution in Finnland herauszufinden, bzw. wahrscheinlich ist es gerade der Zweck von dieser Art Geschichtsverarbeitung, die Tatsache zu verwischen, dass wir in einer Klassengesellschaft leben, und dass es eine Generation von Arbeiterklasse gab, die einen großartigen Versuch unternommen hat, um die Klassengesellschaft zu überwinden, in dem man das kapitalistische System stürzt. In einem der Bücher wird gesagt,  dass heute wohl kaum jemand allen Ernstes die Werte und Positionen vertritt, für die die Roten und die Weißen ihren Krieg führten.  Ich denke, dass sowohl die Bgsie als auch die Arbeiterklasse heute die gleichen Positionen und Werte vertreten wie damals. Die Bgsie ist heute zu denselben Grausamkeiten bereit wie damals und das Proletariat hat heute wie damals das Zeug in sich, eine neue klassenlose, wirklich menschliche Gesellschaft zu errichten und den Kapitalismus zu stürzen.

    Meine Freundin hat mir diese Bücher besorgt, meinte aber, sie hätte wirklich keine Lust mit diesem Thema sich auseinander zu setzten. Ich habe angefangen mir diese Mühe zu machen, auch wenn es nicht leicht ist, z.B. Berichte über das Kriegsgeschehen, die Erschießungen, die Not, das Elend, die Angst und die Verzweiflung zu lesen, aber schon der Anfang hat sich gelohnt. Ich habe angefangen, mich von den  Mythen zu befreien, die den Bürgerkrieg in Finnland umranken. Auch wenn ich als Kind schon von der Revolution innerhalb der eigenen Familie gehört habe, bin ich natürlich, wie fast alle, durch die Schule und durch die Gesellschaft zur Vaterlandsliebe erzogen worden. Sie ist einem immer als etwas Hehres, etwas Reines und Ehrenhaftes und absolut etwas Gutes vermittelt worden. Wenn man aber die Geschichte der Entstehung des finnischen Staates liest, kommt einem alles andere entgegen, als etwas Hehres, Reines, Ehrenhaftes oder Gutes.  Der finnischen Bourgeoisie war es gelungen, ihre grausame Niederschlagung der Revolution als finnischen Freiheitskrieg zu verkaufen. Ihr war es auch gelungen, nach dem Krieg glauben zu machen, es habe  sich in diesem Krieg um einen Bruderkrieg gehandelt, der sich  nie mehr wiederholen dürfte. Der Begriff Bruderkrieg erscheint in einem ganz anderen Licht, wenn man weiß, dass die Bourgeoisie, so bald sie sich von dem Schrecken der Machtübernahme der Arbeiterklasse in Süd-Finnland erholt hatte und anfangen konnte sich zu rüsten, auch mit der Zwangsrekrutierung anfing. So mussten wirklich auch Teile der Arbeiterklasse ihre eigenen Klassenbrüder und -schwestern umbringen, was sie aus freien Stücken niemals gemacht hätten.

     

    Diese Notizen sind meine ganz persönlichen Eindrücke, die ich von der finnischen Revolution gewonnen habe. Ich weiß, dass dies ein bescheidener Anfang ist. Der nächste Schritt wird sein, Texte zu lesen, die die Theoretiker der Arbeiterbewegung über die finnische Revolution geschrieben haben. In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch mit dem roten Terror auseinandersetzen. Die finnische Revolution war ein Teil des Kampfes des weltweiten Proletariats. So sind die Geschichte und die Erfahrungen daraus nicht nur für die finnische Arbeiterklasse wichtig, sondern für das ganze Weltproletariat. Somit ist es  auch eine Aufgabe der Avantgarde der Arbeiterklasse sich damit zu befassen. Ich fühle mich verantwortlich, im kollektiven Rahmen weiterzuarbeiten, zumal ich die finnische Sprache kann.

    Stockholm 20.01.2007

    Chavez - Der Mythos vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts

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    Der überwältigende Triumph Chavez, der bei seinem Wahlsieg am 3. Dezember 2006 63% der abgegebenen Stimmen erhielt, während der Oppositionskandidat 37% Stimmen auf sich vereinigte, konsolidiert und legitimiert nicht nur die Macht des Chavez-treuen Teils der Bourgeoisie für einen weiteren Zeitraum von sechs Jahren, sondern er stellt auch einen Triumph für die gesamte venezolanische Bourgeoisie dar. Erneut hat die politische Konfrontation zwischen Fraktionen der Bourgeoisie, die das politische Leben nach der Übernahme der Macht durch Chavez 1999 beherrschte, die Bevölkerung gespalten und zu einer massiven Wahlbeteiligung geführt. Den Angaben des Nationalen Wahlbüros (CNE) gab es nur 25% Enthaltungen, d.h. der niedrigste Prozentsatz seit dem früheren Tiefpunkt von 40%.

    Indem sich Oppositionsgruppen wieder an den Wahlen beteiligten (die Parlamentswahlen von 2005 hatten sie noch boykottiert), hat die verschleiernde Wirkung der Wahlen und der Demokratie wieder an Stärke gewonnen. Dies sind grundlegende ideologische Mechanismen, mit Hilfe derer die herrschende Klasse das kapitalistische Ausbeutungssystem aufrechterhält. Aber die größte Unterstützung für die Erreichung dieses Ziels wurde vom Chavismus geleistet, der eine Polarisierung herbeigeführt hat, indem er behauptete, der Oppositionskandidat sei der Kandidat des Teufels Bush; und falls dieser die Wahlen gewinnen sollte, würde dies alle Projekte der Regierung (z.B. Erreichung der 'sozialen Gerechtigkeit') und die Errungenschaften der 'Revolution' gefährden. So sind das Proletariat und mit ihm viele ausgeschlossene Schichten in die Falle der Polarisierung zwischen verschiedenen bürgerlichen Fraktionen geraten, indem sie ihre ganze Hoffnung auf einen Teil der Bourgeoisie setzten, der seine linkspopulistische Politik gegenüber den ärmsten Teilen der Gesellschaft zu seinen Gunsten ausnutzen konnte. Dabei kamen ihm die hohen Öleinkünfte gelegen. Dieser Flügel der Bourgeoisie verwaltet eigentlich nur die Armut, indem er eine "Gleichstellung" befürwortet, wodurch die gesamte Gesellschaft "gleichgestellt" wird. Tatsächlich werden dadurch die Mittelschichten verarmt und die Arbeiter sowie die sozial Ausgeschlossenen verarmen noch mehr. Dies ist das Rezept des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", den der Chavismus nach Bolivien, Ecuador und Nicaragua exportiert und der ihm als trojanisches Pferd dient, um seinen geopolitischen Einfluss in der Region zu verstärken.

    Der "radikale" Antiamerikanismus Chavez' (dem die Bewegung der "Antiglobalisierer" frenetisch zujubelt), die Unterstützung für andere "linke" Regierungen wie in Bolivien, Ecuador und Nicaragua, wie auch "Hilfeleistungen" für mehrere Länder in der Region in Form von Preisrabatten beim Öl, zeigen, wie das Öl als Waffe in der Region auf Kosten der Amerikaner eingesetzt wird, die zuvor Lateinamerika als ihren Hinterhof betrachten konnten.

    Was steckt hinter der "massiven Unterstützung des Volkes" für Chavez ?

    Der Chavez-Flügel der Bourgeoisie, der von militärischen und zivilen Teilen der Linken und der Linksextremisten angeführt wird, stützt sich auf die gesellschaftliche Unterstützung der ausgebeuteten Massen, hauptsächlich der sozial Ausgeschlossenen, die in den großen Armutsgürteln um Caracas und anderen großen Städten des Landes leben, wie auch auf die verarmte Landbevölkerung. Gegenüber diesen Massen wurde die Illusion verbreitet, sie könnte ihr Elend bis 2021 überwinden!

    Die große Cleverness dieses Teils der Bourgeoisie bestand darin, sich so darzustellen, als ob sie aus den Volksschichten stammte und auf der Seite der Armen stünde. Sie nutzte diesen Schachzug, um sich als Opfer gegenüber den "Angriffen des bürgerlichen Lagers", aber vor allem auch gegenüber dem US-Imperialismus darzustellen, der als eine Bedrohung von Außen aufgebauscht wird, welcher die "Revolution" an der Verwirklichung ihrer Pläne zur Überwindung der Armut hindert. Sich ständig als Opfer darzustellen war einer der besten Ratschläge seitens der kubanischen Bourgeoisie für die neuen Eliten des Chavismus. Erstere benutzte dies als Mittel zur Rechtfertigung der Armut und der mehr als 40 Jahre dauernden "Revolution".

    Die Regierung Chavez hat seit Mitte 2003 die "Sozialausgaben" neu ausgerichtet, indem sie so genannte Missionen geschaffen hat. Es handelt sich um gesellschaftliche Projekte, in denen der Staat einige Brosamen unter der Bevölkerung verteilt. Dabei verfolgt sie hauptsächlich zwei Ziele: den sozialen Frieden aufrechterhalten (dies ist notwendig, damit die kapitalistische Ausbeutungsmaschinerie reibungslos funktioniert) und die Kontrolle über die verarmten Massen zu verstärken, mit dem Ziel, das Treiben der bürgerlichen Fraktionen zu unterbinden, die bislang mehrere Versuche unternommen hatten, um Chavez abzusetzen. Diese "Sozialausgaben" (die für die Chavez-Bourgeoisie zwingend war), wurden von einer noch nie dagewesenen ideologischen Manipulation begleitet. Dabei wurde die staatskapitalistische Politik Chavez als die Politik eines Hilfe leistenden Staats dargestellt, der die Reichtümer nach dem "Gleichheitsprinzip" verteilt und dabei unter den verarmten Bevölkerungsschichten die Illusion hervorruft, die Geldquellen des Staates seien unerschöpflich; dass man nur den Ölhahn mit den Petrodollars aufdrehen müsse und dass die Bourgeoisie sich wirklich bemühe, ihre Probleme zu lösen. Mittels ihrer "Missionen", den Kooperativen, unzähligen politischen Organisationen (innerhalb derer die Kreise Bolivars aktiv sind) und staatlichen Institutionen, hat der Chavismus ein Netz geschaffen, das bis in die entlegensten Teile des Landes vorgedrungen ist und dessen Hauptziel keinesfalls darin besteht, die Leute aus ihrer Misere zu führen, wie es die Regierungspropaganda behauptet, sondern die Bevölkerung ideologisch, politisch und sozial zu kontrollieren.

    Um die Präsidentenwahlen zu gewinnen (bei denen er sieben Millionen Stimmen erringen konnte, obwohl er 10 Millionen von den 16 Millionen Stimmen der Wahlberechtigten anstrebte), hat der Chavismus wie seine Vorgängerregierungen in den Wahlphasen den Löwenanteil der Staatsausgaben auf das Jahr 2006 konzentriert. So wurden die Nahrungsmittelimporte in den ersten Monaten des Jahres erhöht, um sie zu subventionierten Preisen zu verkaufen. Viele öffentliche Bauprojekte wurden angefangen, aber nicht abgeschlossen. Zwei Mindestlohnerhöhungen für die Vollbeschäftigten wurden verkündet (die eine im Mai, die andere im September), die Auszahlung der Renten wurde beschleunigt, ausstehende Lohnzahlungen an Beschäftigte wurden geleistet, ebenso wurden Tarifverhandlungen bei auslaufenden Tarifverträgen in bestimmten Branchen geführt. Zu guter Letzt wurden den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Rentnern und den Beschäftigten der "Missionen"  kurz vor den Wahlen Sonderzahlungen geleistet. Die Regierung konnte sich dabei der Einkünfte aus dem Ölgeschäft bedienen, um ein Gefühl des Wohlstands in der Bevölkerung zu verbreiten. Diese Ausgaben führten neben der historischen Erhöhung der Importe, den umfangreichen Waffenkäufen, der ‚Hilfe' an andere Nationen, zu einer Erhöhung der öffentlichen Ausgaben 2006 von 58% im Vergleich zu 2005. Dies entspricht 35% des BIP - eine wahre Zeitbombe, die sich früher oder später auf die Beschleunigung der Wirtschaftskrise auswirken wird.

    Die 'sozialen Errungenschaften' des Chavismus verstärken die Verarmung

    Gemäß der vom Chavismus im In- und Ausland verbreiteten Propaganda (mit Unterstützung durch Linksintellektuelle sowie wie der Antiglobalisierungsbewegung) hat Venezuela den Weg der Überwindung der Armut bis 2021 eingeschlagen.

    Aber ungeachtet all der erstickenden Propaganda der Chavez-Regierung sieht die Wirklichkeit anders aus. Wenn man sich in den Armenviertel im Osten des Hauptstadt Caracas (Tetare) und im Westen (Catia) wie auch im Zentrum der Stadt bewegt, kann man die wirkliche Armut sehen, die sich hinter diesen Rauchwolken verbirgt: unzählige Indios, meistens Jugendliche, leben und schlafen auf der Straße, unter den Brücken und am Ufer des Flusses Guaira (die große Kloake, in welche die Abwässer der Stadt fließen), die Straßen sind mit Müll übersät, wodurch die Rattenplage und Krankheiten zugenommen haben. Zehntausende Straßenhändler (genannt Buhoneros) säumen die Straßen und verkaufen Grundnahrungsmittel. Die so genannte informelle Wirtschaft wird dadurch aufgebläht. Caracas ist aufgrund der gestiegenen Kriminalität zu einem der gefährlichsten Orte der Region und Venezuela zum Land mit der höchsten Kriminalitätsrate geworden. Es hat selbst Kolumbien in diesem Bereich überholt, das zuvor jahrelang an der Kriminalitätsspitze stand. Auf nationaler Ebene haben verschiedene Krankheiten wie Malaria und Dengue-Fieber zugenommen. Kindersterblichkeit und die Sterblichkeitsrate von Müttern sind ebenfalls im Ansteigen begriffen. Davon ist nicht nur Caracas, sondern auch all die anderen Großstädte, aber auch zunehmend die mittleren und kleineren Städte betroffen. Obwohl die Regierung Maßnahmen ergriffen hat, um diese Armut zu vertuschen (z.B. wurden Straßenkinder oder Indio-Kinder aufgegriffen, Prostituierte verfolgt, Straßenhändler vertrieben usw.), und obwohl die Regierung für all diese Missstände der Opposition oder dem US-Imperialismus die Schuld in die Schuhe schob, kann die dramatische Verarmung der Bevölkerung nicht weiter verheimlicht werden.

    Mit großer Heuchelei kritisiert die  Opposition die Regierung und wirft ihr die Schuld für die Verarmung vor. Damit will die Opposition sich nur als besserer "Verteidiger" der Armen darstellen, während sie eigentlich nur die Kontrolle über den Staatsapparat übernehmen will, um dieses System zu schützen, das nur Armut und Barbarei für uns bereit hält. Die regierungstreuen Medien verschweigen oder spielen diese Tatsachen herunter. Gewiss ist dieser Trend nicht auf Venezuela beschränkt, sondern er ist überall in allen Städten der Peripherie festzustellen.

    Neben diesen sehr auffälligen Erscheinungen der Armut kann man auch andere erwähnen, die die Verarmung der Arbeitermassen verdeutlichen. Die vom Staat betriebene Organisierung in Kooperativen hat nur zur Bildung von noch mehr prekären Arbeitsplätzen geführt, da die Beschäftigten der Kooperativen noch weniger verdienen als andere Beschäftigte. Auch erhalten diese - den Erklärungen der Gewerkschaften und der Kooperativen selbst zufolge - nicht einmal den offiziellen Mindestlohn. Die Diskussion über die Tarifverträge, insbesondere im öffentlichen Dienst, ist immer wieder verschleppt worden. Lohnerhöhungen werden durch Dekrete angeordnet. Meistens geschieht dies durch Prämienzahlungen, die allerdings oft erst mit großer Verspätung ausgezahlt werden. Mit Hilfe der ‚Missionen' und anderen Regierungsinstanzen wurden parallele Dienstleistungsorgane geschaffen, die neben den im Gesundheitswesen und im Erziehungsbereich bestehenden arbeiten. Diese wurden vor allem dazu verwendet, die ‚Normalbeschäftigten' unter Druck zu setzen und deren Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Es wird offensichtlich, dass Prekarität, flexible Arbeitsbedingungen und Angriffe gegen die Löhne, die typisch sind für einen wilden Kapitalismus, für jede Bourgeoisie unverzichtbar sind; selbst die ‚anti-neoliberale' Regierung, als die sich der Flügel der Bourgeoisie um Chavez darstellt, verwendet solche Maßnahmen.

    Die Beschäftigten wie auch die marginalisierten Massen zahlen den Preis für die ständig wachsenden öffentlichen Ausgaben, welche die ‚neue' chavistische Bourgeoisie einzudämmen versucht. Die Inflation ist enorm angestiegen - 2004: 19,2%, 2005: 14,4%, 2006 17% - so die offiziellen Zahlen. Dieser inflationäre Schub, der hauptsächlich durch die Wirtschaftspolitik des Staates ausgelöst wurde, hat zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der gesamten Bevölkerung, hauptsächlich aber der verarmten Massen geführt, die 70% oder mehr ihres Lohns für Lebensmittel ausgeben müssen. Bei diesen Produkten sind die Preise um 152% gestiegen (Statistik der venezolanischen Zentralbank). Die Prognosen für 2007 sind nicht besser, man erwartet eine Inflation von 20%. Allein im Januar 2007 stiegen die Preise schon um 2%.

    Nach dem Wahlsieg hat der Chavismus grünes Licht bekommen, um seine Angriffe gegen die Arbeiter fortzusetzen

    Wenige Tage nach den Wahlen hat die Regierung eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, um ihr Projekt des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" umzusetzen. Man beruft sich dabei auf das ‚Volk', das für dieses Projekt seine Zustimmung gegeben habe. Als erstes hat die Regierung ihre Muskeln gegenüber den oppositionellen bürgerlichen Kräften des In- und Auslandes spielen lassen, indem sie eine Reihe von Verstaatlichungsmaßnahmen in der Wirtschaft (Telekom, audiovisuelle Medien, Energie usw.), eine Mehrheitskontrolle der Ölförderung, die sich bislang in den Händen von Multis befand, und erhöhte Steuerbelastungen angekündigt hat. Diese Maßnahmen zeigen das Hauptziel der chavistischen Bourgeoisie: eine bessere Kontrolle der Wirtschaft durch radikale staatskapitalistische Maßnahmen.

    Die Bourgeoisie weiß, dass sich die Krise früher oder später aufgrund der exzessiven Ausgabenpolitik des Chavismus beschleunigen wird. Deshalb befürworten die ‚Triebkräfte der bolivarischen Revolution' Maßnahmen einer größeren politischen und gesellschaftlichen Kontrolle der Arbeiterklasse und der Bevölkerung im Allgemeinen durch eine angebliche "Volksmacht" und die Gemeinderäte. Gleichzeitig mit der Verkündung der  Verstärkung dieser gesellschaftlichen Kontrollorgane hat die Regierung eine Reihe von Maßnahmen gegen die Arbeiterklasse und die Bevölkerung ergriffen:

    - Kontrollmaßnahmen und Repression gegen die Straßenverkäufer in der Hauptstadt, diese Maßnahmen werden auf das ganze Land ausgeweitet;

    - baldige Erhöhung des Ölpreises;

    - Aufgabe gewisser ‚Missionen' (wie die der Lebensmittel- und Medikamentenverteilung), was zu Versorgungsschwierigkeiten dieser Produkte geführt hat, deren Preise staatlich festgelegt wurden. Die Regierung hat geschickterweise Teile des Privatkapitals für die Verschlechterung der Lage verantwortlich gemacht, obwohl die Maßnahmen der Regierung selbst daran schuld sind.

    - Ein Kampf gegen die Bürokratie und die Korruption wurde verkündet. Chavez hat verlangt, dass die Einkommen der höchsten Staatsbediensteten gekürzt werden (die in manchen Fällen mehr als 50 Mal höher als der Mindestlohn sind). Es handelt sich um ein Ablenkungsmanöver, da der Chavismus die Gefolgschaft dieser Staatsdiener und der Armee gekauft hat, indem diese Gehälter wie Multimillionäre bezogen und sie die Ressourcen des Staates insgeheim weiter verwalten konnten. Das wahre Ziel dieser Maßnahme besteht darin, die Gehälter der kleinen Bürokraten zu kürzen, d.h. der Bediensteten des öffentlichen Dienstes, indem sie zu prekär Beschäftigten (und sie gezwungen werden, Kooperativen zu gründen) oder  gar entlassen werden.

    Auf dem Höhepunkt ihrer Popularität zeigt die Regierung ihr wirkliches Gesicht als bürgerliche Regierung. Nachdem sie die Arbeiter und die marginalisierten Schichten als Stimmvieh bei den Wahlen benutzt hat, wurden nun Spar- und Repressionsmaßnahmen angekündigt. Für die chavistische Bourgeoisie ist es nunmehr notwendig, die Ausgaben zu kürzen, zudem sie eine Senkung der Ölpreise für 2007 angekündigt hat, wodurch ihre Einnahmen sinken werden. Gegenüber dieser Lage haben die Arbeiter in Venezuela wie in allen Ländern auf der Welt keine andere Wahl als ihren Kampf gegen die unaufhörlichen Angriffe des Kapitals. Wir wissen, dass dieser Kampf nicht leicht sein wird, u.a. aufgrund der Schwächung, die sie durch den Einfluss der chavistischen Ideologie erlitten haben, denn diese hat die Idee des Sozialismus geschwächt und manipuliert. Die Mangelwirtschaft kann nur durch den revolutionären Kampf des Proletariats überwunden werden.  IKS - 18.2.07

    Das neue Programm der Gruppe Internationalistische Kommunisten GIK: Eine solide Orientierung für die Arbeiterklasse

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    Im Sommer letzten Jahres hat die Gruppe Internationalistische Kommunisten (GIK) eine über sechzig Seiten umfassende Broschüre veröffentlicht. Darin erläutert sie ihre politischen Positionen. Wir haben diese Publikation mit Freude in die Hand genommen und gelesen. Lassen wir die GIK aus der Vorbemerkung zu ihrem Programm sprechen: "Wir wenden uns mit diesem Programm, das auf den Positionen der internationalen kommunistischen Linken beruht, an all diejenigen Menschen, die am Kapitalismus als zukunftsfähigem System zweifeln und nicht nur ein paar Reformen wollen, sondern nach einem Ausweg aus diesem System suchen und deswegen die reformistische Linke, die Sozialdemokratie, den Stalinismus oder die bestehenden Gewerkschaften kritisieren und ablehnen."       

    Das Programm der GIK ist in seiner gesamten Länge eine klare und begrüssenswerte Darlegung der markantesten historischen Erfahrungen der Arbeiterklasse und den daraus resultierenden politischen Lehren. Der GIK ist es mit ihrem Programm tatsächlich gelungen, die wichtigsten Fragen zu beantworten, welche sich heute Menschen stellen, die am Kapitalismus zunehmend Zweifel hegen. Es ist hier selbstverständlich nicht möglich, allumfassend auf das reichhaltige Programm einzugehen, alles hervorzuheben, mit dem wir einverstanden sind, oder eventuelle Kritiken zu erläutern. Doch dazu wird in unseren künftigen Nummern der WELTREVOLUTION Platz vorhanden sein. In diesem Sinne freuen wir uns auf eine lebendige Debatte, an der unsere Leser teilhaben sollen.

    Weshalb begrüssen wir das Programm der GIK als eine solide Orientierung für die Arbeiterklasse…

    1985 formierte sich die GIK vornehmlich in Österreich, nachdem diese Genossen aus Sorge um die notwendige, offene politische Arbeit innerhalb der Arbeiterklasse aus der Gruppe Kommunistische Politik (GKP) ausgetreten waren. Die GIK hat mittlerweile eine über 20-jährige Geschichte. Schon im Frühling 1987 hatte die GIK ihre ersten "Grundpositionen" in der Zeitschrift ARBEITERREVOLUTION veröffentlicht. Das grosse Verdienst der GIK war es, über all die Jahre hinweg dem Standpunkt der Arbeiterklasse absolut treu geblieben zu sein.

    Wir möchten für Leser, welche die GIK nicht kennen, bei ganz grundlegenden Fragen beginnen und nicht die Kenntnis der Debatten, die wir mit diesen Genossen schon geführt haben, zur Voraussetzung machen. Es scheint uns natürlich auch wichtig zu betrachten, ob das Programm der GIK auf Fragen der politischen Aktualität Antworten bereit hat.

    Wenn wir hier vom "Standpunkt der Arbeiterklasse" sprechen, meinen wir erst einmal folgendes: "Die Arbeiterklasse darf in all diesen Kriegen niemals eine der beiden Seiten unterstützen - bedeutet der Krieg doch immer, dass sich die ArbeiterInnen im Interesse ihrer Ausbeuter gegenseitig abschlachten und die grössten Opfer bringen. Es gibt keine fortschrittliche Seite, die die Arbeiterklasse unterstützen könnte. Die Arbeiterklasse muss in jedem kriegsbeteiligten Land der ‚eigenen' Regierung die Unterstützung verweigern, die nationale Einheit durchbrechen und den Krieg nach Kräften sabotieren."(Programm der GIK, Punkt 64). Diesen internationalistischen Standpunkt hatten die Genossen schon vor über 20 Jahren vertreten. Und tatsächlich ist die Haltung einer politischen Gruppierung zur Frage des Krieges in unseren Augen die wichtigste Messlatte, um über den Charakter einer Gruppe ein Urteil zu fällen. Sie entscheidet, ob eine Organisation sich auf die Seite der Arbeiterklasse stellt oder ob sie das kriegerische System des Kapitalismus verteidigt. Selbstverständlich tauchen in den Debatten unter Gruppierungen innerhalb der Arbeiterklasse verschiedenste Analysen über die Gründe von Kriegen auf. So hatten wir zum Beispiel auch mit Genossen der GIK in vergangenen Diskussionen nicht immer dieselbe Auffassung über die Bedeutung des Öls in den Golfkriegen. Meinungsverschiedenheiten dieser Art gehören aber zum Leben der Arbeiterklasse. Sie existieren nicht nur zwischen verschiedenen politischen Gruppen, sondern auch innerhalb einer Organisation. Was uns also grundsätzlich mit den Genossen der GIK verbindet, ist unsere gemeinsame Treue zum Internationalismus und die Ablehnung jeder beteiligten Seite in Kriegen - dem wohl bedeutendsten Prinzip für die Arbeiterklasse. 

    Die Genossen der GIK verteidigen gleichfalls mit aller Klarheit ein anderes grundlegendes und umso aktuelleres Prinzip, um das die Arbeiterbewegung zeitlebens gerungen hat: nicht Reform des Kapitalismus, sondern seine Überwindung durch die proletarische Revolution! In ihrem Programm weisen sie gegenüber klassenübergreifenden Bewegungen zur Umwelt-, Friedens- oder Globalisierungsfrage auf Folgendes hin: "Alle diese Bewegungen legen den Finger auf wunde Punkte des Systems, sie drücken eine Empörung über augenfällige negative Erscheinungen und Auswüchse aus. Sie müssen aber bis zu einem grösseren Teil wirkungslos bleiben, da sie nur die einzelnen negativen Erscheinungen und nicht den Kapitalismus als Ganzes kritisieren, der diese Erscheinungen hervorbringt. (…) Somit schaffen sie mit ihren Zielsetzungen die Illusion eines Kapitalismus ohne den betreffenden negativen Auswuchs, also etwa die Illusion in einen umweltfreundlichen Kapitalismus, in einen friedlichen Kapitalismus ohne Kriege" (ebenda, Punkt 112). Die unübersehbaren Folgen der Klimaerwärmung und permanenten Zerstörung der Natur durch die kapitalistische Produktionsweise sind heute selbst in den bürgerlichen Medien zum Thema Nr.1 geworden. Der lächerliche Handel um CO2-Ausstossquoten zeigt heute die totale Hilflosigkeit des Kapitalismus gegenüber den bestehenden Problemen. Das oberste Gesetz des Profits in der kapitalistischen Produktionsweise lässt schlicht nicht die Möglichkeit offen, durch irgendwelche "ökologischen Reformen" das Wettrennen gegen die Umweltzerstörung zu gewinnen. Die in ihrem Programm formulierte Position der GIK zur Frage "Reform oder Revolution" hat es also nicht verpasst, auf der Basis eines historischen Prinzips der Arbeiterklasse eine klare Antwort auf eine der heute brennendsten Fragen der Menschheit zu geben.

    Wie anfangs erwähnt, können wir hier dem gesamten Programm der GIK nicht gerecht werden und keine komplette Auflistung aller Punkte machen, weshalb wir es begrüssen.  Doch Folgendes bildet in unseren Augen einen weiteren Eckpfeiler: "Der Kommunismus ist noch nie verwirklicht worden. Die gemeinhin als ‚kommunistisch' oder ‚realsozialistisch' bezeichneten Gesellschaftssysteme wie die Sowjetunion mit ihren Satellitenstaaten (ehemaliger Ostblock), die Volksrepublik China sowie Nordkorea, Vietnam und Kuba hatten mit dem Kommunismus nichts zu tun. (…) Genauso wenig stellte das ‚realsozialistische' Gesellschaftssystem eine Übergangsgesellschaft zwischen Kapitalismus und Kommunismus dar, die gegenüber dem westlichen Kapitalismus zu verteidigen gewesen wäre, wie es etwa die trotzkistische politische Richtung und viele Linke behaupteten." (Punkt 22) "Unter Stalin strebte die so genannte kommunistische Partei Russlands die Politik, an die nach der Isolierung der Russischen Revolution übrig blieb: die forcierte nachholende industrielle Entwicklung Russlands unter dem Diktat des Staates und der Partei, genannt ‚Aufbau des Sozialismus' bzw. ‚Sozialismus in einem Land'. Diese Politik hatte aber nichts mit Sozialismus zu tun, denn es gibt keinen Sozialismus, der auf ein Land beschränkt wäre." (Punkt 75) Mit dieser Analyse über die konkreten Erfahrungen der Arbeiterklasse reiht sich das Programm der GIK klar in die Tradition des Linkskommunismus ein, in der auch unsere Organisation steht. Auch dies ist zwar nichts Neues, hatten doch schon ihre "Grundpositionen" von 1987 auf denselben Füssen gestanden. Doch es ist umso gewichtiger und aktueller. Der Linkskommunismus entstand im Wesentlichen in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts als Reaktion auf den Stalinismus und die Degeneration der Russischen Revolution. Er beschritt aber einen anderen Weg als andere, dem "Sozialismus in einem Land" anfänglich ebenfalls ablehnend gegenüberstehende Strömungen. Der Linkskommunismus reihte sich nicht wie die Trotzkisten 1939 ins Weltkriegsgeheul und damit ins bürgerliche Lager ein. Es ist nur den Linkskommunisten gelungen, wirklich die Lehren aus der stalinistischen Konterrevolution zu ziehen und konsequent gegen die Lüge vom angeblichen "Sozialismus in einem Land" zu kämpfen und dies bis heute weiter zu tragen. Wir sind froh um die Genossen der GIK, wenn sie gerade heute die Bewusstseinsentwicklung innerhalb der Arbeiterklasse in dieser Frage zu stärken versuchen, die auch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks nichts an Aktualität verloren hat: Kürzlich veranstalteten Bush und Chavez ihre Propaganda-Tourneen durch Lateinamerika, jeder mit der Absicht, ihre imperialistischen Bündnisse zu schmieden. Dass die Bush-Regierung nicht auf der Seite der Arbeiterklasse steht, muss wohl kaum ausgeführt werden. Um die venezolanische Chavez-Regierung herrscht jedoch eine weit verbreitete Konfusion, da sie sich "antiimperialistisch" schimpft und sich vor allem eines bestehenden "Selbstverwaltungs-Sozialismus" brüstet. Wir selbst haben in mehreren Artikeln die verstärkte Ausbeutung der Arbeiterklasse in Venezuela unter Chavez beschrieben (siehe auch in dieser Ausgabe den Artikel "Wiederwahl von Chavez in Venezuela: Die Verschärfung der Armut im Namen des 'Sozialismus'"):

    Das Programm der GIK antwortet darauf auch, und ganz grundsätzlich, indem es jede Möglichkeit eines "Sozialismus in einem Lande" und den linkskapitalistischen Mythos von Inseln der "Arbeiterselbstverwaltung" denunziert.

    …und eine historisch-materialistische Angehensweise?

    Der aufmerksame Leser dieses Grundlagentextes stellt in vielen Passagen fest, dass im Laufe der Geschichte des Kapitalismus, genauer: um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert eine einschneidende Veränderung stattfand. Um dem Leser einen lebendigen Einblick in die Positionen der GIK dazu zu ermöglichen, seien hier einige ausführliche Zitate erlaubt:

    - "Im 19. Jahrhundert war der Kapitalismus noch ein fortschrittliches System (…) Seit die Feudalgesellschaft und die feudalen Monarchien abgeschafft und die kapitalistische Produktionsweise als weltweites System hergestellt ist und auch die sozialistische Revolution objektiv möglich ist, ist der Kapitalismus aber ein reaktionäres, weil zu überwindendes Gesellschaftssystem. (…) Alle Kräfte der Bourgeoisie - auch die so genannten demokratischen, fortschrittlichen - verteidigen ein niedergehendes System, das keine Perspektive mehr bietet." (Punkt 11)

    - "Waren die Wirtschaftskrisen im 19. Jahrhundert noch relativ kurz und auf eine Branche oder eine Nation beschränkt, so sind die Wirtschaftskrisen im 20. Jahrhundert global und umfassen tendenziell alle Branchen." (Punkt 21)

    - "Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts hat der Kapitalismus zwei Weltkriege mit Dutzenden Millionen von Toten, einer Kette von Massakern und der totalen Zerstörung ganzer Länder hervorgebracht." (Punkt 3)

    - "Die Abschaffung des Kapitalismus durch die sozialistische Revolution ist seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts möglich." (Punkt 10)

    - "Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die Rolle des Staates in Wirtschaft und Gesellschaft enorm verstärkt, es gab eine Tendenz zum Staatskapitalismus (…)." (Punkt 61)

    Und dies hat laut den Genossen der GIK direkte Auswirkungen auf den Kampf der Arbeiterklasse:

    - "Die Rolle der Gewerkschaften hat sich gegenüber ihrer Entstehungszeit im 19. Jahrhundert stark verändert." (Punkt 37)

    - "Dies führte dazu, dass die Gewerkschaften gerade im Zuge des Anwachsens ihrer Machtstellung am Beginn des 20. Jahrhunderts aufhörten, wirklich für die Interessen der Arbeiter zu kämpfen, sie wurden im Gegenteil zu einer der wichtigsten Ordnungsfaktoren und Stützen des Kapitalismus." (Punkt 38)

    - "Auch die Benützung der Parlamente als Tribüne für revolutionäre Propaganda, wie dies die Dritte Internationale mit der von Lenin forcierten Taktik des ‚revolutionären Parlamentarismu' vorsah, ist obsolet. Eine solche Politik hat in der Vergangenheit (in den Zwanzigerjahren) nur die Degeneration der revolutionären kommunistischen Parteien, ihr opportunistisches Abrücken vom revolutionären Programm und ihre allmähliche Umwandlung in Wahlparteien begünstigt." (Punkt 29)

    Wir, die IKS, können auch diese Feststellungen nur begrüssen. Die GIK geht in ihrem Text klar ersichtlich davon aus, dass der kapitalistischen Produktionsweise erst eine "fortschrittliche" Rolle zukam, um die objektiven Voraussetzungen für den Kommunismus auf internationaler Ebene im Schosse ihres Systems auszubrüten. Damit ist die Entwicklung der Produktivkräfte und das Entstehen der Arbeiterklasse gemeint, welche allein fähig ist, die Menschheit in der Geschichte einen Schritt weiter zu führen. Die Genossen beschreiben den Charakter des Kapitalismus seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch als ein, im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, nun "niedergehendes System". Die GIK verwirft hier richtigerweise jeglichen Idealismus, demzufolge eine proletarische Revolution schon immer möglich gewesen sei. Andererseits beschreibt sie treffend den grundsätzlichen Wandel im Charakter des Kapitalismus. Diese Methode zieht sich, mit ein wenig Abstand betrachtet, wie ein roter Faden durch den gesamten Text.   

    Auch die IKS hat ein Programm. Unsere PLATTFORM hat gleichermassen den Anspruch, eine Übersicht über unsere grundlegenden Positionen zu bieten. Wir haben darin derselben Feststellung, wie sie die GIK mehrfach in ihrem Programm über den Wandel des historischen Charakters des Kapitalismus macht, zu Beginn einen separaten Punkt mit dem Titel "Die Dekadenz des Kapitalismus" gewidmet. Dies ganz bewusst. Darin schreiben wir: "Damit die proletarische Revolution von der Stufe des einfachen Wunsches oder der einfachen Möglichkeit und historischen Perspektive zur Stufe der konkreten Möglichkeit übergeht, muss sie zu einer objektiven Notwendigkeit für die Entwicklung der Menschheit geworden sein. Diese historische Lage ist seit dem Ersten Weltkrieg eingetreten: der Erste Weltkrieg kennzeichnet das Ende der aufsteigenden Phase der kapitalistischen Produktionsweise, die im 16. Jahrhundert begonnen hatte, um ihren Höhepunkt gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu erreichen. Die seitdem angebrochene Phase ist die der Dekadenz des Kapitalismus." Als wir vor über 30 Jahren unsere Plattform verfassten, schenkten wir gerade diesem Punkt besonderes Gewicht. Nicht nur, um sozusagen das Kind beim Namen zu nennen, sondern weil dieser Eintritt des Kapitalismus in seine niedergehende Phase bedeutende Veränderungen mit sich brachte. Bei der Verteidigung dieser historisch-materialistischen Angehensweise - die darlegt, weshalb die Überwindung des Kapitalismus seit einem Jahrhundert objektiv möglich und notwendig geworden ist und nicht etwa vom reinen Willen abhängt - sind wir in der Vergangenheit von verschiedener Seite als "idealistisch" kritisiert worden. Meist in offensichtlicher Blindheit der Kritiker darüber, dass diese Methode ja exakt die Verwerfung des Idealismus beinhaltet. Wir wollen hier den Genossen der GIK keinesfalls ungewollt die Mütze überstreifen, die Position der IKS über die Dekadenz des Kapitalismus zu vertreten. Doch wie dem auch sei und Hand aufs Herz: All die zitierten Stellen aus ihrem Programm haben uns davon überzeugt, dass die Methode der GIK und unsere nicht meilenweit voneinander entfernt sind.

    Es sind die wertvollen politischen Konsequenzen aus der Erkenntnis über die niedergehende Epoche des Kapitalismus, welche die GIK für den praktischen Kampf der Arbeiterklasse verteidigt. So lehnen die Genossen, gleichfalls wie die IKS, jegliche Illusionen in die Gewerkschaften ab, einschliesslich der so genannten radikalen Basisgewerkschaften. Es ist unmöglich geworden, in der staatskapitalistischen Gesellschaft permanente Massenorganisationen der Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten, da diese schnell in den Staatsapparat integriert werden. Wenn heute angesichts der Entlassungen bei Airbus auf internationaler Ebene sofort die Gewerkschaften auf den Plan treten und unter anderem  versuchen, eine falsche "europäische Solidarität" unter den Airbus-Arbeitern in Konkurrenz zu den amerikanischen Arbeitern von Boeing zu schüren, dann liegt dies nicht, wie die GIK richtig schreibt, bei "den falschen Führungen der Gewerkschaften", sondern darin, dass die Gewerkschaften unwiederbringlich "zu einer der wichtigsten Ordnungsfaktoren und Stützen des Kapitalismus" geworden sind.

    Eine einheitliche Weltpartei

    Dass die GIK im letzten Sommer ein neues Programm erarbeitet hat, ist an sich schon Ausdruck dafür, ihre spezifische Rolle als revolutionäre Gruppe innerhalb der Arbeiterklasse ernst zu nehmen: sich nicht verbergen, sondern klar und offen ihre politischen Positionen der gesamten Arbeiterklasse zugänglich machen. Seit Beginn der Arbeiterbewegung haben ihre politischen Organisationen nicht nur eine direkte politische Aktivität in ihrer eigenen Klasse entfaltet, sondern auch aufs tiefste über die Art und Weise ihrer eigenen Organisationsformen nachgedacht. Oft nahmen solche Debatten eine zentrale Rolle ein. Dazu schreibt die GIK heute: "Es ist aber die Aufgabe der heutigen zersplitterten kommunistischen Organisationen, in der Zukunft eine einheitliche kommunistische Weltpartei zu bilden (…) Im Gegensatz zur Kommunistischen Internationale von 1919, die einen internationalen Bund nationaler Parteien darstellte, muss die Weltpartei von morgen von vorneherein als einheitlich internationale Partei gegründet werden, um in ihrem Innern jede nationale Gegensätzlichkeit bzw. den Einfluss von Sonderinteressen zu vermeiden." (Punkt 47+48). Und ganz zu Ende unter dem Kapitel "Unsere Praxis": "Die Gruppe Internationalistische Kommunisten (GIK) organisiert sich von Anfang an als internationale Gruppe in Deutschland und Österreich." Und sie setzen sich als Ziel "eine solidarische Debatte mit Gruppen und Einzelpersonen der kommunistischen Linken im internationalen Rahmen zu führen, mit dem Ziel einer Verständigung und Vereinheitlichung und der Bildung einer kommunistischen Weltpartei." Auch darin können wir den Genossen nur zustimmen. Eine der grössten Schwierigkeiten im Lager der revolutionären Organisationen seit dem Scheitern des Versuchs, den Kapitalismus nach dem Ersten Weltkrieg aus den Angeln zu heben, war der Verlust einer lebendigen Debatte. Engstirnige Rückzüge aufgrund der erdrückenden Schwäche der Arbeiterbewegung haben dies über Jahre hinweg immer wieder behindert. Dasselbe gilt für veraltete, föderalistische Auffassungen über die Frage der Organisation, welche vorsehen, in jedem Lande erst eine separate Organisation aufzubauen, die es dann am Sankt Nimmerleinstag zusammenzufügen gilt. Die GIK beschreibt eine andere Methode, die der Offenheit für die Debatte und des Versuchs, eine internationale Organisation aufzubauen.      Weltrevolution

    Adresse der GIK:  Postfach    96, A 6845 Hohenems, Österreich

    Der Operaismus: Eine ökonomistische und soziologische Betrachtungsweise des Proletariats (1)

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    In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ist es zu einer gewissen Renaissance des Operaismus gekommen. Dabei erwies sich der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 gewissermaßen als Startschuss seiner Wiederauferstehung. Verunsichert durch die "new economy" der neunziger Jahre und durch die Ausbreitung des neuen "Prekariats", aber auch und besonders durch das Ausbleiben einer entsprechenden massiven Reaktion der Arbeiterklasse, erfreuen sich seitdem operaistische Theorien und Methoden wieder wachsender Beliebtheit unter jenen, die sich nicht mehr mit den alten Erklärungsmustern der "Linken" zufriedengeben wollen. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff "Operaismus"? Wie und wo kann man ihn einordnen? Ist er eine adäquate Antwort auf die derzeitigen Schwierigkeiten der Arbeiterklasse?

    Wir wollen in folgender Artikelreihe versuchen, den Operaismus auch unter Zuhilfenahme des 2002  erschienenen Buches "Den Himmel stürmen - Eine Theoriegeschichte des Operaismus" von Steve Wright zu entschlüsseln. Alle Zitate in diesem Artikel sind, wenn nicht anders angegeben, diesem Buch entnommen.

    Die beiden Geburtsfehler des Operaismus

    Der klassische Operaismus ist als historische Strömung Anfang der 1960er Jahre in Italien entstanden. Sein Ursprung geht auf eine Strömung von linken Intellektuellen zurück, die sich Ende der fünfziger Jahre innerhalb der PCI (Kommunistische Partei Italiens) und PSI (Sozialistische Partei Italiens) in Opposition zum stalinistischen Leitmodell, aber auch zur Sozialdemokratisierung ihrer Parteiführungen gebildet hatte und nach einem "dritten Weg" zwischen dem "Realsozialismus" des Ostblocks und dem westlichen Kapitalismus suchte. An ihrer Spitze stand Raniero Panzieri, ehemaliges Mitglied des PSI-Zentralkomitees, dessen Hauptanliegen die Neudefinierung des Verhältnisses zwischen Partei und Klasse war und der im Gegensatz zur bürgerlichen Linken für eine Emanzipation der Arbeiterklasse von der Partei plädierte. Von ihm übernahm der Operaismus das ehrliche Bemühen um die vielzitierte Autonomie der Klasse gegenüber allen substitutionistischen Versuchungen und das Bestreben, den Marxismus aus dem ‚orthodoxen' Korsett des Stalinismus zu befreien.

    Die ersten Gehversuche des Operaismus fanden unter dem Eindruck gewaltiger Umgestaltungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich der italienischen Gesellschaft statt. Ähnlich wie im Rest Westeuropas boomte auch die italienische Wirtschaft, was sich unter anderem darin ausdrückte, dass Heerscharen von jungen Angehörigen aus der bäuerlichen Klasse Süditaliens in die wachsende Produktion im Norden des Landes geworfen und somit proletarisiert wurden.

    Es ist nur vor dem Hintergrund des "Wirtschaftswunders", das auch in Italien stattgefunden hatte, zu verstehen, dass sich in den fünfziger und sechziger Jahren eine Denkschule bildete, die davon ausging, dass der Kapitalismus seine historische Krise, die ihn zweimal in ein weltweites Inferno gestürzt hatte, überwunden habe. Pionier dieser Denkrichtung war die Gruppe Socialisme ou Barbarie, die sich in Reaktion auf die Degenerierung des Trotzkismus im II. Weltkrieg von selbigem löste und u.a. die Theorie vertrat, dass nicht mehr die Wirtschaftskrise Auslöser des revolutionären Klassenkampfes sei, sondern der Kampf zwischen Befehlsgebern und -empfängern. Ähnlich dachten unter anderem die aus Socialisme ou Barbarie hervorgegangene Gruppe Solidarity, aber auch die viel früher entstandene sog. Frankfurter Schule, die nicht nur die historische Krise des Kapitalismus überwunden glaubten, sondern auch der angeblich "verbürgerlichten" Arbeiterklasse in den Industrieländern jeglichen revolutionären Charakter absprachen. Diese und viele andere modernistische Strömungen zu jener Zeit meinten Marx widerlegt und das neue revolutionäre Subjekt im entrechteten Kleinbauern Lateinamerikas, im diskriminierten Schwarzen Nordamerikas, im Studenten oder gar im Kleinkriminellen hierzulande gefunden zu haben.

    Der Operaismus, selbst eine von Socialisme ou Barbarie beeinflusste Strömung, meinte zwar an Marx festhalten zu müssen, ging aber faktisch von derselben Prämisse aus: Der Begriff "Wirtschaftskrise" kommt in seinen verschiedenen Theorien so gut wie gar nicht vor. Schon gar nicht nimmt er Notiz von der historischen Krise des Systems, von der Dekadenz des Kapitalismus, die nach marxistischem Verständnis erst die Perspektive des revolutionären Klassenkampfes konkret eröffnet.

    Der zweite Geburtsfehler des Operaismus liegt in seiner Haltung gegenüber der Frage der Politik begründet. Selbst angewidert von der Politik der KP, SP und der Gewerkschaften, war der klassische Operaismus in gewisser Hinsicht eine Antwort auf das damals weit verbreitete Misstrauen innerhalb der Arbeiterklasse gegenüber allem, was über den Tageskampf hinausging. Anders als die Agitatoren der linksextremistischen Organisationen, deren besserwisserisches Treiben das Misstrauen der Arbeiter hervorrief, gelang es den Operaisten in ihren Hoch-Zeiten, in etlichen Betrieben Italiens Fuß zu fassen, indem sie die Politik außen vor ließen und stattdessen den Arbeitern u.a. mittels Fragebögen Gehör schenkten. In diesem Sinne haben sie sich der politik-feindlichen Stimmung innerhalb der Klasse angepasst. Der Operaismus war die Theoretisierung dieser Reaktion, denn er betrachtete den Klassenkampf nicht als einen politischen, sondern als einen rein ökonomischen Kampf, der nur in den Betrieben stattfindet.

    Trotz dieser Geburtsfehler und ungeachtet der linksbürgerlichen Herkunft vieler seiner Vordenker ist es abwegig, den Operaismus als dem linksbürgerlichen Spektrum zugehörig zu betrachten. Anders als die Stalinisten jeglicher Couleur hat er den Ostblock nie unterstützt; entgegen den Modernisten hat er im Großen und Ganzen am Klassenbegriff, an der Tatsache des Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit festgehalten. Und trotz seiner unklaren Haltung zu den Gewerkschaften ist er insofern für die Selbstorganisation der Arbeiter eingetreten, als er die wilden Streiks der italienischen Arbeiterklasse Anfang der siebziger Jahre einhellig unterstützte. Aber vor allem: nie hat er die Arbeiterklasse zur Teilnahme am Krieg aufgerufen und damit jenen Sündenfall begangen, den sich sämtliche linkskapitalistischen Gruppierungen, von den Sozialdemokraten bzw. Sozialisten über die KP's bis hin zu den Trotzkisten, Maoisten etc., schuldig gemacht hatten.

    Doch es wäre gleichfalls töricht, all die Ungereimtheiten und Konfusionen zu verschweigen, die es unserer Auffassung nach in der operaistischen Weltanschauung gibt. Beide Geburtsfehler des Operaismus - die Leugnung der Wirtschaftskrise und der politischen Dimension des Klassenkampfes - führten zu erheblichen Fehleinschätzungen der Arbeiterklasse bzw. ihres Kampfes gegen den Kapitalismus sowie der Rolle der kapitalistischen Linken.

    Es wäre vermessen, in diesem Artikel alle Aspekte des Operaismus zu behandeln. Zumal Letzterer sich durch eine große Heterogenität in seinen Reihen auszeichnet. Da gibt es den Operaismus der sechziger Jahre, der eine Vorliebe für den "Massenarbeiter", sprich: Fabrikarbeiter, hatte, und da gibt es den Operaismus Toni Negris, der, enttäuscht über das Scheitern der "Fabrikkämpfe" in den siebziger Jahren, sich dem so genannten gesellschaftlichen Arbeiter zuwandte, d.h. all jenen Beschäftigten, die nicht in der unmittelbaren Produktionssphäre tätig sind. Die einen unterstützten (zumindest anfangs) den Terrorismus der Roten Brigaden als bewaffnete Vorhut der Arbeiterkämpfe, die anderen lehnten jegliche Zusammenarbeit mit ihnen ab. Ja, vereinzelte Stimmen innerhalb des operaistischen Milieus äußerten sich sogar skeptisch gegenüber den Säulen des Operaismus, wie die rein soziologische Herangehensweise.

    Die Klassenzusammensetzung als Dreh-und Angelpunkt des Operaismus

    Bei aller Vielfalt der operaistischen Strömungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es natürlich auch Gemeinsamkeiten, die in ausgeprägter oder abgeschwächter Form jeder operaistischen Denkart zu eigen sind - die Theorie der Klassenzusammensetzung und der "Umkehrung des Primatverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit". Diese Theorie ist zwar im Verlaufe der Entwicklung des Operaismus unterschiedlich interpretiert worden, doch in ihrem Kern unangetastet geblieben.

    Es war Mario Tronti, einer der Vordenker des Operaismus, der eine ganz wesentliche Säule in der operaistischen Konzeption formulierte: "Auch wir haben erst die kapitalistische Entwicklung gesehen und dann die Arbeiterkämpfe. Das ist ein Irrtum. Man muss das Problem umdrehen (und) wieder vom Prinzip ausgehen: und das Prinzip ist der proletarische Klassenkampf." Soll heißen: Die Arbeiterklasse gibt jederzeit den Takt der Gesellschaft vor, bestimmt die Politik von Kapital und Staat - es herrscht stets das Primat des Klassenkampfes. Krisen, imperialistische Rivalitäten und andere Faktoren spielen keine Rolle in diesem Konzept. Das Mantra des Operaismus lautet schlicht und einfach: "Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen" - der berühmte Satz aus dem Kommunistischen Manifest.

    Diese Auffassung - die Reduzierung des täglichen Lebens der bürgerlichen Gesellschaft auf die soziale Frage - ist nicht neu in der Arbeiterbewegung und keineswegs eine Besonderheit des Operaismus. So gab es in der Italienischen Kommunistischen Linken in den dreißiger Jahren die Neigung, im Krieg eine Verschwörung der Weltbourgeoisie gegen den angeblich anschwellenden Klassenkampf der Arbeiter zu sehen. Die Operaisten ihrerseits nun witterten hinter jeglichen Umstrukturierungen in der Industrie, hinter allen technologischen Neuerungen in den Produktionsabläufen einen bewusst inszenierten Anschlag des Kapitals auf die Kampfkraft der Arbeiter. Raniero Panzieri kritisierte in diesem Zusammenhang die "Linke", dass sie "nicht den leisesten Verdacht hegt, dass der Kapitalismus die neue ‚technische Basis', die der Übergang zum Stadium der fortgeschrittenen Mechanisierung (und der Automatisierung) ermöglicht hat, dazu ausnutzen könnte, um die autoritäre Struktur der Fabrikorganisation zu verewigen und zu konsolidieren...". Ob die Einführung des Fordismus und Taylorismus im Nachkriegsitalien, die die starke Stellung des Facharbeiters untergraben habe, die Dezentralisierung der Großindustrie in Kleinbetriebe als Antwort auf den Heißen Herbst 1969 oder die Modernisierung der Betriebsabläufe durch die Computertechnologie - überall betonen die Operaisten die politische Absicht des Managements, die Arbeiterklasse zu zersplittern und ihre Stellung im Produktionsprozess zu untergraben.

    Es ist sicherlich völlig richtig, den Klassenkampf als Motor der menschlichen Geschichte zu bezeichnen. In der Tat drückt das tägliche Ringen mit ihrem proletarischen Gegner dem Denken und Handeln der Bourgeoisie unübersehbar seinen Stempel auf.

    Doch heißt dies, dass die Schwächung der Arbeiterklasse das einzige Kriterium bei der "Neuzusammensetzung" der Arbeiterklasse, bei den Umstrukturierungen im Produktionsapparat ist? War die Einführung einer neuen Arbeitsorganisation in der italienischen Großindustrie in der Nachkriegszeit, die Einbeziehung neuer, unerfahrener Arbeiterschichten aus dem Süden Italiens in den sechziger Jahren und das Ausgliedern von Unternehmensteilen in den siebziger Jahren allein der Absicht geschuldet, den Arbeitern über die erhöhte Ausbeutungsrate hinaus auch politisch zu schädigen?

    Schauen wir etwas weiter zurück. Mit Blick auf die erste Maschinisierungswelle der Industrie Anfang des 19. Jahrhunderts stellte Karl Marx fest: "Seit 1825 ist die Erfindung und Anwendung der Maschinen nur das Resultat des Krieges zwischen Unternehmern und Arbeitern. Und auch das gilt nur für England. Die europäischen Nationen sind zur Anwendung der Maschinen durch die Konkurrenz gezwungen worden, die die Engländer ihnen sowohl auf dem inneren Markt als auch auf dem Weltmarkt machten. In Nordamerika schließlich war die Einführung der Maschinen die Folge sowohl der Konkurrenz mit den anderen Völkern als auch des Mangels an Arbeitskräften, d.h. des Missverhältnisses zwischen der Bevölkerungszahl und den industriellen Bedürfnissen Nordamerikas." (1) In wenigen Sätzen zählte Marx neben dem, was er den "Krieg zwischen Unternehmer und Arbeiter" nennt, gleich zwei weitere Motive des Kapitals bei der Maschinisierung auf: die Konkurrenz und den Arbeitskräftemangel. Wir möchten an dieser Stelle noch auf ein drittes Motiv für betriebliche Umstrukturierungen hinweisen, das, wie wir bereits an anderer Stelle gezeigt haben, dem Operaismus gänzlich unbekannt zu sein scheint, das aber gerade in den letzten Jahrzehnten brandaktuell geworden ist: die Weltwirtschaftskrise, die nun schon seit fast 40 Jahren mit immer größerer Intensität wütet und die jeden Kapitalisten dazu zwingt, unablässig die organische Zusammensetzung seines Kapitals zuungunsten des lebendigen Kapitals, sprich: der Arbeitskraft, zu modifizieren.

    Die Tatsache, dass das Kapital neue Technologien prinzipiell auch als Mittel zur Unterminierung der Stellung bestimmter Bereiche der Arbeiterklasse einsetzt, ist nichts Neues für Marxisten. Was den Operaismus jedoch gegenüber allen anderen Strömungen auszeichnet, das ist seine eindimensionale Sichtweise der Veränderungen im kapitalistischen Produktionsapparat. Eine Sichtweise, die geradezu versessen darauf ist, jeden Schritt, jede Handlung, jeden Mucks der Bourgeoisie als Ranküne gegen die Arbeiterklasse zu entlarven. Erst spät äußerten sich kritische Stimmen innerhalb des Operaismus-freundlichen Lagers gegenüber dieser Fixierung - wie die von Gisela Bock, Verfasserin des Buches "Die ‚andere' Arbeiterbewegung in den USA", die "die Theorie der Neuzusammensetzung nicht im Sinne einer bloßen Aneinanderreihung von Herrschafts- und Spaltungsmanövern" verwendete und nicht mehr bereit war, "ihr im Sinne der so genannten Massenarbeiterthese eine teleologische Funktion zuzuschreiben" (2).

    Fortsetzung folgt

    Fußnoten:

    (1) Marx, Brief an P.W. Annenkow, MEW Bd. 4, S. 551).

    (2) Zitat von Rexroth; aus: "Den Himmel stürmen".

    Politische Strömungen und Verweise: 

    • Operaismus [10]

    Ein Jahr danach: Kämpfe der Studenten in Frankreich - Eindrücke und Erfahrungen von Sympathisanten der IKS zu einer Diskussio

    • 2021 Aufrufe

    Im Mai 2006 hatten wir die Möglichkeit, an einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung der IKS in Paris teilzunehmen. Es ging in dieser Diskussion um die Studentenbewegung im Frühjahr. Dieser Besuch hat uns sehr beeindruckt, und da uns in diesem Zusammenhang verschiedene Fragen zugegangen sind, haben wir uns entschieden, über diese Diskussion und unsere Eindrücke zu berichten.

    Fragen über den Grund unserer Reise:

    Ihr seid nicht aus einem Krawalltourismus heraus nach Frankreich gefahren.

    Was waren die Beweggründe für Eure Reise? Was wolltet Ihr vor Ort?

    *Ich habe als Sympathisantin der IKS nach einer öffentlichen Veranstaltung in Deutschland zum gleichen Thema spontan den Entschluss gefasst, nach Paris zu fahren und war das erste Mal dort. Ich war sehr dankbar für die Berichterstattung der IKS über die Ereignisse in Paris, da die Informationen der bürgerlichen Medien nur sehr unzureichend und verfälscht erfolgen und meinerseits keinerlei Vertrauen in deren Wahrheitsgehalt besteht. Ich war sehr begeistert von dem, was die StudentInnen in Gang gebracht haben. Ich wollte jedoch vor Ort persönlich dieses Gefühl erleben, mit welcher Energie und Ernsthaftigkeit die StudentInnen und ArbeiterInnen in der Bewegung standen. Ich war wirklich berührt von dem, was ich gehört und gesehen habe, es gab und gibt mir den Optimismus und das Wissen, dass die Arbeiterklasse nicht tot ist. Außerdem war es unser persönliches Anliegen, den StudentInnen, SchülerInnen und ArbeiterInnen unsere internationalistische Haltung zu zeigen und unsere uneingeschränkte Solidarität zu versichern. Wir appellierten an sie, den aufgenommenen Weg nicht zu verlassen, sich weiter gemeinsam zu treffen, weiter zu diskutieren und weiter zu kämpfen.

    *Wir wollten die Situation vor Ort kennen und einschätzen lernen. Wir wollten hören, was die StudentInnen und GenossInnen berichten, die an den Kämpfen teilgenommen haben. Wir konnten wieder einmal feststellen, wie wichtig Debatten untereinander sind. Weil wir mit unserer politischen Überzeugung in unserem Alltag so oft isoliert sind und stets gegen den Strom schwimmen müssen, hat uns in Paris ganz besonders beeindruckt, eine Atmosphäre zu erleben, wo so viele ArbeiterInnen und StudentInnen zusammen kommen und lebhaft diskutieren.

    Wie wurdet Ihr aufgenommen? Auf welche Stimmung seid Ihr getroffen?

    *Wir sind herzlich aufgenommen worden, die GenossInnen haben sich große Mühe gemacht und uns die ganze Diskussion übersetzt. Es wurde auch von den TeilnehmerInnen begrüßt, dass wir in Deutschland verfolgen, was in Frankreich in der Arbeiterklasse passiert und dass wir durch unseren Besuch unsere Solidarität zum Ausdruck bringen.

    *Ich kann den herzlichen Empfang durch die GenossInnen nur bestätigen. Wir wurden als gleichberechtigte Teilnehmerinnen dazu eingeladen und aufgefordert, rege und offen mitzudiskutieren. Das Bemühen und Interesse der GenossInnen, uns die Diskussionsinhalte durch Übersetzung möglichst genau rüberzubringen, war für uns sehr hilfreich und angenehm und untermauerte gleichzeitig den solidarischen Charakter der Debatte.

    Anstatt einer von Euphorie und Siegestaumel geprägten Stimmung erlebten wir eine ernsthafte, sachliche Veranstaltung, in der alle Beteiligten um eine klare Analyse der Ereignisse bemüht waren. Die Diskussion gestaltete sich sehr lebendig unter Einhaltung und Respekt des Diskussionsstils der IKS. Jede/r TeilnehmerIn, welche/r sprechen wollte, kam zu Wort. Jeder Beitrag wurde ernst genommen und alle hatten die Möglichkeit, Fragen zu stellen und aktiv daran mitzuwirken, aufkommende Fragen gründlich zu beantworten.

    Fragen über die Bewegung selbst:

     

    War die Bewegung der StudentInnen spontan oder durch irgendwelche Organisationen (Studentenorganisationen oder Gewerkschaften) ins Leben gerufen worden? Was wollte man erreichen und was hat man erreicht?

    *Die Bewegung der StudentInnen war  spontan. Die StudentInnen haben sich gegen den Gesetzentwurf (CPE), welcher grundlose, fristlose Entlassungen junger ArbeiterInnen unter 26 Jahren ermöglicht, gewehrt. Sie haben in ihrem Kampf spezifische studentische Forderungen hinten angestellt und haben dem Angriff der Bourgeoisie, der gegen die gesamte Klasse gerichtet war, den Kampf angesagt. So konnten sie die Solidarität der ganzen Klasse gewinnen und die ArbeiterInnen davon überzeugen, mit ihnen zusammen zu kämpfen. Was die ArbeiterInnen in Frankreich dann auch taten. Sie nahmen zu Hunderttausenden an den Demonstrationen am 18. und 19. März teil. Der proletarische Teil der StudentInnen stellte eine neue unerschrockene Generation der Arbeiterklasse dar. Die Staatsmacht konnte sie nicht in Angst und Schrecken versetzen. Gerade hier ist das Geheimnis für den Erfolg dieses Kampfes. Die StudentInnen haben sich als einen Teil der Klasse verstanden, da sie ja schon oft während des Studiums als Proletarier gearbeitet haben und so wissen, welche Zukunft auf sie wartet. Sie haben ein tiefes Bewusstsein darüber, dass sie dem Proletariat angehören werden. Es ist eine Solidarität und eine Einheit der Klasse zum Ausdruck gekommen, die die Bourgeoisie zum Nachgeben gezwungen hat. Der Gesetzentwurf wurde am 10. April zurückgenommen.

    Welche Solidarität und Unterstützung kam von den ArbeiterInnen in den Betrieben?

    *Es wurde berichtet, dass die Bewegung eine breite Unterstützung durch die ArbeiterInnen erfuhr. Wie durch das Referat der IKS schon dargestellt, bestätigten auch andere TeilnehmerInnen, dass sich die ArbeiterInnen in Demonstrationen und Streiks spontan der Bewegung angeschlossen haben. Sie haben auf Initiative und Einladung der StudentInnen an deren Vollversammlungen teilgenommen, haben sich durch Diskussionsbeiträge inhaltlich mit eingebracht und offen ihre Solidarität mit den StudentInnen bekundet. Sie haben damit dazu beigetragen, dass sich die Bewegung zu einem gemeinsamen proletarischen Abwehrkampf entwickelte, gegen die sich ständig verschlechternden Arbeits- und Lebensbedingungen, die ihnen das kapitalistische System bietet. Allerdings sei es für die StudentInnen mitunter schwer gewesen, als einzelne Personen zu den ArbeiterInnen in die Fabrik zu gehen. Hier wurde von den TeilnehmerInnen eingebracht, dass es für zukünftige Bewegungen wichtig sei, dass massive Delegationen in die Fabriken gehen müssten, um dort geschlossen ihre Positionen und Meinungen zu vertreten, ohne sich dabei von den Ratschlägen der Gewerkschaften leiten zu lassen.

    Wie war das Verhältnis zu den Älteren, Nichtstudierenden? Wurden ihre Kampferfahrungen aufgegriffen und schöpferisch angewandt?

    *Die Vollversammlungen der StudentInnen wurden den verschiedenen Schichten der Arbeiterklasse und der Bevölkerung geöffnet (ArbeiterInnen, Rentnern, Eltern, Großeltern, Arbeitslosen). Alle wurden aufgefordert und ermuntert zu reden, Vorschläge zu machen und ihre Kampferfahrungen einzubringen. Die junge Generation hörte mit Aufmerksamkeit und großem Interesse zu. Dieser Austausch und Umgang stellte spontan eine solidarische Verbindung zwischen den Generationen von Kämpfenden her.

    Warum geschah dies in Frankreich?  Wurden die Kämpfe in Frankreich in einen Zusammenhang gesetzt mit der international zunehmenden Bereitschaft der Arbeiterklasse, den Kampf gegen die Verschärfung der Krise aufzunehmen?

    *Die Bourgeoisie ist weltweit bemüht, die Bedeutung dieser Bewegung herunterzuspielen und erklärt sie als etwas Besonderes für Frankreich. Dass die französische Bourgeoisie nicht gerade taktisch klug vorgegangen ist, als sie versucht hat, mit allen Mitteln dieses Gesetz durchzuboxen, mag zu einem Teil zu diesen Ereignissen beigetragen haben. Aber das Wichtigste ist doch, dass diese Bewegung nichts Spezielles für Frankreich ist, sondern ein Ausdruck der weltweiten unterirdischen Reifung in der Klasse ist. Durch die Zuspitzung der weltweiten Krise, in der das kapitalistische System seit nunmehr über 30 Jahren steckt, die immer schlimmer werdenden Lebensbedingungen für die Arbeiterklasse, werden die ArbeiterInnen gezwungen, über ihre Lage nachzudenken. Die StudentInnen erkennen, wie ihre berufliche Zukunft aussehen wird, mit immer mehr unsicheren  Arbeitsverhältnissen. Kennzeichnend für die neuen Verteidigungskämpfe der Arbeiterklasse (wie der Kampf der StudentInnen in Frankreich) ist die Solidarität und das Einsehen, dass das, was einen Teil der Klasse betrifft, die ganze Klasse betrifft. Es geht hier nicht nur um StudentInnen in Frankreich. Dieser Kampf reiht sich an eine ganze Kette der Verteidigungskämpfe der ArbeiterInnen, ob es die U-BahnarbeiterInnen in New York oder die ArbeiterInnen am Heathrow Flughafen in London sind. Die Arbeiterklasse ist eine internationale Klasse, deshalb kann ihr Verteidigungskampf keine nationalen Grenzen gebrauchen. Daher ist es nicht so wichtig, in welchem Land diese Kämpfe stattfinden, sondern, dass sie stattfinden und von der Arbeiterklasse geführt werden.

    *Die Kämpfe in Frankreich stehen nicht isoliert. In den USA, England, Deutschland, etc. hat es in der vergangenen Zeit eine Reihe von Kämpfen gegen die zunehmende Krise und ihre Abwälzung auf den Rücken der ArbeiterInnen gegeben. Deshalb wurde die Bewegung in Frankreich ausdrücklich in einen Zusammenhang gesetzt mit der international zunehmenden Bereitschaft der Arbeiterklasse, den Kampf gegen die Verschärfung der Krise aufzunehmen.

    Die GenossInnen betonten, dass die Bewegung höchste Bedeutung für die internationale Arbeiterklasse besitzt, was die Bourgeoisie natürlich herunterspielen will. Dies zeigt neben den genannten Beispielen, dass die Arbeiterklasse bereit ist, den Kampf gegen die Verschärfung der Krise aufzunehmen. Dies bedeutet den Ausdruck der internationalen Solidarität für die folgenden Generationen mit der Message: Man kann kämpfen. Man kann gewinnen. Wer nicht kämpft, kann nicht gewinnen.

    Ist es gelungen, die jungen ArbeiterInnen und Arbeitslosen aus den Vorstädten in die Kämpfe einzubeziehen oder war es eher so, dass man sich von ihnen abgrenzen musste, da Teile von ihnen  mehrfach die Demonstrationen angegriffen haben und es ihnen hauptsächlich um die Auseinandersetzung mit der Staatsmacht ging?

    *Die Jugendlichen aus den Vorstädten sind nach Paris zu den Demos hauptsächlich gekommen, um sich mit der Polizei zu prügeln. Die Gewerkschaften haben sie in den Demos mit Knüppeln in die Hände der Polizei getrieben. Im Unterschied zu den Gewerkschaften haben die StudentInnen große Delegationen in die Vorstädte geschickt, um mit den Jugendlichen zu sprechen und um ihnen zu erklären, dass die StudentInnen nicht irgendwelche studentischen Sonderinteressen verteidigen, sondern allgemeine Forderungen der Arbeiterklasse aufgestellt haben, die auch im Interesse der Jugendlichen der Vorstädte sind. Dabei war es den StudentInnen wichtig, die Jugendlichen von der Sinnlosigkeit der Krawalle zu überzeugen und sich von der Art und Weise dieser Kämpfe abzugrenzen. Das Prinzip der Arbeiterklasse, keine Gewalt gegenüber der eigenen Klasse, haben die StudentInnen damit zum Ausdruck gebracht.  

    Sind die Arbeitslosen dabei, sich zu organisieren?

    *Es gibt keine Arbeitslosenorganisationen. Die Kontrolle über die Arbeitslosen liegt bei den Gewerkschaften. Wenn die Kämpfe der Arbeiterklasse weitergehen, werden die Arbeitslosen miteinbezogen. In der Tat werden die Arbeitslosen ein wichtiger Teil der Kämpfe sein. Sie sind keinem Betrieb verbunden, also können sie so der Spaltung der Klasse entgegen wirken. Da sie ihre Unterstützung direkt vom Staat erhalten, bekommt ihr Existenzkampf direkt einen politischen Charakter. Die Arbeitslosen werden durch ihre eigene Situation, die Perspektivlosigkeit in dem kapitalistischen System, sehr schnell auf die Wurzeln des kapitalistischen Übels stoßen. Der Kampf der Arbeitslosen wird dann eine Radikalisierung, eine weitere Ausdehnung und eine große Dynamik des Klassenkampfes bewirken.

    Wie habt Ihr das Geschlechterverhältnis vor Ort erlebt? War es in diesen Kämpfen von Solidarität, Vertrauen und lebendiger, gegenseitiger Unterstützung oder eher von der bürgerlichen Rollenteilung auch in Fragen des Kampfes geprägt?

    *Die Frauen haben sich aktiv und interessiert an der Diskussion beteiligt. In der Diskussion war weder eine besondere Hervorhebung der Rolle der Frau noch eine Herabsetzung derselben zum Ausdruck gekommen. Die Studentinnen haben sich an der Bewegung beteiligt. Sie haben besonders wichtige Beiträge geleistet, wo es um Überzeugungsarbeit mit Argumenten, Erklärungen, Organisation, Disziplin oder kollektive Reflektion ging. Weil die StudentInnen in den Demos, außer einigen Ausnahmen, trotz Provokationen der Polizei nicht Gewalt anwendeten, wurden die Frauen auch nicht in die Rolle der „Pflasterkleberinnen“  hineingedrängt, was für die Studentenbewegung 1968 noch sehr typisch war. Es waren vor allem die Frauen, die die Polizisten der französischen Bürgerkriegspolizei CSR agitierten und diese ganz schön verunsicherten. Dass die Frauen in diesen Kämpfen eine solch große Rolle spielten, zeugt von der Tiefe der Bewegung.

    *In der Öffentlichen Veranstaltung der IKS habe ich eine ausgeglichene Geschlechterverteilung wahrgenommen, wobei ich beide Geschlechter insgesamt als selbstverständlich gleichberechtigt erlebt habe. Die Diskussion war, wie auch aus den Kämpfen beschrieben, von Solidarität, Vertrauen und lebendiger gegenseitiger Unterstützung geprägt. Ich selbst war besonders davon begeistert, wie ernsthaft, engagiert und aktiv sich gerade auch die Frauen in den Kämpfen und  Diskussionen eingebracht haben.

    Fragen zur Rolle der Gewerkschaften und intervenierender Organisationen vor Ort:

    Wie hat die IKS als revolutionäre Organisation in der Bewegung interveniert? Wie hat sie den Kampf eingeschätzt und unterstützt?

    *Die GenossInnen der IKS waren von Beginn an bei der Bewegung dabei, bei den Demos, auch bei denen, die durch die Gewerkschaft organisiert waren. Sie haben ihre Presse verteilt und intervenierten auf den verschiedenen Diskussionen mit vielen interessierten StudentInnen und ArbeiterInnen. Diese zeigten in immer stärkerem Maße reges Interesse und wirkliche Sympathie mit dieser revolutionären Organisation. Die IKS hatte sich in ihrer Unterstützung zwei wesentliche Aufgaben gestellt. Zunächst ging es darum, die Politik des Schweigens und der Lügen über das Wesen der Diskussionen in den Vollversammlungen zu brechen. Und weiterhin sollte eine genaue Analyse der Bewegung dazu führen, die Hauptlehren aus den wichtigen Erfahrungen für die Perspektiven zukünftiger Kämpfe zu ziehen. Die Methode und die Interventionen der IKS wurden von den Kämpfenden überwiegend sehr positiv auf- und angenommen. Einige TeilnehmerInnen berichteten von ihren Erfahrungen mit anderen Organisationen (z.B. Attac und die bürgerlichen Linken), von denen sie sich während der Bewegung abgewandt haben, weil sie von ihnen enttäuscht worden sind. So seien sie teilweise schockiert gewesen über deren Diskussionsstil und den Umgang miteinander, wo man sich z.B. gegenseitig das Wort abschnitt, Publikationen der IKS z.B. als uninteressant und unwichtig zur Seite legte und ignorierte. So verhinderten diese Organisationen notwendige ernsthafte proletarische Debatten unter den Arbeitern, die nach politischer Klärung suchten.

     

    Was war die Rolle der Gewerkschaften?

     *Die öffentlichen Medien haben versucht es so darzustellen, dass die Gewerkschaften die Bewegung angeführt und kontrolliert hätten. Dies ist ihnen jedoch nicht gelungen, weil die StudentInnen verstanden haben, dass die Gewerkschaften ihre Interessen nicht vertreten.  Zwar gab es Sabotagemanöver z.B. der Studentengewerkschaft UNEF, die versucht hat, die Vollversammlungen abzuriegeln, sie nicht für alle Interessierte zu öffnen und bestimmten Organisationen (vor allem der IKS) das Wort zu verbieten. Dies Vorgehen hat vor allem die in keiner Gewerkschaft organisierten oder keiner politischen Organisation zugehörigen StudentInnen dazu gebracht, entschlossen diese Manöver zu verhindern. So haben die StudentInnen die Organisierung zum größten Teil dort, wo die StudentInnen am fortgeschrittensten waren, selbst in die Hand genommen.

    Zu den Unterschieden zwischen der Studentenbewegung 1968 und 2006:

    Was ist in der Studentenbewegung im Frühjahr 2006 anders als in der Studentenbewegung von 1968?

    *1968 war ein Grund für die Proteste der StudentInnen eine stark autoritäre Atmosphäre in den Universitäten. Im Gegensatz zu früher, wo die Unis noch für eine kleine Minderheit der Gesellschaft, für eine Elite vorgesehen waren, gab es 1968 massenhaft StudentInnen. Die Strukturen und Praktiken in den Unis entsprachen aber noch den alten Zeiten. Am Ende des Studiums hatten die StudentInnen nicht mehr den gleichen gesellschaftlichen Status, wie die vorhergehende Generation von Uniabsolventen. 1968 war erst der Anfang der Weltwirtschaftskrise, es gab nicht so viel Arbeitslosigkeit, das Streiken war leichter. Die StudentInnen hatten 1968 eine kleinbürgerliche romantische Vorstellung von der Revolution. Sie fühlten sich als Revolutionäre und verachteten die Elterngeneration als Angepasste und Unterworfene des Kapitalismus. Die junge Generation lehnte die „Konsumgesellschaft„ ab, es gab Slogans, wie „nie mehr arbeiten“. Die ältere Generation, die für ihre Kinder geschuftet hatte, verstand die Jüngeren nicht mehr. Es gab eine Kluft zwischen den Generationen.

    Heute haben die StudentInnen eine andere Situation, die Weltwirtschaftskrise dauert seit 40 Jahren an, es gibt Massenarbeitslosigkeit, das Streiken ist viel schwieriger als früher. Nach dem  Abschluss droht den StudentInnen Unsicherheit und Arbeitslosigkeit in ganz anderer Dimension als 1968. Oft haben sie schon während des Studiums als Proletarier gearbeitet. Sie wissen, welche Zukunft auf sie wartet, sie haben ein tiefes Bewusstsein darüber, dass sie dem Proletariat angehören werden. Aus diesem Grund ist die Bewegung heute tiefergehender als 1968, die StudentInnen heute fühlen sich nicht zuerst als Revolutionäre, aber sie wissen, dass sie zur gleichen Welt wie die ArbeiterInnen gehören, den gleichen Feind bekämpfen müssen, die Ausbeutung. Deshalb auch heute die Solidarität mit der Arbeiterklasse und die Öffnung gegenüber den älteren Generationen. 1968 gab es eher keine Solidarität zwischen den Generationen und die damaligen StudentInnen hatten oft eine herablassende Haltung gegenüber der Arbeiterklasse. 

    Fragen zur Bedeutung der Bewegung für die Klasse

    Ist der Kapitalismus in Frankreich mehr in die Sackgasse geraten als in Deutschland?

    *Der Kapitalismus ist weltweit in die Sackgasse geraten. Die Industriekernländer sind zwar in der Lage, ihre Probleme teilweise auf die schwächeren Länder abzuschieben, aber die großen Widersprüche des Kapitalismus verschärfen sich ständig und erschüttern auch Länder wie Frankreich und Deutschland. Seit dem I. Weltkrieg hat der Kapitalismus die Stufe in seiner Entwicklung erreicht, dass die Märkte gesättigt sind. Seitdem haben wir die Situation, dass alles, was ein Kapitalist dazu gewinnt, von einem anderen Kapitalisten weggenommen werden muss. Die höchste Stufe dieser todbringenden Konkurrenz sind die imperialistischen Kriege, die heute alle Kriege sind, zwischen den Nationalstaaten. Kein Staat kann sich der Zwangslage der kapitalistischen Konkurrenz entziehen und ist mehr und mehr gezwungen, nur die Gesetze des Marktes gelten zu lassen. Das bedeutet für uns noch mehr Angriffe auf unsere Lebensbedingungen, noch mehr Arbeitslosigkeit, Unsicherheit, Verelendung, Hunger, Kriminalität, Umweltverschmutzung, Katastrophen.

    Welche Rolle spielt die Illusion, dass diese kapitalistische Gesellschaft noch zu reformieren sei, oder weitergehend gefragt: Welche Rolle spielte die Frage der grundlegenden, revolutionären Veränderung der Gesellschaft gerade auf dem Hintergrund einer hauptsächlich sehr jungen und im Kampf unerfahrenen Generation?

    *Viele TeilnehmerInnen, v. a. auch die StudentInnen, erkannten und betonten die Unmöglichkeit von Reformen und damit die Unmöglichkeit, innerhalb des kapitalistischen Systems etwas verändern zu können. Die StudentInnen betonten die Notwendigkeit grundlegender revolutionärer Veränderungen der Gesellschaft. Sie waren jedoch nicht der Illusion verfallen, dass dies in der nahen Zukunft möglich ist. Es gäbe viele Diskussionen über die Zukunft, es war eine Politisierung zu erkennen. Z.B. gab es ein Netz unter den Fakultäten, worüber ein Austausch über das Wissen und die Erfahrung mit Themen, die die menschliche Gesellschaft allgemein betreffen, stattfand. Diese wurden von verschiedenen Altersgruppen besucht. Die StudentInnen und alle anderen TeilnehmerInnen betrachteten es als außerordentlich wichtig, sich für die Lehren des Kampfes zu interessieren und hielten die politischen Diskussionen für sehr bedeutungsvoll. Sie wollten  hierdurch das „Nachdenken“ aufrechterhalten und sich durch neues Wissen und neue Erfahrungen über die gesellschaftlichen Zusammenhänge ein Bewusstsein schaffen, welches den Weg zu einer echten Alternative gegenüber dem menschenverachtenden kapitalistischen System bereitet. Weil sie hier während der Bewegung auch sehr positive Erfahrungen mit der IKS gemacht haben, sollte die Teilnahme an deren Veranstaltungen weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Diskussionen sein.

    Was macht den proletarischen Charakter der Kämpfe aus?

    *Es gibt verschiedene wichtige Aspekte in der Bewegung, die den proletarischen Charakter der Kämpfe verdeutlichen:

    1. Wie schon oben erwähnt, haben die StudentInnen speziell studentische Forderungen aus ihrer Liste gestrichen. Die von ihnen aufgestellte Forderung, die Rücknahme des Gesetzesentwurfs, CPE genannt, betrifft die ganze Arbeiterklasse. Sie wollten nicht nur die Solidarität der gesamten Klasse suchen, sondern versuchen, die Klasse zum Eintritt in den Kampf zu bewegen.

    2. Die StudentInnen haben ihre Kämpfe in Vollversammlungen organisiert. In diesen Vollversammlungen wurde diskutiert, was zu tun ist. Hier wurden die Entscheidungen getroffen. Alle, die eine besondere Aufgabe zu erfüllen hatten, waren den Vollversammlungen gegenüber verantwortlich. Hier liefen die Informationen zusammen. Das Präsidium wurde an manchen Unis jeden Tag neu gewählt, die Versammlungen waren auch anderen Teilen der Klasse offen und es wurde lebendig und aktiv diskutiert. Solche Vollversammlungen sind Vorformen der Arbeiterräte und sie sind das Mittel, mit dem die Arbeiterklasse ihren Kampf kollektiv organisiert und bestimmt.

    3. Die StudentInnen waren bestrebt, das proletarische Prinzip „keine Gewalt innerhalb der Klasse“ anzuwenden. Als die StudentInnen von den Jugendlichen aus den Vorstädten in den Demos angegriffen wurden, verteidigten sie sich zwar, schlugen aber nicht in erster Linie zurück, sondern schickten aus den Vollversammlungen heraus große Delegationen in die Vorstädte, um ihnen zu sagen, dass der Kampf der StudentInnen auch ihr Kampf ist.

    Auch ließen sie sich nicht von der Polizei zur Gewalt provozieren. Wenn die StudentInnen sich hätten provozieren lassen, hätten sie den Kürzeren gezogen. Die Stärke der Arbeiterklasse liegt im Bewusstsein und im Zusammenhalt.

    Ist es so, dass die Kämpfe in Frankreich das Klassenbewusstsein hin zu einer autonomen Kampfführung geschärft haben?

    *Die StudentInnen haben gekämpft, mutig und erfolgreich. Es ist natürlich so, dass die Kämpfe erst mal wieder zurückgehen, aber nicht um zu verschwinden, sondern, um irgendwo anders wieder aufzubrechen. Damit die Erfahrungen von diesen Kämpfen zur Schärfung des Klassenbewusstseins führen können, müssen sie von den Revolutionären und den bewusstesten Teilen der Klasse analysiert und als lebendiger Teil in den Klassenkampf integriert werden. Die proletarischen StudentInnen haben gezeigt, dass man den Klassenkampf in die eigenen Hände nehmen kann.

    *Es wurde in der Diskussion betont, dass die Kämpfe in Frankreich zu bewerten sind als eine Etappe in der Entwicklung des Klassenbewusstseins der Arbeiterklasse, die sich seit 2003 wieder mehr in Bewegung setzt. Die Arbeiterklasse muss erkennen, dass es möglich ist, sich zu bewegen. Die ArbeiterInnen müssen erkennen, dass es sie als Klasse noch gibt. Hierbei darf nicht erwartet werden, dass es schnell geht, man muss die Tiefe erkennen.

    Ist der Kommunismus dabei, sich zu verstärken?

    *Da es nirgendwo in der Welt den Kommunismus gibt, kann er auch nicht dabei sein, sich zu verstärken. Sehr wohl hat es aber Anläufe – der wichtigste am Ende des I. Weltkrieges - in der Welt  gegeben, um ein weltweites menschliches Gesellschaftssystem, den Kommunismus, errichten zu können. Weil diese Anläufe gescheitert sind, sind die Grundlagen, warum es dieses Bestreben gab, nicht aus der Welt. Die grundlegende Änderung der Gesellschaft ist heute notwendiger denn je. Die heutige Welt drängt immer mehr dazu, dass eine wirkliche Welteinheit, eine klassenlose Gesellschaft ohne die kapitalistische Konkurrenz hergestellt wird und dass die Staaten verschwinden. Was man heute sehen kann, ist, dass es eine internationale Klasse gibt, die Arbeiterklasse,  die mit ihrer wachsender Zunahme von Klassenbewusstsein, Solidarität und Einheit in ihren Kämpfen weltweit einen erneuten Anlauf hin zur Revolution nehmen kann.

    Wie geht es weiter?

    Wie geht es weiter, hat diese Bewegung eine Fortsetzung? Welche Perspektiven hat die

    Bewegung?

    *Wenn man die Studentenbewegung in Frankreich als das, was sie war, ein Teil des weltweiten Klassenkampfes des Proletariats, verstanden hat, liegt es ja auf der Hand, dass dieser Kampf weitergeht. Die unterirdische Reifung des Klassenbewusstseins wird weitergehen und bricht erneut irgendwo anders auf, es müssen nicht unbedingt wieder die StudentInnen in Frankreich sein.

    *Die Frage nach den Perspektiven war für die TeilnehmerInnen der Diskussion von großer Bedeutung. Sie haben die Bewegung als eine Etappe der Bewusstseinsreifung des internationalen Proletariats verstanden. Es ist ihnen klar, dass es keine sofortige Revolution geben kann und wird. Vor uns ProletarierInnen steht ein Prozess mit ständigem Auf und Ab und immer wieder Lernen. Es ergibt sich die Notwendigkeit, aus der Bewegung Bilanz zu ziehen und die Lehren heraus zu arbeiten, die zukünftigen Bewegungen noch mehr Reife und  Tiefe geben können. Es muss weiter diskutiert werden, damit Erklärungen dafür gegeben werden können, wohin die Welt heute steuert. Dafür sollte es weiterhin offene Diskussionen für alle Interessierten geben, zu denen auch die politischen Organisationen eingeladen sind, die die Bewegung unterstützt haben. So können die ArbeiterInnen ihren Widerstand gegen die wachsenden Angriffe des Kapitalismus intensivieren und die Überwindung dieses Systems vorbereiten.

    Was waren die wichtigsten Ergebnisse/Erfahrungen der Bewegung? (Zentrale Aussage der ÖV)

    *Ich fand es sehr gut, dass die GenossInnen am Ende der Veranstaltung noch einmal den Inhalt der Diskussion zusammen fassten und die Ergebnisse daraus zusammentrugen.

    Die Diskussionsleitung bedankte sich bei allen TeilnehmerInnen für die rege Beteiligung an der Diskussion, für die eingebrachten Fragen und Beiträge. Es wurde festgestellt, dass die Veranstaltung gefüllt wurde durch ein breites Spektrum an Generationen der Teilnehmenden. Die Reife der Veranstaltung drückte sich neben den Beiträgen auch in dem internationalen Ausmaß der Diskussion aus, denn es beteiligten sich Genossen aus Frankreich, Italien, Belgien, der Niederlande, Deutschland und England. Gleichzeitig demonstrierte sie damit einmal mehr ein ganz wesentliches und wichtiges Element, welches die Bewegung charakterisierte und zum Erfolg führte und welches deshalb auch untrennbar zu den zukünftigen Bewegungen gehören muss -  die internationale Solidarität des Proletariats.

    Weiterhin wurde an die teilnehmenden StudentInnen, ArbeiterInnen und GenossInnen appelliert, dass die Erlebnisse und Berichte über die Bewegung sehr wichtig seien und unbedingt weitergegeben werden müssen und dies über die Diskussionszirkel hinaus, damit die allgemeine Dynamik zukünftiger Bewegungen vorangetrieben wird. Außerdem sei es für alle, die ihren Beitrag in den Arbeiterbewegungen leisten wollen, notwendig, sich der Frage der Organisierung zu stellen. Hier war die Methode und Organisierung der StudentInnen, vor allem die Organisation und Durchführung von Vollversammlungen bewundernswert und beispielhaft.

    Alles in allem zeigt und bestätigt sich die Tiefe der Bewegung, die im Vergleich zur Bewegung von 1968 auch eine wesentlich größere Reife besaß. Die Bewegung selbst zeigt eine unterirdische Bewusstseinsreifung der Arbeiterklasse, die von sehr großer Bedeutung ist. Trotzdem müssen wir ArbeiterInnen darüber hinaus erkennen und verstehen, dass dies keine klare, lineare Entwicklung bedeutet. Es wird auch in der Zukunft ein Vor- und Zurück, viele Etappen, Fehler und Lehren geben. Es wird dabei immer wichtig sein, wieder aufzusteigen und sich den Aufgaben zu stellen, die die internationale Arbeiterklasse vor sich hat.

    Resümee

    *Die Ereignisse in Frankreich und unser Besuch liegen jetzt schon eine Zeit zurück. Wir zählen die Bewegung zu den bedeutendsten der Arbeiterklasse seit 1968. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass die Bourgeoisie immer dann, wenn die Arbeiterklasse bedeutende Kämpfe geliefert hat, versucht, diese mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verschweigen oder herunter zu spielen. Gerade deshalb halten wir es auch jetzt noch für notwendig und wichtig, die gemachten Erfahrungen in Erinnerung zu rufen und in die Arbeiterklasse weiter zu tragen. Obwohl das, was sich die StudentInnen im Frühjahr 2006 vorgenommen hatten – miteinander zu diskutieren, Beteiligung an öffentlichen Diskussionsveranstaltungen der IKS – nicht weitergeführt worden ist, bleibt die Tatsache bestehen, dass die StudentInnen sich gewehrt und einen großartigen proletarischen Kampf geführt haben. Dieser Kampf  war ein Ausdruck der unterirdischen Bewusstseinsentwicklung der gesamten Klasse und er wird wieder aufbrechen, getragen von einem anderen Teil der Klasse.

    *Insgesamt war der Besuch in Frankreich, der Austausch untereinander, die Teilnahme an der Öffentlichen Veranstaltung (ÖV) der IKS eine wichtige Erfahrung für uns. Sie hat uns zusammengeschlossen und uns lebendig gezeigt, wie viel Kraft, Entschlossenheit und Zuversicht in den Kämpfen der Klasse liegt, wenn sie sich erhebt und ihre Geschichte in die eigene Hand nimmt.

    Flugblatt der IKS - Airbus - Wenn wir heute die Opfer hinnehmen, werden die Herrschenden morgen noch härter zuschlagen !

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    Nach wochenlangen Verrenkungen seitens der Airbus-Spitze und nach einem Treffen zwischen Chirac-Merkel ist das Fallbeil niedergegangen: 10.000 Stellenstreichungen in Europa, Schließung oder Verkauf mehrerer Standorte. Die Geschäftsleitung beteuert: «Es wird keine harten Entlassungen geben», «Alles wird über Frühpensionierungen und freiwillige Kündigungen geregelt». Keine Entlassungen bei Airbus, aber hier handelt es sich nur um die Hälfte der Betroffenen. Die 5.000 Zeitarbeiter oder Beschäftigten der Zulieferer müssen woanders Arbeit suchen. Und die Airbus-Beschäftigten wissen selbst, was für sie «freiwilliges Ausscheiden» bedeutet: ständiges Mobbing durch die Vorgesetzen, um die Mitarbeiter heraus zu ekeln. Insgesamt wird es dabei noch mehr Arbeitslose vor allem unter den arbeitssuchenden Jugendlichen geben. Und für diejenigen, die ihren Job behalten, heißt dies - ein noch schlimmerer Arbeitsrhythmus, Arbeitszeitverlängerungen ohne Lohnausgleich etc.   

    Wie die Bourgeoisie und die Gewerkschaften die Krise bei Airbus erklären

    Um die Krise bei Airbus und die damit verbundenen Maßnahmen zu erklären, lenkt jeder auf seine Art von den wahren Ursachen ab. Gallois, Vorstandsvorsitzender von Airbus, zufolge, ist hauptsächlich der starke Euro schuld. Die Airbus-Flugzeuge seien daher zu teuer im Vergleich zu den von Boeing produzierten. Die Gewerkschaften wiederum sehen die Ursache allen Übels im schlechten Management oder in der Raffgier der Aktionäre. Für die Arbeitgeber jedoch ist der Staat der Schuldige, der sich zu sehr in die Industriepolitik eingemischt habe, denn dies sei auch gar nicht seine Aufgabe. Man müsse die Privatinvestoren alleine zurecht kommen lassen. Aber die linken Parteien nun werfen dem Staat vehement vor, seine Rolle als Aktionär nicht wahrgenommen zu haben. Für die französische Presse ist ganz klar der deutsche Staat schuld, denn der habe sich die besten Brocken in diesem Deal erhascht. Für die deutsche Presse wiederum  - mit der herrschenden Klasse auf ihrer Seite - ist es schwierig, dieses Argument ebenso nun der französischen Regierung vorzuwerfen, schließlich sind bei Bayer-Schering 6.100 Stellenstreichungen vorgesehen und dafür kann man dann wohl doch kaum Frankreich den schwarzen Peter zuschieben. Und bei Deutsche Telekom ist die Auslagerung von 50.000 Stellen vorgesehen, was nur der Vorbereitung späterer Entlassungen dient, sobald die Beschäftigten auf eine Vielzahl kleinerer Betriebe verteilt sind. Diejenigen, die bei der Telekom ihren Arbeitsplatz behalten, müssen ohne Lohnausgleich länger arbeiten. Mit Hilfe der Medien versucht die deutsche Bourgeoisie daher eher, die Beschäftigten zu beschwichtigen und behauptet, es hätte noch viel schlimmer kommen können, zudem habe es die Franzosen am härtesten getroffen. Der gleiche Ton ist in der spanischen Presse zu vernehmen: Für uns ist es nicht so schlimm gekommen, weil wir wettbewerbsfähiger sind. Und als Beilage bei diesen nationalistischen Tönen werden die Deutschen und Franzosen beschuldigt, jeweils in ihrer Ecke ihr eigenes Süppchen zu kochen, ohne die Spanier zu konsultieren. Was die britische Presse betrifft, wird die ganze Sache eher diskret behandelt, denn just in diesem Moment sollen Hunderttausende Beschäftigte im Gesundheitswesen eine Einfrierung ihrer ohnehin schon niedrigen Löhne hinnehmen. Was schlagen uns diejenigen vor, die die Entscheidungen von Airbus verwerfen?  Für die deutschen Gewerkschaften sind die Schwierigkeiten von Airbus lediglich ein Beispiel unter vielen für das schlechte Management der Arbeitgeber (so auch bei Deutsche Telekom und Bayer-Schering). Daher fordern sie mehr Mitbestimmung bei den Entscheidungsprozessen, obwohl sie praktisch schon über die Hälfte der Stimmen in den Aufsichtsräten verfügen und bereits bei allen Entscheidungen bei Airbus oder in anderen Firmen beteiligt wurden. In diesem Zusammenhang schlagen sie vor, dass die zur "Aufrechterhaltung der Zukunft von Airbus" erforderlichen Maßnahmen vor Ort, in den Betrieben, zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern diskutiert werden. Die französischen Gewerkschaften wiederum prangern auch das schlechte Management der gegenwärtigen Geschäftsleitung an und schlagen vor, dass der Staat sich mehr an der Verwaltung von Airbus beteilige. Dieser Vorschlag wird ebenfalls vom gegenwärtigen Premierminister und den Kandidaten der Rechten und des Zentrums bei den nächsten Präsidentenwahlen, Sarkozy und Bayrou unterstützt.  Die sozialistische Präsidentschaftskandidatin, Ségolène Royal, befürwortet zudem, dass die französischen Regionen Kapitalanteile erwerben und beim Management von Airbus einsteigen. Dies wäre also die gleiche Praxis, wie sie bereits in den Bundesländern Deutschlands gehandhabt wird, die schon Anteile von Airbus erworben haben. Man kann sehen, wohin dies geführt hat!   

    Wir dürfen uns durch die kapitalistische Konkurrenz nicht spalten lassen!

    Bei einigen dieser Erklärungen mag ein Körnchen Wahrheit dran sein. Es stimmt, dass der starke Euro eine Hürde für den Verkauf von in Europa hergestellten Flugzeugen gegenüber der Konkurrenz von Boeing ist. Es stimmt, dass es Managementprobleme bei Airbus gibt. Es stimmt insbesondere, dass die Konkurrenz zwischen dem deutschen und französischen Staat die Sache nicht leichter macht. Jeder mag bis zu einem gewissen Maße recht haben, aber sie alle verbreiten die gleiche Lüge: Die Arbeiter, die heute für die Schwierigkeiten von Airbus aufkommen sollen, hätten die gleichen Interessen wie ihre Arbeitgeber. Kurzum - sie sollten sich alle dem Ziel unterwerfen, auf das alle Anstrengungen bei Airbus ausgerichtet sind - die Konkurrenzfähigkeit von Airbus gegenüber Boeing zu unterstützen. Genau dasselbe sagen die amerikanischen Unternehmer ihren Beschäftigten; und aus demselben Grunde mussten diese in den letzten Jahren Zehntausende von Stellenstreichungen hinnehmen. Letztendlich laufen alle Aussagen der «Verantwortlichen», ob Regierung, Arbeitgeber oder Gewerkschaften, darauf hinaus, dass die amerikanischen Arbeiter die Gegner der europäischen Arbeiter seien, genau so wie die französischen, deutschen, englischen und spanischen Arbeiter auch jeweils untereinander Gegner seien. Im gegenwärtigen Handelskrieg wollen alle Teile der Kapitalistenklasse die Arbeiter der verschiedenen Länder gegeneinander hetzen, genau so wie sie es in den militärischen Kriegen tun. Sie sagen uns immer wieder, dass die kapitalistischen Staaten in Konkurrenz zueinander stehen - und dies trifft natürlich zu. Die Kriege des 20. Jahrhunderts aber beweisen, dass die Arbeiter am meisten im Konkurrenzkampf der kapitalistischen Nationen untereinander zu verlieren haben, und dass sie kein Interesse daran haben, sich den Befehlen und den Interessen ihrer jeweiligen nationalen Bourgeoisie zu unterwerfen. Der Logik des Kapitalismus zufolge müssen die Arbeiter Europas und Amerikas immer mehr Opfer bringen. Wenn Airbus gegenüber Boeing wieder rentabel wird, werden die Beschäftigten bei Boeing neuen Angriffen ausgesetzt (jetzt schon sind 7000 Stellenstreichungen bei Boeing geplant), und dann werden im Gegenzug wieder die europäischen Beschäftigten erpresst. Jedes Zurückweichen der Arbeiter vor den Forderungen der Kapitalisten führt nur dazu, dass überall neue, noch heftigere Angriffe gegen die Arbeiter beschlossen werden. Daher bleibt dem Kapitalismus keine andere Wahl, denn das System steckt tief in einer unüberwindbaren Krise -und die einzige "Lösung", die dem System übrig bleibt, sind immer mehr Stellenstreichungen und eine immer schrecklichere Ausbeutung der Arbeiter, die gegenwärtig noch das "Glück" haben, ihren Arbeitsplatz zu behalten.

    Eine einzige Lösung : Einheit und Solidarität der ganzen Arbeiterklasse!

    Den von den Sparmaßnahmen bei Airbus-Betroffenen bleibt heute nichts anderes übrig als zu kämpfen. In den Airbus-Werken haben sie dies sofort verstanden: Gleich nach der Verkündung der Firmenpläne haben mehr als 1000 Beschäftigte in Laupheim spontan die Arbeit niedergelegt, während gleichzeitig in Meault, in der Picardie, die Arbeit niedergelegt wurde. Erst nachdem die Gewerkschaften meldeten, dass das Werk nicht verkauft werden würde, haben die Arbeiter in Meault wieder die Arbeit aufgenommen. Aber die Zusage der Gewerkschaften war eine Lüge. Doch die Airbus-Beschäftigten sind nicht die einzig Betroffenen. Alle Ausgebeuteten müssen sich solidarisch fühlen gegenüber den Angriffen, denen heute die Beschäftigten des Flugzeugbaus ausgesetzt sind, denn morgen werden die gleichen Angriffe auf die Beschäftigten der Automobilindustrie, der Telekom, der Chemie und aller anderen Bereiche niederprasseln. Überall müssen die Arbeiter in souveränen Vollversammlungen zusammenkommen, in denen sie über die Ziele und die Mittel des Kampfes diskutieren und entscheiden können. Ihr Kampf ist nicht nur eine Angelegenheit der Arbeiter selbst. Nicht die Kandidaten bei den Präsidentenwahlen werden für die Beschäftigten handeln, denn ihre Versprechungen werden - sobald sie an der Macht sind - vergessen sein. Auch die Gewerkschaften verteidigen die Arbeiter nicht. Denn die sorgen nur für die Spaltung der Arbeiter, sei es in den Betrieben, sei es innerhalb der gleichen Produktionsabteilung (wie man heute in Toulouse sehen kann, wo die größte Gewerkschaft ‚Force Ouvrière' versucht, die "Blaumänner" und die  "Angestellten" der Airbus-Zentrale zu spalten, obwohl diese auch sehr stark von Stellenstreichungen betroffen sind). Auch die Beschäftigten der betroffenen Länder, versuchen sie zu spalten, denn sie schwingen als erste die Nationalfahne (die französischen Gewerkschaften, mit Force Ouvrière an der Spitze, behaupten, "man muss kämpfen", ja man müsse auch die Produktion lahm legen, um eine "bessere Verteilung der Opfer" zu erreichen, mit anderen Worten, man will erreichen, dass die Beschäftigten in Deutschland noch härter getroffen werden). Und selbst wenn eine Gewerkschaft wie die IG-Metall für Mitte März einen Aktionstag aller Länder mit Airbus-Standorten ankündigt, handelt es sich nur um ein Manöver, das dazu dienen soll, die Arbeiter von der Bewusstseinsentwicklung abzuhalten, dass ihre Interessen nicht mit denen des nationalen Kapitals übereinstimmen, während sie gleichzeitig Stellung gegen Streiks beziehen, weil man sich "verantwortlich" verhalten müsse. Aber die Gewerkschaften wollen auch eine "Solidarität" der europäischen Beschäftigten von Airbus gegen die amerikanischen Arbeiter  von Boeing herbeiführen, die sich im Herbst 2005 massiv mit Streiks gegen die Angriffe der Arbeitgeber gewehrt haben. Die notwendige Solidarität aller Beschäftigten zeigt sich ansatzweise insbesondere durch spontane Arbeitsniederlegungen in den etwas weniger hart betroffenen Standorten wie Bremen und Hamburg. Vor kurzem beteiligten sich die Beschäftigten von Airbus im Süden Spaniens, die heute ebenso angegriffen werden, an den Demonstrationen der Beschäftigten des Automobilzulieferers Delphi, der ein Werk in Puerto Real dicht machen will. Dies muss der Weg für alle Arbeiter sein. Während die Bosse dazu aufrufen, die Stellenstreichungen, die Lohnsenkungen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen hinzunehmen, müssen wir mit einer Stimme antworten: Wir weigern uns, diese Opfer zu bringen, die nur noch zu immer heftigeren Angriffen führen werden. Nur der Kampf lohnt sich!

    Gegen die Spaltungsversuche der Beschäftigten der verschiedenen Betriebe oder Länder - Solidarität der ganzen Arbeiterklasse!

    Gegen die Isolierung, die immer zu Niederlagen führt, müssen wir die Ausdehnung der Kämpfe durchsetzen. Die Vollversammlungen müssen massive Delegationen zu den anderen Betrieben schicken, damit alle Arbeiter sich an einer Solidarisierungsbewegung beteiligen können. 

    Gegenüber einem kapitalistischen Weltsystem, das im Niedergang begriffen ist, und das nur noch zu immer heftigeren Angriffen gegen die Arbeiter in allen Branchen und allen Ländern in der Lage ist, haben die Arbeiter keine andere Wahl als immer entschlossener, immer solidarischer zu kämpfen und den Kampf stetig weiter auszudehnen. 

    Dies ist das einzige Mittel aller Beschäftigten, um der Zuspitzung ihrer Ausbeutung, der Verschlechterung ihrer immer unmenschlicher werdenden Lebens- und Arbeitsbedingungen  entgegenzutreten, und auch um die Überwindung dieses Systems vorzubereiten, das Not und Elend, Krieg und Barbarei verbreitet.  5.3.07

    Dieses Flugblatt wurde auf verschiedenen Demonstrationen in Deutschland und Frankreich verteilt.

    Weltrevolution Nr. 142

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    Das Antiglobalisierungs-Manifest von Attac - der Mythos vom menschlichen Kapitalismus

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    Nach den von den Globalisierungsgegnern in den letzten Jahren organisierten Sozialforen gegen die neoliberale Ideologie und der Botschaft: "Eine andere Welt ist möglich" hat die wichtigste Gruppe, Attac, anlässlich der Wahlen in Frankreich 2007 ein Manifest veröffentlicht. Ähnlich den sieben Todsünden der katholischen Religion hat Attac "die sieben Pfeiler des Neoliberalismus ermittelt (…) die niedergeworfen werden müssen, um eine demokratische, solidarische und ökologische Welt zu errichten". Dieses ca. 100 Vorschläge umfassende Manifest beansprucht, eine "Anregung für die öffentliche Debatte" zu sein, eine Hilfe unter anderem für die "Wahl der Bürger".

    Das Manifest ruft eingangs in Erinnerung, dass "Attac seit seiner Gründung 1998 die überall auf der Welt betriebene neoliberale Politik, insbesondere in Europa und Frankreich (egal, welche Regierungen an der Macht sind) als die Hauptursache der zunehmenden Ungleichheiten, des Auseinanderbrechens der Gesellschaft durch Arbeitslosigkeit und Prekarisierung, der sozialen Unsicherheit und der Zunahme der militärischen Konflikte ansieht". Dieser zu Beginn der 1980er Jahre aufgekommene Neoliberalismus sei die Hauptursache all der Kalamitäten der Menschheit, denn "seine Methoden sind gut bekannt: Ausbreitung des Warenhandels, Handlungsfreiheit der Arbeitgeber und der Investoren, Ausdehnung der Jagdgründe der Multis auf den gesamten Planeten". Mit anderen Worten, wenn es uns gelingt, die Jäger zu vertreiben, d.h. diejenigen, die das Kapital in ihren Händen halten, könnten wir eine "solidarische Globalisierung gegen den Freihandel und die freien Kapitalströme"  schaffen. Um dies zu verwirklichen, schlägt Attac eine Reihe von Maßnahmen zur Regelung des Welthandels vor: die Welthandelsorganisation unter die Kontrolle der UNO stellen, den IWF und die Weltbank reformieren, eine Weltumweltorganisation schaffen, die Handelsströme kontrollieren, die Kapitaltransfers gleichmäßig besteuern, die direkten Steuern wieder einführen, die Ungleichheiten durch "revolutionäre" Maßnahme abbauen, d.h. die "Festlegung einer Maximalspanne zwischen den Einkommen der Firmenmanager und den am wenigsten Bezahlten".

    Gegen die Logik des Profits und des Konkurrenzkampfes, gegen die Politik der Regierungen im Dienste der Kapitalbesitzer vertritt das Manifest von Attac die Notwendigkeit der "Aufrechterhaltung der weltweit bestehenden öffentlichen Dienste" und "stellt die Grundprinzipien einer neuen Welt vor: die Menschenrechte und das Völkerrecht, die sozialen, ökologischen, ökonomischen, kulturellen und politischen Rechte". Mit anderen Worten: Aus der Sicht der Antiglobalisierer gibt es keine Wirtschaftskrise, sondern schlicht und einfach eine schlechte Politik, mit der die Kapitalisten, welche nur ans Geld denken, sich die Taschen füllen können. Wenn diese mit Hilfe der Bürger kontrolliert werde, d.h. wenn man alles reguliere, reformiere und besteuere, wenn die Staaten eine vernünftige Politik betrieben und die Grundprinzipien der Demokratie umsetzten, werde es uns allen besser gehen.

    Tatsächlich spielt Attac eine Hauptrolle  bei der Aufrechterhaltung dieser Verhältnisse, wenn sie uns eintrichtern will, dass es möglich sei, in einem "gerechteren" und "menschlicheren"  Kapitalismus zu leben, der gar ohne Profite auskommen könne.

    Der Profit ist der Motor der kapitalistischen Ausbeutung

    Im Gegensatz zu den Falschaussagen der Antiglobalisierer hat die kapitalistische Ausbeutung nicht erst Anfang der 1980er Jahre begonnen. Der Marxismus hat schon vor 150 Jahren aufgezeigt, dass das Profitstreben das Wesen dieses Systems ausmacht. Wie Rosa Luxemburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Schrift, die in Kontinuität mit Marx' Untersuchungen in  "Das Kapital" steht, hervorhob:

    "Der kapitalistische Produktionsprozess wird nur durch den Profit bestimmt. Für jeden Kapitalisten macht die Produktion nur Sinn, wenn er jedes Jahr einen Reingewinn einstreichen kann. Aber das grundlegende Gesetz der kapitalistischen Produktion im Unterschied zu anderen, sich auf Ausbeutung stützenden Wirtschaftsformen ist nicht nur die Verfolgung eines realisierbaren, sondern auch eines ständig wachsenden Profits". (Akkumulation des Kapitals - Antikritik). Die Aussagen von Attac bringen also nichts Neues. Man muss unterstreichen, dass die kapitalistische Ausbeutung und ihre Auswirkungen auf der Erde durch keine Änderung der Wirtschaftspolitik in Frage gestellt werden. Wie Rosa Luxemburg schrieb:

    "Die kapitalistische Produktionsform hat das Besondere an sich, dass der Verbrauch der Menschen, der in allen früheren Wirtschaftsformen das Ziel war, nur ein Mittel im Dienste des eigentlichen Ziels ist - die kapitalistische Akkumulation (...) Das grundlegende Ziel aller gesellschaftlicher Produktionsformen - Unterhalt der Gesellschaft durch Arbeit, Befriedigung der Bedürfnisse - erscheint hier als auf den Kopf gestellt, denn die Produktion für den Profit und nicht für den Menschen wird zum überall auf der Welt geltenden Gesetz, und die Unterkonsumtion, die ständige Unsicherheit des Konsums und zeitweise der mangelnde Konsum der großen Mehrheit der Menschheit werden zur Regel" (Einführung in die Nationalökonomie).

    Dieses eherne Gesetz, diese unveränderliche Regel stellt das Wesen des Kapitalismus dar. Wenn man von den Kapitalisten und ihren jeweiligen Staaten verlangt, die Profite gerecht zu verteilen, hieße das eigentlich von ihnen zu verlangen, sich umzubringen. Deshalb überrascht es nicht, wenn Unternehmen und Nationalstaaten aufgrund der immer heftigeren Konkurrenz unter den Staaten immer schärfere und räuberischere Maßnahmen ergreifen, um ihr wachsendes Profitstreben zu befriedigen. Attac prangert dies wortgewaltig als "Neoliberalismus" an, obwohl es sich eigentlich um die ganz normale Funktionsweise der kapitalistischen Produktionsweise handelt. Und ihre Profitgier ist um so größer, je mehr sich die Wirtschaftskrise zuspitzt, weil die Akkumulationsbedingungen des Kapitals immer ungewisser werden. Deshalb verschärfen sich die Ausbeutungsbedingungen der Arbeiter überall auf der Welt.

    Die Aufgabe des Staates ist die Verteidigung des Kapitalismus

    In Anbetracht der überall festzustellenden Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen fehlt es Attac nicht an Vorschlägen und Lösungen. Aber bei der Aufzählung all der Mittel, die eingesetzt werden müssten, um "die Welt zu ändern", handelt es sich in Wirklichkeit um eine Reihe von Maßnahmen, die alle die Hilfe des Staates in Anspruch nehmen. Abgesehen von einigen frommen Wünschen beinhalten all diese Lösungsvorschläge einen Hilferuf an den Staat.

    Attac will uns damit vergessen machen, dass der Staat die kapitalistische Wirtschaft bestimmt und als Garant dafür eintritt, dass das kapitalistische Räderwerk Profite machen kann. Attac verteidigt den Staat als das beste Mittel  des Kampfes gegen den Profit und zur Verbesserung der Lage der Arbeiter und der Bevölkerung, wo doch gerade der Staat der  Hauptdrahtzieher bei den meisten Angriffen gegen die Arbeiter ist. Der Staat ist nämlich kein neutrales, über den Klassen stehendes Organ und auch kein Garant der sozialen Gerechtigkeit. Im Gegenteil: Schon Engels schrieb im 19. Jahrhundert von einer "... mit den Namen Staat bezeichneten politischen Organisation, einer Organisation, deren Hauptzweck von jeher war, durch bewaffnete Gewalt, die ökonomische Unterdrückung der arbeitenden Mehrzahl durch die begüterte Minderzahl sicherzustellen" (Engels an von Patten, 18.4.1883, MEW, Bd. 36).

    Attac prangert ebenso die Multis und die Privatwirtschaft an, die sich die Profite auf Kosten der Bevölkerung unter den Nagel rissen. Indem Attac diese Sündenböcke präsentiert, sollen wir glauben, dass der Staat die Aufgabe hat, den Reichtum der Nation gerecht zu verteilen. Der Staat sei irgendwie Garant des Kommunismus. Aber diese Multis vertreten nicht ausschließlich die Interessen von Privatkapitalisten, sie sind nicht sozusagen "staatenlos". Oft handelt es sich bei ihnen nämlich um Großkonzerne, die mit den mächtigsten Staaten verbunden sind; manchmal stehen sie gar direkt im Dienst der Handels-, politischen und militärischen Interessen dieser Staaten. Auch wenn es Divergenzen zwischen den Staaten und bestimmten Konzernen gibt, ändert dies nichts an der Tatsache, dass sie letztendlich gemeinsam vorgehen müssen bei der Verteidigung des nationalen Interesses und der Länder, von denen sie abhängig sind. Der Staat regelt die Preise, greift bei Tarifverhandlungen ein, beim Export, in der Wirtschaft überhaupt. Durch seine Steuer- und Finanzpolitik, durch die Festlegung der Zinsen usw. diktiert er die Bedingungen am "freien" Markt. Und der Staat und seine "respektabelsten" Institutionen werden zu wahren Croupiers einer Kasinowirtschaft, wenn sie die Agonie des Systems verwalten müssen. Schon seit dem Ende der 1960er Jahre war der Staat Architekt der großen Entlassungspläne im Namen der industriellen Umstrukturierung in der Stahlindustrie, im Bergbau, im Schiffsbau, in der Automobilwirtschaft - und der Aderlass geht heute weiter in der Luftfahrtindustrie, in der Telekommunikation, der Automobilindustrie.

    Der Staat ist für die Tausenden von Stellenstreichungen bei der Post, der Bahn, im Gesundheitswesen, im Erziehungsbereich und in anderen Teilen des öffentlichen Dienstes  verantwortlich. Er ist stets die treibende Kraft, um das Lebensniveau und die Sozialstandards zu senken, er ist mitverantwortlich für die Zunahme der Armut, der prekären Arbeitsbedingungen; er senkt die Sozialausgaben (Mietzuschüsse, Renten, Gesundheit, Erziehung usw.). Er ist der Hauptverantwortliche für die Verarmung von Tausenden von Arbeitern, die obdachlos sind und auf der Straße überleben müssen. Wenn man, wie Attac meint, das "liberale" Management in der Wirtschaft ‚überwinden' will, um zur dirigistischen Politik des "Wohlfahrtstaates" der 1970er Jahre und später zurückzukehren, verwischt man nur das wirkliche Verhältnis zwischen Staat und Privatwirtschaft.

    Die "alternativen" Vorschläge dieses Manifest der Antiglobalisierer stellen für die herrschende Klasse überhaupt keine Gefahr dar, weil sie sich völlig innerhalb des Rahmens der kapitalistischen Gesellschaft bewegen. In Wirklichkeit sind sie nur ein Mittel zur Verschleierung der einzigen Perspektive, die die kapitalistische Barbarei und Verarmung überwinden kann: die Überwindung des dahinsiechenden Kapitalismus durch die proletarische Revolution.    Donald, 21.03.2007

    (leicht gekürzter Artikel aus Révolution Internationale, März 2007, Zeitung der IKS in Frankreich)

    Der Operaismus: Eine ökonomistische und soziologische Betrachtungsweise /2

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    Massenarbeiter,  gesellschaftlicher Arbeiter, Prekariat: Auf der Suche nach dem revolutionären Subjekt

    Der Operaismus steht wie jede andere politische Strömung, die die historische Krise des Kapitalismus als äußeren Beweggrund revolutionärer Klassenkämpfe leugnet, vor dem Dilemma, die Frage nach der materiellen Grundlage dieses Klassenkampfes zu beantworten, ohne im Voluntarismus Zuflucht zu suchen. Was - wenn nicht die schweren wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Erschütterungen des Kapitalismus - sollte unserer Klasse die Augen über die Vergänglichkeit, den Bankrott dieser Gesellschaftsform öffnen? Was - wenn nicht die immer offenkundigere Unfähigkeit der herrschenden Klasse, den Ausgebeuteten wenigstens ein bescheidenes Auskommen zu bieten - kann die ArbeiterInnen davon überzeugen, für die Abschaffung des Kapitalismus zu kämpfen?

    Für große Teile des Operaismus reicht allem Anschein nach der schlichte Tatbestand der Ausbeutung. Nach dieser Auffassung ist es das täglich erfahrene Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis am Arbeitsplatz, dass die ArbeiterInnen radikalisiert. Je brutaler die Ausbeutung, so die simple Rechnung, desto radikaler und militanter die Beschäftigten. So lag es nahe, dass der Operaismus der sechziger Jahre das revolutionäre Potenzial der Klasse überwiegend im sog. Massenarbeiter lokalisierte, d.h. im Fließbandarbeiter, wie in der italienischen Automobilindustrie beispielsweise; denn die in der Fließbandarbeit besonders zugespitzte Entfremdung der Arbeiter einerseits und ihre zentrale Stellung in der Produktion andererseits prädestiniere die Massenarbeiter dazu, das kapitalistische System in Frage zu stellen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass das sog. Prekariat zur bevorzugten Klientel des heutigen Postoperaismus zählt.

    Der "klassische" Operaismus, wie er von Quaderni Rossi, Classe Operaia, Primo Maggio, etc. verkörpert wird, hat eine recht schematische Vorstellung vom Klassenkampf, reduziert er ihn doch auf die rein ökonomischen Kämpfe in den Betrieben. Angefeuert vom Refrain: "Alle Räder stehen still, wenn unser starker Arm es will!", sucht er die Entscheidung im betrieblichen Kräftemessen. Ob nun die Automobilarbeiter bei FIAT mit ihrer Schlüsselstellung an den Fließbändern, die LKW-Fahrer, die "den gesamten Zyklus des Kapitals lahm legen" können, oder das technische Personal mit seiner Schlüsselrolle zwischen Arbeiter und Studenten - stets war der Operaismus auf der Suche nach der Schwachstelle im kapitalistischen Produktionsapparat. Es galt, "ein Segment der Klasse zu suchen, das sich dynamisch verhielt und zugleich in einem strategisch wichtigen Sektor beschäftigt war."

    Doch abgesehen davon, dass sie dabei die Achillesferse des Kapitalismus schlechthin, seine historische Krise, übersehen, haben diese Operaisten auch nie begriffen, dass der Klassenkampf des Proletariats in erster Linie einen politischen Charakter trägt. Die Gretchenfrage bei jedem Streik, bei jeder wie auch immer gearteten Widerstandsaktion der Arbeiterklasse lautet nicht, wie die Operaisten allgemeinhin behaupten: Wie und wo ist es möglich, Sand ins Getriebe des kapitalistischen Produktionsapparates zu streuen und ihn hier und heute auszuhebeln? Sie lautet vielmehr: Hilft der jeweilige Kampf den ArbeiterInnen weiter in ihrem Bewusstwerdungs- und Vereinigungsprozess und trägt er somit zur Vorbereitung auf die künftige Entscheidungsschlacht zwischen Kapital und Arbeit, zur "Aushebelung" des kapitalistischen Machtapparates bei?

    So gesehen, ist die klassische operaistische Strategie, den Kapitalismus zu stürzen, indem sein Produktionsapparat durch die Aktionen einer kleinen Elite von kämpferischen Arbeitern in Schlüsselpositionen lahmgelegt wird, genauso wenig hilfreich wie die Mittel der Bummelstreiks, der sog. Schachbrettstreiks, der Sabotage und des Krankfeierns, die von operaistischen Strömungen durchaus begrüßt werden. Das eine sind quasi-militärische Planspiele am pseudo-revolutionären Kartentisch, das andere isolierte Aktionen von vereinzelten Arbeitern oder Gruppen von Arbeitern, aus deren Not eine Tugend gemacht werden soll. Beides widerspricht dem kollektiven Charakter des proletarischen Klassenkampfes und Klassenbewusstseins.

    Doch neben dem operaistischen Mainstream entstanden Ende der sechziger Jahre, unter dem Eindruck des angeblichen Scheiterns der "klassischen" Arbeiterschichten und des Auftretens der Studentenschaft im sog. Heißen Herbst 1969 in Italien, auch Strömungen im italienischen Operaismus, die das Klischee des "Arbeiters im Blaumann" nicht mehr teilten. Operaisten wie z.B. Sergio Bologna entdeckten nun auch Schichten außerhalb der unmittelbaren Produktionssphäre als relevant für den Klassenkampf. Sie erkannten, dass der ständige Zwang des Kapitals, seine organische Zusammensetzung zugunsten des konstanten Kapitals zu verändern, auch zu einem entgegengesetzten Prozess führt, nämlich zu einer wachsenden Qualifizierung von Beschäftigten. Nun rückten beispielsweise Techniker in den Mittelpunkt des Interesses eines Teils der Operaisten.

    Unter diesen Strömungen war es vor allem Potere Operaio, einer aus dem Heißen Herbst 1969 in Italien hervorgegangenen operaistischen Organisation, und insbesondere ihrem linken Flügel, der POv-e (1), vorbehalten, die alten operaistischen Modelle der Klassenzusammensetzung kritisch zu beleuchten. So war es mit Toni Negri ein Mitglied des Veneter Flügels von PO, der mit seinem Begriff des "gesellschaftlichen Arbeiters" die heilige Kuh des Massenarbeiters schlachtete und den Begriff der Arbeiterklasse von der Ebene der unmittelbaren Produktion auf den Bereich der Reproduktion (der sog. tertiäre Sektor) ausdehnte. Darüber hinaus stellte Potere Operaio eine weitere Säule des damaligen Operaismus in Frage: die "zwangsläufige Beziehung zwischen Arbeitsprozess und Klassenverhalten". PO stellte zudem fest, dass die ökonomischen Kämpfe der Klasse rein defensiven Charakter tragen und allein die Verteidigung oder gar Verbesserung des Lebensstandards der Arbeiterklasse zum Inhalt haben, dass nur die Politisierung des Klassenkampfes die kapitalistischen Produktionsverhältnisse an sich in Frage stellen kann.

    Doch wer oder was soll diese Politisierung des Arbeiterkampfes bewerkstelligen? Die Antwort von Potere Operaio: Sie schloss kategorisch jegliche Verbindung zwischen dem ökonomischen und dem politischen Kampf aus und erteilte allein der "Partei" das Mandat für die politischen Kämpfe - einer Partei allerdings, die "außerhalb, aber nicht abseits" der Arbeiterklasse stehe. Für PO, aber auch für andere Operaisten besitzt die Arbeiterklasse nur ein ökonomisches Klassenbewusstsein. Das politische Bewusstsein, meinte Romano Alquati - einer der Väter des Operaismus - ganz im Sinne Lenins, müsse von außen an die Klasse herangetragen werden. Hier wird das ganze Dilemma des Operaismus deutlich. Einerseits hat er sich die "Autonomie" der Arbeiterklasse gegenüber der Gewerkschafts- und Parteibürokratie auf die Fahnen geschrieben. Andererseits veranlasst ihn seine ökonomistische Vorgehensweise, seine einseitige, mechanische und simple Verknüpfung des - wie er es nennt - "Klassenverhaltens" mit der Produktionssphäre dazu, in Fragen des Verhältnisses zwischen dem ökonomischen und dem politischen Kampf, zwischen der Arbeiterklasse und ihren politischen Organisationen auf ebenso alte wie überholte Konzepte des Substitutionismus zurückzugreifen.

    Die soziologische Methode des Operaismus

    Ein weiteres Merkmal des operaistischen Phänomens ist sein Versuch, den Marxismus mit der modernen Soziologie zu vereinen, was sich insbesondere auf seine Annäherungsweise gegenüber der Arbeiterklasse auswirkt. Um dem Rätsel der "neuen" Arbeiterklasse nach dem II. Weltkrieg auf die Schliche zu kommen, reichte dem Operaismus die Erkenntnisse des Marxismus nicht mehr aus. Er vermeinte stattdessen auf die Erkenntnisse der neuen "radikalen" Sozialwissenschaften und der neu aufkommenden sog. Industriesoziologie zurückgreifen zu müssen, wobei sich operaistische Vordenker wie Panzieri von modernistischen Strömungen wie die Frankfurter Schule, insbesondere aber von Adorno inspirieren ließen.

    In diesem Zusammenhang führte Quaderni Rossi sog. Arbeiteruntersuchungen ein, d.h. Interviews mit einzelnen Arbeitern, um auf diese Weise Zugang zur "proletarischen Erfahrung" zu erhalten und zu einem "bessere(n) Verständnis der Realität der modernen Arbeiterklasse" zu gelangen. Doch oftmals musste man feststellen, dass die Aussagen der interviewten Arbeiter nicht mit ihrem Handeln übereinstimmten. In der Tat sind solche "Untersuchungen" genauso wertlos wie jede x-beliebige Erhebung durch die bürgerliche Soziologie. Dennoch erfreuen sie sich noch heute großer Beliebtheit unter den postoperaistischen Gruppen.

    Die soziologische Handschrift des Operaismus wird sowohl in seinen Theorien über den Klassenkampf als auch in seinen Definitionen der Arbeiterklasse deutlich. So wie seine Theorien über die Klassenzusammensetzung allein die Veränderungen in der Klassenstruktur, sprich: Soziologie des Proletariats im Auge haben, so verlässt sich der Operaismus bei der Suche nach dem revolutionären Objekt allzusehr auf soziologische Kriterien wie die spezifische Stellung im Produktionsprozess. Er betrachtet den Arbeiter in seinem Einzelschicksal, und er studiert ihn überwiegend außerhalb des Kampfes, im Status quo der täglichen Ausbeutung. Damit verlässt der Operaismus das Terrain des historischen Materialismus und verirrt sich in den Gefilden des Empirizismus - einer Methode, deren Momentaufnahmen nicht nur jede Bewegung des untersuchten Objekts gleichsam einfrieren und ihre ganze Dynamik unkenntlich machen, sondern darüber hinaus blind sind für die unterirdischen Prozesse der Bewusstseinsbildung in unserer Klasse.

    Es wäre aufschlussreich zu erfahren, welchen Klassenbegriff der Operaismus hat. Der Marxismus jedenfalls, wie wir ihn verstehen, verbindet mit dem Terminus "Arbeiterklasse" mehr als die bloße Summe aller Arbeiter und Arbeiterinnen. Für ihn ist die Arbeiterklasse nicht wegen ihrer "strategischen" Stellung in der Produktion revolutionär, sondern weil sie die erste gesellschaftlich produzierende Klasse in der Geschichte ist, deren wichtigster Trumpf nicht die Eroberung vermeintlich wichtiger Positionen im kapitalistischen Produktionsapparat ist, sondern die Erlangung eines Bewusstseins über ihre eigene Identität und Stärke, ja letztendlich über ihre historische Mission. Denn ohne ein solches Klassenbewusstsein ist jede noch so günstige "Klassenzusammensetzung", jede Schlüsselstellung von Teilen der Klasse in der Produktion ein Muster ohne Wert.

    In diesem Sinne sollte uns weniger das passive Verharren der Arbeiterklasse in Zeiten der Friedhofsruhe als ihr dynamischer Wandel in den Episoden  offener Klassenkonfrontationen interessieren. Unser Hauptaugenmerk sollte nicht den Modalitäten der Ausbeutung und ihren Auswirkungen auf die Stellung der Arbeiter gelten, sondern dem Kampf der Klasse, in dem sich der einzelne Arbeiter wenigstens zeitweise von der herrschenden Ideologie befreit, über sich hinauswächst und gemeinsam mit seinen Leidensgenossen neue Maßstäbe setzt. Es war der bereits zitierte Tronti, der in seltener Klarheit das Dilemma der Operaisten bei dem Versuch, der Arbeiterklasse mit soziologischen Mitteln auf die Spur zu kommen, auf den Punkt brachte: Man kann "nicht verstehen, was die Arbeiterklasse ist, wenn man nicht sieht, wie sie kämpft."

     (1) Das Kürzel "v-e" steht für "veneto-emiliano".

    Politische Strömungen und Verweise: 

    • Operaismus [10]

    G 8- Gipfel: Eine andere Welt ist möglich

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    Zehntausende Menschen aus allen Erdteilen kommen nach Heiligendamm, um gegen den empörenden Zustand unserer Welt zu protestieren. Anlass: der so genannte G8 bzw. Weltwirtschaftsgipfel, wo die Führer der sieben führenden Industriestaaten plus Russland sich treffen, um ihre menschenverachtende Politik auf Kosten der Interessen der menschlichen Gattung abzusprechen. Turnusgemäß findet das Treffen diesmal in Deutschland statt. Um die Ruhe und Sicherheit der Staatschefs zu garantieren, werden auch diesmal Sperrzonen festgelegt, Sicherheitszäune hochgezogen, Demonstrationsverbote verhängt, Razzien durchgeführt, Menschen verprügelt oder in Beugehaft genommen. Diese Heerschau der bewaffneten Staatsmacht wird diesmal nicht vom russischen Geheimdienst- und Polizeistaat veranstaltet, sondern von der zur Musterdemokratie mutierten Bundesrepublik Deutschland. Die Spezialkräfte der Polizei, welche die Demonstranten einschüchtern sollen, werden von der christdemokratischen und sozialdemokratischen Bundesregierung in Berlin bzw. von der aus SPD und Linkspartei bestehenden Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern befehligt. Diese Aufmärsche des Staates sind keine Überschreitungen der bürgerlich-demokratischen Kultur, sondern sind Teil dieser von Blut und Schmutz durchtränkten Unkultur. „Die von der Dominanz der G8 geprägte Welt ist eine Welt der Kriege, des Hungers, der sozialen Spaltung, der Umweltzerstörung und der Mauern gegen Migrantinnen und Flüchtlinge“ schreibt einer der Demonstrationsaufrufe.

    Eine notwendige Suche nach Antworten

    Wie der wahnwitzigen Spirale der Ausbeutung, Verarmung und Zerstörung Einhalt gebieten? Wie die Auflösung der menschlichen Gesellschaft durch ungezügelten Individualismus und ungezügeltes Profitstreben umkehren? Wie die Vernichtung unserer natürlichen Lebensgrundlage, wie die Schändung unseres herrlichen Planeten durch eine außer Kontrolle geratene Wirtschaftsmaschinerie aufhalten, bevor es zu spät ist? Es gibt keine Fragen, vor denen die Menschheit steht, die wichtiger wären als diese – oder dringlicher.

    Das Zusammenkommen so vieler Menschen aus aller Herren Länder, um ihre Stimmen dagegen zu erheben, dass unsere Gesellschaft sehenden Auges gegen die Wand gefahren wird, muss uns Anlass sein, um miteinander zu debattieren. Ein solcher internationaler Dialog wäre bereits ein erster und sehr wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Schließlich liegt es auf der Hand, dass nicht mal eine einzige der großen Menschheitsfragen der Gegenwart anders als auf Weltebene angegangen und gelöst werden kann.

    Eins ist klar: Die Zusammenkünfte der Regierenden können kein anderes Ergebnis haben als die Fortsetzung und Verschärfung der bereits bestehenden Barbarei. Was wir brauchen ist ein globaler Austausch unter den Betroffenen aller Länder, damit wir gemeinsam und von „unten“ die Verantwortung für unsere Welt kämpfend in die eigenen Hände nehmen können.

    Nicht allein die Proteste gegen G8, sondern die Dringlichkeit der Aufgaben sind Anlass genug, nicht nur um über echte, realistische Alternativen zur bestehenden Weltordnung nachzudenken, sondern um mit der gebührenden Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit der Frage nachzugehen, welche Kräfte oder Kampfmethoden gegenüber den gestellten Aufgaben Aussicht auf Erfolg haben können?

    Handeln ist dringlich: Aber wie?

    Unter den „Protestierenden“ gibt es bei jedem Weltwirtschaftsgipfel viele, welche in Wahrheit zur Erhöhung des Glanzes dieser Zusammenkünfte beitragen. Sie gehören zum Gipfeltross dazu wie die polizeilichen Aufmärsche oder das festliche Staatsbankett am Abend. So etwa die superreichen Clowns der Musikindustrie und die anderen Bittsteller, die gute Taten von Bush, Putin und Merkel verlangen. So die kritischen Intellektuellen und linken Politiker, welche über die Staatschefs herziehen, aber selbst Mitglied derselben politischen Parteien sind wie diese, oder ihnen auf andere Weise dienen. Aber es gibt auch viele, die, ohne persönliche Interessen zu verfolgen, aus ehrlicher Empörung heraus anreisen. 

    Die „Gipfelgegner“, wie man sieht, stellen keine geschlossene und handlungsfähige Gruppe dar. Das wissen selbstverständlich auch die Regierungen der G8. In der Öffentlichkeit wird zwischen Friedlichen und Gewalttätern unterschieden. Im Vorfeld des Gipfels haben die deutschen Sicherheitsbehörden dieser Unterscheidung Ausdruck verliehen, indem sie erklärten: Das Recht auf friedlichen Protest werden wir nicht nur gewähren, sondern – wenn nötig mit Waffengewalt – schützen. Die Gewalttäter hingegen werden wir unerbittlich verfolgen, ihre Anreise aus dem Ausland bereits an der Grenze beenden bzw. sie unverzüglich des Landes verweisen (so viel zu Europa ohne Grenzen!) Die anderen sind am ehesten in Beugehaft zu nehmen und bei Auseinandersetzungen wie Terroristen zu behandeln.

    Allerdings ist diese Unterteilung in die guten, weil friedlichen, und die bösen, weil gewalttätigen Protestierenden, aus dem Munde der Staatgewalt wenig überzeugend, ja geradezu verdächtig. Schließlich ist die nackte, militärische Gewalt wie auch die indirekte, ökonomische Gewalt das Alltagsgeschäft der Herrschenden. Diese Unterteilung dient dazu, diejenigen zu kriminalisieren und einzuschüchtern, die eine radikale Infragestellung des Systems anstreben. Zugleich wird damit der Anschein geweckt, dass es die Gewalt ist, vor der sich die Herrschenden fürchten. So wird dafür gesorgt, dass auch auf der anderen Seite des Sicherheitszauns nur ein Spektakel stattfindet: Musikkonzerte, Gottesdienste und lammfromme Kundgebungen, aber auch Auseinandersetzungen mit der Polizei. Alles, was man will, nur eins nicht: Dass Teilnehmer aus den verschiedenen Erdteilen miteinander die Möglichkeit einer weltweiten Umwälzung erörtern, welche das Herrschaftssystem wirklich zum Einsturz bringen könnte.

    Nachdenken, miteinander diskutieren – haben wir dazu überhaupt noch Zeit? Und beim Gipfel erst! Sollte die Losung da nicht heißen: Protestieren statt Palavern?

    Andererseits: Ist das Kennzeichen jeder aussichtsreichen menschlichen Tätigkeit nicht deren Zielgerichtetheit? Und bedingen sich nicht das Ziel einer Handlung und die entsprechenden Mittel dazu nicht gegenseitig? Mit einem Wort: Müssen Mittel und Ziel nicht miteinander übereinstimmen?

    Was sind aber die Ziele der Protestierenden gegen G8? Oder andersrum gefragt: Welche Selbstverständnis über die Ziele und über das Wesen des Problems drücken sich aus durch diese Art des Kampfes zur Lösung der Probleme der Welt, die darin besteht, sich dort protestierend zu sammeln, wo die Staatschefs sich versammeln?

    Die Lösung der Gipfelgegner lautet seit langem: Eine andere Welt ist möglich. Was aber zumeist darunter verstanden wird, ist: Eine andere Politik ist möglich. Es geht also darum, die versammelten Politiker durch öffentlichen Druck zu zwingen, einen Politikwechsel zu betreiben. Ansonsten ergäbe es auch keinen Sinn, den Politikern von Gipfel zu Gipfel hinterher zu jagen.

    Welche andere Politik verlangt wird, ist auch bekannt: Die Politik der neoliberalen Globalisierung, welche die Wirtschaftspolitik an den Renditen-Interessen internationaler Finanzanleger und Konzerne ausrichtet, soll abgelöst werden durch eine Rückkehr zur Politik des Wohlfahrtsstaates, wie sie nach dem 2. Weltkrieg in den westlichen Industriestaaten praktiziert wurde. Man verspricht sich davon, die globale Verarmung und die globalen Verheerungen der letzten Jahrzehnte rückgängig machen oder ihnen zumindest Einhalt gebieten zu können.

    Die Organisatoren der Gipfelproteste rühmen sich, nicht nur radikal, ja antikapitalistisch zu sein, sondern auch knallhart realistisch. Anstatt träumerischen Utopien nachzuhängen wollen sie konkrete Reformen, welche dem Großkapital wehtun und der arbeitenden Bevölkerung handfeste Vorteile bescheren. Zwar teilen sich die Gipfelstürmer in „gemäßigte“ und „radikale“ Fraktionen. Aber diese Auseinandersetzungen beschränken sich auf die Frage, welche Mittel des Protestes eingesetzt werden sollen, stellen also die allgemeine Zielsetzung einer Reform des Kapitalismus nicht in Frage.

     

    Rückkehr zum Wohlfahrtsstaat?

    Viele Gipfelgegner, die durchaus gegen den Kapitalismus eingestellt sind, stimmen dieser Zielsetzung zu, denn unter Rückkehr zum Wohlfahrtstaat verstehen sie v.a. Aufrechterhaltung und Verbesserung der Gesundheitsfürsorge oder der Bildung, Bekämpfung der Armut usw. Jedoch muss die Frage zur Diskussion gestellt werden, ob diese Ziele durch eine Rückkehr zum Wohlfahrtsstaat überhaupt erreichbar sind! Wie realistisch sind eigentlich die „handfesten“ Reformvorhaben der Gipfelgegner?

    Das, was man Wohlfahrtsstaat nennt, war übrigens keine Erfindung des Nachkriegsstaates. In Deutschland z.B. wurden Elemente davon bereits unter Bismarck eingeführt (um die revolutionäre Arbeiterbewegung zu bekämpfen), oder unter Hitler (als Teil der Kriegswirtschaft). Aber als der „Welfare State“ keynesianischer Prägung nach dem 2. Weltkrieg in allen westlichen Industriestaaten ausgebaut wurde, geschah dies in einem ganz konkreten geschichtlichen Rahmen. Das kapitalistische System war zwar am Anfang des 20. Jahrhunderts in seine Niedergangsphase getreten, in die Epoche der Kriege und Revolutionen (Die beiden Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre, aber auch die sozialistische Arbeiterrevolution, welche am Ende des 1. Weltkriegs in Russland für sehr kurze Zeit siegte, aber in Deutschland scheiterte, machen das deutlich.). Dennoch gab es nach 1945 viel mehr Möglichkeiten für die Herrschenden, das System zu stabilisieren als heute. Das Regulierungsinstrument dieser Stabilisierung war der Staat.

    Die „Globalisierungskritiker“ (die dazu neigen, den Staat zu beschönigen) behaupten, dass die „Globalisierung“ ein Produkt der neoliberalen Politik der letzten 30 Jahre sei, und die die Welt in die  Händen der internationalen Konzern gelegt und damit undemokratisch gemacht habe. Der Wohlfahrtsstaat nach 1945 hingegen sei auf nationale Interessen ausgerichtet und somit demokratischer gewesen und habe mehr den Interessen der Gesamtbevölkerung gedient. Sie vergessen dabei, dass die Hauptzielscheiben ihrer Kritik – Weltbank und Internationaler Währungsfond – keine Schöpfungen der neoliberalen Zeit waren, sondern nach dem 2. Weltkrieg von den „keynesianisch“ geprägten Nationalstaaten des Westens geschaffen wurden. Im Rahmen des damals prägenden Ostwestkonflikts war nämlich erstmals eine internationale Koordinierung der Wirtschaftspolitik der westlichen Konkurrenten möglich geworden u.a. mit dem Ziel, sich der Ressourcen der sog. Dritten Welt systematischer zu bedienen. Das Ziel: Die Stabilisierung der Herzländer des Kapitalismus. Eines der tragischsten Ergebnisse dieser Politik war denn auch die Verbreitung von Armut und Hunger in weiten Teilen der Welt in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß. Das geschah wohlgemerkt unter dem Leitstern nicht von Milton Friedman und der Chicago Boys, sondern von Keynes!

    Was den Wohlfahrtsstaat selbst betrifft, war er keineswegs als Wohltat für die Armen gedacht. Er war zu einer wirtschaftlichen Notwendigkeit für das kapitalistische System geworden. Während der „Wirtschaftswunderzeit“ herrschte zunehmend Arbeitskräftemangel. Da wurde es dringend, das angeschlagene „Humankapital“ schnell zu „reparieren“ (Gesundheitswesen), die Frauen für den Arbeitsmarkt zu mobilisieren (Kindergeld, Krippenplätze) oder den rar gewordenen Arbeitskräften Mut zu machen, flexibler zu werden und eine neue Stelle zu suchen (Arbeitslosenversicherung).

    Die Klasse der Kapitalisten begann erst dann, den Wohlfahrtsstaat in Frage zu stellen (die Ideologie des Neoliberalismus), als in Folge der Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit dieser Einrichtung der wirtschaftliche Sinn abhanden gekommen war. Warum das „Humankapital“ am Leben erhalten und „reparieren“, wenn es im Überfluss vorhanden ist? Dennoch wurde der Wohlfahrtsstaat nicht sofort zerschlagen, sondern zunächst nur eingeschränkt. Dies nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen Erwägungen. Denn die Massenarbeitslosigkeit offenbart das Wesen der Lohnarbeit als Grundlage des Kapitalismus: Die Unsicherheit der Lebenslage. Hält diese Unsicherheit zu lange an, überschreitet sie einen gewissen Intensitätsgrad, wird sie kaum noch zu vereinbaren sein mit der menschlichen Natur. Da kann es passieren, dass die Menschen, deren Arbeitskraft zur Ware degradiert worden ist, dass die Lohnsklaven gegen diese absolute Unsicherheit, gegen den Kapitalismus aufstehen, um ihre eigene Menschlichkeit zu verteidigen.

    Weltreform oder Weltrevolution?

    Was bedeutet, wenn heute der „Neoliberalismus“ weltweite Triumphe feiert. Es bedeutet, dass der Kapitalismus aufgrund der Tiefe der geschichtlichen Krise des allgemeinen Warensystems es sich wirtschaftlich nicht mehr leisten kann, diese Krise in dem Maße durch wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen politisch abzufedern wie zuvor.

    Das sind die Ideen, die wir anlässlich der G8 Gipfelproteste gerne zur Debatte stellen möchten. Wir meinen, dass das Projekt einer Rückkehr zum Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit eine reaktionäre Utopie darstellt. Utopisch, weil die Krise des Kapitalismus selbst den Wohlfahrtsstaat unmöglich gemacht hat. Reaktionär, weil die Weltordnung des Wohlfahrtsstaats nicht minder barbarisch war als die heutige. Die Krise der Gegenwart ist eine Krise des Lohnsystems, eine Krise der verallgemeinerten Warenwirtschaft, des Kapitalismus, welcher die menschlichen und natürlichen Grundlagen unserer Gesellschaft immer mehr zerstört. Eine Lösung kann es nur auf Weltebene geben. Aber diese Lösung kann nicht eine Reform der Welt sein, weil der Kapitalismus nicht reformierbar ist. Die Lösung kann nur in einer Weltrevolution liegen. Da diese Revolution sich gegen das Lohnsystem selbst richten muss, kann sie nur von den Lohnsklaven angeführt werden. Eine proletarische Revolution für eine Welt ohne Waren und ohne Ausbeutung: Das ist es, was wir zur Debatte stellen möchten.

    Eine andere Welt ist möglich.

    23.05.07

    Imperialistisches Chaos, Ökokatastrophe: Der Kapitalismus in der Sackgasse

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    Vor mehr als hundert Jahren sagte Engels voraus, dass die kapitalistische Gesellschaft, sich selber überlassen, die Menschheit in die Barbarei stürzen würde. Und tatsächlich, in den letzten hundert Jahren haben imperialistische Kriege nicht aufgehört, auf immer abstoßendere Weise diese Voraussage zu bestätigen. Heute hat die kapitalistische Welt eine neue Türe zur Apokalypse geöffnet, zu der von Menschenhand geschaffenen ökologischen Katastrophe, welche in wenigen Generationen den Planeten Erde zu einem unwirtlichen Ort wie den Planeten Mars machen könnte. Obwohl sich die Verteidiger der kapitalistischen Ordnung dieser Perspektive bewusst sind, können sie rein gar nichts dagegen tun, denn es ist ihre eigene Produktionsweise, welche die imperialistischen Kriege wie auch die ökologische Katastrophen hervorruft.

    Imperialistischer Krieg = Barbarei

    Das blutige Fiasko des Irakfeldzuges der 2003 von den USA angeführten Koalition stellt ein schicksalhaftes Moment in der Entwicklung der imperialistischen Kriege auf dem Weg der Zerstörung der Gesellschaft selber dar. Vier Jahre nach der Invasion ist der Irak weit davon entfernt, "befreit" zu sein, und hat sich in das verwandelt, was die bürgerliche Presse vorsichtig als einen "gescheiterten Staat" definiert; dieses Land, dessen Bevölkerung die Massaker von 1991 über sich ergehen lassen musste, danach während eines Jahrzehnts durch die Wirtschaftssanktionen  ausgeblutet wurde und nun täglich durch Selbstmordattentate, Pogromen der verschiedenen "Aufständischen", von den Todesschwadronen des Innenministeriums oder durch willkürliche Hinrichtungen durch die Besatzungstruppen aufgerieben wird. Die Situation im Irak ist nichts anderes als das Epizentrum eines Prozesses des Zerfalls und des militärische Chaos, welches sich über Palästina, Somalia, den Sudan, den Libanon und Afghanistan ausbreitet und immer neue Regionen zu befallen droht. Die kapitalistischen Metropolen sind nicht davon ausgenommen, wie die Anschläge in New York, Madrid oder London im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts zeigen. Weit davon entfernt, eine neue Ordnung im Nahen und Mittleren Osten aufzubauen, hat die amerikanische Militärmacht das Chaos nur vergrößert.

    In diesem Sinn gibt es nichts Neues an diesem Massaker. Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 war ein erster Schritt zu einer barbarischen "Zukunft". Das Gemetzel von Millionen junger Arbeiter, welche die jeweiligen imperialistischen Herrscher in die Schützengräben geschickt hatten, wurde abgelöst durch die Pandemie der "spanischen Grippe", welche weitere Millionen von Opfern forderte. Die mächtigsten europäischen Nationen befanden sich am Ende des Krieges ökonomisch am Boden. Nach der Niederlage der Oktoberrevolution von 1917 und der verschiedenen Arbeiterrevolutionen, die im Laufe der 20er Jahren unter diesem Einfluss ausbrachen, war der Weg zu einem noch katastrophaleren Krieg geebnet, zum Zweiten Weltkrieg von 1939 bis 1945. Hier wurde die wehrlose Zivilbevölkerung das Hauptziel eines systematischen Massakers durch die Luftstreitkräfte; ein Völkermord im Herzen der europäischen Zivilisation forderte Millionen von Menschenleben.

    Während des Kalten Krieges von 1947 bis 1989 gab es eine ganze Reihe von zerstörerischen Kriegen, in Korea, Vietnam, Kambodscha und quer durch ganz Afrika, während der Antagonismus zwischen den USA und der UdSSR die Welt dauernd mit der weltweiten nuklearen Apokalypse bedrohte.

    Was heute am imperialistischen Krieg neu ist, ist nicht das absolute Ausmaß der Zerstörung, obwohl die Zerstörungskraft mindestens der USA sehr viel größer ist als je zuvor, denn die jüngeren militärischen Konflikte haben noch nicht die wesentlichen Bevölkerungskonzentrationen im Herzen des Kapitalismus in den Abgrund geführt, wie dies während des Ersten und Zweiten Weltkriegs der Fall war. 1918 verglich Rosa Luxemburg die Barbarei des Ersten Weltkrieges mit dem Niedergang des Alten Roms und der düsteren Zeit, die darauf folgte. Heute scheint selbst dieser dramatische Vergleich unangemessen, wenn man den grenzenlosen Schrecken beschreiben will, den uns der Kapitalismus bietet. Trotz der Brutalität und dem Chaos der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts gab es dabei immer noch eine Perspektive - wenn auch eine illusorische - eines Wiederaufbaus einer gesellschaftlichen Ordnung im Interesse der herrschenden imperialistischen Mächte. Die Spannungsfelder unserer Zeit bieten hingegen keine andere Perspektive als diejenige des immer tieferen Versinkens im gesellschaftlichen Auseinanderdriften auf allen Ebenen, im Zerfall jeglicher sozialen Ordnung, in einem endlosen Chaos.

    Die Sackgasse des US-amerikanischen Imperialismus ist diejenige des Kapitalismus

    Ein ganz großer Teil der US-amerikanischen Bourgeoisie ist gezwungen worden zu anerkennen, dass die Strategie des Unilateralismus bei ihren weltweiten Hegemonialansprüchen sowohl auf der diplomatischen als auch auf der militärischen und der ideologischen Ebene gescheitert ist. Der Bericht der Irak-Studiengruppe (Irak Study Group, ISG), der dem amerikanischen Kongress vorgelegt worden ist, verheimlicht diese offensichtliche Tatsache nicht. Statt das Ansehen der USA zu stärken, hat die Besetzung des Iraks ihr Prestige in praktisch allen Bereichen geschwächt. Aber welche Alternative schlagen die härtesten Kritiker der Bush-Administration innerhalb der herrschenden Klasse der USA vor? Der Rückzug der Truppen ist nicht möglich, ohne die amerikanische Hegemonie weiter zu schwächen und das Chaos zu beschleunigen. Eine Teilung des Iraks in ethnische Zonen hätte den gleichen Effekt. Einige schlagen eine Politik der Eindämmung vor wie während der Zeit des Kalten Krieges, aber es ist klar, dass man nicht zur Politik der zwei imperialistischen Blöcke zurückkehren kann. Außerdem ist das Versagen der US-Truppen im Irak viel schlimmer als dasjenige in Vietnam, denn im Gegensatz zu Vietnam geht es für die USA im Irak darum, die ganze restliche Welt in die Schranken zu weisen, und nicht mehr bloß den seinerzeit rivalisierenden Block der UdSSR.

    Trotz der harschen Kritik der ISG und der durch die demokratische Partei errungenen Kontrolle über den Kongress wurde Bush ermächtigt, die Zahl der Soldaten im Irak um 20´000 zu erhöhen. Gleichzeitig begann eine Politik der militärischen und diplomatischen Drohung gegenüber dem Iran. Welches die alternativen Strategien der herrschenden Klasse der USA auch immer sind, wird sie früher oder später gezwungen sein, einen weiteren blutigen Beweis für ihren Status als Supermacht zu liefern mit noch widerwärtigeren Konsequenzen für die Menschen der ganzen Welt, was einmal mehr die Ausbreitung der Barbarei beschleunigen wird.

    Das ist weder das Resultat der Inkompetenz noch der Arroganz der republikanischen Administration unter Bush und der Neokonservativen, wie dies die Bourgeoisien der anderen imperialistischen Mächte unaufhörlich wiederholen. Sich auf die UNO und den Multilateralismus abzustützen, ist keine wirkliche Friedensoption, entgegen den Empfehlungen dieser Bourgeoisien und der Pazifisten jeder Couleur. Seit 1989 hat Washington sehr gut verstanden, dass die UNO eine Tribüne geworden ist, auf der die Rivalen der USA die amerikanischen Pläne durchkreuzen können: ein Ort, wo ihre weniger mächtigen Rivalen die amerikanische Politik verzögern und verwässern oder gar mit einem Veto verhindern können, um der Schwächung ihrer eigenen Position entgegen zu wirken. Indem Frankreich, Deutschland und die anderen die USA als die einzigen Verantwortlichen für Chaos und Krieg darstellen, offenbaren sie lediglich, dass sie selber ihren vollen Anteil an der zerstörerischen Logik des Kapitalismus haben: einer Logik, nach der jeder für sich selber spielt und sich gegen alle anderen durchsetzen muss.

    Es überrascht nicht, dass die regelmäßigen Antikriegsdemonstrationen in großen Städten der wichtigen Metropolen im allgemeinen laut die kleinen imperialistischen Mächte des Nahen und Mittleren Ostens unterstützen, wie beispielsweise die Aufständischen im Irak oder die Hisbollah im Libanon, welche die USA bekämpfen. Das zeigt, dass dem Imperialismus eine Logik innewohnt, der sich keine Nation entziehen kann, und dass der Krieg nicht nur das Resultat der Aggressionen der Großmächte ist.

    Andere verkünden dauernd wider besseres Wissen, dass das Abenteuer der USA im Irak ein "Krieg ums Öl" sei. Dabei werden die Gefahren ihrer grundlegenden geostrategischen Ziele völlig außer acht gelassen. Dies ist eine grobe Unterschätzung der aktuellen Lage. Die Situation, in der sich die USA im Irak befinden, ist nur der Ausdruck der weltweiten Sackgasse, in der die ganze kapitalistische Gesellschaft steckt. George Bush senior proklamierte seinerzeit, dass mit dem Wegfall des Ostblocks eine Zeit des Friedens und der Stabilität begonnen habe, eine "neue Weltordnung". Schon schnell sollte die Realität diese Vorhersage Lügen strafen, zunächst mit dem ersten Irakkrieg, dann mit dem barbarischen Konflikt in Jugoslawien, einem Krieg im Herzen Europas. Die 90er Jahre waren keineswegs Jahre der Ordnung, sondern des zunehmenden militärischen Chaos. Ironischerweise ist George Bush junior die Rolle zugefallen, einen weiteren entscheidenden Schritt hin zu diesem unumkehrbaren Chaos zu tun.

    Die Zerstörung der Biosphäre

    Gleichzeitig zur Verschärfung seines imperialistischen Kurses hin zu einer immer sichtbareren Barbarei, verstärkt der zerfallende Kapitalismus seine Attacke gegen die Biosphäre in einem solchen Ausmaß, dass ein künstlicher klimatischer Holocaust die Zivilisation und die Menschen zu verstören droht. Laut den Erkenntnissen, zu denen die Umweltwissenschaftler im Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaveränderung (IPCC) gekommen sind, wird bestätigt, dass die Theorie über die Klimaerwärmung durch hohe Kohlendioxid-Werte in der Atmosphäre, verursacht durch die massenhafte Verbrennung fossiler Brennstoffe, nicht nur eine simple Hypothese, sondern "Wahrscheinlichkeit" sei. Das Kohlendioxid in der Atmosphäre hält die von der Erdoberfläche und der Umgebungsluft abgestrahlte Sonnenwärme zurück und führt zu einem "Treibhauseffekt". Dieser Prozess hat um 1750 begonnen, zur Zeit der kapitalistischen industriellen Revolution, und seither haben die Kohlendioxid-Emissionen und die Erderwärmung stetig zugenommen. Seit 1950 hat sich dies ständig beschleunigt, und während des letzten Jahrzehnts wurden jedes Jahr neue Temperaturrekorde gemessen. Die Konsequenzen dieser Erderwärmung haben bereits alarmierende Ausmaße angenommen: Die Klimaveränderung führt zu wiederkehrenden Dürren und riesigen Überschwemmungen, zu tödlichen Hitzewellen in Nordeuropa und Klimabedingungen mit einer großen Zerstörungskraft. Sie führt zur Verschärfung der Hungersnöte und der Krankheiten in der Dritten Welt und selbst zum Ruin von Städten wie New Orleans nach dem Hurrikan Katrina.

    Sicher, man darf nicht den Kapitalismus anklagen, damit begonnen zu haben, fossile Brennstoffe zu verbrennen, oder mit der Umwelt in gefährlicher und zerstörerischer Weise umzugehen. Dies war schon zu Beginn der menschlichen Zivilisation der Fall:

    "Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, dass sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordabhang des Gebirges so sorgsam gehegten Tannenwälder am Südabhang vernutzten, ahnten nicht, dass sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzeln abgruben; sie ahnten noch weniger, dass sie dadurch ihren Bergquellen für den größten Teil des Jahrs das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit um so wütender Flutströme über die Ebene ergießen könnten. Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wussten nicht, dass sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiteten. Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht - sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und dass unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können." (Friedrich Engels, Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen in Dialektik der Natur)

    Doch der Kapitalismus ist verantwortlich für die enorme Zunahme dieser Umweltzerstörung. Dies nicht wegen der Industrialisierung an sich, sondern wegen seiner Jagd nach einem maximalen Profit und seiner Blindheit gegenüber den ökologischen und menschlichen Bedürfnissen, außer wenn sie zufällig mit dem Ziel der Anhäufung von Reichtum zusammenfallen. Die kapitalistische Produktionsweise hat aber noch andere Charakteristiken, welche zur ungebremsten Zerstörung der Umwelt führen. Die gnadenlose Konkurrenz unter den Kapitalisten, vor allem unter den verschiedenen Nationalstaaten, verhindert schlussendlich jegliche Kooperation auf Weltebene. Und verbunden mit dieser Charakteristik die Tendenz des Kapitalismus zur Überproduktion, in seiner unersättlichen Suche nach Profit.

    Im dekadenten Kapitalismus, in seiner Periode der permanenten Krise, wird diese Tendenz zur Überproduktion chronisch. Dies ist seit Ende des Zweiten Weltkrieges besonders deutlich geworden, da die Erweiterung der kapitalistischen Wirtschaft auf einer künstlichen Basis vorangetrieben wird, vor allem durch die Politik der Finanzierung über Defizite und die enorme Zunahme der Verschuldung in der Wirtschaft. All dies hat nicht zur Befriedigung der Bedürfnisse der Masse der arbeitenden Bevölkerung geführt, welche weiterhin im Morast der Armut steckt, sondern zu einer enormen Vergeudung, zu Bergen von unverkauften Gütern; zur Verschleuderung von Millionen Tonnen von Lebensmitteln; wegen fehlender Planung der Produktion zu immensen Mengen von überschüssigen Gütern; vom Auto bis zum Computer zu Produkten, die schnell wieder auf den Müll geworfen werden; zu einer gigantischen Masse von identischen Produkten aus der Produktion der verschiedenen Konkurrenten für denselben Markt.

    Während der Rhythmus der technologischen Entwicklung und Spezialisierung in der Dekadenz des Kapitalismus zunimmt, werden die daraus resultierenden Innovationen vor allem durch den militärischen Sektor angeregt, dies im Gegensatz zur Zeit des aufsteigenden Kapitalismus. Auf der Ebene der Infrastruktur: Gebäude, sanitäre Einrichtungen, Energieproduktion, Transportwesen, sind wir aber keineswegs Zeugen von revolutionären Entwicklungen, welche mit dem Beginn der kapitalistischen Produktionsweise vergleichbar wären. In der Phase des Zerfalls des Kapitalismus, der letzten Phase der Dekadenz, herrscht eine andere Tendenz vor: das Herunterschrauben der Kosten für die Aufrechterhaltung selbst der alten Infrastruktur, in der Hoffnung auf kurzfristige Profite. Man kann eine Karikatur dieses Prozesses in der Entwicklung der Produktion in China und Indien beobachten, wo die industrielle Infrastruktur größtenteils fehlt. Anstatt dem Kapitalismus einen neuen Lebenselan einzuhauchen, führt diese Entwicklung zu grausamsten Verschmutzungen: zur Zerstörung der Flüsse, enormen Smog-Decken, die ganze Länder überdecken, usw.

    Dieser lange Prozess des Niedergangs und Zerfalls der kapitalistischen Produktionsweise liefert eine Erklärung, weshalb es eine dermaßen dramatische Zunahme der Kohlendioxid-Verschmutzung und der Erwärmung des Planeten in den letzten Jahrzehnten gibt. Er lässt auch begreifen, weshalb gegenüber einer solchen wirtschaftlichen und klimatischen Entwicklung der Kapitalismus und seine "Machthaber" unfähig sind, die katastrophalen Auswirkungen der Erderwärmung zu bekämpfen.

    Die apokalyptischen Szenarien, welche zur Zerstörung der Menschheit führen können, werden in einem gewissen Sinne durch die Sprecher und Medien der Regierungen aller kapitalistischer Länder anerkannt und öffentlich dargestellt. Die Tatsache, dass sie zahllose Heilmittel anpreisen, um diese Auswirkungen zu vermeiden, heißt noch lange nicht, dass nur ein Einziger von ihnen eine realistische Alternative gegenüber der barbarischen Perspektive anzubieten hätte. Ganz im Gegenteil. Angesichts des ökologischen Desasters ist der Kapitalismus, gleich wie gegenüber der imperialistischen Barbarei, absolut hilflos.   

    "Viel Wind" um die Klimaerwärmung

    Die Regierungen der ganzen Welt finanzieren seit 1990 über die Vereinten Nationen großzügig die Forschung des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderung, und ihre Medien haben die kürzlich gezogenen, schrecklichen Schlussfolgerungen breit gewalzt.

    Die wichtigsten politischen Parteien der Bourgeoisie aller Länder stellen sich alle als Variationen von Ökologen dar. Aber wenn man genauer hinschaut, verschleiert die "grüne" Politik dieser Parteien, wie radikal sie auch erscheinen mögen, vorsätzlich den Ernst des Problems, denn die einzige Erfolg versprechende Lösung würde gerade das System in Frage stellen, dessen Lob sie singen. Der gemeinsame Nenner all dieser "grünen" Kampagnen besteht darin, die Entwicklung eines revolutionären Bewusstseins in einer Bevölkerung zu verhindern, die zu Recht über die klimatische Erwärmung entsetzt ist. Die ständig wiederholte ökologische Botschaft der Regierungen lautet, dass "den Planeten zu retten die Verantwortung jedes und jeder Einzelnen" sei, während die überwiegende Mehrheit keinerlei wirtschaftliche oder politische Macht hat und von jeder Kontrolle über die Produktion und den Konsum ausgeschlossen ist. Und die Bourgeoisie, die diese Entscheidungsmacht hat, beabsichtigt in keiner Weise, ihre Profite den allgemeinen ökologischen und menschlichen Bedürfnissen zu opfern.

    Al Gore, der im Jahre 2000 beinahe demokratischer Präsident der Vereinigten Staaten geworden wäre, stellte sich mit seinem Film "Eine unbequeme Wahrheit" an die Spitze einer internationalen Kampagne gegen den Kohlendioxidausstoß. Der Film gewann in Hollywood einen Oscar für die lebendige Art und Weise, mit der er die Gefahr des globalen Temperaturanstiegs, des Schmelzens der Polarkappen, des Anstiegs der Meere und aller Zerstörungen behandelt, die sich daraus ergeben. Aber der Film ist auch eine Wahlplattform für Al Gore selbst. Er ist nicht der einzige alte Politiker, der auf die Idee kommt, die gerechtfertigte Angst der Bevölkerung vor der ökologischen Katastrophe für die Jagd aufs Präsidentenamt auszunutzen, die das demokratische Spiel der großen kapitalistischen Länder ausmacht. In Frankreich haben alle Präsidentschaftskandidaten den "ökologischen Pakt" des Journalisten Nicolas Hulot unterzeichnet. In Großbritannien rivalisieren die politischen Hauptparteien darum, wer der "grünste" sei. Der von Gordon Brown und seiner New Labour in Auftrag gegebene Stern-Bericht hat mehrere Regierungsinitiativen nach sich gezogen, die die CO2-Emissionen reduzieren sollen. David Cameron, Chef der konservativen Opposition, geht mit dem Fahrrad zum Parlament (während seine Entourage im Mercedes folgt).

    Es reicht, die Ergebnisse der früheren Regierungsstrategien anzuschauen, die angeblich den Zweck hatten, den Kohlendioxidausstoß zu reduzieren, um die Unfähigkeit der Staaten festzustellen, den Beweis irgendeiner Wirksamkeit ihrer Politik zu erbringen. Statt die Emission von Gasen mit Treibhauseffekt bis ins Jahr 2000 auf dem Stand von 1990 zu stabilisieren, wie sich die Unterzeichner des Kyoto-Protokolls im Jahre 1997 bescheiden verpflichteten, gab es in Tat und Wahrheit bis Ende des Jahrhunderts in den wichtigsten Industrieländern eine Erhöhung des Ausstoßes um 10,1%, und die Voraussage lautet, dass diese Umweltverschmutzung bis ins Jahr 2010 noch um 25,3% steigen wird! (Deutsche Umwelthilfe)

    Es genügt auch, die grobe Fahrlässigkeit der kapitalistischen Staaten bei den Unglücken festzustellen, die sich bereits wegen der Klimaänderung ereignet haben, um sich ein Urteil über die Aufrichtigkeit der zahllosen Erklärungen guter Absichten zu machen.

    Es gibt natürlich diejenigen, die erkennen, dass das Interesse an der Profitmaximierung einen mächtigen Faktor darstellt, welcher der wirksamen Begrenzung der Umweltverschmutzung entgegenwirkt; sie glauben, dass man das Problem lösen könne, indem man die liberale Politik durch Lösungen ersetze, die der Staat organisiere. Aber er ist insbesondere auf internationaler Ebene klar, dass die kapitalistischen Staaten, selbst wenn sie innenpolitisch etwas umsetzen würden, unfähig sind, untereinander in dieser Frage zusammenzuarbeiten, denn jeder müsste wirtschaftliche Opfer bringen. Kapitalismus heißt Konkurrenz, und er ist heute mehr denn je durch das Jeder-für-sich beherrscht.

    Die kapitalistische Welt ist unfähig, sich für ein gemeinsames Vorhaben zusammenzuschließen, das so massiv und kostspielig wäre wie eine vollständige Umstrukturierung der Industrie und des Verkehrs, die nötig wäre, um eine drastische Reduzierung der Erzeugung von Energie zu erreichen, die Kohlenstoff verbrennt. Vielmehr besteht das Hauptanliegen aller kapitalistischen Nationen darin zu versuchen, dieses Problem zu benutzen, um ihren eigenen widerwärtigen Ehrgeiz zu befriedigen. Wie auf der imperialistischen und militärischen Ebene ist der Kapitalismus auch auf der ökologischen Ebene von unüberwindbaren nationalen Grenzen durchzogen und kann deshalb nicht einmal auf die dringendsten Bedürfnisse der Menschheit eingehen.

     Für die Proletarier ist noch nicht alles verloren - sie haben immer noch eine Welt zu gewinnen

    Aber es wäre falsch, einfach zu resignieren und zu meinen, der Untergang in der Barbarei sei aufgrund der mächtigen Tendenzen - des Imperialismus und der ökologischen Zerstörung - unvermeidlich. Angesichts der Selbstgefälligkeit aller halben Maßnahmen, die der Kapitalismus uns vorschlägt, um den Frieden und die Harmonie mit der Natur herzustellen, ist der Fatalismus eine gleichermaßen falsche Einstellung wie der naive Glauben an die Wirksamkeit kosmetischer Mittel.

    Während der Kapitalismus alles dem Kampf um den Profit und der Konkurrenz opfert, hat er gleichzeitig die Elemente geschaffen, die seine Überwindung als Ausbeutungsweise erlauben. Er hat die technologischen und kulturellen Mittel entwickelt, die für ein weltweites Produktionssystem nötig sind, das als Gesamtheit und nach einem Plan funktioniert und in Einklang mit den Bedürfnissen der Menschheit und der Natur steht. Er hat eine Klasse hervorgebracht, das Proletariat, die aus nationalen Vorurteilen oder Konkurrenzdenken allgemein keinen Vorteil schöpft und jedes Interesse an der Entwicklung der internationalen Solidarität hat. Die Arbeiterklasse hat kein Interesse an der gierigen Jagd nach Profit. Mit anderen Worten hat der Kapitalismus die Grundlagen für eine höhere Gesellschaftsordnung, für seine Überwindung durch den Sozialismus gelegt. Der Kapitalismus hat die Mittel entwickelt, die menschliche Gesellschaft zu zerstören, aber er hat auch ihren eigenen Totengräber, die Arbeiterklasse, geschaffen, die diese menschliche Gesellschaft erhalten und sie einen entscheidenden Schritt in ihrer Entfaltung weiter bringen kann.

    Der Kapitalismus hat die Schaffung einer Wissenschaftskultur erlaubt, die fähig ist, unsichtbare Gase wie Kohlendioxid zu erkennen und seine Konzentration sowohl in der Atmosphäre von heute als auch in jener von vor 10'000 Jahren zu messen. Die Wissenschaftler können die spezifischen Isotope von Kohlendioxid erfassen, die durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern produziert wurden. Die wissenschaftliche Gemeinschaft war fähig, die Hypothese des "Treibhauseffektes" zu prüfen und zu bestätigen. Jedoch sind die Zeiten längst vorbei, zu denen der Kapitalismus als Gesellschaftssystem fähig war, die wissenschaftliche Methode und ihre Ergebnisse im Interesse des Fortschritts der Menschheit zu nutzen. Der größte Teil der Forschungsarbeiten und der wissenschaftlichen Entdeckungen von heute wird der Zerstörung gewidmet, der Entwicklung immer raffinierterer Methoden der Massentötung. Nur eine neue Gesellschaftsordnung, eine kommunistische Gesellschaft, kann die Wissenschaft in den Dienst der Menschheit stellen.

    Trotz der hundert letzten Jahre des Niedergangs und der Fäulnis des Kapitalismus und der ernsthaften Niederlagen, welche die Arbeiterklasse eingesteckt hat, ist die notwendige Grundlage für eine neue Gesellschaft immer noch vorhanden.

    Dass das Proletariat nach 1968 weltweit wieder auf der Bühne erschienen ist, belegt diese Ausgangslage. Die Entwicklung seines Klassenkampfes gegen den konstanten Druck auf den Lebensstandard der Proletarier während der Jahrzehnte, die auf 1968 gefolgt sind, hat den barbarischen Ausgang verhindert, der durch den Kalten Krieg vorgezeichnet war: den vernichtende Zusammenstoß zwischen den imperialistischen Blöcken. Seit 1989 jedoch und dem Verschwinden der Blöcke hat die defensive Haltung der Arbeiterklasse nicht ausgereicht, eine Abfolge entsetzlicher lokaler Kriege zu verhindern, die drohen, sich außerhalb jeder Kontrolle zu beschleunigen und immer mehr Regionen des Planeten in Mitleidenschaft zu ziehen. In dieser kapitalistischen Zerfallsperiode läuft dem Proletariat die Zeit davon, und dies umso mehr als noch eine drohende ökologische Katastrophe in die historische Gleichung aufgenommen werden muss.

    Aber es ist noch nicht so weit, dass wir sagen müssten, der Niedergang und der Zerfall des Kapitalismus hätten einen Punkt erreicht, wo es kein Zurück mehr gibt - einen Punkt, von dem an seine Barbarei nicht mehr aufzuhalten wäre.

    Seit 2003 beginnt die Arbeiterklasse, den Kampf mit einer neu gewonnenen Kraft wieder aufzunehmen, nachdem der Zusammenbruch des Ostblocks für eine gewisse Zeit den 1968 begonnenen Aufbruch gestoppt hat.

    Unter diesen Bedingungen der Entwicklung des Vertrauens in der Klasse können die wachsenden Gefahren, die der imperialistische Krieg und die ökologische Katastrophe darstellen, statt Ohnmachts- und Fatalismusgefühle hervorzurufen auch zu einem vertieften politischen Nachdenken und zu einem stärkeren Bewusstsein darüber führen, was weltweit auf dem Spiel steht, zu einem Bewusstsein über die Notwendigkeit der revolutionären Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft. Es ist die Verantwortung der Revolutionäre, aktiv an dieser Bewusstseinsbildung teilzunehmen.

    Como, 3/04/2007

     

    Kommunismus - keine schöne Idee, sondern eine materielle Notwendigkeit

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    "Kommunismus? Ach ja, so wie damals in Russland? Wo der Staat die ganze Wirtschaft kontrollierte? Wo - abgesehen von einer kleinen Zahl von Apparatschiks, die alle Entscheidungen trafen - jeder den gleichen niedrigen Lohn erhielt? Die Leute besaßen nicht einmal die Freiheit, das Land zu verlassen!"

    Nein! Das ist nicht der Kommunismus von Marx, der auf die Abschaffung des Lohnsystems, die Überwindung des Staates sowie der nationalen Grenzen und auf eine Gesellschaft frei assoziierter Produzenten abzielt.

    "Oh, dieser Kommunismus! Eine wundervolle Utopie! Eine schöne Idee, die jedoch nie funktioniert… Es ist besser, das zu tun, was wir schaffen können, nämlich den Kapitalismus menschlicher zu gestalten".

    Aber was nicht funktioniert, ist der Kapitalismus, der schon seit langem überlebt ist und die Menschheit in den Horror des ökonomischen Zusammenbruchs, des Krieges und der Umweltvernichtung treibt. Der Kommunismus ist eine Notwendigkeit für das zukünftige Weiterleben der menschlichen Gattung. Zudem ist er keine Utopie. Er spiegelt die grundlegenden historischen Interessen der Arbeiterklasse wider.

    Seit 1990 und dem Zusammenbruch des "Realsozialismus" - in Wirklichkeit war dieser eine Form des Staatskapitalismus - hat die Internationale Kommunistische Strömung eine Reihe von Artikel über den Kommunismus in ihrer theoretischen Zeitschrift Internationale Revue veröffentlicht. Ursprünglich war dieses Projekt als eine Reihe von vier oder fünf Artikel verfasst worden mit dem Ziel, die wirkliche Bedeutung des Kommunismus gegen die bürgerliche Gleichsetzung von Stalinismus und Kommunismus klarzustellen. Doch bei dem Versuch, die historische Methode so sorgfältig wie möglich anzuwenden, ist diese Serie herangewachsen zu einer tieferen Untersuchung der Geschichte des kommunistischen Programms, das durch die Schlüsselerfahrungen der Klasse insgesamt und durch die Beiträge und Debatten revolutionärer Minderheiten bereichert wurde. Der erste Band dieser Reihe ist jetzt in Buchform veröffentlicht worden.

    Obgleich die meisten Kapitel in diesem Buch sich notwendigerweise mit politischen Grundsatzfragen befassen - da der erste Schritt zur Errichtung des Kommunismus die Etablierung der Diktatur des Proletariats ist -, ist es eine Prämisse des Buches, dass der Kommunismus die Menschheit über den Bereich der Politik hinaustragen und ihr wahres gesellschaftliches Wesen freisetzen wird. Deshalb wirft das Buch die Fragen marxistischer Anthropologie und andere Fragen auf, die im Verständnis der Menschheit als Gattung verwurzelt sind. Die Vernetzung zwischen der politischen und "anthropologischen" Dimension  dieser Serie war in der Tat eines der Leitmotive. Deshalb fängt der erste Band mit dem primitiven Kommunismus und den utopischen Sozialisten an, mit der grandiosen Vorstellung des jungen Marx von der menschlichen Entfremdung und den Endzielen des Kommunismus. Es endet mit den Ereignissen am Vorabend der Massenstreiks von 1905, die den Eintritt des Kapitalismus in eine neue Epoche ankündigten, in der die kommunistische Revolution von einer allgemeinen Perspektive der Arbeiterbewegung zu einer geschichtlichen Notwendigkeit herangereift war.

    Der zweite Band des Buches befasst sich mit der Zeit von den Massenstreiks 1905 bis zum Ende der ersten großen revolutionären Welle von Kämpfen, die im Anschluss zum Ersten Weltkrieg stattfanden. Ein dritter Band ist in Vorbereitung; wir arbeiten darauf hin, die beiden Bände als Ergänzungsliteratur zu dem jüngst veröffentlichen Buch herauszugeben.

    Oktoberrevolution 1917: Das in den Arbeiterräten organisierte Proletariat übernimmt die Macht

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    Der Haß der Weltbourgeoisie auf die Russische Revolution, auf die Machtübernahme durch die Arbeitermassen, die im Oktober 1917 in ihren Arbeiterräten  organisiert waren, entsprach der gewaltigen Hoffnung und dem Echo, das dieses grandiose Ereignis in der Weltarbeiterklasse hervorgerufen hat. Deshalb versuchen seit nunmehr 80 Jahren die Vertreter der herrschenden Klasse, ihre Historiker und Ideologen besessen die wirkliche Bedeutung dieser ersten bewußten Revolution der Geschichte der Menschheit zu entstellen.

    Die Sowjets - Speerspitze des Wegs zur Machtübernahme

    Wir haben schon in unserer Presse über die verschiedenen Etappen des revolutionären Prozesses berichtet, der Anfang Februar 1917 in Rußland anfing.(1) Infolge der schrecklichen Leiden, den der imperialistische Weltkrieg seit mehr als zweieinhalb Jahren den ärmsten Schichten der Bevölkerung auferlegte, nämlich der Bauernschaft und der Arbeiterklasse, infolge der Massaker, zu deren Zielscheibe sie an der Front geworden waren, hatte der Aufstand der Arbeiter und Soldaten in Petrograd innerhalb von wenigen Tagen das Zarenregime beiseitegefegt. Aber weder die Organisation noch das Bewußtsein der Arbeiterklasse noch der Grad der politischen Schwächung der Bourgeoisie reichten aus, dem Proletariat die Macht zu übertragen. Die Macht war von 'demokratischen' und 'liberalen' Teilen der Bourgeoisie an sich gerissen worden, mit der 'provisorischen Regierung' an ihrer Spitze, die für die Fortsetzung des imperialistischen Krieges durch Rußland eintrat und sich eifrig an ihm beteiligte. Mehrere Monate lang herrschten innerhalb der Arbeiterklasse und auch innerhalb der Bolschewistischen Partei Illusionen über diese Regierung vor, die die Erarbeitung klarer Perspektiven über den weiter einzuschlagenden Weg verhinderten. Erst von April an, nachdem Lenin seine Thesen 'Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution' (2) vorgelegt hatte, wurde diese Perspektive von den Bolschewiki aufgezeigt: der Sturz der provisorischen Regierung, Übernahme der Macht durch die Arbeiterräte als erster Schritt der proletarischen Weltrevolution. Zu diesem Zeitpunkt vertraten nur die am meisten fortgeschrittenen Teile der Klasse solch eine Perspektive. Die neue, am 18. Juni von der provisorischen Regierung eingeleitete militärische Offensive verschärfte die Wut der in den Arbeiterräten der Hauptstadt organisierten Massen und führte zu den aufständischen Tagen des Juli 1917. Aber dieser verfrühte Aufstand in Petrograd war eine von der Bourgeoisie gestellte Falle. Die Bourgeoisie versuchte das Proletariat der Hauptstadt für das Scheitern der militärischen Offensive verantwortlich zu machen, um militärisch gegen die Arbeiter und die Bolschewiki vorzugehen, während die Bedingungen für die Revolution in den anderen Landesteilen noch nicht reif waren. Gegenüber dieser mächtigen Bewegung schafften es die Bolschewiki, die sich ihres verfrühten Charakters bewußt waren, deren Spitze zu übernehmen, und einen verfrühten Aufstand zu verhindern, der für den weiteren Fortschritt des revolutionären Prozesses fatal gewesen wäre. Dennoch folgte eine brutale Repression, die trotz alledem relativ begrenzt war; die Bolschewiki wurden für illegal erklärt, Lenin beschuldigt, im Dienste der deutschen Regierung zu stehen, womit man den Ruf der Bolschewiki in den Augen der Arbeiterklasse schädigen wollte.(3)

    Die Juli-Niederlage trieb die Bourgeoisie zwischen August und September dazu, dem 'revolutionären Schreckgespenst' den Garaus zu machen. Sie teilte sich diese Drecksarbeit auf zwischen dem 'demokratischen' Block um Kerenski und dem offen reaktionären Block um Kornilow, dem Armeechef. Sie organisierte dessen Staatsstreich, bei dem Kosakenregimenter und Truppen aus dem Kaukasus mitwirkten, die der bürgerlichen Macht noch treu geblieben zu sein schienen und die gegen Petrograd geschickt werden sollten. Die Mobilisierung der Arbeitermassen, die Weigerung der Soldaten, Kornilows Anweisungen zu folgen, führte zum Scheitern dieses Putsches. 'Der verfehlte Staatsstreich Kornilows bewirkte eine neue Mobilisierung des Proletariats; die Lage spitzte sich weiter zu, bis sie gar für die Arbeiterklasse wegen der immer größeren Entbehrungen immer verzweifelter wurde. Auch für die Bauern spitzte sich die Lage zu, denn die von den an der Macht befindlichen Sozialrevolutionären versprochene Agrarrevolution wurde immer wieder verschoben. Sie spitzte sich schließlich in der Armee und in der Flotte zu, die im Dienste der Feindesklasse einen aussichtslosen Krieg fortsetzen sollten.' (Victor Serge, Das Jahr Eins der Russischen Revolution) Dieses Wiedererstarken der Arbeitermobilisierung seit Mitte August drehte sich um die Erneuerung der Sowjets, die von den bürgerlichen Kräften der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre verzerrt und untergraben worden waren. Die Arbeiter waren immer mehr überzeugt, daß sie nicht mehr ihren Interessen entsprachen. Eine intensive Aktivität entfaltete sich in den Arbeitermassen und in den Sowjets, Resolutionen wurden verabschiedet, die zur Wahl von revolutionären Mehrheiten führten, die aus bolschewistischen Delegierten, internationalistischen Menschewiki, linken Sozialrevolutionären (in Helsingfor, Ural, Kronstadt, Reval, der Ostseeflotte usw.) bestanden. Am 31. August in Petrograd und Anfang September in Moskau verbuchten die Anträge der Bolschewiki zum ersten Mal eine Mehrheit. Die Bedingungen für die Revolution waren gereift. Von Mitte September an wurden immer mehr Resolutionen von den örtlichen oder regionalen Sowjets (Kronstadt, Jekaterinburg usw.) verabschiedet, die die Machtübernahme forderten. Von seinem Versteck in Finnland aus rief Lenin das Zentralkomitee der Bolschewiki dazu auf, sofort alles auf die Vorbereitung der Räte für den Aufstand auszurichten, bevor es der Bourgeoisie gelingen sollte, sich wieder zusammenzufinden und eine neue Konteroffensive im Stile der Kornilowschen zu starten. Trotz eines anfänglich starken Widerstandes innerhalb des Zentralkomitees der Bolschewiki wurde am 10. Oktober eine Resolution zur unmittelbaren Vorbereitung des Aufstands verabschiedet. Von diesem Zeitpunkt an wurde eine systematische Agitation zugunsten des Aufstands in den Fabriken, den Kasernen, den Versammlungen, den Sowjettreffen betrieben. Am Vorabend, am 9. Oktober, war das MRK (Militärisches Revolutionskomitee) des Petrograder Sowjets mit Trotzki an seiner Spitze gebildet worden, dessen Aufgabe in der 'Verteidigung der Hauptstadt mit aktiver Unterstützung der Arbeiter bestand.'

    Im Gegensatz zu den heimtückischen Bezichtigungen der verschiedensten Teile der Bourgeoisie bezüglich eines sogenannten Komplotts und Putsches, unterstreichen wir den massiven, offenen und kollektiven Entscheidungsprozeß und den Willen der Arbeiter, die mit den Bolschewiki in ihren Reihen den Aufstand in Angriff genommen haben. Dies bringt die schöpferische Initiative der Massen zum Ausdruck, die angetrieben wurden durch die bewußte Verzögerungstaktik der provisorischen Regierung gegenüber ihren nie eingehaltenen Versprechungen, durch die nie dagewesene Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiter und Bauernmassen. Die Revolten der Bauern im September waren ein wichtiger Schritt  der revolutionären Reifung und ließen sie auf die Seite der Arbeiter überwechseln. Die ganze Reifung war möglich dank einer einfachen und bewundernswerten Organisation, dank Diskussionen und Debatten, die Resolutionen hervorbrachten, in denen das von den Massen erreichte Bewußtsein zusammengefaßt wurde. Dabei wurde nicht mit Zwang und Druck, sondern mit Überzeugung gearbeitet. Die kurz bevorstehende Auslösung des Aufstands war ein offenes Geheimnis für jeden: der Kongreß der Sowjets der nördlichen Region, der vom 11.-13. Oktober zusammentrat, rief offen zum Aufstand auf, ebenso in Minsk, der sich gleichermaßen äußerte.

    Die Ereignisse des Oktober 1917

    Am 22. Oktober war die 'Tagung des Petrograder Sowjets' vorgesehen. Bei diesem Anlaß strömten gewaltige Arbeiter- und Soldatenmassen an verschiedenen öffentlichen Plätzen zusammen, um sich an Versammlungen zu beteiligen, wo die am meisten aufgestellten Forderungen lauteten: 'Nieder mit der Kerenski-Regierung', 'Nieder mit dem Krieg', 'Alle Macht den Räten'. Es war ein gigantischer Aufmarsch, wo Arbeiter, Beschäftigte, Soldaten, Frauen, Kinder offen ihre Bereitschaft zum Aufstand äußerten. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre und die anderen bürgerlichen Kräfte täuschten sich nicht bei der Unvermeidbarkeit der Endphase der Revolution, die die Machtübernahme durch die Arbeiterräte darstellte. Ein letztes Mal schafften sie es, die Abhaltung des 2. Allrussischen Sowjetkongresses, dessen Tagung anfänglich für den 15. Oktober vorgesehen war, auf den 25. Oktober zu verschieben, d.h. ein Aufschub um 10 Tage. 'Damit legen Sie das Datum der Revolution fest' - sagten die Menschewiki den Bolschewiki, was die ungeheure Lüge eines angeblich geheim vorbereiteten Putsches aufgedeckt! Schließlich überschlugen sich die Ereignisse: am 23. Oktober setzte das Militärische Revolutionskomitee (MRK) zur Eroberung der noch zögernden Truppen an, insbesondere der Truppen der Peter-Paul-Festung; am 24. Oktober wurden die entscheidenden Positionen der Macht (die Telefonzentrale, die Staatsbank usw.) übernommen. Schließlich wurde wie vorgesehen am 25. Oktober die Provisorische Regierung im Winterpalast umzingelt, womit der 2. Sowjetkongreß die Macht übernehmen konnte. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Bourgeoisie ergriffen die Bolschewiki nicht die Macht im Rücken des Sowjetkongresses und sie stellten ihn auch nicht vor vollendete Tatsachen. Wie wir in der Internationalen Revue Nr. 15 schrieben: 'So schuf das Proletariat selbst die Kraft, die Mittel - die allgemeine Bewaffnung der Arbeiter, die Bildung des MRK, der Aufstand - damit der Sowjetkongreß wirklich die Macht übernehmen könnte. Hätte der Kongreß der Sowjets entschieden, die 'Macht zu übernehmen', ohne vorher diese Maßnahmen durchzuführen, wäre dies nur eine leere, inhaltslose Geste geblieben, die leicht durch die Feinde der Revolution hätte zerschlagen werden können. Es ist nicht möglich, den Aufstand als eine isolierte, formale Handlung zu betrachten. Er muß als Teil einer umfassenden Dynamik der ganzen Klasse gesehen werden, konkret in einem Prozeß auf internationaler Ebene, auf der sich die Bedingungen für die Revolution entwickelten. Aber auch in Rußland, wo unzählige örtliche Sowjets die Machtergreifung forderten: die Sowjets von Petrograd, Moskau, Tula, im Ural, in Sibirien, in Jukow - führten sie den siegreichen Aufstand gemeinsam durch.' (Internationale Revue Nr. 15, S. 9)

    Die Rolle der Bolschewistischen Partei

    Während der Aufstand das Werk der Sowjets war, hätten sie diesen nie erfolgreich durchführen können, wenn die Bolschewistische Partei nicht eine entscheidende Rolle gespielt hätte, denn während des ganzen revolutionären Prozesses hat diese in Symbiose mit der ganzen Klasse gehandelt. Ihr Handeln richtete sich vor allem aus auf die zentrale Achse der Entwicklung des Klassenbewußtseins: 'ein geduldiges Bestreben der Klärung des Bewußtseinsprozesses des Proletariats und des Zusammengehens der Arbeiter in den Städten mit den Arbeitern vom Land.' Gleichzeitig vertrauten sie der Fähigkeit des Proletariats sich zusammenzuschließen und sich selbst zu organisieren. 'Glaubt nicht an Worte. Laßt euch nicht von Versprechungen ködern. Überschätzt eure Kräfte nicht. Organisiert euch in jedem Betrieb, in jedem Regiment, in jeder Kompanie, in jedem Häuserblock. Arbeitet täglich und stündlich an der Organisation, arbeitet daran selber, diese Arbeit darf man niemand anderem anvertrauen.' (Lenin, Einleitung zu den Resolutionen der 7. Gesamtrussischen Konferenz der SDAPR, Bd. 2, S. 156)

    Der Sieg der Revolution ist darauf zurückzuführen, daß die Bolschewiki die Interessen der Arbeiterklasse erkannt und aufgegriffen hatten. Im Gegensatz zur Bourgeoisie und deren spezifischem Platz in der Gesellschaft besitzt das Proletariat keine ökonomischen oder politischen Machtbasen in der Gesellschaft. Seine einzigen Waffen sind sein Bewußtsein (die das Ergebnis der Lehren sind, die aus seiner historischen Erfahrung des Kampfes gegen den Kapitalismus hervorgehen und als aktiver Faktor in diesem Kampf wirken) und seine Organisation (einerseits seine Einheitsorgane, die Arbeiterräte, und andererseits seine politischen Organisationen, die Partei, die die bewußtesten Elemente zusammenfaßt). Die später eintretende Niederlage der in Rußland begonnenen Revolution ist in erster Linie auf die Niederlage der Weltrevolution (hauptsächlich das Scheitern der Revolution in Deutschland) zurückzuführen und auf die Isolierung der ersten proletarischen Bastion. Hinsichtlich der Kunst des Aufstandes sagte Lenin.

    'Um erfolgreich zu sein, darf sich der Aufstand nicht auf eine Verschwörung, nicht auf eine Partei stützen; er muß sich auf die fortgeschrittenste Klasse stützen. Dies zum ersten. Der Aufstand muß sich auf den revolutionären Aufschwung des Volkes stützen. Dies zum zweiten. Der Aufstand muß sich auf einen solchen Wendepunkt in der Geschichte der anwachsenden Revolution stützen, wo die Aktivität der vordersten Reihen des Volkes am größten ist, wo die Schwankungen in den Reihen der Feinde und in den Reihen der schwachen, halben, unentschlossenen Freunde der Revolution am stärksten sind. Dies zum dritten. Durch diese drei Bedingungen eben unterscheidet sich der Marxismus in der Behandlung der Frage des Aufstands vom Blanquismus.' Lenin, Marxismus und Aufstand, Ges. Werke, Bd. 26, S.5, 13.Sept. 1917) In dieser Hinsicht lebt der proletarische Oktober weiterhin durch das Beispiel, das er uns durch die Notwendigkeit, die Möglichkeit und die Mittel  liefert, um die kommunistische Weltrevolution zu verwirklichen.

    Der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 hat die Entfaltung der Lügen über die proletarische Oktoberrevolution von 1917 verstärkt. Die heimtückischste dieser Lügen ist, daß der Zusammenbruch der Regime im Ostblock, dieses endgültige Scheitern des Stalinismus, das Scheitern der Oktoberrevolution von 1917 gewesen wäre. 'Der Kommunismus ist tot' - wiederholen sie unaufhörlich. Indem sie den Kommunismus mit dem Stalinismus gleichsetzen, wobei der Stalinismus doch nur der Totengräber der Revolution war und eine besonders dekadente Form des Kapitalismus, blasen die Demokraten und Stalinisten sowie die trotzkistischen Gruppen unabhängig von ihren jeweiligen Gegensätzen ins gleiche Horn und bilden somit eine heilige Allianz, um den Arbeitern einzubleuen, daß trotz all seiner Entartungen der Sozialismus in Osteuropa geherrscht habe. Die Bourgeoisie versucht deshalb mit allen Mitteln heute diese unglaubliche Lüge aufrechtzuerhalten. Sie muß den Arbeitern unbedingt eintrichtern, daß es außerhalb des Kapitalismus keine Lösung geben kann. Wenn der bürgerlichen Propaganda zufolge Revolution gleich Gulag bedeutet, dann weil der Oktober 1917 nichts anderes als ein Staatsstreich war, der von den 'bösen Bolschewiki' angezettelt wurde. Diese zynische Verfälschung zeigt auf, in welchem Maße die Weltbourgeoisie vor allem die Wiederholung des Oktobers fürchtet, wo Millionen von Proletarier und in ihrem Fahrwasser alle anderen ausgebeuteten Schichten der Gesellschaft, es schafften, sich zu bewußt zu vereinigen und gemeinsam zu handeln, um Meister ihres eigenen Schicksals zu werden. Tatsächlich bleibt die Oktoberrevolution von 1917 in Rußland und die ihre nachfolgende weltweite revolutionäre Welle Anfang der 20er Jahre bis heute der einzige Zeitpunkt der Geschichte, wo die bürgerliche Herrschaft von der Arbeiterklasse gestürzt wurde (in Rußland 1917) oder von ihr wirklich bedroht wurde (wie in Deutschland 1919).     SB

    Geschichte der Arbeiterbewegung: 

    • 1917 - Russische Revolution [2]

    Telekomstreik: Heute wir, morgen ihr!

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    Mitte Mai nahmen Zehntausende bei der Deutschen Telekom einen Arbeitskampf auf. Sie wehren sich gegen das Vorhaben der Konzernleitung, 50.000 Beschäftigte im Rahmen einer „Ausgliederung“ vier Stunden die Woche länger arbeiten zu lassen für zwölf Prozent weniger Lohn.

    Vorkämpfer allgemeiner Arbeiterinteressen

    Der Streik bei der Telekom ist von großer Bedeutung, nicht allein für die unmittelbar Betroffenen, sondern für alle Lohnabhängigen. Zum ersten Mal in der jüngsten Geschichte Deutschlands kämpfen viele Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter gemeinsam gegen den radikalen Lohnraub und die dramatische Intensivierung der Ausbeutung, welche heute immer mehr das Los aller Lohnabhängigen wird. Noch nie haben in den letzten Jahren in der Bundesrepublik so viele Beschäftigte auf die offenen Erpressungen der Kapitalseite statt mit Nachgeben mit offener Kampfansage geantwortet. Dabei fühlen sich die Streikenden offenbar selbst als Vorreiter eines notwendigen, allgemeineren Kampfes. So sieht man auf den Straßendemonstrationen und Kundgebungen neben den von der Gewerkschaft Ver.di angefertigten Transparenten - welche brav und bieder „gutes Geld für gute Arbeit“ fordern, oder geschäftstüchtig die Kunden der Telekom Liebe und Treue schwören lassen! - immer mehr selbst gebastelte Plakate, worauf schlicht geschrieben steht: heute wir, morgen ihr!

    So ist es auch. Zwar blieb der Streik bisher auf die Deutsche Telekom beschränkt. Selbst innerhalb des Konzerns wurden bis jetzt nur die unmittelbar von den Ausgliederungen ins Visier Genommenen am Streik beteiligt. Außerdem bleibt die Streikleitung zunächst unangefochten in den Händen der Gewerkschaft Ver.di, welche von Anfang an bemüht war, einen Streik abzuwenden und das Vorhaben des Konzerns „verantwortungsvoll“ zu begleiten. Aber dieser Verlauf des Streiks entspricht weder den wirklichen Interessen der Arbeiterklasse, noch der langsam keimenden Erkenntnis, dass der Streik bei der Telekom uns alle was angeht, die durch Verkauf ihrer Arbeitskraft zu überleben versuchen müssen.

    Die Bedeutung des jetzigen Kampfes

    Auch wenn es noch keine Versuche  der Streikenden bei der Telekom gegeben haben mag, ihren Kampf auf andere Sektoren auszudehnen und auch keine direkten Solidaritätsaktionen anderer Arbeiter mit den Opfer der Sanierung des einstigen Staatskonzerns, so ist sicher, dass die Augen vieler von brutalen Angriffen selbst betroffener Lohnabhängiger auf diesem Arbeitskampf ruhen.

    Und das ist der Grund, weshalb der Arbeitskampf bei der Telekom den Herrschenden ein Dorn im Auge ist, und diesen Damen- und Herrschaften einige Kopfzerbrechen noch bereiten wird. Denn diese Auseinandersetzung, solange sie andauert, erinnert die Bevölkerung an die bitteren Realitäten für die Arbeiterklasse, welche hinter dem „Aufschwung“ und dem viel gepriesenen „Beschäftigungsboom“ stecken: immer länger für immer weniger Geld arbeiten bei einer stetig wachsenden Unsicherheit der Beschäftigung und der Lebenslage. Sollten die Kapitalisten aber unter dem Druck des Streiks auch nur teilweise nachgeben – indem sie etwa die Lohnkürzungen geringer ausfallen lassen als geplant, riskieren sie damit, auch anderen Betroffenen Mut zu machen, sich ebenfalls zu Wehr zu setzen. Die Vorkämpfer bei der Telekom könnten umso leichter Nachahmer finden, da ihr Streik zu umfangreich ist und sich in einem zu zentralen Bereich der Wirtschaft abspielt, als dass deren Ergebnisse in der Öffentlichkeit verschwiegen werden könnten.

    Ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung

    Bereits die Tatsache, dass es der Arbeiterklasse im Fall der Telekom gelungen ist, die Angriffe des Kapitals nicht kampflos hinzunehmen, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Der Kampf lohnt sich. Dass das Kapital nur eine sich wehrende Arbeiterklasse fürchtet, dass dieser Streik den Herrschenden überhaupt nicht in den Kram passt, beweist schon die Beflissenheit, mit der die gewerkschaftlichen Sozialpartner von vorn herein auf eine gütliche Einigung ohne Arbeitskampf setzten. Auf Ausgliederung, Lohnraub und die Arbeitszeitverlängerung reagierte Ver.di mit der Forderung nach Ausgleich, etwa durch eine mehrjährige Arbeitsplatzgarantie. Dass solche Garantien nicht mal das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben stehen, haben die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit bei Siemens, Daimler oder Volkswagen hinlänglich bewiesen. Vor allem lief die Verhandlungsstrategie der Gewerkschaft darauf hinaus, die Ausgliederung von vorn herein zu akzeptieren. Das Gerede von einem „gerechten Ausgleich“ dafür war nichts als Augenwischerei, um die Beschäftigten zu verwirren und gefügig zu machen.

    Aber die Beschäftigten ließen sich nicht täuschen. Bei den Warnstreiks und Protestaktionen, welche die Sondierungen und Verhandlungen der Gewerkschaft begleiteten, sprachen sich die Betroffenen selbst massiv gegen die Hinnahme des „Sanierungsprogramms“ der Telekom aus. Ver.di sah sich gezwungen, die Verhandlungen abzubrechen, die Urabstimmung einzuleiten, und gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Über 96% der Abstimmenden sprachen sich für einen Streik aus: Ein in dieser Deutlichkeit einmaliges Ergebnis, wenn man bedenkt, in welcher Zwangslage die Betroffenen stecken bzw. welches Erpressungspotenzial heute den Kapitalisten zur Verfügung steht.

    Es waren die Betroffenen selbst, welche diesen Streik erzwungen haben, allen Drohungen der Konzernleitung, allen „Vernunftappelle“ der Politiker, allen Schikanen der Gewerkschaften zum Trotz. Dies ist der erste Sieg der Arbeiterinnen und Arbeiter.

    Ein Signal für die Arbeiterklasse

    Der Streik bei der Telekom ist die Fortsetzung des Kampfes, welcher beispielsweise in Deutschland 2004 in einigen der größten Werke der Automobilindustrie oder 2006 in Frankreich von Millionen von Studenten und Schülern geführt wurde. Zwar unterscheidet sich der Arbeitskampf bei der Telekom in mancher  Hinsicht von den eben erwähnten Arbeitskämpfen. So brachen die Streiks bei Daimler in Stuttgart und Bremen, bei Opel in Bochum, wie auch die Proteste in Frankreich spontan aus, während der Telekom-Streik sich im gewerkschaftlichen Rahmen abspielt. Außerdem richteten sich die Kämpfe von 2004 oder 2006 mehr oder weniger direkt gegen Arbeitslosigkeit oder dessen Folgen, gegen Personalabbau, Werksschließung, oder wie in Frankreich gegen die Abschaffung des Kündigungsschutzes für junge Menschen. Jedoch sind diese Unterschiede unwesentlich. In allen Fällen ging die Initiative von den Betroffenen selbst aus; musste der Kampf gegen den Widerstand der Gewerkschaften ausgefochten werden. Außerdem richtet sich auch der Telekom-Streik nicht zuletzt gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit. Denn Letzteres bedeutet nicht nur Beschäftigungslosigkeit und sozialer Absturz der Erwerbslosen, sondern Erpressbarkeit aller Beschäftigten. Es ist in erster Linie die Möglichkeit, fast jeden Lohnabhängigen durch einen anderen, auf Beschäftigung dringend Angewiesenen ersetzen zu können, welche Lohnkürzungen oder die Ausdehnung der Arbeitszeit in dem heute zu beobachtenden Umfang durchsetzbar machen.

    Indem sie die Konkurrenz unter den Arbeitsuchenden ungeheuer erhöht, und damit die ökonomische Macht des Kapitals gegenüber der Lohnarbeit noch vergrößert, zeigt die Arbeitslosigkeit andererseits die Notwendigkeit des Arbeiterkampfes auf. Zwar stimmt es, dass es für die Kernbereiche der Beschäftigten in den Industriestaaten Westeuropas heute noch nicht um das nackte Überleben geht. Aber um die Existenzen, welche die Beschäftigten bei der Telekom in den letzten Jahren versucht haben aufzubauen, darum geht es heute schon. So werden Tausende, die Bankkredite aufgenommen haben, um Wohnungen oder Einfamilienhäuser abzubezahlen, zahlungsunfähig werden, wenn die Lohnkürzungen bei der Telekom Realität werden. Nicht erst wenn man entlassen wird und in den Würgegriff von Hartz IV und Minijobs gerät, droht heute der Absturz in die Armut. Dieses Schicksal droht heute 50.000 Menschen, welche in der „Zukunftsbranche“ Telekommunikation vom größten Konzern der Branche in ganz Europa beschäftigt werden.

    Die absolute Verelendung der Arbeiterklasse

    In dieser Hinsicht trägt der Konflikt bei der Telekom dazu bei, auf eine Entwicklung aufmerksam zu machen, welche die gesamte Arbeiterklasse immer mehr berührt. Es handelt sich um ein Phänomen, welches Karl Marx in seinem bekannten Werk "Das Kapital" untersuchte und das Gesetz der absoluten Verelendung des Proletariats nannte. Es handelt sich darum, dass die Klasse der Lohnarbeit nicht nur im Vergleich zur Kapitalseite verhältnismäßig immer ärmer und wirtschaftlich betrachtet stets ohnmächtiger wird, sondern dass sich deren Lage auch absolut verschlechtert. Diese absolute Verelendung erfolgt vornehmlich durch Reallohnsenkungen und die Verlängerung der Arbeitszeit. Seitdem behaupten die Verteidiger des kapitalistischen Systems, dass diese Tendenz zur absoluten Verelendung nur für den Frühkapitalismus gilt, und in allen entwickelten kapitalistischen Staaten längst und zwar endgültig überwunden worden ist. Marx hingegen stellte die These auf, dass diese absolute Verelendung zwar eine Tendenz ist - und als solche auch Gegentendenzen kennt, welche sie abmildern oder zeitweise sogar außer Kraft setzen können - dass diese Tendenz sich aber mit umso größerer Notwendigkeit durchsetzen muss, je mehr das Kapital den gesamten Erdball durchdringt und beherrscht. Die schrecklichen Folgen dieser „absoluten Verelendung“ haben sich bereits Anfang des 19. Jahrhunderts in England bemerkbar gemacht. Sie wurden nicht nur von Sozialisten wie Friedrich Engels (siehe sein  Buch: „Die Lage der Arbeiterklasse in England“) beschrieben, sondern auch von großen Romanschriftstellern wie Charles Dickens. Diese ersten schrecklichen Erfahrungen mit dem Frühkapitalismus sind in das kollektive Gedächtnis des Proletariats eingebrannt. Sie sind Teil unseres geschichtlich gewachsenen Bewusstseins geworden.

    Die Brisanz der Kämpfe bei Telekom jetzt liegt nicht zuletzt darin, dass sie dazu beitragen können, deutlich zu machen, dass die Tendenz zur absoluten Verelendung sich weltweit durchzusetzen beginnt - selbst in den alten Industriestaaten, von wo aus das Profitsystem seinen Siegeszug begann. Ganz allmählich beginnt es zu dämmern, dass den Lohnsklaven keine andere Wahl mehr bleibt als gemeinsam um die eigene Existenz zu kämpfen.

    Wäre dieses Bewusstsein bereits weiter verbreitet, so bräuchten jetzt unsere Klassenschwestern und Brüder bei der Telekom nicht allein gegen die geballte Macht des Kapitals anzukämpfen. Sollten die Kapitalisten erfolgreich sein bei der Durchsetzung von Lohnraub und längeren Ausbeutungszeiten, so wird dies in erster Linie der Isolation der Streikenden zu verdanken sein. Bereits heute gibt es genügend Mitbetroffene, die für einen gemeinsamen Kampf zu gewinnen wären. Man denke bloß an die Beschäftigten von Arcor, eine Konkurrenzfirma von Telekom, welche zur selben Zeit Warnstreiks durchführen mussten. Man denke an die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen bei der Post, von denen 30.000 Mitte Mai auf dem Potsdamer Platz in Berlin gegen drohende Verschlechterungen protestierten. Man denke an die von Entlassungen bedrohten Mitarbeiter von Siemens-Nokia, welche zur selben Zeit in München (aber auch in Finnland) dagegen demonstrierten. Dass aus dieser Gleichzeitigkeit noch nicht eine aktive Solidarität wird, ist in erster Linie der alten Mentalität des gewerkschaftlichen Kampfes zu verdanken, wo jede Berufsgruppe und jeder Teilbereich für sich kämpft. Diese Kampfesmethode war in der Jugendzeit des Kapitalismus aussichtsreich, als die Arbeiter noch Einzelkapitalisten gegenüberstanden. Heute aber, wo auf Weltebene die arbeitende Klasse dem Joch des Kapitals unterworfen und einer weltweiten Verelendung ausgesetzt wird, bietet nur der gemeinsame und solidarische Kampf aller Lohnsklaven eine Perspektive und einen Ausweg. Unsere mutigen Vorkämpfer bei der Telekom haben mehr als recht, uns das Signal zum Kampf zu geben: Heute wir, morgen ihr!      23.05.07

    Ägypten - Keime des Massenstreiks

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    In Worldrevolution 302 haben wir über eine Streikwelle berichtet, die zu Jahresbeginn über zahlreiche Sektoren in Ägypten schwappte: In Zement- und Geflügelbetrieben, in Bergwerken, bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben wie Bus und Bahn, im Reinigungssektor und vor allem in der Textilindustrie setzten sich die Arbeiterinnen und Arbeiter mit einer Serie von illegalen Streiks gegen das massive Senken des realen Lohns und die enormen Kürzungen der Zulagen zur Wehr. Einen Einblick in das kämpferische und spontane Wesen dieser Kämpfe kann man durch den unten stehenden Bericht erhalten, der schildert, wie im letzten Dezember der Streik in dem großen Spinnerei-und Weberei-Komplex von Mahalla al-Kubra Misr nördlich von Kairo ausbrach. Dieser Komplex bildete das Epizentrum der Kämpfe. Der Auszug entstammt dem von Joel Beinin und Hossam el-Hamamawy verfassten Bericht "Ägyptische TextilarbeiterInnen konfrontieren die neue wirtschaftliche Ordnung", der im Internet auf Middle East Report Online und auf libcom.org veröffentlicht wurde. Er basiert auf Interviews mit zwei Arbeitern der Fabrik, Muhammed ´Attar und Sayyid Habib.  

    "Die 24.000 Arbeiterinnen und Arbeiter des Spinnerei-und-Weberei-Komplexes von Mahalla al-Kubra Misr waren begeistert, als sie am 3. März 2006 die Nachricht erhielten, dass der Premierminister Ahmad Nazif einen Anstieg der jährlichen Zulagen für alle gewerblichen Beschäftigten im staatlichen Sektor von den gegenwärtigen 100 Ägyptischen Pfund (17$) auf zwei Monatslöhne verordnet hatte. Die jährlichen Zulagen waren zuletzt 1984 angehoben worden, damals von 75 auf 100 Pfund.

    ‚Wir lasen die Verordnung und begannen unverzüglich diese Neuigkeit im Betrieb zu verbreiten,' sagt ´Attar. ‚Ironischerweise veröffentlichten sogar die regierungsfreundlichen Gewerkschaftsfunktionäre diese Nachricht als eine ihrer Errungenschaften.' Und er fährt fort: ‚Als der Dezember kam (in dem die jährlichen Zulagen ausbezahlt werden), waren alle gespannt. Dann entdeckten wir, dass man uns hintergangen hatte. Sie boten uns nur die gleichen alten 100 Pfund. Genau genommen waren es sogar nur 89 Pfund, denn die Abzüge [für Steuern] fallen ja noch an.'

    Ein kämpferischer Geist lag in der Luft. In den nächsten zwei Tagen verweigerten ganze Gruppen von Arbeiterinnen aus Protest die Annahme ihrer Löhne. Dann, am 7. Dezember 2006, begannen die Arbeiterinnen der Frühschicht sich auf Mahallas Tal`at Harb-Platz zu versammeln, der vor dem Fabrikeingang liegt. Das Arbeitstempo war zwar bereits verlangsamt worden, aber die Produktion kam erst zum Stillstand, als etwa 3.000 Arbeiterinnen der Bekleidungsindustrie ihre Betriebe verließen und zu den Spinnerei- und Webereibetrieben herübermarschierten, wo ihre Kollegen die Maschinen noch nicht abgeschaltet hatten. Die Arbeiterinnen stürmten hinein und riefen: ‚Wo sind die Männer? Hier sind die Frauen!' Beschämt schlossen sich die Männer dem Streik an.

    Nun versammelten sich etwa 10.000 ArbeiterInnen auf dem Platz und skandierten: ‚Zwei Monate! Zwei Monate!', um ihrem Anspruch auf die versprochenen Zulagen Nachdruck zu verleihen. Die schwarz gekleideten Sondereinheiten der Polizei wurden rasch um die Fabrik und in der ganzen Stadt aufgestellt, aber sie taten nichts, um den Protest niederzuschlagen. ‚Sie waren zu schockiert, als sie sahen, wie viele wir waren', sagt `Attar. ‚Sie hatten die Hoffnung, dass wir uns bis Einbruch der Nacht oder spätestens bis zum nächsten Tag auflösen würden.' Auf Anregung des Staatsschutzes bot das Management schließlich eine Zulage von 21 Tagen Lohn an. ‚Aber', wie sich `Attar sich lachend erinnert, ‚die Arbeiterinnen rissen jeden Vertreter vom Management, der zum Verhandeln kam, beinahe in Stücke.'

    ‚Als die Nacht hereinbrach', sagt Sayyid Habib, ‚hatten die Arbeiter Schwierigkeiten, die Arbeiterinnen davon zu überzeugen, heimzugehen. Letztere wollten bleiben und in der Fabrik übernachten. Erst nach Stunden gelang es uns, sie davon zu überzeugen, zu ihren Familien nach Hause zu gehen und am folgenden Tagen wiederzukommen.' Breit grinsend fügt `Attar hinzu: ‚Die Frauen waren viel kämpferischer als die Männer. Obwohl sie Einschüchterungsversuchen und Drohungen ausgesetzt waren, hielten sie allem stand.'

    Noch vor den Morgengebeten drang das Sonderkommando der Polizei in die Fabrik ein. 70 Arbeiter, unter ihnen auch `Attar und Habib, schliefen noch in der Fabrik, wo sie sich eingeschlossen hatten. ‚Die Staatssicherheitleute sagten uns, wir seien nur wenige, und dass wir uns besser ergeben sollten', sagte `Attar. ‚Tatsächlich aber wussten sie nicht, wie viele von uns drinnen waren. Wir logen und behaupteten, wir seien Tausende. `Attar und Habib weckten schnell ihre Kollegen und gemeinsam begannen die Arbeiter dann so laut es ging, gegen die Eisentonnen zu hämmern. ‚So weckten wir alle in der Firma, aber auch in der Stadt. Bald hatten wir kein Guthaben mehr auf unseren Handys, weil wir alle unsere Familien und Freunde draußen anriefen und baten, sie sollten ihre Fenster öffnen und so den Staatsschutz wissen lassen, dass er beobachtet wird. Zudem riefen wir alle ArbeiterInnen, die wir kannten, dazu auf, so schnell wie möglich zur Fabrik zu kommen.'

    Bis dahin hatte die Polizei bereits das Wasser und den Strom in der Fabrik abgeschaltet. Staatliche Agenten hasteten zu den Bahnhöfen, um den aus der Stadt kommenden ArbeiterInnen zu erzählen, dass die Fabrik auf Grund eines elektrischen Kurzschlusses geschlossen worden sei. Diese List schlug jedoch fehl.

    ‚Mehr als 20.000 ArbeiterInnen erschienen', sagt `Attar. ‚Wir organisierten eine riesige Demonstration und inszenierten Scheinbeerdigungen für unsere Chefs. Die Frauen brachten uns Essen und Zigaretten und schlossen sich dem Demonstrationszug an. Die Sicherheitskräfte wagten es nicht einzugreifen. Schülerinnen und Schüler von den nahe gelegenen Grundschulen und weiterführenden Schulen gingen ebenfalls auf die Straße, um die Streikenden zu unterstützen.' Am vierten Tag der Werksbesetzung boten die inzwischen panischen Regierungsvertreter den Streikenden eine Zulage in Höhe von 45 Tageslöhnen an und versicherten, dass der Betrieb nicht privatisiert werde. Der Streik wurde nun ausgesetzt, nachdem die von der Regierung kontrollierte Gewerkschaftsföderation durch den Erfolg der nicht autorisierten Aktionen der ArbeiterInnen der Misr-Spinnerei und Weberei gedemütigt worden war."

    Der Sieg bei Mahalla inspirierte auch zahlreiche andere Sektoren, in den Streik einzutreten, und bis heute ist die Bewegung weit entfernt davon nachzulassen. Im April brach erneut eine Auseinandersetzung zwischen den Mahalla-ArbeiterInnen und dem Staat aus. Die ArbeiterInnen hatten nämlich beschlossen, eine große Delegation nach Kairo zu entsenden, um mit der Zentrale der Allgemeinen Förderation der Gewerkschaften über Lohnforderungen zu verhandeln (!) und um die Anschuldigungen gegen das Gewerkschaftskommitee der Mahalla-Fabrik weiter aufrechtzuerhalten, da dieses während des Dezemberstreiks die Firmenchefs unterstützt hatte. Die Antwort des Staatsschutzes war die Umstellung der Fabrik. Daraufhin traten die ArbeiterInnen aus Protest in den Streik und zwei weitere große Textilfabriken erklärten ihre Solidarität mit Mahalla: Ghazl Shebeen und Kafr el-Dawwar. Das Solidaritätsschreiben Letzterer war besonders beeindruckend und klar:

    Die ArbeiterInnen von Kafr el-Dawwar sitzen im gleichen Boot wie die von Ghazl el-Mahalla

    "Wir, die ArbeiterInnen von Kafr el-Dawwar, verkünden unsere ganze Solidarität mit euch; au, dass ihr eure gerechtfertigten Forderungen durchsetzt, welche die gleichen sind wie die unsrigen. Wir verurteilen aufs Schärfste die Sicherheitsoffensive, welche die ArbeiterInnendelegation von Mahalla daran hinderte, zu Verhandlungen mit der Allgemeinen Föderation der Gewerkschaften in Kairo anzureisen. Außerdem verurteilen wir die Stellungnahme von Said el-Gohary an Al-Masry Al-Youm vom letzten Sonntag, wo er euren Schritt als ‚Unsinn' bezeichnete. Wir verfolgen mit großer Anteilnahme, was euch widerfährt, und verkünden unsere Solidarität mit dem Streik der ArbeiterInnen der Bekleidungsindustrie vorgestern und dem Streik in Teilen der Seidenfabrik.

    Uns ist wichtig, dass ihr wisst, dass wir ArbeiterInnen von Kafr el-Dawwar und ihr, die ArbeiterInnen von Mahalla, zusammenstehen und einen gemeinsamen Feind haben. Wir unterstützen euren Kampf, weil wir die gleichen Forderungen haben. Seit dem Ende eures Streiks in der ersten Februarwoche hat die Betriebsabteilung der Gewerkschaft nichts getan, um unsere Forderungen durchzusetzen, die wir in unserem Streik vorgebracht haben. Im Gegenteil, sie haben unseren Interessen geschadet (…) Wir wollen unsere Unterstützung für eure Forderungen nach Reformierung der Löhne zum Ausdruck bringen. Wir, ebenso wie ihr, sind schon gespannt, ob Ende April die Arbeitsministerin unsere diesbezüglichen Forderungen in die Tat umsetzen wird oder nicht. Allerdings setzen wir nicht viele Hoffnungen in die Ministerin, da wir weder von ihr noch von der Betriebsabteilung der Gewerkschaft irgendeine Regung gesehen haben. Wir werden uns nur auf uns selbst verlassen können, um unsere Forderungen durchzusetzen.

    Daher betonen wir:

    1) Wir sitzen im gleichen Boot mit euch und werden zur gleichen Reise mit euch aufbrechen

    2) Wir erklären unsere volle Solidarität mit euren Forderungen und bekräftigen, dass wir bereit stehen, solidarische Aktionen auszuführen, solltet ihr euch zum Arbeitskampf entschließen

    3) Wir werden die ArbeiterInnen von Artificial Silk, El-Beida Dyes und Misr Chemicals über euren Kampf informieren, um so Brückenköpfe zur Ausweitung unserer solidarischen Front zu errichten. Alle ArbeiterInnen sind in Zeiten des Kampfes Brüder und Schwestern.

    4) Wir müssen eine breite Front errichten, um eine Entscheidung in unserem Kampf gegen die staatlichen Gewerkschaften zu unseren Gunsten zu erreichen. Wie müssen diese Gewerkschaften heute überwinden und nicht erst morgen."  (Übersetzung von der Arabawy Webseite und auf Englisch zuerst veröffentlicht bei libcom.org)

    Dies ist eine exzellente Stellungnahme, denn sie verdeutlicht die grundlegende Basis jeglicher wirklichen Klassensolidarität über alle Berufs- und Betriebsgrenzen hinweg - das Bewusstsein, derselben Klasse anzugehören und den gleichen Feind zu bekämpfen. Zudem ist diese Stellungnahme beeindruckend klar hinsichtlich der Notwendigkeit, den Kampf gegen die staatlichen Gewerkschaften aufzunehmen.

    Auch anderswo brachen in dieser Zeit Kämpfe aus: So stürmten etwa die Müllarbeiter in Giza aus Protest die Firmenzentrale, da ihre Löhne nicht ausgezahlt worden waren; 2.700 TextilarbeiterInnen besetzten eine Textilfabrik in Monofiya; 4.000 TextilarbeiterInnen streikten ein zweites Mal, nachdem das Management versucht hatte, die Lohnauszahlungen wegen des ersten Streiks zu kürzen. Auch dies waren illegale, inoffizielle Streiks.

    Zudem hat es auch andere Versuche gegeben, Arbeitskämpfe mittels Gewalt zu brechen. Die Sicherheitspolizei schloss oder drohte mit der Schließung von ‚Zentren der Gewerkschaften und der Arbeiterdienste' in Nagas Hammadi, Helwan und Mahalla. Den Zentren wurde vorgeworfen, "eine Kultur des Streiks" zu pflegen.

    Die Existenz solcher Zentren deutet bereits an, dass es klare Anstrengungen gibt, neue Gewerkschaften aufzubauen. Es wird sich wohl kaum vermeiden lassen, dass in einem Land wie Ägypten, wo die ArbeiterInnen bisher nur mit Gewerkschaften konfrontiert waren, die offen als Polizei im Betrieb auftreten, die besonders kämpferischen Arbeiterinnen und Arbeiter für die Idee zugänglich sein werden, dass die Antwort auf ihre Probleme in der Gründung wirklich "unabhängiger" Gewerkschaften liege; ähnlich, wie es damals, 1980-81, die polnischen ArbeiterInnen dachten. Die Art und Weise, wie der Streik bei Mahalla organisiert wurde (d.h. spontane Demonstrationsmärsche, massive Delegationen und Versammlungen an den Werkstoren), macht jedoch deutlich, dass die ArbeiterInnen am stärksten sind, wenn sie ihre Interessen selbst in die Hände nehmen, statt ihre Macht an einen neuen Gewerkschaftsapparat zu übergeben.

    In Ägypten zeigten sich bereits deutlich die Keime des Massenstreiks, nicht nur durch die Fähigkeit der ArbeiterInnen, sich massenhaft und spontan zu organisieren, sondern auch durch das hohe Niveau des Klassenbewusstseins, wie es in dem Solidaritätsschreiben von Kafr el-Dawwar zum Ausdruck kommt.

    Bis jetzt ist noch keine bewusste Verknüpfung zwischen diesen Ereignissen und anderen Kämpfen auf den verschiedenen Seiten der imperialistischen Spannungslinien des Nahen Ostens erkennbar. So gab es Streiks von Hafenarbeitern und Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Israel und kürzlich auch unter Lehrern für Lohnerhöhungen, wie auch von Studenten, welche in Demonstrationszügen gegen die Erhöhung der Studiengebühren die Polizei konfrontierten. Des Weiteren unterbrachen Tausende von Arbeitern die offiziellen, staatlich organisierten 1.Mai-Kundgebungen im Iran, indem sie regierungskritische Losungen anstimmten sowie an nicht genehmigten Kundgebungen teilnahmen und sich daher bald massiver Polizeirepression ausgesetzt sahen. Die Gleichzeitigkeit dieser Bewegungen jedoch entspringt in jedem Fall der gleichen Quelle - dem Drang des Kapitalismus, die Arbeiterklasse weltweit in großes Elend zu stürzen. In diesem Sinne tragen alle diese Kämpfe die Keime für die zukünftige internationalistische Einheit der Arbeiterklasse in der ganzen Welt in sich, durch welche alle Mauern des Nationalismus, der Religionen und der imperialistischen Kriege eingerissen werden.  (aus Worldrevolution, IKS-Zeitung in GB; Mai 2007)

    Weltrevolution Nr. 143

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    "Die Linke" - Schützenhilfe gegen die Arbeiterklasse

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    Auftakt war die Bürgerschaftswahl in Bremen. Über Nacht war „Die Linke“ drittgrößte politische Kraft geworden. Nie zuvor hatte das aus PDS und WASG bestehende Wahlbündnis Gregor Gysis und Oskar Lafontaines bei einer westdeutschen Landtagswahl ein solches Ergebnis erzielt. Der Beweis war erbracht: Der Erfolg dieses Bündnisses bei den letzten Bundestagswahlen, als Lafontaine erstmals gegen Schröders SPD angetreten war, war keine Eintagsfliege. Es ist möglich geworden, im „wiedervereinigten“ Deutschland längerfristig eine parlamentarische Partei links von der SPD zu etablieren.

    Mit diesem Erfolg konnten die letzten Zweifler in den Reihen der westdeutschen WASG überzeugt werden. Im Juni 2007 war es dann vollbracht. Aus dem Wahlbündnis „Linkspartei“ wurde ganz offiziell eine ganz neue gesamtdeutsche Partei des „demokratischen Sozialismus“ aus der Taufe gehoben, genannt „Die Linke“. Zu deren ersten Vorsitzenden wurden Oskar Lafontaine und Lothar Bisky gewählt.

    Der Kalte Krieg ist zu Ende

    Das, was während der gesamten Geschichte der westdeutschen Bundesrepublik der Nachkriegsepoche nicht sein durfte, ist jetzt Wirklichkeit geworden: Eine Partei links von der SPD ist in die Familie der parlamentarischen Parteien des deutschen Kapitals mit allen Würden aufgenommen worden. Damals, in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, wurde die KPD nicht nur verboten. Deren Mitglieder wurden auch und gerade von den linken und liberalen Vertretern des westdeutschen Staates verfolgt oder abgekanzelt: von den DBG-Gewerkschaften etwa oder von den Kirchen. Heute hingegen wurde die neue Partei gerade von Kräften innerhalb der Gewerkschaften und den Kirchen willkommen geheißen. Das macht deutlich, was es auf der Ebene der politischen Parteien des Staates bedeutet, dass der Kalte Krieg vorbei ist. Denn die KPD wurde von der Bonner Republik vor allem deshalb verboten und die Mitglieder ihrer Nachfolgeorganisation DKP mit jahrelangen, brutalen Berufsverboten verfolgt, weil diese Partei die Interessen der DDR mit verfocht. Heute hat niemand im größer gewordenen Deutschland mehr Angst vor den Altstalinisten. Nicht, weil sie alt geworden sind, sondern weil es die DDR und die anderen imperialistischen Rivalen des damaligen Ostblocks in dieser Form nicht mehr gibt. Mehr noch: die gewendeten Stalinisten dienen heute neuen Herren. Sie haben sich entschlossen auf den Boden des gesamtdeutschen Staates gestellt und in den ostdeutschen Ländern und innerhalb der Gewerkschaften bereits ihre Loyalität gegenüber diesem neuen Brötchengeber bewiesen.

    In der Tradition der SPD und der SED

     

    Mit „Die Linke“ gibt es eine weitere Neuerung. Zum ersten Mal seit der Annahme des Godesberger Programms der SPD in den sechziger Jahre gibt es wieder eine parlamentarische Partei in Deutschland, die das Ziel des „demokratischen Sozialismus“ propagiert. In einer Polemik gegen den FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle erklärte Lafontaine auf dem Gründungsparteitag, dass „Freiheit“ und „Sozialismus“ nicht nur keine Gegensätze seien, sondern dass die „Freiheit“ sich nur durch den „Sozialismus“ verwirklichen lasse. Außerdem werden mit der neuen Partei bisher ungewohnte historische Bezugspunkte im „politischen Diskurs“ der Bundesrepublik eingeführt. So bezog sich Lafontaine in seiner Parteitagsrede nicht nur auf Willy Brandt, sondern auch auf Revolutionäre der vergangenen Arbeiterbewegung wie August Bebel oder Rosa Luxemburg, um seine These zu untermauern, dass in Wahrheit „Die Linke“ und nicht mehr die SPD nach Schröder in der Nachfolge der traditionellen Politik der Sozialdemokratie stehe.

    Als Bebel und Luxemburg noch lebten, klangen ihre bloßen Namen wie Anklagen gegen das kapitalistische System. Der Widerhall ihrer Namen auf dem Gründungsparteitag der „Linken“ hingegen hat keinerlei Unruhe in den Reihen der deutschen Bourgeoisie ausgelöst. Vielleicht finden die Anführer des deutschen Imperialismus es amüsant, dass der Name der großen Revolutionärin Rosa Luxemburgs, die 1919 im Auftrag der SPD ermordet wurde, um den ins Wanken geratenen Kapitalismus in Deutschland vor dem revolutionären Ansturm des Proletariats zu retten, heute verwendet wird, um eine Kontinuität mit der Politik der SPD abzuleiten.

    So ist es auch. Die neue Partei steht in der Kontinuität mit der SPD, die das kapitalistische Vaterland im Ersten Weltkrieg unterstützte und ins Lager des Imperialismus wechselte. Sie steht in Kontinuität mit der SPD, die am Ende des Weltkriegs die sozialistische Revolution niederschlug, dabei die Freikorps aufstellte und somit dem Nationalsozialismus den Weg bahnte. Sie steht in Kontinuität mit der SPD, die im Kalten Krieg die arbeitende Bevölkerung hinter die Vorbereitungen eines dritten Weltkriegs zu mobilisieren trachtete und die ab den 1970er Jahren die Auswirkungen der kapitalistischen Wirtschaftskrise auf die Schultern der Arbeiterklasse abwälzte. Aber sie steht auch in der Nachfolge des Stalinismus, der ab den 1930er Jahren alle wirklichen, also internationalistischen Marxisten verfolgte und zu ermorden trachtete; der im Gulag und in der „sowjetischen“ Atombombe die Verwirklichung des Sozialismus erblickte; der die Proletarier der DDR 1953 in Blut ertränkte und ab 1961 hinter Stacheldraht einsperrte; der 1980 unablässig die Niederschlagung des polnischen Massenstreiks verlangte. Damals, in Januar 1981, saßen die Staatschefs der BRD und der DDR, Helmut Schmidt und Erich Honecker, die zugleich Parteiführer der Sozialdemokratie im Westen und der Stalinisten im Osten waren, einträchtig beisammen, als die polnischen Sicherheitskräfte zur massiven Repression gegen die polnischen Arbeiterinnen und Arbeiter übergingen. Heute haben ihre würdigen Nachfolger sich die Hand gereicht und eine neue Partei gegründet. Oskar Lafontaine, einstiger Parteichef und Kanzlerkandidat der SPD, und Gregor Gysi, der zu retten wusste, was aus den Trümmern des Stalinismus zu retten war, als 1989 die DDR und ihre Regierungspartei pleite gingen - sie haben etwas erschaffen, was der deutschen Bourgeoisie heute hoch willkommen ist. Es ist nichts Geringeres als die Bewahrung und Zusammenballung der gesammelten Erfahrungen der Sozialdemokratie und des Stalinismus im Westen wie im Osten im Kampf gegen die Arbeiterklasse.

    Die Lücke links der SPD schließen

    Nur ein Teil des traditionellen Machtapparates des deutschen Staates zeigte sich beunruhigt über das Aufkommen der neuen Partei: die SPD. Der Grund liegt auf der Hand. Der Aufstieg der „Linken“ droht auf Kosten der Sozialdemokratie zu gehen.

    Die Antwort der SPD ließ nicht lange auf sich warten. Wenige Tage nach der Parteigründung in Berlin unterschrieb die SPD ein „Kompromisspapier“ mit der mitregierenden Koalitionspartei CDU/CSU im Sachen Mindestlohn, um es einige Stunden später selbst in Grund und Boden zu verdammen. Daraufhin erklärte der Vizekanzler und die gute Seele der SPD, Müntefering, dem Wahlvolk: Mehr sei mit dem „ungeliebten“ Koalitionspartner nicht zu holen! Wenn ihr echte Mindestlöhne und Sozialstandards haben wollt, müsst ihr es uns ermöglichen, nach der nächsten Bundestagswahl ohne die Union zu regieren! Jede Stimme für die Linke sei aber indirekt eine Stimme für die Union und somit gegen Mindestlöhne. So gedenkt die aufgescheuchte Sozialdemokratie in die nächsten Wahlkämpfen zu ziehen.

    Aber abgesehen von diesen leicht verständlichen Rivalitäten gibt es tiefere Beweggründe, die das Aufkommen der „Linken“ mit dem Schicksal der SPD verbindet. Nicht zuletzt auf Grund des „Sonderfalls deutsche Wiedervereinigung“ geriet die Bundesrepublik im Verlauf der 1990er Jahren im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf ins Hintertreffen gegenüber ihren Hauptkonkurrenten. Solange Helmut Kohl Kanzler blieb, wurde die Arbeiterklasse im ehemaligen Westdeutschland im internationalen Vergleich aus Sicht des Kapitals nicht hart genug angegriffen. Erst die SPD unter Schröder bewies den „Mut“ zur konsequenten Demolierung von Sozialleistungen und -regelungen, wodurch das jährliche Haushaltsdefizit verkleinert und der Standort Deutschland für internationale Investoren wieder attraktiv gemacht werden konnte. Was die SPD bewies, war nicht so sehr „Mut“, sondern Können. Die klassische Partei der sozialen Kontrolle über die Arbeiterklasse traute sich die Aufgabe zu, die Arbeiterklasse frontal anzugreifen, ohne eine allgemeine Widerstandswelle loszutreten. Und sie war erfolgreich. Aber diese Erfolge sowie die gnadenlose Verschärfung der Lage der Arbeiterklasse – allen „Reformen“ zum Trotz -  haben Folgen längerfristiger Art, die nicht so leicht zu kontrollieren sind. Wachsende Teile der Arbeiterklasse scheinen sich von der Illusion zu lösen, dass ihre Interessen wirksam durch eine politische Partei im Parlament vertreten werden. Die Folge daraus wird sein, dass die Lohnabhängigen mehr und mehr ihre Interessen in die eigene Hand nehmen werden. Jedenfalls ist es unbestreitbar, dass immer mehr Teile der Arbeiterklasse in Deutschland ihre Kampferfahrungen machen, während gleichzeitig eine Desillusionierung gegenüber den etablierten Parteien und gegenüber dem Parlamentarismus als angebliche Interessensvertretung der Arbeiter sich breit macht. Zugleich beginnt eine neue Generation sich zu politisieren, die immer weniger an die Möglichkeit von Reformen innerhalb dieses Systems glaubt. Die ersten Gehversuche dieser neuen Generation hat man im Frühjahr 2006 bei den Massenkämpfen der Studenten und Schüler in Frankreich erleben können. Aber auch bei den G8-Protesten in Rostock und Heiligendamm in diesem Sommer konnte man beobachten, wie die überwiegend sehr jungen Aktivisten auf Distanz zu den etablierten linken Strukturen gehen und eine eigene Perspektive suchen.

    Die Linke: Schützenhilfe für die SPD

    Die SPD ist die erfahrenste Partei der deutschen Bourgeoisie mit der ausgeprägtest staatsmännischen Haltung. Die Unruhe in ihren Reihen sowie in den Reihen der Gewerkschaften hat mit mehr zu tun als mit der Angst vor einem lästigen Konkurrenten. Im übrigen ist es gar nicht ausgemacht, dass die Entwicklung der neuen Partei unbedingt zu Lasten der SPD gehen muss. Die SPD/PDS-Regierungen in Mecklenburg-Vorpommern, noch mehr aber in Berlin gelten in Deutschland als Vorreiter der erfolgreichen Angriffe gegen die Arbeiterklasse auf Länderebene. Sie zeigen zugleich, wie die PDS dazu dienen kann, die Sozialdemokratie an die Regierung zu bringen bzw. sie dort zu halten. Denselben Kunstgriff werden sie auf Bundesebene vollbringen können, wenn erforderlich. Wenn es soweit ist, wird „Die Linke“ auch die „Erfordernisse“ einer weltweit operierenden Bundeswehr einsehen, so wie vor ihnen die Grünen.

    Nein, die Unruhe innerhalb von SPD und DGB gilt zuallererst den wachsenden Problemen bei der politischen Kontrolle der sozialen Lage. Und da liefert die neue Partei, wenngleich Rivale um Posten und Privilegien, vor allem Rückendeckung an der sozialen Front. Sie liefert Schützenhilfe, um die Leute vom Kampf abzuhalten und an die Illusionen des Parlamentarismus zu binden. Sie dient dazu, möglichst zu verhindern, dass die zwei wichtigsten Elemente der jetzigen Lage – die wachsenden Kämpfe der Lohnabhängigen und die wachsende Politisierung und Radikalisierung der neuen Generation - zusammenkommen und dadurch eine revolutionäre Perspektive aufkommen lassen.

    Die Wurzeln der neuen Partei sind, für sich betrachtet, an Schäbigkeit kaum zu überbieten. Im Osten die PDS, als Vertreter der untergegangenen Staatsbourgeoisie der DDR, die nichts anderes im Sinn hatte, als etwas von ihren alten Privilegien hinüberzuretten. Im Westen Lafontaine, der machthungrige Klein-Napoleon von der Saar, der von Schröder entmachtete  Parteichef, der seitdem unablässig auf Rache gegenüber seinen ehemaligen Parteigenossen aus ist. Was aus diesen und anderen schmutzigen Beweggründen der bürgerlichen Politik etwas Staatstragendes machte, war nicht Gysi und nicht Lafontaine, sondern der Gang der Geschichte selbst. Es war die Notwendigkeit für das Kapital, Lücken in den Verteidigungslinien des Ausbeutersystems gegenüber der Arbeiterklasse zu schließen.

    In diesem – und nur in diesem – Sinne haben die ehemaligen SPDler und die ehemaligen SEDler gemeinsam etwas Großes geschaffen: ein großes Hindernis, das die lohnabhängige Bevölkerung im Verlauf des Klassenkampfes beiseitefegen muss.

    20.07.07

    Bahn, Telekom - Nur gemeinsam sind wir stark!

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    Wie passt dies zusammen? In den letzten Wochen und Monaten waren die Medien voll von Berichten, dass die Arbeitslosenzahlen endlich deutlich sinken; die Wirtschaftswachstumsprognosen werden kräftig nach oben korrigiert. Gebetsmühlenartig wird die Botschaft gepredigt: Es geht endlich aufwärts – für alle!

     

    Für alle? Irgendwie passt hier etwas nicht ins Bild! Wenn doch für alle Menschen in dieser sich verbessernden kapitalistischen Gesellschaft eine echte Zukunft greifbar wird, weshalb erleben wir dann immer mehr Streiks und dazu noch in Branchen, in denen bisher kaum oder gar nicht gestreikt wurde, wie bei der Telekom, der Bahn, bei Airbus oder letztes Jahr die Krankenhausärzte. Es sei nur am Rande auf die zunehmende Gewalt an Schulen und die rasante Erhöhung privater Insolvenzen verwiesen – ist dies die Sprache der hoffnungsvollen Zukunft in dieser Gesellschaft? Werfen wir einmal einen exemplarischen Blick auf die aktuelle Lage der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland, und zwar ohne die Brille der Verblendung durch die Medien.

    Die Kampfbereitschaft wächst

    Nun, zweifelsohne kann man festhalten, dass die Telekom-MitarbeiterInnen Recht behalten haben, als sie sich auf ihre selbstgemachten Transparente die Prognose schrieben: „Heute wir, morgen ihr!“ Bezüglich der Telekom waren die Forderungen des Unternehmens besonders offensichtlich ein Angriff auf die ArbeiterInnen, um auf deren Kosten das Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten. 50.000 ArbeiterInnen sollten mehr arbeiten, und dies für weniger Geld. Die einzig richtige Antwort der MitarbeiterInnen lautete: Streik. Wochenlang zog er sich hin und am Ende lenkte die Gewerkschaft plötzlich ein. Die Unternehmensforderungen wurden mit Zustimmung der Gewerkschaft fast vollständig angenommen. Die Reaktionen der Streikenden waren klar vernehmbar: Wut und Enttäuschung. Manche fragten: „Hat sich der wochenlange Kampf überhaupt gelohnt? Unsere Niederlage ist doch so offensichtlich!“ Unsere Antwort: der Kampf hat sich gelohnt, wenn auch nicht auf der unmittelbaren Ebene, in Form einer Abwendung der Angriffe der kapitalistischen Marktgesetze. Und dennoch: die Telekom-ArbeiterInnen haben wichtige Kampferfahrungen gesammelt, haben eine große Sympathie von Seiten der restlichen arbeitenden Bevölkerung erfahren. Und was besonders wichtig ist: sie haben erfahren, dass die gewerkschaftlichen Kampfmethoden und der ganze Apparat der Gewerkschaften offenbar doch nicht ihren Interessen entsprechen. Kämpfen lohnt sich, aber man wird sich das nächste Mal überlegen müssen, wie man selbst seinen Kampf organisieren kann, um nicht mehr allein auf weiter Flur zu sein.

     

    Wie es kürzlich eine Radiosprecherin ausdrückte: Jetzt treten die MitarbeiterInnen der Bahn in die Fußstapfen der Telekom-MitarbeiterInnen und streiken. Nachdem in den Medien in den ersten Tagen fast ausschließlich Bahnkunden zu Worte kamen, die sich sehr negativ über den Streik äußerten, musste in den folgenden Tagen das Bild offensichtlich nuancierter dargestellt werden, weil auch hier ein relativ großes Verständnis und Zustimmung zu vernehmen war und ist. Besonders entsetzt zeigten sich viele befragte ArbeiterInnen darüber, dass bei der Bahn die Beschäftigten, trotz ihrer enormen Verantwortung im Beruf, so wenig verdienen, wie etwa die Lokführer mit ihren familienfeindlichen Schichtplänen und knapp 1800 Euro Monatsgehalt. Was ist nun der Stand der Dinge in diesem Streik? Inzwischen haben die Gewerkschaften Transnet und die Gewerkschaft der Bahnangestellten (GDBA) einen neuen Tarifabschluss mit der Bahn vereinbart. Im Vergleich zum Streik bei der Telekom kam dieser Tarifabschluss relativ rasch zu Stande. Erfüllt die Gewerkschaft doch eine sinnvolle Aufgabe für die ArbeiterInnen? Das Argument bei den Verhandlungen war, dass die Bahn Rekordgewinne einfahre und diese daher selbstverständlich auch an die Mitarbeiter weitergeben müssen. Stolz präsentierte man dann auch den Tarifabschluss, den „höchsten seit Kriegsende“: 4,5 Prozent mehr Lohn, eine Einmalzahlung von ca. 600 Euro für eine Laufzeit von 19 Monaten. Was bleibt davon aber am Ende im Geldbeutel der Beschäftigen? Die Hälfte davon geht schon mal an den Staat, der bis 53 Prozent des Bruttolohns für Steuern und Sozialabgaben einkassiert, die gestiegene Mehrwertsteuer kommt noch hinzu – ganz zu Schweigen von der allgemeine Teuerungsrate, die offiziell mit 1,5 Prozent veranschlagt wird. Damit hätte man gerade so verhindert, dass sich die Arbeits- und Lebensbedingungen noch weiter massiv verschlechtern – fürs Erste.

     

    Ist schwarz jetzt weiß? Ist Spaltung jetzt Solidarität?

    Doch die Lage bei der Bahn wird nun noch etwas unübersichtlicher, denn es gibt ja noch eine Gewerkschaft, nämlich die der Lokführer (GDL). Die GDL ist ausgeschert und will ihren eigenen Tarifabschluss erringen. Forderung: 31 Prozent mehr Lohn. Argument: die Verantwortung der Lokführer ist mit der eines Piloten vergleichbar, doch verdienen speziell die Lokführer viel zu wenig. Hier sind wir mit einem ernsten Problem konfrontiert, das wir auch schon bei den Streiks des Flugpersonals und Krankenhauspersonals sehen konnten. Die besonders hoch qualifizierten Berufe wie Ärzte, Piloten und Lokführer fordern mit ihrer eigenen Gewerkschaft mehr Lohn als die anderen Mitarbeiter, indem sie die Unterschiede unter den Beschäftigten hervorheben. Dies aber führt zu einer Spaltung der Beschäftigten. Dies wird in den Medien auch dankbar aufgegriffen. So wird in der FAZ der Professor für Arbeitsrecht, Picker, zitiert: „Wie zuvor bei den Klinikärzten und Fluglotsen hätte sich eine ‚Elitegruppe’ innerhalb der Arbeitnehmerschaft, in diesem Fall die Lokführer, eine gesonderte tarifliche Stellung erkämpft.“ (9.7.2007) So wird dann weiter von „Elitestreiks“ gesprochen, wo es angeblich einzig und allein um eigene, „gesonderte Vorteile“ gehe. Aber nicht die hohe Forderung ist eine Frechheit, sondern allein die Tatsache, dass sie für eine Berufsgruppe allein gefordert wird, während fast alle Bahnbeschäftigten mittlerweile  zu der stets anschwellenden Armee der „working poor“ zählen. Während die Lokführergewerkschaft die Lokführer von ihren KollegInnen absondert, klagen die übrigen Gewerkschaften nicht etwa die Kapitalseite an, sondern hetzen im Gleichklang mit Bahnchef Mehdorn gegen die Lokführer. Statt auf die gewerkschaftliche Spaltung hereinzufallen und auf Teile der Belegschaft sauer zu sein, sollte man sich lieber fragen, was die wirklichen Ursachen für die immer schlechteren Arbeits- und Lebensbedingungen für die Beschäftigten sind. Es ist das kapitalistische Wirtschaftssystem, das Diktat der Konkurrenz, die Anarchie der Produktion um des Profits willen. Dem wird alles untergeordnet, ganz gleich, ob Menschen dabei auf der Strecke bleiben oder nicht. Und jede Institution welche uns, wie die Gewerkschaften, glauben machen will, dass ein bestimmter Teil der Belegschaft der Übeltäter ist oder dass wir als ArbeiterInnen im Kapitalismus doch eine Zukunft haben, kettet uns in Wahrheit nur noch mehr an diese Ausbeutung und Entfremdung.

     

    Was also sehen wir, wenn wir die Brille der Verblendung abstreifen, die uns die Medien und die Gewerkschaften vor die Augen setzen? Wir sehen: Kämpfen lohnt sich! Denn wenn wir uns nicht wehren, greifen die Bossen uns umso härter an. Mehr noch, und sogar wichtiger, können wir viel an Kampferfahrung hinzugewinnen. So etwa, beim Telekomstreik, wo die Gewerkschaften ihr wahres Gesicht zeigen mussten. Nicht um die Interessen der Beschäftigten ging es den Gewerkschaften, sondern um etwas dem geradezu Entgegengesetztes: Das Wiedererlangen der Konkurrenzfähigkeit des betroffenen Unternehmens. Insgesamt zeigt uns ein  genauerer Blick auf den Tarifabschluss der Bahn mit Transnet und GDBA nicht etwa, dass die „Arbeitnehmer“ am „Aufschwung angemessen beteiligt“ seien, wie von allen Seiten behauptet, sondern dass wir um Kopf und Kragen kämpfen müssen. Es geht eigentlich nur noch darum, sich Verschlechterungen zu erwehren. Selbst bei den Lokführern der Bahn ist das so, wo die angeblich so hohen Forderungen nicht mal reichen, um die Verschlechterungen der letzten Jahre auch nur ansatzweise wettzumachen. So erzählen uns Lokführer, selbst wenn deren Forderungen durchgesetzt werden, damit rechnen, nur 150 Euro monatlich mehr herauszukriegen. Die Lokführer mussten die Erfahrung machen, dass in „unserer Demokratie“ doch nicht jeder einfach das Recht zum Streiken hat. So wurden ihre Warnstreiks zunächst gerichtlich verboten, was deutlich macht, dass der Staat sicher nicht die Interessen aller Bürger vertritt, sondern die des Kapitals.

    Suche aus dem Labyrinth

     

    Was wir heute erleben, sind erste zaghafte Keime massiver Kämpfe. Auch wenn die Kämpfe noch nicht über die Branchen hinweg ausgedehnt werden, so werden die Abstände zwischen den Kämpfen immer kürzer und die Solidaritätsbekundungen der übrigen Bevölkerung vernehmbarer. Es gibt zunehmend ein Bewusstsein dafür, dass die ArbeiterInnen alle in einem Boot sitzen und wir uns nur gemeinsam erfolgreich zur Wehr setzen können. Gemeinsam zur Wehr setzen heißt aber auch, ohne und gegen die Gewerkschaften zu agieren, denn diese Organe identifizieren sich längst mit dem kapitalistischen System und sind ein Teil dessen Logik geworden. Diese spalterische, weil die kapitalistische Konkurrenz nicht in Frage stellende Sichtweise muss überwunden werden, wenn wir als arbeitende Bevölkerung eine Tendenz aufhalten wollen, die immer deutlicher wird: die Tendenz zum working poor. Oder mit den Worten von Marx: Neben der relativen tritt nun auch die absolute Verarmung der ArbeiterInnen. Es ist wohl etwas dran, dass heute die Arbeitslosenzahlen sinken, aber zu welchem Preis? Die Löhne werden immer mehr gedrückt, viele Neubeschäftigte sind ZeitarbeiterInnen, also prekär beschäftigt. Der so genannte Sozialstaat wird immer weiter abgebaut, so dass die Armut nicht nur der Hartz IV-Empfänger, sondern auch der Beschäftigten stetig zunimmt. Die Altersarmut wächst ebenfalls mit. Die Zukunft sieht also nicht sehr rosig aus, wenn wir dies alles so hinnehmen würden. Aber man sollte auch nicht resignieren; denn schon heute sieht man immer mehr Versuche der arbeitenden Bevölkerung, sich zur Wehr zu setzen, und mit diesen Kampferfahrungen können wir den Weg gemeinsam beschreiten, der uns in eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Profit und Elend führen wird.    20.07.07

     

    Der Operaismus: Eine ökonomistische und soziologische Betrachtungsweise des Proletariats / 3

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    Die ambivalente Haltung des Operaismus gegenüber der bürgerlichen Linken

     

    Dem Operaismus ist es nie gelungen, seine eigene Herkunft kritisch und vollständig aufzuarbeiten. Um dazu in der Lage zu sein, hätte es der Bereitschaft zur konsequenten politischen Auseinandersetzung mit der Linken des Kapitals bedurft. Schließlich stammte ein Großteil der Begründer des Operaismus aus der italienischen KP, dem PCI, und aus der Sozialistischen Partei Italiens (PSI). Auch gab es viele Berührungspunkte mit den etablierten Gewerkschaften. Doch der Operaismus ist, wie wir bereits eingangs erwähnt haben, ein gebranntes Kind des stalinistischen und sozialdemokratischen Umgangs mit politischen Fragen. Seine Begründer sind mit der Erfahrung groß geworden, dass Politik nichts anders als eine Metapher für Macht ist, und zwar für die Macht der Parteien über die Arbeiterklasse. Diese Erfahrung war ein nicht unwesentlicher Grund für die Unverbindlichkeit des Operaismus in politischen Fragen, für sein Zurückschrecken vor der letzten Konsequenz.

    Wir wollen nicht leugnen, dass es in den operaistischen Strömungen in Italien durchaus Bemühungen um eine Klärung ihrer Haltung zu Gewerkschaften und zu den linksbürgerlichen Parteien gab. Jedoch blieben diese Klärungsbemühungen zumeist auf halbem Wege stehen, beschränkten sich auf Oberflächlichkeiten und widersprachen einander. Ein paar Beispiele: Raniero Panzieri, einer der Mitbegründer des Operaismus Anfang der sechziger Jahre, diagnostizierte zwar eine „Krise der Organisationen“, der Parteien und der Gewerkschaften, deren Ursache er in der Trennung zwischen Parteipolitik und Arbeiterkampf lokalisierte. Dennoch gab er seine Hoffnung auf eine Kehrtwende in den Gewerkschaften nie auf. Auch Romano Alquati und die von ihm mitherausgegebene Zeitschrift Quaderni Rossi äußerten nur moderate Kritik an den Gewerkschaften. Zwar konstatierten sie eine wachsende Ablehnung der Gewerkschaften durch die Klasse, insbesondere durch die sog. Massenarbeiter, doch erblickten sie die Ursache hierfür nicht in der Funktionsweise der Gewerkschaften, sondern in der Spaltungspolitik von PCI und PSI.

    Etwas weiter in der Kritik an den Gewerkschaften ging Classe Operaia, die von einer veränderten Funktion der Gewerkschaften infolge der „Entstehung des gesellschaftlichen Kapitals“ sprach. Die Gewerkschaft sei zur „Mitspielerin der demokratischen Struktur der Gesellschaft“ und zu einer „immer organischeren Funktion des Plans des Kapitals“ geworden. Und die Gewerkschaftsfunktionäre seien mittlerweile genauso verhasst unter den Arbeitern wie Vorarbeiter, Werkschutz, etc. Nichtsdestotrotz vermeinte Classe Operaia immer noch die Existenz eines „gewerkschaftlichen Lebens innerhalb der Arbeiterklasse“ auszumachen und hielt es daher weiterhin für taktisch notwendig, Gebrauch von den eben noch denunzierten Gewerkschaften zu machen. Mario Tronti, Mitherausgeber von Classe Operaia, liebäugelte mit Lenins Haltung in der Gewerkschaftsfrage und favorisierte die Idee, „die Gewerkschaften über einen Transmissionsriemen an die Partei zu binden“; und in einem Editorial in Classe Operaia vom Juni 1964 wurde es gar für möglich gehalten, dass die künftigen neuen Organisationsformen des Klassenkampfs die... alten sein können, d.h. die „traditionellen Parteien“ und die Gewerkschaften.

    Kurzum, die Haltung eines großen Teils des italienischen Operaismus der sechziger Jahre gegenüber den Linken und den Gewerkschaften war in gewissem Sinne eine Vorwegnahme der Politik der linksextremistischen Gruppen in den darauffolgenden Jahrzehnten: einerseits oberflächliche und unvollständige Kritik an diesen Säulen der kapitalistischen Herrschaft, andererseits Taktiererei, Opportunismus und Rückzug, wenn es um die Konsequenzen aus der Kritik ging.

    Etwas anders verhielt es sich mit Potere Operaio veneto-emiliano (POv-e), einer von Negri u.a. 1966 gegründeten Gruppe und Zeitschrift. Sie brach mit den KPs und begründete dies mit der Rolle der französischen KP im Mai 68, als diese die Bewegung der französischen Arbeiter kanalisiert und provoziert habe. Dabei verstieg sich POv-e zu dem Urteil, dass 1968 für die KPs die gleiche Bedeutung gehabt habe wie das Jahr 1914 für die II. Internationale – dabei völlig verkennend, dass der Verrat durch die stalinistischen KPs 1968 bereits ziemlich genau vier Jahrzehnte alt war und dass diese Parteien seither alteingesessene bürgerliche Organisationen sind.

    Was ihre Gewerkschaftskritik anbetrifft, so erwies sich POv-e als weitaus konsequenter als das restliche operaistische Milieu. Nachdem sie anfangs trotz ihrer Attacken gegen die Gewerkschaftsführung immer noch der Überzeugung gewesen war, dass die Arbeiterklasse die Gewerkschaften beeinflussen konnte, änderte sie in Folge des Streiks in der petrochemischen Industrie Italiens 1967 ihre Haltung. Nun hatte sich für POv-e „die Frage des ‚Gebrauchs‘ der Gewerkschaft ein für allemal erledigt“. Es sei in diesem Zusammenhang „Unsinn, von Verrat zu reden“, seien die Gewerkschaften doch zu Instrumenten des Kapitals geworden. Als nach 1970 sog. Delegiertenräte in der italienischen Industrie aufkamen, stießen diese Basisorgane, die von militanten Arbeitern gebildet worden waren und einen nicht unbeträchtlichen Zulauf hatten, unter den Operaisten mehrheitlich auf Ablehnung. An ihrer Spitze stand die POv-e, die befürchtete, dass die Gewerkschaften mittels dieser Delegiertenräte ihren verlorengegangenen Einfluss in der Klasse wieder wettmachten. Doch ungeachtet dessen entschieden sich etliche ihrer Mitglieder für eine Mitarbeit in den Delegiertenräten.

    Hier rächte sich die ambivalente, unentschiedene Haltung des Operaismus in seiner Gesamtheit gegenüber der Frage der Gewerkschaft als solche. Bei aller Kritik an den bestehenden Gewerkschaften wie auch an den linksbürgerlichen Parteien unterließen die verschiedenen operaistischen Strömungen eine wirklich grundsätzliche und historische Analyse dieser Institutionen. Sie kritisierten die jeweilige Politik und Ideologie der Partei- und Gewerkschaftsführungen, näherten sich mithin dem Problem von empirischer Seite. Doch sie versäumten es, die Gründe für das „Versagen“ und die „Fehler“ dieser Institutionen in den materiellen Bedingungen eines Kapitalismus zu suchen, dessen historische Krise die Existenz permanenter und reeller Verteidigungsorganisationen der Arbeiterklasse außerhalb revolutionärer Perioden verbietet und in dem solch traditionellen Arbeiterorganisationen wie die Gewerkschaften und die klassischen Arbeiterparteien nur überlebt haben, weil sie bereits vor langer Zeit in eine neue Rolle geschlüpft waren – in die Rolle von Sachwaltern des staatskapitalistischen Regimes im dekadenten Kapitalismus. Statt für Klarheit unter ihren eigenen Mitgliedern und in der restlichen Klasse zu sorgen, schufen die Operaisten Grauzonen, in denen die basisgewerkschaftliche Idee überlebte und in Gestalt sog. Fabrikkomitees, Fabrikaktivisten u.ä. neue Blüten schlug.

     

     

     

    Der Operaismus – Versuch eines Resumees

     

    Was ist der Operaismus? Worin besteht seine Eigenart? Worin besteht seine Attraktivität, die er zweifellos auf Teile unserer Klasse ausübte und ausübt?

    Zum einen ist es -  neben einer gewissen Beliebigkeit in theoretischen, grundsätzlichen Fragen – vor allem die voluntaristische Haltung des Operaismus, die ihn in Zeiten eines gedämpften Klassenkampfes gerade unter den jungen Arbeitermilitanten so anziehend macht. Seine Hauptkritik am Marxismus gipfelt in dem Vorwurf, der Marxismus sei „deterministisch“; er lege vorrangigen Wert auf die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und vernachlässige dabei die Rolle der Arbeiterklasse. Ja, manche operaistische Ideologen (s. Castoriadis 1994) sprachen den ökonomischen Theorien des Marxismus jegliche Gültigkeit ab, da sie die „Selbsttätigkeit“ der Klasse, sprich: den Klassenkampf außer Acht ließen.

    Der Anspruch des Operaismus war es dagegen, das Verhältnis zwischen den objektiven und subjektiven Faktoren in der Dynamik des Kapitalismus zugunsten Letzterer umzukehren – das bereits eingangs dieser Artikelreihe erwähnte „Primat des Klassenkampfes“. Nicht die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten beherrschen die Dynamik des Kapitalismus, sondern der Klassenkampf. Für den Operaismus reduzierte sich alles im Leben des Kapitalismus auf die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit um die Höhe der Ausbeutungsrate.

    Abgesehen von der grotesken Fehleinschätzung des Kräfteverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital, die ihn zu der gewagten Behauptung verleitete,  die Arbeiterklasse würde auch außerhalb der revolutionären Periode das Heft des Handels in der Hand halten – abgesehen davon, beging der Operaismus genau jenen Fehler, den er dem Marxismus vorwarf – nur in einer umgekehrten Version. Bezichtigte er den Marxismus der Missachtung der Selbsttätigkeit der Klasse, so leugnete der klassische Operaismus – wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen - die objektive, historische Krise des Kapitalismus. Als Kind der sog. Wirtschaftswunderjahre betrachtete er den „Neokapitalismus“ der 50er und 60er Jahre als ein System, das seine ökonomischen „Kinderkrankheiten“ überwunden hat und das allein von der „Selbsttätigkeit“ der Massen sabotiert werden kann.

    Selbst als die Weltwirtschaftskrise im Verlauf der 70er Jahre immer unübersehbarer wurde, sahen die operaistischen Denkschulen keinen Anlass, ihre Scheuklappen gegenüber den objektiven, systemimmanenten Ursachen der Schwächeerscheinungen des Kapitalismus abzulegen. Im Gegenteil, getreu ihrem Motto, dass alles nur eine Frage des Klassenkampfes sei, bogen sie sich die Wirklichkeit zurecht. Entweder vermeinten sie hinter den Krisenerscheinungen „geplante Rezessionen“ zu erblicken, mit denen das Kapital den Widerstand der Arbeiter zu brechen beabsichtige. Oder sie glaubten in den Arbeiterkämpfen selbst die Auslöser der Krise zu lokalisieren: Demzufolge machte es der Widerstand der ArbeiterInnen den Kapitalisten unmöglich, dem tendenziellen Fall der Profitrate durch die Ausweitung der Arbeitszeit und/oder durch die Steigerung der Arbeitsintensität entgegenzuwirken, und bewirkte letztendlich eine „Profitkrise“ des Kapitals.

    Zum anderen erklärt sich die Popularität, die der Operaismus in Teilen der Arbeiterklasse durchaus genoss (und heute noch genießt), aus seiner Eigenart, die ArbeiterInnen in ihrer politischen Unschuld zu lassen. Diese Eigenart kam sicherlich dem Umstand entgegen, dass die Arbeiterklasse besonders im Europa der Nachkriegsjahre und des Kalten Krieges durch die Politik ihrer angeblichen Arbeiterparteien schwer traumatisiert war; Politik war in weiten Teilen der Klasse zu einem anderen Wort für „schmutziges Geschäft“ geworden. So beschränkte sich der klassische Operaismus in seinen Schriften vorwiegend auf Analysen rund um die kapitalistische Produktion, auf Interviews mit betroffenen ArbeiterInnen, auf das Austüfteln von Strategien für die „Selbsttätigkeit“ der ArbeiterInnen an ihren Arbeitsplätzen.

    Die Tabuisierung des Politischen im Operaismus führte dazu, dass in den vielen, wortreichen Beiträgen dieser Strömung ein Begriff so gut wie gar nicht vorkommt – das Wort „Kommunismus“. Nirgendwo, weder in Classe Operaia noch Quaderni Rossi oder in irgendeinem anderen Organ der zahlreichen operaistischen Strömungen wird der Kommunismus thematisiert – weder als Bewegung noch als Ziel. Kein Wort über die Russische Revolution oder über die Gründe ihrer Niederlage, keine Silbe über eine gesellschaftliche Alternative zum heutigen Kapitalismus – der Operaismus, der sich sonst äußerst eloquent über Ausbeutungsmechanismen, Arbeitsabläufe, Klassenzusammensetzungen u.ä. auslassen kann, wirkt seltsam wortkarg, wenn es um die politischen Konsequenzen des täglichen Kampfes der Arbeiterklasse geht – der revolutionäre Kampf um die politische Machteroberung und der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft.

    Fassen wir zusammen: Indem der Operaismus einerseits die historische Krise des Kapitalismus und ihre objektiven Ursachen – die relative Sättigung des Weltmarktes – nicht anerkennt und andererseits das historische Ziel des Proletariats, den Kommunismus, völlig missachtet, entpuppt er sich nicht nur als voluntaristisch, sondern offenbart darüber hinaus in seinem ziellosen Aktivismus eine gewisse Nähe zum Bernsteinschen Motto: „Das Ziel ist mir nichts, die Bewegung alles“. Ohne wirkliches Ziel vor Augen wird der Kampf selbst zum eigentlichen Inhalt, zum Selbstzweck, der alle Mittel heiligt. Ob Absentismus, Sabotage, kollektiver Kaufhausdiebstahl, Schwarzfahren, Bummelstreiks – alles was dem Kapital schadet, ist dem Operaismus recht und billig.

    Wir dagegen denken, dass es den Revolutionären nicht darum gehen kann, den einzelnen Kapitalisten wehzutun, sondern vielmehr darum, das kapitalistische Gesellschaftssystem zu stürzen. Und dazu bedarf es mehr als einiger Guerillaaktionen. Dazu bedarf es der bewussten „Selbsttätigkeit“ der gesamten Klasse. Mehr noch. Ein solch revolutionärer Ansturm erfordert eine Klasse, die sich der politischen Dimension ihres Kampfes bewusst ist. Sie muss sich bewusst werden, wofür sie kämpft, und nicht nur, wogegen. Sie muss raus aus der Defensive des ökonomischen Verteilungskampfes und rein in die Offensive des politischen Kampfes für eine Ablösung des kapitalistischen Klassengesellschaft durch den klassenlosen Kommunismus.

    Gerade weil es hierin noch gewaltig in unserer Klasse mangelt, ist es um so dringlicher, dass die Revolutionäre ihrer Verantwortung gerecht werden. Und die besteht nicht darin, unsere Klassenbrüder und –schwestern ihrem „ökonomistischen“ Bewusstsein zu überlassen, wie es der Operaismus tut. Unsere Pflicht als Avantgarde der Arbeiterklasse ist es stattdessen, die Politisierung des Klassenbewusstsein mit all unseren bescheidenen Mitteln voranzutreiben.

    Die Gruppe Eiszeit über den Streik in Reconvilier

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    Wir veröffentlichen hier einen langen Auszug aus der politischen Bilanz eines Arbeitskampfes in der Schweiz, geschrieben von einem Mitglied der Gruppe Eiszeit[1] [11]. Anschliessend einige Betrachtungen der IKS:    

     

    Streik und Fabrikbesetzung in Reconvilier - eine kritische Betrachtung

    Einleitung

    Der Streik bei Swissmetal in Reconvilier im Jahr 2006 war der intensivste Arbeitskampf in der Schweiz seit geraumer Zeit. Er hatte starke mediale Präsenz, beschäftigte gar den Bundesrat und in der Arena im Schweizer Fernsehen war er Thema eines ganzen Abends. Die folgende Analyse versucht den Arbeitskonflikt bei der Boillat, so der Name des Swissmetal Werkes in Reconvilier, möglichst exemplarisch zu betrachten um daraus allgemeine Schlüsse und Perspektiven für Interventionen hinsichtlich der Überwindung des Kapitalismus zu ziehen.

    Perspektiven der Swissmetal

    Heute verkauft die Swissmetal nur noch 37% ihrer Produkte in der Schweiz. Wie in der ganzen MEM–Industrie rechnete man auch bei der Swissmetal mit weiteren Absatzeinbussen im Inland und einem starken Wachstum in Asien. Zentrale Absatzbranchen der Swissmetal wie die Elektronik- oder Luftfahrtsindustrie produzieren fast ausschliesslich im Ausland. Die Swissmetal hatte also nur eine längerfristige Überlebenschance, wenn sie sich diesen äußeren Marktentwicklungen anpasste. Im Jahr 2005 publizierte der Verwaltungsrat der Swissmetal aufgrund der beschriebenen Entwicklungen ein Strategiepapier. Dieses umfasste drei Pfeiler:

    * Die Swissmetal soll mit Vertrieb und einer Produktionsstätte in Asien präsent sein.

    * Es sollen in Europa weitere vier bis fünf Standorte dazu gewonnen werden.

    * Der Produktionsprozess in der Schweiz soll restrukturiert werden. Diese Restrukturierungen sehen aus Effektivitätsgründen eine Verlagerung der Giesserei von Reconvilier nach Dornach vor. Zudem sollten bis im Jahr 2010 rund 80 Arbeitsplätze in Reconvilier abgebaut werden.

     

    Streik und Fabrikbesetzung

    Auslöser

    Das im Herbst 2005 publizierte Positionspapier der Swissmetal–Leitung war der eigentliche Auslöser des Streiks und der Fabrikbesetzung im vergangenen Jahr. Vor allem die Restrukturierungspläne (Verlagerung der Gießerei von Reconvilier nach Dornach und Abbau von rund 80 Stellen) stiessen bei der Belegschaft der Boillat auf Unmut. Der Kern des Arbeitskampfes in Reconvilier war ein regionalpolitischer. Seit jeher sind in der Boillat Autonomiebestrebungen vorhanden. Man hat sich in der Boillat nie mit der Swissmetal angefreundet, auch nicht mit der Belegschaft in Dornach (im ersten Streik bei der Boillat im Jahr 2004 trat die Belegschaft in einen wilden Streik, da die Swissmetal-Leitung den Werkdirektor in Reconvilier entließ. Dieser weigerte sich, eine Standort übergreifende Betriebssoftware einzuführen).

    Der Streik und die regionale Solidarität

    Auch im Jahr 2006 entschied sich die Belegschaft unabhängig von der Gewerkschaft Unia, die Arbeit niederzulegen. Erst danach schaltete sich die Unia ein. Während des über 30-tägigen Streikes wurde die Fabrik besetzt und das darin lagernde Material zurückgehalten. Die Belegschaft hätte den Streik und die Fabrikbesetzung nie so lange aufrechterhalten können, wenn sie nicht von der ganzen Region unterstützt worden wäre. Lebensmittellieferungen, Solidaritätsfonds von Kleinbetrieben, Befehlsmissachtungen der lokalen Polizei usw. waren Teil der breiten Unterstützung in der Region, welche einen lokalpatriotischen Ursprung hatte. Kleinunternehmer solidarisierten sich mit den Streikenden nicht etwa, weil sie besonders gute Menschen sind, sondern da sie vom Standort Reconvilier profitierten. Bürgerliche Politiker solidarisierten sich mit den Arbeitern nicht etwa, weil sie Marx gelesen haben, sondern aus politischer Profilierung.

     

    Gewerkschaft und die Linke

    Hetze gegen das Finanzkapital

    Der ganze Arbeitskampf war begleitet von viel Spekulation. Allem voran stand die Angst, Swissmetal wolle den Standort Reconvilier ganz zerstören. Verschiedene Kräfte, allen voran die Gewerkschaft Unia, interpretierten das Strategiepapier als Versuch, die Boillat zugunsten des spekulativen Finanzkapitals zu verscherbeln. Obwohl diese Befürchtung nie einen rationalen Kern hatte, hielten Unia und andere Kräfte an dieser These fest. In etlichen Flugpapieren ist die Rede vom „gierigen“ Finanzkapital, von dem „Heuschrecken-Manager“ Hellweg, welcher die Boillat zugunsten der kurzfristigen Profitinteressen des Finanzkapitals zerstören wolle. Auch linke Gruppierungen übernahmen diese Behauptungen kritiklos. So war in einem Flugblatt einer libertär-sozialistischen Gruppierung zu lesen: „Die branchenfremde Reißbrettstrategie [!] von Swissmetal wird sich nicht schmerzlos umsetzen lassen“. Und etwas weiter im selben Flugblatt: „Aber das ist etwas, dass Hellweg, Sauerländer und die Börsenspekulanten [!], die den Kauf der deutschen Gießerei […]“. Heute spricht niemand mehr von der Zerstörung der Boillat. Die Unia schreibt in ihren neueren Mitteilungen gar: „Der Belegschaft werde empfohlen [von der Unia], auf weitere Kampfmassnahmen zu verzichten und sich auf die Swissmetal-Strategie einer einzigen Gießerei für den ganzen Konzern einzulassen“. Der Kern des letztjährigen Streiks bei der Boillat war die geplante Verlagerung der Giesserei und die daraus resultierenden Befürchtungen, die vor allem von der Unia geschürt wurden, dass die Boillat noch ganz zerstört werde. Ein Jahr später fordert dieselbe Institution die Lohnarbeiter der Boillat auf, die geplante Verlagerung der Giesserei zu akzeptieren. Swissmetal-Verwaltungsratspräsident Sauerländer warf der Unia gezielte Verschleierung der Tatsachen zugunsten eigener Interessen vor. Dieser Vorwurf, auch wenn er von einem Vertreter des Kapitals kommt, scheint offensichtlich nicht ganz aus der Luft gegriffen.

    Die Unia

    Während des ganzen Arbeitskampfes spielte die Unia eine sehr opportunistische Rolle. Der

    Entscheid nach 4-wöchigem Streik und Fabrikbesetzung, die Arbeit wieder aufzunehmen, wurde von den Unia-Strategen beschlossen und in einer kurz angelegten Betriebsversammlung durchgepeitscht. Brisant daran ist die Tatsache, dass an der erwähnten Betriebsversammlung rund 120 Arbeiter nicht teilnahmen, da diese sich nach der Spätschicht in der permanent besetzten Fabrik im Bett befanden. Was sich auf das Abstimmungsresultat über die Wiederaufnahme der Arbeit noch stärker auswirkte, war die subtile Drohung der Unia, den Streik bei einer Weiterführung nicht mehr zu unterstützen. Dass die Gewerkschaft Unia in Reconvilier keineswegs die Interessen der Lohnarbeiter vertrat, wird noch durch eine andere Tatsache verdeutlicht: Vor dem Streik waren rund 80% der Lohnarbeiter Mitglied der Unia, heute sind es noch 50%.

     

    Die Belegschaft

    Allgemeine Situation

    Der Konflikt rund um die Boillat war begleitet von sehr speziellen Bedingungen. Dazu zählt der starke Regionalpatriotismus, welcher z.B. verantwortlich dafür war, dass erst sehr spät das Gespräch mit der Belegschaft in Dornach gesucht wurde. Dazu zählt auch die Tatsache, dass im ersten Streik im Jahre 2004 die Belegschaft für den Erhalt eines eigenen „jurassischen“ Direktors kämpfte und der zweite Streik im Jahr 2005 vom werkeigenen Management ausgelöst wurde. Trotz alledem war die Situation die, dass Lohnarbeiter für mehr Mitspracherecht und gegen Entlassungen kämpften. Ob die Befürchtungen einer Verscherbelung der Boillat gerechtfertigt waren oder nicht, spielt hinsichtlich der Belegschaft auch keine Rolle. Die wirren Spekulationen über die Zerstörung der Boillat gehen auf das Konto der Unia und anderen selbsternannten Interessensvertreter der Lohnarbeiterklasse. Wenn während des Arbeitskampfes in den besetzten Fabriken über die Macht des Finanzkapitals, über den „bösen“ Hellweg, statt über die Macht des Kapitals und den Scheiß Kapitalismus gesprochen wurde, dann hat dies mit der Verschleierung der Tatsachen eben dieser Interessenvertretungen zu tun.

    Zunehmende Politisierung

    Wie länger der Streik dauerte, desto grundsätzlicher wurden die aufgeworfenen Fragen. Nach dem Beschluss, die Arbeit wieder aufzunehmen, protestierte ein Teil der Belegschaft, unabhängig von der Gewerkschaft, in Zürich vor dem Gebäude eines Hauptaktionärs der Swissmetal. Bei einem Teil der Belegschaft zeigte sich in Gesprächen, dass sich die ernüchternde Erkenntnis durchgesetzt hat, dass nicht der „böse“ Hellweg für all das Übel verantwortlich sei, sondern die Gesetzmäßigkeiten des Systems. Ein resignierter Arbeiter meinte, er sei frustriert:  Solange sich andere Arbeiter nicht mit ihrem Kampf solidarisieren (z.B. die Belegschaft in

    Dornach), sei die Situation hoffnungslos.

     

    Resumée

    Objektive Situation

    Der Arbeitskampf in Reconvilier konnte nur scheitern. Denn es handelte sich um nichts anderes als um den Hauptwiderspruch der kapitalistischen Warenproduktion: auf der einen Seite der Sachzwang des Kapitals, auf der anderen Seite das Interesse der Lohnarbeiter. So banal es tönen mag, die einzige Lösung wäre die Überwindung des Kapitalismus gewesen, wofür die objektiven Verhältnisse natürlich nicht vorhanden waren. Doch wie soll man als Revolutionär mit dieser Situation umgehen?

    Die Gewerkschaft und die Linke

    Es wurde bereits gezeigt, dass die Gewerkschaft als integrative Kraft im Kapitalismus nur versagen kann, wenn die Forderungen der Lohnarbeiter über das im Kapitalismus Machbare hinausschießen. Die Gewerkschaft kann nicht bloß nur versagen, sie stellt sich, wie im Falle Reconvilier, gegen die Interessen der Lohnarbeiter. Die Interessen der Institution Gewerkschaft laufen deren der Lohnarbeiter entgegen. Verschiedene Linksradikale unterstützten den Kampf der Boillat-Belegschaft, indem sie selbst Schichten übernahmen und somit die Fabrikbesetzung aufrechterhielten. Wieder andere bauten zusammen mit Teilen der Belegschaft ein Sozialzentrum auf, eine Plattform, wo diskutiert und informiert wurde. In der „Uzine 3“, so der Name des Sozialzentrums, wurde durch ständige Informationskampagnen auch versucht, eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen und den Streik in der Boillat mit anderen Arbeitskämpfen zu verbinden. Heute wird in der „Uzine 3“ vorwiegend Karten gespielt...

    Perspektiven

    Es braucht revolutionäre Arbeiterorganisationen. Deren Funktion sollte es sein, Kämpfe zu unterstützen, zu versuchen, den gemeinsamen Charakter der verschiedenen Bruchstellen in der Gesellschaft und eine kommunistische bzw. revolutionäre Perspektive aufzeigen. In der momentanen objektiven Situation kann ein Arbeitskampf wie derjenige in Reconvilier nicht gewinnen, er kann aber auch nicht verlieren. Denn die Entlassungen und die Verlegung der Gießerei

    wären im Falle der Boillat so oder so vonstatten gegangen. Gewonnen werden können jedoch Erfahrungswerte. Gewonnen werden kann das Selbstvertrauen, das Gefühl gekämpft zu haben, gemeinsam gekämpft zu haben. Gewonnen wurde im Falle Reconvilier zu guter Letzt die Erkenntnis einer gemeinsamen Lage, welche ethnische Herkunft und allerlei sozikulturelle Konstrukte hinter das gemeinsame Interesse des wirklichen, materiellen Lebens stellt. Dieser Text ist eine Kurzfassung des Referats, welches im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Den kapitalistischen Alltag durchbrechen“ in mehreren Städten vorgetragen wurde.

    Ein Mitglied der Gruppe Eiszeit [email protected] [12] www.eiszeit.tk [13].

     

    Für die klassen- und staatenlose Gesellschaft!

     

    Kommentar der IKS:

    Zuallererst gilt es die Anstrengung hinter dieser Bilanz eines Arbeitskampfes zu begrüssen. Wie im letzten Abschnitt treffend beschrieben, muss die Arbeiterklasse „Erfahrungswerte“ aus ihren Kämpfen ziehen und diese weiter tragen. Auch nach „verlorenen“ Streiks bleibt eine Erfahrung zurück. Sie muss aber benannt und ausgesprochen werden. Genau dies ist eine der Hauptaufgaben revolutionärer Organisationen innerhalb der Arbeiterklasse.

    Wir schliessen uns auch vollständig der Stellungnahme gegen die Gewerkschaften an, die nicht etwa in naiver Enttäuschung über eine fehlende Radikalität der Gewerkschaft Unia lamentiert. Es wird klar ausgesprochen, dass die Gewerkschaften heute generell ein Instrument zur Integration der Arbeiterklasse in den Kapitalismus sind und keinesfalls die Interessen der Arbeiterklasse vertreten. Illusionen über einen radikaleren Kurs der Gewerkschaften oder gar neue, „kämpferische“ Gewerkschaften zu schüren ist ein Markenzeichen linksextremistischer Organisationen, die damit nur ihre Rolle als verkappte Organe des Kapitalismus wahrnehmen.

    Auf eine im Text von Eiszeit aufgeworfene Sorge wollen wir kurz eingehen: die Frage der Dynamik, Politisierung und Perspektive, und in diesem Zusammenhang den erwähnten Regionalismus innerhalb der Arbeiterklasse. Es ist oft hilfreich, Streiks (neben der Untersuchung spezifischer Besonderheiten) aus einem internationalen Blickwinkel zu betrachten. Dies schlicht und einfach deswegen, weil der Kapitalismus eine weltumspannende Produktionsweise ist und die Arbeiterklasse über eine internationale historische Tradition verfügt. Arbeitskämpfe finden meist aufgrund spezifischer Angriffe gegen eine Belegschaft oder einen Sektor statt, doch sind diese Angriffe gerade heute deutliche Ausdrücke einer sich international verschärfenden Krise, auch wenn die herrschende Klasse von „Aufschwung“ redet. Seit 2003 hat die Arbeiterklasse in verschiedensten Ländern verstärkt Kämpfe geführt (Frankreich, Deutschland, USA, Bangladesh, Indien, Dubai, Ägypten, Großbritannien, Spanien). Wir sind überzeugt, dass ein wesentlicher Faktor, der die Belegschaft von Swissmetall bei der mutigen Aufnahme ihres Streiks stützte, ein heute international anwachsendes Selbstvertrauen ist, das sich innerhalb der Arbeiterklasse beobachten lässt. Es wäre absolut verfehlt, Theorien über einen „besonders kämpferischen Typus Arbeiter“ in der jurassischen Region zusammenzuschustern.

    Dennoch ist es unabdingbar, ehrlich zu sein und Schwächen innerhalb der Arbeiterklasse aufs Tapet zu bringen. In dieser Sorge stellt Eiszeit fest, dass ein vorhandener „Regionalpatriotismus“ ein wichtiges Hindernis zur notwendigen Ausdehnung des Streiks darstellte. Eine solche Feststellung bezieht sich natürlich nicht nur auf die Arbeiter in Reconvilier, sondern auch auf die Belegschaft vom Swissmetall-Standort Dornach, die sich dem Kampf ihrer Kollegen nicht anschlossen. Verglichen mit dem Beispiel aus dem Sommer 2004, als die Beschäftigten von Daimler-Chrysler in Bremen sich direkt mit den Kollegen in Baden-Württemberg solidarisierten, sticht beim Streik bei Swissmetall die Hürde des Regionalismus deutlich ins Auge. Die Arbeiterklasse leidet auf internationaler Ebene nach wie vor insgesamt unter dieser Schwäche und die Arbeiter in Reconvillier bilden keine Ausnahme. Regionalistische und - auf höherer Ebene - nationalistische Beschränktheiten werden der Arbeiterklasse durch die bürgerliche Ideologie als tagtägliches Gift in die Wiege gelegt und tauchen selbst in kämpferischsten Situationen auf: Selbst beim  Massenstreik 1980 in Polen, wo von Regionalismus nur noch wenig zu spüren war, scheiterte diese Bewegung im Wesentlichen aufgrund der nationalen Isoliertheit der polnischen Arbeiterklasse, an deren Durchsetzung die nationalistischen Ideen der Gewerkschaft Solidarnosc ebenso beteiligt waren wie die Hetzkampagnen der Bourgeoisie der benachbarten Staaten gegenüber der Arbeiterbewegung in Polen.

    Woher rühren solche Tendenzen zum Regionalismus? Gehen sie von der Arbeiterklasse selbst aus? Der Arbeitskampf bei Swissmetall zeigt uns deutlich, dass es die bewussten Aktivitäten politischer Organisationen der herrschenden Klasse (von Rechts bis Links) waren, die das Klima der Solidarität auf eine lokalpatriotische Ebene abzudrängen versuchten. Dasselbe hatte die Belegschaft des Cardinal-Betriebes in Fribourg vor einigen Jahren exemplarisch erlebt, als sich alle lokalen bürgerlichen Parteien an die Spitze ihres Protestzuges drängten. Die Arbeiterklasse selbst, die vom Regionalismus oder Nationalismus nie irgendwelchen Nutzen hat, kann unter Druck in solche Fallen tappen, sie ist aber durch ihren internationalen Charakter nicht wirklich Ausgangspunkt solcher Tendenzen. Der „Lokalpatriotismus“ oder Nationalismus entspringt dem Wesen der bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft. Die heutige Situation einer international zunehmenden Kampfbereitschaft und Solidarität ist der beste Rahmen um diese Schwäche zu überwinden. Zudem ist die Arbeiterklasse heute immer stärker mit politischen Fragen wie dem Krieg und der Umweltzerstörung konfrontiert, die sich nur auf internationaler Ebene beantworten lassen.

    20.07.07

     

    [1] [14] Der vollumfängliche Text kann unter www.eiszeit.tk [13] nachgelesen werden. Aus Platzgründen haben wir den Abschnitt über die Entwicklung der schweizerischen Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie weggelassen.  

     

     

    Ein Willkommensgruß an den Kern der IKS in Brasilien

    • 2139 Aufrufe

    Wir möchten gern an dieser Stelle unsere Leser über die Schaffung eines IKS-Kerns in Brasilien informieren. Dies wird erheblich zur Entwicklung einer politischen Präsenz unserer Organisation im wichtigsten Land Lateinamerikas beitragen – in einem Land, das die größten industriellen Konzentrationen in dieser Weltregion aufweist und eines der größten Länder weltweit ist. In diesem Land existiert ein Milieu proletarischer Gruppen und von Menschen, die revolutionären Positionen entgegenstreben. Wir haben in unserer Presse und auf unserer portugiesischenWebsite bereits auf die Arbeiteropposition (OPOP) und auf folgende Ereignisse hingewiesen: die Abhaltung gemeinsamer öffentlicher Treffen und die Veröffentlichung einer gemeinsamen Stellungnahme über die soziale Lage; die Veröffentlichung (auf Portugiesisch) eines Berichts über eine Debatte zwischen unseren beiden Organisationen über den historischen Materialismus und Texte von OPOP, die wir als besonders interessant erachten. Als Ausdruck dieses gegenseitigen Interesses nahm OPOP auch an der Arbeit des 17. Kongresses unserer Sektion in Frankreich und am 17. Internationalen Kongress teil.

     

    Auch in Sao Paulo ist eine Gruppe im Entstehen begriffen, die von den Positionen der Kommunistischen Linken beeinflusst ist. Erst kürzlich haben wir regelmäßige politische Beziehungen zu dieser Gruppe aufgenommen, einschließlich gemeinsamer öffentlicher Treffen.

     

    Wir hoffen sehr, dass unsere Zusammenarbeit mit diesen Gruppen immer enger und fruchtbarer wird. Diese Perspektive steht keineswegs in Widerspruch zu unserem Ziel, eine spezifische politische Präsenz der IKS in Brasilien zu entwickeln. Im Gegenteil, unsere dauerhafte Anwesenheit in diesem Land wird es ermöglichen, die Zusammenarbeit zwischen unseren Organisationen zu verstärken. Dies umso mehr, als unser Kern und die OPOP bereits eine lange gemeinsame Geschichte teilen, die sich auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen gründete.

     

    Die Bildung unseres Kerns ist eine Konkretisierung der Arbeit, die die IKS vor 15 Jahren begonnen hatte. Diese Arbeit ist in jüngster Zeit durch die Kontakte, die wir zu verschiedenen Gruppierungen und Individuen aufgenommen haben, und durch das Abhalten öffentlicher Veranstaltungen in verschiedenen Städten intensiviert worden, von denen einige – nämlich jene, die wir an Universitäten abhielten – äußerst gut besucht waren. Für uns ist dies nicht das Ende eines Prozesses, sondern ein bedeutsamer Schritt bei der Weiterentwicklung der Positionen der Kommunistischen Linken auf dem südamerikanischen Kontinent. Weit davon entfernt, lediglich eine brasilianische Ausnahme darzustellen, ist dies Teil eines weltweiten Phänomens – das Auftreten von Gruppierungen als Resultat einer Wiederbelebung von weltweiten Kämpfen und der Tendenz der Arbeiterklasse, revolutionäre Minderheiten in die Welt zu setzen.

     

     IKS im Juni 2007

    Eine Bilanz des G-8 Gipfels: Das Rütteln am Zaun

    • 2022 Aufrufe
    Der G8-Gipfel in Heiligendamm ist zu Ende. Zeit, Bilanz zu ziehen. Eine Bilanz des Gipfels wie auch der Gipfelproteste. Was haben sie gebracht? Das Unbehagen der Mächtigen

    Das Gipfeltreffen der Mächtigen hat – vom Standpunkt der Regierenden selbst betrachtet – einen verheerenden Eindruck hinterlassen. Das letzte Mal, als die Regierungchefs der führenden Industrieländer in Deutschland zusammenkamen – damals in Köln –, speisten sie im Schatten des Kölner Doms, im Herzen der Innenstadt. Heute undenkbar. Heutzutage treffen sie sich in der Abgeschiedenheit eines in Vergessenheit geratenen mecklenburgischen Ostseebades und müssen sich dennoch hinter Verteidigungslinien verschanzen. Nichts könnte eindrücklicher den Verlust an Ansehen und Popularität der demokratisch gewählten „world leaders“ in den Augen der eigenen Bevölkerungen verdeutlichen.
    Die Maßnahmen, die getroffen wurden, um die Sicherheit der Herrschenden zu garantieren, riefen in der ganze Welt üble Assoziationen hervor. Der millionenteure, zwölf Kilometer lange Sicherheitszaun mit „NATO-Stacheldraht“ erinnerte manchen an die Berliner Mauer, andere an die Sperranlagen der US-Grenze zu Mexiko oder an die Demarkationslinien der Kriegsparteien in Nordirland oder zwischen Israel und Palästina. Die Entnahme von „Geruchsproben“ „potenzieller Verbrecher“ im Vorfeld des Gipfels, um sie speziell abgerichteten Polizeihunden zuzuführen, belebte eine altbewährte Methode der ostdeutschen Staatssicherheit wieder. Was die Einsperrung Hunderter von Demonstranten in Käfigen nach der Demonstration vom 2. Juni in Rostock betrifft – wo sie die Nacht über ohne Kontakt zu ihren Anwälten und überhaupt zur Außenwelt festgehalten und bei ununterbrochener Beleuchtung wachgehalten und gefilmt wurden –, so musste jeder unwillkürlich an Guantanamo denken. Haben nicht die führenden Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union jahrelang gegen die menschenunwürdige Unterbringung und Behandlung der Gefangenen in Guantanamo durch die Vereinigten Staaten protestiert? Die Tatsache, dass jetzt mitten in Europa Gefangene ebenfalls in Käfige eingesperrt werden, wirft ein anderes Licht auf diese Proteste. Es wird deutlich: Was die Führer Europas missbilligen wollten, war nicht die Unmenschlichkeit, sondern die in Guantanamo zum Ausdruck gekommene Machtdemonstration der USA.
    Und tatsächlich: in Heiligendamm ist nicht nur der Ansehensverlust der Mächtigen der Industriestaaten und ihre Angst vor der eigenen Bevölkerung sichtbar geworden, sondern auch ihre Zerstrittenheit. Während die Sprecher von ATTAC und die Anführer der „künstlerischen Opposition“ wie Campino oder Grönemeyer die G8 als eine Art Weltregierung bezeichnen, knisterten die tödlichen Rivalitäten der führenden Industrieländer kaum verborgen unter der Oberfläche. So versuchte Russlands Präsidenten Putin, das amerikanische Vorhaben zu torpedieren, ein Raketenabwehrsystem in Osteuropa aufzubauen. Er tat so, als schenkte er den Beteuerungen Washingtons Glauben, dieses amerikanische Abwehrschild richte sich vornehmlich gegen den Iran, und schlug Bush vor, dieses System gemeinsam in Aserbaidschan (in unmittelbarer Nachbarschaft zum Iran also) zu errichten. Bush zeigte sich - nachdem er sich von einer plötzlichen Magenverstimmung erholt hatte -  „offen“ und „interessiert“. Doch sobald der G8-Gipfel beendet war, eilte er nach Warschau, um zu versichern, dass der Abwehrschild auf jeden Fall dort errichtet werden soll. Hintergrund dieser pikanten Geschichte: vorausgesetzt, es funktioniert tatsächlich, würde dieses Militärprojekt die Vereinigten Staaten in die Lage versetzen, die Raketenarsenale aller anderen Staaten zu neutralisieren. Damit würden die USA ihre militärische Überlegenheit erheblich ausbauen, auch gegenüber anderen G8-Staaten wie Russland, Frankreich oder Großbritannien.
    Aber nicht nur die Zerstrittenheit – genauer gesagt: die kapitalistischen Interessensgegensätze und die imperialistischen Rivalitäten – der führenden Industrieländer wurde sichtbar, sondern auch und noch mehr ihre Unfähigkeit, Antworten auf die großen Schicksalsfragen der Gegenwart zu finden. Gerade weil die Augen der Welt auf Heiligendamm gerichtet waren und gerade wegen der peinlichen Verschanzung der „Volksvertreter“ mussten die Gipfelteilnehmer darauf bedacht sein, jeden Eindruck eines Scheiterns dieses Gipfels zu vermeiden. Es war eher diesem „Erfolgsdruck“ als der Gipfeldiplomatie von Frau Merkel (der von einem deutschen Revolverblatt der Titel „unsere Miss World“ verliehen wurde) zu verdanken, dass Bush sich in der Klimafrage auf die Position der Europäer hinzubewegte und die Vereinten Nationen als „Dachorganisation“ der Klimapolitik nicht mehr prinzipiell ausschließt! Was kam dabei heraus? Eine Absichtserklärung, derzufolge die G8 „ernsthaft in Betracht zieht“, Maßnahmen zu ergreifen, um den Anstieg der Klimaerwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Wenn nicht der Gipfel von Heiligendamm, so wird wenigstens diese Formulierung in die Geschichte eingehen. Eines Tages werden sich vielleicht die ehemaligen Bewohner längst versunkener Küstenregionen daran erinnern.

    Die Ohnmacht des schwarzen Blocks

    Wie ein Überbleibsel aus einer längst versunkenen Welt wirkte die Kulisse des einst mondänen Seebads von Heiligendamm. Die Weltführer zeigten sich hinter ihrem Zaun zerstritten und zur planvollen Umgestaltung der Welt unfähig. Hatten sie wirklich so viel Angst vor einigen zehntausend Protestierenden? Kamen sie sich nicht ein wenig lächerlich vor?
    Polizeitechnisch betrachtet, wäre es ein Leichtes gewesen, sich die Demonstranten auch ohne Zaun vom Halse zu schaffen. Das Sicherheitsproblem dieses Gipfels war nicht so sehr militärischer als politischer Natur. Wie die Protestierenden zur „Räson“ bringen, ohne das sinkende Ansehen der Regierungen in der Bevölkerung noch mehr zu schädigen? Soll heißen: Wie diejenigen einschüchtern, die es wagen, das System zu hinterfragen, ohne die diktatorische Fratze der parlamentarischen Demokratie sichtbar werden zu lassen?
    Dieses Problem erwies sich als lösbar. Erheblich dazu beigetragen hat die politische Unbeholfenheit des „schwarzen Blocks“. Dabei stellen wir die antikapitalistischen Absichten der großen Mehrheit der autonomen Szene keineswegs in Frage. Aber der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Absichten gepflastert. Die großen Schwächen dieses Milieus sind die Theoriefeindlichkeit und die Gewaltverherrlichung. Diese Grundauffassungen teilt dieses Milieu leider mit manch anderer politischen Bewegung, die keineswegs antikapitalistisch eingestellt ist. Denn es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Gewalt an sich revolutionär oder auch nur radikal ist. In diesen Irrtum gefangen, begriff der schwarze Block nicht, dass das Unbehagen der Regierenden von Heiligendamm nicht polizeilicher, sondern politischer Natur war. Die Staatsmacht suchte nach einem Vorwand für den eigenen Einsatz von Gewalt. Dazu war es lediglich nötig, die am 2. Juni nach Rostock zur Auftaktdemo Anreisenden kaum zu kontrollieren und den schwarzen Block ohne die übliche massive Polizeieinkesselung marschieren zu lassen. Provokateure unter den vermummten Demonstranten mögen das Ihre beigetragen haben, um eine Eskalation der Gewalt in Gang zu setzen. Es reichte jedenfalls, um gegenüber den Medien aus aller Welt den Eindruck zu erwecken, als sei die Staatsmacht die wehrlose, angegriffene Partei. Die Demonstranten, die vor Ort waren, wissen es besser. Die ganz große Mehrheit der während dieser Gipfeltage festgenommenen und zusammengeschlagenen Menschen hat keine Gewalt ausgeübt, ja vielfach versucht, sie zu verhindern. Dabei ging es aber nicht nur darum, die Protestierenden ordentlich zu verdreschen. Es ging auch um die Frage, welche Bilder um die Welt gehen und die Wirkung des Gipfels auf die Bevölkerung prägen. Das Image von angeblich wehrlosen Polizisten lässt vielleicht den Eindruck des Zauns vergessen machen... Mehr noch: nicht nur vor Ort wird die wirkliche Frage verdrängt. Man diskutiert, wenn überhaupt, nur noch um die Frage, ob man „friedlich“ oder „gewaltsam“ protestieren soll. Die wirkliche Frage wird verdrängt: Wofür kämpft man?

    Die Sackgasse der Antiglobalisierungsbewegung

    Aber nicht nur die Vermeidung von Debatten über die Perspektive unsere Gesellschaft droht das Potenzial der Infragestellung des Systems zunichte zu machen. Auch die Ideologie der „Globalisierungsgegner“ selbst erwies sich erneut als Sackgasse.
    Auffallend: aus ganz Deutschland, teilweise aus der ganzen Welt kommen Menschen zusammen, um gegen Verarmung und Ausbeutung zu protestieren. Sie kommen in eine Gegend, wo eine Erwerbsloslosenrate von über 20 Prozent herrscht - Mecklenburg-Vorpommern. Sie protestieren in einem Land, in dem Massenentlassungen, Werksschließungen, Ausgliederungen von Produktionsstätten, Lohnsenkungen und Arbeitszeitverlängerungen zum Alltag gehören.  Gerade während des Gipfels streikten Zehntausende bei der Telekom gegen eine 12%-ige Lohnkürzung sowie eine – unbezahlte – Ausdehnung der Arbeitszeit um wöchentlich vier Stunden. Die Lage in Deutschland ist stellvertretend für die Entwicklung in allen G8-Ländern, ja in allen Industrieländern. Dennoch wurde bei den Anti-G8-Protesten zu keinem Zeitpunkt die Verarmung, die zunehmende Ausbeutung, sprich: die soziale Lage in den Industrieländern thematisiert. Nirgends wurde die Verbindung des Kampfes der Lohnabhängigen in den Industrieländern zum Kampf gegen globale Armut, Krieg und Umweltzerstörung hergestellt!
    Wie erklärt sich diese verblüffende Unterlassung? Sie ist kein Zufall. Die Ideologie der Antiglobalisierung schließt eine solche Verbindung aus. Diese Ideologie, ein Kind der Zeit nach dem Fall der Mauer, rühmt sich ihres praktischen Charakters. Sie ist stolz darauf, angeblich keine neuen Ideologien zu predigen und keinen Utopien nachzuhängen. Dennoch ist und bleibt das Weltbild von ATTAC und Freunden eine Ideologie. Es teilt die Welt in zwei Lager ein, in das Lager der Industrieländer und in jenes der Armenhäuser dieser Welt, und behauptet, das Erstere lebe von der Ausbeutung des Letzteren. Diese Sichtweise verschließt sich gegenüber dem Kampf der arbeitenden Bevölkerung in den Industrieländern, indem sie diese Länder undifferenziert als privilegierte Zonen betrachtet, ohne den Klassencharakter dieser Gesellschaften selbst zu berücksichtigen. Andererseits betrachtet sie die Bevölkerung der Armutsländer ebenfalls als eine undifferenzierte Masse. So werden die arbeitenden Menschen dieser Länder mit ihren Ausbeutern vor Ort in ein Boot geschmissen. Sie werden zu passiven Opfern herabgestuft, die ausgerechnet auf die Hilfe der G8 angewiesen seien. So verschließt man die Augen vor der Notwendigkeit, aber auch der Möglichkeit des gemeinsamen Kampfes der Lohnabhängigen aller Länder, die den Kampf der Ausgebeuteten der ganzen Welt gegen die herrschende Weltordnung anführen können und müssen.

    Zaun und Kapitalismus

    Ein wenig unbeholfen wirkte diese waffenstarrende Welt von Heiligendamm angesichts des jugendlichen Elans und des aufkeimenden Idealismus einiger Zehntausend Protestierender, die nach Alternativen zum Kapitalismus suchen. Um zu versuchen, diese Unbeholfenheit zu überspielen, ließen die Mächtigen der Welt „Gegengipfel“ organisieren. Ein unter dem Dach der UNESCO stehender Gipfel der Kinder und Jugend ließ acht handverlesene Jugendliche mit den sichtlich genervten und desinteressierten Staatschefs „diskutieren“.
    Die protestierende Jugend lief indessen unentwegt zum Zaun. Viele waren wirklich sehr jung. Und schon wenden sie sich angewidert von der herrschenden Weltordnung ab. Sie träumten davon, den Gipfel zu stören, zu blockieren. Sie wollten ihn sogar belagern. Sie wollten am Zaun rütteln. Eine Illusion. Die waffenstarrende Macht des Staates lässt sich nicht so leicht in die Enge treiben. Aber die aufrüttelnde Jugend hat etwas anderes erreicht, etwas, was mehr bedeutet. Sie haben diesen Zaun zum Symbol gemacht. Zum Symbol dieses Gipfels. Zum Symbol dieser Weltordnung. Die Menschheitsgeschichte lehrt uns, wie wichtig Symbole sind für die Entwicklung des Klassenkampfes. So die Erstürmung der fast leerstehenden, aber symbolträchtigen Bastille am Anfang der französische Revolution.
    Was bedeutet heute der Zaun? Zäune weisen die Verzweifelten ab, die dort Zuflucht und menschlichen Beistand suchen, wo noch kein Krieg, keine Dürre oder Hungersnot herrscht. Zäune riegeln den Besitz der Herrschenden ab. Die Reichen riegeln ihre Wohlviertel immer mehr ab. Sie leben verbarrikadiert. Zäune bzw. Mauern trennen irrsinnig aufeinander gehetzte Volksgruppen auf dem Balkan oder im Nahen Osten. Andere, unsichtbare Zäune halten die Produkte aus anderen Weltgegenden ab.
    Die linken Professoren und Politiker von ATTAC wettern gegen die Globalisierung. Aber die Jugend spürt, dass das Problem nicht die wachsende Globalität der Gesellschaft ist, sondern die Zäune. Einst brach der Kapitalismus auf, um die ganze Welt zu erobern. Dabei riss er alle chinesischen Mauern nieder, wie Marx und Engels im Kommunistischen Manifest schrieben. Aber er vereinigte die Menschheit nicht. Er schuf lediglich die Voraussetzungen dafür. Zugleich erhob er etwas zum Weltprinzip, auf dem letztlich alle Zäune der modernen Geschichte ruhen, ob der Stacheldraht von Auschwitz oder die Berliner Mauer: das Prinzip der Konkurrenz. Die Jugend von Heiligendamm hat Recht. Es gilt, alle Zäune niederzureißen. Der Zaun ist entstanden mit dem Privateigentum, der Keimzelle des modernen Kapitalismus. Diese Keimzelle hat sich zur beherrschenden Macht aufgeschwungen, zur Bedrohung der Menschheit. Die Überwindung des Zauns bedeutet in Wahrheit die Überwindung des Privateigentums von Produktionsmitteln. Sie bedeutet die Ablösung der Konkurrenzgesellschaft durch eine Welt der gemeinschaftlichen Produktion und der Solidarität.   13.06.07

    Zur ersten Ausgabe des Heftes 'aufheben' - Debatte über Religion

    • 2260 Aufrufe

    Im letzten Herbst haben wir online einen Leserbrief zum Thema Religion zusammen mit einer ersten Reaktion dazu veröffentlicht[i] [15]. Diese Artikel „Die lebendige Blume brechen“ von Riga und „Kommentare zum Beitrag des Genossen Riga“ von der IKS sind nun zwei von insgesamt sieben Beiträgen eines Heftes mit dem Titel aufheben - Ansichten aus der Klassengesellschaft, das Anfang dieses Jahres erschienen ist.

    Das Projekt dieser Broschüre „ist als Idee in einem Hamburger Diskussionszirkel entstanden“ (aus dem Editorial), und wir finden nicht nur die Idee fruchtbar, sondern sehen die erste Ausgabe von aufheben als Ort und Ausdruck einer proletarischen Debatte im deutschsprachigen Raum, die hoffentlich fortgesetzt wird[ii] [16]. Die Texte stammen von Einzelpersonen, politischen Gruppen und Diskussionszirkeln. Eine gemeinsame Grundlage aller publizierten Beiträge ist der Anspruch, die herrschende kapitalistische Ordnung revolutionär zu überwinden. Die Herausgeber schreiben im Editorial, dass sie sich entschieden hätten, „eine Zeitschrift zur Verfügung zu stellen, die sich unabhängig von bestehenden revolutionären Organisationen entfaltet, ohne uns jedoch als deren Konkurrenten zu betrachten. Wir fordern alle GenossInnen auf, sich an dieser Debatte offen und aufgeschlossen zu beteiligen. Egal, ob als Individuum, oder als Kollektiv. Ob als Kommunisten, Sozialisten oder Anarchisten. In diesem Sinne verstehen wir uns pluralistisch.“ Diese Offenheit für die Debatte beruht gleichzeitig auf einem bewussten proletarischen Klassenstandpunkt. Jeder Verteidigung der herrschenden Ordnung und ihrer Logik wird eine Absage erteilt. Allen Beteiligten geht es um eine weltweite Beseitigung des Kapitalismus, als „internationalistische, kosmopolitische Kommunisten“ bestehen sie auf einem klaren Trennungsstrich: „So haben wir z.b. keine Gemeinsamkeiten mit den alten und neuen Antiimperialisten, die nach dem Motto ‚der Feind meines Feindes ist mein Freund’ derzeit positive Seiten im Klerikal-Faschismus islamischer Prägung entdecken, oder mit sog. Antideutschen, die nach dem gleichen Prinzip die USA zum Hort der Zivilisation und Retter der Menschheit erklären.“ (aus dem Editorial, Hervorhebungen hier und in allen weiteren Zitaten nach dem Original)

    Nachdem wir uns im bereits publizierten Artikel mit Rigas Beitrag befasst haben, möchten wir an dieser Stelle insbesondere auch auf weitere interessante Fragen in den anderen fünf Texten eingehen. Drei davon sind ebenfalls Antworten auf Rigas Text, nämlich „Auf dass wir das irdische Jammertal des Kapitalismus beenden“ von Red Devil (Unabhängige Rätekommunisten), eine „Diskussionssynthese zur Frage der Religion“ des Politischen Diskussionszirkels Rheinland und „Thesen zu ‚Die Lebendige Blume brechen’“ von TZ, Zürich. Am Schluss folgen noch ein historischer Aufsatz aus Belgrad aus dem Jahre 1969 mit dem Titel „Sozialistischer Humanismus und Religion“ und ein Aufsatz von Genossinnen und Genossen aus Frankreich, der im Sommer 2006 entstanden ist: „Die Präsenz einer Illusion. Aus: ‚La Lettre de Troploin’ No 7“.

     

    Der vulgäre Atheismus

     Allen Texten gemeinsam ist eine Ablehnung und Kritik des vulgären Atheismus, wie er etwa in Stalins Russland gepredigt und später auch in den Ländern des ehemaligen Ostblocks Staatsdoktrin wurde.

    Miladin Zivotic aus Belgrad würdigt in seinem Artikel die Verdienste der französischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts im Kampf gegen den mittelalterlichen Mystizismus und Aberglauben. Bezogen auf die Gegenwart (d.h. Jugoslawien 1969) hält er aber fest: „Das allgemeine Niveau dieser Kritik bildet heutzutage jedoch die Basis eines vulgären Atheismus, rationalistischer Einseitigkeit und primitiver Antireligiosität. Diese Kritik erkennt vor allem nicht die historische Notwendigkeit religiösen Bewusstseins und dessen soziologisches Äquivalent: der Glaube ist nicht dasselbe wie Aberglaube und Unwissenheit. Wäre Unkenntnis die Quelle der Religion, hätte dann die Entfaltung der Wissenschaften, mit deren Hilfe der Mensch in die tiefsten Tiefen der Naturgeheimnisse eindringt, nicht die Bedingungen für ihr Absterben und ihre Aufhebung geliefert? (...) Inhuman ist es, den Menschen die Religion zu entziehen, die ihrer bedürfen, ohne gleichzeitig die Veränderung einer Wirklichkeit zu fordern, in der die Religion häufig das einzige therapeutische Mittel individueller Frustration darstellt.“ (S. 39 f.)

    Ausführlich argumentieren auch La Lettre de Troploin und Riga in die gleiche Richtung. Dieser kritisiert die Freidenkerbewegung, die im 19. Jahrhundert aufkam und in der Arbeiterbewegung bis in die 1930er Jahre eine Rolle spielte; die Freidenker erkannten nicht, dass der Atheismus als bloß abstrakte Negation auch eine Art Religion, ein Glaubensbekenntnis ist. Sie ignorierten die Kritik des Atheismus, wie sie vom marxistischen Flügel der Arbeiterbewegung von den Anfängen über Luxemburg bis Pannekoek formuliert worden war. Riga zeigt aber auch auf, dass die heutigen Linken mit ihrer Religionskritik „die modernen Freidenker“ sind (S. 18).

    Dazu schreibt TZ in seinem Beitrag: „Wenn ihr aber über die linke Religionskritik schreibt, dass sie bürgerlicher Natur sei, so geht ihr damit zu weit. Gerade in Zeiten, in denen das Programm der Abschaffung nicht auf der Tagesordnung steht, scheint mir Ideologiekritik und damit auch die Kritik der Religion nicht bloss Beigemüse, sondern wichtige Aufgabe kommunistischer Kritik und Praxis. Wobei klar sein muss, dass Ideologiekritik keine „Disziplin“ ist, welche von der Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen getrennt wäre.“ (S. 34)

    Zwar ist hier nicht klar, was mit dem „Programm der Abschaffung“ gemeint ist. Bezieht sich die Abschaffung auf die Religion? Genau die Beiträge, die den vulgären Atheismus kritisieren, zeigen auf, dass die Religion unabhängig von der gerade geltenden Tagesordnung gar nicht abgeschafft werden kann: Und dennoch bleibt es richtig, dass die Kritik an den bestehenden Verhältnissen oft mit der Kritik an der Religion ansetzt, (um Marx zu paraphrasieren) da die Religion eine der ältesten und im inneren Kern des Menschen am stärksten wirkende Form der Entfremdung darstellt. Man soll den bürgerlichen Atheismus auch in seiner linken Form verwerfen, ohne aber den proletarischen Kampf um die Überwindung der Religion mit zu ‚verdammen‘.

     

    Die Quellen der religiösen Bedürfnisse

    Zivotic erinnert daran, dass Engels im „Anti-Dühring“ zu Recht gemeint habe, Religion werde es solange geben, wie es den Staat gebe, „denn das Bestehen des Staates ist die reale Tatsache einer ‚höheren Macht’, die über den Menschen steht“. Die Religion sei der ideologische Ausdruck dieser Macht, deren Widerspiegelung, wodurch sich das Abhängigkeitsgefühl bestätige und verstärke. Der Glaube an Gott sei das Bedürfnis nach Aussöhnung mit dieser Welt, in welcher der Mensch kein freies, sondern ein abhängiges Wesen sei (S. 37). Dies lässt umgekehrt den Schluss zu, dass in der klassenlosen Gesellschaft, in der es keinen Staat mehr braucht und der Mensch frei ist, auch keine religiösen Bedürfnisse mehr existieren. 

    Im Politischen Diskussionszirkel Rheinland hat ein Teilnehmer aber seine Zweifel daran geäußert, dass das Bedürfnis nach Religion im Kommunismus verschwinde. „Zwar würde es keine religiöse Institutionen wie die Kirche als Herrschaftsapparat mehr geben, aber den Glauben an etwas außer der Welt Stehendes könnte im Menschen doch weiter bestehen.“ (S. 29) In eine ähnliche Richtung geht auch ein Argument Zivotics, wenn er die scheinbar paradoxe Behauptung aufstellt, „dass die Religion, hätte sie ihren Ursprung in der Unkenntnis der Dinge, niemals zu existieren aufhörte. Die menschliche Erkenntnis ist kein Prozess der Annäherung an eine fixierte Realität, die wir nach und nach erkennen und damit den Bereich des Unbekannten zu verringern vermögen. Im Gegenteil: je mehr der Mensch erkennt, um so größer wird die Sphäre des Unbekannten, um so höher wird die Zahl der Konfliktsituationen, in die er durch die Realität gerät.“ (S. 39)

    Hier drängt sich die Frage auf, die insbesondere im Zirkel Rheinland diskutiert wurde, nämlich aus welchen Quellen sich das Bedürfnis nach Religion speist. Zunächst einmal wurde klar, dass das Phänomen der Religion älter ist als die Klassengesellschaft. Es entstand schon im Urkommunismus. In der Diskussionssynthese des Zirkels werden drei Hauptquellen der Religion erwähnt, die sich im Laufe der Debatte über Rigas Beitrag herauskristallisiert hätten: Erstens die Abhängigkeit der Menschen von der Natur; zweitens die Beziehungen der einzelnen Menschen zur Gesellschaft; und drittens – eigentlich ein Sonderfall der ersten Kategorie – die Angst vor der eigenen Sterblichkeit (S. 30). Dies deckt sich mit der Auffassung von Zivotic, der zum Beleg Ludwig Feuerbach zitiert: „…das Grab des Menschen (ist) die Geburtsstätte der Götter (…). Wenn der Mensch nicht stürbe, wenn er ewig lebte, wenn also kein Tod wäre, so wäre auch keine Religion“ (S. 37, mit Quellenangaben).

    Im Diskussionszirkel Rheinland wurde dazu von mehreren Teilnehmern und Teilnehmerinnen die Auffassung vertreten, dass die Menschen in der klassenlosen Gesellschaft, da sie Teil eines Kollektivs sein werden, anders und besser mit dieser Angst vor dem eigenen Tod wie auch mit der Angst vor dem Tod der Anderen umzugehen wissen werden, da die Gemeinschaft weiterleben wird. Es ist sicher schwierig – wenn nicht unmöglich – diese Frage aus heutiger Sicht zu beantworten. Wir sind zu weit von einem solchen befreiten Zustand entfernt. Doch leuchtet die Antwort, die im Zirkel aufgetaucht ist, ein: In dem Maße, wie das Individuum sich aufgehoben fühlt im Kollektiv der menschlichen Gesellschaft und der Natur, sind die Voraussetzungen für einen wesentlich anderen, vielleicht angstfreieren Umgang mit dem Tod gegeben. In diesem Zusammenhang sollten wir uns auch fragen, ob denn das Gegenteil unserer eigenen Sterblichkeit: die individuelle Unsterblichkeit, wünschenswert wäre. Mindestens in der Literatur und namentlich in Mythen erscheint die Unsterblichkeit oder die fehlende Möglichkeit, die Welt der Lebenden zu verlassen, immer wieder auch als Pein und Strafe[iii] [17].

    Interessant ist auch, dass sich dieses Aufgehobensein des Individuums in Gesellschaft und Natur als Antwort auf alle drei im Zirkel Rheinland genannten Quellen der Religion anbietet: auf die Abhängigkeit von der Natur mit dem Sonderfall der eigenen Sterblichkeit sowie auf den Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft. Und dieses ‚Aufheben‘ ist ja nicht von ungefähr auch Titel und Programm des hier diskutierten Heftes: „Die immanente Dialektik von „Aufheben“ symbolisiert für uns die Entwicklung des Menschen und der Menschheit, mit sich selbst und zu sich selbst, als einzigen historischen Prozess.“ (aus dem Editorial)

    Auch der Beitrag von Red Devil unterstreicht die enge Verwandtschaft zwischen den genannten Abhängigkeiten: „Die Menschen unserer Tage begegnen der Allmacht und der Gewalt des Marktes, d.h. der Allgegenwart des Kapitalverhältnisses und dem Totalitarismus der Ware, gleich hilflos und ohnmächtig wie einst die Menschen der vorindustriellen Zeit den Naturgewalten. So wie es einst die Allmacht Gottes und die Gottesfurcht richten sollte, so setzt heute das offizielle Vertrauen auf die Allmacht der Märkte und die Leistungsbereitschaft der ArbeiterInnen.“ (S. 26 f.).

    Eine Teilnehmerin des Diskussionszirkels hob hervor, dass die Naturgewalten heute nicht mehr das wichtigste Moment für den Glauben seien, wohl aber das Gefühl der Unsicherheit im Kapitalismus, dass vielleicht noch nie größer gewesen sei. Grund sei die Anarchie der Produktion im Kapitalismus. Man könne noch so gut qualifiziert sein oder noch so gut seine Arbeit machen, eine Arbeitsplatzgarantie gebe es nicht. Dies schüre natürlich Existenzängste, ein Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber den unsichtbaren Marktgesetzen. So falle es vielen Menschen schwer, gerade heute zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. „Mit anderen Worten, die zweite Quelle für die Religion, nämlich die Beziehungen der einzelnen Menschen zur Gesellschaft ist heute ein zentraler Grund für die Gläubigkeit.“ (S. 31)

    Dieser Gedanke ist auch in Rigas Beitrag zentral: Er zeigt auf, dass sich die Welt heute in einem Zustand der Implosion befindet, was zu einer entsprechenden Verunsicherung der Leute führt. Das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Hauptklassen im Kapitalismus, der Bourgeoisie und dem Proletariat, befindet sich in einer Patt-Situation. Keine der beiden Klassen kann ihre „Lösung der generalisierten Krise des Wertes durchsetzen“. Das Resultat davon ist ein drohendes Versinken der Welt in Chaos und Barbarei. Der Fundamentalismus, welcher als Tendenz in allen alten Religionen gegenwärtig wieder deutlich zum Vorschein komme, sei der Reflex auf den unaufhaltsamen Niedergang der postulierten Ideale dieser Religionen. Er komme zum Ausdruck als Aufschrei gegen das, was das „Volk“ und seine politische Kaste als Werteverlust beklagten. Der Verlust der Werte sei aber nur Ausdruck des Niedergangs der Wertegesellschaft selbst. Religion sei zum Ausdruck eines auf globaler Ebene implodierenden Gesellschaftssystems geworden (S. 9 f.).

     

    Die Selbstverständigung unter Revolutionären

    Allen Texten gemeinsam ist also auch der Wille, diese Welt der Unsicherheit und der zunehmenden Barbarei revolutionär zu verändern. Und für alle ist klar, dass eine solche Überwindung der heute herrschenden (Un-)Ordnung nur durch die Arbeiterklasse vollbracht werden kann, die auf diesem Weg ein klares Bewusstsein über den jetzigen Zustand und die Ziele in der Zukunft braucht: „Wenn die Arbeiterklasse Illusionen hat, muss sie dafür bitter zahlen – im Gegensatz zur Bourgeoisie, die nicht ohne Illusionen leben kann.“ (S. 32)

    Die Diskussion ist ein unabdingbares Mittel der Bewusstseinsbildung. Es ist deshalb nicht nur naheliegend, sondern eine unabdingbare Notwendigkeit, dass sich diejenigen, die die herrschende Ordnung revolutionär überwinden wollen, miteinander über das Ziel und die möglichen Wege dorthin verständigen. Die „Selbstverständigung der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche“ ist seit den ersten Regungen des Proletariats als revolutionäre Klasse ein Ziel der Kommunisten und ihrer Publikationen gewesen[iv] [18].

    Dies schließt die Notwendigkeit ein, sich von den Positionen der Bourgeoisie – auch ihrer linken Teile – abzugrenzen, welche Entschlossenheit auch im Editorial zum Ausdruck kommt (vgl. oben). Zur Abgrenzung gegenüber bürgerlichen Positionen gehört auch, dass man den Opportunismus als solchen erkennt und entlarvt. Opportunismus bezeichnet die politische Haltung, die um eines größeren Einflusses Willen bereit ist, proletarische Prinzipien zu opfern. Für eine proletarische Gruppe ist also der Kampf gegen den Opportunismus ein mehr als nur legitimes Ziel. Genau von diesem Interesse ist offensichtlich auch der Beitrag von Red Devil „Auf dass wir das irdische Jammertal des Kapitalismus beenden“ beseelt.
    Diese richtige Sorge ist aber bei ihm kombiniert mit einer Angst, sich mit gewissen Positionen inhaltlich auseinanderzusetzen. Er grenzt sich von allem ab, was von weitem irgendwelche Gemeinsamkeiten mit bürgerlichen, namentlich stalinistischen Positionen zu haben scheint, aber auf eine Weise, die ebenso prinzipienlos ist wie der Opportunismus selber. Diese Versteifung führt bei Red Devil nicht nur zu einer schematischen Schubladisierung von anderen politischen Positionen, sondern auch zu Unterstellungen, zu Verfälschungen derselben.

    So scheint er allen Ernstes zu meinen, dass „der IKS der Blick“ dafür fehle, „dass Menschen gewisse Bedürfnisse haben, die in Form von Ideologien wie der Religion und anderen Waren befriedigt werden“ (S. 26). Er unterstellt der IKS eine „Kautskyanische-Leninsche Position der Partei“, nach der alles „Gute“ oder „Schlechte“ von außen komme und von Experten in die Klasse hineingetragen werde bzw. werden müsse (S. 24). Man muss keineswegs sämtliche Texte der IKS zu diesen Themen gelesen haben, um zu wissen, dass sie ungefähr das Gegenteil dessen sagt, was ihr Red Devil unterstellt. So ist eine Kernaussage unserer Plattform, dass die Klasse und die Organisation ihrer Avantgarde nicht getrennt werden können und diese gerade nicht außerhalb der Klasse steht (Punkt 16 der IKS-Plattform).

    Der Kampf gegen den Opportunismus erfordert klare Kriterien, und diese müssen mit der notwendigen Strenge angewandt werden. Es reicht nicht, Verdächtigungen auszusprechen und sich irgendwelchen gedanklichen Assoziationen hinzugeben; vielmehr muss zur Überzeugung anderer Diskussionsteilnehmer die Kritik belegt werden können.

    Diese kritischen Bemerkungen stellen aber nicht den Beitrag als ganzen oder gar die Qualität des Heftes in Frage. Im Gegenteil: Gewisse Schwächen in einer Diskussion können uns die Augen für neue Fragen, z.B. diejenige des Verhaltens unter Revolutionären öffnen, und so auch wieder zur Klärung beitragen. Vorausgesetzt, es besteht ein Klima der offenen Debatte. Und genau dieses meinen wir, in diesem Heft vorgefunden zu haben.

     

    Weltrevolution, 07.07.07

     

    [i] [19] Leserbrief zum Thema Religion [20] und Kommentare der IKS zum Leserbrief über Religion [21].

    [ii] [22] Offenbar besteht die Idee, den Fragen Faschismus – Antifaschismus und Islamismus – Antisemitismus eine weitere Ausgabe von aufheben zu widmen (S. 33).

    [iii] [23] Beispielsweise El inmortal von Jorge Luis Borges; oder das Schicksal von Prometheus, den Zeus an einen Felsen im Kaukasus fesselte; oder weniger ernsthaft, aber doch eindeutig die Piraten im Film Der Fluch der Karibik.

    [iv] [24] Vgl. Marx, Brief an Ruge, September 1843 (MEW Bd. 1 S. 346), und Die Internationale, Eine Monatszeitschrift für Praxis und Theorie des Marxismus, April 1915, Zur Einführung.

    Weltrevolution Nr. 144

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    30 Jahren nach dem Deutschen Herbst: Staatsterror damals und heute

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    Wir haben untenstehend einen Artikelbeitrag zum sog. Deutschen Herbst von 1977 veröffentlicht. Damals lieferte die Entführung und Ermordung des Arbeitergeberpräsidenten Schleyer durch die Rote Armee Fraktion (RAF) den Vorwand für eine in der westdeutschen Nachkriegszeit beispiellosen Welle der staatlichen Repression, des Ausschwärmens der Sicherheitskräfte und der Einschüchterungen der Bevölkerung durch die bürgerliche Staatsmacht. Allerorts wurden Razzien durchgeführt, ganze Wohnblocks abgeriegelt, ja sogar öffentliche Verkehrsmittel auf offener Strecke angehalten und mit vorgehaltenen Maschinengewehren durchsucht. Welche Atmosphäre der Angst, der Hysterie und der öffentlichen Verdächtigungen damals erzeugt wurde und welche Rolle die bürgerlich-demokratischen Medien dabei gespielt haben, kann in Heinrich Bölls Roman “Die verlorene Ehre der Katharina Blum" nachgelesen und nachempfunden werden. Wie sehr die Schleyer-Entführung lediglich den Vorwand lieferte, um diese Machtdemonstration durchzuführen bzw. um neue Repressionsmaßnahmen zu rechtfertigen, ließ im Nachhinein die Zeitschrift Stern durchblicken, indem sie andeutete, wie gut die Polizeikräfte schon frühzeitig über den Aufenthaltsort von Schleyer und seiner Entführer Bescheid wussten.

     

    Unser Artikel zeigt auf, wie der Terrorismus der RAF und der Bewegung 2. Juni in Deutschland oder der Roten Brigaden in Italien Ausdruck der Empörung über den Kapitalismus war, aber auch der Zweifel, ja der Verzweiflung über die Rolle der Arbeiterklasse. Dies führte zu einer ohnmächtigen, in Grunde genommen kleinbürgerlichen - weil individualistischen - Auflehnung gegen den Staat, die die Obrigkeit nicht nur nicht gefährden konnte, sondern ihr sogar in den Kram passte. Wie sehr die Herrschenden diese terroristische Auflehnung nicht nur auszunutzen, sondern auch zu manipulieren wussten, darüber klärte uns schon damals das Buch eines Augenzeugen dieser Bewegung auf: Bommi Baumanns “Wie alles anfing". Hier wurde geschildert, wie die ersten bewaffneten Kämpfer, ohne es zu wissen oder auch nur zu ahnen, ihre ersten Waffen von Agenten des Verfassungsschutzes erstanden hatten.

     

    Die Bourgeoisie als Nutznießer des Terrorismus

    Die bürgerliche Klasse nutzte diese Generation des “bewaffneten Kampfes" auf zweifache Weise auf. Zum einem musste Letztere als Schreckgespenst herhalten, um eine Aufrüstung des Staates zu rechtfertigen, die sich nicht so sehr gegen den “Terrorismus" als vielmehr – präventiv - gegen die “eigene" Bevölkerung und vor allem gegen die Arbeiterklasse richtete. Zum anderen wurden die bewaffneten Gruppen aufgrund ihrer politischen Konfusionen und nicht zuletzt aufgrund der eigenen Ohnmacht unweigerlich in die innerbürgerlichen Machtkämpfe verwickelt (ob nun in den Ost-West-Konflikt oder in den palästinensischen Nationalismus). Ohnehin war der Terrorismus bereits damals in erster Linie ein Mittel des imperialistischen Kampfes zwischen kapitalistischen Staaten und Fraktionen (IRA, PLO usw.)

     

    Wie wenig die zwei Hauptanwendungen des Terrorismus durch den Staat – als Waffe des imperialistischen Krieges und als Rechtfertigung der Repression gegen die Arbeiterklasse – einander ausschließen, wie sehr sie sich stattdessen ergänzen und sich gegenseitig potenzieren, zeigt am besten die Welt von heute. Das Aufkommen des islamischen Terrorismus ist in erster Linie eine Waffe in den Händen einer Reihe von Staaten und Cliquen gegenüber ökonomisch und militärisch häufig überlegenen imperialistischen Gegnern. Vor allem aber ist der “Kampf gegen den Terrorismus" spätestens seit “9/11" zur Kriegsparole sämtlicher führender Industriestaaten dieser Erde geworden. Dies trifft nicht nur auf die USA zu, die zuletzt die Invasion und Besetzung Iraks damit rechtfertigten. Es trifft nicht weniger auf den deutschen Imperialismus zu, der offen gegen den amerikanischen Irakkrieg opponierte, aber die eigenen kriegerischen Einsätze in Afghanistan, Afrika oder vor der libanesischen Küste ganz ähnlich rechtfertigt. Auch bei den gewaltigen Repressionsmaßnahmen im Inneren, die zuletzt auch in Deutschland nicht gefehlt haben, stand zunächst die Abwehr von Terrormaßnahmen feindlicher Staaten und Cliquen noch im Vordergrund. Aber die Herrschenden wissen sehr genau, dass ihr natürlicher und eigentlicher Todfeind das Proletariat ist: Dies ist der Feind sowohl “im eigenen Land" wie auch weltweit. Gegenüber dem Terrorismus hingegen kennt der kapitalistische Staat keine Berührungsängste. Denn der Terrorismus ist nicht nur eine Waffe “der Anderen" gegen “unsere Zivilisation", sondern auch eine Waffe, zu der beispielsweise die Bundesrepublik selbst gern greift. Hinlänglich bekannt ist, wie die USA Bin Ladens Organisation ursprünglich mit aufbauten, aufrüsteten und ausbildeten. Aber es würde sich auch lohnen, die länger bestehenden, engen Beziehungen der bundesdeutschen Politik zu Terrorgruppen in Nahost, auf dem Balkan oder aber die jüngst geknüpften Beziehungen in Afghanistan eingehender zu recherchieren.

     

    Aufrüstung des Staates damals und heute

     

    Die Ereignisse im Jahr 2007 in Deutschland haben nun, sechs Jahre nach den Anschlägen in New York, auf eindrucksvolle Weise die zweite Speerspitze des “Krieges gegen den Terrorismus" - gegen die Radikalisierung an der sozialen Front - sichtbar werden lassen. 30 Jahre nach dem “Deutschen Herbst" folgt 2007 sozusagen der “deutsche Sommer". Zum einem hat man die überwiegend jugendlichen Demonstranten, die gegen den G8-Gipfel in Rostock und Heiligendamm marschierten, um eine “andere Welt" einzufordern, mit den Mitteln des staatlichen Terrors traktiert, sie, wie in Guantanamo, in Käfige eingesperrt. Zum anderen hat man die Aktivitäten einer sog. Militanten Gruppe (MG) zum Anlass genommen, um “systemkritisches", sprich: antikapitalistisches Denken in die Nähe des Terrorismus zu rücken und auch mit Verhaftung, Kontaktsperre, Isolationshaft zu ahnden. Diese Gruppe soll an Sachbeschädigungen gegen “Symbole des Kapitalismus" wie Luxusautos oder Lastwagen der Bundeswehr beteiligt gewesen sein.

     

    Über das Wesen dieser in der Öffentlichkeit recht nebulös gebliebenen Gruppe gibt es bis heute kaum gesicherte Erkenntnisse. Sicher und auch auffallend ist die Art und Weise, wie der Staat darauf reagiert. Die symbolischen Sachbeschädigungen werden mit der ganzen Wucht des “Krieges gegen den Terrorismus" geahndet. Wir zitieren aus einem Offenen Brief an die Generalbundesanwaltschaft gegen die Kriminalisierung kritischer Wissenschaft und politischen Engagements, der am 15. August von Kolleginnen und Kollegen eines der Verhafteten aus dem In- und Ausland verfasst wurde.

     

    “Am 31. Juli 2007 wurden die Wohnungen und teilweise auch die Arbeitsplätze von Dr. Andrej Holm und Dr. Matthias B. sowie von zwei weiteren Personen durchsucht. Dr. Andrej Holm wurde festgenommen, mit einem Hubschrauber zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe geflogen und dort dem Haftrichter vorgeführt. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft in Berlin. Der Vorwurf lautet bei allen ‚Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a StGB’. Sie sollen Mitglieder einer ‚militanten gruppe’ (mg) sein. Wie im Rahmen der Hausdurchsuchungen bekannt wurde, läuft das Ermittlungsverfahren unter diesem Vorwurf gegen die vier bereits seit September 2006 – und sie wurden seitdem rund um die Uhr observiert. Wenige Stunden vor den Hausdurchsuchungen wurden in Brandenburg Florian L., Oliver R. und Axel H. festgenommen. Ihnen wird versuchte Brandstiftung auf vier Fahrzeuge der Bundeswehr vorgeworfen. Andrej Holm soll einen der drei im ersten Halbjahr 2007 zweimal unter angeblich konspirativen Umständen getroffen haben. Die Bundesanwaltschaft geht deshalb davon aus, dass sowohl die vier oben Genannten als auch die drei in Brandenburg Festgenommenen Mitglieder einer ‚militanten gruppe’ seien und ermittelt gegen alle sieben wegen des Verdachts der ‚Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung’ (§129a StGB).

     

    Der Vorwurf gegen die vier Erstgenannten wird laut Haftbefehl gegen Andrej Holm derzeit so begründet:

     

    Dr. Matthias B. habe in seinen wissenschaftlichen Abhandlungen ‚Phrasen und Schlagwörter’ verwendet, die auch die ‚mg’ verwende;

     

    Dr. Matthias B. sei als promovierter Politologe intellektuell in der Lage, ‚die anspruchsvollen Texte der 'militanten gruppe’ zu verfassen. Darüber hinaus stünden ihm ‚als Mitarbeiter eines Forschungsinstituts Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der Texte der 'militanten gruppe' erforderlichen Recherchen durchzuführen’;

     

    Ein weiterer Beschuldigter habe sich mit Verdächtigen konspirativ getroffen: ‚So wurden regelmäßig Treffen vereinbart, ohne jedoch über Ort, Zeit und Inhalt der Zusammenkünfte zu sprechen’; er sei zudem in der ‚linksextremistischen Szene’ aktiv gewesen.

     

    Bei einem dritten Beschuldigten sei eine Adressenliste gefunden worden, auf der auch die Namen und Anschriften der anderen drei standen;

     

    Dr. Andrej Holm, der als Stadtsoziologe arbeitet, habe enge Kontakte zu allen drei in Freiheit befindlichen Beschuldigten,

     

    Dr. Andrej Holm sei ‚in dem von der linksextremistischen Szene inszenierten Widerstand gegen den Weltwirtschaftsgipfel 2007 in Heiligendamm aktiv’ gewesen.

     

    Als konspiratives Verhalten wird u.a. gewertet, dass er angeblich absichtlich sein Mobiltelefon nicht zu einem Treffen mitnahm

     

    Andrej Holm sowie Florian L., Oliver R. und Axel H. sind seit dem 01.08.2007 unter sehr rigiden Bedingungen in Berlin-Moabit inhaftiert: Sie sind 23 Stunden am Tag in einer Einzelzelle und haben eine Stunde Hofgang. Sie können alle 14 Tage für insgesamt eine halbe Stunde besucht werden, Kontakte sind nur mit Trennscheibe erlaubt. Auch die Anwälte können mit ihren Mandanten nur mit Trennscheibe sprechen, die Verteidigerpost wird kontrolliert.

     

    Aus den Vorwürfen in den Haftbefehlen wird ein Konstrukt deutlich, dass auf abenteuerlichen Analogieschlüssen basiert. Es ist von vier grundlegenden Hypothesen getragen, die alle von der Bundesanwaltschaft (BAW) [Attorney of the Federal Supreme Court] nicht genauer belegt werden können, aber durch ihre Zusammenstellung den Eindruck einer ‚terroristischen Vereinigung’ hinterlassen sollen.

     

    Die Sozialwissenschaftler seien wegen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit, ihrer intellektuellen Fähigkeiten und dem Zugang zu Bibliotheken die geistigen Köpfe der angeblichen ‚Terror-Organisation’. Denn eine Vereinigung ‚militante gruppe’ soll laut BAW dieselben Begriffe verwenden wie die beschuldigten Sozialwissenschaftler. Als Beleg dafür gilt ihr der Begriff ‚Gentrification’, einer der Forschungsschwerpunkte von Andrej Holm und Matthias B. in den vergangenen Jahren, zu dem sie auch international publiziert haben. Ihre Forschungsergebnisse haben sie dabei nicht im ivory tower (Elfenbeinturm, die Red.) gelassen, sondern ihre Expertise auch Bürgerinitiativen und Mieterorganisationen zur Verfügung gestellt – so wird eine intellektuelle Urheberschaft konstruiert."

     

    Die Repressionsorgane bereiten sich auf den Klassenkampf vor

    Nicht weniger auffallend ist die Art und Weise, wie über diese Vorgänge in den Medien berichtet wird. Zum einem wird diesem Thema keine breite Öffentlichkeit gewidmet. Man ist offenbar bemüht, die Sache herunterzuspielen, um die Bevölkerung nicht zu sehr gegen sich aufzubringen. Denn anders als die RAF-Morde im Vorfeld des “Deutschen Herbstes" taugen die Sachbeschädigungen in Berlin oder Brandenburg kaum dazu, eine Stimmung der öffentlichen Angst und Entrüstung auszulösen. Darüber hinaus ist die Zeit seit 1977 nicht stehen geblieben. Im Zeitalter der offenen Wirtschaftskrise, des massiven Sozialabbaus und der behördlichen Drangsalierung der Bevölkerung ist es deutlich schwieriger geworden, die Bevölkerung auch nur vorübergehend hinter den Staat zu scharen (wie sich nach den Anschlägen in New York rasch herausstellte). Es scheint die Repressionsorgane vielmehr darum zu gehen, die politisch suchenden Minderheiten, die begonnen haben, die bürgerliche Gesellschaft in Frage zu stellen, einzuschüchtern und abzuschrecken. Zum anderen werden die Anschläge, dort wo sie zur Sprache kommen, mit einem “geistigen Umfeld" in Zusammenhang gebracht, das als “Nährboden des Terrorismus" bezeichnet wird. So haben die Medien mehrmals das “Gerede von der Weltrevolution" als ein Merkmal dieses Milieus bezeichnet (die 3SAT-Sendung Kulturzeit hat zu Recht kritisch auf diese Tendenz im öffentlichen Diskurs hingewiesen). Man spricht von ominösen Theoretikern, die aufgrund der Radikalität ihrer Auffassungen auch dann als “geistige Brandstifter" gelten sollen, wenn sie selbst mit Terrorismus nichts am Hut haben. In diesem Zusammenhang passt es auch, dass die jüngste Welle von Razzien in Berlin vor dem Roten Antiquariat nicht halt machte – ein Buchladen, der wie kaum ein anderer in Deutschland die Möglichkeit bietet, die Ideen und Publikationen internationalistischer revolutionärer Gruppen kennenzulernen. Auch hier ist der Unterschied zum Vorgehen der Bourgeoisie in den 70er Jahren auffallend. Damals scherten sich die Medien in Deutschland oder Italien einen Dreck um die politischen Ideen der RAF oder der Roten Brigaden. Die Anschläge dieser Gruppen wurden vielmehr als Ausgeburt einer Geistesgestörtheit hingestellt, der sogar mit Hirnoperationen zu Leibe gerückt werden sollte. Damals war das Gros der Politisierten sehr aktivistisch und folgte zumeist mehr oder weniger unkritisch bis gedankenlos den Parolen des Stalinismus. Was heute die neue Generation auszeichnet – allem Aktivismus zum Trotz –, ist ein viel kritischeres und tieferes Nachdenken, das für den Kapitalismus entsprechend gefährlicher zu werden droht. Daher die Kriminalisierung der radikalen Theorie.

     

    Das Wiederauftauchen einer Praxis von Anschlägen gegen “Symbole des Systems" mutet ein wenig merkwürdig an. Auch wenn diese Aktionen sich derzeit nicht mehr gegen Personen richten, so weisen sie darauf hin, dass die Lehren aus den Erfahrungen mit der RAF oder den Roten Brigaden nicht oder nur sehr unzureichend gezogen worden sind. Solche sinnlosen Verzweifelungstaten sind auch heute Ausdruck einer tiefen Empörung gegen das herrschende System. Eine Empörung, die wir voll und ganz teilen. Daher unsere Solidarität mit den Opfern des staatlichen Terrors, ungeachtet, ob die Verhafteten und Drangsalierten an solchen Aktionen beteiligt waren oder nicht. Aber solche Taten sind auch Ausdruck einer großen Schwierigkeit, die wirkliche revolutionäre Kraft innerhalb dieser Gesellschaft zu erkennen. Diese Schwierigkeit ist nicht verwunderlich. Denn was die Welt von heute im Vergleich zu 1977 auszeichnet, ist nicht nur die weitaus dramatischere und gefährlichere Sackgasse, in die der Kapitalismus die Menschheit geführt hat, sondern auch der weitgehende Verlust an Klassenidentität des Proletariats nach 1989. Jedoch beginnt heute das Weltproletariat die eigene Kraft wieder zu entdecken. Und die politischen Vordenker dieser Klasse beginnen die eigenen revolutionären Theorien und Positionen zu entdecken und weiter zu entwickeln. Zur Solidarität des Proletariats mit den Opfern des staatlichen Terrors gehört der Kampf, um auch die Verzweifelten für die Sache und für die Methoden der Arbeiterklasse zu gewinnen (siehe untenstehenden Artikel).

     

    31.08.2007.

     

    Theoretische Fragen: 

    • Terrorismus [25]

    Afghanistan - der deutsche Imperialismus schürt den Terrorismus

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    „Die Sicherheit Deutschlands wird am Hindukusch verteidigt“, tönte der rot-grüne Verteidigungsminister Peter Struck martialisch noch vor einigen Jahren. Es gelte der terroristischen Gefahr, die Deutschland drohe, schon an ihrer Quelle Herr zu werden. Seither flimmerten immer wieder Fernsehbilder über die afghanischen Ausbildungslager der Taliban und al-Qaidas in die deutschen Wohnstuben. Sie sollten uns suggerieren, dass der Terrorismus seine Heimstatt in den Bergen und Einöden Afghanistans habe und dass er an Ort und Stelle bekämpft werden müsse, ehe er uns in den Metropolen der Industrieländer einholt. Selten hatte eine Lüge solch kurze Beine: Seit mehreren Jahren befinden sich Tausende von deutschen Wehrpflichtigen in Kabul und in den Provinzen Afghanistan, kämpfen hochgerüstete Armeen aus den USA, Kanada, den Niederlanden und Großbritannien in einem asymmetrischen Krieg gegen die „Gotteskrieger“, und doch ist die terroristische Gefahr virulenter denn je, ist sie mittlerweile mit furchtbaren Konsequenzen für die Arbeiterklasse auch nach Europa zurückkehrt, wie die Anschläge in Madrid und London, aber auch der fehlgeschlagene Kofferbombenanschlag auf die deutsche Bahn letzten Jahres oder die jüngsten Festnahmen im islamistischen Milieu deutlich machen.

     

     

    Der deutsche Imperialismus: Mitgefangen - mitgehangen

     

    Erinnern wir uns: Als sich die Bush-Administration nach den Anschlägen auf die Twin Towers in New York anschickte, den „Krieg gegen den Terrorismus“ auf den Irak Saddam Husseins auszudehnen, war es die rot-grüne Bundesregierung, mit Außenminister Fischer und Bundeskanzler Schröder an der Spitze, die sich mit dem Argument dagegen auflehnte, ein solcher Krieg werde den Terrorismus nicht eindämmen, sondern im Gegenteil noch weiter stärken.

     

     Doch was für den US-Krieg gegen den Irak gültig war, sollte für den Krieg gegen das Taliban-Regime in Afghanistan paradoxerweise nicht zutreffen. Noch heute klingen uns die Ohren angesichts der Krokodilstränen, die die deutsche Bourgeoisie seinerzeit über das Steinzeit-Regime der Taliban in Kabul vergoss. Nicht nur sollte der islamistische Terror ein für allemal ausgemerzt werden; der deutsche Imperialismus schwang sich gar zum Verteidiger der Menschenrechte des afghanischen Volkes im Allgemeinen und der geschundenen afghanischen Frauen im Besonderen auf. Und auch die heutige Große Koalition in Berlin unter der Führung von Merkel und Steinmeier wird nicht müde, den angeblich humanitären Charakter der Bundeswehr-Mission in Afghanistan zu betonen. Auch sie will uns weismachen, dass „unsere Jungs“ in Kabul und Kandahar im Gegensatz zu den US-Rambos nur das Beste für das afghanische Volk im Sinn haben. Stolz werden die infrastrukturellen Maßnahmen, der Aufbau einer afghanischen Polizei, die Einweihung von Schulen für die entrechteten Frauen Afghanistans usw. verwiesen – so als sei die Bundeswehr nichts anderes als der verlängerte Arm des Technischen Hilfswerkes bzw. eine Mutter Theresa in Olivgrün.

     

    Nun, die Tage sind mittlerweile gezählt, in denen der deutsche Imperialismus sich rühmen konnte, willkommen in Afghanistan zu sein. Vorbei die Zeiten, in denen die Bundeswehr-Soldaten die deutsche Flagge auf ihren Uniformen als Lebensversicherung gegen Anschläge durch Selbstmordattentäter tragen konnten. Immer häufiger werden die jungen Wehrpflichtigen der deutschen ISAF-Kräfte, aber auch deutsche Zivilisten Ziel tödlicher Anschläge durch die wiedergenesenen Taliban. Es ist unübersehbar, dass Deutschland in den Augen wachsender Kreise in Afghanistan mittlerweile als Kriegspartei angesehen wird. Abgesehen von der Tatsache, dass schon seit Jahren die verrohten Spießgesellen der KSK-Spezialkräfte Schulter an Schulter mit US-amerikanischen Einheiten ihr Unwesen in den Provinzen Afghanistan treiben, dienen auch die Aufklärungsflüge deutscher Tornados bestimmt nicht dazu, Rosinen vom Himmel regnen zu lassen, sondern setzen nur die Zielmarken für die verheerenden Angriffe der US-Bomber – Angriffe, die von unseren Heuchlern in Berlin anschließend als barbarisch gegeißelt werden, ganz nach dem Motto: Krieg dem Terrorismus, aber bitte ohne Kollateralschäden.

     

    Was also hat die deutsche Bundeswehr in Afghanistan verloren? Es ist nicht, wie wir meinen, die Sicherheit der Bevölkerung Deutschlands, die Struck und Konsorten im Sinn stand, als sie sich auf das afghanische Abenteuer einließen. Es ist vielmehr die geostrategische Bedeutung dieses unwirtlichen Landes, die den deutschen Imperialismus zu diesem unkalkulierbaren Risiko bewog – eine Bedeutung, die dieses Land schon seit dem 19. Jahrhundert zum Spielball interimperialistischer Rivalitäten gemacht hat und die sich aus der Scharnierfunktion dieser Region zwischen Nahost und Europa ergibt.

     

    Darüber hinaus trieb auch die schlichte Erkenntnis die deutsche Bourgeoisie zu diesem militärischen Engagement an, dass eine Fortsetzung der vornehmen Zurückhaltung, die sie noch gegenüber dem Irak an den Tag gelegt hatte, fatale Auswirkung auf ihre Glaubwürdigkeit als imperialistische Großmacht gehabt hätte. Mit ihrer Beteiligung an der ISAF und der „Operation Enduring Freedom“ (OEF) wollte sie sich gewissermaßen von ihrer Beteiligung an der Invasion des Irak „freikaufen“. Andernfalls wäre der deutsche Imperialismus dazu verurteilt gewesen, am Katzentisch des Imperialismus Platz zu nehmen. Er hätte vorerst seinen Anspruch verwirkt, als Großmacht an den weltweiten Brennpunkten präsent zu sein.

     

    So ist es zu erklären, dass er sich nolens volens als Juniorpartner unter die Schirmherrschaft der US-Supermacht begeben hat. Denn in Afghanistan läuft nichts ohne die überwältigende Militärmacht der USA. Die Bundeswehr ist vor Ort auf Gedeih und Verderb von der US-Armee abhängig. Ohne deren Logistik und Transportkapazitäten wäre sie nicht einmal in der Lage, ihre Soldaten im Notfall außer Landes zu schaffen.

     

    Und dieser Notfall könnte schneller akut werden, als ihr lieb ist. Denn die Lage in der Region gerät trotz bzw. gerade wegen des militärischen Engagements der Großmächte zunehmend außer Kontrolle. Ja, es wird immer offensichtlicher, dass die „Operation Enduring Freedom“ die Region am Ende instabiler hinterlässt, als diese selbst unter der Taliban-Herrschaft vor 2001 gewesen war. Besonders brisant ist dabei die Entwicklung in Pakistan, dem Nachbarn Afghanistan. Die Herrschaft des US-Schützlings Musharraf gestaltet sich zunehmend zu einem Tanz auf dem Vulkan. Angesichts der Tatsache, dass Pakistan Atommacht ist, könnte sein Sturz nicht nur vor Ort, sondern auch weltweit katastrophale Auswirkungen haben.

     

    Auch innerhalb von Afghanistan selbst hat die „Zurückhaltung“ Berlins gegenüber allen Ersuchen der NATO und der USA, sich stärker militärisch im Süden des Landes zu engagieren, nichts zu tun mit der Sorge um das Leben der Bundeswehrsoldaten oder mit einer angeblich friedlichen deutschen Alternative zum amerikanischen Ramboimperialismus. Auch innerhalb der NATO und der OEF schwindet die Bereitschaft, sich einer amerikanischen Gesamtstrategie unterzuordnen. Selbst jene imperialistischen Staaten, die sich am meisten an der Seite der USA am Hindukusch engagiert haben, wie Großbritannien, Kanada und die Niederlande, denken jetzt laut darüber nach, Truppen aus Afghanistan abzuziehen.

     

     

    Die Arbeiterklasse als Klotz am Bein des deutschen Imperialismus

     

    Doch die deutsche Bourgeoisie hat ein noch viel schwerwiegenderes  Problem bei der Durchsetzung ihrer imperialistischen Ambitionen. All ihrer Propaganda zum Trotz ist es ihr nämlich bis dato nicht gelungen, ihre eigene Bevölkerung, sprich: die Arbeiterklasse Deutschlands, für ihre militärischen Abenteuer zu erwärmen. Alle bisherigen Meinungsumfragen sprechen eine deutliche Sprache. Und mit jedem weiteren Zinksarg, mit jedem weiteren toten Bundeswehr-Soldaten wächst die Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr in der einheimischen Bevölkerung. Damit nicht genug. Die Großmachtallüren des deutschen Imperialismus stehen in einem eklatanten Widerspruch zu seinen militärischen Kapazitäten. Im Vergleich zu seinen Rivalen wie Großbritannien, Russland, Frankreich etc. (von den USA ganz zu schweigen) stoßen die Aufrüstungspläne der deutschen Militärs auf noch engere Grenzen, was dem Umstand geschuldet ist, dass milliardenschwere Rüstungsprogramme wohl kaum auf Akzeptanz unter den Arbeitern und Arbeiterinnen stoßen würden, die sich seit einiger Zeit schwersten Angriffen auf ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt sehen. Die herrschende Klasse aller Länder sieht sich mit dieser Problem konfrontiert. Die Besonderheit Deutschlands besteht jedoch darin, dass es aufgrund der erlittenen Niederlage im Zweiten Weltkrieg und der anschließenden, bis 1989 dauernden staatlichen Teilung einen enormen militärischen Nachholbedarf hat. Ein Bedarf, den es nicht ausreichend befriedigen kann, ohne die Arbeiterklasse noch viel massiver und frontaler anzugreifen, als dies ohnehin der Fall ist. Bisher hat die deutsche Bourgeoisie kein Mittel gefunden, die notwendigen gigantischen militärischen Mehrausgaben gegenüber der eigenen Bevölkerung rechtfertigen zu können. Daher die von Innenminister Schäuble und Verteidigungsminister Jung derzeit geschürte Panik wegen der terroristischen Gefahr. Daher auch der prominente Platz, der den Brandstiftern eines Kulturkampfes des „freien Westens“ gegen den „Islam“ auch von linker Seite in den Medien eingeräumt wird (siehe Ralph Giordano).

     

    Vor diesem Hintergrund ist auch die Hinhaltetaktik der deutschen Bourgeoisie hinsichtlich eines größeren militärischen Engagements in den umkämpften Provinzen Afghanistans zu sehen. Dabei entbehrt die harsche Kritik, die von ihren „Waffenbrüdern“ geübt wird und die in dem Vorwurf gipfelt, dass das deutsche ISAF-Kommando „Feigheit“ vor dem Gegner zeige, nicht einer gewissen Plausibilität, allerdings in einem völlig anderen Sinn, als gemeinhin in der Öffentlichkeit kolportiert. Denn der Feind, vor dem die deutsche Bourgeoisie „feige“ zurückschreckt, ist nicht der gemeine Taliban, sondern die Arbeiterklasse im eigenen Land, deren nach Afghanistan abkommandierte Söhne noch längst nicht bereit sind, ihr Leben für die „Sicherheit“ Deutschlands am Hindukusch zu opfern. So gesehen, macht es durchaus Sinn, dass die SPD in jüngster Zeit wieder die Anregungen der sog. Weizsäcker-Kommission aufgriff, die vor einigen Jahren den Vorschlag unterbreitet hatte, die Wehrpflicht zugunsten einer Berufsarmee aufzugeben. Der Vorteil einer solchen Berufsarmee liegt auf der Hand. Mit einer Armee von berufsmäßigen Kriegern ließen sich naturgemäß viel leichter Feldzüge führen als mit einer Armee von Wehrpflichtigen, die sich hauptsächlich aus Angehörigen der Arbeiterklasse rekrutiert. Doch wurde damals dieser Vorschlag aus dem einfachen Grund abgelehnt, dass im Falle eines drohenden kriegerischen Konfliktes zwischen den Großmächten selbst eine Rückkehr zum alten Prinzip der Massenarmee sich als äußerst heikel gestalten würde. Daher sieht die jüngste SPD-Initiative denn auch eine Berufsarmee light vor, die sich ein Hintertürchen zum bis heute gültigen Prinzip der „Bürgerarmee“ offen halten möchte.

     

    Nicht allein die Christdemokraten oder die FDP, auch und gerade die linken Parteien - wie die SPD, die eine kompaktere und modernere Bundeswehr das Wort redet, die Grünen, die die humanitären Züge des deutschen Imperialismus nicht aus den Augen verlieren wollen, oder die Linkspartei, die Kriege „nur“ befürwortet, wenn sie von der UN „legitimiert“ werden – alle tragen das Ihre dazu bei, um einer immer mehr verarmenden Arbeiterklasse die menschlichen und materiellen Kosten des Krieges aufzuschwatzen.

     

    Die Immobilienkrise – ein Symptom der Krise des Kapitalismus

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    Wenn man der Bourgeoisie Glauben schenkte, dann geht alles bestens. Die Aktienkurse übertreffen alle Rekorde, lang andauerndes Wachstum, die Preisentwicklung unter Kontrolle. Und dann seit Anfang Juli ein Börsenstrudel, der all dieses Gerede  Lügen gestraft hat. Innerhalb weniger Wochen sind die Börsen weltweit, dem Kurs des Dow Jones folgend, um mehr als 10% gefallen.

     

    Um diese Krise vorübergehend einzudämmen, haben die amerikanische FED und die EZB (Europäische Zentralbank) mehr als 330 Milliarden Dollar in die Märkte gepumpt! Diese kolossalen, von den Zentralbanken verschiedener Länder in Umlauf gebrachten Beträge belegen als solche schon das Ausmaß des Bebens und der wirklichen Angst der gesamten Kapitalistenklasse.

     

    Heute versuchen die Experten und die anderen Schwindler erneut, Illusionen zu verbreiten, indem sie behaupten, diese Erschütterungen seien nur vorübergehend oder lediglich eine “begrüßenswerte Korrektur” dieser Spekulationsexzesse der letzten Jahre. Aber in Wirklichkeit sind diese Erschütterungen ein Beleg für die neue Phase der Zuspitzung der Krise, die sich seit dem Ende der 1960er  Jahre  verschärft hat. Erneut werden die Folgen der Zuspitzung auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden.

     

     

     

    Das Monster der Verschuldung offenbart den historischen Bankrott des Kapitalismus

    In den Medien reagierten diesen Sommer die bürgerlichen Ökonomen auf die Mitteilung,  dass sich jeden Tag Millionen Dollar in Luft auflösten, nur mit den Worten: Das war unvorhersehbar! Die Krise sei wie ein Blitz aus heiterem Himmel ausgebrochen. Das sind natürlich Lügen. Die Börsenhaussen, der Immobilienboom und selbst das Wirtschaftswachstum – all das fußte nur auf Sand, und alle wussten es. Im letzten Frühjahr hoben wir hervor, dass die angeblich gute Gesundheit der Weltwirtschaft nur auf der Anhäufung von Schulden basierte, und schlechte Zeiten verkündete: “Effektiv handelt es sich dabei um eine Flucht nach vorn, die weit entfernt davon ist, die Widersprüche des Kapitalismus  zu lösen und uns nur eine noch schmerzhaftere Zukunft beschert, mit einer brutalen Verlangsamung des Wachstums”

     

    Das war keine Vorahnung von irgendetwas, sondern es stützte sich auf eine historische Analyse des Kapitalismus. Hinter der gegenwärtigen Finanzkrise steckt eine große Schulden- und Kreditkrise. Und diese astronomische Verschuldung fällt ebenso wenig vom Himmel. Sie ist die Folge von 40 Jahren langsamer und unaufhörlicher Zuspitzung der Weltwirtschaftskrise.

     

    Seit dem Ende der 1960er Jahre hat der Kapitalismus nur dadurch überlebt, dass er einen immer größeren Schuldenberg anhäufte. 1967 geriet die Wirtschaft ins Stocken. Und seitdem hat Jahrzehnt für Jahrzehnt das Wachstum abgenommen. Die einzige Reaktion der Bourgeoisie bestand darin, ihr System an den Tropf zu hängen, indem immer größere Summen in Form von Krediten und Schulden in die Wirtschaft gepumpt wurden. Die Wirtschaftsgeschichte der letzten 40 Jahre bildet eine Art infernale Spirale: Krise – Verschuldung –  weitere Zuspitzung der Krise – weitere Zunahme des Schuldenberges. Nach den Ölschocks von 1973 und 1979 trat 1991 - 1993 eine offene Rezession ein, die asiatische Krise folgte 1997 - 98 und schließlich platzte 2000 - 2002 die Internet-Blase. Jedes Mal waren die Erschütterungen gewaltiger, die Konsequenzen noch dramatischer.

     

    Heute bricht die Krise erneut aus, der Schuldenberg  hat unvorstellbare Ausmaße erreicht. Die Schulden der USA, der größten Militär- und Wirtschaftsmacht der Erde, betrugen 1970 630 Milliarden Dollar, 2003 lagen sie bei 36.850 Milliarden Dollar. Und seitdem ist die Spirale völlig außer Kontrolle geraten. Dieser Schuldenberg wächst jeden Tag um weitere 1.64 Milliarden Dollar. Diese Schwindel erregenden Zahlen verdeutlichen, dass die gegenwärtige Finanzkrise viel tiefergreifender ist als die vorhergehenden.

     

     

     

    Die Immobilienkrise hat eine große Finanzkrise ausgelöst

    Seit einem Jahrzehnt hat der Spekulationswahnsinn alle Bereiche der Wirtschaft erfasst. In einem Ausmaß wie nie zuvor können die meisten Kapitalien nicht mehr ausreichend Profit bringend in der realen Wirtschaft (in den Betrieben, die Güter- und Dienstleistungen produzieren) angelegt werden. Infolgedessen haben sie sich einfach auf die reine Spekulation gestürzt. Ob Banken, Hypothekenbanken, Spekulationsfirmen, die auf Risikoanlagen spezialisiert sind (die berühmten Hedge Fonds) (1), überall stürzt man sich auf ein angebliches Eldorado. Geld und Kredite sind in unglaublich großen Mengen geflossen. Die Bourgeoisie schien nur noch von einer einzigen Sache besessen zu sein: sich immer mehr zu verschulden.

     

    In diesem im Wesentlichen wahnsinnigen Kontext wurden die Privathaushalte vor allem in den USA, aber auch in geringerem Maße in Großbritannien und in Spanien stark dazu gedrängt, Eigentumswohnungen und Häuser zu erwerben, ohne wirklich über die Mittel dazu zu verfügen. Finanzorganisationen haben angefangen, Darlehen an Arbeiterfamilien mit extrem niedrigem Einkommen zu vergeben mit dem einzigen Pfand ihres Immobilienbesitzes. Das Grundprinzip dieser Hypothekenkredite (genannt subprimes) sieht wie folgt aus: Wenn Herr X ein Haus zum Preis von 100.000 $ erwerben will, leiht ihm ein Kreditinstitut (eine Bank zum Beispiel) dieses Geld ohne irgendeine andere Sicherheit als die Hypothek auf dieses Haus. Wenn Herr X überschuldet ist und es ihm nicht gelingt, seine Schulden zurückzuzahlen, gelangt das Haus wieder in den Besitz des Kreditinstituts, welches dieses verkauft und somit wieder seine 100.000 $ zurückerlangt. Dies ist die einzige Garantie der Bank. Deshalb haben sich hauptsächlich die hedge-funds (die auf Risikoanlagen spezialisiert sind) an diesen subprimes beteiligt. Mehr Arbeiter, die leichter Hypotheken aufnehmen konnten, wollten ein eigenes Haus erwerben. Deshalb stiegen die Immobilienpreise (ca. 10% pro Jahr). Die Arbeiter mit extrem niedrigen Einkommen haben letztendlich nur die Wahl,  mittels Verschuldung das Haus zu erwerben. Sie verschuldeten sich weiter grenzenlos, indem sie Hypotheken auf ihr Haus aufnahmen, das an Wert gewonnen hatte. Zum Beispiel konnte unser Herr X feststellen, dass der Verkaufswert seines Hauses auf 120.000 $ angestiegen war. Er konnte erneut einen Verbraucherkredit von 20.000$ aufnehmen. Und dann stieg der Verkaufswert seines Hauses auf 150.000$. Herr X konnte weitere 30.000 $ Schulden aufnehmen, und so weiter. Aber dieser Kreislauf ist nicht grenzenlos. Auf der einen Seite verarmt die Arbeiterklasse (infolge von Entlassungen, eingefrorenen Gehältern usw.) Auf der anderen Seite sind die Zinszahlungen in den USA, da dort die Hypothekenzinsen variabel sind, jeden Monat angestiegen.

     

    Wenn zu viele Arbeiter nicht mehr ihre astronomischen monatlichen Raten zurückzahlen können, wenn die Banken immer mehr auf die Hypotheken pfändend zurückgreifen, bricht die Krise aus, die Immobilienblase platzt – wie jetzt. Zu viele Häuser werden dann zum Verkauf angeboten, die Häuserpreise purzeln (sie könnten bis zu 15 - 30% fallen). Eine perverse Auswirkung: die Kaufkraft von Millionen Arbeiterfamilien, die gerade auf dem Wert ihrer Häuser fußt und somit auf ihrer Fähigkeit, Schulden aufzunehmen, bricht zusammen; denn der Preisverfall der Immobilien bedeutet für sie die Zahlungsunfähigkeit.  Denn wenn der Preis des Hauses  von Herrn X fällt (z.B. auf 110.000$), erhalten die Banken keine Ratenzahlungen mehr. Nicht nur besitzt Herr X nun kein Haus mehr, nicht nur hat er jahrelang Ratenzahlungen geleistet, sondern er schuldet auch noch den Preisunterschied den Hypothekenbanken, d.h. 40.000$ … Hinzu kommen natürlich noch die Zinsen! Das Ergebnis all dessen lässt nicht lange auf sich warten: mehr als drei Millionen Haushalte werden sich diesen Herbst auf der Straße wieder finden.

     

    Gleichzeitig haben die hedge-funds, die neben der Verfügbarmachung von Geldern mit den subprimes aktiv sind, auch nicht gezögert, sich gegenüber den Banken und anderen Kreditanstalten bis über den Kopf verschuldet, um mit Immobilien zu spekulieren. Das Prinzip besteht einfach darin, ein Grundstück zu kaufen, um es dann eine gewisse Zeit später zu veräußern, indem man auf einen Anstieg der Immobilienpreise setzt. So bedeutet auch das Platzen der Immobilienblase den Bankrott all dieser Fonds. Auch wenn diese Hypotheken beschlagnahmt werden und Millionen Menschen auf der Straße landen, fallen diesen Organisationen Häuser in die Hände, die nicht mehr so viel wert sind. Durch den Dominoeffekt werden die Banken und Kreditinstitute ebenso betroffen. Man muss sich das vorstellen. Diese Institute leihen voneinander in solch einem Maße Geld, dass niemand mehr weiß, wer bei wem verschuldet ist. Jeden Tag erfahren wir, dass eine Bank oder ein Kreditinstitut am Rande der Pleite steht. Dies trifft schon auf die Bank Countrywide in den USA, auf die Sachsen LB oder die IKB in Deutschland zu. Jetzt rutschen der gesamte Spekulationsbereich und das Kreditwesen in eine offene Krise. Auch hier muss wiederum die Arbeiterklasse die Rechnung bezahlen: Im August gab es einen richtigen Run der Kleinsparer auf die Sparkassen in den USA und in Deutschland. Das gleiche wird sicherlich in Zukunft in Großbritannien, Spanien, Japan und China auftreten.

     

     

     

    Hinter der Finanzkrise, die Krise der ‚realen’ Wirtschaft

    Solch eine Finanzkrise wird immer zu einer Krise der realen Wirtschaft. Die einzige Frage, die heute im Raume steht, ist, welchen Umfang diese haben wird. Schon vor der Finanzkrise diesen Sommers hatten die bürgerlichen Experten angefangen die Wachstumsprognosen der Weltwirtschaft heimlich nach unten zu revidieren. Im Januar 2007 prognostizierte die UNO einen Rückgang des Wachstums auf 3.2% dieses Jahr (nach ursprünglichen Prognosen von 3.8% 2006 und 4.5% 2005). Aber mit dem Ausbruch des Börsenkrachs werden diese Zahlen erneut nach unten revidiert werden.

     

    Die weit reichende Kreditkrise bringt ebenso gnadenlos einen jähen Rückgang der Aktivitäten der Betriebe mit sich. Niemand kann oder möchte mehr den Betrieben Geld für weitere Investitionen leihen. Und die Rekordgewinne, die diese Betriebe manchmal verkünden, stützen sich oft zu einem Großteil auf massive Verschuldung. Sobald der Kredithahn geschlossen ist, werden die meisten dieser Betriebe in eine sehr schlimme Schieflage geraten. Der bekannteste Bereich ist sicherlich die Bauindustrie. Da die Immobilienblase nur auf Risikokrediten fußte, werden viele Bauaufträge hinfällig werden. Die Bauaufträge werden in den USA, aber auch in Großbritannien, in Deutschland, Spanien und vielen anderen hoch entwickelten Ländern, zurückgehen. Deshalb wird das gesamte Wachstum in Mitleidenschaft gezogen. Und die Auswirkungen sind noch nicht abzusehen: “wie in den USA liefert ein Immobilienkredit mindestens zu 80% das Geld  für Privatverbrauch; der gesamte Bereich der Privathaushalte wird dadurch getroffen. Die US - Konsumentenachfrage wird somit sinken und das Wirtschaftswachstum in den USA um mindestens 1 - 1.5% sinken. Statt der erwarteten 3.5%, werden wohl kaum 2% erreicht werden” (Patrick Artuis, La Tribune de l’Economie, 27.8.07). Und das ist schon das optimistischste Szenario. Einige Spezialisten erwarten für die USA nur ein Wachstum von 1%. Die US-Rezession wird von weltweiter Ausstrahlung sein. Die europäische Wirtschaft ist stark mit der Wirtschaftsaktivität in den USA verbunden. Auch wird die befürchtete Verlangsamung der US- und europäischen Wirtschaft starke Auswirkungen auf China wie ganz Asien haben. Europa und die USA stellen die Absatzmärkte für 40% der Exporte Chinas dar. Damit wird das gesamte Wirtschaftswachstum auf der ganzen Welt erfasst werden.

     

    Aber es fehlt noch ein erschwerender Faktor, um besser zu begreifen, was jetzt vor sich geht: die Rückkehr der Inflation. Heute beträgt die Inflation 5.6% in China, das wegen seiner zweistelligen Wachstumszahlen so gepriesene Land. Dies ist die höchste Inflationsrate seit 10 Jahren, und jeden Monat steigt sie weiter an. Die Rohstoffpreise und die Lebensmittelpreise ziehen schon überall weltweit an. Die Preise für Grundnahrungsmittel werden vermutlich um 10% ansteigen. Schneeballeffekt:  der Verbrauch der Arbeiterklasse und der großen Mehrheit der Bevölkerung wird stark gebremst werden, was wiederum die Lage vieler Betriebe erschweren wird.

     

    Seit dem Ende der 1960er Jahre hat es viele Talfahrten bei den Aktien und Rezessionen gegeben. Jedes Mal waren sie brutaler und tiefergreifend. Diese neue Episode stellt keine Ausnahme dar; sie stellt einen weiteren, zusätzlichen Schritt der historischen Zuspitzung der Krise des Kapitalismus dar. Alle ökonomischen Warnzeichen schlagen gleichzeitig Alarm: Kreditkrise und Verbraucherkrise, astronomische Verschuldung, Rezession und Inflation! Jetzt stehen wir vor der schlimmsten Rezession seit mehr als 40 Jahren. Die Folgen sollen auf die Schultern der Arbeiterklasse abgewälzt werden. Nur der vereinte und solidarische Kampf der Arbeiterklasse wird sich dem entgegenstellen können.  Tino, 30.08.07

     

     

     

    (1)     Offiziell befinden sich ca. 1300 Milliarden Dollar in den Händen der hedge-funds.

     

    Die Lehren aus dem heißen Herbst 1977

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    Die bürgerlichen Medien haben mit viel Aufwand über den “Deutschen Herbst” 1977 berichtet.  Schon im letzten Winter, als der Bundespräsident über die Begnadigung der noch in Haft sitzenden Terroristen zu entscheiden hatte, wurden die damaligen Anschläge wieder in Erinnerung gerufen. Meist drehten sich die Artikel und Berichte um noch ungeklärte Tatabläufe, unbekannte Täter, die Rolle dieses oder jenes Beschuldigten. Wir wollen dagegen in diesem Artikel der Frage nachgehen, warum seinerzeit der Terrorismus solch einen Auftrieb erhalten hatte und warum die  Kommunisten ihn ablehnen.

     

     

     

    Die Lage nach 1968

    Als 1968 in Frankreich mit dem imposanten Massenstreik unter Beteiligung von zehn Millionen ArbeiterInnen ein gewaltiger Ruck durch die Gesellschaft ging und auch in einer Reihe von anderen Ländern (wie in Italien, Deutschland, Großbritannien, Polen, Argentinien) Arbeiterkämpfe aufflammten, keimte neue Hoffnung auf. Die seit den 1920er Jahren über der Arbeiterklasse niedergegangene Konterrevolution war zu Ende. Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen verschob sich. Das Proletariat trat wieder auf die Bühne der Geschichte. Damit tauchte erneut die Perspektive der Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft auf – auch wenn dies damals nicht von allen verstanden wurde. Aber der endlich wieder spürbare Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus zog unzählige Menschen, die ihre Ablehnung der kapitalistischen Gesellschaft zum Ausdruck bringen wollten, in seinen Bann. Vor allem viele junge Leute wurden politisiert und fingen an, nach Mitteln des Kampfes gegen diese Gesellschaft zu suchen.

     

    Der herrschenden Klasse gelang es jedoch nach einiger Zeit, die sich entfaltenden  Arbeiterkämpfe wieder in den Griff zu bekommen. Aufgrund der Gegenoffensive, die vor allem von den Gewerkschaften und den linken Parteien getragen wurde, konnte das Kapital eine weitere Radikalisierung der Kämpfe verhindern. Bei den meisten Menschen, die zuvor noch von den Arbeiterkämpfen angezogen worden waren und sich in den Widerstand gegen die bürgerliche Gesellschaft einreihen wollten, aber nun keinen Bezugspunkt mehr in der Arbeiterklasse finden konnten, machte sich eine große Desorientierung breit.

     

     

     

    Die Flucht in die Verzweiflung

    Ein Teil von ihnen ließ sich von linkskapitalistischen Organisationen (Trotzkisten, Maoisten u.a.) einfangen und irreführen. Diese Organisationen sorgten dafür, dass ihr “anti-kapitalistischer” Elan schnell verpuffte. So wurde z.B. ihre anfängliche Ablehnung des Kapitalismus in eine Unterstützung der “anti-imperialistischen Befreiungsbewegungen” umgeleitet. In den zahlreichen Stellvertreterkriegen, die damals, zurzeit des Kalten Krieges, tobten, ließen sich viele vom Mythos der nationalen Befreiungskämpfe beeindrucken und hatten für die Arbeiterklasse nur noch Spott und Hohn übrig. Einige Elemente aus den linksextremistischen Kaderorganisationen machten später steile Karrieren. Ob der einstige Pressesprecher des maoistischen Kommunistischen Bundes Norddeutschland (KB Nord), Jürgen Trittin, das ehemalige Mitglied des gleichermaßen maoistischen Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW), Renate Schmidt, der einstige Jusovorsitzende Gerhard Schröder, Joschka Fischer, in den 1970er Jahren Aktivist in der Frankfurter Krawallszene, oder Otto Schily, der einst Strafverteidiger der RAF in den Stammheim-Prozessen gewesen war – sie alle, die ihr Handwerk bei den Linken gelernt hatten, sind in der rot-grünen Ära in Staats- oder andere Führungsämter der kapitalistischen Wirtschaft aufgestiegen. Andere wiederum wandten sich vollends von der Politik ab oder wurden gar zu Vordenkern der Neonazis, wie Horst Mahler, der seinerzeit mit der RAF geliebäugelt und sie vor Gericht verteidigt hatte.

     

    Doch daneben gab es noch jene, die darüber verbittert waren, dass  die kapitalistische Gesellschaft den wiedererwachten Kampfgeist der Arbeiterklasse so schnell wieder in den Griff bekommen hatte, die aber dennoch nicht bereit waren, sich mit der Gesellschaft zu arrangieren oder den Rückzug aus der Politik anzutreten.  Stattdessen stemmten sie sich mit aller Macht gegen dieses System. Ihre Devise lautete: Wenn die ArbeiterInnen nicht aus eigener Kraft den Kampf aufnehmen, dann müssen wir sie nach vorn treiben. So bestand denn ihre Strategie darin, den bürgerlichen Staat durch symbolische Schläge gegen dessen Repräsentanten dergestalt zu provozieren, dass er gegenüber der Arbeiterklasse seine “faschistische Fratze” enthüllte. So die damals in diesem Milieu vorherrschende Denkrichtung. Man begann also, sich terroristischen Methoden zuzuwenden und den  bewaffneten Kampf zu propagieren. Die Serie von Anschlägen, Entführungen, terroristischen Angriffen gegen Personen und Einrichtungen kulminierte schließlich im berüchtigten “Deutschen Herbst” mit seinen Morden an Ponto, Buback und Schleyer. Schwerpunkte der Aktivitäten dieser terroristischen Gruppen war dabei vor allem Deutschland und Italien. 

     

     

     

    Kommunisten gegen Terrorismus

    Von den Abertausenden vorwiegend jungen Menschen, die durch die Arbeiterkämpfe inspiriert worden waren, gelang es nur ganz wenigen, sich in geduldiger, mühevoller Arbeit mit der Geschichte, dem Vermächtnis und der Erfahrung insbesondere der linkskommunistischen Kräfte zu befassen, die den Jahrzehnten der Konterrevolution widerstanden, die Lehren der Niederlage in Russland 1917 gezogen und die zukünftigen Kämpfe vorbereitet hatten. Vor allem in Deutschland beschränkte sich der Kreis der Leute, die sich intensiv mit dem Linkskommunismus im Besonderen und mit der Geschichte der Arbeiterbewegung im Allgemeinen befassten, auf ganz wenige, die sich auch durch die fortdauernden Schwierigkeiten des Klassenkampfes nicht entmutigen ließen.

     

    Die Internationale Kommunistische Strömung, die aus den Kämpfen von 1968 hervorgegangen ist und als ein Zusammenschluss auf internationaler Ebene 1976 gegründet wurde, hat stets terroristische Methoden abgelehnt. In einem Text, der nach dem “Deutschen Herbst” 1977 veröffentlicht wurde, betonten wir: “Der Terror ist ein strukturiertes, permanentes von den ausbeutenden Klassen ausgeübtes Herrschaftssystem. Der Terrorismus dagegen ist eine Reaktion der unterdrückten Klassen. Es handelt sich um eine vorübergehende Reaktion, um Racheaktionen, die ohne Kontinuität und Zukunft sind. Als ein gewaltsames Aufmucken der Machtlosen kann der Terrorismus nicht den Terror der herrschenden Klasse erschüttern. Es ist wie ein Mückenstich in die Haut einen Elefanten. Dagegen kann er und wird er oft vom Staat zur Rechtfertigung und Verstärkung dessen Terrors benutzt. Wir müssen unbedingt den Mythos verurteilen, demzufolge der Terrorismus als Sprengkapsel dazu diene oder dazu dienen könne, den Kampf des Proletariats in Gang zu setzen. Es ist vollkommen absurd vorzutäuschen, dass der Terrorismus der radikalisierten Schichten der Kleinbourgeoisie das Verdienst habe, in der Arbeiterklasse die Auswirkungen der demokratischen Verschleierungen der bürgerlichen Legalität zu zerstören und ihr den unvermeidbaren Weg zur Gewalt klarzumachen. Das Proletariat hat von dem radikalen Terrorismus keine Lehren zu ziehen, abgesehen davon, dass er von ihm abrücken und ihn zurückweisen soll, denn die im Terrorismus beinhaltete Gewalt befindet sich grundsätzlich auf bürgerlichem Boden. Zu einem Verständnis der Notwendigkeit und Unabdingbarkeit der Gewalt kommt das Proletariat aufgrund seiner eigenen Existenz, mittels seines eigenen Kampfes, seiner eigenen Erfahrung, der Konfrontationen mit der herrschenden Klasse. Es ist eine Klassengewalt, die sich ihrem Wesen, ihrem Inhalt, ihrer Form und in ihren Methoden sowohl vom kleinbürgerlichen Terrorismus als auch vom Terror der herrschenden ausbeutenden Klasse unterscheidet.

     

     

     

    Es stimmt, daß die Arbeiterklasse im Allgemeinen eine Haltung der Solidarität und der Sympathie einnimmt, zwar nicht gegenüber dem Terrorismus, den sie als Ideologie, als Organisationsform und als Methode verurteilt, sondern gegenüber den Elementen, die vom Terrorismus in die Sackgasse geführt werden. Dies aus den folgenden Gründen:

     

     

    1. weil diese Elemente gegen die bestehende Ordnung des Terrors revoltieren, auf dessen grundlegende Zerstörung das Proletariat hinarbeitet ;

     

     

    2. weil diese Elemente genau wie die Arbeiterklasse ebenso die Opfer der schrecklichen Ausbeutung und Unterdrückung durch die Todfeinde des Proletariats sind (...) Die einzige Art für das Proletariat, seine Solidarität mit diesen Opfern zu zeigen, liegt darin, zu versuchen, sie aus der tödlichen Sackgasse des Terrorismus zu holen, in die sie sich verrannt haben und sie vor den Henkern des staatlichen Terrors zu retten.” (“Terror, Terrorismus und Klassengewalt”, Internationale Revue, Nr. 3, 1979, www.internationalism.org [26])

     

     

    Mit diesem Standpunkt stellten wir uns in die Tradition der Kommunisten. Schon früh hat die Arbeiterbewegung terroristische Methoden abgelehnt, weil sie der Auffassung war, dass Ziel und Mittel des Kampfes miteinander im Einklang stehen müssen. Auch haben die Kommunisten immer betont, dass die historisch notwendige Revolution von der großen Mehrheit der Bevölkerung getragen werden muss. Und gegenüber jenen, die sich zu gewaltsamen Aktionen hinreißen lassen, weil sie es ablehnen, das Bewusstsein der Arbeiterklasse geduldig voranzutreiben, haben die Kommunisten auch stets unterstrichen, dass die Arbeiterklasse keinen Hass, keine Rachegelüste gegenüber Personen ausleben darf, sondern die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft anstreben muss.

     

     

     

    In den Fangarmen des bürgerlichen Staates

    Die Spirale des Terrorismus und der staatlichen Repression nahm schließlich ihren Lauf. Schließlich verfing sich die RAF, auf der Suche nach Rückzugsräumen vor dem sich immer enger zusammenziehenden Fahndungsnetz des westdeutschen Repressionsapparates, in den Maschen der ostdeutschen Staatssicherheitsorgane, die in ihr ein Vehikel zur Destabilisierung des westdeutschen Staates sahen. Bereit, mit dem Feind des Feindes zu kooperieren, geriet die RAF so vom Regen in die Traufe. Zudem begann sie – neben anderen terroristischen Gruppen Europas - auch mit Terrorgruppen im Nahen Osten zusammenzuarbeiten, die sich im imperialistischen Krieg gegen Israel aller Mittel, einschließlich des nackten Terrors, bedienten. Die Spirale der Barbarei hat diese Kräfte, von denen sich die Terroristen vor 30 Jahren ausbilden ließen,  mittlerweile dazu getrieben, systematisch Massenmorde mit  Selbstmordattentätern zu planen, in denen es nur noch darum geht, möglichst viele Zivilisten in den Tod zu reißen, und in denen Kinder als Bombenwerfer oder Kuriere missbraucht werden.

     

    Von dem anfänglichen Wunsch, den Kapitalismus zu bekämpfen, war nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen war man in die Fangarme eines der beiden Lager im Kalten Krieg geraten. Der westdeutsche Staat wiederum nutzte die Anti-Terrorismus-Kampagne, die er gegen die RAF entfachte hatte, aus, um seinen Repressionsapparat, den er schon 1969, unmittelbar nach dem Wiederaufflammen der Arbeiterkämpfe, mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze aufgerüstet hatte, weiter auszubauen. So schuf er sich u.a. ein ganzes Arsenal an Anti-Terrorismus-Gesetzen wie beispielsweise den berüchtigten Paragraphen 129, mit denen er heute jene drangsaliert, die sich, wenn auch oftmals mit untauglichen Mitteln, auf die Suche nach Antworten auf die immer dringendere Frage der Systemüberwindung begeben (s. den Artikel in dieser Ausgabe über die sog. Militante Gruppe). Mittlerweile verfügt der Staat über ein noch viel breiter gefächertes Überwachungssystem, das er unablässig verfeinert, wie die Gesetzesinitiativen von Innenminister Schäuble veranschaulichen.

     

     

     

    Die Herausforderung heute: Die Tragödie von damals vermeiden

    Jenen, die wegen der damaligen historischen Umstände ins Fahrwasser dieser Bewegung gerieten, sagen wir: Wer aufrichtig an der Perspektive festhält, dieses verrottete System zu überwinden, wer auch heute meint, dass der Kapitalismus auf den Misthaufen der Geschichte gehört, der muss ohne Scheuklappen eine schonungslose  Bilanz der politischen Entwicklung und der Irrwege ziehen, in denen er gelandet war. Es ist nie zu spät, diese Bilanz zu ziehen. Im Gegenteil,  diese Methoden zu kritisieren und zu begreifen, wie man in dieser Sackgasse landen konnte, ist nicht nur unabdingbar, sondern auch ein wertvoller Beitrag gerade für all jene, die heute politisiert werden und nach Antworten und Perspektiven suchen und denen wir solche Sackgassen ersparen müssen.

     

    Nachdem vor 30 Jahren viele junge Menschen in ihrer Konfusion und Ratlosigkeit durch linkskapitalistische Kräfte politisch vergewaltigt, irregeführt oder zermürbt wurden und einige davon aus Verzweiflung im Terrorismus landeten, müssen wir heute alles daran setzen, dass solch eine Tragödie sich nicht wiederholt. Dies ist die Herausforderung, vor denen wir uns als Revolutionäre heute sehen: jene, die heute politisiert werden und nach Antworten und Mitteln des Kampfes suchen, für einen langfristigen, geduldigen Kampf gegen das verbrecherische Gesellschaftssystem des Kapitalismus zu gewinnen. 31.08.07

     

     

     

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    “In den bürgerlichen Revolutionen waren Blutvergießen, Terror, politischer Mord die unentbehrliche Waffe in der Hand der aufsteigenden Klassen. Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors, sie haßt und verabscheut den Menschenmord. Sie bedarf dieser Kampfmittel nicht, weil sie nicht Individuen, sondern Institutionen bekämpft, weil sie nicht mit naiven Illusionen in die Arena tritt, deren Enttäuschung sie blutig zu rächen hätte. Sie ist kein verzweifelter Versuch einer Minderheit, die Welt mit Gewalt nach ihrem Ideal zu modeln, sondern die Aktion der großen Millionenmasse des Volkes, die berufen ist, die geschichtliche Mission zu erfüllen und die geschichtliche Notwendigkeit in Wirklichkeit umzusetzen”  (Was will der Spartakusbund?, 14. 12.1918).

     

     

    Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

    • Internationale Kommunistische Strömung [27]

    Theoretische Fragen: 

    • Terrorismus [25]

    Einheits- oder Spartengewerkschaft: Eine falsche Alternative

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    Am 14. August 2007 lud das Netzwerk Linke Opposition (NLO) zu einer Diskussionsveranstaltung in Köln ein. Das Thema: der Tarifkonflikt der Eisenbahner. Das Treffen fand statt, unmittelbar nachdem das Arbeitsgericht Nürnberg einen bundesweiten Streik der Eisenbahner verboten hatte. Daraufhin hatte die Gewerkschaft deutscher Lokomotivführer (GDL) eine Schlichtung des Tarifstreits durch die CDU-Politiker Biedenkopf und Geißler zugestimmt und sich verpflichtet, während der anberaumten Schlichtungsphase bis zum 27. August nicht zu streiken. Das Arbeitsgericht Nürnberg konnte daraufhin das Streikverbot aussetzen (aber nicht aufheben), da nunmehr die Gewerkschaft selbst die Verantwortung dafür übernommen hatte, den Streik zu verhindern.

     

     

     

    Es traf sich gut, dass das NLO gerade zu diesem Zeitpunkt seine Veranstaltung einberufen hatte. Der Vorsitzende der GDL in Nordrhein-Westfalen, Schmidt, war gekommen, um über die Arbeit seiner Gewerkschaft zu berichten und um Rede und Antwort zu stehen. Angesichts der Aktualität des Themas und der erfreulich großen Kampfbereitschaft der Eisenbahner war es nicht überraschend, dass sich mehr TeilnehmerInnen als sonst zu dieser politischen Veranstaltung einfanden. Fast das ganze Spektrum der politischen Gruppen und Denkrichtungen des Kölner Raums war vertreten.

     

     

     

     

    Die Erläuterungen der GDL

    Die Darstellung des GDL-Vertreters begann mit einem historischen Überblick über die Entwicklung seiner Organisation. 1867 gegründet und als die älteste Gewerkschaft Deutschlands geltend, verblieb die GDL der Nachkriegszeit als Beamtenorganisation im Rahmen des Deutschen Beamtenbundes. Somit besaß sie lange Zeit wenig Gelegenheiten, um sich als Gewerkschaft zu profilieren, da die Beamten in der Regel kein Streikrecht besitzen. Erst durch die ersten Privatisierungsmaßnahmen der Bahn im Rahmen der staatliche Einigung Deutschlands errang die GDL einen größeren Aktionsradius. Ab 2003 orientierte sich die GDL hin zur DGB-Einheitsgewerkschaft. Als jedoch die Transnet (ehemalige Gewerkschaft der Eisenbahner im DBG) sog. Regio-Ergänzungsverträge mit der Unternehmerseite abschloss, die besonders stark die Lage der LokomotivführerInnen und der ZugbegleiterInnen verschlechterten, ging die GDL dazu über, auf eigene Faust zu handeln und einen eigenen Tarifvertrag der Lokführer einzufordern. Aufgrund der Unzufriedenheit vieler MitarbeiterInnen über die Transnet nahm die GDL dann auch viele ZugbegleiterInnen als Mitglieder auf. Das Landesgericht Hessen sprach der GDL 2004 auch das Recht zu, einen eigenen “Spartenvertrag” auszuhandeln. Schmidt stellte die GDL in eine Reihe mit der Ärztevertretung Marburger Bund und der Spartengewerkschaft der Piloten, die Vereinigung Cockpit. Allerdings bilde die Berufsgruppe der Lokführer, anders als die der Ärzte oder Piloten, keine Elite, so Schmidt.

     

    Was die jetzige Tarifauseinandersetzung betrifft, so gelte die Eroberung eines eigenen Tarifvertrages, so Schmidt, als nicht verhandelbare Forderung, als “Dogma”, wie er sagte. Alles andere sei verhandelbar, nur dies nicht. Die von Bahnchef Mehdorn und von den Medien behauptete Forderung von 31% mehr Lohn sei keine allgemeine Forderung seiner Gewerkschaft gewesen, so der GDL-Chef für NRW. Die GDL habe allerdings von Anfang an klargemacht, dass sie nicht bereit sei, Tarifverträge einfach mit zu unterschreiben, die von anderen ausgehandelt wurden.

     

    Dann ging Schmidt dazu über, das Vorgehen der Gegner eines bundesweiten Streiks zu schildern. So erwähnte er die Verunglimpfung der Lokführer als Terroristen von Seiten der Boulevardpresse. Sein Hauptaugenmerk galt allerdings der Rolle der Gerichte. So wurden bisher 16 verschiedene Arbeitsgerichte von der Deutschen Bahn AG angerufen, um einen solchen Streik zu erschweren bzw. zu verunmöglichen. Dabei habe es die Konzernleitung vorgezogen, ihre Hauptklage in Nürnberg statt in Frankfurt einzureichen, weil sie dort mit einem für sie günstigeren Urteil rechnen konnte. So wurde ein bundesweiter Streik zunächst abgewendet, obwohl die Kampfkraft der Eisenbahner sehr hoch sei. Die GDL habe die Begründung des Streikverbots durch das Arbeitsgericht, demzufolge ein solcher Streik aufgrund der zu erwartenden volkswirtschaftlichen Schäden nicht statthaft sei, mit Kopfschütteln quittiert. Er sehe für die Zukunft der Arbeitskämpfe in Deutschland schwarz, wenn dieses Urteil Schule mache. “Das kann es nicht sein”, sagte Schmidt. Allerdings verteidigte er das deutsche Arbeitsrecht, das er zu den besten der Welt zählte.

     

     

     

    Die Frage der Spartengewerkschaften

    Soweit der Vortrag der GDL.

     

    In der Diskussion trug zunächst ein Teilnehmer aus Aachen zwei Fragen vor, die dort in der Versammlung eines Arbeitskreises “Betrieb und Gewerkschaft” formuliert worden waren. Zunächst wollte man wissen, ob es nicht die Absicht der Arbeitgeber und ihre Unterstützer sei, den Widerstand der Lokführer vor dem Börsengang der Bahn zu brechen. Schmidt stimmte dieser Auffassung zu. Des weiteren wollte man in Aachen wissen, ob die GDL – indem sie einen Streik vom Zaun zu brechen versuche, obwohl Transnet mit der Bahn bereits einen Tarifvertrag unterschrieben hat – nicht auch noch die Absicht verfolge, die anderen Eisenbahner vom Transnet-Abschluss sozusagen zu entbinden. Denn aufgrund einer Revisionsklausel dieses Vertrages gelte der Tarifabschluss der DGB- Gewerkschaften möglicherweise nicht mehr, wenn die GDL einen besseren Vertrag mit der Firma durchsetze.

     

    Der GDL-Sprecher verneinte ausdrücklich, dass seine Gewerkschaft eine solche Absicht verfolge. Zum einen sei der Transnet-Abschluss mit 5.4% “ordentlich”. Zum anderen sei jeder Tarifvertrag rein arbeitsrechtlich mit einer solchen Revisionsklausel versehen. Im übrigen, so Schmidt, sei der Tarifvertrag der Transnetmitglieder nicht das Problem der GDL.

     

     

     

    Ein studentischer Aktivist bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wie auch ein anderer Teilnehmer aus diesem Bereich schilderten die Lage der LehrerInnen und verglichen sie mit der der Eisenbahner. So wurde geschildert, wie neu eingestellte LehrerInnen mit bis zu 20% weniger Gehalt auskommen müssen. Diese wie auch andere TeilnehmerInnen der Veranstaltung schilderten, wie sie sich zunächst hin und her gerissen gefühlt haben angesichts der Tatsache, dass die GDL einen reinen Spartentarifvertrag für die eigene Klientel anstrebe. Eine Vertreterin des NLO sprach von ihrem anfänglichen Unbehagen, da die Solidarität aller Arbeiterinnen und Arbeiter über Berufs- und Industriegrenzen hinweg ihr immer als das höchste Gut erschienen sei. Nun habe sie aber eingesehen, dass das Vorgehen der GDL dennoch zu begrüßen und zu unterstützen sei, da nur sie eine echte Kampfbereitschaft zeige. Auch andere TeilnehmerInnen betonten ihre Solidarität mit der GDL angesichts der Hetze des DGB, der jegliche ernstzunehmenden Kampfmaßnahmen im Namen einer heuchlerischen “Einheit” und “Solidarität” aller Beschäftigten ablehne. Es wurde klar, dass die Rolle der GDL im Tarifkonflikt der Eisenbahner, sprich: die Radikalität dieser Gewerkschaft im Vergleich zum DBG, ein Nachdenken in den Reihen der traditionell linksorientierten Basis-Gewerkschaftsaktivisten ausgelöst hat. Nachdem viele dieser Aktivisten jahrelang das Prinzip der Einheitsgewerkschaft hochgehalten haben, die als das Aushängeschild des DGB galt, erleben sie nun, wie in immer mehr Fällen diese Ideologie offen und massiv eingesetzt wird, um gegen streikende Lohnabhängige zu hetzen. So erleben wir heute, wie nicht nur der DGB, sondern auch prominente Vertreter der Unternehmer wie die Deutsche Bahn sich als Verteidiger des Prinzips einheitlicher Tarifverträge outen und dies sogar mit der Notwendigkeit der Solidarität aller Berufsgruppen rechtfertigen! Bei der Veranstaltung des NLO war nun mit Händen zu greifen, wie diese Entwicklung viele ehemalige Oppositionelle innerhalb des DGB zunächst einmal ins Lager der “Spartengewerkschaft” treibt. Es ist schwer zu sagen, wer über diese Entwicklung am meisten überrascht war: die Spartengewerkschaft über ihre neue und ungewohnte Beliebtheit oder ihre neuen Anhänger unter den Linken.

     

    So sprach jemand aus dem Umfeld von Wildcat und des “Operaismus” von seinen eigenen Erfahrungen als Unterstützer des Streiks bei der Firma “Gate Gourmet” am Düsseldorfer Flughafen. Dort wurde auf schockierende Weise die gewerkschaftliche Einheitsideologie gegen die verzweifelt Streikenden eingesetzt. Dort habe nur eine kleine Spartengewerkschaft zu den Streikenden gehalten, sagte der Teilnehmer. Ihn interessiere nicht der Kampf der Gewerkschaften untereinander, sondern einzig und allein, was die Leute sagen.

     

     

     

    Und was sagen die Leute? Der Genosse meinte, die Leute sagten: Die GDL macht das richtig. Wenigstens versucht sie zu kämpfen. Auch könne er dem Marburger Bund oder der Vereinigung Cockpit ein solches Bemühen nicht absprechen, wobei er darauf hinwies (zu Recht, wie wir meinen), dass das Gros der Klinikärzte wie der Piloten keineswegs einer privilegierten Elite angehört, sondern im Gegenteil unter ganz schrecklichen Umständen für wenig Geld schuften müsse.

     

     

     

    Der GDL-Vertreter ging auf die in der Diskussion aufgekommenen Äußerungen über die Situation anderer Berufssparten so gut wie gar nicht ein. Statt dessen betonte er immer wieder das besondere Leid der Eisenbahner, das sich scheinbar mit keinem anderen vergleichen lasse. Er, der hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionär, forderte zwei aktive Eisenbahner, die er zum Treffen mitgebracht hatte, dazu auf, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu schildern. Dies taten sie auch bereitwillig. Ja, sie redeten sich ihren Frust von der Seele. Dabei wurde die große Kampfbereitschaft sichtbar, die in diesem Bereich herrscht. So erfuhren die Anwesenden beispielsweise davon, dass Lokführer morgens zum Dienstantritt ihre Loks unter Umständen um 3.30h aus dem Depot herausholen müssen. Allerdings: als der GDL-Landesvorsitzende behauptete, jeden Freitag nachmittag trete “ganz Deutschland” das freie Wochenende an, “nur die Eisenbahner nicht”, haben einige der VeranstaltungsteilnehmerInnen große Augen gemacht. Schließlich müssen nicht nur medizinisches Personal, Feuerwehrleute, die Beschäftigten im Hotel und Gastronomiewesen usw. zum Wochenenddienst antreten, sondern inzwischen auch das Personal solch “lebenswichtiger” Einrichtungen wie die des Einzelhandels!

     

    Auch die Rolle des Gerichts wurde in der Diskussion aufgegriffen. Ein Vertreter der Linkspartei (inzwischen “Die Linke”) im Rat der Stadt Köln, der sich auch als Mitglied der Gewerkschaft Ver.di zu erkennen gab, fand die Begründung des Streikverbots – die zu erwartenden volkswirtschaftlichen Schäden –  lächerlich und nicht nachvollziehbar.

     

     

     

    Eine Teilnehmerin aus der Umgebung der Zeitschrift “Gegenstandpunkt” wollte wissen, wie die GDL dazu komme, von einem ordentlichen Streikrecht in Deutschland zu sprechen, schließlich sei der Streik der Eisenbahner gerichtlich verboten worden. Darauf erwiderte Schmidt, man sei bewusst nicht gegen den DGB, sondern einzig und allein gegen die GDL gerichtlich vorgegangen. Das Problem seien nicht die Gerichte, sondern der Bahnvorstand, der die Gerichte gegen seine Gewerkschaft instrumentalisiere. Dabei nutze man die Tatsache aus, dass fast überall, wo ein Bahnhof steht, auch ein Gericht in der Nähe zu finden sei, um die Streikenden mit Anklagen zu überhäufen.

     

     

     

    Angesichts solcher gerichtlicher Zwangsjacken warfen manche TeilnehmerInnen die Frage auf, ob die Streikenden oder ihre Sympathisanten nicht zu Mitteln greifen sollten, die sich nicht unbedingt an die Legalität halten, wie z. B. Schienenblockaden oder der ermäßigte Verkauf von Fahrscheinen durch das Fahrkartenpersonal. Schmidt wandte sich allein schon aus Sicherheitsgründen (hier nicht zu Unrecht, wie wir meinen) gegen das unbedachte Betreten der Schienen. Was aber die Möglichkeit von Solidaritätsaktionen des Personals am Verkaufsschalter betrifft, wies Schmidt dieses Ansinnen von sich. Schließlich seien sie “nicht unsere Leute”. Das Anliegen der GDL sei ein eigener Tarifvertrag der Lokomotivführer. Denn nur ein solches Vertragswerk, auf die besondere Lage dieses Berufszweiges zugeschnitten, könne “voll flexibel einsetzbare Mitarbeiter im Führerhaus ermöglichen”, die die Bahn unbedingt brauche. In diesem Sinne habe die GDL nur notgedrungen und vorübergehend Zugpersonal als Mitglieder aufgenommen. Vielmehr sei man dafür, dass diese Mitarbeiter mittelfristig die GDL verlassen und eine eigene Gewerkschaft gründen. Denn die Lage anderer Berufszweige, aber auch die von BerufskollegInnen, die in anderen Gewerkschaften organisiert sind, sei nicht Sache der GDL. Seine Gewerkschaft sei aber darüber besorgt, dass auch andere DGB-Gewerkschaften wie Ver.di oder die IG Metall nun versucht sein könnten, unter den Eisenbahnern Fuß zu fassen. Auch sei die GDL in keiner Weise “radikal”. Die Parole seiner Gewerkschaft laute: Gerechtigkeit statt Gleichmacherei.

     

     

     

    Einheits- oder Spartengewerkschaft? Pest oder Cholera

    Die Wortmeldung der IKS auf dieser Veranstaltung begrüßte die Kampfbereitschaft der Eisenbahner und stellte sich hinter ihre Forderungen bezüglich der Entlohnung und Arbeitsbedingungen. Aber wie können diese Forderungen am besten durchgesetzt werden? In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit und weltweiten Erpressbarkeit der Belegschaften und angesichts einer einheitlichen Front der Kapitalistenklasse kann sich keine Berufsgruppe allein wirksam verteidigen. Nur die wachsende Solidarität der ArbeiterInnen der verschiedenen Berufe und Branchen, wie auch die zwischen Beschäftigten und Erwerbslosen kann einen wirksamen Widerstand zustande bringen. Auch wenn solche gemeinsamen Kämpfe nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können, so bleibt die Entwicklung der Idee und der Praxis dieser Solidarität das Gebot der Stunde. Die meisten Berufszweige besitzen ohnehin nicht genügend eigenes Gewicht, um allein auf sich gestellt ihre Forderungen durchzusetzen. Droht aber eine Berufssparte, die aufgrund ihrer Stellung durchaus in der Lage ist, die sog. Volkswirtschaft erheblich zu treffen, wie nun bei den Eisenbahnern, so wird dieser Streik schlichtweg verboten. Dieses Verbot, weit davon entfernt, “nicht nachvollziehbar” zu sein, ist die logische Folge aus der Natur des bürgerlichen Staates als Verteidiger der Interessen des Kapitalismus insgesamt. So wird es mit der Zeit auch den Eisenbahnern aufgehen, dass sie sich nicht auf eigene Faust durchsetzen können, da sie nicht nur Mehrdorn und die Deutsche Bahn, sondern den Staat zum Gegner haben.

     

    Was dieses Verbot verdeutlicht hat, ist, dass die Streiks der Zukunft, die bevorstehenden, mit großem Ernst vorgetragenen Arbeitskämpfe immer mehr illegal sein werden. Denn es wird sich herausstellen, dass alles, was die Sache der Lohnabhängigen wirklich voranbringt, im Rahmen der Gesetze nicht zugelassen ist. Allein deshalb werden diese Kämpfe keinen gewerkschaftlichen Charakter haben. Vielmehr werden die Betroffenen lernen müssen, ihre Kämpfe mittels Vollversammlungen und gewählten Streikkomitees selbst zu organisieren und auszudehnen.

     

     

     

    Was die Rolle der Gewerkschaften betrifft, ist die Gegenüberstellung Einheitsgewerkschaften oder Spartengewerkschaften für die Arbeiterklasse eine falsche Alternative. Allein die Selbstorganisierung ermöglicht eine wirkliche Kampfeinheit, denn nur dort werden alle Betroffenen - gleichgültig, welcher Gewerkschaft sie angehören, egal, ob sie gewerkschaftlich organisiert sind oder nicht, ob beschäftigt oder arbeitslos - zusammengebracht. Sinnbildlich zum krisengeschüttelten Kapitalismus spitzt sich auch der Konkurrenzkampf zwischen den Gewerkschaften immer mehr zu. Diese Konkurrenz gefährdet aber keineswegs die Einheitsfront des Kapitals. Im Gegenteil, sie wird ausgenutzt, um die Lohnabhängigen untereinander zu spalten. Es wäre ein grober Fehler zu glauben, dass eine Gewerkschaft wie die GDL, nur weil sie sich plötzlich radikal gibt, tatsächlich die Interessen der eigenen Mitglieder zu wahren vorhat. Wie wenig dies der Fall ist, haben die Ausführungen der GDL selbst deutlich gemacht. Nicht umsonst hat die einleitende Ansprache ihres Vertreters unmissverständlich klargemacht, dass für die GDL alles verhandelbar ist, nur nicht das Erringen eines eigenen Tarifvertrages!

     

     

     

     

     

    Auch die Fossilien der Geschichte werden gegen den Arbeiterkampf ausgegraben

    Wir wollen unsere LeserInnen nicht darüber im Unklaren lassen, dass nicht diese Wortmeldung der IKS, sondern die Ausführungen der GDL der mehrheitlichen Stimmung an diesem Abend entsprach. Dennoch war dieses Treffen auch aus unserer Sicht sehr interessant und nützlich. Zum einem trug die Diskussionsführung von Seiten des NLO entscheidend zur Entwicklung der Diskussion bei. Hier konnte jeder seine eigene Meinung kundtun, ohne unterbrochen oder gar beschimpft zu werden. Auch wurde nicht wie bei manch anderen Veranstaltungen mit der Rednerliste geschummelt, um etwaige “unliebsame” Wortmeldungen zu verhindern.

     

    Schließlich hat die Einladung an die GDL manches dazu beigetragen, um die wirkliche Rolle dieser Gewerkschaft deutlich zu machen. Bekanntlich soll man die Katze nicht im Sack kaufen. Wir hoffen, dass diejenigen, die – von der Einheits- und Solidaritätsheuchelei des DGB zu Recht angewidert - momentan mit der Unterstützung der Spartengewerkschaften liebäugeln, sorgfältig über die Ausführungen ihres NRW-Vorsitzenden nachdenken werden. Diese Ausführungen zeigen mit aller Deutlichkeit die Borniertheit nicht nur der Spartengewerkschaften, sondern der gewerkschaftlichen Lebens- und Denkweise insgesamt. Sie zeigen deren Verstrickungen mit dem Staat und mit dem Konkurrenzsystem des Kapitalismus sowie ihre Gleichgültigkeit, ja Feindseligkeit gegenüber der Arbeitersolidarität. Sie zeigen auf, wie selbst aufrichtige und empörte Proletarier den Sinn für die Belange der Arbeiterinnen und Arbeiter als Klasse verlieren, sobald und solange sie im Labyrinth der Gewerkschaften gefangen gehalten werden. Und zwar v.a. deshalb, weil diese einstigen Kampfinstrumente der Arbeiterklasse untauglich geworden sind, ja nur noch von der Kapitalseite gegen der Arbeiterkampf zu gebrauchen sind.

     

     

     

    Es ist die massive Unzufriedenheit der Lohnabhängigen mit den offiziellen Gewerkschaften – und hier in erster Linie mit dem DGB –, die der GDL unverhofft neues Leben eingehaucht hat. Diese Gewerkschaften haben den Abbau von Hunderttausenden Jobs bei der “wiedervereinigten” Bahn abgesegnet. Genauso wie sie die diversen “Reformen” im Gesundheitswesen, bei der Post oder in der Privatwirtschaft mit durchgesetzt haben. Scharenweise verließen daraufhin die Mitglieder diese Gewerkschaften. Da die Illusionen in die Gewerkschaften dennoch groß sind, da viele Arbeiterinnen und Arbeiter sich noch nicht trauen, auf eigene Faust etwas zu unternehmen, schaute sich manch einer zunächst nach einer gewerkschaftlichen Alternative um. So wurde die GDL, dieses erbärmliche Fossil aus grauer Vorzeit, dieses Überbleibsel längst überwunden geglaubten Standesdünkels “deutscher Lokomotivführer” plötzlich zur Anlaufstation unzufriedener Lokführer und sogar des Zugpersonals. Die noch tastende, unsichere, von Selbstzweifel angenagte Abwendung der Klasse von den Gewerkschaften bot nun die Gelegenheit  für einer Totgeglaubten, die kurz zuvor selbst sich am DGB als Lebensretter geklammert hatte, durchzustarten. Ein neuer David wurde geboren, der den Goliath des DGB herauszufordern schien. Aber der Eindruck täuscht. Das Ansinnen der GDL, eine eigenständige Rolle zu spielen, erzeugte natürlich Unmut beim großen Rivalen, dem DGB und dessen Freunden im Vorstand der Deutschen Bahn. Aber sie werden erkennen – und die Umsichtigsten unter ihnen haben es längst erkannt –, dass die Spartengewerkschaften der Staatsordnung einen großen Dienst erweisen, indem sie die ArbeiterInnen in den Klauen der Gewerkschaften halten.

     

     

     

    Aber auch die Arbeiterklasse wird dies erkennen. Die momentane Anziehungskraft der Spartengewerkschaften entspringt nicht einem wachsenden Berufsegoismus des Proletariats, sondern dessen noch unklare, aber zunehmende Unzufriedenheit mit den vorgeschriebenen gewerkschaftlichen Instrumenten. Auch die momentane Sympathie vieler Gewerkschaftslinke, die nach dem Fiasko des Stalinismus 1989 ihr bisheriges Weltbild infrage zu stellen begonnen haben, entspringt eher dem momentanen Stand ihrer Loslösung von den offiziellen Gewerkschaften als einer echten Hinwendung zur offen vorgetragenen Ablehnung der Klassensolidarität durch die Spartengewerkschaften.

     

    Geschäftstüchtig: Auch aus verteilten Anschlägen kann man Kapital schlagen

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    Jetzt wird alles klar. Die Festnahme einer angeblichen Zelle der Islamischen Dschihad Union in Deutschland kommt Innenminister Schäuble gerade recht. Seit über einem halben Jahr stand diese ominöse Zelle unter der Observierung des Bundeskriminalamtes. Jeder Schritt, jede Aktion dieser Gruppe aus deutschen Islam-Konvertiten wurde mit Argusaugen beobachtet. Der BKA-Apparat lief auf Hochtouren. BKA-Chef Ziercke sprach „von einem Polizeieinsatz, der in dieser Dimension in der Geschichte des BKA noch nicht stattgefunden habe. Fast 300 Beamte seien über sechs Monate Tag und Nacht im Einsatz gewesen“ (Der Tagesspiegel, 6. September 2007). Doch statt diesem Popanz ein schnelles Ende zu bereiten, wurde alles getan, um das zarte Pflänzchen der einheimischen Taliban gedeihen zu lassen. Damit Letztere allerdings nicht über die Stränge schlagen, sorgte der Repressionsapparat dafür, dass die Höllenbombe, 730 Kilogramm Wasserstoffperoxid mit einer Sprengwirkung von 550 Kilogramm TNT, heimlich durch eine verdünnte Lösung ersetzt wurde. Just in derselben Zeit wurde Innenminister Schäuble nicht müde, der Online-Durchsuchung privater PCs und der Verschärfung der Sicherheitsgesetze das Wort zu reden. (Natürlich ging es ihm, dem Sicherheitsfanatiker, dabei ausschließlich um den Schutz der Bevölkerung; daher hat er auch kürzlich versucht, den seit dem Erfurter Amoklauf eingeschränkten Verkauf von Waffen an Erwachsenen unter 21 Jahren wieder zu lockern…) Und kaum hatte das BKA zugegriffen und dem Spuk ein Ende bereitet, sprang auch Bundeskanzlerin Merkel ihrem in letzter Zeit arg kritisierten Innenminister bei und erklärte, dass „wir den zuständigen Behörden auch alle Möglichkeiten geben müssen, die Aufklärung zu betreiben.“ Nachtigall, ick hör dir trapsen….

     

    Innerhalb der SPD äußern manche den Verdacht, es handle sich hier um ein Wahlkampfmanöver des größeren Koalitionspartners auf Kosten der Sozialdemokratie. Aber nicht in erster Linie. Die „Enthüllungen“ der Medien über die „dramatischen“ Ermittlungen der deutschen und ausländischen Dienste haben jedenfalls deutlich gemacht, wie stark das von SPD-Steinmeier und anderen strammen Schröder-Leute geleitete Außenministerium „involviert“ war. Wenn es darum geht, die Aufrüstung der Repressionsorgane gegen die eigene Bevölkerung zu rechtfertigen, sind die Staatsspitzen, ob nun links oder rechts, sich einig.

     

    Keine Frage: die Gefahr von verheerenden terroristischen Anschlägen auch in Deutschland wächst. Sie wächst, weil der Terrorismus heute vor allem ein Mittel im imperialistischen Kampf geworden ist. Die Gefahr solcher Anschläge auch in Deutschland nimmt zu, weil der deutsche Imperialismus immer mehr mit an der vordersten Front dieser Konflikte steht. Wie überall im modernen imperialistischen Krieg wird die Zivilbevölkerung der Hauptleidtragende sein. Dass die „wehrhafte Demokratie“ aber durchaus in der Lage ist, kaltblütig die Terrorvorbereitungen des eigenen imperialistischen Gegners auszuschlachten, um sich auch und gerade gegen die lohnabhängige Bevölkerung aufzurüsten, die man zu beschützen vorgibt – vor allem davon zeugen die jüngsten Fahndungserfolge der Staatsschützer.

     

    Leserbrief: Die Wirtschaftsordnung unter der Herrschaft der Arbeiterräte

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    Leserbrief:

    Ich interessiere mich für die rätekommunistische Wirtschaftsordnung. Wie sieht diese Wirtschaft genau aus? Ich habe schon gelesen, dass die Arbeiter die Betriebe enteignen und sie anschließend Durch Arbeiterräte selbst verwalten. Wer ist aber dann der Kapitaleigner? Der Staat oder alle Arbeiter zusammen (Verein)? Bei letzterem stellt sich noch die Frage: Was passiert, wenn ein Arbeiter ausscheidet und ein neuer in den Betrieb eintritt? In der Wirtschaft wird es schon allein zwecks der Dynamik immer nicht kapitalistische Selbstständige geben, die ihren Betrieb auch vergrößern wollen. Wie werden diese in die rätekommunistische Wirtschaftsordnung integriert, ohne dass neue Kapitalverhältnisse entstehen? Für diese Fragen finde ich einfach keine Antwort. Ich hoffe, Sie können mir weiterhelfen. Ich freue mich auf Ihre baldige Antwort und danke Ihnen im Voraus.

     

    Antwort der IKS:

    Lieber Genosse,

     

    vielen Dank für Deine E-Mail, die wir vor einigen Wochen bekommen haben. Entschuldige bitte unsere späte Antwort. Wir haben uns natürlich sehr gefreut, dass Du uns solch wichtigen und nicht einfachen Fragen stellst, auf die man auch keine Antworten aus dem Ärmel schütteln kann. Hier also nur der Beginn einer Antwort und hoffentlich der Beginn eines Austausches zwischen uns zu diesem und vielleicht anderen Themen. Bei unserer Antwort wollen wir vorneweg eine Unterscheidung hervorheben, auf die wir hier nicht ausführlicher eingehen wollen, die aber hilfreich ist, um Missverständnisse zu vermeiden. Wir unterscheiden drei Phasen auf dem Weg zum Kommunismus: Erstens der Bürgerkrieg: in dieser Phase kämpfen die Arbeiterklasse und die mit ihr verbündeten Klassen und Schichten gegen die Kapitalistenklasse; das Proletariat ist noch nicht im Besitz der Macht. Zweitens: nach erfolgreicher Machtergreifung und dem Sturz der Kapitalistenklasse beginnt die Übergangsperiode, die auch wiederum in verschiedene Phasen untergliedert wird. Während dieser können erste Maßnahmen durch die an die Macht gekommene Arbeiterklasse ergriffen werden. Wie der Name sagt, befindet sich alles im Fluss. Drittens der Aufbau des eigentlichen Kommunismus.

     

    Weiter muss man die jeweiligen Organe und die Funktionen dieser Organe auseinander halten: die Arbeiterräte, die Partei, der Staat. Es handelt sich hierbei um Organe, die entweder im Verlauf des Kampfes um die Macht entstehen, wie die Räte und die Klassenpartei, oder erst nach der erfolgreichen Machtergreifung (wie der Staat in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus). Alle drei haben aber eins gemeinsam: Es wird sie im Kommunismus nicht mehr geben. In der klassenlosen Gesellschaft wird es ganz einfach deshalb weder Arbeiterräte noch Arbeiterparteien geben können, weil es keine Arbeiterklasse mehr geben wird. Zwar wird immer noch menschliche Arbeit verrichtet, aber dies wird auf die menschliche Gesellschaft insgesamt aufgeteilt sein und nicht mehr nur einem Teil derselben aufgebürdet. Außerdem wird die Menschheit sich höchstwahrscheinlich nicht mehr in erster Linie über die Arbeit definieren. Dementsprechend wird es im Kommunismus keinen Staat mehr geben. Denn der Staat ist nach Auffassung des Marxismus ein Produkt aus der Spaltung der Gesellschaft in Klassen. Nachdem wir unsere Auffassung über den Platz der Arbeiterräte, der Klassenpartei sowie über den “Übergangsstaat" im Kampf für den Kommunismus kurz abgesteckt haben, können wir nun ihre jeweiligen Rollen unter die Lupe nehmen. Die Arbeiterräte setzen sich aus Delegierten zusammen, die jederzeit abwählbar und gegenüber den Vollversammlungen rechenschaftspflichtig sein sollen. Wir gehen weiter unten auf ihre Aufgaben ein. Die Partei ist eine politische Organisation, die nicht zur Aufgabe hat, die Macht zu übernehmen oder sie in ihren Händen zu halten. Sie erfüllt stattdessen eine politische Aufgabe – das Bewusstsein voranzutreiben, der Arbeiterklasse politisch helfend zur Seite zu stehen. Der nach der Machtergreifung existierende Staat ist nicht mehr der alte kapitalistische Staat; er ist in gewisser Weise ein “Rumpfstaat", ein Übergangsstaat, der absterben muss und im Kommunismus verschwunden sein wird. (Zu all diesen Punkten haben wir jeweils mehrere Artikel verfasst, zu denen wir Dir bei Bedarf gerne mehr Angaben machen).

     

    Nun konkret zu Deinen Fragen:

     

    Du schreibst: Ich interessiere mich für die rätekommunistische Wirtschaftsordnung. Wie sieht diese Wirtschaft genau aus? Habe schon gelesen, dass die Arbeiter die Betriebe enteignen und sie anschließend durch Arbeiterräte selbst verwalten. Wer ist aber dann der Kapitaleigner? Der Staat oder alle Arbeiter zusammen (Verein)? Bei letzterem stellt sich noch die Frage: Was passiert, wenn ein Arbeiter ausscheidet und ein neuer in den Betrieb eintritt?

     

    Zunächst ein Wort zum Begriff “rätekommunistische Wirtschaftsordnung". Worauf bezieht er sich? Auf den Kommunismus selbst oder auf die Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus (also der Phase, die Marx und Engels mit dem Begriff “Diktatur des Proletariats" beschrieben)? Was die Epoche der klassenlosen Gesellschaft betrifft, so ist es unbestreitbar, dass die Organisationsweise des Proletariats in ihrem Kampf für den Kommunismus gewisse Elemente der künftigen Gesellschaft im Keim enthält. Der kollektive, einheitliche, zentralisierte, unbürokratische (sprich nicht-staatliche) und solidarische Charakter der Arbeiterräte, der alle ihre Mitglieder aktiviert und ihnen Verantwortung überträgt, nimmt tatsächlich in vielerlei Hinsichten das Wesen des Kommunismus vorweg. Man kann auch nicht ausschließen, dass die Mitglieder dieser künftigen Gesellschaft ihre Verwaltungsorgane weiterhin als Räte bezeichnen werden (vielleicht um der Organe zu gedenken, die einst den Kommunismus erkämpften). Aber abgesehen davon, dass sie keine Klassenorganisationen mehr sein können, werden diese künftigen Gremien sich in einem Punkt ganz grundlegend von allem unterscheiden, was heute ist oder möglich wäre: Sie werden nicht mehr Menschen, sondern Dinge “verwalten". So wichtig sie sein werden, sie werden nicht mehr über die Menschen herrschen, sondern der Gesellschaft zu dienen haben.

     

    Von daher scheint es uns wenig sinnvoll, dem Begriff “Kommunismus" das Attribut “Räte" hinzuzufügen, der den künftigen Verwaltungsorganen der Gesellschaft eine Bedeutung beimessen würde, den sie nicht haben werden und auch nicht haben dürfen. Der Begriff “Rätekommunismus" passt ohne Zweifel viel besser zu der Phase des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus. Wir vermuten, dass Du den Begriff auch in diesem Sinne in deinem Brief verwendet hast. Denn die Fragen, die Du (über die Rolle des Staates, der Arbeiterräte oder der Selbständigen) aufwirfst, werden in einer klassenlosen Gesellschaft hinfällig. Für die Periode des Übergangs hingegen sind das äußerst wichtige und auch schwierige Fragen. Auch ist es absolut richtig, die Rolle der Arbeiterräte in dieser Phase besonders zu betonen. Denn die Räte sind – wie der I. Kongress der Kommunistischen Internationale es zu Recht formulierte – die “endlich gefundene Form" der Diktatur des Proletariats. Bei dem Begriff “rätekommunistische Wirtschaftsordnung" haben wir eher mit dem Hauptwort “Wirtschaftsordnung" unsere Probleme. Und zwar insofern, als die Aufgabe der Arbeiterräte nicht darin besteht, eine eigene Wirtschaftsordnung aufzubauen, sondern vielmehr eine Umwälzung, eben einen Übergang zu bewerkstelligen – hin zu einer Gesellschaft, die die Arbeiterräte sowie das restliche Beiwerk aus der Klassengesellschaft überflüssig macht und darüber hinaus die Beherrschung der Menschen durch ihre Wirtschaftsverhältnisse überwindet. Aber wir wollen uns nicht länger mit diesen Begriffsfragen aufhalten. Wir hoffen aber, dass Du unsere Sorge dabei erkennst und nicht denkst, dass wir sterile Wortklauberei betreiben wollen. Natürlich kann heute niemand genau voraussagen, wie die Wirtschaft in der Übergangsphase und noch weniger in einer kommunistischen Gesellschaft tatsächlich aussehen wird. Die bislang in der Geschichte gemachten Erfahrungen mit einer Machtübernahme durch die Arbeiterklasse (Pariser Kommune, Russland 1917) können nicht genügend Aufschluss darüber liefern, wie die Wirtschaft in der Zukunft aussehen wird. Die materiellen Verhältnisse in der Übergangsperiode sind mit den Verhältnissen heute und auch mit denen unmittelbar nach der Machtergreifung kaum zu vergleichen.

     

    Unsere Vorgänger, die Gruppe Gauche Communiste de France (GCF) schrieb dazu vor mehr als 50 Jahren, 1946, in einem Artikel in ihrer Zeitschrift Internationalisme: “Die Verwaltung der Wirtschaft nach dem Bürgerkrieg ist das schwierigste und komplizierteste Problem, das dem Proletariat und seiner Partei gegenüberstehen wird. Es wäre töricht zu versuchen, von vornherein Lösungen für all die praktischen Gesichtspunkte dieses Problems zu entwickeln. Es hieße den Marxismus in ein System rigider Gesetze umzuwandeln, das zu jeder Zeit gültig und anwendbar ist, ohne Rücksicht auf die vielfältigen konkreten und zufälligen Umstände, die in den verschiedenen Ländern und Wirtschaftsbereichen auftreten würden. Erst durch das praktische Studium werden wir imstande sein, zu jeder sich ergebenden Situation die notwendige Lösung zu finden." Man kann deshalb auf ökonomischer Ebene nur einige allgemeine Orientierungspunkte nennen – z.B. die Abhängigkeit dieses Prozesses von der politischen Entwicklung, d.h. der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen Arbeiterklasse und Kapitalisten; die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Produktions- und Konsumgüter. Die Arbeiterklasse muss eine umfassende Steigerung der Konsumgüterproduktion durchsetzen; die Vergesellschaftung kann nicht in einem Land isoliert vorangetrieben werden, da ein Teil der Welt nicht isoliert vom Rest der Welt bleiben darf usw. Auch ist es schwierig, in diesen ökonomischen Fragen einen Konsens herzustellen, da erst die Zukunft zeigen wird, wie sich die Dinge wirklich entwickeln werden. Dagegen besteht eine wahre Schatzkammer an Erfahrungen im politischen Bereich, d.h. über das Verhältnis zwischen Räten, Partei und Staat. Diese Erfahrungen auszuwerten und auch in Übereinstimmung zu bringen ist eine zentrale Pflicht aller Revolutionäre.

     

    Welche Vorstellung von der Arbeiterselbstverwaltung?

     

    Während der Übergangsperiode werden die Kapitalisten enteignet und die Betriebe schrittweise in gesellschaftliche Kontrolle überführt. Solange noch Mangel herrscht, werden die Betriebe zwar der übergeordneten Kontrolle der Arbeiterräte unterliegen, aber im alltäglichen Betriebsablauf wird auch noch das Wirken des Staates (als Verwalter des Mangels) mehr oder weniger stark zu spüren sein. Auf welcher Ebene werden die Arbeiterräte konkret die Macht ausüben?

     

    Die Rolle der Arbeiterräte besteht nicht nur in der unmittelbaren ökonomischen Verwaltung, wo sie ständig mit der tagtäglichen Verwaltung und Organisierung des Produktionsablaufes und der Verteilung der Güter beschäftigt sein werden. D.h. sie sind nicht nur Organe der Organisierung des täglichen Betriebsablaufs. Sie sind es nicht mal in erster Linie. Die Arbeiterräte selbst müssen vor allem über die Prioritäten entscheiden, eine Ausrichtung der Produktionsschwerpunkte und der Verteilung der Produkte vornehmen. Einerseits müssen die Arbeiter als Produzenten diese Entscheidungen vor Ort, d.h. in den Betrieben umsetzen, andererseits müssen die Arbeiterräte dazu dem Staat entsprechende Vorgaben machen, die Letzterer dann im konkreten Alltag, in der Wirtschaft insgesamt umzusetzen hat. Die Tatsache, dass die Arbeiterräte über die Verwaltung der Wirtschaft entscheiden, die konkrete Umsetzung und Kontrolle aber nicht zu ihrem Alltagsgeschäft gehört, heißt aber nicht, dass die Arbeiter mit der konkreten Verwaltung der Wirtschaft nichts zu tun hätten. Wir wollen weiter unten darauf zurückkommen. Auch wenn die Arbeiter jeweils an einem Ort – wahrscheinlich später an mehreren Wirkungsstätten - arbeiten werden, somit einen tiefen Einblick in die Zusammenhänge des Produktionsablaufs haben, insofern mit der Organisierung der Produktion Tag für Tag zu tun haben werden und diese umsetzen müssen, dürfen (und werden) sie sich mit dem jeweiligen Betrieb oder Teilbereich nicht identifizieren. Es gab in der Geschichte der Arbeiterbewegung zwei unterschiedliche, entgegengesetzte Auffassungen über die Arbeiterselbstverwaltung.

     

     

    Während manche mit Arbeiterselbstverwaltung nur eine rein ökonomische Verwaltung ins Auge fassen und sie sich sofort nach der Machtübernahme auf eine Umwälzung der Produktionsabläufe und der Verteilung der Güter stürzen wollen, meinen wir, dass Verwaltung der Gesellschaft, der Wirtschaft heißen muss, dass die Hebel für alle wichtigen gesellschaftlichen Entscheidungen von der Arbeiterklasse, konkret durch die Arbeiterräte, gestellt werden – aber dies ist an bestimmte politische Bedingungen gebunden. Zunächst geht es darum, dass die “globale" Entscheidungskompetenz in den Händen der Arbeiterräte liegen muss. Diese dürfen die politischen Grundsatzentscheidungen nicht an den Staat (weil Mangelverwalter) abtreten. Die ArbeiterInnen “verwalten", dirigieren die Wirtschaft insofern, als sie die Richtung, die Grundsatzentscheidungen vorgeben. Jedoch dürfen die Arbeiterräte sich nicht lahm legen, ihren Blick durch die jeweils vor Ort bestehenden Verhältnisse des Mangels einschränken und versperren lassen. Methodisch heißt dies, die Arbeiterräte müssen immer von einem internationalen Standpunkt ausgehen. Dies verlangt von ihnen, über den örtlichen Tellerrand hinaus zu sehen, die weltweiten Interessen und Bedürfnisse der Arbeiterklasse, ja der Menschheit insgesamt zu berücksichtigen. Wenn es zum Beispiel darum geht festzulegen, welche Produktionsschwerpunkte gesetzt werden, an welchen “Standorten", unter welchen Gesichtspunkten (ökologisch, ökonomisch usw.) welche Produkte hergestellt werden sollen, müssen immer die weltweiten, langfristigen Interessen gegenüber den lokalen Gegebenheiten Vorrang genießen.

     

    Wenn man unter der Selbstverwaltung versteht, die Produktion sofort in Arbeiterhand zu überführen, den Mangel sofort abzuschaffen oder die Treue zu diesem oder jenem Betrieb zu betonen, unterschätzt man die Gefahr, die aus dem Mangel auch nach der Machtübernahme noch hervorgeht. Denn da der für die kapitalistische Gesellschaft typische Mangel noch nicht sofort überwunden sein wird, da man nicht sofort die Produktion weltweit unter Arbeiterkontrolle organisieren kann, besteht die Gefahr, sich durch die Bedürfnisse und Wünsche der Beschäftigten an einem Ort absorbieren und verblenden zu lassen. Gerade die Erfahrung in Russland hat Folgendes gezeigt: Wenn man versucht, einzelne Länder, in denen die Arbeiterklasse die Macht bereits erobert hat, als “Inseln" des Sozialismus auffasst und entsprechend aufbaut, während im Rest der Welt die Kapitalistenklasse noch die Zügel in der Hand hält und die Marktgesetze dominieren, wird kein Sozialismus aufgebaut, sondern nur ein schreckliches antiproletarisches Monstrum, eine besonders perverse Spielart des Staatskapitalismus. Sozialismus lässt sich nur weltweit aufbauen oder gar nicht.

     

     

    Einerseits die Lehren aus den Erfahrungen der Arbeiter in Russland, Deutschland, Italien, etc. aus der revolutionären Welle von Kämpfen nach dem I. Weltkrieg. Andererseits sind aber auch die Erfahrungen aus dem spanischen Bürgerkrieg 1936 in diesem Zusammenhang wichtig. Damals nämlich führte der Versuch, sofort eine Verwaltung der Betriebe durch die ArbeiterInnen einzuleiten, dazu, dass sich die ArbeiterInnen der jeweiligen Betriebe hinter die Fabriktore der selbstverwalteten Betriebe einsperren und politisch nahezu entwaffnen ließen, weil sie gänzlich mit den Fragen der Verwaltung dieser Betriebe befasst waren und das Interesse an der Ausdehnung der revolutionären Kämpfe oft aus den Augen verloren. In Wirklichkeit hatte das Proletariat damals noch nicht einmal die Macht umfassend an sich gerissen; weder in Deutschland noch in Italien war die Kapitalistenklasse gestürzt - von einer weltweiten Machtergreifung ganz zu schweigen.

     

    Aufrechterhaltung kapitalistischer Anarchie oder zentralisierter, koordinierter Einsatz gesellschaftlicher Ressourcen?

    Wie Du siehst, verlangt diese Herangehensweise eine klare Abkehr von der der kapitalistischen Gesellschaft innewohnenden Anarchie. Wir meinen deshalb, dass man sich gegen eine Haltung zur Wehr setzen muss, die alles sofort will und nur aus dem Blickwinkel der lokalen Verhältnisse urteilt. Stattdessen sind eine weltweite Zentralisierung sowie eine Bündelung der Kräfte nötig, aber auch möglich. Denn es steht fest, dass es zu einer Freisetzung kreativen Potenzials kommen wird, sobald die Arbeiter die Macht übernommen haben. Jeder wird Lust zum Arbeiten, Freude am “Mitwirken", am Mitgestalten verspüren. Die vielen Arbeitslosen, die unendlich große Zahl nutzlos und unproduktiv Beschäftigter - sie alle werden im Kampf gegen die Bourgeoisie integriert. Auch werden sie den Drang in sich verspüren, ihren Nutzen in die Gesellschaft einzubringen. Der Sieg des Proletariats auf Weltebene wird hier neue und ungeahnte Möglichkeiten erschließen. Niemand wird ihnen sagen, dass sie überflüssig sind; sie werden ermutigt werden mitzumachen. Man wird z.B. nicht wie im Kapitalismus auf die Uhr schauen und schon nach Arbeitsbeginn die Stunden und Minuten bis zum Ende der Arbeit zählen. Je mehr man sich dem Zustand des Kommunismus annähert, desto eher wird die Arbeit an Vielseitigkeit und Reichhaltigkeit gewinnen, bis sie selbst immer mehr zu einem Genuss, zu einem elementaren Bedürfnis wird, so dass sie nicht mehr als Mittel zum Zweck des Überlebens empfunden wird. Die Menschen werden sich vermutlich nur wenige Stunden am Tag einer Tätigkeit widmen, um nicht bei einer Arbeit zu “versauern". Stattdessen werden sie das Interesse und die Möglichkeit haben, sich in anderen Bereichen gleichermaßen zu betätigen, damit sie nicht auf eine Tätigkeit beschränkt bleiben. Insofern kommt es zur Entwicklung und Freisetzung aller möglichen Fähigkeiten. Es wird ein schöpferisches Potenzial und damit eine Vielseitigkeit gefördert und freigesetzt, von der wir nur erahnen können, welch enormen Schwung und welche Schaffenskraft sie mobilisieren wird. Sicher ist, dass die Arbeitszeit – sobald die Macht des Proletariats auf Weltebene gefestigt und die größten Schäden beseitigt sind, die aus dem jahrhundertelangen Wüten des Kapitalismus selbst, aber auch dem Bürgerkrieg herrühren – nach Möglichkeit deutlich schnell gesenkt werden wird, weil wir anfangen werden, nur nützliche Güter zu produzieren und keine Tauschgüter, weil wir die höchst entwickelten Technologien verwenden und weil all die unzähligen Unterbeschäftigen bzw. Beschäftigungslosen in den Produktionsprozess integriert werden. Ja, das Proletariat wird schon direkt nach der Machtergreifung nach Möglichkeit versuchen, die Arbeitszeit zu reduzieren. Dies nicht nur aus kulturellen, sondern auch und vor allem aus politischen Erwägungen: Eine Klasse, die von morgens bis abends schuften muss, wird nur schwer in der Lage sein, eigenhändig die Macht auszuüben. Diese Reduzierung der Arbeitszeit wird allen Menschen Zeit und Gelegenheit bieten, ihre Schaffenskraft in verschiedenster Art auszuleben.

     

    Insofern wird die ganze wirtschaftliche Entwicklung immer weniger an den für den Kapitalismus üblichen Produktivitätskriterien gemessen werden können. Stattdessen zählt das Glücksgefühl, die Freude an der Arbeit, die Genugtuung und Befriedigung, sich in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, seine Fähigkeiten in ein gesellschaftliches Ganzes, in ein Gesamtwerk einbringen zu können. In diesem Prozess wird die Entfremdung überwunden, der Widerspruch zwischen kollektiver Produktion und individueller Aneignung aufgehoben und die Warenwirtschaft zugunsten der Gebrauchsgüterproduktion beendet, was langfristig die ganze Wirtschaft umkrempeln wird. Anders als im Kapitalismus wird so die größte Kreativität der Menschheit freigesetzt werden. Dies wird nur auf zentralisierte Weise möglich sein. Hier kommt ein dialektisches Verhältnis zum Tragen. Die Freisetzung lokaler Initiativen kann nur wirklich produktiv und im Sinne der ganzen Menschheit sein, wenn sie zielgerichtet in ein Ganzes eingebettet und gesteuert wird. Damit wird eine wichtige Gegenkraft zu den bürgerlichen Eigentumsverhältnissen wirksam, wo Konkurrenz und Profitstreben den Blick auf den “eigenen" Betrieb verengen. Deshalb wäre es ein Irrtum zu glauben, die Verwaltung der Wirtschaft durch die Arbeiterklasse sei “Sache der einzelnen Betriebe". In einer “Wirtschaftsordnung", in der die Arbeiterräte das Sagen haben, befinden sich die Betriebe nicht im Eigentum der jeweiligen Arbeiterräte. Vielmehr sind sie gesellschaftliches Eigentum. Entscheidend ist, dass aus revolutionärer Sicht die Wirtschaft in der Übergangsperiode nicht durch die Vergangenheit, durch das im unterschiedlichen Maße noch vorhandene Substrat des Kapitalismus bestimmt sein wird, sondern durch die Zukunft, durch das große Ziel der Befreiung der Produktivkräfte und der Kreativität der Menschheit von den Fesseln des Privateigentums und der Nationalgrenzen.

     

    Du fragst: Was passiert, wenn ein Arbeiter aus dem Betrieb scheidet? Im Kommunismus verlässt er eigentlich nur eine Wirkungsstätte, aber nicht einen irgendwie gearteten Eigentumsbereich. Und auch unter der Diktatur des Proletariats, unter der Herrschaft der Arbeiterräte, werden die Beschäftigten schrittweise von der Geißel der Arbeitslosigkeit, aus der Abhängigkeit eines bestimmten Betriebs befreit. Die Selbstverwaltung der Betriebe stützt sich auf eine Einbettung der Betriebe in ein gesellschaftlich organisiertes, zentralisiertes Ganzes. Die dort tätigen ArbeiterInnen sind insofern nicht einem einzeln Betrieb treu ergeben. Mehr noch: Arbeiterräte sind immer ein Ort der Zentralisierung, d.h. der Überwindung der jeweiligen örtlichen Besonderheiten. Sie stellen eine Zusammenführung der Interessen aller ArbeiterInnen dar. Da in ihnen Delegierte zunächst aus einer Stadt, dann aus einer Region, aus einem Land, schließlich auch auf Weltebene zusammengeschlossen sind, besteht gerade die ganze Dynamik darin, die jeweiligen Besonderheiten hinter sich zu lassen und nach dem Ganzen, dem Zusammenführenden zu streben. Insofern beinhaltet die Dynamik des Arbeiterkampfes eine Abkehr von Partikularinteressen, die letzten Endes meist von den Eigentumsverhältnissen nicht getrennt werden können.

     

    Wir stimmen hier mit den Aussagen der GCF im o.g. Artikel überein: “Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen diesen Bereichen werden wahrscheinlich mannigfaltige Formen einnehmen, von sozialistisch-kooperativen Beziehungen bis hin zum freien Austausch von Waren zwischen dem Staat und den Kleinbesitzern und auch unter den einzelnen, isolierten Produzenten selbst. Die Probleme der Produktion, des Austausches, der Preise, des Marktes und des Geldes werden ebenfalls mannigfaltige Formen annehmen. Die Wirtschaftspolitik des Proletariats wird diese Situation in Betracht ziehen müssen, wobei es bürokratische Gewalt als Mittel der Regulierung des Wirtschaftslebens ablehnt, und sich allein auf die realen Möglichkeiten der Technologieentwicklung stützt, um die private Produktion zu absorbieren. Es wird danach streben, das Privateigentum und die isolierten Hersteller durch Einverleibung in die große Familie des Proletariats auszumerzen. 21) Die Verwaltung des sozialen und Wirtschaftslebens ist eng verknüpft mit der Gesamtheit der nationalen und internationalen Produktion. Sie verlangt, daß erhebliche Kräfte in Bewegung gesetzt werden und systematisch geplant wird. Allein eine zentralisierte Verwaltung kann dies sicherstellen. Es sei denn, man möchte jedes Mitglied und jede Gruppe der Gesellschaft in viele kleine Eigentümer umwandeln, alle mit ihren eigenen, widerstreitenden Interessen. Was bedeuten würde, zu der Epoche der einfachen Warenproduktion zurückzukehren, die vor langem durch die historische Entwicklung der Industrie ausgelöscht wurde."

     

    Du hast Recht, dass die “Selbständigen", sprich die Klein- und Mittelbetriebe, oft die dynamischsten Elemente im Kapitalismus darstellen. Insbesondere leisten sie einen recht großen Beitrag zur technologischen Erneuerung. Und im Gegensatz zu den großen und auch die mittleren Betrieben, die zügig sozialisiert werden müssen, werden die Kleinbetriebe eher schrittweise von der sozialisierten Produktion absorbiert. Aber ihre Rolle als “Erneuerer" wird sehr rasch hinfällig werden. Sie werden sehr bald durch die “selbständige", aber kollektive Kreativität der Arbeiterinnen und Arbeiter selbst überflügelt werden.

     

     

    Staatliches Eigentum versus Vergesellschaftung

    Die nur sehr kurze und beschränkte Erfahrung in Russland zeigt auf, dass die Arbeiterklasse mit der politischen Machtergreifung und der Absetzung der herrschenden Klasse natürlich noch nicht die kapitalistischen Verhältnisse aus der Welt geschafft hatte. In Russland fanden sich die Arbeiter nach 1917 einem Staat gegenüber, der nicht mehr der alte Kapitalistenstaat war. In diesem neuen Staat wurden die Betriebe verstaatlicht, wodurch er seine Macht und seine Position auf Kosten der Arbeiterklasse ausbauen konnte. Je mehr die Arbeiterklasse politisch geschwächt wurde (internationale Isolierung des Proletariats, schrittweise Entmachtung der Räte, Auflösung derselben bzw. ihre Verwandlung zu staatstragenden Organen), desto mehr Macht entwickelte dieser Staat. Die Arbeiterklasse wird deshalb in Zukunft alles daran setzen müssen, einer Verstärkung des Staates entgegenzuwirken. Die Vergesellschaftung der Betriebe heißt damit nicht einfach die Betriebe in die Hände des Staates zu legen, den Staat also zum neuen Eigentümer zu machen, sondern die Leitung der Betriebe durch die Arbeiterklasse. Man kann hier hinzufügen, dass die Arbeiterklasse heute im Vergleich zu Russland 1917 in ihren Reihen über eine Vielzahl hoch ausgebildeter Fachkräfte verfügt, die ihr Know-how mit einbringen können. Die kapitalistischen Manager werden alle überflüssig sein. Schnell wird sich die Frage stellen, wie sinnvoll und unter welchen Gesichtspunkten die Produktion organisiert werden kann, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Dazu können die alten Manager überhaupt keinen spezifischen Beitrag leisten. Und dennoch wird, solange Mangel herrscht, auch ein Staat vorhanden sein, der diesen Mangel verwalten wird. Wie dieser Staat absterben wird, welch aktiver Prozess erforderlich sein wird, dazu vielleicht in einer weiteren Korrespondenz mehr.

     

    Als weiterführende Lektüre empfehlen wir einen Artikel von Rosa Luxemburg aus Band 4 der Gesammelte Werke, den wir hier als Anhang beifügen

     

     

    Rosa Luxemburg:

    Die Sozialisierung der Gesellschaft

    1918

    In: Gesammelte Werke, Bd. 4. S. 431-434.

     

     

    Die jetzt begonnene Revolution des Proletariats kann kein anderes Ziel und kein anderes Ergebnis haben als die Verwirklichung des Sozialismus. Die Arbeiterklasse muss vor allem danach trachten, die ganze politische Macht im Staate in die eigenen Hände zu bekommen. Aber die politische Macht ist für uns Sozialisten nur Mittel. Der Zweck, zu dem wir die Macht gebrauchen müssen, ist die Umwandlung von Grund aus der ganzen wirtschaftlichen Verhältnisse. Heute gehören alle Reichtümer: die größten und besten Ländereien, die Gruben und Werke sowie die Fabriken, einigen wenigen .Junkern und Privatkapitalisten. Die große Masse der Arbeiter bekommt nur für schwere Arbeit von jenen Junkern und Kapitalisten einen kargen Lohn zum Leben. Die Bereicherung einer kleinen Anzahl von Nichtstuern ist der Zweck der heutigen Wirtschaft. Dieser Zustand soll beseitigt werden. Alle gesellschaftlichen Reichtümer, der Grund und Boden mit allen Schätzen, die er in seinem Schoß und an seiner Oberfläche birgt, alle Fabriken und Werke, müssen als Gemeingut des Volkes den Ausbeutern aus der Hand genommen werden. Die erste Pflicht, die eine wirkliche Arbeiterregierung hat, ist die, durch eine Reihe von Machtsprüchen die wichtigsten Produktionsmittel als Nationaleigentum zu erklären und unter die gesellschaftliche Kontrolle zu stellen. Dann beginnt aber erst die eigentliche und die schwierigste Aufgabe: der Aufbau der Wirtschaft auf ganz neuen Grundlagen. Heute wird die Produktion in jedem Unternehmen von dem einzelnen Kapitalisten auf eigene Faust geleitet. Was und wie produziert werden soll, wo, wann und wie die hergestellten Waren verkauft werden sollen, bestimmt der Unternehmer. Die Arbeiter kümmern sich um all dies gar nicht, sie sind ja nur lebende Maschinen, die ihre Arbeit zu verrichten haben. In der sozialistischen Wirtschaft muss dies alles anders werden! Der private Unternehmer verschwindet. Die Produktion hat dann nicht mehr den Zweck, einen einzelnen zu bereichern, sondern der Allgemeinheit Mittel zur Befriedigung aller Bedürfnisse zu liefern. Demgemäß müssen die Fabriken, Werke, die landwirtschaftlichen Betriebe nach völlig neuen Gesichtspunkten umgestaltet werden:

     

    Erstens : Wenn die Produktion den Zweck haben soll, allen ein menschenwürdiges Leben zu sichern, allen reichlich Nahrung, Kleidung und sonstige kulturelle Existenzmittel zu liefern, dann muss die Ergiebigkeit der Arbeit eine viel größere sein als heute. Die Äcker müssen eine viel höhere Ernte liefern, in den Fabriken muss die höchste Technik angewendet werden, von den Kohlen- und Erzgruben müssen nur die allerergiebigsten ausgebeutet werden usw. Daraus folgt, dass die Sozialisierung sich vor allem auf die Großbetriebe in der Industrie und Landwirtschaft erstrecken wird. Dem Kleinbauern und dem Kleinhandwerker, die sich mit eigener Arbeit auf ihrem Stückchen Land oder in ihrer Werkstatt durchschlagen, brauchen und wollen wir ihr bisschen Besitz nicht wegnehmen. Sie alle werden schon mit der Zeit freiwillig zu uns kommen und die Vorzüge des Sozialismus vor dem Privateigentum einsehen lernen.

     

    Zweitens: Damit alle in der Gesellschaft den Wohlstand genießen können, müssen alle arbeiten. Nur wer irgendeine nützliche Arbeit für die Allgemeinheit verrichtet, sei es Handarbeit oder Kopfarbeit, darf beanspruchen, dass auch er Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse von der Gesellschaft zugewiesen bekommt. Ein müßiges Leben, wie es jetzt die reichen Ausbeuter meist führen, hört auf. Allgemeine Arbeitspflicht für alle Arbeitsfähigen, wovon natürlich kleine Kinder sowie Greise und Kranke ausgenommen sind, ist in der sozialistischen Wirtschaft eine Selbstverständlichkeit. Für die Arbeitsunfähigen muss die Allgemeinheit ohne weiteres sorgen – nicht wie heute durch kümmerliche Almosen, sondern durch reichliche Verpflegung, gesellschaftliche Erziehung für Kinder, behagliche Versorgung für Alte, öffentliche Gesundheitspflege für Kranke usw.

     

    Drittens muss von denselben Gesichtspunkten aus, das heißt zum Wohl der Allgemeinheit, mit Produktionsmitteln wie mit Arbeitskräften verständig gewirtschaftet und gespart werden. Die Vergeudung, wie sie heute auf Schritt und Tritt stattfindet, muss aufhören. So müssen natürlich die gesamten Kriegs- und Munitionsindustrien abgeschafft werden, denn die sozialistische Gesellschaft braucht keine Mordwaffen, und anstatt dessen müssen die darin verwendeten kostbaren Stoffe und Arbeitskräfte für nützliche Produktionen verwendet werden. Ebenso müssen die Luxusindustrien verschwinden, die heute allerlei Firlefanz für die reichen Nichtstuer herstellen, und ebenso die persönliche Dienerschaft. Alle die hier festgelegten Arbeitskräfte werden eine nützlichere und würdigere Beschäftigung finden.

     

    Wenn wir nun auf diese Weise ein Volk von Arbeitenden herstellen, wo alle für alle arbeiten, zum allgemeinen Wohl und Nutzen, dann muss viertens die Arbeit selbst ganz anders gestaltet werden. Heutzutage ist die Arbeit in der Industrie wie in der Landwirtschaft und auch im Kontor oder Büro meist eine Qual und eine Last für die Proletarier. Man geht zur Arbeit, weil man muss, weil man sonst die Mittel zum Leben nicht bekommen würde. In der sozialistischen Gesellschaft, wo alle gemeinsam zum eigenen Wohle arbeiten, muss natürlich bei der Arbeit auf die Gesundheit und die Arbeitslust die größte Rücksicht genommen werden. Kurze Arbeitszeit, die die normale Leistungsfähigkeit nicht übersteigt, gesunde Arbeitsräume, alle Mittel zur Erholung und Abwechslung der Arbeit müssen eingeführt werden, damit jeder mit Lust und Liebe an seinem Teil schafft. Zu allen diesen großen Reformen gehört aber ein entsprechendes Menschenmaterial. Heute steht hinter dem Arbeiter der Kapitalist mit seiner Peitsche – ob selbst, ob durch seine Werkmeister und Aufseher. Der Hunger treibt den Proletarier in die Fabrik, zum Junker oder Großbauern auf die Arbeit, ins Büro, in das Kontor. Der Unternehmer passt dann schon auf, dass die Zeit nicht vertrödelt, dass Material nicht vergeudet, dass gute und tüchtige Arbeit geliefert wird. In der sozialistischen Wirtschaft fällt der Unternehmer mit seiner Peitsche fort. Die Arbeiter sind hier freie und gleiche Menschen, die zu eigenem Wohl und Nutzen arbeiten. Da heißt es eben, von selbst, aus eigenem Antrieb fleißig arbeiten, keine Verschwendung mit dem gesellschaftlichen Reichtum treiben, reellste und pünktlichste Arbeit liefern. Jede sozialistische Unternehmung braucht natürlich ihre technischen Leiter, die die Sache genau verstehen, die das Nötigste anordnen, damit alles klappt, damit die richtigste Arbeitsteilung und die höchste Leistungsfähigkeit erzielt wird. Da heißt es nun, diesen Anordnungen willig und voll und ganz folgen, Disziplin und Ordnung halten, keine Reibungen, kein Durcheinander herbeiführen. Mit einem Wort: Der Arbeiter der sozialistischen Wirtschaft muss zeigen, dass er auch ohne die Hungerpeitsche, ohne den Kapitalisten und seinen Antreiber hinter dem Rücken fleißig und ordentlich arbeiten, Disziplin halten und sein Bestes leisten kann. Dazu gehören innere Selbstzucht, geistige Reife, sittlicher Ernst, dazu gehört das Gefühl der Würde und der Verantwortlichkeit, eine ganze innere Wiedergeburt des Proletariers. Mit faulen, leichtsinnigen, egoistischen, gedankenlosen und gleichgültigen Menschen kann man keinen Sozialismus verwirklichen. Sozialistische Gesellschaft braucht Menschen, von denen jeder an seinem Platz voller Glut und Begeisterung für das allgemeine Wohl ist, voller Opferfreudigkeit und Mitgefühl für seine Mitmenschen, voller Mut und Zähigkeit, um sich an das Schwerste zu wagen.

     

    Wir brauchen aber nicht etwa Jahrhunderte oder Jahrzehnte zu warten, bis ein solches Geschlecht von Menschen heranwachse. Gerade jetzt, im Kampf, in der Revolution lernen die Massen der Proletarier den nötigen Idealismus und erwerben sich früh die geistige Reife. Mut und Ausdauer, innere Klarheit und Opferfreudigkeit brauchen wir ja auch, um die Revolution überhaupt weiter zum Siege zu führen. Indem wir tüchtige Kämpfer der heutigen Revolution werben, schaffen wir künftige sozialistische Arbeiter, wie sie als Grundlage einer neuen Ordnung sein müssen. Zumal die arbeitende Jugend ist zu diesen großen Aufgaben berufen. Sie wird ja als die künftige Generation ganz sicher schon das wahre Fundament der sozialistischen Wirtschaft bilden. Es ist nun ihre Sache, jetzt schon zu zeigen, dass sie der großen Aufgabe als Trägerin der Zukunft der Menschheit gewachsen ist. Es ist eine ganze alte Welt noch zu stürzen und eine ganze neue aufzubauen. Aber wir schaffen's, junge Freunde, nicht wahr? Wir schaffen's! Wie heißt es doch im Lied:

     

    Uns fehlt ja nichts, mein Weib, mein Kind,

     

    als all das, was durch uns gedeiht,

     

    um so frei zu sein, wie die Vögel sind:

     

    nur Zeit!

     

     

     

     

    Rosa Luxemburg:

     

    Politische Strömungen und Verweise: 

    • Rätismus [28]

    Theoretische Fragen: 

    • Kommunismus [29]

    Erbe der kommunistischen Linke: 

    • "Selbstverwaltung" [30]

    Weltrevolution Nr. 145

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    Weltrevolution Nr. 145

    Aktuelles und Laufendes: 

    • 11. September [31]

    Flugblatt aus der Türkei: Die Tagesordnung der türkischen Bourgeoisie - Krieg, Terror, Chaos und Barbarei

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    Am 17. Oktober stimmte das türkische Parlament mit überwältigender Mehrheit für das Recht der türkischen Armee, die kurdischen Guerillas der PKK bis zu ihren Basen im Nordirak zu verfolgen. Vier Tage später wurden 13 türkische Soldaten in einem PKK-Hinterhalt getötet, was die Flammen einer Kriegskampagne, die bereits begonnen hatte, weiter anfachte. Überall in der Türkei wurden nationalistische Demonstrationen - einige von ihnen sehr groß - organisiert, die von der Armee, der Polizei, der Mehrheit der politischen Parteien und der Gewerkschaften, den Medien und dem Bildungssystem uneingeschränkt unterstützt wurden. Jeder Bürger ist gezwungen, eine türkische Fahne aus seinem Fenster zu hängen oder sie zu Fußballspielen mitzutragen. Geschäfte und Amtsgebäude wetteifern darum, wer die größte Fahne raushängt.

    Für die herrschende Klasse der Türkei ist dies Teil des "Krieges gegen den Terrorismus", der natürlich den US-Stempel trägt. Doch die amerikanische Bourgeoisie, die mit Sicherheit die Türkei als Schlüsselalliierten in ihrer militärischen Strategie im Mittleren Osten betrachtet, ist im Großen und Ganzen nicht glücklich über diese Entwicklungen. Kurz vor der Erklärung des türkischen Parlaments stellte die demokratische Mehrheit des US-Kongresses die Frage nach der Leiche im Keller der Türkei - dem Massaker an den Armeniern 1915. Die Republikaner mit Bush an ihrer Spitze warnten davor, die Türken durch die Beschreibung dieses Gemetzels als eine Form des "Genozids" zu verärgern. Doch im Anschluss an der Abstimmung im türkischen Parlament am 17. Oktober warnte selbst Bush davor, dass eine Eskalation durch die türkische Präsenz im Nordirak (Bush selbst ließ die Bemerkung fallen, dass die türkische Armee bereits einige Truppen dort stehen hat) die fragile Stabilität in der autonomen kurdischen Region unterminieren könnte - in der einzigen "friedlichen Oase" Iraks, nachdem die US-Invasion und der Sturz Saddams das Land in totales Chaos gestürzt hatten. Die Türken beschuldigen die herrschenden kurdischen Parteien, die PKK zu unterstützen und zu ermutigen, und obgleich Barsani, Talabani und Konsorten (Iraks wichtigste kurdische Politiker) die PKK gezwungen haben, ihre Angriffe einzustellen, bleibt die Lage äußerst angespannt. Barsani erklärte beispielsweise, dass sie (die Regierung des kurdischen Nordiraks mit ihren intakten Kräften der Peshmerga) sich auf jeden Fall selbst verteidigen werde, auch wenn sie nicht in irgendeinen Konflikt hineingezogen werden will.

    Dieser schwelende Konflikt an der türkisch-irakischen Grenze ist ein weiteres Kapitel in der Horrorgeschichte, die mittlerweile einen offenen Krieg im Irak, im Libanon, in Afghanistan und und in Israel/Palästina sowie die Gefahr weiterer Konflikte beinhaltet, die sich auf den Iran und auf Pakistan ausweiten könnten. Angesichts dieses Abgleitens in die Barbarei und das Chaos haben die Genossen der internationalistischen Kommunistischen Linken in der Türkei mit der Herausgabe einer internationalistischen Stellungnahme geantwortet, die wir im Folgenden abdrucken. Sie haben sie zusammen mit ihrem jüngsten Bulletin "Nächtliche Bemerkungen" als Flugblatt verteilt, das sich auch auf die militanten Streiks bei der türkischen Telekom bezog und auf solcherlei Kämpfe als einzige Alternative zu Militarismus und Krieg hinwies. Die Genossen der EKS intervenieren in einem Klima der staatlich unterstützten Kriegshysterie, und das in einem Land, wo (wie jeder weiß, der Orhan Pamuks Buch "Schnee" gelesen hat) der politische Mord eine lange Tradition hat. Sie verdienen die Solidarität und die Unterstützung der Revolutionäre überall auf der Welt.  Amos (31. Oktober 07)

     

    Flugblatt der EKS

    Einmal mehr erhalten wir bestürzende Nachrichten über weitere Opfer der Arbeiterkinder für den brutalen Krieg im Südosten. Die Bourgeoisie und ihre Medien sind dabei, wie stets nach mehr Blut und Chaos zu dürsten. Als Folge davon suchen nun die Menschen nach "Terroristen" auf den Straßen. Doch wie konnte dies geschehen?

    Nun, der bürgerliche Staat befindet sich in einem Zustand der Krise, die lange Zeit nicht sichtbar war. Die ökonomische Ursache, die ihr zugrunde liegt, ist in der Tatsache begründet, dass die ArbeiterInnen in der Türkei nicht so viel Blut haben, wie die Bourgeoisie schlucken möchte, und, als ob dies nicht genug wäre, auch noch - wie bei der Turkish Airline gestern und noch stärker in den Streiks bei Türk Telekom und bei Novamed heute - Widerstand leisten. Die wachsenden internationalen Schulden, das immer fiktivere Kapitalvermögen und die Anfälligkeiten des "Geldmarktes" - all diese Konsequenzen werden auf den Rücken der ArbeiterInnen abgewälzt. Die Bourgeoisie pumpt den Rassismus auf, um diese Situation fortzusetzen, in der kurdische ArbeiterInnen zu einem noch billigeren Preis ausgebeutet und türkische ArbeiterInnen dem Elend auf den Straßen überlassen werden. Die politische Konsequenz aus dieser Lage ist der Schlachtruf, den wir derzeit vernehmen und der keineswegs eine Lösung darstellt. Die ideologischen Mauern des bürgerlichen Staates bröckeln mit jedem Tag immer mehr. Je fragwürdiger die Umstände sind, in denen die ArbeiterInnen leben, desto mehr wird das Kapital die Gesellschaft in die Degeneration, den Niedergang und Zerfall stoßen und um so mehr wird es seine gesellschaftliche Legitimation verlieren, die ihm zuvorderst seine Bedeutung verleiht. Die Antwort der bürgerlichen Politiker auf die jüngsten Massaker lautet wie folgt:

    Für den nationalistischen Flügel der Bourgeoisie ist es wie immer eine "Verschwörung" der Vereinigten Staaten. Ihnen zufolge "wird der Terror ausradiert", sofern die türkische Armee in den Irak einmarschiert. In Wahrheit ist es gerade drei Jahre her, als die Vereinigten Staaten selbst wollten, dass die jungen Männer der türkischen Arbeiterklasse in den Kampf gegen die ArbeiterInnen im Irak ziehen. Doch die türkische Bourgeoisie war nicht imstande, dem Folge zu leisten, da sie unfähig und zu schwach war, die Arbeiter zu überzeugen, in den Krieg zu ziehen. Wahr ist, dass die türkische Bourgeoisie stets mit den Vereinigten Staaten verbündet war und die bewaffneten Kräfte der Türkei Gewehr bei Fuß standen, um, falls notwendig, ArbeiterInnen im Libanon und in Afghanistan zu töten. Daher gibt es entgegen der Lügen des nationalistischen Flügels der Bourgeoisie, die er den ArbeiterInnen aufzutischen versucht, keine divergierenden Interessen zwischen ihr und dem amerikanischen Imperialismus; ganz im Gegenteil, es gibt gemeinsame Interessen, und die bewaffneten Kräfte der Türkei sind bewaffnete Vollstrecker dieser Allianz. Darüber hinaus wird jegliches Massaker im Nordirak nicht nur den Tod von mehr Soldaten verursachen und noch mehr "Zivilisten" in Konzentrationslager pferchen sowie auf den Schlachtfeldern massakrieren, sondern dies wird auch mit noch mehr Bombenanschlägen in den wichtigsten Städten beantwortet werden.

    Der islamische und liberale Flügel der Bourgeoisie wird, zuverlässig wie immer, den Krieg befürworten. Selbstverständlich ist die Tatsache, dass er Zweifel darüber hegt, wie die "Operation" vonstatten gehen soll, lediglich ein Ausdruck seines Versuches, von den Vereinigten Staaten eine Erlaubnis zu erhalten. Für diesen Zweck hat er keine andere Wahl, als "geduldig" auf einen Kompromiss mit Barsani und Talabani zu warten.

    Was den linken Flügel der Bourgeoisie anbetrifft, so tut er nichts anderes, als sich auf seinem hohen Ross zu winden. Natürlich sei er nicht an Hunger, Elend, Armut und am Tod von ArbeiterInnen interessiert. Er verbiegt seine Rhetorik immer mehr in Richtung seiner Meister, um seine Stellung zu bewahren. Kurz: er demonstriert einmal mehr die Bedeutungslosigkeit des Parlaments.

    Infolgedessen werden auch die ArbeiterInnen der Türkei in die Sackgasse von mehr Kriegen, Zerstörung, Terror und Chaos gezogen, die von einer Bourgeoisie über den Mittleren Osten verhängt wird, die sich weder um ihr Leben noch um ihren Tod kümmert. Dies, weil der Kapitalismus die Exekution seiner unlösbaren Krise nur hinausschieben kann, indem er die Menschheit in immer größere Zerstörung zerrt.

    Die Antwort des Proletariats wirft ein Licht auf den Ausweg, wie wir im Telekom-Streik sahen. Ein einziger Streik, der nur einige Tage dauerte, reichte aus, um die Bourgeoisie ins Stolpern zu bringen. Nur wenn die ArbeiterInnen sich mit ihrer Klasse solidarisieren, um solche Kämpfe auszuweiten, und nur wenn die ArbeiterInnen auf internationaler Ebene Nein zum Krieg sagen, kann das kapitalistische Massaker gestoppt werden. Der Weg, Krieg und Massker aufzuhalten, ist nicht, sie auszuweiten und zu vertiefen, sondern eine Klassensolidarität über die Grenzen hinweg zu errichten, die keine militärische Front dabei ausspart. Die Feinde sind nicht die Klassenbrüder und -schwestern in anderen Ländern, sondern die Kapitalisten hierzulande, die es sich in ihren warmen Häusern bequem machen!

    Kosmoprolet & Aufheben Klassenkampf und Generationen

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    In den letzten Monaten sind zwei Zeitschriften erschienen, die wichtige Beiträge zur politischen Debatte der Arbeiterklasse leisten. Im Juni 2007 erschien Kosmoprolet, die Zeitschrift der Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft. Dieses ca. 140 Seiten umfassende Heft bringt einen Beitrag zur Lage in Venezuela unter Chavez sowie verschiedene Artikel über die Gedankenwelt der Autonomie und über die aktuelle Debatte innerhalb dieses Milieus in Italien. Vor allem aber werden darin 28 "Thesen zur Klassengesellschaft" vorgestellt, die einen bedeutenden Beitrag zur Debatte über programmatische Fragen sowie über die Lage der Welt von heute beinhalten (www.klassenlos.tk [32]). Im Herbst 2007 ist nun die zweite Ausgabe der Zeitschrift Aufheben ([email protected] [33]) erschienen. Während die erste Nummer verschiedene Beiträge zur Frage der Religion brachte, konzentriert sich die neue Ausgabe auf Fragen des Klassenkampfes. Sowohl aktuelle Kämpfe werden berücksichtigt (ein Genosse von Eiszeit in der Schweiz analysiert den Streik bei Swissmetal in Reconvilier - www.eiszeit.tk [13]) als auch historische Studien, wie der Artikel über die "Rückkehr der Wobblies" (www.wobblies.de [34]). Und während der Genosse "Red Devil" sich mit den politischen Lehren aus dem geschichtlichen Verlauf des Klassenkampfes befasst (www.geocities.com/raetekommunismus [35]), stellt der Diskussionszirkel Rheinland (https://de.geocities.com/zirkelrunde/ [36]) die Frage, inwiefern die Anzeichen des Massenstreiks, so wie Rosa Luxemburg sie vor ziemlich genau 100 Jahre ausmachte, sich in den Klassenkämpfen von heute bereits ankündigen.

    Während Kosmoprolet mit den besagten 28 Thesen eher bestrebt zu sein scheint, eine Art von Minimalkonsens innerhalb der eigenen Reihen herzustellen, bleibt die Redaktion von Aufheben ihrer bisherigen Praxis treu, verschiedene Stimmen (z.B. zu einem bestimmten Themenkomplex) zu Wort kommen zu lassen. Dazu heißt es: "Wir meinen allerdings, dass unsere Form des ‚Pluralismus' derzeit der Entwicklung innerhalb des revolutionären Lagers am ehesten entspricht." Zugleich wird im Editorial von Aufheben der Wunsch geäußert, das eigene Zeitungsprojekt mit dem von Kosmoprolet zusammenzuführen. Wir hoffen, dass ein solcher Schritt, sollte er Wirklichkeit werden, eine noch größere Öffnung der politischen Debatte mit sich bringt, eine weitere Vermehrung der Diskussionsbeiträge.

    Die zweite Ausgabe von Aufbrechen ist aus unserer Sicht besonders interessant, weil sie sich schwerpunktmäßig mit den Klassenkämpfen Ende der 1960er Jahre befasst. Dabei füllt sie zwei wichtige Wissenslücken in Bezug auf diese Zeit, indem sie sowohl die Geschichte der Lehrlingsbewegung in der Bundesrepublik der 60er und 70er Jahre als auch die Vorgeschichte der Wiederaufnahme des Klassenkampfes in Deutschland ab 1969 (Stichwort: Septemberstreiks) wiederentdeckt. Die Artikel des Genossen Riga ("Ich will nicht werden was mein Alter ist!") sowie von Peter Birke ("Der Eigen-Sinn der Arbeitskämpfe: Wilde Streiks und Gewerkschaften in der Bundesrepublik vor und nach 1969") sind wertvolle Beiträge zur Wiederaneignung der Geschichte unserer Klasse. Die Tatsache, dass beide Artikel sich mit Aspekten des Klassenkampfes gerade in Deutschland befassen, hat mit Lokalpatriotismus nicht das Geringste zu tun. Im Gegenteil ist es ein Anliegen des internationalen Proletariats, die verschüttete Geschichte der Arbeiterkämpfe in diesem zentralen Land des Kapitalismus in Europa ans Tageslicht zu befördern.

    Birke bestätigt die Einsicht Rosa Luxemburgs, dass die historisch bedeutenden Momente des Klassenkampfes stets eine Vorgeschichte haben, durch einen unterirdischen Reifungsprozess vorbereitet werden. Schon lange vor 1969 stellt er eine Veränderung der Streikkultur fest, wozu u.a. viele lokale, wilde Streiks beigetragen haben. Wir erfahren, dass es zwischen 1949-76 mehr als 1.500 nicht gewerkschaftlich sanktionierte und somit illegale Streiks gegeben hat. Der Beitrag zur Lehrlingsbewegung wiederum macht klar, dass das internationale Wiederaufflammen des proletarischen Klassenkampfes Ende der 1960er mehr war als eine Häufung von wilden Streiks, sondern einherging mit einer veränderten Art und Weise, die Gesellschaft zu betrachten und in die Zukunft zu blicken.

    So wichtig das Schließen von Wissenslücken ist, das Heft von Aufbrechen leistet mehr. In mehreren Beiträgen finden wir die Erkenntnis wieder, dass die Kämpfe ab 1968 eine neue Geschichtsepoche einläuteten. Auch wird erkannt, dass wir uns heute erneut in einer Phase des langsam ansteigenden Klassenkampfes befinden. Wir finden diese Einsichten auch in den Thesen von Kosmoprolet. These 16 sagt dazu: "Der Pariser Mai und der ‚schleichende Mai' in Italien sind Gipfelpunkte einer neuen Welle von Klassenkämpfen, die ab 1968 die entwickelten Regionen der Welt erschütterten" (S. 31).  Man zeigt auf, wie der Klassenkampf heute die internationalen Bewegungen des Kapitals auf Schritt und Tritt begleitet bzw. begleiten wird. "Aber bald entdeckt auch das Kapital, dass es, wohin auch immer es wandelt, den Klassenkampf  im Gepäck mitschleppt. Nach wenigen Jahren erweisen sich die neuen Lohnarbeiter in New Delhi oder Shanghai als widerspenstige und undankbare Zeitgenossen, die die Kosten der Ausbeutung erneut nach oben treiben. In diesen Klassenkämpfen liegt die Hoffnung begründet, dass auf ein Jahrhundert der imperialistischen Mythologie eine neue Ära des proletarischen Internationalismus folgt." (These 20, S. 37, 38) Ursache dieser Bewegung ist die Verschärfung der Lage des gesamten Weltproletariats: "Spiegelbildlich zur Entstehung neuer Arbeiterklassen in der bisherigen Peripherie kehrt in den alten Zentren die verschwunden geglaubte Verelendung wieder." (These 22, S. 39)

    Es setzt sich unter den Politisierten immer mehr die Erkenntnis durch, dass die Entwicklung der Kämpfe von heute und von morgen die Lehren und die Inspiration von damals dringend braucht, um ihr Potenzial voll ausschöpfen zu können. Diese Notwendigkeit wird umgekehrt und in negativer Weise bestätigt durch die Versuche der herrschenden Klasse, diesem Prozess entgegenzutreten. "Das zu verhindern ist der Grund dafür, dass seit geraumer Zeit die bürgerlichen Medien eine öffentliche Kampagne gegen die 68er Bewegung lancieren, um auch diesen Teil der Geschichte des Kapitals und seiner Klassenkämpfe in ihren Sinne zu entsorgen. So werden die damaligen Ereignisse z.B. auf die Ideologien und Interventionen der RAF, der Kommune 1 usw. zurechtgestutzt. Als hätte es, außer in den Köpfen von ein paar ‚Spinnern' keine Klassenkämpfe in der BRD gegeben." (S. 48, Fußnote 169).

     

    Klassenkampf und Krise

    Eine andere Erkenntnis des Artikels von Peter Birke ist, dass der Klassenkampf des Proletariats ein ständiges Phänomen ist, das selbst in den Phasen tiefster Niederlagen niemals ganz verschwindet. So der Streik vom Sommer 1955, der, von zwei Werften in Hamburg ausgehend, sich auf andere Betriebe und Städte ausdehnte. Dieser Kampf fand zwei Jahre nach dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR und ein Jahr vor der proletarischen Erhebung in Ungarn statt. Auch teilten die Kombattanten im "freien Westen" das Schicksal ihrer Klassenbrüder- und schwestern im Ostblock: Sie wurden als Agenten der Gegenseite im Kalten Krieg verleumdet und mit der nackten Gewalt des Staates konfrontiert. Das waren keine aussichtsreichen Zeiten für erfolgreiche Abwehrkämpfe. Jedoch zeigt die bloße Existenz dieser Kämpfe in Zeiten der Konterrevolution, wie irrig die Vorstellung ist, dass das Proletariat - von Ausnahmen abgesehen - sich gut und gerne im Kapitalismus einrichtet. Solche Eruptionen zeugen vielmehr davon, welcher Unmut, welche Ablehnung zu allen Zeiten sich innerhalb der Klasse anstaut, bis er sich einen Weg an die Oberfläche bahnen kann.

    Hochinteressant ist ebenfalls die sich wandelnde Rolle der Arbeitslosigkeit in der Geschichte des Klassenkampfes. Peter Birke schildert einen Vorfall bei Volkswagen Mitte der 1950er, als die Belegschaft sozusagen im Schlaf ihre Forderungen durchsetzen konnte. Es ging um einen Fahrkostenzuschuss. Die Betroffenen verharrten solange in ihren Fahrzeugen vor dem Werk, bis die Werksleitung nachgab. Gerade um diese Zeit begann die Phase, in der die Kapitalisten der Arbeiterklasse immer mehr Zulagen gewähren mussten, nicht so sehr wegen der Militanz der Belegschaften, sondern aufgrund der wachsenden Knappheit an Arbeitskräften. Damals hieß es: Kein Mensch arbeitet für Tariflohn. Was die Gewerkschaften aushandelten und stolz als das Ergebnis ihrer Stärke hinstellten, war keine Errungenschaft, sondern stellte den alleruntersten Minimallohn dar. Wie jede andere Ware im Kapitalismus ist auch die Ware Arbeitskraft geneigt, sich zu verteuern, wenn sie knapp wird. Einer der Auslöser der internationalen Welle des Klassenkampfes Ende der 1960er Jahre, die der Epoche der sozialdemokratischen und stalinistischen Konterrevolution ein Ende bereitete, war denn auch das Bemühen der Unternehmer, diese übertariflichen Zuschläge - die gewährt wurden, um die Stammbelegschaften zu halten - im Zeichen der zu Ende gehenden Nachkriegshochkonjunktur wieder rückgängig zu machen. Auch die Rückkehr der Inflation, sprich: die Entwertung der Reallöhne trieb die Arbeiterklasse damals in den Kampf - eine Tatsache, die Peter Birke kurioserweise nicht ausdrücklich erwähnt. Natürlich lag der tiefere Sinn dieser Kämpfe in der Infragestellung des Kapitalismus. Birke ist zuzustimmen, wenn er sagt, dass die Massenstreiks von damals auch eine Revolte gegen die Fabrik als solche, das Gefängnis und der Friedhof der lebendigen Arbeit waren. Aber dieses Gefängnis kann nur durch eine siegreiche sozialistische Revolution zertrümmert werden. Weder die Klasse noch die Lage insgesamt war dafür schon reif. Somit wiesen die Kämpfe dieser Zeit vornehmlich einen defensiven Charakter auf, auch wenn sie das gaullistische Regime in Frankreich 1968 zum Wanken brachten und die Fragen der Revolution sowie des wirklichen Sozialismus wieder aufwarfen.

    Damals glaubte z.B. die Autonomia in Italien, dass die Arbeiterkämpfe - sprich: die durch sie zuweilen erzielten hohen Lohnzuwächse bzw. die Einschränkungen der Ausbeutung - die Krise des Kapitalismus verursacht oder ausgelöst hatten. Tatsächlich aber war es so, dass die stärksten Reallohnzuwächse in den 1950er und 1960er Jahren erzielt wurden - in einer Phase also, in der die Wirtschaftskrise als überwunden galt und die Kampfkraft des Proletariats noch sichtlich geschwächt war! Die historische Wiederaufnahme des Klassenkampfes wiederum war eine Reaktion auf die Rückkehr der offenen Krise. Deshalb blieben die materiellen Errungenschaften dieser Kämpfe nur von kurzer Dauer.

    Die durch die Krise ausgelöste weltweite Welle von Kämpfen des Proletariats war ab Mitte der 1970er Jahre zunehmend auch eine Reaktion auf etwas, was man durchaus als den schrecklichen Normalzustand des dekadenten Kapitalismus bezeichnen kann: die Massenarbeitslosigkeit. Die Phase der Vollbeschäftigung, teilweise gar der Arbeitskraftverknappung in den Industriestaaten der Nachkriegszeit war eine zeitlich begrenzte Ausnahmesituation gegenüber dieser Entwicklung, die sich seit dem I. Weltkrieg durchgesetzt hatte. Es ist vornehmlich die Geißel der Arbeitslosigkeit - die von Marx beschriebene "industrielle Reservearmee" -, die dafür sorgt, dass die Akkumulation des Kapitals von einer Akkumulation des Elends auf Seiten des Proletariats begleitet wird. Auch heute arbeitet niemand mehr für den gewerkschaftlichen Tariflohn. Er wird überall unterschritten.

    Heute stricken Linkspartei und Globalisierungsgegner an der Legende des Keynesianismus, der in der Nachkriegszeit mittels Sozialstaat und starken Gewerkschaften für Wohlstand für alle gesorgt haben soll. Die Arbeiterkämpfe Ende der 1960er Jahre machen aber deutlich: Das Proletariat konnte auch deshalb so selbstständig außerhalb und auch gegen die Gewerkschaften kämpfen, weil es wusste, dass es die vorangegangenen Besserungen eben nicht den ewig zur "Lohnmäßigung" mahnenden Gewerkschaften zu verdanken hatte.

    Die Erklärung für die Renaissance des Klassenkampfes erschöpft sich eben nicht in der Erkenntnis über die "Veränderung der Streikkultur". Ein entscheidender Faktor war die Änderung der Perspektive. Im Vergleich zu heute schien das Niveau der Arbeitslosigkeit damals gering, das Ausmaß der Reallohneinbußen kaum minder. Entscheidend war, dass der Glaube an die "Wirtschaftswunderjahre", an einer allmählichen, aber stetigen Besserung der Lage der Lohnarbeiter innerhalb des Kapitalismus an Glaubwürdigkeit verlor.

     

    Die Autonomia und 1968-69

    Wie Rosa Luxemburg aufgezeigt hat, liegt das Wesen des Massenstreiks und dessen Heranreifung darin, dass die Gesamtheit der Lebens-, Arbeits-, Wohn- und Kulturbedingungen, kurz: der Reproduktionsbedingungen des Proletariats nach und nach im Kampf thematisiert und in öffentlichen Debatten reflektiert wird. So wird der Umsturz des Lohnsystems bis in seine Wurzeln hinein vorbereitet. Das ganze Spektrum dieses Kampfes findet seinen Widerhall in der breiten Palette der Forderungen, die Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre aufgestellt wurden.

    Demgegenüber neigte der bereits oben erwähnte Ansatz der Autonomia dazu, diese Kämpfe auf einige ihrer Aspekte zu reduzieren. Die Revolte gegen das Regime der Ausbeutung, gegen Fließband, Normerhöhung und sinnentleerte, entfremdete Arbeit wird als Kern der Bewegung angesehen. Der Kampf für Lohnerhöhungen als Reaktion auf die Verteuerung z.B. - die in Polen 1970 bis 1980 oder in der Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern eine so wichtige Rolle spielte - wird dagegen vergleichsweise ausgeblendet. Für die Theorie der Autonomia war das Streben der Facharbeiter nach Selbstverwaltung und nach der Bewahrung der eigenen kreativen Rolle im Produktionsprozess das Wesen der Oktoberrevolution in Russland sowie der Rätebewegung in Westeuropa am Ende des I. Weltkriegs. Die Ersetzung des Facharbeiters durch den ungelernten Massenarbeiter mittels Fordismus, Keynesianismus und Sozialstaat war die Reaktion des Kapitals auf diese Bedrohung. Aus dieser Sicht erklärt sich die Explosion des Klassenkampfes Ende der 60er Jahre dadurch, dass die Massenarbeiter nun so weit waren, den Aufstand gegen dieses Regime der Massenproduktion zu proben. Die Tatsache, dass dieser Kampf zu offenen Konfrontationen mit den Gewerkschaften, mit den sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien führte, wurde dadurch erklärt, dass die Arbeiter nicht mehr um ihren Platz in der Produktion rangen, sondern gegen die Arbeit an sich rebellierten, während die Organisationen der "alten Arbeiterbewegung" als Vertreter der Arbeitswelt mit dieser untrennbar verbunden waren.

    Der Standpunkt der Autonomisten in Italien der 1960er Jahre hatte einen großen Vorzug: Er erkannte ohne Wenn und Aber an, dass 1968 in Frankreich, 1969 in Italien usw. etwas wahrhaft Historisches auf der Ebene des Klassenkampfes vor sich ging. Demgegenüber versagten die mehr oder minder fossilen Überbleibsel der Kommunistischen Linken in Italien wie Programma Comunista oder Battaglia Comunista voll und ganz darin, die Bedeutung dieses Kampfes zu begreifen. Daher erklärt sich u.a. die Anziehungskraft des Operaismus heute, zu einer Zeit also, in der die politisierten Vorkämpfer des Proletariats das wahre Ausmaß und die wirkliche Bedeutung dieser Kämpfe wiederentdecken. Verschiedene Beiträge in Aufheben und in Kosmosprolet ringen noch um dieses Erbe des Operaismus bzw. um die Frage der Vereinbarkeit "operaistischer" und "linkskommunistischer" Theorien des Klassenkampfes. In mehreren Artikeln in Kosmoprolet, einschließlich der 28 Thesen, wie auch im Artikel von Birke in Aufheben finden wir sowohl Kritiken an der Sichtweise der Autonomie als auch die Wiederholung ihrer klassischen Thesen.

    Aus unserer Sicht jedenfalls kann die Theorie der Autonomia das Phänomen der Wiedergeburt des Klassenkampfes beschreiben, aber nicht wirklich erklären. Die Theorie der "Arbeiterwissenschaft", die die Gruppe um die Zeitschrift Quaderni Rossi zwischen 1961 und 1965 entwickelte, richtete sich ebenso ausdrücklich gegen den "Linkskommunismus" wie gegen den "Reformismus" (sprich: Sozialdemokratie oder Stalinismus). Sie warf der Kommunistischen Linken - sowohl der an die Notwendigkeit der Klassenpartei festhaltenden "Italienischen Linken" als auch dem "Rätekommunismus" - vor, genauso wenig wie der "Leninismus" verstanden zu haben, dass der Schwerpunkt des Klassenkampfes im Produktionsprozess selbst liegt. Das ist eine außerordentliche Einschränkung der Sichtweise. Kann man die Geschichte des Befreiungskampfes des Proletariats begreifen, ohne ihre theoretische oder organisatorische Dimension zu berücksichtigen? Kann man die Oktoberrevolution von 1917 in Russland oder die Novemberrevolution von 1918 in Deutschland verstehen, wenn man die Erhebung gegen den imperialistischen Krieg ausblendet? Kann man 1968 enträtseln, ohne die Selbstentlarvung des Stalinismus in der Tschechoslowakei und des demokratischen Westens in Vietnam, ohne das Unbehagen der Jugend weltweit gegenüber der kapitalistischen Kultur usw. in Betracht zu ziehen?

     

    Die Rolle der Generationen

    Neben der Wiederkehr der offenen weltweiten Krise des Systems gibt es einen anderen wichtigen Erklärungsansatz, um das Phänomen 1968 zu erklären: den Faktor Zeit. Einst hatte Marx darauf hingewiesen, als er, auf die biblische Geschichte des Auszugs des jüdischen Volkes aus Ägypten anspielend, anmerkte, das 40-jährige Umherirren in der Wüste erkläre sich dadurch, dass erst eine neue Generation das "Gelobte Land" betreten könne.

    Im Artikel über die Lehrlingsbewegung lesen wir dazu:

    "Vor diesen Hintergrund betrachtet ist die legendäre Streikwelle von 1969, welche nur wenig später ihren Auftakt während eines 2tätigen Spontanstreiks bei Hoesch in Dortmund nimmt, an dem sich ca. 27.000 beteiligten (entgegen allen Maßregelungsversuchen des DGB) ohne die vorwärtstreibende Kraft der jungen Arbeiter in den vorangegangenen Jahren eigentlich nicht mehr vorstellbar. Wenn in den Einschätzungen zur Bewegung der Arbeiter 1967-69 in verschiedenen revolutionären Zusammenhängen gelegentlich von einer ‚neuen Arbeiterbewegung' oder einer ‚neuen Generation von ungeschlagenen Proletariern' die Rede ist, also von denen, die nicht persönlich verstrickt waren in die unzähligen Niederlagen der alten Arbeiterbewegung, dann sind es konkret diese jungen Menschen gewesen. Nur ihnen konnte es zu dieser Zeit gelingen mit den überlebten Strukturen und Traditionen (der alten Arbeiterbewegung) zu brechen, da sie nicht in diesen verheimatet waren." (Aufheben, S. 33)

    Bis zu einem bestimmten Punkt war zur damaligen Zeit ein Bruch zwischen den Generationen notwendig, damit die Arbeiterklasse den durch die historische Niederlage der Weltrevolution entstandenen Mief und die Resignation und Verzerrung der Realität abschütteln konnte. Aber der Artikel zur Lehrlingsbewegung scheint auch zu erkennen, dass es sich hierbei zugleich um ein notwendiges Übel handelte. Der Artikel spricht in diesem Zusammenhang von einem Dilemma der Bewegung und zitiert Oswald Todtenberg, der 1971 über die Lehrlingsbewegung schrieb: "Entweder ist sie in erster Linie erfolgreich - in der Mobilisierung und Politisierung weiterer Jugendlicher - dann scheitert sie langfristig daran, dass die Jugendlichen allein weiter relativ unbedeutend für den Kampf um die Veränderung der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung bleiben. Oder sie wenden sich unmittelbar an die wichtigsten gesellschaftlichen      Gruppen, an die Arbeiter und Angestellten, und scheitern dabei vorläufig an der politischen Unbeweglichkeit dieser Gruppen, an der Tatsache also, dass diese nicht nur aktuell unpolitisch, sondern entpolitisiert worden sind." (S. 28)

    Der Klassenkampf war die Geburtsstätte der Lehrlingsbewegung, wie der Genosse Riga schreibt. Gleichzeitig hatten die Protagonisten das Gefühl, so etwas wie einer revolutionären Jugendbewegung anzugehören, die sie von der älteren Generation der Arbeiterklasse unterschied. Dies führte eine Zeitlang dazu, dass die Lehrlingsbewegung eine verbindende Rolle zwischen den Arbeitern und Angestellten einerseits und der kämpfenden Jugend in den Universitäten andererseits übernahm. Doch das Dilemma blieb. Tatsächlich war es das Aufflammen der Kämpfe in den Betrieben, das die Illusion über einen eigenständigen Kampf oder gar über eine führende Rolle der Studenten den Garaus machte. Diese Antwort der Arbeiterklasse folgte der Revolte der Studenten in Frankreich 1968 auf dem Fuße, in Deutschland erst 1969, also ca. zwei Jahre später. Der Artikel zitiert die "Rote Zelle Germanistik" innerhalb der SDS und der APO wie folgt: "Mit den Septemberstreiks wurde die Diskussion auf eine neue Grundlage gestellt. Die Streiks lösten nicht nur Begeisterung aus, sie führten auch zu einer Ernüchterung der Studenten, die erkennen mussten, dass sie trotz aller revolutionären Parolen sich total abstrakt zum Proletariat verhalten hatten, indem sie die Arbeiter als völlig ruhig, immer nur als Objekt der Agitation...nicht als Subjekt von Klassenkämpfen betrachtet hatten. Die Unfähigkeit der Studentenbewegung, den streikenden Arbeitern sinnvolle Unterstützung zu geben, führte zu der Frage, welche Rolle die revolutionäre Intelligenz im Klassenkampf zu spielen hätte, wobei uns zum ersten Mal klar war, dass nicht wir, sondern das Proletariat den Klassenkampf führen wird." (S. 41).

    Die Streikwellen der späten 1960er klärten die Frage des Verhältnisses der Arbeiterklasse zu den Studenten, zumal die damalige Studentenschaft noch lange nicht so stark durchproletarisiert war wie heute (so dass kein Gefühl der Zugehörigkeit zur Klasse der Lohnarbeit aufkommen konnte, so wie wir es 2006 in Frankreich erlebt haben). Aber das Problem des Verhältnisses zwischen den Generationen blieb. Der Begriff "Generationenkonflikt" gehörte zu den gängigsten Schlagwörter dieser Zeit. Er hat sich so stark eingeprägt, so dass es heute für eine Selbstverständlichkeit gehalten wird, dass jede Generation eine Revolte gegen ihre Vorgänger veranstalten muss. Ist das so? Die Geschichte der Arbeiterbewegung jedenfalls zeigt ein anderes Bild. Zwar galt es als selbstverständlich, dass die junge Generation ihre eigenen Qualitäten im Kampf einbringt: der ganze Elan, die Energie und die Frische, auch die Träume des jungen Lebens. Aber genau so selbstverständlich war es auch, dass die Älteren ihre Erfahrungen an die junge Generation weiter gaben, die wie in einer geschichtliche Kette ihren Platz im Kampf des Proletariats einnahmen.

    Der Konflikt der Generationen in den 1960er Jahren war natürlich keine Erfindung der historischen Akteure von damals. Für die Arbeiterklasse war es ein durch den Verlauf der Geschichte vorgegebenes Problem. Das buchstäblich unaussprechliche Leid und Trauma, das die Lohnabhängigen, ja die ganze Menschheit im 20. Jahrhundert aufgrund der welthistorischen Niederlage des Proletariats über sich ergehen lassen mussten, ließ nicht nur eine, sondern auch eine zweite Generation, die Kriegs- und die Nachkriegsgeneration verstummen. Gerade der vorübergehende wirtschaftliche Nachkriegsaufschwung in den Industrieländern besiegelte dieser Niederlage. Die Generation des "Wirtschaftswunders" war nicht nur außerstande, die Lehren aus den Niederlagen zu ziehen. Oft genug konnte sie über das Erlittene nicht mal sprechen. Die neue Generation wiederum betrat 1968 mit revolutionärem Elan, aber auch mit einem tiefen Gefühl der Unsicherheit die Bühne. Wir meinen hiermit vor allem die Entwurzelung, die sich einzustellen pflegt, wenn man aus jeglichem historischen Kontext herausgerissen wird. Der Bruch in der organischen Kontinuität der Arbeiterbewegung war eine der schwerwiegendsten Folgen der langen Konterrevolution.

    War die vorangegangene Generation unfähig zu sprechen, so war die neue Generation oft nicht in der Lage zuzuhören.

    Auch die herrschende Klasse hatte diesen Generationskonflikt nicht erfunden. Aber sie tat alles, um ihn zu vertiefen und auszunutzen. Damals machten nicht nur die Massenstreiks der Arbeiterklasse von sich reden. Auch die chinesische Kulturrevolution machte Furore. Wie die Nationalsozialisten in Deutschland oder Stalin in der UdSSR hatten die Maoisten im Nachkriegschina die junge Generation von Kindesbeinen an von der Elterngeneration abgesondert, ja gegen Letztere aufgehetzt. Als es zum Machtkampf innerhalb der Staatspartei kam, mobilisierte Mao die auf seine Person als Vaterfigur eingeschworenen StudentInnen und SchülerInnen für seine Zwecke. Wie eine wild gewordene Meute ließ er sie durchs Land hetzen und foltern.

    Aber die schlimmste Folge der Konterrevolution war das Vorherrschen linkskapitalistischer Ideologien und Vorbilder. Zwar entstanden damals viele politische Gruppen und Zirkel, die bemüht waren, sich die Lehren wieder anzueignen, die vor allem die Kommunistische Linke aus den Niederlagen ihre Klasse gezogen hatte. Aber diese Ansätze blieben unter den Politisierten von damals stark in der Minderheit. Die meisten verschwanden rasch wieder aufgrund ihrer Unerfahrenheit.

    So ergab sich ab 1968 die Tragödie, dass die Mehrheit der Politisierten, welche die neue Generation hervorbrachte, Opfer linkskapitalistischer Ideologien geworden sind. Reaktionäre Mythen wie die des Antifaschismus oder der nationalen Befreiungsbewegungen gewannen rasch die Oberhand. Als solche spielten diese Politisierten - zumeist ungewollt - eine negative, ja zerstörerische Rolle gegenüber den aufflammenden Arbeiterkämpfen. Durch ihr Unwissenheit über die wirklichen Lehren des historischen Klassenkampfes abgetrennt, durch ihre Unsicherheit anfällig für Dogmen, für Ideologien und für Idole, wirkten diese Militanten auf zweifache Weise negativ. Zum einem durch die von ihnen propagierten, reaktionären Bewegungen und Ziele. Zum anderen durch ihre Verhaltensweise, ihre Dialogunfähigkeit, ihre bürgerlichen Machtkämpfe untereinander, die auf die Arbeiterklasse abstoßend wirkten. Die Klasse reagierte mit zunehmendem Misstrauen auf die zerstörerische Rolle der großen Mehrzahl der damals Politisierten, was natürlich sehr positiv war. Aber diese Reaktion nahm die Form der Ablehnung der Politik und des Rückzugs in den eigenen Betrieb an, was die gewerkschaftliche Sabotage der Kämpfe von innen nur begünstigen konnte. Der Artikel gibt Beispiele, wie etwa die Rivalitäten der K-Gruppen untereinander dazu führten, dass innerhalb der Lehrlingsbewegung die Entsendung von Delegierten und die politische Debatten auf den Treffen und Konferenzen eingeschränkt wurden.

    Der Genosse Riga sieht die zunehmend negative Rolle der K-Gruppen als ein Ergebnis aus den Niederlagen der Kämpfe nach 1968. Wir meinen, dass das Problem weiter gefasst werden muss. 1968 markierte das Ende der Konterrevolution. Das bedeutet aber nicht, dass die negativen Folgen dieser Konterrevolution nicht weiter wirkten. Der Stalinismus warf noch immer seinen Schatten. Es hat sich herausgestellt, dass es der Anstrengung von mehr als einer Generation bedarf, um das tote Gewicht dieses Albtraums abzuschütteln. Heute wächst eine neue Generation heran, die ohne die Träume und die Illusionen, die die Generation der 68er noch mitbekam, aufwächst und die den gemeinsamen Kampf und die Diskussion zwischen den Generationen sucht. "Die Kämpfe in Frankreich während des vergangenen Jahres, welche sich auf allen Ebenen direkt gegen Reformen richteten, geben uns einen Vorgeschmack darauf, was uns als Kommunisten in Europa zukünftig bevorstehen kann." (S. 48).

     

    Zur neuen Plattform des Aufbaus: Sind die so genannten sozialistischen Länder Übergangsgesellschaften zum Kommunismus?

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    Sind die so genannten sozialistischen Länder Übergangsgesellschaften zum Kommunismus?

    Im Mai 2007 gab der Revolutionäre Aufbau Schweiz (RAS) eine neue Plattform heraus - ein Anlass, sich in diesen Spalten mit seinen programmatischen Positionen auseinanderzusetzen. Die "politische Plattform" stellt ja so etwas wie das Programm der Gruppe dar: "Die Zielsetzung des Revolutionären Aufbaus Schweiz ist der Kampf für die proletarische Revolution, die der kommunistischen Gesellschaft zum Durchbruch verhilft. Die Grundlagen dieses Kampfes haben wir in dieser Plattform festgehalten."   An diesem Anspruch wollen wir den RAS messen.

    Wir werden uns auf die aus proletarischer Sicht wesentlichen Fragen konzentrieren. Die wichtigste Frage unter diesem Aspekt ist, ob die politische Plattform des Aufbaus seinem erklärten Ziel, dem Kampf für eine kommunistische Gesellschaft, dient oder nicht. Im vorliegenden Artikel werden wir uns auf die Frage konzentrieren, ob die Länder, die üblicherweise sozialistisch genannt werden, tatsächlich Übergangsgesellschaften zum Kommunismus darstellen (bzw. dargestellt haben), wie dies der Aufbau behauptet. Wir werden in einem späteren Artikel auf weitere Aspekte der Plattform eingehen, so namentlich auf die Unterstützung des einen imperialistischen Lagers im Weltkrieg gegen das andere, auf den Nationalismus der antikolonialen "Befreiungsbewegungen" und auf den Antifaschismus. Auf andere Aspekte werden wir gar nicht eingehen, beispielsweise auf Fragen der Organisationsform, da Voraussetzung für eine solche Debatte wäre, dass es eine gemeinsame programmatische Grundlage gäbe, also eine Einigkeit darüber, welches Ziel auf welchem Weg erreicht werden soll.

     

    Die "sozialistischen Länder" - positiver Bezugspunkt für den Aufbau

    Der Aufbau bezieht sich an verschiedenen Stellen in seiner Plattform auf die "sozialistischen Länder" und meint damit die ehemalige Sowjetunion, ihre einstigen Verbündeten im Ostblock, weiter auch China unter Mao und implizit wohl auch die heutigen Regime in Kuba und Nordkorea . Dabei fällt schon einmal auf, dass der Aufbau den Begriff "sozialistische Länder" gleich benützt wie die Herrschenden in Ost und West vor dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Sowjetunion. Für den Aufbau liegt also nicht ein Etikettenschwindel vor; sondern wenn Stalin sagte, dass die Sowjetunion, die DDR, Ungarn, Polen, die damalige Tschechoslowakei usw. sozialistisch gewesen seien, so übernimmt der Aufbau diese Bezeichnung und hält sie auch für richtig. 

    In der Plattform wird zwar "von den negativen Erfahrungen in der Sowjetunion" gesprochen, aber im gleichen Satz begeistert auf die "Kulturrevolution" der "chinesischen KommmunistInnen unter Mao Tse Tung" Bezug genommen , ohne dass ausführt würde, was im einen Fall negativ und im anderen positiv gewesen sein soll. Hat der Aufbau etwa Mühe mit den Stalinschen Schauprozessen und dem Gulag, wo Millionen von Arbeitern, Arbeiterinnen und Parteimitgliedern ermordet wurden? Weit gefehlt! Im Kapitel "Gegen Revisionismus und Reformismus" erfahren wir, dass für den Aufbau die Probleme in der Sowjetunion erst mit den "modernen RevisionistInnen" Chruschtschow und seinen Nachfolgern, also nach Stalins Tod, beginnen.

    Es lohnt sich, auf die Frage des Sozialismus und die so genannten sozialistischen Länder näher einzugehen. Müssig wäre aber ein Begriffsstreit darüber, was man unter Sozialismus zu verstehen hat. Denn dieser Begriff ist schon so verschieden definiert und gebraucht worden, dass eine Einigung darüber ohnehin unmöglich wäre. Halten wir uns doch lieber an den klarer definierten Begriff des Kommunismus, der mindestens von all denjenigen, die sich in bejahendem Sinn auf ihn beziehen, etwa gleich verstanden wird: Kommunismus ist die klassenlose Gesellschaft, eine Gesellschaft ohne Herrschaft von Menschen über Menschen; eine Gesellschaft, in der nicht mehr Waren getauscht, sondern die erzeugten Güter nach den Bedürfnissen der Einzelnen verteilt und konsumiert werden; eine Gesellschaft auch, die in Einklang mit der Natur steht.

    In der Plattform des Aufbaus sucht man zwar vergeblich nach einer genaueren Umschreibung dessen, was er sich unter Kommunismus vorstellt. Aber immerhin scheint es darüber nicht wesentlich verschiedene Vorstellungen zu geben, wenn er beispielsweise schreibt, der Kommunismus sei eine Gesellschaft, in der "jeder nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen am gesellschaftlichen Produkt Anteil nimmt" , und wenn er schließlich aus dem Kommunistischen Manifest zitiert: "An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die freie Entwicklung aller ist."

    Wenn also das erklärte Ziel des Aufbaus der Kommunismus ist und ein gemeinsamer Begriff über diese Gesellschaft existiert, können wir auch überprüfen, ob die positiven Bezugspunkte des Aufbaus - Russland unter Stalin, China unter Mao, DDR unter Ulbricht, Ungarn unter Rákosi usw. - notwendige oder wenigstens zweckdienliche Schritte auf diesem Weg darstellten. Denn ein weiteres ist klar: Für den Aufbau ist der Sozialismus die "erste Phase des Kommunismus", eine notwendige Übergangsgesellschaft zwischen Kapitalismus und Kommunismus . Aus seiner Sicht müssen also die von ihm als sozialistisch bezeichneten Regime einen Schritt in Richtung Kommunismus dargestellt haben. Man müsste eigentlich erwarten, dass der Aufbau in seiner Plattform diese Behauptung nicht bloß verschämt, sondern laut und deutlich aufstellt. Und man dürfte erwarten, dass er diese Behauptung auch begründet, nachdem alles andere als offensichtlich ist, dass Zwangsarbeit, Folter, Niederschlagung von Arbeiteraufständen (alles gängige Praktiken der stalinistischen Regime) notwendige Schritte zu einer Gesellschaft darstellen, "worin die freie Entwicklung eines jeden die freie Entwicklung aller ist".  

    Man sucht aber vergeblich nach einer solchen Begründung, wie denn überhaupt die Plattform des Aufbaus weniger durch ausgesprochene Positionen als durch das glänzt, was sie nicht sagt. Sie sagt nicht einmal ausdrücklich: Wir sind Verfechter des Stalinismus.

    In der Aufbau-Plattform steht: "Jeder erhält von der Gesellschaft den Anteil an Konsumtionsmitteln zurück, welcher seiner/ihrer Leistung - unter der Berücksichtigung seiner/ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten - entspricht. Das ist das Grundprinzip im Sozialismus. Erst mit der langsamen Überwindung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse, dem damit verbundenen Konkurrenz- und Profitdenken, und dem damit einhergehenden Verschwinden der Klassen und dem Absterben des Staates, wird ein Übergang zum Kommunismus möglich, wo jeder nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen am gesellschaftlichen Produkt Anteil nimmt. Während die sozialistische Übergangsgesellschaft in einzelnen Ländern möglich ist, ist die kommunistische Produktionsweise nur weltweit realisierbar." 

    Die Formel, dass jeder von der Gesellschaft den Anteil an Konsumtionsmitteln zurück erhält, welcher seiner Leistung unter Berücksichtigung seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten entspricht, ist überaus schwammig, sagt eigentlich nichts. Denn grundsätzlich gilt genau dies im Kapitalismus: Wer sich zu wenig anstrengt, kriegt eben nichts. Aber immerhin scheint der Aufbau der Meinung zu sein, dass im Sozialismus die "bürgerlichen Produktionsverhältnisse" mindestens "langsam" überwunden werden müssen. Dabei drängt sich die Frage auf: Wurden die bürgerlichen Produktionsverhältnisse in den vom Aufbau als sozialistisch betrachteten Ländern mindestens ansatzweise überwunden?

     

    Überwindung des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion?

    Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse zeichnen sich durch verallgemeinerte Warenproduktion, Lohnarbeit und Kapitalakkumulation aus. Produktion von Waren, d.h. von Gütern zum Tausch oder Verkauf, gab es zwar schon in früheren Gesellschaftsformationen (etwa in den Sklavenhaltergesellschaften in Griechenland und Rom); ebenso die Lohnarbeit. Aber erst im Kapitalismus verallgemeinerten sich die Warenproduktion und die Lohnarbeit, sie sind nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Was aber den Kapitalismus insbesondere von allen anderen Produktionsweisen unterscheidet, ist die Kapitalakkumulation: Mittels Lohnarbeit wird nicht allein Mehrwert (Profit) produziert, den sich die herrschende Klasse aneignet, sondern ein Teil dieses Mehrwerts wird dazu verwendet, neue Investitionen zu tätigen, um im nächsten Produktionszyklus mehr Waren als im vorangegangenen zu erzeugen. Im Kapitalismus findet nicht allein Reproduktion statt, sondern Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter, eben Kapitalakkumulation.

    Hat sich daran in den so genannten sozialistischen Ländern etwas geändert? Wurden die Warenproduktion, das Geld, die Lohnarbeit, die Kapitalakkumulation abgeschafft? - Keineswegs! Im Gegenteil: Die Sowjetunion unter Stalin rühmte sich, dass sie besonders effizient Kapital akkumulierte, und zwar nach guter kapitalistischer Manier, indem vor allem die Herstellung von Produktionsmitteln forciert wurde. Die Arbeit im Realsozialismus blieb Lohnarbeit, entfremdete Arbeit, oder war oft schlicht und einfach Zwangsarbeit. Von einer auch nur "langsamen Überwindung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse" konnte keine Rede sein. So starb der Staat entgegen dem Versprechen der Aufbau-Plattform in den "sozialistischen Ländern" auch keineswegs ab, sondern wurde zu einem totalitären Apparat.   

    Die weit verbreitete Meinung, dass die "sozialistischen Länder" nicht mehr kapitalistisch gewesen seien, hat viel mit der alten, etwas schematischen Formel zu tun: Kapitalismus = Privateigentum an Produktionsmitteln. Diese Formel hat zweifellos Vorzüge: Sie ist kurz, anschaulich, leicht verständlich und traf bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Regel zu. Nach dem Ersten Weltkrieg und insbesondere mit der großen Wirtschaftskrise von 1929 wurde aber in allen Ländern, nicht bloß in der Sowjetunion, sehr viel Privateigentum an Produktionsmitteln verstaatlicht, ohne dass der Kapitalismus abgeschafft worden wäre. Es ist das Verdienst der Kommunistischen Linken, insbesondere der Gauche communiste de France (GCF), die Klassennatur der Verstaatlichungen und der Sowjetunion mit Blick auf das Wesentliche analysiert zu haben: "…indem man den Privatbesitz an Produktionsmitteln als das Wesen des Kapitalismus erklärt, behauptet man gleichzeitig, dass außerhalb dieses Privatbesitzes der Kapitalismus nicht bestehen kann. Gleichzeitig behauptet man, dass jede Änderung in Richtung auf eine Begrenzung dieses Privatbesitzes eine Einschränkung des Kapitalismus bedeuten würde, und damit eine Änderung gegen die Interessen des Kapitalismus wäre, sozusagen ihm entgegengesetzt, anti-kapitalistisch. (…) Die weitestreichenden Enteignungen können allerhöchstens für das Verschwinden der Kapitalisten als Individuen sorgen, die von Mehrwert leben, aber damit ist noch nicht das Verschwinden der Produktion von Mehrwert, d.h. des Kapitalismus, sichergestellt. (…) Damit der Sozialismus entsteht, oder auch nur eine Tendenz zum Sozialismus, reichen Enteignungen nicht aus, sondern es ist auch notwendig, dass die Produktionsmittel aufhören, als Kapital zu funktionieren. Mit andern Worten: das kapitalistische Prinzip der Produktion selber muss umgewälzt werden."

    Es kann also bei der Überwindung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse nicht allein um die Abschaffung des juristischen Scheins, des Privateigentums gehen; vielmehr muss die Produktion selber aufhören, Warenproduktion zur Kapitalakkumulation zu sein. Denn in der Sowjetunion ist das Privateigentum nicht abgeschafft worden, sondern lediglich in den Händen des Staates konzentriert worden. Für das Proletariat sind die Produktionsmittel weiterhin Privateigentum einer es ausbeutenden Kapitalistenklasse geblieben.

    Genau dies ist aber nicht "in einzelnen Ländern möglich", wie der Aufbau in alter stalinistischer Tradition behauptet, sondern nur weltweit. Der Kapitalismus ist eine Produktionsweise, die von Anfang an die Tendenz hatte, sich auf den ganzen Globus auszuweiten, lange bevor die Globalisierungsgegner dies entdeckt haben. Der Kapitalismus duldet keine anderen Produktionsweisen neben sich, höchstens solche, die er unterworfen und sich dienstbar gemacht hat (beispielsweise Sklavenarbeit existiert weiterhin).

    Bevor das Proletariat die kapitalistischen Produktionsverhältnisse überwinden kann, muss die herrschende Klasse weltweit geschlagen sein. Die politische Machtergreifung des Proletariats geht der ökonomischen Umwälzung notwendigerweise voraus. Erst dann kann mit dem begonnen werden, was Marx die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft nannte, wo grundsätzlich zwar noch das alte Recht gilt ("jedem nach seiner Leistung"), aber wo immerhin mit der Abschaffung der dieser Logik zugrunde liegenden Warenproduktion begonnen werden kann.

    Wenn der Aufbau zwar etwas verschämt, aber nichtsdestotrotz die so genannten sozialistischen Länder als Übergangsgesellschaften darstellt, verteidigt er ein bestimmtes kapitalistisches Modell und bleibt somit weiterhin der Logik des Kapitalismus unterworfen. Weltrevolution, 10.11.07

      1)Politische Plattform des Revolutionären Aufbaus Schweiz, Mai 2007, Punkt 1.2

      2) Punkte 1.4, 2.2.3, 4.3 und 4.4; 3)  Punkt 4.3.3

      Punkt 4.3.2 4)  Punkt 4.3.1 5)  Punkt 4.3.2

     6) Internationalisme, 1946, "Privateigentum und Gemeineigentum", wieder veröffentlicht in Internationale Revue Nr. 12

    7) Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW Bd. 19 S. 20 f.


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