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Oktober 2005

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Anton Pannekoek – Denker der Revolution

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Buchbesprechung zu Cajo Brendels "Anton Pannekoek – Denker der Revolution"

In letzter Zeit haben uns mehrere Sympathisanten angesprochen, um unsere Meinung zu Cajo Brendels Buch über Anton Pannekoek zu erfahren. Die deutsche Ausgabe dieses vor ca. 30 Jahren auf niederländisch geschriebenen Buches von Brendel ist 2001 im ¸a ira Verlag erschienen. Die Genossen, die uns darauf ansprachen, haben das Buch durchweg begrüßt und gelobt. Zum einen waren sie erfreut darüber, weil dadurch Pannekoeks Beitrag zum Marxismus einem breiteren deutschsprachigen Publikum wieder bekannt gemacht wird. Zum anderen waren sie daran interessiert, durch dieses Buch die Gedankenwelt Cajo Brendels näher kennenzulernen. Brendel gilt als der letzte Vertreter des sog. Rätekommunismus der Nachkriegsjahre in den Niederlanden. Diese politische Strömung, welche sich vornehmlich durch die Ablehnung einer spezifischen politischen Organisation der Revolutionäre auszeichnet, beruft sich gern auf Pannekoek als eine Art theoretischer Ziehvater.

Eine nützliche Einführung in das Werk Pannekoeks

Auch wir begrüßen das Erscheinen dieses Buches. Denn es bietet eine wertvolle Anregung, sich mit dem Lebenswerk eines der größten marxistischen Theoretiker des 20. Jahrhunderts zu befassen. Zwar gab es vor und nach dem 1. Weltkrieg eine besonders enge Zusammenarbeit und gegenseitige Beeinflussung der Revolutionäre in Deutschland und den Niederlanden. Pannekoek selbst lebte und wirkte einige Jahre lang in Deutschland. Er verfasste einige seiner wichtigsten Schriften ursprünglich auf Deutsch. Auch die meisten seiner anderen wichtigeren Schriften, mit Ausnahme seines Buches über die Arbeiterräte, sind ins Deutsche übersetzt worden. Doch die meisten dieser Ausgaben (von denen mehrere unter der Mitarbeit von Cajo Brendel erschienen) sind längst vergriffen und leider auch in Vergessenheit geraten. Brendels jetzt erschienenes Buch enthält eine nützliche Bibliographie der Bücher, Broschüren und Artikel Pannekoeks, von denen ein Teil durch öffentliche Bibliotheken angefordert oder auch im Internet abgerufen werden kann. Darüber hinaus fasst Brendel auch einige der Hauptideen in den Schriften Pannekoeks zusammen, welche dem Leser sonst unzugänglich geblieben wären, die des Holländischen nicht mächtig sind. So sind etwa die Kapitel Brendels "Betrachtungen über die Entstehung des Menschen und der Einfluß Josef Dietzgens", "Der Beitrag Pannekoeks zur Imperialismusdebatte" oder seine Beiträge zum Verständnis der Gewerkschaftsfrage unbedingt lesenswert. Auch die Ausführungen über die von Pannekoek angewandte wissenschaftliche Methode enthalten viel Wertvolles.

Pannekoek: Produkt und Vorkämpfer der organisierten Arbeiterbewegung

Keine Frage: Brendel kennt die Schriften sowie den Werdegang Pannekoeks wie kaum ein zweiter. Außerdem arbeitet er sehr gewissenhaft mit den vorhandenen Quellen. Und dennoch liefert Brendel teilweise ein sehr verzerrtes Bild des jahrzehntelangen Wirkens Anton Pannekoeks in der organisierten Arbeiterbewegung. Dies hängt mit der ahistorischen, unmarxistischen Sichtweise des "Rätekommunismus" zusammen. Die Folge: Pannekoek bleibt als Vorkämpfer der marxistischen Linken in einer Zeit des historischen Umbruchs im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts außen vor. Pannekoek als Produkt der organisierten Arbeiterbewegung wird überhaupt nicht sichtbar. Statt dessen präsentiert uns Brendel einen Pannekoek, der angeblich jahrelang Mitarbeiter einer bürgerlichen Reformbewegung war. Schon im zweiten Absatz der Einleitung zu seinem Buch (S. 9) behauptet Brendel, dass die Sozialdemokratie, welcher sich Pannekoek Ende des 19. Jahrhunderts anschloss, von Anfang an kein Ausdruck der Arbeiterklasse war. "In Wahrheit aber war sie doch nur der radikalste Flügel der sich konsolidierenden Bourgeoisie", behauptet Brendel. Er erweckt den Eindruck, als ob Pannekoek schon immer der einsame, nicht organisiert arbeitende Theoretiker gewesen sei, der er gegen Ende seines Lebens unter dem Eindruck der historischen Niederlage der Arbeiterbewegung tatsächlich wurde. Er zeichnet ein Bild des großen Theoretikers, das ihn als isoliertes Individuum darstellt, welches allein, im stillen Kämmerlein, seinen Beitrag zum Marxismus geleistet hätte. Und zwar so gut, dass seine angebliche Mitarbeit in einer bürgerlichen Organisation diesem Beitrag offensichtlich nichts anhaben konnte. Es entsteht der Eindruck, als ob Pannekoek mit seiner theoretischen Weiterentwicklung sich immer mehr aus der organisierten Arbeiterbewegung zurückgezogen habe, als ob er erkannt habe, dass sie per se bürgerlich und die theoretische Arbeit das Werk von Einzelnen ist. Dies scheint offenbar die Meinung Brendels zu sein. Die Auffassung Pannekoeks war es jedenfalls nicht. In seinen in Amsterdam während der deutschen Besatzungszeit bei Kerzenschein niedergeschriebenen Erinnerungen ("Herinneringen uit de arbeidersbeweging") schildert er sein Mitwirken an der damaligen Arbeiterbewegung keineswegs als eine Irrfahrt ins Klassenlager der Bourgeoisie. Vielmehr vertrat er die Ansicht, welche er bereits im Verlauf des 1. Weltkriegs - angesichts des Überlaufens der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften auf die Seite des Kapitals - dargelegt hat, dass die Massenorganisationen aus der Zeit der II. Internationale zunächst durchaus den Bedürfnissen eines bestimmten Zeitabschnitts des Arbeiterkampfes entsprachen. Die naive, ahistorische Annahme des späteren "Rätismus", die Kapitulation von Arbeiterorganisationen vor den Interessen des Kapitals sei Beweis genug dafür, dass diese Organisationen "schon immer" bürgerlich gewesen seien, teilte Pannekoek nicht. Kein Wunder, denn gerade Pannekoek lieferte eine der ersten und fundiertesten marxistischen Analysen des Opportunismus: das Phänomen der Anpassung proletarischer Organisationen an die Ideologie und an die Realität der bürgerlichen Gesellschaft, welche ihren späteren Verrat vorbereitet. In "Die taktischen Differenzen in der Arbeiterbewegung" (1), einem Standardwerk zu diesem Thema, führt Pannekoek den Opportunismus auf die Auflösung der dialektischen Einheit zwischen dem Endziel und der Bewegung der Arbeiterklasse zurück. Dabei zeigt er die fundamentalen Gemeinsamkeiten zwischen dem offen reformistischen und dem anarchistischen Opportunismus innerhalb der damaligen Arbeiterbewegung auf. Beide wollen den Klassenkampf ohne die wissenschaftliche Waffe des Marxismus führen. Beide verherrlichen die individuelle Freiheit und fühlen sich abgestoßen durch das kollektive Wesen des Arbeiterkampfes. Beide bringen die Ungeduld und die schwankende Haltung des Kleinbürgertums zum Ausdruck. Somit hat Pannekoek bereits 1909 die tieferen Wurzeln des späteren Verrats sowohl der Sozialdemokratie im 1. Weltkrieg als auch der CNT im Spanischen Bürgerkrieg aufgedeckt. Der spätere Rätekommunismus hingegen hat zwar die gesamte Sozialdemokratie vor 1914 (und damit auch ihren linken revolutionären Flügel) in Bausch und Bogen verurteilt, andererseits aber den Anarchismus als legitimen, wenn auch theoretisch schwachen Ausdruck des revolutionären Proletariats angesehen. Das kommt daher, dass dieser Rätismus vom Schlage eines Cajo Brendels selbst eine Spielart des Opportunismus innerhalb der Arbeiterbewegung darstellt - und zwar eine Art "Zentrismus", d.h. eine schwankende Haltung zwischen Marxismus und Anarchismus.

Weit entfernt davon, abgeschieden von der Arbeiterbewegung seine Weltsicht auszuarbeiten, bildete sich der große Theoretiker Pannekoek in und durch die politischen Kämpfe der Arbeiterklasse heraus. Neben Rosa Luxemburg war er der leidenschaftlichste und tiefsinnigste Vertreter der Position der revolutionären Linken in der sog. Massenstreikdebatte, gegen das "Zentrum" um Kautsky, innerhalb der deutschen Arbeiterpartei. Zusammen mit Lenin, Trotzki und anderen Vertretern der internationalen Linken bezog Pannekoek Stellung gegen den um sich greifenden Opportunismus, welcher bestritt, dass die revolutionären Lehren aus dem Massenstreik von 1905 in Rußland allgemeine, weltweite Gültigkeit besaßen. Im Verlauf dieser Debatte war Pannekoek - wie Lenin später in "Staat und Revolution" anmerkte - der erste, der die von Marx und Engels aus der Erfahrung der Pariser Kommune gezogenen Lehren von der Notwendigkeit der vollständigen Zertrümmerung des bürgerlichen Staates wiederherstellte. Wenn Pannekoek in seiner 1912 in der "Neuen Zeit" erschienenen Polemik gegen Kautsky - "Massenaktion und Revolution" - gegen die Auffassung Stellung bezog, dass die Arbeiterpartei und ihre Kriegskasse bzw. die Gewerkschaftskasse reiner Selbstzweck seien, der sogar das Ausweichen vor dem Kampf rechtfertigen würde, tat er dies keineswegs aus Geringschätzung gegenüber dem Kampf um die Organisation und ihrer Finanzierung, sondern als ein Parteigenosse, welcher bereits in den Niederlanden die besonders verantwortliche Stellung des Schatzmeisters bekleidet hatte. "Die Organisation des Proletariats", schrieb er, "die wir als sein wichtigstes Machtmittel bezeichnen, ist nicht zu verwechseln mit der Form der heutigen Organisationen und Verbände, worin sie sich unter den Verhältnissen einer noch festen bürgerlichen Ordnung äußert. Das Wesen dieser Organisation ist etwas Geistiges, ist die völlige Umwälzung des Charakters der Proletarier."(2)

Dieser Kampf gegen den Opportunismus vor 1914 gehört zu den größten Leistungen Pannekoeks. Er führte diesen Kampf als aktiver Bestandteil der organisierten Arbeiterbewegung in Holland, in Bremen, als Mitarbeiter der Parteischule in Deutschland, als Vordenker der linken Opposition innerhalb der 2. Internationale. Und im Rahmen dieses Kampfes entwickelte er seine Grundüberzeugungen über die marxistische Methode, vertiefte er sein Verständnis der proletarisch-materialistischen Auffassung, wobei er auf den großen Beitrag Dietzgens hinwies, und entwickelte Fragen der Philosophie sowie der Ethik weiter.

Der zweite große Kampf, welchen Pannekoek führte, war die Verteidigung des proletarischen Internationalismus im 1. Weltkrieg. In enger Zusammenarbeit mit den deutschen Spartakisten, den russischen Bolschewiki und anderen Internationalisten gehörte Pannekoek, wie sein nicht weniger berühmter niederländischer Mitstreiter Herman Gorter, zu den Wegbereitern der Oktoberrevolution in Russland, des Kampfes um die Rätemacht in Europa und der 1919 gegründeten Kommunistischen Internationalen.

Doch der vielleicht wichtigste Beitrag Pannekoeks zum Marxismus war sein Mitwirken bei der Ausarbeitung der Konsequenzen des Eintritts des Kapitalismus in seine Niedergangsphase für die Kampfbedingungen des Proletariats. Indem er besonders klar erkannte, dass der Parlamentarismus sowie die Gewerkschaften keine Bühne des Klassenkampfes mehr sein konnten, wurde er einer der bedeutendsten Vordenker der Kommunistischen Linken. Aber auch diesen Beitrag leistete er nicht allein, sondern als Mitstreiter im Kampf der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD) sowie der sich formierenden Tradition der "deutsch-holländischen Linken" gegen den wachsenden Opportunismus innerhalb der Kommunistischen Internationalen, vor allem innerhalb der russischen und der deutschen Partei.

Pannekoeks Regression zu einem sterilen Anti-Leninismus als Folge der Konterrevolution

Im Gegensatz hierzu gehören die späteren politischen Werke Pannekoeks wie "Lenin als Philosoph" (1938) oder "Die Arbeiterräte" (1946) trotz mancher Vorzüge theoretisch zu seinen schwächeren Leistungen. In den Augen von Cajo Brendel und anderer "Rätisten" hingegen stellen diese Werke die Krönung des Pannekoekschen Lebenswerks dar. Brendels Schilderung eines sich stets fortentwickelnden Pannekoeks, der sein Weltbild ununterbrochen perfektionierte und dessen Sicht gegen Ende seines Lebens immer klarer wird, bleibt nicht ohne Reiz. Brendel führt diese angebliche Vervollkommnung außerdem auf die stete Fortentwicklung des Arbeiterkampfes sowie des Kapitalismus zurück. "Dass die Ergebnisse seiner Analyse verschieden ausgefallen sind, je nach dem Zeitpunkt, zu dem er sie vornahm, liegt nicht an dieser Methode, auch nicht an ihm, der sich ihrer bediente, sondern an der Tatsache, dass der Kampf der Arbeiter so wie das kapitalistische System nun einmal durch eine große Dynamik gekennzeichnet sind." (S. 14) Hier erblickt man erneut die große Schwäche von Brendels Analyse. Erstens verläuft der Prozess der Höherentwicklung selten geradlinig. Zweitens zeichnete sich die Entwicklung des Kapitalismus im 20. Jahrhundert nicht so sehr durch eine vorwärts gerichtete "Dynamik" als vielmehr durch einen Rückfall in die Barbarei aus. Drittens wurde die "Dynamik" des Klassenkampfes nach der Niederlage der proletarischen Revolution Anfang der 20er Jahre jahrzehntelang durch die längste Konterrevolution der Geschichte unterbrochen. All das hatte schwerwiegende Konsequenzen für die politische Entwicklung Pannekoeks. Zum einem ist es besonders schwer, in einer Zeit der allgemeinen Niederlage der Arbeiterklasse dem Druck der bürgerlichen Ideologie standzuhalten. Zum anderen löste Pannekoek in dieser Zeit der Niederlage tatsächlich allmählich seine Verbindung zur organisierten revolutionären Bewegung auf. Da aber die proletarische theoretische Arbeit, wie der Arbeiterkampf insgesamt, einen zutiefst kollektiven Charakter aufweisen, führte seine wachsende Isolierung zwangsläufig zu einem gewissen theoretischen Rückschritt Pannekoeks gegenüber bestimmten Fragen. Hier gibt es einige Parallelen zwischen Pannekoek und Amadeo Bordiga, dem Begründer der Tradition des "italienischen Linkskommunismus". Beide sind der Sache des Proletariats bis zu ihrem Lebensende treu geblieben. Beide betrieben ihre theoretische Arbeit im Verlauf der 30er und 40er Jahre in zunehmender Isolation. Beide vollzogen dabei in gewissen Fragen eine theoretische Regression, welche bei Bordiga mit einem sterilen Rückgriff auf eine Leninsche "Orthodoxie", bei Pannekoek mit einem ebenso sterilen "Anti-Leninismus" einhergingen.

Während Pannekoek zurecht in seiner Schrift "Lenin als Philosoph" darauf hinwies, dass Lenin in seinem 1908 verfassten Werk "Materialismus und Empiriokritizismus" den Unterschied zwischen bürgerlichem und proletarischem Materialismus ungenügend begriffen hatte, war es mehr als an den Haaren herbeigezogen, daraus schlusszufolgern, dass Lenin ein bürgerlicher Politiker gewesen sei, und dass die damals bevorstehende Revolution in Russland notwendigerweise eine bürgerliche Revolution werden müsse.

Cajo Brendel übernimmt natürlich dieses Argument. Schließlich handelt es sich bei der Ablehnung des proletarischen Charakters der Oktoberrevolution um die Frage, wo die "Rätekommunisten" sich am meisten berechtigt sehen, sich zumindest auf den späteren Pannekoek berufen zu können.

Doch gerade hier springt die Armseligkeit der Argumentationslinie sowohl von Brendel wie von Pannekoek von 1938 förmlich ins Auge. Denn das ungenügende Verständnis des proletarischen Materialismus war vor 1914 kein ausschließlich russisches Phänomen, sondern weit verbreitet innerhalb der damaligen II. Internationalen. Pannekoek selbst hat stets und zu Recht eine der Ursachen dieses Unvermögen in einer ungenügenden Würdigung der Bedeutung Hegels durch die damalige Arbeiterbewegung erblickt. Doch gerade Lenin hat sich am Vorabend der russischen Revolution vertieft mit Hegel befasst. Genau so wie Marx, bevor er den ersten Band des Kapitals schrieb, besann sich Lenin auf die Methode Hegels, bevor er Staat und Revolution verfasste. Sowohl "Das Kapital" wie "Staat und Revolution" stellen daher Musterbeispiele der Anwendung der dialektisch-materialistischen Methode des Proletariats dar.

Das andere Hauptargument von "Lenin als Philosoph" war, dass es im Russland von 1917 noch bedeutende Überreste des Feudalismus bzw. der zersplitterten Kleinproduktion gab. Doch dies traf auch auf Deutschland zu, wo die Bourgeoisie bis November 1918 die Macht mit dem preußischen Militäradel teilen musste. Ja, im Grunde wurde die Macht der Krautjunker innerhalb des deutschen Militärs erst unter den Nationalsozialisten gebrochen.

Tatsächlich stellte die Annahme, dass man zuerst in jedem einzelnen Land die Aufgaben der bürgerlichen Revolution gewissermaßen zu Ende führen müsste, bevor man zur proletarischen Revolution übergehen könne, eine alte Konfusion innerhalb der Arbeiterbewegung vor 1917 dar. So stand es auch im alten Programm der Bolschewiki geschrieben, worauf sich die Mehrheit des Zentralkomitees der Partei nach dem Sturz des Zarenregimes im Februar 1917 berief, um die "Duldung" der linksbürgerlichen, "provisorischen" Regierung und die "kritische Unterstützung" der Fortsetzung des imperialistischen Krieges zu rechtfertigen.

Es waren Lenins berühmte "Aprilthesen" von 1917, die diese letztendlich nationale Sichtweise verwarfen. In ihnen wies Lenin nach, dass die proletarische Revolution nicht erst dann zur Notwendigkeit wird, wenn alle Aufgaben der bürgerlichen, "demokratischen" Revolution erledigt sind, sondern dann auf die geschichtliche Tagesordnung kommt, wenn die weltweiten Widersprüche des Kapitalismus einen bestimmten Reifegrad erreicht haben.

Dass Pannekoek diese Lehre später vergaß, kann nur im Zusammenhang mit der Enttäuschung und Konfusion auf Grund der Niederlage der Weltrevolution und des Absterbens der Revolution in der isolierten russischen Bastion verstanden werden. Schließlich war Pannekoek (wie auch Rosa Luxemburg bis zu ihrer Ermordung 1919) noch Anfang der 1920er Jahre ein zwar kritischer, aber stets leidenschaftlicher Befürworter der russischen Oktoberrevolution.

Dennoch muss man feststellen, dass Pannekoek sich selbst weniger klar als beispielsweise Lenin darüber war, dass die Oktoberrevolution in Russland nur als Auftakt, als Anstoß zur proletarischen Revolution in Europa verstanden werden konnte. Durch das Ausbleiben der Revolution in Westeuropa enttäuscht und entmutigt, überschätzte er maßlos die Rolle Russlands nicht nur in der Durchführung der Revolution, sondern noch mehr beim Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft. Während Lenin und Trotzki im proletarischen Russland v.a. eine ausgehungerte, ohne die Rettung durch eine baldige Weltrevolution hoffnungslos ausgelieferte Bastion sahen, setzte Pannekoek Anfang der 20er Jahre seine Hoffnungen umgekehrt auf die illusorische Perspektive, dass der Ausbau einer kommunistischen Wirtschaftsordnung im Osten die Klassenherrschaft der Bourgeoisie im Westen untergraben würde. In seiner ansonsten großartigen Schrift "Weltrevolution und kommunistische Taktik", welche eine erste bedeutende Kritik des wachsenden Opportunismus der Bolschewiki enthält, schreibt hierzu Pannekoek:

"Zur selben Zeit, als Westeuropa mühsam sich aus seiner bürgerlichen Vergangenheit emporringt, wirtschaftlich stagniert, blüht im Osten, in Russland, die Wirtschaft in der kommunistischen Ordnung empor. (...)

Inzwischen erhebt sich im Osten die Wirtschaft unbehindert im kräftigen Aufschwung, eröffnet neue Wege, sich stützend auf die höchste Naturwissenschaft - die der Westen nicht zu gebrauchen weiß - vereint mit der neuen Sozialwissenschaft, der neu gewonnenen Herrschaft der Menschheit über ihre eigenen gesellschaftlichen Kräfte. Und diese Kräfte, hundertfach gesteigert durch die neuen Energien, die aus der Freiheit und Gleichheit entsprießen, werden Russland zum Zentrum der neuen kommunistischen Weltordnung machen." (Hervorhebung durch die IKS).

Um diese völlig irreale, Russland-fixierte Sichtweise zu untermauern, welche die marxistischen Lehren über den internationalen Charakter der Revolution vergisst, unternimmt der Pannekoek von 1920 sogar einen Ausflug in die Natur. "Es besteht sogar ein dementsprechendes Gesetz in der organischen Natur, das als Gegenstück zu Darwins ‚das Überleben der Passendsten' mitunter als ‚survival of the unfitted', das ‚Überleben der Nichtangepassten' bezeichnet wird." (4)

Die Tatsache, dass Pannekoek seine ursprüngliche Unterstützung der russischen Revolution später revidierte und den Oktober 1917 im Nachhinein als bürgerliche Revolution bezeichnete, muss sicherlich als Reaktion auf die stalinistische Konterrevolution verstanden werden. Doch gewisse Wurzeln dieser Fehler waren bereits 1920 in der marxistisch unhaltbaren Erwartung angelegt, dass in der belagerten Festung Russland auf Dauer etwas anderes blühen könnte als Not und Niedergang. Die theoretischen Rückschritte, welche diese falsche Analyse mit sich brachte, waren gravierend. Zum einem wurde das Verständnis getrübt, welche alle echten Revolutionäre 1917 teilten, dass der Kapitalismus nunmehr ein niedergehendes Gesellschaftssystem geworden war, so dass allein die proletarische Revolution auf der Tagesordnung stand. Zum anderen öffnete die Infragestellung der proletarischen Oktoberrevolution Tür und Tor für die Idee, dass die gesamte Arbeiterbewegung, welche in den Jahrzehnten zuvor die Oktoberrevolution vorbereitet hatte, ebenfalls bürgerlich war. Diesen Weg, welchen Bilan, das Organ der italienischen Linken Anfang der 30er Jahre, als eine Art "proletarischen Nihilismus" bezeichnete, ging Pannekoek zwar nicht, aber seine späteren rätistischen Epigonen beschritten ihn ohne Bedenken.

Doch diese Schwächen schmälern die Bedeutung Pannekoeks und seine Relevanz für heute nicht grundlegend. Im zweiten, abschließenden Teil dieses Artikels werden wir nachweisen, welch tiefer Gegensatz zwischen Pannekoeks marxistischer Sicht der aktiven Rolle der Theorie und der revolutionären Begeisterung im Klassenkampf sowie dem platten, ökonomistischen Vulgärmaterialismus eines Cajo Brendels besteht. Urs

(1) Die taktischen Differenzen in der Arbeiterbewegung. Reprint Verlag. 1973.

(2) Massenaktion und Revolution. In "Die Massenstreikdebatte." Europäische Verlagsanstalt. 1970. S. 274.

(3) Lenin als Philosoph. Europäische Verlagsanstalt. 1969.

(4) Weltrevolution und kommunistische Taktik. 1920. Wiederveröffentlicht in Pannekoek, Gorter: Organisation und Taktik der proletarischen Revolution. Verlag Neue Kritik. 1969. S. 157f

 

Antwort auf einen Leserbriefschreiber zum Thema Irrationalität

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Wir veröffentlichen hier unsere Antwort auf einen Brief von einem Kontakt aus Norddeutschland zum Thema Irrationalität.

In deinem Brief entwickelst Du verschiedene Argumente gegen die Annahme der IKS, dass der imperialistische Krieg der Gegenwart Ausdruck einer zunehmenden Irrationalität des kapitalistischen Systems ist. Dabei gehst Du davon aus, dass die Annahme der Irrationalität dieser Kriege notwendigerweise zu der Schlussfolgerung führen muss, „dass der Kapitalismus auch ohne Kriege leben kann.“...

Lieber Genosse,

es tut uns Leid, dass wir dich solange haben warten lassen auf unsere Antwort zu deinem Brief über die Frage der Irrationalität im Kapitalismus. Wir möchten dabei nicht verhehlen, dass uns eine Antwort auf deine Fragen nicht leicht gefallen ist. Schließlich mutet es auf den ersten Blick etwas paradox an, die Frage der Irrationalität, wörtlich: Unvernunft, mit den Kategorien der Vernunft zu klären.

In deinem Brief entwickelst Du verschiedene Argumente gegen die Annahme der IKS, dass der imperialistische Krieg der Gegenwart Ausdruck einer zunehmenden Irrationalität des kapitalistischen Systems ist. Dabei gehst Du davon aus, dass die Annahme der Irrationalität dieser Kriege notwendigerweise zu der Schlussfolgerung führen muss, „dass der Kapitalismus auch ohne Kriege leben kann.“

Somit stellst Du die Frage auf einer sehr grundsätzlichen Ebene – was sehr zu begrüßen ist. Deswegen ist es zunächst erforderlich, deutlicher zu machen, was wir unter „Irrationalität“ verstehen.

Du sagst völlig zu Recht, dass die „Sichtweise des Rationalen und Irrationalen (…) aus verschiedenen Sichtweisen gesehen werden (muss). Verschiedene Klassenideologien, Interessensgemeinschaften und Meinungen haben andere (unterschiedliche) Einstellungen zum Rationalen und Irrationalen.“ In der Tat war es eine der wesentlichen Erkenntnisse der bürgerlichen Aufklärung, dass sowohl die Individuen als auch die gesellschaftlichen Klassen von ihren materiellen Interessen geleitet werden, und nicht, wie es bis dahin Glaube war, von bloßen Ideen bzw. der „göttlichen Vorsehung“. Dass es dabei zu unterschiedlichen Betrachtungsweisen der verschiedenen Interessen oder – wie du sagst – zu „verschiedenen Klassenideologien, Interessensgemeinschaften und Meinungen“ kommt, liegt auf der Hand. Und dass es dabei zu Konfrontationen zwischen den verschiedenen Interessen in Gestalt von antagonistischen Gesellschaftsklassen, kurz: zum Klassenkampf kommt, der seinerseits das antreibende Moment der Geschichte ist, ist nicht erst seit Marx gesicherte Erkenntnis.

Somit liegt es auf der Hand, dass es Dinge geben kann, welche vom Standpunkt der Bourgeoisie rational und vom Standpunkt des Proletariats irrational (oder umgekehrt) erscheinen oder auch sind. So entlassen die Unternehmer immer wieder Arbeitskräfte, um die Produktion zu „rationalisieren“, während es den betroffenen Proletariern gar nicht einleuchten will, weshalb die Vernichtung so vieler Existenzgrundlagen bei gleichzeitiger Auspowerung der verbleibenden Arbeitskräfte etwas mit Rationalität zu tun haben soll.

Wenn die IKS aber von der Irrationalität des Krieges in der Niedergangsphase des Kapitalismus spricht, so ist damit nicht gemeint, dass diese Kriege vom Standpunkt der Bourgeoisie rational, aber vom Standpunkt des Proletariats irrational sind. Betrachtet man die Haltung der Marxisten zur Kriegsfrage im Verlauf der Geschichte, so wird man feststellen, dass die Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert zwar die Barbarei der kapitalistischen Kriegsführung anprangerte, aber dennoch viele dieser Kriege für „rational“ hielt, nicht nur vom Standpunkt der Bourgeoisie, sondern vom Standpunkt des Proletariats d.h. vom übergeordneten Standpunkt des geschichtlichen Fortschritts. M.a.W. solange die Bourgeoisie eine fortschrittliche gesellschaftliche Kraft darstellte, waren Kriege möglich, welche sowohl den Interessen der Bourgeoisie als auch dem gesellschaftlichen Fortschritt dienten. Diese Kriege waren somit im konkreten und umfassenden Sinne zweckdienlich. Unsere These lautet also, dass in der Dekadenzphase des Kapitalismus der imperialistische Krieg nicht nur vom Standpunkt des Proletariats oder vom übergeordneten Standpunkt des geschichtlichen Fortschritts, sondern vom Standpunkt der Bourgeoisie selbst immer weniger zweckdienlich ist. Der Hauptzweck der Produktion im Kapitalismus ist nicht mehr (wie in vorkapitalistischen Klassengesellschaften) die Befriedigung der Konsum- und Luxusbedürfnisse der herrschenden Klasse, sondern das Profitbestreben: Die Akkumulation des Kapitals. Da der moderne imperialistische Krieg immer weniger imstande ist, dieses Grundbedürfnis des Kapitals zu befriedigen, fühlen wir uns berechtigt, von einer zunehmenden Irrationalität zu sprechen. Diese Kriege können weiterhin selbstverständlich für einzelne Unternehmen äußerst gewinnträchtig sind. Vom Standpunkt des Gesamtsystems, und zunehmend auch vom Standpunkt der kriegsführenden Mächte selbst, ist dies jedoch immer weniger der Fall. Wir werden im weiteren Verlauf konkrete Beispiele hierfür anführen. Wir wollen jedoch nicht übersehen, dass man vom marxistischen Standpunkt aus schwerwiegende Bedenken grundsätzlicher Art gegen diese Vorstellung erheben kann. Das eine lautet: Ist das Konzept der Irrationalität überhaupt vereinbar mit der marxistischen Vorstellung, dass die Verfolgung der materiellen Interessen gesellschaftlicher Klassen den Motor der heutigen Geschichte darstellt? Das andere lautet: Kann man überhaupt von einer solchen Irrationalität des Krieges sprechen, ohne Tür und Tor zu öffnen für die pazifistische Annahme, dass es im besten Interesse der Bourgeoisie selbst läge, keinen Krieg zu führen? V.a. diesen zweiten Einwand hast du in deinem Brief erhoben.

Tatsächlich bildet die Einsicht, dass die ökonomischen Klasseninteressen die mächtigsten Triebfedern der gesellschaftlichen Entwicklung darstellen, eine wesentliche und unverzichtbare Grundlage des historischen Materialismus. Berechtigt uns diese Annahme aber zu der Schlussfolgerung, dass jede Handlung einer gesellschaftlichen Klasse sozusagen automatisch den materiellen Interessen dieser Klasse dient? Oder anders ausgedrückt: Lehrt uns der Marxismus, dass die Klassen in der Verfolgung ihrer materiellen Interessen stets erfolgreich sind?

Dies war beispielsweise die Annahme des bürgerlichen Materialismus. Bereits vor dem Marxismus begann die revolutionäre Bourgeoisie zu erkennen, welche Rolle die materiellen Interessen im Leben der Einzelnen wie der gesellschaftlichen Klassen spielt. Der Marxismus hat sich sogar auf diese Errungenschaften der revolutionären Bourgeoisie stützen können. Jedoch besaß die aufsteigende Bourgeoisie eine nicht nur unvollständige, sondern auch sehr mechanistische, primitive Auffassung des Zusammenhangs zwischen Interessenslage und Handlungsweise der Menschen. So argumentierte z.B. die Philosophie des Utilitarismus, dass der Mensch stets egoistisch handelt. Diese einseitige, undialektische Sichtweise verstand nicht, dass neben dem Egoismus auch der Altruismus eine große Rolle im persönlichen wie im gesellschaftlichen Leben spielt. Außerdem schloss diese mechanistische Herangehensweise die Augen vor der Erkenntnis – welche die moderne Psychologie beispielsweise bestätigt hat – dass die Menschen oft auf Grund von Wahnvorstellungen oder anderer krankhafter Veranlagungen systematisch ihren eigenen Interessen zuwider handeln können.

Während der Marxismus also die positiven Errungenschaften des bürgerlichen Materialismus bereitwillig übernahm, war er zugleich bestrebt, seine mechanistischen und einseitigen Veranlagungen zu überwinden und zu bekämpfen. Denn Überreste solcher Veranlagungen lebten in den Reihen der Arbeiterbewegung fort. Dieses Problem wurde z.B. in der 1915 geschriebenen Einleitung thematisiert, welche Henriette Roland-Holst für die niederländische Ausgabe von Trotzkis Schrift “Der Krieg und die Internationale“ schrieb. Was dort sichtbar wird, ist, dass viele Revolutionäre unter anderem deshalb so überrascht und überrollt waren von der Begeisterung, mit der die Arbeiter sich für den imperialistischen Krieg zunächst mobilisieren ließen, weil sie angenommen hatten, der historische Materialismus schließe aus, dass eine Klasse sich so sehr für fremde Interessen einspannen lassen könne. Diese Revolutionäre hatten eben nicht verstanden, dass der Marxismus keineswegs davon ausgeht, dass die Klassen immer und automatisch in ihrem eigenen Interesse handeln. Denn wie Marx festgestellt hat: Die herrschende Ideologie ist in der Regel die Ideologie der herrschenden Klasse. Was bedeutet, dass die ausgebeuteten Klassen oft dazu neigen, anstatt den eigenen Interessen den Interessen ihrer Ausbeuter zu dienen.

Dies unterstreicht, dass das Verhältnis zwischen Interesse und Handlungsweise auch bei gesellschaftlichen Klassen komplizierter ist als der Vulgärmaterialismus gemeinhin annimmt. Tatsächlich handeln die Proletarier zutiefst irrational, wenn sie bereitwillig in den imperialistischen Weltkrieg marschieren, um ihre eigenen Klassenbrüder- und Schwestern abzuschlachten. Wenn aber die Bourgeoisie solche Kriege vom Zaun bricht, denn kann die von uns unterstellte Irrationalität wohl kaum darin liegen, dass sie, ohne es zu wissen, fremden Klasseninteressen dient. Diese Art der Irrationalität ist eine Eigenschaft ausgebeuteter Klassen, während die Ausbeuter umgekehrt darin spezialisiert sind, andere für ihre eigenen Interessen einzuspannen 

Wie kann es also überhaupt dazu kommen, dass die Bourgeoisie in der Verfolgung ihrer Interessen nicht immer erfolgreich sein muss? Es ist nicht schwer zu begreifen, dass dieses Schicksal einzelne Kapitalisten ereilen kann. Schließlich ergeben sich solche „Schicksale“ wie eine Naturnotwendigkeit aus dem Konkurrenzcharakter des Kapitalismus und der Anarchie des Marktes von selbst. Aber kann dies ganzen nationalen Bourgeoisien oder gar der gesamten Kapitalistenklasse passieren?

Wir meinen ja – bestimmte geschichtliche Bedingungen vorausgesetzt. Die bei weitem wichtigste dieser Bedingungen ist der Niedergang der Produktionsweise, welche diese Ausbeuterklasse vertritt. Dazu Marx: „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb derer sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um.“ Da der Kapitalismus die bisher dynamischste Produktionsform der Menschheitsgeschichte ist, fällt dieser Zusammenstoß zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen um so zerstörerischer aus. Insbesondere der Widerspruch zwischen dem internationalen Charakter der Produktion und der auf der Grundlage von Nationalstaaten organisierten und geschützten privaten Aneignung führt zu immer zerstörerischen Kriegen. Da diese Kriege in der Dekadenzphase nicht mehr vornehmlich gegen vorkapitalistische Gesellschaften und um die Eroberung neuer Märkte, sondern zwischen kapitalistischen Mächten um eine bereits aufgeteilte Welt geführt werden, werden sie immer kostspieliger und zerstörerischer, während die daraus zu erzielenden wirtschaftlichen Vorteile immer bescheidener ausfallen.

Daraus wird deutlich: Nicht der Krieg „an sich“ wird irrational, sondern der Kapitalismus insgesamt. Die Irrationalität des Krieges ist somit nur eine Folge – allerdings einer der gravierendsten Folgen – der historischen Sackgasse des Systems insgesamt. Darin liegt auch der Grund, weshalb aus der Tatsache, dass die imperialistische Kriegsführung immer weniger gewinnträchtig wird, keineswegs folgt, dass die herrschende Klasse gut beraten wäre, den imperialistischen Krieg zu unterlassen. Sie kann den imperialistischen Krieg schon deshalb nicht unterlassen, weil sie sich historisch unentrinnbar in einer Situation des „fressen oder gefressen werden“ befindet. Wird die Kriegsführung zunehmend gefährlich, so wird die Nicht-Kriegsführung nicht weniger gefährlich, und oft noch viel gefährlicher. 

   Im Kapitalismus hat diese Irrationalität eine Dimension erreicht, die nicht Hochkulturen oder Herrschaftssysteme in Frage stellt, sondern die Lebensgrundlage der Menschheit schlechthin bedroht. Es ist in diesem Zusammenhang geradezu ein Witz, wenn die bürgerlichen Ideologen anlässlich des 60. Jahrestages des Abwurfs der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki behaupten, es sei die Vernunft der Herrschenden gewesen, die die Eskalation des Kalten Krieges in einen Nuklearkrieg verhindert habe. Die unzähligen Angriffs- und Verteidigungspläne, die in den Schubläden der Militärs auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs auf ihre Umsetzung warteten, und die Entwicklung immer raffinierterer Variationen der Atombombe (wie die Neutronenbombe) sowie so genannter taktischer Atomwaffen sprechen eine andere Sprache. Sie machen deutlich, dass die Herrschenden in Ost und West durchaus willens waren, entgegen aller Vernunft ihre eigene und die Existenz der gesamten Menschheit aufs Spiel zu setzen. Ganz abgesehen von den monströsen ökonomischen Kosten dieses nuklearen Wettlaufs, die den einen Blockführer, die Sowjetunion, in den Zusammenbruch trieben und den anderen, die USA, zum Hauptschuldner der Weltwirtschaft machten. Es war nicht die angebliche Rationalität der Herrschenden, die letztendlich den III. Weltkrieg verhindert hat, sondern in erster Linie der Unwillen der Arbeiterklasse auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, sich für diesen Wahnsinn mobilisieren zu lassen.

   Die Irrationalität des dekadenten Kapitalismus drückt sich nicht nur in selbstzerstörerischen Kriegen aus, sondern auch in der Zerstörung der natürlichen Grundlagen des Planeten durch die kapitalistische Warenproduktion. Obwohl sich die seriösen Wissenschaftler dieser Welt nur noch darum streiten, um wie viel Grad die Erderwärmung zunehmen wird, und die großen Versicherungskonzerne bereits die zu erwartenden gigantischen Kosten aus den durch die Klimaänderung verursachten Schäden in ihre Kalkulationen aufnehmen, steuert die Weltbourgeoisie die Menschheit und sich selbst wider besseren Wissens in die ökologische Katastrophe.  

Du fragst: „Wer ist auf diese Schlussfolgerung gekommen, dass Militäreinsätze irrationaler oder rationaler Natur sind?“ Nun, es mag sein, dass niemand so dezidiert die Irrationalität des Krieges im dekadenten Kapitalismus betont wie die IKS. Doch der Aspekt der Irrationalität im Kapitalismus an sich ist keine „Erfindung“ der IKS. Bereits Rosa Luxemburg hat in ihre Juniusbroschüre darauf hingewiesen. „Heute funktioniert der Krieg nicht als eine dynamische Methode, dem aufkommenden jungen Kapitalismus zu den unentbehrlichsten politischen Voraussetzungen seiner „nationalen“ Entfaltung  zu verhelfen....Auf seinen objektiven historischen Sinn reduziert, ist der heutige Weltkrieg als Ganzes ein Konkurrenzkampf des bereits zur vollen Blüte entfalteten Kapitalismus um die Weltherrschaft, um die Ausbeutung der letzten Reste der nichtkapitalistischen Weltzonen. Daraus ergibt sich ein gänzlich veränderter Charakter des Krieges selbst und seiner Wirkungen. (...) All das zusammen ergibt als die Wirkung des Krieges noch vor jeder militärischen Entscheidung über Sieg oder Niederlageein in den früheren Kriegen der Neuzeit unbekanntes Phänomen: den wirtschaftlichen Ruin aller beteiligten und in immer höherem Masse auch der formell unbeteiligten Länder“. (Luxemburg Werke Band 4, Seite 153, 154).

Außerdem: Schon Marx und Engels haben wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass der Kapitalismus sich – im Gegensatz zu allen früheren Gesellschaften – zwar anschickte, den blinden, unkontrollierten Gewalten der Natur die Zügel anzulegen, dass er sich gleichzeitig aber neuen, ebenso blinden Gesetzen unterwarf, die sich außerhalb seiner Kontrolle befinden. „… jede auf Warenproduktion beruhende Gesellschaft hat das Eigentümliche, dass in ihr die Produzenten die Herrschaft über ihre eigenen gesellschaftlichen Beziehungen verloren haben. Keiner weiß, wie viel von seinem Artikel auf den Markt kommt, wie viel davon überhaupt gebraucht wird, keiner weiß, ob sein Einzelprodukt einen wirklichen Bedarf vorfindet, ob er seine Kosten herausschlagen oder überhaupt wird verkaufen können. Es herrscht Anarchie der gesellschaftlichen Produktion.“ (F. Engels, MEW, Bd. 42, S. 721f.) An anderer Stelle drückt sich Engels noch pointierter aus, wenn er sagt, dass nicht der Kapitalist das Produkt beherrscht, sondern umgekehrt das Produkt den Kapitalisten.

   Wenn die Unkontrollierbarkeit der Marktmechanismen, die jeder Vernunft eigentlich Hohn sprachen, zu Lebzeiten von Marx und Engels noch nicht in eine selbstzerstörerische Irrationalität umschlug, dann lag dies daran, dass der Kapitalismus damals noch ein junges, entwicklungsfähiges Gesellschaftssystem war. Zwar führte die von Engels beschriebene Anarchie der Produktion regelmäßig zu Wirtschaftskrisen, die ganz Europa erschütterten und Millionen von Arbeitern in die vorübergehende Arbeitslosigkeit stürzten, doch konnte der Kapitalismus den momentanen Engpass für sein (völlig planlos akkumuliertes) Kapital schnell durch die Eroberung neuer Märkte zuhause und in Übersee überwinden. Und nicht nur das: Erst die planlose, ungezügelte Konkurrenz, eben die Anarchie der Produktion, verlieh dem Kapitalismus in seinem Aufstieg jene Dynamik, mit der er die Welt eroberte.

   Es ist die Epoche der Dekadenz, des Eintritts des Kapitalismus in seine Niedergangsphase, in der die im kapitalistischen Gesellschaftssystem von Anbeginn wurzelnde Irrationalität zu einer quasi autoagressiven, selbstzerstörerischen Kraft in der Gesellschaft wurde. Dabei müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass die Welt von heute sich in einem Zyklus von Krise-Krieg-Wiederaufbau befindet, der, falls die Arbeiterklasse nicht eingreift, sich ewig wiederholt und die Bourgeoisie nach einem jeden Krieg wie Phönix aus der Asche emporsteigen lässt. Wir sind vielmehr Zeuge (und Opfer) einer Entwicklung, die – statt an einem Kreislauf – an eine Spirale erinnert, eine Spirale, die mit jeder weiteren Drehung, mit jeder weiteren Krise, mit jedem weiteren Krieg die menschliche Zivilisation dem endgültigen point of no return ein Stück näher bringt. Was wir heute erleben, ist nicht der ewige und rationale Gleichklang von Zerstörung und Wiederaufbau, sondern die Eskalation einer Irrationalität, die neben der Arbeiterklasse zunehmend auch die Existenz der Bourgeoisie gefährdet 

„Die Intensität des Krieges muss steigen, nicht fallen, weil umso größer der Kapitaleinsatz ist, um so größer ist auch die kriegerische Auseinandersetzung (…) Je größer der Schaden eines Krieges, umso florierender das kapitalistische Geschäft.“ Wenn du damit behauptest, dass der Krieg das „kapitalistische Geschäft“ ankurbelt, dann geben wir dir insofern Recht, als es beispielsweise dem Rüstungshersteller nur zu gut in seinem Kram passt, wenn irgendwo auf der Welt Krieg geführt wird. In der Tat kann es dem einzelnen Kapitalisten herzlich egal sein, welches Produkt sich zu Geld machen lässt. Ob Lebensmittel, Maschinen, Luxusgüter oder eben Waffen – für den einzelnen Kapitalisten beschränkt sich der Nutzen einer Ware lediglich auf ihre Verwertbarkeit, sprich: Realisierbarkeit. Doch wie bereits Rosa Luxemburg in ihrem bahnbrechenden Werk Die Akkumulation des Kapitals feststellte: „Was dem Einzelkapitalisten völlig Hekuba (Redewendung für: gleichgültig), wird für den Gesamtkapitalisten ernste Sorge. Während für den Einzelkapitalisten gehupft wie gesprungen ist, ob die von ihm produzierte Ware Maschine, Zucker, künstlicher Dünger oder ein freisinniges Intelligenz ist, vorausgesetzt nur, dass er sie an den Mann bringt, um sein Kapital nebst Mehrwert herauszuziehen, bedeutet es für den Gesamtkapitalisten unendlich viel, dass sein Gesamtprodukt eine ganz bestimmte Gebrauchsgestalt hat, und zwar, dass in diesem Gesamtprodukt dreierlei Dinge vorzufinden sind: Produktionsmittel zur Erneuerung des Arbeitsprozesses, einfache Lebensmittel zur Erhaltung der Arbeiterklasse und bessere Lebensmittel mit dem nötigen Luxus zur Erhaltung des Gesamtkapitalisten selbst.“ (Gesammelte Werke, Bd. 5, S. 55)

   So Gewinn bringend also die Ankurbelung der Kriegswirtschaft und die Auslösung von Kriegen für einzelne Bereiche des Kapitals sind, so Verlust bringend sind sie für das Gesamtkapital, so kontraproduktiv sind sie für die gesamtgesellschaftliche Akkumulation. Panzer und Militärjets kann man nicht essen, sie dienen nicht der „Erneuerung des Arbeitsprozesses“, und bis auf ein paar Snobs, die sich gern mit ausrangiertem Militärgerät schmücken, entsprechen sie auch nicht den Luxusbedürfnissen der Bourgeoisie. Ihr einziger ökonomischer Sinn verbirgt sich in der Widersinnigkeit, Kapital zu vernichten.

   Das Phänomen der Kriegswirtschaft, das erstmals  im Verlauf des 1. Weltkriegs auftauchte, und ab den 30er Jahren zu einem ständigen Phänomen wurde, sorgte zunächst durchaus für eine gewisse Belebung der krisengeschüttelten Wirtschaften Europas. Gerade in Hitlerdeutschland wurde durch die forcierte Kriegsproduktion das Millionenheer der Arbeitslosen binnen kurzer Zeit nahezu in Vollbeschäftigung umgewandelt. Dieses Strohfeuer der wirtschaftlichen Wiederbelebung durch die Kriegsproduktion stürzte auch einen Teil der italienischen Linkskommunisten rund um Bilan in einige Verwirrung. So behauptete Vercesi, ein führendes Mitglied der italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken, dass die Steigerungen des staatlichen Rüstungsetats per Kredit „doch den Interessen des Kapitalismus dienen (können), vor allem indem sie den ökonomischen Kollaps verhinderten“.

   Doch die Geschichte hat gezeigt, dass diese Art von wirtschaftlicher Stimulans schnell verpuffte und, schlimmer noch, die Krise des Systems letztendlich um ein Vielfaches verschlimmerte sowie den Marsch in den Krieg nur noch mehr beschleunigte. Lassen wir einen bürgerlichen Historiker sprechen, um das Dilemma des Hitlerregimes bei seiner imperialistischen Aufrüstungspolitik zu veranschaulichen: „Die Aufrüstung und erst recht der Krieg funktionierten fortan als politisch-militärische Spekulationsbasis, als Schneeballsystem, das in dem Moment auffliegen musste, in dem die Expansion an Grenzen stieß. Deshalb konnte Hitler-Deutschland zu keinem Zeitpunkt – nicht einmal nach der Niederlage Frankreichs – einen komfortablen Sieg-Frieden eingehen. Denn selbst ein solcher, gewiss räuberischer Friedensschluss hätte den Bankrott des Reiches sofort sichtbar werden lassen.“  (Götz Aly, aus: Der Spiegel, Nr. 10 / 2005)

   Nein, die Kriegsproduktion ist vom Standpunkt des Gesamtkapitals (in Gestalt des staatskapitalistischen Regimes oder in der abstrakteren Form des Weltkapitals) beileibe kein Ausweg aus der Krise des dekadenten Kapitalismus und die Schäden, die der Krieg anrichtet, kein Expansionsfeld für eine neue Runde in der Akkumulation des Gesamtkapitals. Die Wiederaufbauperiode nach dem II. Weltkrieg mitsamt ihres Booms in den 50er und 60er Jahren müssen in diesem Zusammenhang eher als eine historische Ausnahme betrachtet werden, die der Tatsache geschuldet ist, dass es damals mit den USA noch eine Großmacht gab, die – anders als heute – schuldenfrei und somit in der Lage war, den Wirtschaftsboom im Europa der Wiederaufbauperiode mit gewaltigen Krediten zu finanzieren. Vor allem aber erlaubte die internationale Koordination der Wirtschaftspolitik der Nationalstaaten auf der Ebene der imperialistischen Blöcke die wirkungsvolle Erschließung der weltweit noch vorhandene, vorkapitalistische Märkte.

   Die Regel war vielmehr finanzielle, wirtschaftliche und politische Zerrüttung der Krieg führenden Länder, unabhängig davon ob sie zu den Siegern oder den Verlierern zählen. So verhielt es sich mit dem I. Weltkrieg, der ein Europa hinterließ, das vollständig aus den Fugen geraten war und dessen Vormachtstellung in der Welt aufs Schwerste erschüttert war. So erging es auch den unzähligen Ländern, die Schauplatz jener lokalen und regionalen Kriege waren, welche nach dem II. Weltkrieg nahezu ununterbrochen im Gange waren. Kaum einer dieser Kriege mündete in einem Wiederaufbau, der dem in Europa nach dem II. Weltkrieg auch nur im Entferntesten ähnelte. Fast jeder dieser Kriege vergrößerte lediglich das Elend der betroffenen Länder und legte die Saat für den nächsten Krieg. Jüngstes Beispiel ist der Irak-Krieg. Während das Land Tag für Tag immer tiefer in die Anarchie versinkt, erweist sich das Irak-Abenteuer für die USA selbst als ein finanzielles Fass ohne Boden, das riesige Löcher in den US-Haushalt reißt (allein 2004 erwirtschaftete der Haushalt der US-Administration ein Defizit von 422 Milliarden Dollar) und auch die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft zu ziehen droht. Und was das Irak-Abenteuer endgültig irrational macht: Statt den Irak unter ihre Kontrolle zu bringen und ihrer Disziplin zu unterwerfen, muss die US-Bourgeoisie mehr oder weniger hilflos mit ansehen, wie das Land unaufhaltsam in das Chaos des Terrorismus und des Religionskrieges abdriftet.

 

Du kommst zur Schlussfolgerung: „Wer aus diesen Fakten immer noch behauptet, dass Kriege irrational sind, geht einer falschen Theorie nach: dass der Kapitalismus auch ohne Kriege leben kann.“ Wir hingegen sagen: Gerade die Tatsache, dass der dekadente Kapitalismus trotz dessen kontraproduktiven Charakters nicht mehr ohne den Krieg existieren kann, macht ihn ja so irrational. Diese Irrationalität ist keine frei gewählte Attitüde der Bourgeoisie, sondern – wie wir weiter oben bereits erwähnt hatten – die Manifestation der Beherrschung der Bourgeoisie durch eine außerhalb ihrer Kontrolle stehenden Macht, die sich ihr in Gestalt von so genannten Sachzwängen aufdrängt und keine andere Wahl lässt. In diesem Sinn möchten wir auf deine Frage, ob die Bourgeoisie weiß, was sie tut, antworten, dass, selbst wenn sie die Tragweite ihres irrationalen Handelns erkennen könnte, sie unfähig wäre, zur Vernunft zurückzukehren 

Kommen wir zum Schluss: Wir hoffen, dass wir mit diesem Brief etwas zur Klärung dieses doch recht komplexen Themas beigetragen haben. Vieles haben wir nur angesprochen, und sicherlich ist auch Etliches unerwähnt geblieben. Wir würden uns daher freuen, wenn wir diese Diskussion mit dir (und anderen?) fortsetzen und vertiefen könnten, und hoffen auf eine Antwort von dir 

IKS, August 2005

Theoretische Fragen: 

  • Krieg [1]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Dekadenz des Kapitalismus [2]

Ehrung des Genossen Robert

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Am 28.Dezember 2003 starb der Genosse Robert im Alter von 90 Jahren. Robert war seit über 28 Jahren ein wirklicher Lebensgefährte unserer Organisation.

Seit der Gründung der IKS nahm er als Beobachter an zahlreichen Konferenzen und Kongressen sowie als regelmäßiger Teilnehmer an unseren öffentlichen Veranstaltungen in Belgien teil. Trotz reeller Differenzen identifizierte er sich mit der grundsätzlichen Orientierung unserer Organisation und unterstützte sie nach besten Kräften.

Heute erweisen wir mit Robert nicht nur einem Genossen die Ehre, den Loyalität, Hingabe und Leidenschaft für die revolutionäre Sache des Proletariats auch in den dunkelsten Kapiteln der Geschichte auszeichnete. Wir ehren ihn auch als Mitglied einer ganzen Generation von Militanten der Arbeiterklasse in Belgien, die nun zusammen mit ihm ausstirbt.

Robert war der letzte überlebende revolutionäre Kommunist einer Generation von Militanten, die auch in der schlimmsten Periode der Konterrevolution, die die Arbeiterklasse zwischen den 30ern und 60er Jahren heimsuchte, das Banner des Internationalismus hochhielt.

In seiner Jugend erlebte Robert in den Arbeitervierteln von Brüssel die ganzen Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft; hier wurde er zum ersten Mal mit der harten Realität des Klassenkampfes konfrontiert. 1930 war Brüssel das politische Zentrum Belgiens, der Brennpunkt der meisten wichtigen politischen Debatten. Diese Diskussionen trugen zu Roberts revolutionärem Werdegang bei. In den Diskussionen ging es darum zu klären, ob es an der Zeit sei, eine neue Kommunistische Partei zu gründen oder besser die Arbeit als Fraktion fortzusetzen. Ferner um die Klärung des Wesens des Krieges in Spanien, darum, ob die Gründung der trotzkistischen 4. Internationale richtig war, um den Klassencharakter der UdSSR, den Aufstieg des Faschismus sowie die Verteidigung des Internationalismus angesichts des drohenden Weltkrieges.

Die wichtigsten Bestandteile des damaligen revolutionären Milieus waren die „trotzkistischen“ Gruppen der internationalen Linksopposition (PSR, Contre le Courant, etc) und die internationale, kommunistische Linke (die italienische Fraktion um die Zeitschrift Bilan und die belgische Fraktion um Communisme).

Robert entschied, sich der trotzkistischen Opposition um Vereeken (Contre le Courant) anzuschließen, die gegen die Gründung der 4. Internationale war. Sie erkannte die Voreiligkeit dieser Gründung und wies darauf hin, dass Trotzki zu den Schwierigkeiten und der Zersplitterung der wenigen revolutionären Kräfte beigetragen habe. Diese Gruppe denunzierte das sozialpatriotische Auftreten der offiziellen Trotzkisten während des 2.Weltkrieges und praktizierte eine Politik des revolutionären Defätismus gegenüber allen sich bekämpfenden imperialistischen Mächten.

Bei Kriegsausbruch am 1.September 1939, entschieden sich einige Militante, konfrontiert mit Verhaftungen und schwerster Repression, ins Exil zu gehen und dort die politische Arbeit fortzusetzen. Robert floh zunächst nach Paris, dann nach Marseille, einer Stadt, die zeitweilig vielen Revolutionären Asyl bot. Viele von ihnen verloren in den kritischsten Momenten ihre Überzeugung. Robert hingegen vertraute auf die Arbeiterklasse und verteidigte standfest die internationalistische Position gegenüber beiden Krieg führenden Lagern.

Durch seine politischen Beziehungen mit dem internationalistischen Milieu kam Robert mit jenem Zirkel in Kontakt, der unter dem Einfluss unseres alten Genossen Marc stand. Letzterer hatte von 1940 an versucht, die politische Arbeit der Fraktion der internationalen Linkskommunisten wiederzubeleben, die angesichts des Krieges zum Stillstand gekommen war. Von 1941 an kam es immer wieder zu Diskussionen und Kontakten.

Im Mai 1942 konstituierte sich der französische Kern der internationalen kommunistischen Linken. Es nahmen verschiedene neue Elemente daran teil, unter ihnen Robert. Durch ihn kam es zur Zusammenarbeit mit der Gruppe RKD, einer österreichischen Gruppe, die mit dem Trotzkismus gebrochen hatte, sowie den Communistischen Revolutionären, ihrer Schwestergruppe in Frankreich. Tatsächlich war es die RKD über ihre Kontakte mit der Vereekengruppe, auf die er stieß, durch die er das Interesse der RKD an den politischen Positionen des französischen Kerns der kommunistischen Linken weckte.

Die Charakterisierung der UdSSR als Ausdruck einer generellen Tendenz zum Staatskapitalismus, die Haltung des proletarischen Internationalismus gegenüber dem Krieg und die Kritik an der trotzkistischen 4. Internationale - all dies waren gemeinsame Positionen, die die politischen Bande stärkte. Es wurden gemeinsame Aktionen und Propaganda an die Adresse der Arbeiter und Soldaten aller Nationen einschließlich der deutschen Arbeiter in Uniform gegen den imperialistischen Krieg durchgeführt. Im Dezember 1944 fragte der Kern als französische Fraktion der internationalen kommunistischen Linken um die Aufnahme im Internationalen Büro der Fraktion nach.

Die Maikonferenz der Fraktion entschied 1945 in Folge der Ankündigung der Gründung einer kommunistischen Partei in Italien sowie des politischen Wiedererscheinens von Bordiga die Auflösung der italienischen Fraktion und forderte ihre Mitglieder auf, als Individuen dieser neuen Partei beizutreten. Unser Genosse Marc bekämpfte diesen unverantwortlichen Schritt, der ohne jede vorherige Diskussion oder ein politisches Abwägen stattfand, auf das Schärfste; er war völlig gegen die Integration in eine Partei, deren politische Positionen nicht einmal der Fraktion bekannt waren. Gleichzeitig wurde der Aufnahmeantrag des französischen Kerns abgelehnt und eine Namensänderung in Gauche Communiste de France erzwungen. Auf der anderen Seite vereinigte sich die belgische Fraktion, die sich nach dem Krieg wieder um Vercese rekonstruiert hatte, mit der PCInt um Damen, Maffi und Bordiga.

Nach dem Krieg kehrte Robert wieder nach Belgien zurück. Da er politisch nicht auf sich allein gestellt sein wollte, beschloss er, die belgische Fraktion wiederzubeleben, ohne jene Überzeugung über Bord zu werfen, zu der er in der Periode des französischen Kerns gekommen war.

Er hielt Kontakt mit der GCF, insbesondere mit Marc. Die Gruppe in Belgien blieb den wesentlichen Positionen Bilans vor dem Krieg treu und stand faktisch in Widerspruch zur PCInt. Die belgische Fraktion öffnete sich, so wie sie es vor dem Krieg getan hatte, zunehmend den internationalen Diskussionen. Ende 1945, Anfang 1946 fragte die belgische Fraktion nach weiteren Erläuterungen der Gründe für die Nichtaufnahme der GCF in die Reihen der Kommunistischen Linken. Es scheint, dass Robert sehr vehement diese Anfrage unterstützt hat. Die belgische Fraktion schlug ebenfalls vor, ein theoretisches Organ gemeinsam mit den belgischen Trotzkisten um Vereeken herauszugeben. Dies zu einem Zeitpunkt, bevor diese Gruppe endgültig an die 4. Internationale verloren wurde. Dieser Vorschlag wurde von der PCInt abgelehnt.

Im Mai 1947 nahm die belgische Fraktion auch an einer internationalen Konferenz teil, die vom holländischen kommunistischen Spartacusbond organisiert worden war. Ihr wohnten Gruppen bei, die ebenso wie die belgische Fraktion der Gruppe Spartacus in Belgien nahe standen. Mit dabei waren die GCF, die CR, die RKD, die Schweizer Gruppe Lutte de Classe und die autonome Turiner Fraktion der PCInt.

1950-52 zerschlugen sich die Hoffnungen auf eine revolutionäre Nachkriegswiederbelebung des Klassenkampfes, ähnlich jener nach dem 1. Weltkrieg. Viele revolutionäre Organisationen gerieten in die Isolation, die GCF eingeschlossen. Robert unterhielt mit Marc, der nun in Venezuela lebte, regelmäßigen Briefkontakt, worin er ihn über die Situation des revolutionären Milieus informierte.

Nach Vercesis Tod 1957 weigerte sich die belgische Fraktion, sich den Positionen der bordigistischen PCI zu unterwerfen, aber tatsächlich fiel sie allmählich noch dahinter zurück.

Robert nahm weiter an verschiedenen organisatorischen Ausdrücken der Kommunistischen Linken teil, so auch an dem Studienzirkel um Roger Dangevilles Zeitschrift „Le Fil du Temps“ (einem Ableger der PCI, der eine Zeitlang an einem Diskussionszirkel teilnahm, der auf Initiative von Maximilian Rubel entstanden war, seinerseits ehemaliges Mitglied der GCF).

Schließlich kam er nach 1968 über Marc mit der Gruppe Révolution International in Frankreich in Kontakt. Trotz deutlicher Meinungsverschiedenheiten in Fragen des historischen Kurses und der Partei war Robert sich der politischen Bedeutung der revolutionären Organisation und der Notwendigkeit der Verteidigung des revolutionären Erbes sehr bewusst.

Eben deshalb verhielt er sich loyal gegenüber der Internationalen Kommunistischen Strömung (IKS). Er unterstützte uns auch während der schwierigsten Perioden, indem er Stellung für unsere Verteidigung bezog.

Die Militanten der IKS, die den revolutionären Kampf, für den er lebte und kämpfte, fortsetzen, erbieten ihm die letzte Ehre. Sie werden sein Andenken in lebendiger Erinnerung behalten.

 

Flüchtlingsdrama in Melilla und Ceuta: Die Heuchelei der Bourgeoisie

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Während der letzten beiden Wochen waren wir Zeugen einer Reihe von aufsehenerregenden Szenen an der Südgrenze der Europäischen Union. Zunächst der massenhafte Ansturm auf die Sperranlagen, die von der spanischen Regierung errichtet worden waren, welche von Tausenden von Migranten überwunden werden konnten, auch wenn sich zahlreiche dabei verletzten und die Kleider zerrissen. Danach der Kugelhagel, der 5 Migranten das Leben raubte; Schüsse, die wahrscheinlich – obwohl die Medien davon ablenken wollen – von den Truppen der sehr “demokratischen und friedensliebenden” Regierung des Herrn Zapatero abgefeuert wurden, welcher sich gerne als ein Unschuldslamm darstellt.

Während der letzten beiden Wochen waren wir Zeugen einer Reihe von aufsehenerregenden Szenen an der Südgrenze der Europäischen Union. Zunächst der massenhafte Ansturm auf die Sperranlagen, die von der spanischen Regierung errichtet worden waren, welche von Tausenden von Migranten überwunden werden konnten, auch wenn sich zahlreiche dabei verletzten und die Kleider zerrissen. Danach der Kugelhagel, der 5 Migranten das Leben raubte; Schüsse, die wahrscheinlich – obwohl die Medien davon ablenken wollen – von den Truppen der sehr “demokratischen und friedensliebenden” Regierung des Herrn Zapatero abgefeuert wurden, welcher sich gerne als ein Unschuldslamm darstellt. Danach folgte der massive Aufmarsch der Truppen der Legion und der Guardia Civil mit der Anweisung, auf “menschliche Art und Weise”[1] die Migranten zurückzuhalten.

Am 6. Oktober trat dann - nach hinter den Kulissen geführten Verhandlungen zwischen der spanischen und marokkanischen Regierung - eine Wende ein: 6 Emigranten wurden auf marrokanischem Territorium niedergeschossen und tödlich verletzt. Diese Erschießungen lösten eine Reihe von immer brutaleren Handlungen aus: Südlich von Uxda, im marokkanischen Wüstengebiet, wurden Migranten am 7. Oktober ausgesetzt und ihrem Schicksal überlasen, umfangreiche Polizeirazzien in den marokkanischen Städten mit hohem Bevölkerungsanteil von Migranten, zwangsweise Rückführungen von mit Handschellen gefesselten Männern und Frauen nach Mali und in den Senegal; dann folgte die Nachricht, dass wieder zahlreiche  Migranten per Bus in die Sahara verfrachtet und dort einfach ausgesetzt worden waren.

Vom 6. Oktober an übernahm die Regierung Zapatero wieder die Rolle des “Meisters der Verwandlung”. Es folgte eine lautstarker “Protest” gegenüber Marokko wegen der “unmenschlichen” Behandlung der Migranten; schließlich wurde in den Medien das Projekt eines “hochmodernen” Grenzzauns vorgestellt (in Wirklichkeit handelt es sich um drei übereinander angebrachte Sperrzäune), welche die Migranten am Eindringen hindern sollten, “ohne dass ihnen irgendein Kratzer zugefügt” werde. Andere Länder der EU reihten sich schnell in den Chor des “demokratischen Protestes” gegenüber den marokkanischen Ausschweifungen ein, und verlangen, dass die “Migranten respektvoller behandelt werden” und sie plärren mit dem üblichen Geschwätz von Europa als Aufnahmegebiet für Hilfsbedürftige und von der Notwendigkeit, die “Entwicklung” afrikanischer Länder stärker zu fördern. Der spanische Außenminister, ein Experte in scheinheiligem Lächeln, kündigt mit ernster Miene an, “Spanien wird keine illegale Zuwanderung dulden, und das ist durchaus vereinbar mit dem Respekt vor den Migranten”[2]

 

Bei dieser Krise erkennt man die beiden Gesichter der demokratischen Staaten. Vom 6. Oktober an will  die Regierung Zapatero bei ihrem schmutzigen Krieg gegen die Migranten, nachdem sie zuvor Marokko mit gewissen Aufgaben beauftragt hat, ihr übliches Engelsgesicht zeigen, wonach sie den “Frieden”, die “Menschenrechte”, und den “Schutz der Personen”  fördere. Das ist das Gesicht des Zynismus, der Lügen und der Manöver der übliche Deckmantel, den sich die “großen Demokratien” anlegen; es ist die widerwärtigste Heuchelei.

Denn in den Tagen zuvor trat die Regierung Zapatero mit einem anderen Gesicht auf: massiver Schusswaffeneinsatz, Guardia Civil, Misshandlungen eines Emigranten, Sperrzäune und umherfliegende Hubschrauber, Abschiebungen in afrikanische Staaten...

Eine Maske, die den Schleier des Geredes über die “Menschenrechte” und die “Freiheiten” zerreißt und die Tatsache nicht verheimlichen kann, dass der “Sozialist" Zapatero die Migranten genauso behandelt wie Sharon, der den Sperrzaun in den Palästinensergebieten und im Gaza-Streifen errichten ließ und dafür beschimpft wird,  und die ostdeutschen Stalinisten Ulbricht und Honecker, die die Berliner Mauer bauen ließen.

Aber die beiden Gesichter, das der demokratischen Heuchelei und des Bluthundes, sind in Wirklichkeit keine Gegensätze, sondern ergänzen sich.

Sie stellen eine untrennbare Einheit bei der Herrschaftsform des Kapitalismus dar, ein Gesellschaftssystem, das eine zahlenmäßige, ausbeutende Minderheit unterhält, die Bourgeoisie, dessen Überleben immer mehr im Gegensatz zu den Interessen und Notwendigkeiten des Proletariats und der großen Mehrheit der Bevölkerung steht.

Das tragische Problem der Zuwanderung verdeutlicht, dass der Kapitalismus, der immer mehr und tiefer in eine Krise versinkt, und die in Kontinenten wie  Afrika  extremste Formen annimmt, nicht mehr dazu in der Lage ist, einer immer größeren Anzahl von Menschen ein Mindestmaß an Überlebensmöglichkeiten sicherzustellen, welche vor dem tödlichen Inferno des Hungers, der Kriege und Epidemien flüchten.

Bei ihrer Flucht werden sie von den Polizeikräften und den Mafia-Banden der Länder, die sie durchqueren,  verprügelt und bestohlen, welche immer mit der Duldung durch die jeweiligen Staaten tätig sind, und wenn sie am ersehnten Ziel ankommen, stoßen sie auf eine neue Mauer der Schande, auf Sperrzäune, Kugeln,  Abschiebungen...

Mit einer immer größeren Krise konfrontiert, sind die Länder der Europäischen Union immer weniger ein “Refugium des Friedens und des Wohlstands”, welches sie uns vorgaukeln wollen. Die Wirtschaft dieser Länder kann nur wenige Tropfen dieses gewaltigen Ozeans an Menschenmassen aufnehmen, während sich gleichzeitig die Ausbeutungsbedingungen in diesen Ländern immer mehr verschlechtern und sich immer mehr den Bedingungen der Länder nähern, aus denen die Migranten flüchten.

Diese Ereignisse finden statt auf dem Hintergrund wachsender imperialistischer Spannungen zwischen den Staaten, wobei jeder versucht, den anderen Schläge zu versetzen oder Erpressungsmittel in die Hand zu bekommen. Dadurch werden die Migranten zu einer leichten Beute für die Manipulationen der jeweiligen Regierungen. Marokko versucht Spanien zu erpressen, womit die Arbeit der Schlepperbanden erleichtert wird. Und Spanien wiederum versucht einen so hohen Preis wie möglich für seine Dienste als bissiger Wachhund aufgrund seiner Lage als Einfallstor am Südzipfel der Europäischen Union auszuhandeln.

Dieses blutige Spiel der Aufschneider und Betrüger wird auf Kosten des Lebens von Hunderttausenden Menschen betrieben, die zu einer tragischen Odyssee verdammt sind. Die stärksten Staaten wollen gegenüber der Welt das Bild vermitteln, sie seien die “menschlichsten und solidarischsten Gesellschaften”, ganz einfach, weil es ihnen bei diesem Kuhhandel gelungen ist, dass die weniger starken Teile unter ihnen die schmutzigsten Aufgaben übernehmen. Marokko erscheint in diesem Film als der Bösewicht (die Tradition wildester Brutalität seiner Polizeikräfte und seines Militärs verstärken dabei die Wirkung dieses Tricks), während Spanien und die anderen Mitglieder der Europäischen Union, ihre unverschämten Nachäffer, die Frechheit besitzen, ihnen Lehren der  Demokratie und der Menschenrechte erteilen zu wollen.

Aber die wachsenden Widersprüche des Kapitalismus, die Vertiefung seiner historischen Krise, der Zerfallsprozess, der allmählich alles untergräbt, die langsame Zuspitzung des Klassenkampfes, führt dazu, dass diese großen Staaten, die geschickte Teilnehmer des Schauspiels der Demokratie sind, immer mehr ihr Gesicht als Bluthunde zeigen müssen. Vor 3 Monaten sahen wir, wie die britische Polizei, die ‚demokratischste Polizei der Welt”, kaltblütig einen jungen Brasilianer ermordete (2), vor weniger als einem Monat sahen wir, wie  US-amerikanische Polizei und Militär auf die Bevölkerung einprügelte anstatt Lebensmittel zu verteilen und Hilfe für die Opfer des Hurrikans Katrina zu bringen; heute sehen wir, wie die Regierung Zapatero Migranten umbringt, Truppen mobilisiert und eine neue Mauer der Schande errichtet.

Es gibt keinen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz. Die Interessen der Menschheit sind mit den Bedürfnissen dieses Systems nicht vereinbar. Damit die Menschheit überleben kann, muss der Kapitalismus verschwinden. Den kapitalistischen Staat überall zu zerstören, die Grenzen und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abzuschaffen, dies ist die Orientierung, die das Proletariat in seinem Kampf einschlagen muss, damit die Menschheit auch nur anfängt zu leben.

Internationale Kommunistische  Strömung      11.10.05


[1] In den letzten Tagen haben die Regierungsstellender EU den Marokkanischen Behörden die grossen Kredite in Erinnerung gerufen, die an Marokko gezahlt wurden, damit das Land seine Gendarmenrolle übernimmt, welche das Land bislang vernachlässigt hatte

[2] "Hinrichtung in Stockwell, London [3]"

Geographisch: 

  • Afrika [4]

Theoretische Fragen: 

  • Zerfall [5]

Irak - Naher Osten: Der Kapitalismus versinkt in der Barbarei des Krieges

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Nach dem Anschlag vom 11. September 2001 in New York hat der US-amerikanische Staat die Notwendigkeit, dem Irak den Krieg zu erklären, mit drei Argumenten begründet. Das erste war die Gefahr, die von den „Massenvernichtungswaffen“ ausging, die es offensichtlich nicht gab. Das zweite war, dass man im Irak eine Demokratie nach dem Vorbild der USA herstellen müsse - die bürgerliche Demokratie im Irak rudert heute aber in der politischen Anarchie eines unregierbaren Landes. Drittens schließlich und vor allem hieß es, der militärische Angriff auf den Irak sei deshalb unbedingt notwendig, um einen totalen und erbarmungslosen Krieg gegen den internationalen Terrorismus führen zu können. Dabei wurde insbesondere unterstellt, dass es eine enge Verbindung zwischen dem Henker Saddam Hussein und der Organisation Al Kaida von Usama Bin Laden gebe. Seither ist die Welt weiter im blutigen Chaos versunken. Kein Tag vergeht in Afghanistan, im Irak, im Nahen Osten, in Afrika, ohne dass neue Massaker verübt würden. Die auf Video aufgenommene Köpfung von Geiseln ist eine Waffe im Krieg geworden, die ohne jede Hemmung und jenseits von jeder Menschlichkeit eingesetzt wird. Doch darüber hinaus werden nun die Zivilbevölkerung, auch Frauen und Kinder, von allen möglichen schwachen oder mächtigen imperialistischen Cliquen, die sich gegenseitig zerfetzen, als Geiseln genommen.

Nach dem terroristischen Attentat am 11. März 2004 in Madrid, das die arbeitende Bevölkerung, die sich gerade zur Arbeit begab, im Mark traf, hörte der Terrorismus nie auf, weitere Verheerung anzurichten. In den ersten Tagen des Monats August gab es im Irak nicht weniger als sechs Autobomben, die in Bagdad und Mossul die christliche Gemeinde zum Ziel hatten und mindestens zehn Tote und mehrere Dutzend Verletzte forderten. Die ersten zwei Anschläge galten in Bagdad einer armenischen bzw. einer altsyrischen Kirche, eine weitere Bombe explodierte bei einer chaldäischen Stätte. In Palästina fallen die Bomben mit einer alltäglichen Selbstverständlichkeit auf die Häuser von Leuten, die eh schon ohne jede Reserve im nackten Elend leben. Am 11. August nahmen Anschläge in der Türkei Hotels und ein Gaslager aufs Korn. Eine Gruppe, die sich „Abu-Hafa-Al-Masri-Brigade“ nannte, übernahm gemäss der englischen Tageszeitung The Independent die Verantwortung für sie. Diese Gruppe soll auf dem Internet erklärt haben: „Istanbul ist nur der Anfang eines blutigen Krieges, den wir den Europäern versprochen haben.“ Welches auch immer die wirklichen Urheber der Gräuel in Istanbul, Bagdad oder Madrid waren, diese blutigen Anschläge verfolgten das planmäßige Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten. Der Terrorismus tendiert dazu, sich als Kriegswaffe allgemein durchzusetzen. Gestern noch war sie die Waffe der schwächsten imperialistischen Staaten wie Syriens oder Libyens, heute wird sie zum bevorzugten militärischen Strandgut, das alle Kriegsherren und -cliquen, die mit der zunehmenden Schwächung der Nationalstaaten aus dem Boden schießen, einsammeln und -setzen. Diese allgemeine Tendenz der in Auflösung begriffenen Gesellschaft setzt sich als barbarische Wirklichkeit des Weltkapitalismus im Zerfall durch.

Südasien am Rande des Chaos

Unter der Führung des amerikanischen Imperialismus haben sich die politischen und religiösen Führer des Iraks am Sonntag, 15. August, in Bagdad versammelt, um eine erste Sitzung der Nationalkonferenz abzuhalten, die zum offiziellen Ziel gehabt hätte, die Abhaltung von Wahlen in diesem Land im Zeitraum 2005 zu organisieren. Die New York Times schreibt: “Die Amerikaner und die gegenwärtige irakische Regierung wollten mit dieser Konferenz aufzeigen, das die Vorbereitung dieser Wahlen ihren Lauf nimmt trotz der Gewaltakte, die das Land erschüttern.“ Diese Wahlperspektive ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zum Beweis dafür hält die New York Times folgendes fest: „Am Tag der Eröffnung der Konferenz war viel mehr von Aufrufen zur Beendigung der Kämpfe in Najaf zu hören als von den kommenden Wahlen.“ In der Tat gingen zwei Granaten in unmittelbarer Nähe der Konferenz nieder, kaum hatte sie begonnen, so dass sie gleich unterbrochen werden musste. Seit dem 5. August dieses Jahres nehmen Gewalt und Chaos im ganzen Land wieder stark zu. An diesem Datum erklärte der radikale Schiitenführer Muktada Sadr „den Jihad (Heiligen Krieg) gegen die amerikanischen Besetzer und gegen die britischen Truppen, nachdem diese am Vortag vier seiner Männer verhaftet hatten“, berichtet Al Hayat (Courrier internationale vom 6.8.04). Darauf begann die Belagerung der Stadt Najaf mit Billigung des Bürgermeisters der Stadt, Al Zorfi. Zur Zeit, wo wir diese Zeilen schreiben, haben sich die Männer Muktada Sadrs um das Mausoleum des Imams Ali verschanzt, welches für die Schiiten der ganzen Welt die heiligste ihrer Stätten ist, was Scheich Jawad Al-Chalessi, den Imam der großen Moschee von Kadimiya, zwingt klar zu stellen: „Weder dieser Pseudo-Bürgermeister, dieser ehemalige Übersetzer der amerikanischen Armee, der nur deshalb ausgewählt wurde, weil er für seine Fähigkeit, den verrücktesten Anordnungen zu folgen, bekannt ist, noch sonst jemand, und zwar inbegriffen die höchsten religiösen Würdenträger, haben das Recht, den Ungläubigen den Zutritt zum Mausoleum von Ali zu gestatten.“ Die Kämpfe weiteten sich in der Folge aus auf Kut, Amara, Diwaniya, Nassiriya und Basra, wie auch auf das schiitische Quartier Sadr City in Bagdad. Bis zur Stunde soll es auf Seiten der schiitischen Milizen mehrere Hundert Tote geben, und lediglich deren zwei auf Seiten der Amerikaner, berichtet ein Communiqué der amerikanischen Armee. Demonstrationen für Sadr und gegen die Amerikaner breiten sich auf das ganze Land aus. Der Irak taucht ab ins Chaos, und es gibt nichts, was ihn da rausziehen könnte; nicht einmal die höchstpersönliche Intervention des höchsten religiösen Oberhaupts der schiitischen Gemeinde, Al Sistani, zugunsten eines Waffenstillstandes, der nur vorübergehend sein kann. Die USA werden so, ob sie es wollen oder nicht, in eine kriegerische Flucht nach vorne gedrängt, was nur zum Ausdruck bringt, wie sehr sie je länger je weniger fähig sind, die Lage auch nur einigermaßen zu kontrollieren. Die USA sind sich bewusst, dass der Widerstand gegen sie zunimmt, und haben versucht, einen Vorschlag des Außenministers Colin Powell umzusetzen, den dieser in Saudi-Arabien diskutiert hatte und der darauf abzielte, im irakischen Pulverfass islamische Staaten militärisch einzusetzen. Dieser Versuch zeigt noch einmal die totale Sackgasse auf, in der sich der amerikanische Imperialismus befindet, und ist unweigerlich zum Scheitern verurteilt. Der ägyptische Außenminister hat sofort klar gestellt, dass Ägypten keine Truppen entsenden werde. Der Rückzug der amerikanischen Truppen aus Najaf wäre ein vollumfängliches Eingeständnis ihrer Ohnmacht und ein gewaltiger Ansporn für alle, die gegen die USA Krieg führen. Wenn sie umgekehrt Najaf und die schiitische Kultstätte einnähmen, würde ein wahrhaftes Erdbeben in der ganzen schiitischen und islamischen Welt ausgelöst. Dies wäre unweigerlich ein sehr bedeutender Faktor der Beschleunigung der anti-amerikanischen Bewegung, des Krieges, des Chaos und des Terrorismus in der ganzen Region. Wie auch immer die Fortsetzung der Ereignisse in und um Najaf aussieht, ist der amerikanische Imperialismus einer noch größeren Radikalisierung der Gewalt und des Widerstandes der Schiiten nicht nur im Irak ausgesetzt, sondern in allen arabischen Ländern, in denen sie präsent sind. Angesichts dieses Schlangennestes, wo jeder nur gerade auf die Verteidigung seiner eigenen imperialistischen Interessen schaut, muss man davon ausgehen, dass der Iran sowohl politisch wie auch militärisch mit dem schiitischen Aufstand im Irak zu tun hat. Aus diesem Grund gab es in der letzten Zeit eine Reihe von Drohungen aus Washington an die Adresse von Teheran. Colin Powell selber beschuldigte am 1. August in Bagdad den Iran, sich in die irakischen Angelegenheiten einzumischen. Der Krieg im Irak betrifft die ganze Region, von Kurdistan über den Iran bis zur Türkei: Das ganze Gebiet wird immer mehr in einen Prozess der Destabilisierung und des Chaos hineingezogen. Im Irak demonstrieren die USA vor den Augen der ganzen Welt die immer größere Schwächung ihrer imperialistischen Macht. Dieser Sachverhalt freut natürlich ihre Hauptkonkurrenten auf der internationalen Bühne, nämlich Frankreich, Deutschland und auch Russland, und stärkt deren Entschlossenheit. Die Kampagne, die die USA gegen den Iran führen und von Israel unterstützt wird, betrifft auch die Frage des iranischen Atomprogramms. Während einer Pressekonferenz im August erklärte Verteidigungsminister Rumsfeld: „Der Iran war während mehreren Jahren auf der Liste der terroristischen Staaten, und eine große Besorgnis in der Welt betrifft die Verbindungen zwischen einem terroristischen Staat, der Massenvernichtungswaffen besitzt, und terroristischen Netzen. Es ist verständlich, dass die Nationen nicht nur in der Region, sondern auf der ganzen Welt tief beunruhigt sind.“ Man kann die Möglichkeit nicht ausschließen, dass der amerikanische Imperialismus auf seiner kriegerischen Flucht nach vorn einen nächsten Schritt im Iran macht. Auch wenn die USA, die besonders geschwächt sind, ein Interesse daran hätten, sich in Zukunft auf den Iran abstützen zu können, schließen sie sich immer mehr der selbstmörderischen und je länger je barbarischeren Politik des israelischen Staates an; ein Artikel der Sunday Times vom 15. Juli zitierte „israelische Quellen“, wonach Israel „seine Warnungen eines Schlages gegen den Iran nicht länger wiederholen“ werde und „in keinem Fall zulassen wird, dass iranische Reaktoren, insbesondere derjenige von Bushehr, der mit Hilfe Russlands gebaut wird, eine kritische Schwelle überschreiten ... Wenn im schlimmsten Fall die internationalen Bemühungen scheitern, sind wir zuversichtlich, dass wir notfalls mit einem gezielten Schlag die nuklearen Ambitionen der Ayatollahs vernichten können.“

Der schleichende Zerfall der palästinensischen Behörde ist unumkehrbar

Diese kriegerische Politik einer Flucht nach vorn zeigt sich auf barbarische Weise auch im Nahen Osten. Eine gewichtigere Folge der Entfaltung des Chaos in diesem Teil der Welt ist der Zerfall der palästinensischen Regierungsbehörde. Ihre Gründung geht auf die Oslo-Abkommen zurück, die 1993 einen Embryo eines autonomen Gebietes auf palästinensischem Territorium vorsahen. Dieses Gebiet stellte den Ausgangspunkt für den zukünftigen palästinensischen Staat dar, der dann am Ende einer fünfjährigen Übergangszeit gegründet werden sollte. Diese illusorische Perspektive einer Stabilisierung des Nahen Ostens hat sich mit den Massakern, Morden, Bombardierungen und permanenten Attentaten ins radikale Gegenteil gekehrt, dem auch ein palästinensischer Staat nicht entrinnen kann. Die palästinensische Regierung verliert unter dem Druck des fortgeschrittenen Zerfalls in diesem Teil der Welt sowie der expansionistischen und kriegerischen Politik Israels ihre letzte Macht. Auch wenn Arafat noch versucht, seine Stellung als Präsident zu retten, so wird dies seine Helfershelfer nicht daran hindern, sich auf immer gewalttätigere Weise um die Machtbrocken zu zanken. Die von Korruption unterwanderte palästinensische Regierung lässt so den internen Spannungen freien Lauf, was nur die totale Ohnmacht der palästinensischen Behörde ausdrückt. Und auch wenn sich der „Krach“ zwischen dem palästinensischen Führer Yassir Arafat und seinem gegenwärtigen Premierminister Achmed Kurai gelegt hat, wird in Zukunft nichts das Auseinanderbrechen der palästinensischen Regierung sowie die weitere Stärkung von radikalisierten und bewaffneten Armeen verhindern, die die Verzweiflung der Bevölkerung für ihre selbstmörderischen und blindwütigen terroristischen Taten gebrauchen werden. Der israelische Staat unter der Fuchtel der Administration Sharon kann gar nicht anders als seine kriegerische Politik mit dem Ziel fortsetzen, jeglichen palästinensischen Widerstand auszuradieren und die totale Kolonisierung des Westjordanlandes anzustreben. Deshalb beschleunigt der israelische Staat den Bau der Mauer um das Westjordanland: Es wird in ein riesiges Konzentrationslager verwandelt. Die Angriffe auf Sharon aus seiner eigenen Partei und sein Wunsch, die israelische Linke mit S. Perez an der Regierung zu beteiligen, um so den geschwächten Zusammenhalt der israelischen Staatsstruktur anzugehen, werden die kriegerische Politik des hebräischen Staats nicht ändern. Die Ereignisse im Nahen Osten enthalten alle Ingredienzien für eine weitere Destabilisierung der gesamten Region: von Jordanien über Libanon und alle Staaten am Persischen Golf bis nach Ägypten. Weiter zeigt aber auch der Zank zwischen dem Präsidenten Frankreichs, Jacques Chirac, und Sharon um die Bedrohung der jüdischen Gemeinschaft in Frankreich, dass die zunehmenden imperialistischen Spannungen auch die Beziehungen zwischen Frankreich und Israel ernsthaft betreffen, was sich mit den Spannungen zwischen Frankreich und den USA überschneidet.

Im Rahmen das Kapitalismus gibt es keine andere Perspektive als die Verallgemeinerung des Chaos und des Elends

Die zunehmende Schwächung der USA als erste imperialistische Weltmacht ermutigt die anderen Mächte, in erster Linie Franreich und Deutschland, ihre eigenen Interessen zu verteidigen, indem sie versuchen, die USA so stark wie möglich in die Klemme zu treiben, wie dies gegenwärtig im Irak der Fall ist. Die gegenwärtige Situation der Herausbildung stets neuer Kriegsschauplätze, von Massakern, Genoziden und Attentaten ist bereits ein beschleunigender Faktor des Chaos auf der ganzen Welt und somit des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft. Kein Regierungswechsel in Israel oder den USA oder anderswo kann diese Perspektive verändern. Eine allfällige Wahl Kerrys als Präsident der USA würde an dieser Realität - Politik der Flucht nach vorn - nichts ändern. „Das Ankreiden der Inkompetenz von diesem oder jenem Regierungschef als Kriegsursache, erlaubt der Bourgeoisie, die Realität zu verzerren, die schreckliche Verantwortung des dekadenten Kapitalismus und mit ihm der Bourgeoisie auf der ganzen Welt zu verstecken“ (Der wirklich Schuldige ist der Kapitalismus, in: Revue Internationale, Nr. 115). Angesichts der beschleunigten Wirtschaftskrise versinkt der gesamte Kapitalismus unerbittlich in Zerfall und Chaos.

Tino (26. August)

 

Warum das Proletariat der Träger der kommunistischen Revolution ist

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In den ersten beiden Artikeln (s. Weltrevolution Nr. 124 und 125) hielten wir zunächst einmal fest, dass der Kommunismus nicht nur ein alter Traum der Menschheit oder das bloße Produkt des menschlichen Willens ist, sondern dass die Notwendigkeit und die Möglichkeit des Kommunismus direkt auf den materiellen Bedingungen beruht, die der Kapitalismus entwickelt hat; zweitens, dass entgegen aller Vorurteile über die "menschliche Natur", die es der Menschheit unmöglich mache, in solch einer Gesellschaft zu leben, der Kommunismus wirklich die Gesellschaftsform ist, die am besten geeignet ist, jedem Individuum seine vollständige Entfaltung zu ermöglichen. Wir müssen uns nun noch mit einer weiteren Frage hinsichtlich der Möglichkeit des Kommunismus befassen. ‚Gut, der Kommunismus ist notwendig und materiell möglich. Männer und Frauen könnten in einer solchen Gesellschaft durchaus leben. Doch heute ist die Menschheit derart entfremdet in der kapitalistischen Gesellschaft, dass sie niemals die Stärke aufbringen wird, um eine solche Transformation in Angriff zu nehmen, die so gigantisch wie die kommunistische Revolution ist.' Wir werden nun versuchen, darauf zu antworten.

Ist der Kommunismus unvermeidbar?

Bevor wir uns direkt mit der Frage der Möglichkeit des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus befassen, müssen wir uns Klarheit verschaffen hinsichtlich der Idee, wonach der Kommunismus gewiss und unvermeidlich sei.

Ein Revolutionär wie Bordiga konnte einst schreiben: "Die kommunistische Revolution ist so sicher, als wäre sie bereits geschehen." (eigene Übersetzung) Dies ist natürlich eine verzerrte Sichtweise des Marxismus. Während der Marxismus bestimmte Entwicklungsgesetze von Gesellschaften destillierte, lehnte er entschieden jeglichen Gedanken an einer Art menschliches Schicksal ab, das im Voraus im Großen Buch der Natur geschrieben steht. Genauso wie die Entwicklung von Arten keine Finalität beinhaltet, d.h. keine Bewegung der zielstrebigen Annäherung an irgendeine Art von vollkommenem Modell ist, bewegen sich auch die menschlichen Gesellschaften nicht auf ein Modell zu, das bereits im Voraus geschaffen wurde. Solch eine Sichtweise gehört dem Idealismus an: So meinte der Philosoph Hegel zum Beispiel, dass jede Gesellschaftsform ein weiterer Schritt zur Verwirklichung des "absoluten Ideals" sei, das über Mensch und Geschichte schwebe. Auch der Jesuit Teilhard de Chardin dachte, dass der Mensch sich zu einem "Omega-Punkt" entwickle, der für alle Zeiten feststehe. Während uns das Studium der Geschichte in die Lage versetzen kann, die allgemeinen Gesetze der gesellschaftlichen Evolution im Verhältnis zur Entwicklung der Produktivkräfte zu begreifen, lernen wir auch, dass die Geschichte voller Beispiele von Gesellschaften ist, die sich so gut wie gar nicht weiterentwickelt haben; Gesellschaften, die - weit davon entfernt, den Anstoß zu fortschrittlicheren Formen der Gesellschaftsentwicklung zu geben - entweder seit einigen tausend Jahren stagnieren, wie die asiatischen Gesellschaften, oder einfach zu Staub zerfallen sind, wie die antike griechische Gesellschaft. Als allgemeine Lehre lässt sich sagen, dass die bloße Tatsache, dass eine Gesellschaft in ihrer Gesamtheit in die Dekadenz eingetreten ist, keineswegs bedeutet, dass sie in sich die Basis für eine höhere soziale Form enthält; sie kann ganz leicht in der Barbarei kollabieren und die meisten kulturellen Errungenschaften und Produktionstechniken verlieren, die ihre frühere Entwicklung bestimmt und begleitet haben.

Der Kapitalismus ist eine sehr besondere Art von Gesellschaft, eine Gesellschaft, die sich auf den Ruinen der Feudalgesellschaft Westeuropas entwickelt und die (als dynamischste Gesellschaftsform, die jemals existiert hat) die materiellen Bedingungen für den Kommunismus auf Weltebene geschaffen hat. Doch der Kapitalismus ist, wie viele andere Gesellschaften, nicht immun gegen die Gefahr des Niedergangs und Zerfalls, der Vernichtung aller Fortschritte, die er erzielt hat, und der Katapultierung der Menschheit um etliche Jahrhunderte oder Jahrtausende zurück. Es ist unschwer zu erkennen, dass dieses System die Mittel für die Selbstzerstörung der gesamten Menschheit geschaffen hat, eben weil es seine Vorherrschaft über den gesamten Planeten ausgebreitet und solch einen Grad an technischer Meisterschaft erreicht hat. Wie wir bereits gesehen haben, sind die Bedingungen, die den Kommunismus möglich und notwendig machen, auch die Umstände, die die Menschheit mit einem Rückfall in die Steinzeit oder mit der totalen Zerstörung bedrohen.

Revolutionäre sind keine Scharlatane; sie denken nicht daran, die unaufhaltsame Morgendämmerung eines Goldenen Zeitalters anzukündigen, das wir getrost abwarten können. Ihre Rolle ist es nicht, einer Menschheit in Nöten tröstende Worte zu predigen. Doch auch wenn sie keine Gewissheit über das Zustandekommen des Kommunismus haben (genau deshalb sind sie sich nicht sicher, ob sie ihr Leben für einen Kampf opfern, der am Ende die Möglichkeit des Kommunismus auch Wirklichkeit werden lässt), so müssen sie auf die echte Möglichkeit einer solchen Gesellschaft bestehen - nicht nur auf der Ebene der materiellen Möglichkeiten oder der theoretischen Kapazität der menschlichen Wesen, um in einer solchen Gesellschaft zu leben, sondern auch in Hinsicht auf die Fähigkeit der Menschheit, diesen entscheidenden Sprung vom Kapitalismus zum Kommunismus, die kommunistische Revolution, tatsächlich zu vollziehen.

Das Subjekt der kommunistischen Revolution

Aus dem Scheitern der vergangenen Revolutionen, ob sie zerschlagen wurden wie jene in Deutschland und Ungarn 1919 oder ob sie degenerierten wie in Russland, zieht der Durchschnittsbourgeois die Schlussfolgerung, dass die Revolution unmöglich ist. Er hat eine grimmige Warnung für all jene parat, die sich auf solche Unternehmen einlassen wollen: "Schlimmes widerfährt dem, der aufzubegehren versucht! Und wenn du es dennoch machst - schau, was in Russland passiert ist!" Es ist völlig verständlich, wenn die Bourgeoisie so denkt: Es befindet sich in einer Linie mit ihren Interessen als eine privilegierte, ausbeutende Klasse. Doch dies bedeutet nicht, dass die Bourgeoisie selbst etwa nicht entfremdet ist. Im Gegenteil, wie Marx und Engels schrieben: "Die besitzende Klasse und die Klasse des Proletariats stellen dieselbe menschliche Selbstentfremdung dar. Aber die erste Klasse fühlt sich in dieser Selbstentfremdung wohl und bestätigt, weiß die Entfremdung als ihre eigne Macht und besitzt in ihr den Schein einer menschlichen Existenz; die zweite fühlt sich in ihrer Entfremdung vernichtet, erblickt in ihr ihre Ohnmacht und die Wirklichkeit einer unmenschlichen Existenz." (Marx/Engels, Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik, MEW Bd. 2, S. 37)

Doch auch die Arbeiter sind, wie furchtbar ihre Ausbeutung, wie unmenschlich ihre Lebensbedingungen auch immer sein mögen, von solchen Argumenten beeindruckt worden, was so weit ging, dass sie eigentlich jegliche Hoffnung auf ihre eigene Emanzipation haben fahren lassen. Diese Verzweiflung hat alle Arten von Theorien aufblühen lassen, besonders jene von Professor Marcuse (1), derzufolge die Arbeiterklasse nicht mehr eine revolutionäre Klasse sei, sondern in das System integriert sei, so dass die einzige Hoffnung für die Revolution in den Randschichten liege, bei jenen, die aus der heutigen Gesellschaft ausgeschlossen sind, wie die ‚die Jungen', ‚die Farbigen', ‚Frauen', ‚Studenten' oder die Völker der Dritten Welt. Andere gelangten zur Idee, dass die Revolution das Werk einer ‚universellen Klasse' sei, die nahezu jeden in der Gesellschaft um sich sammelt.

Was sich wirklich hinter den Theorien über die "Integration" der Arbeiterklasse verbirgt, das ist eine kleinbürgerliche Geringschätzung der Klasse (daher der Erfolg dieser Theorien im Milieu des intellektuellen und studentischen Kleinbürgertums). Für die Bourgeois und für die Kleinbürger, die in den Fußstapfen Ersterer folgen, sind die Arbeiter nichts anderes als arme Blödmänner, denen es am Willen oder am Intellekt fehlt, um etwas aus ihrem Leben zu machen. Sie würden ihr ganzes Leben lang verroht werden: Statt aus ihren Umständen auszubrechen, vertrödelten sie ihre Freizeit in der Kneipe oder vor dem Fernseher, das Einzige, was ihr Interesse wecke, sei das Pokalfinale oder der letzte Skandal. Und wenn sie etwas forderten, dann sei es eine lumpige Lohnerhöhung, damit sie durch die "Konsumgesellschaft" noch entfremdeter werden.

Es ist klar, dass angesichts des offenkundigen Fehlens von Bewegungen der Randschichten, die angeblich die herrschende Ordnung umstürzen sollen, jene, die solchen Theorien anhingen, heute jegliche Perspektive einer Gesellschaftsänderung aufgegeben haben. Die Klügsten unter ihnen werden zu "neuen Philosophen" oder Funktionären der sozialdemokratischen Parteien, die weniger gut Bemittelten driften in den Skeptizismus, die Demoralisierung, Drogen oder in den Selbstmord ab. Hat man einmal begriffen, dass es nicht von "allen gut gesinnten Menschen" (wie die Christen glauben), von der universellen Klasse (wie Invarianz (2) glaubt), von den hoch gerühmten Randschichten oder von den Bauern der Dritten Welt abhängt, wie Mao und Che Guevara behaupteten, dann ist man in der Lage zu sehen, dass die einzige Hoffnung auf eine Regeneration der Gesellschaft in der Arbeiterklasse liegt. Da sie aber eine statische Sichtweise von der Arbeiterklasse haben, glauben die Skeptiker von heute nicht, dass die Arbeiterklasse imstande ist, eine Revolution zu machen.

Schon 1845 entgegneten Marx und Engels auf solche Einwände mit folgenden Worten: "Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird." (Die heilige Familie..., S. 38)

Wenn man sich die Arbeiterklasse lediglich als eine Summe dessen vorstellt, was die einzelnen Glieder heute sind, dann - nein - wird eine Revolution niemals möglich sein. Doch solch eine Ansicht übersieht dabei zwei fundamentale Aspekte der Realität:

- Das Ganze ist stets mehr als eine Summe seiner Einzelteile.

- Realität ist Bewegung. Die Naturelemente sind genauso wenig wie die Elemente der menschlichen Gesellschaften unveränderlich. Aus diesem Grund sollte man es vermeiden, ein Photo von der gegenwärtigen Situation zu machen und anzunehmen, dies sei ewige Realität. Im Gegenteil, man muss begreifen, was genau dieses "historische Sein" des Proletariats ist, das es zum Kommunismus drängt.

Ausgebeutete Klasse und revolutionäre Klasse

Marx und Engels versuchten in Die heilige Familie, auf diese Frage zu antworten: "Wenn die sozialistischen Schriftsteller dem Proletariat diese weltgeschichtliche Rolle zuschreiben, so geschieht dies keineswegs, wie die kritische Kritik zu glauben vorgibt, weil sie die Proletarier für Götter halten. Vielmehr umgekehrt. Weil die Abstraktion von aller Menschlichkeit, selbst von dem Schein der Menschlichkeit, im ausgebildeten Proletariat praktisch vollendet ist, weil in den Lebensbedingungen des Proletariats alle Lebensbedingungen der heutigen Gesellschaft in ihrer unmenschlichsten Spitze zusammengefasst sind, weil der Mensch in ihm sich selbst verloren, aber zugleich nicht nur das theoretische Bewusstsein dieses Verlustes gewonnen hat, sondern auch unmittelbar durch die nicht mehr abzuweisende, nicht mehr zu beschönigende, absolut gebieterische Not - den praktischen Ausdruck der Notwendigkeit - zur Empörung gegen diese Unmenschlichkeit gezwungen ist, darum kann und muss das Proletariat sich selbst befreien." (S.38) Jedoch ist diese Antwort nicht ganz ausreichend. Diese Beschreibung der kapitalistischen Gesellschaft kann auch auf alle anderen Klassengesellschaften angewendet werden; sie gilt für alle ausgebeuteten Klassen. Diese Passage erklärt, warum das Proletariat, wie alle anderen ausgebeuteten Klasse auch, gezwungen ist aufzubegehren, doch sagt sie nicht, warum diese Revolte zur Revolution führen kann und muss, d.h. zum Sturz der einen Gesellschaft und ihrer Ersetzung durch eine andere, kurzum: warum die Arbeiterklasse eine revolutionäre Klasse ist.

Wie Skeptiker aller Art gerne hervorstreichen, reicht es nicht aus, eine ausgebeutete Klasse zu sein, um revolutionär zu sein. Und in der Tat war in der Vergangenheit das Gegenteil der Fall gewesen. Zu ihren Zeiten waren der Adel, der gegen die Sklavengesellschaft kämpfte, und die Bourgeoisie, die gegen den Feudalismus kämpfte, revolutionäre Klassen. Dies machte sie aber längst nicht zu ausgebeuteten Klassen: Im Gegenteil, sie waren beide ausbeutende Klassen. Andererseits mündeten die Aufstände der ausgebeuteten Klassen in diesen Gesellschaften - Sklaven und Leibeigene - nie in eine Revolution. Eine revolutionäre Klasse ist eine Klasse, deren Vorherrschaft über die Gesellschaft sich in Übereinstimmung mit der Etablierung und Ausweitung der neuen Produktionsverhältnisse befindet, die durch die Weiterentwicklung der Produktivkräfte ermöglicht wurden, zum Schaden der alten, verkümmernden Produktionsverhältnisse.

Da sowohl die Sklavengesellschaft als auch die Feudalgesellschaft nur weitere ausbeuterische Gesellschaften hervorrufen konnten - entsprechend dem Entwicklungsgrad der Produktivkräfte in jenen Epochen -, konnte die Revolution nur angeführt werden:

- von einer ausbeutenden Klasse und

- von einer Klasse, die nicht zu den Besonderheiten der niedergehenden Gesellschaft zählte, während jene Klassen, die es waren, nicht revolutionär sein konnten, entweder weil sie ausgebeutet wurden oder weil sie Privilegien zu verteidigen hatten.

Im Gegensatz dazu kann im Kapitalismus, der die Bedingungen entwickelt hat, die die Eliminierung aller Ausbeutung sowohl möglich als auch notwendig machen, die Revolution nur gemacht werden:

- von einer ausgebeuteten Klasse,

- von einer Klasse, die eine Besonderheit der kapitalistischen Gesellschaft ist.

Das Proletariat ist die einzige Klasse in der heutigen Gesellschaft, auf die beide Kriterien zutreffen; es ist die einzige revolutionäre Klasse in der heutigen Gesellschaft. Somit können wir nun auf den zentralen Einwand antworten, den zu behandeln sich der Artikel vorgenommen hat. Ja, das Proletariat ist eine entfremdete Klasse, betroffen von dem ganzen Gewicht der herrschenden bürgerlichen Ideologie; doch weil es die Masse des gesellschaftlichen Reichtums produziert und weil ihm immer mehr Bürden der kapitalistischen Krise aufgehalst werden, wird es zur Revolte gezwungen sein. Und im Gegensatz zu den Aufständen früherer ausgebeuteter Klassen ist der Aufstand des Proletariats kein verzweifelter: Er enthält in sich selbst die Möglichkeit von Revolution und Kommunismus.

Es könnte der Einwand erhoben werden, dass es Versuche einer proletarischen Revolution bereits gegeben habe, doch dass alle scheiterten. Aber genauso wenig wie die Tatsache, dass die Pest Jahrhunderte lang die Menschheit dezimierte, bedeutete, dass die Menschheit ewig an dieser Geißel litt, kann uns das Scheitern vergangener Revolutionen zum Schluss führen, dass die Revolution unmöglich ist. Was die revolutionäre Welle von 1917-23 hauptsächlich aufhielt, war die Tatsache, dass das Bewusstsein des Proletariats hinter seiner materiellen Existenz hinterher hinkte: Obwohl seine alten Kampfbedingungen obsolet geworden waren, nachdem der Kapitalismus erst einmal seinen Höhepunkt überschritten hatte und in seine dekadente Phase eingetreten war, war sich die Klasse damals dessen nicht bewusst. Daher durchschritt sie eine fürchterliche Konterrevolution, die sie jahrzehntelang zum Schweigen verurteilte.

Und auch wir können nicht so tun, als sei der Sieg sicher. Doch selbst wenn es auch nur den Hauch einer Chance gibt zu gewinnen, ist das, was in den heutigen Kämpfen auf dem Spiel steht, so folgenschwer, dass es, fern jeder Demoralisierung, die Energien all jener mobilisieren sollte, die aufrichtig eine andere Gesellschaftsform anstreben. Fern jeglicher Verachtung, Ignoranz oder Unterschätzung des gegenwärtigen Kampfes der Arbeiterklasse müssen wir die entscheidende Bedeutung dieser Schlachten verstehen. Da das Proletariat sowohl eine ausgebeutete als auch eine revolutionäre Klasse ist, bereiten seine Kämpfe gegen die Auswirkungen der Ausbeutung den Weg zur Abschaffung der Ausbeutung vor; seine Kämpfe gegen die Auswirkungen der Krise ebnen den Weg zur Zerstörung einer Gesellschaft, die sich in der Agonie befindet; und die Einheit und das Bewusstsein, die in diesen Kämpfen geschmiedet werden, sind der Ausgangspunkt für die Einheit und das Bewusstsein, die das Proletariat in die Lage versetzen, den Kapitalismus zu stürzen und eine kommunistische Gesellschaft zu erschaffen. FM

(1) Marcuse war in den 60er Jahren ein Guru der Studentenbewegung und des Drittwelt-Radikalismus.

(2) Invarianz war eine Gruppe, die in den 70er Jahren aus dem Bordigismus entstand und die Idee einer universellen Klasse entwickelte, die an Stelle des Proletariats die Revolution machen solle.

 

Was steckt hinter dem Mythos des 'vereinten Europas'?

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Die lang erwartete Erweiterung der EU auf 25 Länder fand nun am 1. Mai 2004 statt. Und mit ihr natürlich auch grosse Festlichkeiten in den europäischen Hauptstädten. Wie nach dem Gipfel von Maastricht 1991 gab man uns Erklärungen über dieses grosse Europa, “ein Kontinent der endlich in seiner Ganzheit vereint ist” und über seinen Pazifismus(1). Und wegen der Wahlen vom 13. Juni konnten die Fanfaren der Bourgeoisie erneut erklingen. Gepriesen als historische Wende verkörpere die Vergrösserung der EU eine “wunderbare Maschine für den Export von Frieden und Stabilität”, die “prinzipiellen Errungenschaften” und “die bewundernswerte Vollendung Europas”(2).

Dass sich die Bourgeoisie selbst feiert, darf nicht Anlass für Illusionen sein. Wenn die Bourgeoisien sich untereinander verstehen, geschieht das auf Kosten der Arbeiter, ansonsten denken sie ausschliesslich daran sich zu bekämpfen.

Das Voranschreiten der europäischen Integration, welches vom allgemeinen Interesse der Regierungen Osteuropas verlangt wird, um eine Lasur von relativer Stabilität zu schaffen, damit das soziale und wirtschaftliche Chaos, welches durch die Implosion des Ostblocks entstanden ist, gedämmt werden kann, ist weit davon entfernt eine “ Einheit” zu sein. Als Hauptschauplatz von zwei Weltkriegen bildet Europa das Epizentrum der imperialistischen Spannungen, es gab nie die reelle Möglichkeit der Errichtung einer wirklichen Einheit, welche es erlauben würde, die gegensätzlichen Interessen der verschiedenen nationalen Bourgeoisien zu umgehen. Aufgrund seiner geographischen Situation ist Europa in Tat und Wahrheit im 20. Jahrhundert zum Schlüssel des imperialistischen Kampfes um die globale Herrschaft geworden(3).

Die EU, Ausdruck der imperialistischen Spannungen nach dem Zweiten Weltkrieg...

Zu einer gewissen Zeit gab die Teilung der Welt in zwei imperialistische Blöcke Europa eine gewisse Stabilität, als der EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) das Instrument der USA und des Westblocks gegen seinen russischen Rivalen war. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Errichtung der Europäischen Union von den USA unterstützt, um einen Wall gegen die Ansprüche der UdSSR in Europa zu bilden und um den Zusammenhalt des Westblocks zu verstärken. Obwohl vom amerikanischen “leadership” zusammengehalten und diszipliniert aufgrund der Notwendigkeit der Front gegen den gemeinsamen Feind, haben die bedeutsamen Spaltungen unter den wichtigsten europäischen Regierungen nie aufgehört zu existieren.

Der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 hatte die Auflösung des gegnerischen Blocks und die Wiedervereinigung Deutschlands zur Folge, das nun zu einem höheren Rang unter den imperialistischen Mächten aufstieg und dazu entschlossen ist, von dieser Möglichkeit zu profitieren und sich an die Spitze eines potenziellen neuen Blocks gegen die USA zu stellen. Die Gründe für die Staaten des Westblocks “zusammen zu marschieren” sind jedoch unterschiedlich und dieses Phänomen hat seit 15 Jahren gravierend zugenommen. Und, entgegen allem Geschwätz über das unaufhaltsame Streben zur Vereinigung eines grossen Europas, ist die Tendenz viel eher hin zu einer Steigerung der Spannungen und unterschiedlichen Interessen innerhalb Europas.

Die historische Umgestaltung hat erneut den Kampf um die globale Hegemonie und die Neuverteilung der Karten auf dem Kontinent entfacht. Dieser erbitterte Kampf unter den Meistern des Friedens und der Demokratie um die Verteilung der Überreste des ehemaligen Ostblocks führte zum ersten Mal seit 1945, zur Rückkehr des Krieges in Europa Anfang der 90er Jahre in Ex-Jugoslawien (und zur Bombardierung einer europäischen Hauptstadt durch die Mächte der NATO, nämlich Belgrad 1999). Damals stellten sich Frankreich, Grossbritannien und die USA, die untereinander selbst Rivalen sind, zusammen gegen eine deutsche Expansion Richtung Mittelmeer via Kroatien. Auch der Krieg im Irak hat das vollständige Fehlen einer Einheit und die grundsätzlichen Uneinigkeiten und Rivalitäten zwischen den europäischen Nationen gezeigt.

...die sich nach dem Kalten Krieg noch verstärken

Seit 1989 meldet Deutschland unter dem Deckmantel des europäischen Aufbaus unaufhörlich seine imperialistischen Ansprüche auf sein traditionelles Ausdehnungsgebiet “Mitteleuropa” an. Deutschland setzt auf sein wirtschaftliches Gewicht, dem gegenüber die Länder in Osteuropa nichts Gleichwertiges in die Waagschale werfen können, und auf die durch die Erweiterung geschaffene institutionelle Annäherung, um diese Länder an seine Einflusssphäre anzukoppeln. Die deutsche Bourgeoisie stösst dabei aber einerseits auf das Gesetz des Jeder-für-sich, nach welchem sich jede dieser Nationen richtet, andererseits auf die Entschlossenheit der USA, selber auf dem Umweg über die NATO ihren Einfluss geltend zu machen. “Fünf der neuen Mitglieder - Estland, Lettland, Litauen, Slowakei und Slowenien - sind am 29. März in Washington mit grossem Pomp in die NATO aufgenommen worden, ein Monat vor ihrem Beitritt zur EU. Ungarn, Polen und die Tschechische Republik sind schon seit 1999 Teil der Allianz. Die USA führen bereits eine Kampagne zugunsten eines EU-Beitritts von Bulgarien und Rumänien, der beiden weiteren Partner der NATO.” (4) Die USA setzen auf die Länder des “neuen Europa”, um ihren gefährlichsten Rivalen zu lähmen und rechnen damit, dass “sich die EU umso weniger vertiefen wird, je mehr sie sich vergrössert, und dies wird die Bildung eines politischen Gegengewichts zur amerikanischen Vormacht erschweren”(4), wie dies das Tauziehen um die bevorstehende Annahme der EU-Verfassung beweist.

Während Deutschland im Osten trotz des herrschenden Jeder-für-sich seine Möglichkeiten zur Ausdehnung des imperialistischen Einflusses verstärkt, stösst es umgekehrt im Westen sowohl auf Frankreich als auch auf Grossbritannien, die auf die potenzielle Entwicklung des deutschen Imperialismus reagieren müssen.

Grossbritannien hat seinerzeit die Maastrichter Verträge abgelehnt und spielt seither die Rolle des Wasserträgers der USA; es unternimmt alles, um Zwietracht unter den europäischen Mächten zu säen. Grossbritannien ist der wichtigste Beistand der amerikanischen Intervention im Irak, hat aber dadurch nicht nur die Konsequenzen des Misserfolgs der USA mitzutragen, sondern wird in Europa auch zusehends isolierter. Die Entwicklung des irakischen Fiaskos hat die “pro-amerikanische” Koalition zwischen London, Madrid und Warschau zerschlagen, die eigentlich ein Gegengewicht zu den französisch-deutschen Ambitionen hätte darstellen sollen. Das Umschwenken der neuen Regierung von Zapatero auf einen pro-europäischen Kurs und der entsprechende Rückzug der spanischen Truppen aus dem Irak beraubten die Koalition des wichtigsten Partners in Europa. Dieses Überlaufen führte dazu, dass Polen, das gespalten und hin- und hergerissen ist bei der Wahl seiner imperialistischen Ausrichtung, in eine Regierungskrise gestürzt wurde, die mit dem Rücktritt des Ministerpräsidenten und dem faktischen Zusammenbruch der Regierungspartei endete. Trotz aller Schwierigkeiten wird Grossbritannien gezwungen sein, seine Sabotagearbeit gegenüber jedem dauerhaften Bündnis auf dem europäischen Festland fortzusetzen.

Frankreich träumte seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts davon, sich der amerikanischen Vormundschaft zu entledigen, und wird nie akzeptieren, dass sich Deutschland ein Europa nach seinen Wünschen zusammenzimmert. Erst recht wird sich Frankreich nicht mit der untergeordneten Rolle abfinden, die ihm Deutschland im Rahmen der europäischen Erweiterung vorbehalten will. Deshalb hofft Frankreich, dass es in der Verstärkung und Erweiterung der EU die Mittel finden wird, um eine “gemeinschaftliche” Kontrolle sicherzustellen, die den deutschen Ehrgeiz zügelt. Aus diesem Grund knüpft Frankreich auch wieder die “historischen” Verbindungen zu Polen und Rumänien und greift neuerdings ebenfalls auf die Beziehungen zu Russland zurück, die bereits entstanden waren, als es darum ging, sich gemeinsam der amerikanischen Intervention im Irak zu widersetzen. Russland ist übrigens absolut an diesem “Bündnis” mit Frankreich interessiert, da es selber Anlass zur Besorgnis angesichts des Verlustes seiner Einflusssphäre in Osteuropa hat; die EU und die NATO haben sich ja mittlerweile bis an die russischen Staatsgrenzen ausgeweitet. So zielt es darauf ab, Deutschland vom Westen und vom Osten her in die Zange zu nehmen. Innerhalb der EU mobilisiert sich Frankreich, um den Einfluss auf die südeuropäischen Länder, insbesondere Spanien, angesichts der Vormachtstellung Deutschlands zurück zu gewinnen. Und wenn Frankreich die britischen Angebote zur Entwicklung der europäischen Verteidigung und zum gemeinsamen Bau eines Flugzeugträgers annimmt, so geschieht dies mit der Absicht, den Trumpf der militärischen Stärke, welche Deutschland eben nicht hat, diesem Land gegenüber in den Händen zu behalten.

Wie passen diese Umstände zur ganzen Kampagne über die “europäische Einheit”? Die Propaganda ist ideologischer Natur und soll die Illusionen über die kapitalistische Welt aufrecht erhalten, die in Tat und Wahrheit aus allen Poren nach Verwesung und Elend stinkt.

Der Sog zum Chaos und das Gesetz des “Jeder-für-sich” sind keineswegs ein den Ländern des ehemaligen Ostblocks und der “Dritten Welt” vorbehaltenes Schicksal. Mit dem Verschwinden der beiden Blöcke wurde das Tor zu einer Entfesselung von neuen Kriegen aufgestossen, in denen jeder gegen jeden kämpft; Europa befindet sich im Zentrum der imperialistischen Gegensätze, was schon für sich allein jeden Gedanken an eine Einheit der verschiedenen nationalen Kapitale illusorisch macht. Vielmehr führt die Logik der geschilderten Entwicklung dazu, dass Europa letztlich der Schauplatz der imperialistischen Auseinandersetzung bleiben wird: Auf der einen Seite steht die Entschlossenheit der USA, ihre Überlegenheit auf der ganzen Welt um jeden Preis aufrecht zu erhalten, wobei Grossbritannien zur eigenen Interessenwahrung im Kielwasser der USA fährt; auf der anderen Seite wächst die Macht von Deutschland an, das sich je länger je mehr als Rivale der USA emporarbeitet.

 

(1) Le Monde, 2/3. Mai 2004

(2) Le Monde 4. Mai 2004

(3) siehe Internationale Revue Nr. 31, “Europa: Wirtschaftsbündnis und Terrain imperialistischer Manöver”

(4) Le Monde vom 29. April 2004

 

Scott (aus Révolution Internationale Nr. 347)

Öffentliche Diskussionsveranstaltung des IBRP in Paris (2. Teil)

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Öffentliche Diskussionsveranstaltung des IBRP in Paris (2. Teil) Politische Leere und mangelnde Methode des IBRP

In dem ersten Teil dieses Artikels zur öffentlichen Veranstaltung des IBRP in Paris am 2. Oktober zum Thema „Warum der Krieg im Irak?“ (unsere Leser finden den ersten Teil auf unserer Webseite im Internet) haben wir aufgezeigt, wie die prinzipienlose Umgruppierungspolitik des IBRP diese linkskommunistische Organisation dazu geführt hat, dass das IBRP von einer parasitären Gruppe (einer selbsternannten ‚Internen Fraktion der IKS‘) als Geisel genommen wird (). In diesem zweiten Teil des Artikels wollen wir über die Debatte zum Irakkrieg berichten.

Öffentliche Diskussionsveranstaltung des IBRP in Paris (2. Teil) Politische Leere und mangelnde Methode des IBRP

In dem ersten Teil dieses Artikels zur öffentlichen Veranstaltung des IBRP in Paris am 2. Oktober zum Thema „Warum der Krieg im Irak?“ (unsere Leser finden den ersten Teil auf unserer Webseite im Internet) haben wir aufgezeigt, wie die prinzipienlose Umgruppierungspolitik des IBRP diese linkskommunistische Organisation dazu geführt hat, dass das IBRP von einer parasitären Gruppe (einer selbsternannten ‚Internen Fraktion der IKS‘) als Geisel genommen wird[1]. In diesem zweiten Teil des Artikels wollen wir über die Debatte zum Irakkrieg berichten.

Wir haben (insbesondere in unserer Presse) immer die Notwendigkeit betont, dass die Organisationen, welche sich auf die Kommunistische Linke berufen, eine öffentliche Debatte führen, ihre jeweiligen Positionen den anderen gegenüberstellen, damit die nach einer Klassenperspektive suchenden Leute sich eine klare Vorstellung von den verschiedenen im proletarischen Lager vorhandenen Positionen machen können.

Eine Analyse mit variabler Geometrie?

Obgleich das IBRP (wie die Organisationen, die es gegründet haben, die IntKP und die CWO) immer den proletarischen Internationalismus gegenüber den schlimmsten, von der Bourgeoisie verübten nationalistischen Horrortaten verteidigt hat, erfasste seine Analyse der verschiedenen kriegerischen Konflikte während der letzten 20 Jahre überhaupt nicht das Wesentliche. Bezüglich des gegenwärtigen Irakkrieges hat das IBRP in seinem Einleitungsreferat die Analyse wiederholt, der zufolge dieser neue Krieg auch eine ökonomische Rationalität verfolge (die Ölrente und die Kontrolle der Ölquellen durch die USA). Diese Analyse hatte das IBRP schon in der Vergangenheit vertreten, insbesondere während des Afghanistankrieges 2001.

„Die USA brauchen den Dollar als gültige Währung im internationalen Handel, wenn sie ihre Stellung als globale Supermacht bewahren wollen. Vor allem sind die USA verzweifelt darum bemüht sicherzustellen, dass der internationale Ölhandel auch weiterhin primär in Dollars abgewickelt wird. Dies bedeutet, bei der Bestimmung der Routen für die Öl- und Gaspipelines und vor allem bei der Beteiligung von kommerziellen US-Interessen an der Ausbeutung der Quellen das letzte Wort zu haben. Dies steckt dahinter, wenn offen kommerzielle Entscheidungen durch die sie überwölbenden Interessen des US-Imperialismus als Ganzes gemäßigt werden, wenn der amerikanische Staat politisch und militärisch für langfristige Ziele eingespannt wird, Ziele, die sich oft gegen die Interessen anderer Staaten und in steigendem Maße gegen jene ihrer europäischen ‚Verbündeten‘ richten. Mit anderen Worten, dies ist der Kern der imperialistischen Konkurrenz im 21. Jahrhundert“ (zitiert aus Revolutionary Perspectives Nr. 23, in Internationale Revue Nr. 29, S. 29).

Auch während des ersten Golfkrieges 1991 hatte das IBRP eine ähnliche Analyse verfochten: „Die Golfkrise ist wirklich wegen des Öls und der Frage, wer das Öl kontrolliert, ausgebrochen. Ohne billiges Öl werden die Profite fallen. Die Profite des westlichen Kapitalismus werden bedroht, und aus diesem Grund – und keinem anderen – bereiten die USA ein neues Blutbad im Mittleren Osten vor“ (International Review Nr. 64, engl. Ausgabe).

In Anbetracht der nicht zu leugnenden Entwicklung der Wirklichkeit ist das IBRP aber hinsichtlich des Irak-Kriegs dazu gezwungen gewesen, seine Analyse ein wenig zu ändern. So hat das IBRP in seinem Einleitungsreferat drei Hauptgründe erwähnt, die die Auslösung dieses neuen Krieges erklären sollen:

1)geostrategische Gründe;

2)die Verteidigung des Dollars als dominante Währung und die Ölrente;

3)die Kontrolle der Ölförderung während der nächsten 20 Jahre.

Nach dem Einleitungsreferat hat die IKS das Wort ergriffen, um aufzuzeigen, dass die amerikanische Offensive hauptsächlich strategische Ziele verfolgt. Während die Frage des Öls eine wichtige Rolle spielt, ist dies hauptsächlich nicht auf ökonomische Faktoren zurückzuführen, sondern vornehmlich auf strategische und militärische. Wir haben daran erinnert, dass das Öl nicht erst seit heute und auch nicht erst seit den 1960er Jahren strategisch wichtig ist, sondern seit der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, als die Armeen mechanisiert wurden.

In unseren Redebeiträgen haben wir unterstrichen, dass das Einleitungsreferat des IBRP insofern einen gewissen Fortschritt des IBRP darstellt, als dieses bei der Liste der Ursachen der amerikanischen Offensive im Irak an erster Stelle „geostrategische“ Faktoren nannte. Trotz seiner mechanistischen und reduktionistischen Auffassung hinsichtlich der Verbindung zwischen Wirtschaftskrise und Krieg (ein Merkmal des Vulgärmaterialismus), kann das IBRP nicht völlig die Augen verschließen vor nicht zu leugnenden Tatsachen: Mehr als 10 Jahre später sind die Transportwege des Öls im Afghanistan durch den Krieg nicht sicherer geworden, sondern im Gegenteil zum Teil zerstört.

Leider waren wir ein wenig zu optimistisch, als wir behaupteten, dass das IBRP bei seinen Analysen einen gewissen Fortschritt gemacht habe.

Der Genosse des IBRP, der das Einleitungsreferat vorgetragen hatte, hat unseren Redebeitrag ‚korrigiert‘, als er behauptete, wir hätten den Inhalt des Einleitungsreferates nicht richtig gehört (oder nicht richtig verstanden), denn egal in welcher Reihenfolge die Ursachen erläutert worden seien, die ‚strategischen Ursachen‘ der US-Offensive im Irak seien aus der Sicht des IBRP zweitrangig. Der Genosse meinte gar, das IBRP hätte uns das Einleitungsreferat schriftlich zur Verfügung stellen sollen, damit wir jedes ‚Missverständnis‘ vermeiden. Nach der Diskussionsveranstaltung hat das IBRP auf seiner Webseite dieses Einleitungsreferat veröffentlicht. Dort kann der Leser nachlesen und sich davon überzeugen, dass der Hauptfaktor, den das IBRP als Erklärung vorgetragen hatte, sehr wohl der ist, den wir vernommen hatten: „Wenn das schwarze Gold bei den Überlegungen Washingtons gegenüber dem Irak einfließt, dann eher aus strategischen als aus ökonomischen Gründen. Durch diesen Krieg soll eher die US-Hegemonie verewigt – und somit Garantien für die Zukunft aufgebaut werden – als sofort die Gewinne von Exxon zu steigern.“ Das kann man klarer nicht ausdrücken (und wir sind mit dieser Analyse voll einverstanden)!

So hat dieser kleine Winkelzug des IBRP, zu behaupten, die IKS habe „schlecht gehört“ oder „schlecht verstanden“, es dem IBRP während der ganzen Diskussion ermöglicht, der Frage der „strategischen Ursachen“ des Irakkriegs auszuweichen. In Wirklichkeit versuchte das IBRP dadurch zu vertuschen, dass seine Analysen „geometrisch variabel“ sind oder dass die Genossen des IBRP nicht alle mit den 'offiziellen‘ Analyen ihrer eigenen Organisation einverstanden sind.

Die Argumente der IKS

In unseren Redebeiträgen haben wir betont, dass der Krieg seit dem Beginn der Dekadenz des Kapitalismus anfangs des 20. Jahrhunderts jegliche ökonomische Rationalität für das Kapital als Ganzes, aber auch mehr und mehr für jeden einzelnen Staat verloren hat. Wir haben daran erinnert, dass das Konzept der Dekadenz keine Erfindung der IKS ist, da auch die Kommunistische Internationale 1919 dieses Konzept vertreten hat. Auch ist die Analyse der Irrationalität des Krieges im Zeitraum der Dekadenz keine tolle Erfindung der ‚Idealisten‘ der IKS. Schon die Kommunistische Linke Frankreichs (Gauche Communiste de France – GCF), auf die sich die IKS immer berufen hat, hatte diese Analyse schon vertreten, als sie behauptete, dass in der Niedergangsphase des Kapitalismus "die Produktion im Wesentlichen auf die Produktion von Zerstörungsmitteln ausgerichtet ist, d.h. im Hinblick auf den Krieg. Der Niedergang der kapitalistischen Gesellschaft spiegelt sich am deutlichsten in der Tatsache wider, dass die Kriege nicht mehr wie in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus die wirtschaftliche Entwicklung fördern, sondern dass die Wirtschaft in der Dekadenz hauptsächlich auf den Krieg ausgerichtet ist“ (Bericht auf der Konferenz der GCF, Juli 1944, zitiert in „Der historische Kurs“, Internationale Revue Nr. 5).[2]

Wir haben ebenso verdeutlicht, wie das IBRP, wenn es das – auf ökonomischer Ebene - irrationale Wesen des Krieges in der Dekadenz und ihre zunehmende Irrationalität in der Endphase dieses Niedergangs (die Zerfallsphase des Kapitalismus) verwirft, keinen Unterschied mehr macht zwischen der Funktion der Kolonialkriege und dem Aufbau der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert einerseits und den Kriegen, die seit 1914 die Welt verwüstet haben, andererseits.

Wir haben daran erinnert, dass im 19. Jahrhundert die Kriege „rentabel“ waren. Sie erfüllten eine ökonomische Rationalität (da sie die Ausdehnung des Kapitalismus auf den ganzen Erdball ermöglichten), während sie im 20. Jahrhundert einen immer irrationaleren Charakter annahmen. Und dies ist heute noch offensichtlicher: Mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Zerfallsphase (die mit dem Auseinanderbrechen der beiden, aus dem 2. Weltkrieg hervorgegangenen imperialistischen Blöcke eröffnet wurde) hat diese Irrationalität auf wirtschaftlicher Ebene eine höhere Stufe erreicht, wie die Lage auf dem Balkan oder in Tschetschenien zeigt.

So wird die 1945 auf der Konferenz von Jalta festgelegte Weltordnung heute ersetzt durch einen Zeitraum des weltweiten Chaos, wo auf imperialistischer Ebene ‚jeder für sich‘ kämpft.

Die Kurzsichtigkeit des IBPR führt dazu, dass es nicht sieht, wie die imperialistische Logik des Kapitalismus in seiner Niedergangsphase immer mehr nur der eigenen Logik folgt: Der grenzenlosen Flucht nach vorn in den Krieg und eine wachsende Barbarei.

Die Redebeiträge der IKS haben ebenso die Folgen der Analyse des IBRP aufgezeigt, der zufolge der Krieg der USA gegen den Irak noch eine ökonomische Rationalität besäße (insbesondere die berühmte ‚Ölrente‘). Diese Auffassung lässt in Wirklichkeit das IBRP die wirklichen Gefahren der gegenwärtigen historischen Lage (das blutige Chaos entfaltet sich immer mehr) unterschätzen und damit das, was für die Arbeiterklasse und die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel steht.

Wir haben in dieser Diskussionsveranstaltung ebenso an den Rahmen erinnert, anhand dessen die IKS die Ursachen dieses neuen Krieges im Irak festmacht: „Auf dem Hintergrund des Bankrotts des Kapitalismus und des Zerfalls der bürgerlichen Gesellschaft zeigt uns die Wirklichkeit, dass die einzige mögliche Politik einer jeden Großmacht darin besteht, den anderen Schwierigkeiten zu bereiten, um zu versuchen, ihnen die eigenen Interessen aufzuzwingen. Dies sind die kapitalistischen Gesetze. So sind diese sich immer mehr ausdehnende Instabilität, die wachsende Anarchie und das Chaos keine Besonderheit dieses oder jenes exotischen oder rückständigen Gebietes der Erde, sondern das Ergebnis des Kapitalismus in der gegenwärtigen unumkehrbaren Zerfallsphase. Und da der Kapitalismus die Welt beherrscht, wird die ganze Welt mehr und mehr diesem Chaos unterworfen“ (Internationale Revue, Nr. 118).

Die mangelnde Ernsthaftigkeit der Argumente des IBRP

Das IBRP war nicht in der Lage, auf unsere Argumente mit einem Mindestmaß an Ernsthaftigkeit zu antworten. Was unsere Analyse des Zerfalls des Kapitalismus angeht, war das einzige politische Argument, das man vom IBRP hören konnte, dass es erneut den ‚Idealismus‘ der IKS mit einem unpassenden Sarkasmus anprangerte, als einer ihrer Vertreter sagte, „mit eurer Analyse des Zerfalls findet man alles zusammengeworfen in einem Topf, Chaos, Gott, die Engel...“!

Aber das ist nicht alles. Wir waren verblüfft, Argumente zu hören, bei denen sich Marx und Engels im Grabe herumgedreht hätten.

1) Wir stellten die Frage: „Vertritt das IBRP heute noch den Standpunkt, wenn ein Dritter Weltkrieg vor dem Zusammenbruch des Ostblocks nicht stattgefunden hat, dann deshalb, weil es Atombomben und ein ‚Gleichgewicht des Schreckens‘ gab?“ Anfänglich wollte kein Mitglied des IBRP auf unsere Frage antworten. Und erst nachdem wir die Frage zum dritten Mal gestellt hatten, hat ein Genosse des IBRP die Güte gehabt uns sehr knapp zu antworten, ohne auch nur irgendein Argument zu liefern: Das Gleichgewicht des Schreckens sei ‚einer der Faktoren‘, der erklärt, weshalb die Bourgeoisie einen dritten Weltkrieg nicht auslösen konnte... Kurzum, die klassische Analyse der herrschenden bürgerlichen Kreise, die jahrzehntelang gegenüber den Arbeitern den furchtbaren Rüstungswettlauf im Namen des ‚Schutzes des Friedens‘ gerechtfertigt haben. Wir verzichten auf jeden Kommentar!

Alle bei dieser Diskussionsveranstaltungen anwesenden suchenden Leute, die Zeuge wurden, wie das IBRP die Allgemeinheiten der bürgerlichen Propaganda wiederkäute, kamen bei diesem Treffen nicht auf ihre Kosten. Am Ende des Treffens waren sie nicht schlauer darüber, was „die anderen Faktoren“ waren, die ein Hindernis für die Auslösung eines dritten Weltkriegs darstellten (und vor allem, welcher ausschlaggebend ist). Dagegen hat die IKS auf dem Treffen unterstrichen, dass der Hauptfaktor darin besteht, dass seit dem Ende der 1960er Jahre ein neuer historischer Kurs (hin zu verstärkten Klassenzusammenstößen) eröffnet wurde, womit der lange Zeitraum der Konterrevolution zu Ende ging, unter der das Proletariat nach der Niederlage der revolutionären Welle von Kämpfen 1917-23 gelitten hat. Wenn ein dritter Weltkrieg nicht ausgebrochen ist, dann nicht, weil es Atomwaffen und ein ‚Gleichgewicht des Schreckens‘ gab, sondern weil die Arbeiterklasse nicht bereit war, ihr Leben für ein Vaterland zu opfern.

2)Hinsichtlich der marxistischen Analyse der Dekadenz des Kapitalismus antwortete uns ein Sprecher des IBRP folgendes: „Ich habe genug davon, seit 25 Jahren mit der IKS zu diskutieren.“ Tatsächlich ist die IKS so ‚engstirnig‘, dass sie immer noch nicht das ABC des Marxismus begreifen will, der uns (nach der Aussage des Sprechers des IBRP) lehrt, dass „man im Kapitalismus zwei Dinge unterscheiden muss: die Gesellschaftsformation und die Produktionsform. Man kann sagen, dass es eine Dekadenz der Gesellschaftsformation gibt (auch wenn ich den Begriff ‚Dekadenz‘ nicht mag), aber die Produktionsform ist nicht dekadent. Denn wenn es keine gesellschaftliche Revolution gibt, werden die beiden weiterhin fortbestehen, mit einem Versinken der Gesellschaft in der Barbarei.“

Vorsichtig formuliert (es stimmt, wenn es zu keiner Revolution kommt, versinkt die Gesellschaft in der Barbarei) hat das IBRP in aller Ruhe behauptet, dass der Kapitalismus als ‚Gesellschaftssystem‘, d.h. auf der Ebene des Überbaus (herrschende Ideologie, Kultur, Freizeit, Sitten, Moral usw.) dekadent sein könnte, aber nicht als ‚Wirtschaftssystem‘, d.h. auf der Ebene der Basis (auf der Ebene der Produktionsform und der Art und Weise, wie die Menschen sich organisiert haben, um für ihre Existenz zu produzieren).

Im Namen des Marxismus, des ‚Materialismus‘ und natürlich gegen die ‚idealistische‘ Auffassung der IKS, wurde der IKS solch eine Lektion der ‚Dialektik‘ erteilt. Wir wollen es Marx überlassen, solchen Unfug zu widerlegen: „Hieraus geht hervor, dass eine bestimmte Produktionsweise oder industrielle Stufe stets mit einer bestimmten Weise des Zusammenwirkens oder gesellschaftlichen Stufe vereinigt ist, und diese Weise des Zusammenwirkens ist selbst eine ‚Produktivkraft (...) Die Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewussteins ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Menschen, Sprache des wirklichen Lebens “ (Deutsche Ideologie, MEW, Bd 3, S. 30 u. S. 26). So scheint das IBRP die „Sprache des wirklichen Lebens“ zu ignorieren. Aber wie Spinoza meinte, ist „Unwissenheit kein Argument“!

Aus marxistischer Sicht beeinflusst der Aufstieg wie der Niedergang einer Produktionsform alle Aspekte der Gesellschaft, denn der Zustand der Basis (die Wirtschaft) bestimmt den des Überbaus (das Gesellschaftsleben), auch wenn die Entwicklung oder der Rückschritt einer Zivilisation sich nicht gleichmäßig in allen Bereichen entfaltet. Das Gegenteil zu behaupten ist weder materialistisch noch marxistisch. Damit verfällt man dem dümmsten Idealismus.

3)Während der Diskussion hat einer unserer Sympathisanten das IBPR gefragt: „Wenn man eurer Analyse des Zyklus „Krise, Expansion, neue Krise usw. folgt, was haltet ihr von den nationalen Befreiungskämpfen? Wären sie heute noch unterstützenswert? Heißt dies, dass die Gewerkschaften noch Arbeiterorganisationen sind?“

Auf die Frage nach den nationalen Befreiungsbewegungen hat das IBRP überhaupt nicht geantwortet. Dagegen hat ein Genosse des Präsidiums behauptet, wenn das IBRP keine Arbeit in den Gewerkschaften befürwortet, dann „weil die Erfahrung bewiesen hat, dass man da nichts ausrichten kann, aber nicht weil der Kapitalismus dekadent wäre.“ Wir haben danach das IBRP gefragt, ob es damit die Position der IntKP von 1947 verwirft, die in ihren „Thesen zu den Gewerkschaften heute und kommunistische Aktivitäten“ (die auf dem 4. Kongress der IntKP verabschiedet wurden) unterstrich: „In der gegenwärtigen Phase der Dekadenz der kapitalistischen Gesellschaft sind die Gewerkschaften ein wesentliches Instrument der konservativen Politik und deshalb übernehmen sie genau die Funktion eines staatlichen Organismus“ (von der IKS hervorgehoben).

Der Genosse des Präsidiums, der auf die Frage nach dem Wesen der Gewerkschaften geantwortet hatte, schien sehr überrascht zu sein, dass das IBRP oder die IntKP solch eine Auffassung vertreten konnte. Offensichtlich schien er diese programmatische Position seiner eigenen Organisation erst zu entdecken (obwohl diese doch auch auf der Webseite des IBRP veröffentlicht ist)!

Jedenfalls kann die Infragestellung der Analyse der Dekadenz des Kapitalismus, so wie sie von der Kommunistischen Internationale formuliert wurde, das IBRP nur dazu bringen, gewisse Positionen seiner eigenen Plattform zu ‚revidieren‘.

Die mangelnde Ernsthaftigkeit in der Debatte

Abgesehen von unseren Redebeiträgen in der Debatte und den von unseren Sympathisanten gestellten Fragen (auf die das IBRP entweder nicht oder zumindest sehr konfus geantwortet hat) wollen wir auf den Redebeitrag eines Anhängers des rätistischen Milieus (den wir seit langem kennen) hinweisen. Er kritisierte vor allem unsere Auffassung von der Dekadenz des Kapitalismus (die sich auf die Theorie der Sättigung der Märkte, wie sie von Rosa Luxemburg in der „Akkumulation des Kapitals“ entwickelt wurde, stützt). Auch er wollte uns erneut eine „Lektion in Marxismus“ erteilen, indem er behauptete, dass der Kapitalismus heute noch in der Phase der erweiterten Akkumulation stecke, wie beispielsweise die beeindruckende Entwicklung in China zeige.

Dieser Analyse (die heute von den ‚Experten‘ der herrschenden Klasse weit verbreitet wird) wurde von Seiten des IBRP nicht kritisiert. Die IKS hat deshalb das Wort ergriffen, um aufzuzeigen, dass die angebliche „wirtschaftliche Expansion“ Chinas auf Sand gebaut ist (siehe dazu den Artikel in Weltrevolution Nr. 127).

Einer der beiden Anhänger der IFIKS wollte in seinem langen (unverständlichen und völlig zusammenhanglosen) Beitrag aufzeigen, dass die Analyse der IKS (und auch der Komintern) von der Dekadenz des Kapitalismus absurd sei und außerhalb des Marxismus stünde.

Ebenso aufschlussreich waren die ‚Leistungen‘ der beiden ‚Tribunen‘ der IFIKS, die alles daran setzten, nicht zur Analyse des IBRP, wie sie vom Präsidium vertreten wurde, Stellung zu beziehen, sondern versuchten, die IKS-Analyse ‚auseinander zu nehmen‘[3].

Die mangelnde Ernsthaftigkeit der IFIKS wurde erneut durch das Verhalten von zwei ihrer Mitglieder (und ihrer beiden Anhänger) unter Beweis gestellt, die anstatt das Wort zu ergreifen, um eine politische Argumentation zu entwickeln, sich während des ganzen Treffens damit zufrieden gaben, zu grinsen und eine sarkastische Haltung an den Tag zu legen (und gar Beifall gegenüber den Kritiken an der IKS zu spenden, als ob diese Leute gekommen wären, um einem Fußballspiel beizuwohnen!). Diese mangelnde Ernsthaftigkeit hat übrigens auf dem Treffen die Teilnehmer, die sich auf der Suche nach Klärung befinden, zutiefst schockiert. Einer von ihnen hat das Wort ergriffen und gesagt, dass solch eine Haltung auf einem politischen Treffen ihn nicht dazu „ermutigt habe, sich an der Diskussion zu beteiligen“.

Es liegt auf der Hand: Wenn die IKS nicht anwesend gewesen wäre und keinen Diskussionsstoff geliefert hätte, hätte es keine kontroverse Debatte gegeben, keine Auseinandersetzung über die verschiedenen Positionen. Die IFIKS (die behauptet, „die wahre Verteidigerin der Plattform der IKS“ zu sein), hat sich davor gehütet, irgendeine Divergenz oder irgendeine Kritik an den Analysen des IBRP zur Sprache zu bringen. Zum Konzept der Dekadenz (das das IBRP ‚neu definiert‘, tatsächlich aber verwirft) haben die Mitglieder der IFIKS keinen Ton gesagt. Genauso haben sie schamhaft jede Auseinandersetzung mit dem IBRP zur Frage, warum die Bourgeoisie vor dem Zusammenbruch des Ostblocks keinen dritten Weltkrieg auslösen konnte, vermieden.

Deshalb ist die angebliche Öffnung hin zur öffentlichen Debatte, für die ‚Klärung‘ und die ‚Auseinandersetzung‘ der verschiedenen Standpunkte innerhalb des proletarischen Lagers, den die IFIKS beansprucht, nur ein Bluff, angereichert mit einer entsprechenden Portion Heuchelei. In Wirklichkeit ziehen das IBRP und die IKIKS, die eine ‚Einheitsfront gegen die IKS‘ errichten wollen, es vor, ihre Divergenzen zu verheimlichen und sie in ‚privaten‘ Treffen zu besprechen!

Wenn wir uns auf überhaupt keine ‚Debatte‘ mit den Leuten von der IFIKS (trotz ihrer provozierenden Redebeiträge) einlassen wollten, dann weil die IKS zu einer Veranstaltung des IBRP gegangen ist, und weil wir diese Leute der IFIKS daran hindern wollten, dass sie die Debatte sabotieren. Deshalb haben wir das Wort ergriffen, um auf die Argumente des IBRP zu antworten, nicht aber auf die der selbsternannten ‚Fraktion‘, die sich wie eine Diebesbande verhält (indem sie Material und Geld von der IKS gestohlen haben).

Und weil die IKS keine Angst vor der öffentlichen Auseinandersetzung über die Divergenzen mit dem IBRP hat, haben wir uns an dem Treffen beteiligt. Deshalb stimmen wir nicht mit der Position des IBRP überein (die auch am Ende des Treffens wiederholt wurde), der zufolge die Debatte zwischen der IKS und dem IBRP ‚zu nichts dient‘. Wir vertreten die Auffassung, dass öffentliche Debatten kein Wettkampf zwischen den Gruppen der Kommunistischen Linken sind, um zu wissen, wer der ‚Stärkere‘ ist oder wer am meisten Leute ‚erobert‘. Wenn wir für die öffentliche Debatte dieser Divergenzen eintreten, tun wir dies, um den suchenden Leuten zu ermöglichen, dass sie nicht nur die Positionen der IKS kennen, sondern auch die anderer Gruppen des proletarischen Lagers. Nur so können sie für sich selbst eine Klärung herbeiführen und auch entscheiden, in welcher Gruppe sie als Militante mitarbeiten wollen.

Gegenüber den nach einer Klassenperspektive suchenden Leuten ist es die Aufgabe der revolutionären Organisationen, Antworten auf all ihre Fragen zu liefern, sie mit einem Höchstmaß an Klarheit und Ernsthaftigkeit zu überzeugen. Ebenso müssen sie in ihren öffentlichen Veranstaltungen die Ernsthaftigkeit der politischen Debatte verteidigen, indem sie jegliche parasitäre Haltung verwerfen, die darin besteht, die Debatten durch Sarkasmen, Gekicher oder Beifall zu stören.

IKS, 18. 10.2004

Fußnoten:

1. Aus Platzgründen und um das Gleichgewicht unserer Zeitung nicht zu beeinträchtigen, veröffentlichen wir in unserer Zeitung nicht den ersten Teil des Artikels „Das IBRP – von Dieben als Geisel genommen“ (den wir auf unserer Webseite veröffentlicht haben). Wenn jedoch jemand keinen Zugang zum Internet hat, können wir ein gedrucktes Exemplar des ersten Teils des Artikels zuschicken. Wir schicken dann ebenfalls eine Kopie der Antwort, die das IBRP auf seiner Webseite mit dem Titel „Antwort auf eine auseinanderbrechende Organisation“ veröffentlicht hat.

2. Ein Mitglied der IFIKS versuchte in einem Redebeitrag unsere Auffassung von der Irrationalität des Krieges ‚lächerlich‘ zu machen, indem er uns ‚Revisionismus‘ vorwarf und uns gar vorhielt, wir seinen „Kautskyaner“! In Wirklichkeit sind diese Leute von der angeblichen ‚Fraktion‘ die wahren ‚Revisionisten‘, da sie heute die von der GCF entwickelte Analyse, auf die sich die IKS immer berufen hat, verwerfen. Somit verwerfen heute diese Renegaten, die von sich behaupten, ‚die wahren Verteidiger der programmatischen Positionen der IKS‘ zu sein, diese Grundposition unserer Plattform (um dem IBRP zu schmeicheln), auf den sich unser Rahmen der Analyse der Dekadenz des Kapitalismus stützt.

3. Und um die ‚kautskyschen‘ und ‚revisionistischen‘ Analysen der IKS zu bekämpfen, hörte man diejenigen, die das IBRP als die ehemaligen „Führer der alten Garde der IKS“ (sic!) bezeichnet, ‚Argumente‘ vorbringen, die an Kretinismus grenzen. So konnte man (neben anderen ‚Perlen‘ aus dem Mund der IFIKS) vernehmen: „Der Krieg im Irak stellt einen enorm wichtigen ökonomischen Gewinn für die USA dar“!; Im irakischen Morast „verstärkt die US-Armee ihre Position“. „Bevor es die Frage des Krieges begreifen kann, muss das Proletariat unter dem Krieg leiden und ihn an seinem eigenen Leib erleben“. Ohne Kommentar!

 

Öffentliche Veranstaltung des IBRP in Paris (1. Teil)

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Am Samstag, 2. Oktober, wurde in Paris eine öffentliche Veranstaltung des IBRP zum Thema „Warum der Krieg im Irak?“ durchgeführt. Die IKS begrüßte diese Initiative des IBRP, wie sie auch die Abhaltung der öffentlichen Veranstaltungen in Berlin begrüßt hatte, über die wir in unserer Presse berichteten (vgl. Weltrevolution Nr. 124 und 125). Aber diese öffentliche Veranstaltung des IBRP in Paris stellte eine Besonderheit dar im Vergleich zu denjenigen, die in Deutschland durchgeführt worden waren: Ihre Abhaltung wurde nämlich beschlossen und organisiert durch eine parasitäre Gruppe, die sich selbst „Interne Fraktion der IKS“(IFIKS) nennt und dies lauthals in der in der Öffentlichkeit kundtut.

Am Samstag, 2. Oktober, wurde in Paris eine öffentliche Veranstaltung des IBRP[1] zum Thema „Warum der Krieg im Irak?“ durchgeführt. Die IKS begrüßte diese Initiative des IBRP, wie sie auch die Abhaltung der öffentlichen Veranstaltungen in Berlin begrüßt hatte, über die wir in unserer Presse berichteten (vgl. Weltrevolution Nr. 124 und 125). Aber diese öffentliche Veranstaltung des IBRP in Paris stellte eine Besonderheit dar im Vergleich zu denjenigen, die in Deutschland durchgeführt worden waren: Ihre Abhaltung wurde nämlich beschlossen und organisiert durch eine parasitäre Gruppe, die sich selbst „Interne Fraktion der IKS“(IFIKS) nennt und dies lauthals in der in der Öffentlichkeit kundtut.

Es ist diese Besonderheit, die es rechtfertigt, dass wir zunächst, d.h. vor dem Bericht über den Verlauf der Debatte und über die ausgetauschten Argumente zwischen IBRP und IKS betreffend die Analyse des Irakkrieges, einen ersten Teil dieses Artikels der Frage der „Zusammenarbeit“ zwischen IBRP und IFIKS widmen, die im Bulletin Nr. 27 der IFIKS (vgl. den „Bericht über eine Diskussion zwischen IBRP und der Fraktion“) angekündigt wurde.

Diese Frage zu behandeln scheint uns umso wichtiger, als der auf ihrer Website veröffentlichte Aufruf diese Veranstaltung wie folgt ankündigte:

„Seit dem Beginn der Krise, die die IKS gegenwärtig durchmacht und die die Gelegenheit der Bildung der „internen Fraktion“ dieser Organisation dargestellt hat, haben wir immer wieder eine peinliche Tatsache zu unterstrichen - eine ernsthafte Schwächung eines wichtigen proletarischen politischen Pols -, die sich vor allem in der Region von Paris darin ausgedrückt hat, dass die angeblich für das Publikum „offenen“ Veranstaltungen verödet oder für gewisse Leute verboten und insbesondere keine Orte der Debatte und der Konfrontation der Gesichtspunkte in der Arbeiterklasse mehr sind.

Wir haben auch unterstrichen, dass die Verstärkung und Umgruppierung der revolutionären Kräfte des proletarischen Lagers, die angesichts der Herausforderungen der gegenwärtigen Lage nötig sind, heute nur noch um den einzigen ernsthaften Pol: das IBRP stattfinden kann (...)

Auf unseren Vorschlag hin und mit unserer politischen und materiellen Unterstützung, wird das IBRP in Paris eine öffentliche Veranstaltung durchführen (von der wir hoffen, dass es lediglich die erste von mehreren sein wird), an der teilzunehmen wir unsere Leser aufrufen.“ (Hervorhebungen von uns)

Es fällt auf, dass es die IFIKS mit diesem öffentlichen Aufruf nicht für nötig befunden hat, auch nur einen Satz der Analyse oder Ablehnung des Irakkrieges zu schreiben (im Gegensatz zu dem, was im Einladungs-Flugblatt des IBRP stand). Dieser Aufruf ist vielmehr nur einer einzigen Frage gewidmet: Wie kann man in der französischen Hauptstadt nach dem (gemäss IFIKS) verifizierten Zusammenbruch der IKS wieder einen Umgruppierungspol der Revolutionäre bilden, da angeblich unsere öffentlichen Veranstaltungen „verödet“ und nicht mehr Orte der Debatte sind (was eine glatte Lüge ist, wie all jene Sympathisanten der IKS bestätigen können, die regelmäßig an unsere Veranstaltungen kommen und von denen auch etwa zehn an derjenigen des IBRP teilnahmen).

Das IBRP: einziger „ernsthafter Pol“ des politischen proletarischen Milieus?

An dieser öffentlichen Veranstaltung waren abgesehen von der Delegation des IBRP und vier Mitgliedern der IFIKS (von dieser war nur Jonas nicht da):

- zwei Unterstützer der IFIKS (wovon einer ein ehemaliges Mitglied der IFIKS ist);

- einer, der sich seit langem im rätistischen, gegen jede Partei eingestellten Milieu bewegt (den wir seit mehr als dreißig Jahren kennen).

Drei weitere Personen schauten herein und verschwanden gleich wieder aus dem Saal, ohne sich an der Debatte zu beteiligen.

So wäre diese öffentliche Veranstaltung, die (gemäss der Darstellung der IFIKS) den Beweis dafür hätte liefern sollen, dass das IBRP heute der „einzig ernsthafte Pol“ zum Diskutieren und Bezugspunkt der Kommunistischen Linken sei, ein totales Fiasko geworden, wenn nicht die IKS gekommen wäre und ihre Kontakte eingeladen hätte, ebenfalls teilzunehmen. Effektiv waren eine große Delegation der IKS und etwa zehn Sympathisanten unserer Organisation anwesend.

Die IFIKS hat also trotz ihrer großmäuligen Ankündigung dieser öffentlichen Veranstaltung vor allem eines bewiesen: Sie hat um sich herum eine Leere hergestellt. Es waren die IKS und ihre Sympathisanten, die mehr als zwei Drittel der Teilnehmer ausmachten und den Saal füllten. Dies war so offensichtlich, dass

- vor der Einführung ein Mitglied des IBRP zu einem unserer Genossen kam, um zu fragen: „Warum seid ihr so zahlreich gekommen?“[2]

- sich am Schluss der Veranstaltung das Präsidium genötigt fühlte, die Frage zu stellen: „Wer von den Anwesenden gehört denn nun nicht zur IKS?“ - Abgesehen von unseren Sympathisanten und den Mitgliedern der IFIKS … erhoben sich gerade drei Hände!

Die Zusammensetzung der Teilnehmer dieser öffentlichen Veranstaltung bewies, dass die IFIKS (und vielleicht auch das IBRP?) ihre Wünsche für die Wirklichkeit hält: Die IKS ist als „ernsthafter Pol“ des proletarischen Lagers noch nicht tot und begraben. Gerade weil öffentliche Veranstaltungen der IFIKS total öde wären, organisiert sie keine eigenen und hat keine andere Politik anzubieten als sich wie ein Blutegel an diejenigen der linkskommunistischen Gruppen zu hängen!

Doch noch wichtiger ist die Frage: Warum wurde diese öffentliche Veranstaltung, die die IFIKS mit Fanfaren als das große Ereignis ankündigte, von den Lesern des IFIKS-Bulletins und von unseren Abonnenten boykottiert?

Dies geschah genau deshalb, weil sie erfuhren, dass die Veranstaltung der IBRP auf „Anregung“ und mit der „politischen und materiellen Unterstützung“ dieser parasitären Gruppe organisiert worden war, deren Hauptaktivität darin besteht, die schlimmsten Verleumdungen über die IKS zu verbreiten!

Die einzigen Leute, die die IFIKS anziehen konnte, waren ihre eigenen Supporter, und das Beispiel hat gezeigt, dass es davon nicht gerade viele gibt.

Wenn die IFIKS nicht von allen Dächern geschrieen hätte, dass das IBRP diese öffentliche Veranstaltung mit der „politischen und materiellen Unterstützung“ des IFIKS organisierte, wären bestimmt weitere an Klärung interessierte Leute (die übrigens nicht alle mit unseren Positionen einverstanden sind) gekommen, um an der Debatte teilzunehmen.

Diese Lehre wird das IBRP aus der peinlichen Affäre ziehen müssen: Man ist nie besser bedient, als wenn man sich auf die eigenen Kräfte verlassen kann. Das Bündnis mit der IFIKS, die tonnenweise Verleumdungen über die IKS verbreitet hat, die sich offen wie eine Gruppe von Spitzeln aufgeführt und Material und Geld der IKS gestohlen hat - dies hat offensichtlich eine abstoßende Wirkung auf die ernsthaften Leute, die mit der Kommunistischen Linken sympathisieren, gehabt.

Die übertriebene Umarmung durch die IFIKS (wie auch die ganze Pomade, die sie dabei verwendete) haben dem IBRP nicht mehr gebracht, als es der Lächerlichkeit preis zu geben.

Was die IFIKS mit ihrem Einladungsschreiben vor allem beweisen wollte war, dass ohne sie das IBRP - eine Organisation der Kommunistischen Linken, die international besteht und seit Jahrzehnten präsent ist - nicht imstande gewesen wäre, die Initiative für diese öffentliche Veranstaltung zu ergreifen und sie durchzuführen!

Es ist bedauerlich, dass das IBRP nicht bemerkte, wie die IFIKS ihm eine lange Nase drehte, als sie in ihrem Bulletin Nr. 27 behauptete, dass sie, diese angebliche „Fraktion“, in der Frage des Parteiaufbaus „strengere Positionen als das IBRP verteidige“ („Bericht über eine Diskussion zwischen dem IBRP und der Fraktion“)! Dies bedeutet, dass die IKIKS vorgibt, viel „radikalere“ Positionen zu vertreten, und sich damit links des IBRP einordnen will.

In Tat und Wahrheit geht es aber dieser parasitären Gruppierung nur darum, ihre eigene Werbung zu betreiben (und sich ein „Respekts“-Zeugnis ausstellen zu lassen), wenn sie das IBRP als Aushängeschild benützt und gleichzeitig so tut, als hänge das IBRP am Rockzipfel des IFIKS! Das IBRP weigerte sich, dies zu erkennen (obwohl wir es davor gewarnt hatten), bevor es mit der IFIKS Hochzeit feierte. Wenn es die IKS ernst genommen hätte, wäre nicht diese Erfahrung nötig gewesen, um zu erkennen, dass (wie die Fabel von La Fontaine sagt) „jeder Schmeichler auf Kosten seines Zuhörers lebt“.

Warum ging das IBRP der IFIKS in die Falle?

Indem die IFIKS dem IBRP ihre „politische und materielle Unterstützung“ zur Durchführung dieser öffentlichen Veranstaltung zur Verfügung stellte, versuchte sie offensichtlich, sich als Gruppe anerkennen zu lassen, die dem politischen proletarischen Milieu angehöre. Leider hat diese Heirat zwischen IFIKS und IBRP noch andere Folgen gehabt als die, das IBRP der Lächerlichkeit preis zu geben. Sie hat auch dazu beigetragen, eine Organisation der Kommunistischen Linken in Verruf zu bringen, die bis jetzt nicht so weit gegangen ist, eines der Grundprinzipien der Arbeiterbewegung mit den Füssen zu treten: nämlich das Prinzip, jede Praxis des Diebstahls von Material anderer revolutionärer Organisationen abzulehen.

So verlangte die IKS im Verlaufe der öffentlichen Veranstaltung das Wort, um einen Brief vorzulesen, den einer unserer Abonnenten an das IBRP geschrieben und den zu veröffentlichen er uns gebeten hatte. Dieser Genosse (und er war nicht der einzige) hatte tatsächlich das Einladungsflugblatt des IBRP an seine persönliche Adresse zugeschickt erhalten. Er teilte uns sein Erstaunen mit (wie auch andere Abonnenten, denen das gleiche passiert war): Wie ist das IBRP zu seiner Adresse gekommen, wenn er sie doch zuvor nur der IKS gegeben hatte? Nach diesen Fragen von mehreren unserer Abonnenten entschloss sich die IKS am Vorabend dieser öffentlichen Veranstaltung, einen Protestbrief an das IBRP zu richten (und wir hoffen, dass er nicht zurückgewiesen wird, wie es mit anderen Briefen schon geschehen ist).

Sobald wir die Frage des Diebstahl unserer Adresskartei aufwarfen, versuchte das Präsidium, uns mit dem Argument das Wort abzuschneiden, dass das IBRP zwischen der IKS und der IFIKS nicht Partei ergreifen wolle, denn dies sei eine „interne“ Angelegenheit unserer Organisation. Auf unseren Protest hin versicherte uns das Präsidium zweimal, dass das IBRP die Adresskartei der Abonnenten nicht habe, und fügte hinzu: „Auch wenn man es uns vorgeschlagen hätte, hätten wir auf jeden Fall abgelehnt.“ Daraufhin fragten wir die Genossen des IBRP: „Bedeutet dies, dass ihr den Diebstahl der Adresskartei verurteilt?“ Trotz unseres Nachhakens hat das Präsidium nicht darauf geantwortet und stattdessen erklärt: „Wir werden diese Frag nach der öffentlichen Veranstaltung unter uns und mit der IFIKS klären.“

Dieser Zwischenfall ruft nach mehreren Bemerkungen:

1) Das IBRP verkauft uns für dumm, wenn es die Unverfrorenheit hat zu behaupten, nicht in einer „internen“ Angelegenheit der IKS „Partei ergreifen“ zu wollen. Wenn diese erste öffentliche Veranstaltung des IBRP in Paris mit der „materiellen und politischen Unterstützung“ der IFIKS organisiert wurde, wenn wir zur Kenntnis nehmen (im Bulletin 27 der IFIKS), dass das IBRP und die IFIKS begonnen haben, die „Grundlage für eine gemeinsame Arbeit zu legen“, wenn das IBRP mehr als sieben Jahre jegliche gemeinsame Arbeit mit der IKS ablehnte (unter dem fadenscheinigen Vorwand, dass unsere Divergenzen zu schwerwiegend seien), dann muss man schon blind und taub sein, um nicht zu erkennen, dass das IBRP vollständig für die IFIKS Partei ergriffen hat!

2) Was den Diebstahl der Adresskartei der IKS anbelangt, so weiß das IBRP sehr wohl, dass es sich hier nicht um eine „interne“ Angelegenheit der IKS handelt, denn seit zwei Jahren verurteilen wir ihn in unserer Presse; wir haben diese Angelegenheit also öffentlich abgehandelt!

3) Wenn das IBRP behauptet, dass es „auf jeden Fall abgelehnt hätte“, selbst wenn die IFIKS ihm unsere Adresskartei hätte geben wollen, so bedeutet dies ganz einfach, dass es den Diebstahl des Materials der IKS anerkennt und verurteilt. Wenn das IBRP kohärent sein will, muss es auch die sich aufdrängenden Schlussfolgerungen ziehen: Es hat die Grundlagen für die Zusammenarbeit mit Dieben gelegt.

4) Das IBRP hat erklärt, dass es diese Angelegenheit nach der Veranstaltung mit der IFIKS „klären“ würde. Wir sind der Meinung, dass diese Klärung keine „interne Angelegenheit“ des IBRP bleiben darf, sondern öffentlich kundgetan werden soll, denn:

- es ist in den Diebstahl von Material der IKS verstrickt, da dieses für den Versand des Aufrufs des IBRP zu seiner Veranstaltung verwendet wurde;

- es muss gegenüber unseren Abonnenten Rechenschaft ablegen, die die Frage stellten, wie denn der Aufruf des IBRP in ihrem Briefkasten gelandet sei.

Was uns anbetrifft, so können wir nur Kenntnis von der Erklärung nehmen, wonach das IBRP es niemals akzeptiert hätte, wenn die IFIKS „ihre Kriegsbeute“ als Mitgift in die Ehe gebracht hätte.

Auf jeden Fall (und wir glauben den Genossen des IBRP aufs Wort, wenn sie uns bestätigen, dass sie unsere Adresskartei nicht besitzen) begingen die Mitglieder der IFIKS hinter dem Rücken des IBRP eine schändliche Tat (so wie sie es unaufhörlich getan hatten, als sie sich noch in unserer Organisation befunden und geheime Versammlungen mit dem Ziel unserer „Destabilisierung“ abgehalten hatten!)[3]

Wir hoffen, dass das IBRP in der Lage sein wird, die Lehren aus dieser peinlichen Erfahrung zu ziehen. Wir haben mit unseren Ermahnungen zur Vorsicht vergeblich versucht, es davor zu bewahren. Wenn man einen Hund ins Bett nimmt[4], darf man sich nicht zu wundern, wenn man mit Flöhen erwacht.

Der Handel des IBRP mit der IFIKS ist offensichtlich ein Betrug. Das IBRP hat mit der Annahme der Dienstleistungen der sog. „Fraktion“, dadurch, dass es den Schmeicheleien erlegen und all die fetten Lügen für bare Münze genommen hat, das Risiko auf sich genommen, nicht nur jegliche Glaubwürdigkeit zu verlieren, sondern auch die Ehre einer zur Kommunistischen Linken gehörenden Gruppe.

Wir laden das IBRP ein, Stellung zu unseren „Thesen über den Parasitismus“ (Internationale Revue Nr. 22) zu beziehen, in denen wir darlegten, dass die Hauptaktivität von parasitären Gruppierungen die Diskreditierung der kommunistischen Organisationen ist. Diese Filzläuse machen je nach Lage von der Schmeichelei oder der Verleumdung Gebrauch und leben einzig auf Kosten der Gruppen des proletarischen Lagers, indem sie sein Blut saugen. Es scheint nun klar zu sein, dass sich die parasitäre Aktivität der IFIKS nicht auf die IKS begrenzt. Diese angebliche „Fraktion“ ist nicht nur ein Parasit der IKS, sondern der gesamten Kommunistischen Linken, wenn sie das IBRP benutzt, um sich Achtung zu verschaffen (wie sie es mit Le Prolétaire schon 2002 tat)[5], und es damit in Misskredit bringt.

Wenn das IBRP seine gemeinsame Arbeit mit der IFIKS fortsetzen und es weiterhin den Einfaltspinsel spielen will, können wir es bestimmt nicht daran hindern. Jedoch kann die IKS es nicht tolerieren, dass es Diebstahl (wenn auch nur indirekt mit seinem Handel mit der IFIKS) und Verleumdung gegen unsere Organisation und gegen unsere Militanten gebraucht, um seine Umgruppierungspolitik zu verfolgen.

Wo führt der Opportunismus des IBRP hin?

Die IKS hat den Opportunismus des IBRP schon immer gebrandmarkt, der es seit seiner Gründung zu einer prinzipienlosen Umgruppierungspolitik geführt hat. Wiederholt haben wir es vor der Gefahr gewarnt, die im Umgang mit Elementen und Gruppen der extremen Linken des Kapitals (wie der iranischen Gruppe SUCM) oder mit solchen, die nur einen unvollständigen Bruch mit der Linken (wie die Los Angeles Workers’ Voice) vollzogen haben, liegt. Die opportunistische Zusammenarbeit des IBRP mit der IFIKS offenbart heute die Gefahr, die dieser Organisation der kommunistischen Linken droht. Das IBRP riskiert mit der opportunistischen Anwendung linker Rekrutierungsmethoden (ohne offene und loyale Klärung von politischen Divergenzen), sich mehr und mehr von den Methoden und der Tradition der kommunistischen Linken zu entfernen und sich derjenigen des Trotzkismus anzunähern.[6] Das IBRP war der Meinung, dass es sich der IFIKS bedienen könne, um an dieser öffentlichen Veranstaltung einen fetten Fisch an Land zu ziehen. Das hat sich jetzt als großer Irrtum herausgestellt, aber weiter musste das IBRP auch Federn lassen.

Weit schlimmer ist noch die Tatsache, dass die opportunistische Abweichung des IBRP zu einer dem Proletariat vollständig fremden Praxis führt, die auf Diebstahl und Verleumdung beruht. Wenn diese Methoden klingende Münze bei den bürgerlichen Gruppen sind, so sind sie von den Organisationen des proletarischen Lagers immer verworfen und verurteilt worden.

Der Opportunismus ist „die Abwesenheit jeglichen Prinzips“ (Rosa Luxemburg). Das IBRP hat mit der Allianz mit Individuen, die diese bürgerlichen Methoden (Diebstahl von Material der IKS) gebrauchen, dieses Prinzip vollständig aus den Augen verloren, das es noch in der Lage war zu verteidigen, als es selbst Opfer der Gaunereien einer fiktiven Gruppe in der Ukraine (die ihm Geld stehlen wollte) wurde. Damals schrieb das IBRP: „Wenn das Ziel und die Mittel getrennt werden ... ist der Weg für die Konterrevolution offen“ (Erklärung des IBRP zu den „Radikalen Kommunisten der Ukraine“, 9.9.2003).

Die Revolutionäre haben in ihrem Kampf für die Überwindung des Kapitalismus die bürgerliche Moral der Jesuiten, gemäß der „das Ziel die Mittel gerechtfertige“, verworfen. Sie haben ihr die proletarische Ethik entgegengestellt, die konform mit dem Wesen derjenigen Klasse ist, die den Kommunismus errichten wird (wie dies u.a. Trotzki in seiner Broschüre „Ihre Moral und unsere“ bereits aufgezeigt hatte). Deshalb müssen die proletarischen Organisationen strikt jegliche Umgruppierung verwerfen, die den Diebstahl von anderen kommunistischen Organisationen gehörendem Material begehen.

Diese schändliche Geschichte hat gezeigt, dass das IBRP eine Geisel von einer Bande von Dieben geworden ist (und man muss sich die Frage stellen, wie sich das IBRP von der IFIKS befreien wird). Wir hoffen, dass es zumindest dazu gezwungen wird, das Brett vor den Augen zu entfernen, um endlich die Natur dieser angeblichen „Fraktion“ zu verstehen.[7]

Nicht nur das Programm bestimmt die proletarische Natur einer politischen Gruppierung, sondern auch das politische Verhalten, d.h. die auf Prinzipien beruhende Praxis. Diese unsere Sichtweise hat rein gar nichts mit „Psychologie“ zu tun (wie die IFIKS behauptet). Und zwar deshalb weil, wie Marx in den Feuerbachthesen sagt, der Mensch „in der Praxis die Wahrheit, i.e. Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen“ muss.

Gegenüber dieser gefährlichen Abgleitung des IBRP ist es die Pflicht der kommunistischen Militanten, die Genossen dieser Organisation auf ihre Verantwortung aufmerksam zu machen. Sie müssen Maßnahmen ergreifen für die Zukunft der revolutionären Organisationen: jegliche opportunistische Zusammenarbeit mit parasitären Gruppen, mit Abenteurern, mit Dieben oder mit Phantomgruppen, die nur im Internet existieren, verwerfen.

Wenn die IKS zur Verteidigung ihrer Prinzipien den Parasiten, die sich wie Spitzel aufgeführt haben, weiterhin den Eintritt in ihre öffentlichen Veranstaltungen verbieten wird, so ist sie doch der Auffassung, nicht der einzige Bezugspunkt der Kommunistischen Linken zu sein. Deshalb bleiben unsere Türen für das IBRP auch immer offen und wir laden es herzlich zur Teilnahme ein.

IKS (10.10.2004)

 

Fußnoten:

1. Internationales Büro für die Revolutionäre Partei, das aus den beiden linkskommunistischen Organisationen „Battaglia Communista“ (BC) in Italien und „Communist Workers’ Organisation“ (CWO) in Großbritannien besteht.

2. Wie wir im zweiten Teil dieses Artikels sehen werden, drehte sich die Debatte zum Krieg auch nicht um die Analyse des IBRP, sondern um diejenige der IKS.

3. Gemäß den eigenen Worten von Olivier, einem Mitglied der IFIKS, in einer dieser geheimen Versammlungen (von der wir nur per Zufall das Protokoll fanden).

4. Wir geben hier zu, dass der Vergleich der IFIKS mit Hunden doch eher beleidigend ist ... für die Hunde!

5. Siehe unseren Artikel : A propos d’un article publié dans Le Prolétaire 463, Le Parti communiste internationale à la remorque de la ‚fraction’ interne du CCI, in: Révolution Internationale, Nr. 328.

6. Wie wir bereits vor vier Jahren aufgezeigt haben, in: Die marxistische und die opportunistische Sichtweise in der Politik des Parteiaufbaus, Internationale Revue Nr. 26.

7. Die Methoden der IFIKS offenbaren sich noch klarer im Vokabular (siehe auf ihrer Homepage den Artikel: „L’ignominie n’a pas de limite!“, der eine Pogromaufruf gegen unsere angeblichen „Schweinereien“ enthält und unsere Genossen als „Dreckskerle“ bezeichnet!). Wenn die Masken fallen, enthüllt die angebliche „Fraktion“ ihr wahres Gesicht.

 


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