In den letzten Wochen und Monaten stehen überall auf der Welt immer mehr Beschäftigte vor der Frage, was tun, wenn die Firma vor dem Bankrott steht, Werksschließungen oder Massenentlassungen anstehen? An wen sich wenden, um Unterstützung zu bekommen? In den USA und in Europa sind gegenwärtig die Beschäftigten der Automobilindustrie bei Chrysler, Ford und dem ehemals größten Autohersteller General Motors am akutesten davon betroffen. In Deutschland ist das Schicksal der Opelaner am stärksten in den Mittelpunkt gerückt.
Tatsache ist, immer mehr Beschäftigte werden vor der gleichen Situation stehen, mit denen die Opelaner sich auseinander setzen müssen, denn die Entlassungswelle droht immer mehr Betriebe zu erfassen. Deshalb, die Fragen, vor denen die Opelaner stehen, gehen alle Arbeiter an
Während in den Opel-Werken und in den Zulieferwerken Zehntausende, vielleicht gar Hunderttausende um ihren Arbeitsplatz fürchten und der damit verbundenen Verarmung, rufen viele Politiker, Medien, Betriebsrat, Gewerkschaften nach Rettungsplänen durch den Staat. Solidarität und Hilfe sollen die Opelaner und die anderen vom Staat erhalten. Wir sollen denken, der Staat sei der einzige, der helfen könnte. Sie stellen uns vor die falsche Alternative: Wie kann man Opel retten und nicht wie können die Betroffenen sich zur Wehr setzen.
Die Marktmechanismen bieten keinen Ausweg aus der erdrückenden Überproduktion und den Folgen des Konkurrenzkampfes. Sie sind Ursachen des Problems. Deshalb sind die angeblichen „Rettungspakete“ für Opel oder die anderen Betriebe keine wirkliche Solidarität, sondern sie sollen die Betroffenen davon abhalten, sich eigenständig zur Wehr zu setzen.
Wenn sich der Staat aber als der große Rettungsanker darstellt, dann geschieht dies vor allem aus einer großen politischen Sorge der Herrschenden. Denn in Deutschland stellen die Automobilindustrie und die davon abhängigen Zulieferer in der Metall-, Stahl- und chemischen Industrie noch immer ein Konglomerat von mehr als einer Million Beschäftigter dar, die oft geographisch gebündelt sind und auch über wichtige Kampferfahrungen verfügen.
Deshalb wird das Vorgehen der Herrschenden gegenüber Opel und den anderen anstehenden Entlassungen und Werksschließungen von Angst regiert - der Angst der Herrschenden vor einer entsprechenden Reaktion der Arbeiter. Aus diesem Grund unternehmen sie alles, um die Opelaner in Sackgassen zu drängen, sie zu isolieren, sie gegeneinander auszuspielen und bei den Beschäftigten anderer Betriebe erst gar nicht die Frage eines gemeinsamen Vorgehens aufkommen zu lassen.
Zu einem Zeitpunkt, wo in nahezu allen Betrieben massiver Stellenabbau oder Schließungen anstehen, soll durch den Ruf nach „Rettet Opel“ der Blick eingeschränkt werden auf die Betroffenen dieses Konzerns, anstatt die Frage zu stellen, wie sich alle Beschäftigten gemeinsam wehren können. Schließlich sind zwar die Kapitalisten von VW, BMW, Audi, Mercedes, Ford Konkurrenten nicht nur von Opel, sondern sie konkurrieren alle miteinander – und sie versuchen dementsprechend ihre Beschäftigten in ein Konkurrenzdenken gegeneinander zu drängen. Aber die Beschäftigten der anderen Betriebe sind nicht die Konkurrenten der Opel-Beschäftigten, sondern deren einzige Verbündeten.
Das Gleiche trifft nicht weniger auf internationaler Ebene zu: Nicht die Opelaner in den anderen europäischen Werken, nicht die GM-Beschäftigten in den USA, nicht die Toyotaner oder KIA-Beschäftigen in Japan oder Korea sind die Rivalen der Arbeiter, sondern die Kapitalisten untereinander.
Deshalb ist es umso bedeutsamer, wenn auf den Protestversammlungen wie Ende Februar in Rüsselsheim Beschäftigte aus anderen Betrieben, vor allem aus den Konkurrenzbetrieben - in diesem Fall Beschäftigte aus dem hessischen VW-Werk Baunathal - auftauchen, und ihre gemeinsamen Interessen mit den von Entlassungen Bedrohten Opelanern bekunden.
Opel Rüsselsheim liegt nur wenige Kilometer von dem Bankenzentrum Frankfurt entfernt. Auch wenn die Banken bei Zahlungsschwierigkeiten von Kreditnehmern von Konsumentenkrediten oder Hypotheken gnadenlos vorgehen und diese wie Zitronen auspressen, Pfändungen veranlassen usw. und deshalb in den Augen der meisten Arbeiter verhasst sind, sind nicht die Bankbeschäftigten, von denen jetzt Zigtausende vor Entlassungen und Lohnkürzungen stehen, deren Gegner, sondern deren Verbündete. Welche Wirkung hätte es, wenn auf Protestversammlungen Beschäftigte zum Beispiel aus dem Bankenbereich, von Opel und den vielen anderen betroffenen Betrieben sich zusammenfinden!
Vor diesem Zusammenkommen der Beschäftigten aus allen Betrieben fürchten sich die Kapitalisten am meisten.
Anstatt sich gegeneinander ausspielen und von den jeweiligen Kapitalisten in deren Konkurrenzkampf untereinander einspannen zu lassen, müssen sich die Arbeiter zusammenschließen. Anstatt sich um Hilfe an den Staat zu wenden, der uns nicht aus dieser Wahnsinnspirale herausführen kann, müssen sich die Betroffenen an andere Beschäftigte wenden, untereinander Kontakt aufnehmen, zusammenkommen. (Siehe dazu unseren Artikel zu der Initiative von Arbeitern in Spanien) Dass die Arbeiter fähig sind, sich über nationalistische Spaltungsversuche hinwegzusetzen und sich vor Ort in Vollversammlungen zusammenzuschließen, haben neulich die Arbeiter in Großbritannien erwiesen – siehe dazu unseren Artikel in dieser Zeitung.
Während die Herrschenden eine Heidenangst vor der gemeinsamen Reaktion ihrer Ausgebeuteten haben, dominiert paradoxerweise in den Reihen der Ausgebeuteten im Augenblick noch eher ein Gefühl der Einschüchterung, der Angst und Ratlosigkeit. Denn es liegt auf der Hand, dass mit dem gegenwärtigen Abrutschen der Weltwirtschaft Existenzangst, eine große Furcht vor der Zukunft aufkommt. Dies äußert sich gegenwärtig in einem Gefühl einer gewissen Lähmung.
Es stimmt, dass im Unterschied zu den Schülern und Studenten, welche leichter protestieren und streiken können, weil sie nicht entlassen werden kann, die Beschäftigten oft vor Arbeitsniederlegungen zurückschrecken, auch weil bei genereller Überproduktion Arbeitsniederlegungen nur den Unternehmern zupass kommen.
Aber diese Lähmung kann nur dadurch überwunden werden, indem die Betroffenen aus ihrer Isolierung heraustreten, ihre Ängste zur Sprache bringen, um ihre gemeinsamen Interessen zu entdecken und zu formulieren. Angst, Atomisierung, das Gefühl, jeder ist nur auf sich allein gestellt, all das kann nur überwunden werden, indem man zusammenkommt und die Kraft in der gemeinsamen Stärke entdeckt. Dazu ist es erforderlich, dass man das Wort ergreift und nicht den Kräften das Feld überlässt, die uns ständig die Initiative entreißen wollen. So gab es bei den jüngsten Opel-Protestkundgebungen keine oder kaum Diskussionen. Man hörte den Reden der Politiker und Gewerkschaftsfunktionären nur stumm zu. Wenn die Betroffenen aber anfangen, mit einander zu reden, sieht es anders aus. Dann können die Sorge um die Zukunft und die Lähmung umschlagen in Handlungsbereitschaft, in Entschlossenheit, in ein gemeinsames Vorgehen. Erst dann kann auch die Arbeiterklasse wieder ein Gefühl der Würde erlangen, welche ihr in diesem System immer mehr genommen wird.
Und wenn immer mehr Beschäftigte zusammenkommen, entstehen auch Möglichkeiten für die Unzähligen Arbeitslosen dazu zu stoßen. Denn in den 1930er und in den 1980er Jahren haben Arbeitslose ihre eigenen Komitees gebildet, um sich gegen Zwangsräumungen zu wehren, mehr Gelder zu fordern usw. Vor allem können sich dann Arbeitslose und Beschäftigte zusammenschließen. Bei den jüngsten Protesten von Erdölraffineriebeschäftigten in Großbritannien schlossen sich arbeitslose Bauarbeiter den Streikposten und den Vollversammlungen an.
Große Ratlosigkeit herrscht heute auch deshalb vor, weil diese Gesellschaft erdrückt wird durch einen in dem Rahmen dieses Systems nicht aufzulösenden Widerspruch. Zum ersten Mal in der Geschichte steht die Menschheit vor einem Gesellschaftssystem, das Krisen erzeugt, die keine Mangelkrisen mehr sind, sondern man verarmt an der Überproduktion. Hunderttausende Bauarbeiter verlieren ihren Job wegen der Liquiditätskrise der Banken, Millionen müssen in den USA ihre Wohnungen räumen, weil eine Spekulationsblase platzt, Unzählige können Lebensmittel nicht mehr kaufen, weil zu viele Nahrungsmittel angeboten werden.
In Wirklichkeit sind die technischen Voraussetzungen gegeben, dass die Grundbedürfnisse der Menschen erfüllt werden, aber die verhexten Gesetze des Kapitalismus treiben immer mehr Menschen in Elend, Verzweiflung und Zerstörung. Es wird für Profit und nicht für die menschlichen Bedürfnisse produziert. Aber all diese Widersprüche können nur überwunden werden durch die Überwindung dieses Systems selbst.
Obwohl diese Erkenntnis immer greifbarer wird, schrecken heute noch viele Arbeiter davor zurück. Sehr tief sitzt noch die Angst vor dem Alptraum des Stalinismus, der sich als Kommunismus dargestellt hat und die –suche nach einem anderen System lähmte. Die gnadenlose Zuspitzung der Krise jetzt bringt die Arbeiter aber nicht nur immer mehr in Zugzwang sich zu wehren, sie verlangt auch immer stärker eine Klärung der Frage der Alternative. Die Arbeiterklasse kann einer Suche nach einer Alternative zu diesem System nicht ausweichen. Dabei werden die Bewusstesten und Entschlossensten eine entscheidende Rolle spielen, die furchtlos zum Ausdruck bringen müssen, dass eine neue Gesellschaft möglich ist, die nicht auf Ausbeutung und Profitwirtschaft fußt, sondern ihre Produktion auf die Bedürfnisbefriedigung der Menschen ausrichtet. Diese Gesellschaft kann aber nur durch die Betroffenen selbst errichtet werden.
Die Krise bietet somit den Nährboden, dass durch den Abwehrkampf und den Zusammenschluss der Arbeiterklasse diese Erkenntnis heranreift. 22.03.09
Seit nunmehr fast einem Jahr berichten wir in dieser Zeitung ununterbrochen über den Stand der aktuellen Rezession, angefangen mit dem Zusammenbruch des Immobilien- und Hypothekenmarktes in den USA (die berüchtigte subprime crisis) über den Kollaps des internationalen Finanzmarktes bis zur Rezession der sog. Realwirtschaft. Seit derselben Zeit ist dies auch ein Thema der bürgerlichen Medien mitsamt ihrer Experten. Und dennoch kann auch heute niemand mit Sicherheit sagen, ob bzw. wann die Talsohle erreicht ist. Kommt die Wende im kommenden Sommer, oder wird sich die Rezession noch bis ins nächste Jahr hinziehen? Ist das Schlimmste vorüber, oder wartet es noch auf uns? Darüber hinaus steht immer drängender die bange Frage im Raum: Ist der Staat wirklich der Rettungsanker, den er heute angesichts einer weltweiten Rezession, wie sie der Nachkriegskapitalismus noch nicht erlebt hatte, zu sein vorgibt? Hat er die Lage überhaupt noch unter Kontrolle, greifen seine Krisenbewältigungsstrategien? Und überhaupt: gelten seine Maßnahmen wirklich dem Schutz der Bevölkerung oder nicht vielmehr der Aufrechterhaltung der bestehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung?
Die Hiobsbotschaften reißen nicht ab. Es gibt kaum eine Wirtschaftsbranche, die nicht massive, zweistellige Umsatz- und Gewinneinbrüche zu verzeichnen hat. Im Maschinenbau, der mit 976.000 Beschäftigten größten Industriebranche, brachen im Januar die Bestellungen im Vergleich zum gleichen Vorjahresmonat um 42 Prozent weg. Ähnlich in der Stahlindustrie: Hier sanken die Bestellungen aus Automobilindustrie und Maschinenbau um 47 Prozent, der stärkste Auftragseinbruch seit Ende des II. Weltkrieges. Desgleichen die Elektro- und Chemieindustrie. Die Zahl der Insolvenzen ist allein im vergangenen Dezember gegenüber dem Vorjahresmonat um über zwölf Prozent auf 12 568 hochgeschossen. Prominenteste Konkursfälle sind drei mittelständische Traditionsunternehmen: der Unterwäschehersteller Schiesser, der Modelleisenbahnbauer Märklin und die Porzellanmanufaktur Rosenthal. Alle drei sind Opfer der trotz milliardenschweren staatlichen Rettungsschirms immer noch äußerst restriktiven Kreditvergabepraxis der Banken.
Die Rezession ist längst zu einem autokatalytischen Prozess geworden. Die Krise einer Branchen zieht in ihrer Folge eine ganze Reihen anderer Branchen und Betriebe in Mitleidenschaft, die ihrerseits den Krisenvirus an ihre Lieferanten weitergeben und so weiter. Ein Ende dieses fatalen Prozesses ist noch nicht abzusehen. Quasi im Monatstakt müssen die bürgerlichen Wirtschaftsinstitute ihre Prognosen über das sog. Minuswachstum korrigieren. Mittlerweile gehen die so genannten Wirtschaftsweisen davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Jahr um 3,5 Prozent schrumpfen wird; der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Walther, prognostiziert gar minus fünf Prozent.
Das Krisenmanagement der Großen Koalition lässt sich exemplarisch an zwei Konzernen darstellen, deren drohender Konkurs die staatliche Exekutive in höchst unterschiedlicher Weise begegnet: Hypo Real Estate (HRE) und Opel.
HRE ist (oder besser: war) mit einer Bilanzsumme von fast 400 Milliarden Euro einer der größten Finanzkonzerne Deutschlands und besonders auf dem sog. Pfandbriefmarkt tätig. Ihr Hauptgeschäft war die Refinanzierung von Großprojekten wie Flughäfen, Hotelanlagen und Bürogebäude. Die Ironie an der Geschichte ist, dass die HRE 2003 von der Hypo Vereinsbank (HVB) mit dem einzigen Zweck gegründet wurde, als Mülleimer (oder Bad Bank, wie man heute zu sagen pflegt) für die hochriskanten Immobiliengeschäfte der HVB zu fungieren. Nachdem die HRE zunächst erfolgreich mit Ramschkrediten in die internationale Immobilienfinanzierung eingestiegen war und im April 2006 einen Börsenwert von 7,7 Milliarden Euro erzielt hatte, geriet sie 2007 in den Sog der Finanzkrise – mit der Folge, dass ihr Aktienwert abstürzte, von fünf Euro pro Aktien auf 90 Cent. HRE drohte nicht nur der Ausschluss aus der Börse, sondern schlicht und einfach der Konkurs.
Opel ist im Gegensatz zu seinen Konkurrenten gleich auf zweifache Weise von der weltweiten Krise in der Automobilindustrie betroffen: zum einen direkt als Anbieter auf dem europäischen Markt, zum anderen indirekt durch den drohenden Konkurs des Mutterkonzerns General Motors (GM), der die Opel-Werke in Rüsselsheim, Bochum, Eisenach, Kaiserslautern und Antwerpen mit in den Untergang zu reißen droht.
Beide Konzerne eint ihr Ruf nach Staatsknete. Doch was die Resonanz angeht, auf die sie bei den staatlichen Behörden stoßen, so trennen sie Welten. „Vater Staat“ ist bei seiner Fürsorge sehr wählerisch: HRE hat bisher staatliche Hilfe in Höhe von 92 Milliarden Euro erhalten; Opel dagegen ist mit seiner Bitte nach drei (!) Milliarden bei der Bundesregierung bisher abgeblitzt. Eigens für HRE hat Letztere ein Gesetz entworfen, das noch im März vom Bundestag verabschiedet werden soll und die Verstaatlichung von HRE sowie die Enteignung ihrer Aktionäre ermöglicht; im Fall Opel hingegen hat die Bundesregierung jeglichen Einstieg des Staates in das Unternehmen kategorisch abgelehnt. Und während das staatskapitalistische Regime zu jedem Tabubruch bereit ist, um HRE zu retten, haben die beiden Bundesminister Schäuble und Guttenberg die Insolvenz Opels vorgeschlagen.
Die Erklärung für die staatliche Ungleichbehandlung von HRE und Opel lieferte Bundeskanzlerin Merkel, als sie darauf verwies, dass im Unterschied zur HRE Opel nicht „systemrelevant“ sei. Oder wie der Spiegel schreibt: „Die HRE ist nicht irgendeine Bank. Sie ist eine der größten Emittenten von Pfandbriefen, deren Gesamtmarkt auf rund 900 Milliarden Euro geschätzt wird. Pfandbriefe gelten in Deutschland als das solideste Finanzprodukt überhaupt. Banken refinanzieren sich damit, viele Anleger investieren dort ihr Geld: Sparkassen, Bürger, Versicherungen. Und bislang galten sie als wirklich sicher, weil sie mit einem Stock aus Immobilien gedeckt sind. Doch was, wenn die Bank dahinter in die Insolvenz ginge? Es würde viele andere Unternehmen und Privatanleger mit ins Nichts reißen. Es würde dem Finanzgeschäft das letzte Vertrauen nehmen. Es würde zudem ein billionenschweres Sicherungsnetz aus komplexen Finanzinstrumenten gefährden. Die HRE kann pleitegehen. Aber sie darf es nicht.“ (Nr, 6, 2. Februar 2009) Denn „diese Bank nicht zu retten hätte schlimmere Folgen als die Pleite von Lehman Brothers“, warnte der Chef des staatlichen Finanzmarktstabilisierungsfonds Soffin, Hannes Rehm, in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 15. März. Mit anderen Worten: es geht bei der Rettung von HRE um nichts Geringeres als um die Aufrechterhaltung des Finanzsystems des deutschen und internationalen Kapitalismus, des Blutkreislaufes der Gesamtwirtschaft.
Im Gegensatz dazu wäre ein Konkurs von Opel wirtschaftlich betrachtet kein Beinbruch für den deutschen und internationalen Kapitalismus. Ja, angesichts der enormen Überkapazitäten auf dem Automarkt wäre er für die deutschen Konkurrenten Opels hochwillkommen, die daher auch gegen jegliche staatlichen Hilfen für Opel Sturm laufen. Die Kettenreaktion, die ein solcher Konkurs auslösen würde, würde sich auf einige Zulieferer und Autohändler beschränken, keinesfalls aber die Gesamtwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. Hier geht es nicht um die Aufrechterhaltung des Systems, sondern „lediglich“ um die Interessen von rund 400.000 ArbeiterInnen in Europa, deren Arbeitsplätze im Fall eines Konkurses von Opel verloren gingen.
Für den Staat im Kapitalismus gilt: Das Hemd ist ihm näher als die Hose, die Wahrnehmung des Interesses der Kapitalistenklasse an ein funktionierendes Finanzsystem allemal wichtiger als der Schutz der Interessen von ArbeiterInnen. Das eine ist ihm unzählige von Milliarden Euro wert, das andere ein paar Absichtserklärungen. Entgegen der Illusionen vieler Angehöriger unserer Klasse über die Unparteilichkeit des Staates ist derselbe alles andere als neutral oder gar auf Seiten der Armen und Besitzlosen. Er ist das Organ der herrschenden Klasse schlechthin, war es stets gewesen und wird es immer bleiben – bis die Arbeiterklasse in einem neuen revolutionären Anlauf neben dem Kapitalismus auch die jahrtausende alte Klassenteilung abgeschafft hat, aus welcher der Staat hervorgegangen war und der er seine Existenzberechtigung verdankt.
Wenn die politische Klasse Opel nicht kurzerhand seinem Schicksal überlässt, sondern ein ganzes Feuerwerk von zum Teil Scheinaktivitäten (die Gespräche des Bundeswirtschaftsministers Guttenberg und des NRW-Ministerpräsidenten Rüttgers in den USA, die Gespräche zwischen der Bundesregierung und dem Europa-Chef von General Motors, die in den Medien groß herausgeputzte Suche nach einem privaten Investor) entfacht, so hat dies sicherlich auch mit den Bundestagswahlen Ende 2009 zu tun, die bereits ihren Schatten werfen. Aber wir sind überzeugt davon, dass die wahren Beweggründe woanders liegen. Zum einen muss es der politischen Klasse darum gehen, den Kredit, der ihr durch die Vertrauensseligkeit großer Teile der Bevölkerung gegenüber dem Staat in den Schoß gefallen ist, nicht leichtfertig zu verspielen. Zwar sieht sich das staatskapitalistische Regime außerstande, diesem Vertrauen auch nur annähernd zu entsprechen, doch ist es bemüht, dem drohenden Vertrauensverlust durch allerlei Schaumschlägerei und Leerlaufhandlungen, durch Solidaritätsbekundungen und leere Versprechungen entgegenzuwirken.
Zum anderen hat es sich auch im Kanzleramt in Berlin herumgesprochen, dass Opel ein ganz heißes Pflaster ist. Gerade die Beschäftigten von Opel Bochum und Rüsselsheim haben in der Vergangenheit, zuletzt vor drei Jahren, oftmals ihre Kampfkraft und –bereitschaft unter Beweis gestellt. Bislang ist die deutsche Bourgeoisie relativ glimpflich davongekommen. Anders als in Großbritannien, Frankreich, Griechenland, China, Russland etc. sind größere Reaktionen der Arbeiterklasse bis heute ausgeblieben. Neben der politischen Cleverness der deutschen Bourgeoisie spielt dabei sicherlich die Tatsache eine Rolle, dass die Rezession noch nicht richtig angekommen ist in Deutschland und die hiesige Arbeiterklasse bisher noch weitestgehend verschont geblieben ist.
Die auffällige „Zurückhaltung“ der deutschen Bourgeoisie gegenüber dem Schicksal Opels im Vergleich zu HRE bedeutet jedoch nicht, dass es keine Fraktionen der deutschen Bourgeoisie gibt, welche an einer Rettung Opels interessiert sind. Dieses Interesse ist in erster Linie vorhanden bei den direkt betroffenen Landesregierungen, die in Konkurrenz zueinander sich um die industriellen Grundlagen ihres jeweiligen Standortes Sorgen machen müssen. Darüber hinaus aber teilen diese Landesfürsten eine andere Sorge mit der gesamten herrschenden Klasse, nämlich dass das Verschwinden Opels zu einer nachhaltigen Gefährdung des sozialen Friedens am „Standort“ führen könnte. Eins jedenfalls steht fest: Ob ein Wirtschaftsunternehmen „gerettet“ werden soll - wie HRE - oder ob es fallen gelassen bzw. zerschlagen wird (um einige wenige „Filetstücke“ zu bewahren, die gegebenenfalls sogar von einem deutschen Konkurrenten geschluckt werden könnten), wie dies möglicherweise bei Opel der Fall sein wird, auf jeden Fall wird dies alles auf Kosten der Beschäftigten und der gesamten Arbeiterklasse geschehen. So hat man längst von den ‚Opelanern’ einen zweistelligen Lohnverzicht abverlangt, ein Ausmaß an Verzicht, welcher bei den Mitarbeitern der Finanzinstitute zum Teil auch schon praktiziert wird.
Die Lage der deutschen Bourgeoisie ähnelt in gewisser Weise jenem Menschen, der sich von einem zehnstöckigen Hochhaus stürzt und in Höhe des dritten Stockwerks denkt: ‚Bisher ist alles gut gegangen‘. Schon jetzt gilt es im Ausland als ausgemachte Sache, dass Deutschland als eines der Hauptexportländer ungleich stärker von der Krise betroffen sein wird als seine Konkurrenten. Überflüssig zu sagen, was dies für die Lage der Arbeiterklasse hierzulande bedeutet. Nur eine Zahl: das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel erwartet einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf deutlich über vier Millionen. Sollten sich die Prognosen der bürgerlichen Experten bewahrheiten, sollten sie gar übertroffen werden – und vieles spricht dafür -, werden die Zweifel der Arbeiterklasse an dieser Gesellschaftsform, die bis dahin eher verhalten waren, neue Nahrung erhalten. Spätestens dann könnte ein Denkprozess in unserer Klasse ausgelöst werden, an dessen Anfang der Verlust des Vertrauens in den bürgerlichen Staat steht und an dessen Ende möglicherweise die Frage der Systemrelevanz auf eine ganz andere Weise formuliert wird.
19. März 2009
Mitte Februar fand in Deutschland eine Veranstaltungsreihe zum Kaukasuskrieg statt. Vadim Damier von der Föderation der Arbeitenden in Erziehung, Wissenschaft und Technik, Moskau, hielt Vorträge in Völklingen, Landshut, Kirchheim, Offenbach am Main, Mainz, Nottuln, Münster, Neu-Isenburg, Trier und Hannover. Die Veranstaltung in Hannover am 13. 2. 09 wurde organisiert von der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) in Zusammenarbeit mit Connection e.V. Vielleicht fünfzig Teilnehmer waren anwesend, um sich über die Lage zu informieren, ihre Fragen zu stellen, und um eine internationalistische Stimme aus Russland gegen den Krieg zu hören.
Im Einladungstext erklärte die Moskauer “Föderation der Arbeitenden“: „Wie immer und überall in Konflikten zwischen Staaten gibt es in diesem neuen Kaukasuskrieg keine gerechte Seite.“ Und die Organisatoren der Veranstaltung fügten hinzu: „Vadim Damier und seine Föderation wenden sich gegen Nationalismus auf allen Seiten.“
In seinem in ausgezeichnetem Deutsch gehaltenen Vortrag bezeichnete Vadim die Lage im Kaukasus als ein Pulverfass, das jeder Zeit explodieren kann. Er erinnerte daran, wie die UdSSR bis 1989 versucht hat, die dortigen Konflikte zugleich zu erhalten und einzufrieren, um die verschiedenen Volksgruppen gegen einander auszuspielen und gleichzeitig unter Kontrolle zu halten. Die friedliche Eintracht der Sowjetrepubliken war also mehr Schein als Wirklichkeit. Der Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre brachte somit alte, schlummernde Konflikte wieder an die Oberfläche. Georgien erklärte sich unabhängig und nahm eine neue Verfassung als Einheitsstaat an, welche die nicht georgischen Minderheiten, von Russland unterstützt, wiederum anstachelte, nach Unabhängigkeit zu streben. Dies wiederum gab Moskau die Gelegenheit, sich als „Vermittler“ zwischen Tiflis und den Abtrünnigen aufzuspielen und russische „Friedenstruppen“ in Georgien zu stationieren. Der Kreml betrachtet den Kaukasus als mit entscheidend für die Stabilisierung der eigenen Föderation. Die eigene Präsenz in Südossetien und Abchasien stärkt die Position Russlands auch gegenüber Tschetschenien und dem Nordkaukasus.
Des weiteren geht es bei diesem Konflikt um Energieinteressen, weil dort Pipelines verlaufen oder im Bau sind, welche Russland umgehen. Dies entspricht den Interessen Westeuropas, dessen Regierungen eine zu starke und einseitige Abhängigkeit von russischen Energielieferungen vermeiden wollen. Für die USA wiederum geht es um die eigene Weltherrschaft. Außerdem geht es auf allen Seiten um viel Geld. Russland wiederum hat ein Interesse daran, die Transportwege über Länder wie Georgien als zu gefährlich erscheinen zu lassen.
Schließlich geht es in der Region um globalere strategische Interessen, wobei Russland der Verdrängung aus den eigenen Interessenssphären Einhalt gebieten will. In der Zeit der Präsidentschaft Schewardnadze`s in den 1990er Jahren begann Georgien bereits, offen die westliche Karte zu spielen. Während man aber die Mitgliedschaft in der NATO anstrebte, war man zugleich bereit, die Präsenz der russischen Truppen auf georgischem Territorium zu dulden. Dies wurde von der Opposition unter dem jetzigen Staatschef Saakaschwili als Schwäche ausgelegt. Letzterer bereitete damit seine eigene Machtübernahme auf der Grundlage einer extremnationalistischen Position vor. Angesichts von Wirtschaftskrise und Elend und der Spaltung der eigenen Partei trat nun im Sommer 2008 Saakaschwili die Flucht nach vorne an. Indem er eine kriegerische Auseinandersetzung mit der russischen Übermacht suchte, setzte er auf die Unterstützung der georgischen Schutzmacht Amerika. Aber die Schutzmacht rang in diesem Moment mit ganz eigenen Problemen, war somit nicht bereit, wegen Russland einen offenen militärischen Konflikt mit Russland zu suchen. Russland aber rechnete mit dem militärischen Abenteuer der Regierung in Tiflis und war, ebenso wie die von ihm unterstützten abtrünnigen Enklaven, bestens darauf vorbereitet.
Dabei verfolgten alle Seiten ihre eigenen Machtinteressen. Es gab keine „gerechte Seite“. Und wie überall im imperialistischen Krieg war die Bevölkerung auf allen Seiten die Leidtragende.
Die Besucher der Veranstaltung wollten u.a. wissen, welche Rolle die religiöse und ethnische Konstellation vor Ort spielt. Vadim erklärte, dass die Georgier mehrheitlich christlich-orthodox sind, aber mit eigener uralten Nationalkirche. Die Abchasier wie die Osseten, religiös gemischt, sind beide keine Georgier. Diese Unterschiede werden von den Machthabern auf allen Seiten voll ausgespielt. Es gab georgische Dörfer in den Enklaven wie auch umgekehrt, und auch gemischte Dörfer und vielen Mischehen. Er verglich die jetzige tragische Lage mit der im ehemaligen Jugoslawien während der Kriege dort in den 1990er Jahren, wo ebenfalls „ethnische Säuberungen“ stattfanden und viele Familien ethnisch gesprengt wurden. Er wies daraufhin, dass die vom Westen kritisierte Regierung Putin`s genau dieselbe Kriegsrechtfertigung vorbrachte wie seinerzeit die NATO in Jugoslawien: Die Verhinderung von Völkermord. Die georgische Seite wiederum benutzte die Kriegsrechtfertigung, welcher sich Moskau vorher gegenüber Tschetschenien bediente: Die Bewahrung der nationalen Einheit und Integrität.
In Russland verfüge man über nur wenig Information bezüglich der Lage in Georgien, so der Genosse. Zwar gebe es bekannte Kriegsgegner dort wie die „War Resistance Information“. Dennoch scheint eine ziemliche Kriegshysterie unter der Bevölkerung dort während der Kampfhandlungen geherrscht zu haben. In Russland war das auch nicht anders. Dort herrsche eine Art „Weimarer Syndrom“ vor, wie Vadim Damier es nannte: Die Legende von einer „verratenen, aber nicht besiegten“ UdSSR, welche wie Deutschland mit dem Versailler Vertrag am Ende des Ersten Weltkriegs ein historisches Unrecht erlitten habe, was nun das „neue Russland“ zu vergelten habe. So habe es während des Krieges vermehrt Übergriffe gegen Ausländer in Russland gegeben.
Unter der demgemäß sehr kleinen „Antikriegsopposition“ in Russland befanden sich Gruppen der außerparlamentarischen liberalen Opposition, welche sich „gute Beziehungen mit dem Westen“ wünschen; Altstalinisten, die gegen alles „protestieren“, was die Regierung anstellt, sowie einige wenige Trotzkisten, welche ansatzweise sich internationalistischen Positionen genähert hatten. Er wies auf das Internetforum „Neues Zimmerwald“ hin. Das anarchistische Spektrum habe mehr oder weniger internationalistisch reagiert. Einige Protestaktionen fanden in Großstädten wie Moskau und Sankt Petersburg statt. Diese zogen nie mehr als ein paar Hundert Teilnehmer an, wobei mehrmals v.a. Menschenrechtsgruppen die Aufmerksamkeit auf sich zogen, die sich beispielsweise für den „Friedensplan“ des französischen Präsidenten Sarkozy aussprachen.
Die Lage in der russischen Armee
Derzeit wird die Armee auf eine Million Soldaten, der Wehrdienst von zwei auf ein Jahr reduziert. Die liberale Opposition verlangt eine Berufsarmee. Vadim Damier bezog Stellung sowohl gegen eine Wehrdienst- als auch gegen eine Berufsarmee, und erinnerte daran, dass eine Berufsarmee gegebenenfalls eine noch zuverlässigere Waffe in den Händen der Herrschenden sein kann, vor allem gegen die „eigene“ Bevölkerung. Er erinnerte daran, wie beim Arbeiteraufstand von 1962 in Nowotscherkask viele Wehrdienstleistende sich geweigert hatten, zu schießen. Auch erläuterte der Genosse die Herrschaft des Mobbings innerhalb der Armee, welche zumindest toleriert wird als Mittel zur Spaltung und Disziplinierung der Wehrpflichtigen. Dagegen versuchen die Komitees der „Soldatenmütter“ etwas auszurichten.
Die Arbeit der KRAS
Schließlich stellte der Genosse die Arbeit der eigenen Gruppe vor, der KRAS, die er als eine anarcho-syndikalistische Gewerkschaft aus Moskau bezeichnete, Mitglied der internationalen anarchistischen Föderation IAA, Herausgeber der russischsprachigen Zeitschrift „Direkte Aktion“. Vadim bezeichnete seine Gruppe als „a-national“ und „antimilitaristisch“. So hat sie bereits gegenüber den Kriegen in Tschetschenien eine konsequent internationalistische Haltung eingenommen. Gegenüber dem Krieg in Georgien veröffentlichte die KRAS eine internationalistische Stellungnahme, welche von anderen Gruppen in vielen Weltsprachen übersetzt wurde (auch von der IKS, siehe Weltrevolution 150). Während die KRAS bis jetzt eine berufsübergreifende Gruppe darstellte, versuche man nun ein gesondertes Syndikat der Wissenschaftler auszubauen. Darüber hinaus versuche man, im Klassenkampf einzugreifen und die Lehren aus den internationalen Kämpfen zu ziehen.
Die IKS begrüßte auf dieser Veranstaltung die konsequente internationalistische Haltung der KRAS gegenüber dem imperialistischen Krieg. Wir hoben die Prinzipienfestigkeit der Genossen gegenüber dieser Frage hervor, sowie ihren Mut über viele Jahre hin in aller Öffentlichkeit trotz aller chauvinistischen Hetze diesem Grundsatz des Proletariats treu geblieben zu sein. Wir betonten, wie wichtig es ist für die Internationalisten aller Länder, angesichts der zunehmenden kriegerischen Konflikte sowie der prominenten Rolle des russischen Imperialismus darin, eine internationalistische Stimme von dort zu vernehmen. Wir unterstrichen, dass es bei dieser Einstellung niemals auf den unmittelbaren Erfolg ankommen darf. Vielmehr geht es darum, gegen den Strom der Stimmungen auch innerhalb der eigenen Klasse zu schwimmen, um dann Wirksamkeit zu erlangen, wenn die Stimmung sich gegen den Krieg wendet und sich vor allem verbindet mit einer Klassenbewegung des Proletariats. Wir erinnerten daran, wie die Revolution am Ende des Ersten Weltkrieges gerade auf diese Weise entstanden war, in Russland aber beispielsweise auch in Deutschland. Losgelöst vom Klassenkampf drohe der Kampf gegen den Krieg in eine klassenübergreifende “Antikriegsbewegung“ abzurutschen. Deshalb warfen wir die Frage der Konsequenzen der Wirtschaftskrise für die Entwicklung des Klassenkampfes auf, in Russland wie auch international. Ein internationaler Abwehrkampf der Arbeiterklasse gegenüber der Weltwirtschaftskrise hätte das Potenzial, eine Bewegung zu werden, welche bei einer zunehmenden Politisierung in der Lage wäre, die Frage des Kampfes gegen den Krieg mit zu integrieren.
Vadim Damier antwortete darauf, die Arbeitslosigkeit betrage derzeit offiziell 1,5 Millionen, in Wahrheit aber 7 Millionen. Bis Jahresende allerdings wird offiziell mit bis zu 7 Millionen Erwerbslose gerechnet. Das Elend der Nichtauszahlung der Löhne aus der Zeit der Jelzinregierung Anfang der 1990er Jahre tritt außerdem massiv wieder auf. So befinde sich die Bevölkerung derzeit im Schockzustand. Es habe „soziale Revolten“ in den baltischen Staaten gegeben, und dies sei in Zukunft auch für Russland wahrscheinlich. Aber gerade in Russland fehle die Idee einer Alternative, da Jahrzehnte des Stalinismus jede Vorstellung einer möglichen klassenlosen Gesellschaft in Misskredit gebracht habe. So sei die Gefahr eines zunehmenden Nationalismus auch nicht von der Hand zu weisen. Febr. 2009
Die Krise schlägt immer härter zu und die Links- und Rechtspopulisten (Stalinisten/Trotzkisten und SVP[i]) beschwören die Referendumsdemokratie, damit der Rechts- bis Mitte-Links-Mehrheit[ii], die in der Regierung und Parlament das Sagen hat, Einhalt geboten wird. Klar ist, dass mit der Abstimmung über das erweiterte Freizügigkeitsabkommen (Erweiterung auf Bulgarien und Rumänien) für die Schweiz einiges auf dem Spiel stand, auch wenn die EU versicherte, dass die sonstigen bilateralen Abkommen nicht gefährdet seien, wenn das Schweizer Volk sich an der Urne gegen diese Erweiterung aussprechen würde.
Die Schweiz läuft mit ihrem Sonderzüglein ständig Gefahr, gerade in den sich zuspitzenden Krisenverhältnissen, von anderen Ländern stärker unter Beschuss genommen zu werden[iii]. Seit die EU gegründet wurde und die Kohäsion in der EU in einigen Bereichen verstärkt wurde, kommt die Schweiz zunehmend unter Druck. Wenn die Schweiz nicht unter extremen Leidensdruck kommen will, muss sie sich ein Stückweit anpassen (siehe Bankgeheimnis). Die weitere Isolation wäre auch das Ende einer prosperierenden Schweiz, wenn sie nicht wie bisher, ihr Geld- und Waren-Kapital gleich wie andere europäische Länder ein- und ausführen kann.
Die verantwortlicheren Teile der herrschenden Klasse in der Schweiz haben dies erkannt und bekämpften mit allen Mitteln und Tricks das Referendum gegen das „erweiterte Freizügigkeitsabkommen“.
Was bedeutet nun aber die freie Zirkulation von Waren und Menschen für die Arbeiterklasse? Unter kapitalistischen Verhältnissen, dient der Import von Arbeitskräften vor allem dazu, die Löhne zu drücken, den Kapitalismus zu entwickeln. „Im ältesten kapitalistischen Land, in Großbritannien, konnte die neue herrschende Klasse ihren Aufstieg dank einer schrecklichen Ausbeutung der Massen von Hungrigen fortsetzen, die vom Lande in die Städte strömten; insbesondere war dies am Beispiel Irlands ersichtlich. "Die rasche Ausdehnung der englischen Industrie hätte nicht stattfinden können, wenn England nicht an der zahlreichen und armen Bevölkerung von Irland eine Reserve gehabt hätte, über die es verfügen konnte." (F. Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England, MEW Bd. 2, S. 320) Diese "Reservearmee", die durch die irische Immigration gebildet wurde, ermöglichte es dem britischen Kapital, innerhalb der Arbeiterklasse Konkurrenten einzuführen, womit es die Löhne senken und die ohnehin schon unerträglichen Ausbeutungsbedingungen der Arbeiter noch mehr verschlechtern konnte“[iv]. Seit 40 Jahren leidet der Kapitalismus wieder an einer verstärkten Überproduktion, d. h. es werden zu viele Güter gegenüber der Kaufkraft der Bevölkerung produziert. Die ausgehandelten Verträge der Hauptmächte nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglichten bis Anfangs der 1970er-Jahre ein Wirtschaftswunder. Danach begann die Profitrate wieder zu sinken. Die herrschende Klasse reagierte unter anderem, indem sie die arbeitskraftintensiven Arbeiten in die verschiedenen „Billiglohnländer“ auslagerte, was ein wichtiger Faktor der sogenannten Globalisierung ist. Das hat wiederum zu einer Verschärfung der Ausbeutung und Senkung der Löhne in den Zentren der kapitalistischen Produktion geführt. Z. B. wurden die Arbeitszeiten flexibilisiert, Arbeitsplätze sind für viele, die eine neue Arbeitsstelle annehmen mussten, auch mit langen Arbeitswegen verbunden. Auch nimmt die Schwarzarbeit, die meistens von immigrierten Arbeitskräften verrichtet wird, kontinuierlich zu. Dies setzt wiederum die einheimische Arbeiterklasse unter Druck, die länger und für geringere Löhne arbeiten muss. Diese und andere Massnahmen, haben dazu geführt, dass die Profitrate wieder stieg.
Der kapitalistische Staat und die Unternehmer sind von ihrer Ausbeuterfunktion her daran interessiert, die Löhne so tief wie möglich zu halten und gleichzeitig eine flexible Arbeiterklasse in ihrem Zugriffsbereich zu haben. Die Populisten verschiedener Couleurs versuchen die zwangsläufig daraus erwachsende Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse für sich umzumünzen. Gleichzeitig verlieren die Mitte-Parteien immer stärker an Wählerstimmen, weil sie am Offensichtlichsten, die Interessen der Unternehmer und des kapitalistischen Staats vertreten.
Die Rechtspopulisten wie die SVP propagieren nun in alter Manier die Ausländerfeindlichkeit und haben nach einem Zickzackkurs Schlussendlich das Referendum gegen die „erweiterte Freizügigkeit“ unterstützt. In der vorherigen Abstimmung über die Freizügigkeit, hatten sich selbst in der SVP der gemässigte und der Wirtschaftsflügel durchgesetzt und kein Referendum dagegen ergriffen. Wie kam es nun zu dieser zögerlichen Wende? Wir müssen da ein bisschen auf die Entstehungsgeschichte der SVP zurückkommen und ihre verschiedenen Flügel die die verschiedenen Interessen in dieser Partei vertreten, anschauen.
Die SVP gründet auf einer zutiefst arbeiterfeindlichen und antisozialistischen Tradition. Die Zürcher Bauernpartei die später BGB und schliesslich SVP hiess, war just 1917 am Ende des Ersten Weltkriegs gegründet worden, also als Abwehrblock gegen die revolutionär gesinnte Arbeiterklasse. Weil ihrer Meinung nach, die liberalen und katholisch-konservativen Kräfte allzu weich gegenüber der Arbeiterklasse vorgingen, sahen sie sich selber als die konsequentesten Verteidiger des Vaterlands gegen die proletarische Revolution. Die herrschende Klasse hatte die Bauern, als Soldaten gegen die Arbeiter in den Städten eingesetzt und auch gegen den Generalstreik 1918 kamen vor allem Bauern zum Einsatz. Welche Taktik man gegenüber der Arbeiterklasse haben sollte, war aber nicht der einzige Widerspruch der ländlichen und kleinbürgerlichen Bourgeoisie gegenüber den damals vorherrschenden Teilen der Bourgeoisie. Die Bekämpfung der Auswüchse des Kapitalismus war ein weiterer Pfeiler der Bauernpartei, sozusagen eine rückwärtsgewandte auf den Kleinbetrieb fixierte Alternative zum vorherrschenden konzentrierten, monopolistischen damals erst entstandenen Staatskapitalismus. In einem Flugblatt der Bauernpartei von 1919 wird das so ausgedrückt: „Ihr verwerft das staatliche Eingreifen in Eure Betriebe, weil es den Bureaukratismus gross züchtet und die eigene Verantwortung lähmt.“ Die Bauernpartei war eine kleinbürgerliche Abspaltung, von der damals noch stärksten und staatstragenden bürgerlichen Partei, der FDP. Die BGB holte sich mit ihrem eingefleischten arbeiterfeindlichen Getue eine Machtposition heraus, von der die Schweizer Bauern noch lange profitieren sollten. Landesverteidigung und Landwirtschaft, Schutz gegen den Sozialismus, das war das Pfand der Bauernpartei, womit sich die archaischen Strukturen über die Jahrzehnte hinaus gegenüber dem Angriff des Grosskapitals teilweise schützen konnten. Kein anderes Land in Europa hat noch so einen geschützten Agrarsektor wie die Schweiz. Diese Abhängigkeit vom Staat, ist gerade das Gegenteil von dem, was die junge Bauernpartei 1919 noch propagierte. Die quasi ökonomische Ausrottung der Kleinbauern und andere Gründe liess die Partei zusammenschrumpfen, bis sie 1975 nur noch 9 Prozent der Wählerstimmen erhielt.
Die grossen Kämpfe der Arbeiterklasse auf internationaler Ebene nach 1968, hatte das Kräfteverhältnis wieder zu Gunsten der Arbeiterklasse verschoben und die herrschende Klasse reagierte wiederum, wie schon 1918/19 mit einem Linksrutsch. Dem setzte sich die SVP entgegen, aber ihr Programm war nicht mehr einfach ein kleinbürgerliches, weil einerseits Grosskapitalisten wie Blocher oder Ebner dazugekommen waren, sondern weil die Bauern selber am Staatstropf hängen und die Grossbauern am meisten davon profitieren. Heimat, Leistung, Familie und Eigenverantwortung gepaart mit Euroskepsis, Fremdenfeindlichkeit und Verdammung der Immigranten sind die alten neuen Schlagworte der SVP seit 1977. Diese Ideologie, neu aufgearbeitet, d. h. mit fast ausschliesslichem Schwerpunkt auf die Europa- und Immigrantenfeindlichkeit aufgebaut, verfängt seither immer stärker, weil sie vermeintlich einen Schutz gegen die sich verschärfende kapitalistische Krise bieten soll. Der zunehmende ökonomische aber auch moralische Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft, lässt überall politische Kräfte emporkommen, die einen Erhalt der moralischen Ordnung, die Erhaltung des Arbeitsplatzes durch Abschottung propagieren. Das dies ein völliger Unsinn ist, zeigt sich nicht erst seit der letzen Finanzkrise, wenn die Staaten sich nicht minimal koordiniert hätten und den Dingen ihren Lauf wie 1929 gelassen hätten, der Kapitalismus heute zumindest zeitweise zum totalen Stillstand gekommen wäre. Über das hinaus ist aber der Erfolg einer SVP nur zu verstehen, weil eben die bisherigen staatskapitalistischen Rezepte der Mitte Rechts- bis Mitte-Links-Regierenden umfassenden staatstragenden Parteien nicht mehr greifen, und trotz ständigem Eingreifen seitens des Staats, die gröbsten Auswirkungen der Krise zu dämpfen, immer mehr Teile der Gesellschaft an den Rand gedrückt werden. Die Parteien wie die SVP in der Schweiz, die vorgeben, sie wollen den Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft mittels Abschottung bekämpfen, sind aber letztlich selber ein Produkt des Zerfalls. Die Auswüchse des „globalisierten Kapitalismus“ mit Mitteln bekämpfen wollen, die geschichtlich gesehen, schon alle totgelaufen sind, wie die Abschottung oder der Protektionismus in den 30er-Jahren, oder eben auch wieder die Staatsintervention wie sich auch von der SVP gefordert wird, um die Auswüchse der Boni-Zahlungen zu bekämpfen etc. Die Spaltungen in der SVP sind einerseits Ausdruck verschiedenen Kapitalfraktionen, die in ihr vertreten sind, aber auch der Zersetzung der bürgerlichen Ideologien. Es ist darum kein Zufall, dass die Europa- und Immigrantenfrage, seit Jahrzehnten bald, als die Hauptfrage im Vordergrund steht. Die SVP bietet keine wirklichen zumindest wirtschaftlichen Gegenprogramme, wie das die faschistischen oder nazifaschistischen Parteien in den 30er-Jahren noch taten, indem sie den Staat einsetzten um den Krieg vorzubereiten. Waren diese Ideologien schon ein Ausdruck der Dekadenz des Kapitalismus, indem sie verschiedene Versatzstücke von Ideologien zusammenwürfelten, die verschiedenen Zeiträumen und Klassen entstammten[v], so treten heute immer mehr Ein-Punkt-Parteien hervor, die überhaupt kein Programm mehr darstellen. Parteien wie die Grünen, andere die die sich allein das Ziel gesetzt haben, bestehenden Parteien zu bekämpfen („Stattparteien“ in Deutschland), oder eben Parteien wie die SVP, die sich vor allem gegen alles Fremde oder vielmehr vermeintlich Fremdes wehrt.
Mit den Trotzkisten der Bresche und den Altstalinisten der PDA hat die SVP gemeinsam, dass sie die einzigartige Referendumsdemokratie der Schweiz für ihre Zwecke nutzen wollen. Diese Linksextremen behaupten zusätzlich, es sei es möglich, die verstärkten Angriffe auf die Arbeiterklasse mittels Referenden zu bekämpfen. Wie weit diese populistischen Kräfte selber daran glauben ist relativ unwichtig. Wichtig ist, dass mit einem solchen Vorgehen einerseits die Mystifikation der Referendumsdemokratie verstärkt, als ob sich diese sich längerfristig gesehen, jemals für die Arbeiterklasse ausgezahlt hätte. Andererseits werden vor allem von den rechten Parteien natürlich, aber auch von den linken Parteien die das Referendum unterstützen, die Einigelungsstrategie als gangbarer Weg für den Schutz der Arbeits- und Lebensbedingungen propagiert. Dies verstärkt die fremdenfeindlichen Gefühle in der Arbeiterklasse selbst. Diese Kampagnen gegen das Freizügigkeitsabkommen (FZA) greifen nicht nur die Immigranten an, weil sie die Arbeiterklasse in „Einheimische“ und „Immigranten“ spalten. Sie stellen einen direkten Angriff gegen das Klassenbewusstsein des Proletariats dar.
„Bei der Entwicklung eines jeden nationalen Kapitals war das Phänomen der Migration von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil der Existenzbedingungen der Arbeiterklasse. Die Arbeiterklasse ist von ihrem Wesen her eine Klasse von Migranten, von Flüchtlingen, die aus der blutigen Zerstörung der feudalen Produktionsverhältnissen hervorgehen.“[vi] Einzig der Kampf der Arbeiterklasse als Klasse, konnte gewisse Angriffe auf die Arbeiterklasse abwehren. Aber schon im 19. Jahrhundert als die Arbeiterklasse einen gewissen Nutzen von der Demokratie ziehen konnte, wurden die Verbesserungen für die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Kampf gegen den bürgerlichen Staat, gegen die bürgerliche Demokratie errungen. Die fortgeschrittenste Demokratie, auch wenn sie so ein weit ausgedehntes Mittel wie das Referendum in der Schweiz besitzt, ist heute von den grössten Kapitalfraktionen und dem Staat beherrscht. Das ist das was wir Staatskapitalismus nennen. Die Widersprüche der verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse können nicht mehr, wie im 19. Jahrhundert, von der Arbeiterklasse für sich ausgenützt werden und so bessere Gesetze, die ihre Lebensbedingungen verbessern, mittels Parlament herausholen. Es sind nicht die Vorstellungen wie von Revolutionären wie Lenin entwickelt wurden, der darauf bestand, das Parlament als revolutionäre Tribune auszunützen, die der geschichtlichen Entwicklung standgehalten haben. Es zeigte sich eindeutig, dass der Parlamentarismus und die Demokratie im Allgemeinen, wie das die linkskommunistischen Fraktionen der Kommunistischen Internationale schon in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts festgestellt hatten, nicht mehr fruchtbringend für die Arbeiterklasse eingesetzt werden können. Alle Parteien, die seit dem 20. Jahrhundert in- und ausserhalb des Parlaments die demokratischen Illusionen schüren, machen das Spiel der herrschenden Ordnung mit und verschlechtern somit die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse. Seit Beginn des 20. Jahrhundert hat sich das immer wieder bestätigt, weil alle Fraktionen der herrschenden Klasse sich gegen die Arbeiterklasse stellen. Nur durch ein günstigeres internationales Kräfteverhältnis für das Proletariat gegenüber der Bourgeoisie können die Verschlechterungen der Lebensbedingungen zeitweilig zurückgedrängt werden.
Zu behaupten, wie das z. B. die Trotzkisten der Bresche machen, dass „Das FZA kann nochmals vors Volk gebracht werden – mit verbesserten innenpolitischen Begleitmassnahmen.“ (Bresche Nr.29, 2009) ist reine Augenwischerei und gibt vor, man könne die Verschlechterungen der Lebensbedingungen, die durch die Krise ausgelöst werden, mit parlamentarischen Mitteln bekämpfen. Darüber hinaus suggerieren sie, dass man Parteien wie die SVP durch Besetzung des parlamentarischen Terrains mit den gleichen Themen wie sie, eindämmen könnte. Fragwürdig ist auch, dass die innenpolitischen Massnahmen wie z. B. besseren Kündigungsschutz oder gleiche soziale und politische Rechte für alle, die in der Schweiz leben und arbeiten, ausgerechnet von Gewerkschaften und linken Parteien durchgesetzt werden sollen. Die Teile der herrschenden Klasse, die ständig die Angriffe des Kapitals unter dem Motto; es sei noch das kleinere Übel kaschieren und letztlich damit direkt oder indirekt die Verschlechterungen durchsetzen.
Wir dürfen uns aber keinen Illusionen hingeben, dass uns dies vor dem Bankrott des Kapitalismus schützen kann. Die Arbeiterklasse kann ihre Interessen nur verteidigen, indem sie überall ihre internationale Klassensolidarität entfaltet und sich nicht zwischen Immigranten und Einheimischen spalten lässt, den Kampf über alle Berufskategorien ausweitet und so die Angriffe der herrschenden Klasse einschränkt. Aber auch dies wird längerfristig nicht genügen. Die Arbeiterklasse muss die Verantwortung für eine neue Gesellschaft in die eigenen Hände nehmen und dies kann sie nur, indem sie die perfideste Form der Diktatur der Bourgeoisie bekämpft, die Demokratie samt allen für die Arbeiterklasse nutzlosen, wenn nicht schädlichen Referenden. Wilh.
[i] Schweizerische Volkspartei
[ii] In der Schweiz herrscht seit Integrierung der Sozialdemokratie 1943 im Bundesrat (Exekutive) eine Koalitionsregierung, die von der SVP bis zu den Sozialdemokraten geht, sogenanntes Kollegialitätsprinzip oder Konkordanzsystem.
[iii] So zum Beispiel seit Wochen aus Washington, und in den letzten Tagen von Seiten des deutschen Finanzministers Steinbrück in der Frage des Bankgeheimnisses. Steinbrück hat die Schweiz, aber auch die EU-Mitglieder Österreich und Luxemburg, damit gedroht, sie auf eine internationale schwarze Liste zu setzen.
[iv] Weltrevolution Nr. 138 [12], Die Arbeiterklasse ist eine Klasse von Migranten, September 2006 (https://de.internationalism.org/klasse/138 [13])
[v] Wir stellen lediglich fest, dass wir uns einer Bewegung gegenüber sehen, die zwar über eine starke Organisation verfügt und nicht nur in militärischer, sondern auch politischer und parlamentarischer Hinsicht durchaus schlagkräftig ist, der aber eine eigene Ideologie und ein eigenes Programm fehlen. „Fascismo“, Il Comunista, Nr. 30, November 1921
[iv] Weltrevolution Nr. 138 [12], Die Arbeiterklasse ist eine Klasse von Migranten, September 2006 (https://de.internationalism.org/klasse/138 [13])
„Präsident Obama hat auf der Ebene der Außenpolitik eine schwierigere Bürde übernommen als irgendein anderer Präsident seit Harry Truman (1945-53). Die Erstellung von Prioritäten unter Dutzenden von Konflikten und Krisen erfordert ein neues Verständnis der kritischsten Regionen, der herausragendsten Kernpunkte und der Fragen, bei denen eine neue Richtung eingeschlagen werden muss“, liest man auf der Webseite der Carnegie-Stiftung in der Einleitung zu einer Reihe von Artikeln zur „Außenpolitik des nächsten Präsidenten.“
Das Schlamassel, vor dem der US-Imperialismus steht, ist wohlbekannt: Militärisch ist er in Konflikten im Irak und in Afghanistan festgefahren, sind seine Kapazitäten überlastet. Pakistan wird immer instabiler, hinzu kommen die Schwierigkeiten mit dem Iran, mit Syrien und nicht zuletzt auch der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern.
Die Invasion des Gaza-Streifens durch Israel kurz vor der Amtsübernahme Obamas hat eine Bevölkerung zurückgelassen, die sich einer noch größeren Zerstörung und Verwüstung sowie einer noch strikteren Blockade gegenübersieht. Die Invasion wurde mit Sicherheit zeitlich so geplant, dass sie noch während Bushs Amtszeit stattfand, da man auf dessen Unterstützung bauen konnte. Aber auch unter Obama bleiben die USA weiterhin ein enger Verbündeter Israels. Er verhielt sich ruhig, als die Massaker im Gaza-Streifen verübt wurden. Die ergebnislosen Wahlen in Israel, die keine klaren Mehrheitsverhältnisse brachten, stellen einen weiteren erschwerenden Faktor neben den Spaltungen zwischen Hamas im Gaza-Streifen und der Fatah in den palästinensischen Autonomiegebieten dar. Der palästinensische Premierminister Fayyad versprach, zugunsten einer Regierung der nationalen Einheit zurückzutreten. Doch dies wird nur eine leere Geste bleiben, solange keine solche Regierung gebildet werden kann. Und dies ist keineswegs sicher angesichts zweier sich bekämpfenden Flügel, die vor zwei Jahren militärisch aneinander gerieten. Bei allem Antiamerikanismus in der arabischen Bevölkerung mögen Ägypten und Saudi-Arabien die Hamas ebenso wenig, da diese Unterstützung vom Iran erhält, der nicht nur schiitisch ist, sondern auch entschlossen die Politik verfolgt, zur Regionalmacht zu werden und sich seinen Ambitionen enstprechend mit Atomwaffen auszurüsten.
Der Irak, der 2003 so schnell überrannt wurde, bleibt weiterhin instabil, ungeachtet der kleinen Auswirkungen der Truppenverstärkungen. Da zehn Prozent der Weltölförderung aus dem kurdischen Norden des Iraks kommen und der Iran einen großen Einfluss im schiitischen Süden hat, droht dem Land die Gefahr des Auseinanderbrechens. Obama hat verkündet, die US-Truppen bis 2010 abzuziehen (auch wenn 30.000 weiterhin im Land verbleiben sollen), was die Unfähigkeit der USA zum Ausdruck bringt, die Lage in den Griff zu bekommen.
Afghanistan ist von internationalen Kräften besetzt, mit den USA an der Spitze, die das größte Truppenkontingent stellen, aber sie kontrollieren nur wenig mehr als Kabul und Umgebung - oder wie Major Morley, der früher der britischen SAS angehörte, zur Provinz Helmand meinte: „Wir machen uns selbst etwas vor, wenn wir meinen, unser Einfluss gehe über 500 außerhalb unserer stark geschützten Lager hinaus (…) Wir haben keine Kontrolle vor Ort“. Und Pakistan droht noch instabiler zu werden. Die Beziehungen zwischen den ISI-Sicherheitskräften und den Taliban, die in Übereinstimmung mit der Regierung das Swat-Tal übernommen haben, sind bekannt. Als Reaktion auf die US-Bombardierung pakistanischer Taliban und ihrer Verbündeten – welche von islamischen Militanten mit dem Spruchband angeprangert wurde: „Bombardierung von Stämmen, das ist Obamas erstes Geschenk an Pakistan“ – hat der pakistanische Premierminister seine Entschlossenheit bekräftigt, die territoriale Integrität seines Landes zu verteidigen.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR blieben die USA als die einzig verbliebende Supermacht der Welt übrig. In den 20 Jahren seither haben sie einen beträchtlichen Niedergang erlitten. Wir müssen nur ihre Fähigkeit, die größten Mächte der Welt zur Unterstützung oder zumindest zur Finanzierung des ersten Golfkrieges 1991 zu beschwatzen, mit der offenen Opposition Frankreichs und Deutschlands vergleichen, als die USA 2003 in den Irak eindrangen, oder Amerikas Strategie in den frühen 1990er Jahren - die offen das Ziel verfolgte, das Auftreten jeglicher globalen oder regionalen Macht, die ihre imperialistische Hegemonie in Frage stellen könnte, zu verhindern - der heutigen Realität gegenüberstellen, in der es eine ganze Reihe von Mächten gibt, die die USA herausfordern. Schon Anfang der 1990er Jahre hatte Deutschland einen größeren Einfluss auf dem Balkan angestrebt und, indem es die Unabhängigkeit Kroatiens von Jugoslawien unterstützte, einen Krieg provoziert, der nahezu ein Jahrzehnt wütete. Zur gleichen Zeit forderte Frankreich die USA in Afrika heraus, was zu den barbarischen Kriegen in Ruanda und Zaire/Kongo führte. Heute sehen sich die USA weiteren Anfechtungen gegenüber.
Die wachsende Stärke des iranischen Imperialismus veranschaulicht deutlich die Schwierigkeiten der USA. Von der Bedrohung ihrer globalen Autorität zu massiven Machtdemonstrationen wie die Invasion Afghanistans und des Iraks getrieben, haben diese Akte der globalen Einschüchterung faktisch die Amerikafeindlichkeit überall auf der Welt, aber besonders in den „muslimischen“ Ländern verstärkt, wo der Iran mit Al-Qaida und anderen um die ideologische Führung des islamischen Anti-Amerikanismus wetteifert. Hinzu kommt, dass der militärische Sturz der lokalen Rivalen Irans, Saddam Hussein im Irak und die Taliban in Afghanistan, dem Iran Platz zur Expansion gegeben hat.
Heute sehen sich die USA auch der herausfordernden Haltung eines wiedererstarkten Russlands, das sie fast direkt im Georgienkrieg konfrontiert hatten, und dem Aufstieg Chinas als imperialistische Macht gegenüber. Der wachsende ökonomische Einfluss Chinas hat den Appetit dieses Riesenreiches geweckt und ihm die Mittel in die Hand gegeben, um Einfluss in Asien zu ringen, wo Pakistan ein langjähriger Verbündeter ist, und Vasallenstaaten in Afrika (Sudan, Kongo, Angola, Tschad, Äquatorial Guinea, Nigeria, Sambia) zu etablieren. Schlimmer noch, es unterstützt die „terroristischen“ Pariastaaten Syrien, Iran und Nordkorea.
Es stimmt, dass die USA weiterhin mit großem Abstand die größte Militärmacht der Welt bleiben. Trotz seines Wachstums und seiner Ambitionen beträgt Chinas Militärbudget etwas weniger als zehn Prozent des Rüstungsetats der USA (58.3 Mrd. Dollar im Vergleich zu den 547 Mrd. Dollar der USA) und ist sogar etwas kleiner als das britische Budget. Dennoch sind auch die militärischen Ressourcen Amerikas begrenzt; es kann nicht jeden Konflikt sofort austragen, insbesondere weil die Arbeiterklasse nicht besiegt und ungewillt ist, sich für die imperialistischen Abenteuer der Nation zu opfern.
Angesichts dieser Schwächung der amerikanischen Führung, wodurch die USA zu Verhandlungen mit Nordkorea und zur Anerkennung Chinas als ein Mitspieler in Asien gezwungen sind und ihre Politik von jedermann, insbesondere von den einst loyalen Verbündeten infragestellen lassen müssen, ist eine Neujustierung der US-Politik notwendig, um besser die US-Interessen zu verteidigen.
Zunächst hat Obama Afghanistan und Pakistan in den Mittelpunkt seiner politischen Ziele gestellt. Dies ist eine wichtige strategische Region, mit dem Iran im Westen, dem Kaukasus und Russland im Norden, China und Indien im Osten. Es wird für die USA kein leichtes Unterfangen sein, sich aus dem Irak, auch auf die Gefahr hin, dass dieser auseinanderbricht, zurückzuziehen, um sich auf Afghanistan zu konzentrieren. 17.000 zusätzliche US-Soldaten sollen nach Afghanistan geschickt werden. Und Obama war gegenüber Pakistan ein Hardliner, hatte er doch während des Wahlkampfes angekündigt, diesen „Verbündeten“ im Kampf gegen den Terror zu bombardieren und zu besetzen, falls dies erforderlich sei. Iran ist die zweite Priorität, und auch hier gehörte Obama rhetorisch zu den aggressivsten - nichts, die militärische Option schon gar nicht, sei vom Tisch.
Der andere politische Wechsel vollzieht sich auf diplomatischer Ebene. Die USA sind in Afghanistan und im Irak zunehmend isoliert worden. Mittlerweile versuchen sie nicht mehr, im „Kampf gegen den Terror“ allein vorzugehen. US-Außenministerin Hillary Clinton ist zu einer diplomatischer Mission nach Asien (Japan, Indonesien, China) und zu einer „Friedenskonferenz“ nach Ägypten geschickt worden. Vizepräsident Joe Biden kündigte auf der Sicherheitstagung in München an, dass die USA die Politik des Zuhörens praktizieren wollen. Die Bush-Administration hat die USA in vielen Fragen in eine gefährliche Isolation geraten lassen, und das Obama-Team muss reichlich diplomatischen Schaden wiedergutmachen. Leider hindert ihr Hauptbedürfnis – die einzige weltweite Supermacht zu bleiben – die USA daran, jemals die Einsamkeit der Macht aufzugeben.
Einzige Supermacht bleibend, stehen die USA gegenwärtig immer größeren Herausforderungen aus vielen Richtungen gegenüber. Keiner der gegenwärtigen oder potenziellen Herausforderer wie Frankreich, Deutschland, China, Iran… verfügt auch nur im entferntesten über die finanzielle oder militärische Stärke, die Führungsrolle eines Bündnisses oder eines imperialistischen Blockes zu übernehmen, der mit den USA rivalisieren könnte. Gleichzeitig haben die USA weder die Macht noch die Mittel, diese Herausforderungen zu verhindern oder auszumerzen. Mit anderen Worten, wir können keinen Frieden von der amerikanischen oder jeglichen anderen Außenpolitik erwarten. Im Gegenteil, jede Macht muss ihre Rivalen destabilisieren und wird alle zur ihrer Verfügung stehenden Mittel einsetzen: kurzzeitige Bündnisse, Kriege, Terrorismus. Kurzum, wir werden noch mehr Tod, noch mehr Chaos in all den Konfliktzonen auf der Erde erleben. Dies ist ein Ausdruck des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft auf der Ebene des Imperialismus.
Die Arbeiterklasse bleibt eine Hürde für den Weltkrieg, weil sie ungeschlagen ist, aber gleichzeitig ist sie nicht in der Lage, die zunehmend barbarischeren Kriege auf der Erde zu verhindern, solange sie ihre Kämpfe nicht auf eine höhere Stufe hebt und dem ganzen kapitalistischen System ein Ende macht.
Alex 7.3.09 (aus unserer Zeitung in Großbritannien)
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