Im August 2024, noch vor der zweiten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, schlug die IKS anderen Gruppen der Kommunistischen Linken einen gemeinsamen Aufruf[1] vor, um sich gegen die zunehmenden Versuche der gesamten bürgerlichen Klasse zu wehren, die Arbeiterklasse für die falsche Wahl zu mobilisieren: entweder von liberal-demokratischen oder von rechtspopulistischen Regierungen unterdrückt zu werden. Der Aufruf sollte die Position gegen die bürgerlich-demokratischen Kampagnen stärken, die nur die Kommunistische Linke konsequent und kompromisslos innerhalb der Arbeiterklasse verteidigen kann.
Leider wurde dieser Aufruf der IKS von fast allen Gruppen abgelehnt, ebenso wie ein ähnlicher Aufruf der IKS für eine gemeinsame internationalistische Erklärung gegen den imperialistischen Krieg in der Ukraine im Februar 2022 von den meisten Gruppen der Kommunistischen Linken abgelehnt worden war.
Heute, ein Jahr später, hat der Aufruf der IKS gegen die demokratischen Kampagnen nichts von seiner Wichtigkeit für die Politik der Kommunistischen Linken verloren. Im Gegenteil, er ist sogar noch relevanter geworden.
Sechs Monate nach Trumps Rückkehr an die Macht haben sich die Angriffe auf die Arbeiterklasse weiter verschärft: massenhafte militarisierte Abschiebungen und Inhaftierungen von Arbeitsmigrant*innen, massive Kürzungen bei Sozial- und Gesundheitsleistungen, über 150.000 Arbeitsplätze für Staatsangestellte vernichtet. Sowohl der „liberale“ Flügel der Bourgeoisie als auch die selbsternannten „Sozialisten“ (Sanders, Ocasio-Cortez usw.) – alle, die sich mit der Demokratischen Partei verbünden – haben eine groß angelegte Kampagne gestartet, um die Bevölkerung gegen diese Maßnahmen zu mobilisieren. Natürlich nicht, um einen Kampf der Arbeiterklasse gegen diese Angriffe zu organisieren, sondern um zu verhindern, dass sich ein solcher Kampf entwickelt. Die Propaganda der Liberalen und der Linken stellt die Angriffe der populistischen Rechten nicht als Ergebnis des kapitalistischen Systems insgesamt dar, für das sie selbst mitverantwortlich sind, sondern als Ergebnis der populistischen Missachtung demokratischer Regeln, als Ergebnis von Trumps Verachtung für die „Rechtsstaatlichkeit“ – einer Missachtung der Unabhängigkeit der bürgerlichen Justiz und der Unantastbarkeit der US-Verfassung sowie all der anderen unzähligen liberalen humanitären Fassaden, hinter denen sich die Diktatur des Kapitals über die Arbeit verbirgt.
Das Ziel war es, massive Protestbewegungen zu lenken, die keine Antwort der Arbeiterklasse auf der Grundlage ihrer eigenen Klasseninteressen gegen alle Flügel der Bourgeoisie sind, sondern den Unmut einzudämmen und in eine amorphe Verteidigung der Tradition des demokratischen Staates gegen seine populistischen Abweichungen umzulenken. Und das hat Früchte getragen.
Der Widerstand gegen Trumps Regime in den USA ist geprägt von den patriotischen Protesten vieler Bundesangestellter gegen die Massenentlassungen, die Elon Musks Department of Government Efficiency (DOGE) in die Wege geleitet hat; von der Revolte auf dem Terrain der „Demokratie” und des bürgerlichen „Rechts” gegen die Massenabschiebungen von Arbeitsmigrant*innen durch die Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) und der humanitären Verteidigung des palästinensischen Nationalismus gegen Trumps Unterstützung für das Massaker der israelischen Armee in Gaza.
Und diese demokratischen Protestaktionen spiegelten sich auch in anderen Ländern wider, da die Wahl Trumps im Jahr 2025 zu einer zunehmenden Polarisierung innerhalb der Bourgeoisie anderer Länder zwischen populistischen und liberal-demokratischen Fraktionen geführt hat.
In Südkorea mobilisierten die demokratischen Fraktionen der Bourgeoisie riesige Demonstrationen gegen den Putschversuch von Präsident Yoon Suk Yeol. In der Türkei gingen massenhaft Menschen auf die Straße, um „die türkische Demokratie zu verteidigen“ und den Oppositionsführer gegen die autokratischen Diktate von Präsident Erdogan zu unterstützen. In Serbien gab es ebenfalls massive demokratische Proteste gegen die Korruption von Präsident Vucic.
In den meisten anderen Ländern gab es ähnliche Bewegungen von größerem oder geringerem Ausmaß, die jedoch dieselbe Motivation widerspiegelten.
Wie muss die Politik der Arbeiterklasse, die objektiv die einzige Kraft ist, die ein Interesse daran hat und in der Lage ist, das derzeitige moribunde Gesellschaftssystem zu stürzen, gegenüber diesen oft massiven Bewegungen der Bevölkerung aussehen? Und welche Rolle kommt daher dem fortschrittlichsten Teil der Arbeiterklasse zu, dessen Aufgabe es ist, die allgemeine Marschrichtung für die gesamte Klasse festzulegen?
Kommunisten müssen eindeutig sowohl die demokratischen als auch die populistischen Angriffe der Bourgeoisie anprangern und die Arbeiterklasse vor der Gefahr warnen, sich hinter etwas zu mobilisieren, was in Wirklichkeit Kämpfe zwischen verschiedenen Flügeln der herrschenden Klasse sind, und die Arbeiterklasse dazu auffordern, auf ihrem eigenen Terrain für die Verteidigung ihrer eigenen Interessen gegen die herrschende Klasse als Ganzes zu kämpfen. Aber welche politische Strömung erfüllt heute diese Notwendigkeit?
Wir haben dieselbe Frage in unserem Aufruf gestellt:
«Wer sind die politischen Kräfte, die tatsächlich die wirklichen Interessen der Arbeiterklasse gegen die zunehmenden Angriffe der Kapitalistenklasse verteidigen? Nicht die Erben der sozialdemokratischen Parteien, die sich im Ersten Weltkrieg an die Bourgeoisie verkauft und zusammen mit den Gewerkschaften die Arbeiterklasse für das millionenfache Gemetzel in den Schützengräben mobilisiert haben. Auch nicht die verbliebenen Apologeten des stalinistischen „kommunistischen“ Regimes, das im Zweiten Weltkrieg Dutzende Millionen von Arbeiterinnen und Arbeitern für die imperialistischen Interessen der russischen Nation opferte. Auch nicht der Trotzkismus oder die offizielle anarchistische Strömung, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die eine oder andere Seite in diesem imperialistischen Gemetzel kritisch unterstützt haben. Heute stellen sich die Nachfahren der letztgenannten politischen Kräfte „kritisch“ hinter die liberale und linke bürgerliche Demokratie gegen die populistische Rechte, um zur Demobilisierung der Arbeiterklasse beizutragen.
Nur die Kommunistische Linke, die heute nur noch wenige Militante zählt, ist dem unabhängigen Kampf der Arbeiterklasse in den letzten hundert Jahren treu geblieben. In der revolutionären Welle der Arbeiterklasse von 1917-23 lehnte die von Amadeo Bordiga geführte politische Strömung, die damals die Kommunistische Partei Italiens führte, die falsche Wahl zwischen dem faschistischen und dem antifaschistischen Lager ab, die gemeinsam daran gearbeitet hatten, den revolutionären Aufschwung der Arbeiterklasse gewaltsam niederzuschlagen. In seinem Text Das demokratische Prinzip von 1922 entlarvte Bordiga das Wesen des demokratischen Mythos im Dienste der kapitalistischen Ausbeutung und des Mordes.
In den 1930er Jahren prangerte die Kommunistische Linke sowohl die linken als auch die rechten, faschistischen und antifaschistischen Fraktionen der Bourgeoisie an, die das bevorstehende imperialistische Blutbad vorbereiteten. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war es folglich nur diese Strömung, die an einer internationalistischen Position festhalten konnte und dazu aufrief, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg der Arbeiterklasse gegen die gesamte Kapitalistenklasse in allen Ländern umzuwandeln. Die Kommunistische Linke lehnte die falsche Wahl zwischen demokratischem oder faschistischem Massengemetzel, zwischen den Gräueltaten von Auschwitz oder Hiroshima ab.»
Heute ist die Strömung der Kommunistischen Linken immer noch in der Minderheit und „gegen den Strom“ all dieser politischen Trümmer, die aus der konterrevolutionären Periode übrig geblieben sind, welche nach der Niederlage der Oktoberrevolution von 1917 etwa 50 Jahre lang andauerte. Aber die Perspektive einer Konfrontation zwischen der Arbeiterklasse auf dem Kapitalismus tauchte nach der Wiederaufnahme der offenen Wirtschaftskrise und dem massiven Wiedererwachen des internationalen Klassenkampfes Ende der 1960er Jahre wieder auf. Die Neugründung der kommunistischen Partei auf der Grundlage der Positionen der Kommunistischen Linken wurde damit in Aussicht gestellt.
Die Ablehnung dieser Appelle der IKS durch die meisten Gruppen der Kommunistischen Linken deutet darauf hin, dass sich die Mehrheit der Gruppen dieser politischen Tradition in einem Zustand der Sklerose und Degeneration befindet. Sie sind nicht in der Lage ist, zu erkennen, dass ihre eigenen Kleinstparteien Teil einer breiteren Tradition sind, und verstehen auch nicht die Bedeutung der Unnachgiebigkeit dieser Position gegenüber der Demokratie für die Arbeiterklasse, die die Italienische Fraktion der Kommunistischen Linken in den 1930er Jahren entwickelt hat.
Infolgedessen sind die meisten dieser Gruppen nicht in der Lage, diese Position innerhalb der Arbeiterklasse heute und in Zukunft konsequent zu verteidigen, und sie fallen in der Praxis opportunistisch in den vorherrschenden linken Diskurs zurück.
Diese Gruppen haben in ihrer Presse einige Artikel und Flugblätter als Reaktion auf die aktuellen demokratischen Kampagnen und Bewegungen veröffentlicht, die diese Verwirrung widerspiegeln. Eine davon sticht als typisch für ihre Reaktion hervor, und wir werden sie daher verwenden, um eine allgemeinere Illusion hervorzuheben.
Ein Artikel vom 22. Juli 2025 mit dem Titel „In the Wake of the Capitalist Crisis: Protests and Riots - And the Need for an Independent Class Expression” (“Im Zuge der kapitalistischen Krise: Proteste und Unruhen – und die Notwendigkeit einer unabhängigen Klassenvertretung”) auf der Website der IKT zieht Bilanz aus der oben erwähnten weit verbreiteten Entwicklung sozialer Kämpfe. Der Artikel bedauert dann, dass es der Arbeiterklasse nicht gelungen ist, „sich in diesen Demonstrationen als unabhängige politische Kraft zu behaupten”, und schlägt als Lösung vor, dass die Arbeiterklasse ihren Kampf auf einer höheren Ebene wieder aufnehme und eine internationale kommunistische Partei bilde, um diesen Kampf mit dem revolutionären Sturz des Kapitalismus zu verbinden. Darüber hinaus sei ein internationalistischer Kampf gegen imperialistische Kriege erforderlich. So weit, so gut.
In der Darstellung der großen Proteste gegen die Angriffe der populistischen Rechten in verschiedenen Ländern im vergangenen Jahr wird jedoch nicht berücksichtigt, dass das Gegenstück zu diesen Angriffen und damit die Inspiration für diese Demonstrationen die demokratische Kampagne der übrigen Bourgeoisie in den wichtigsten kapitalistischen Ländern war – nicht gegen die Angriffe der populistischen Rechten selbst, sondern gegen deren undemokratische Form. Und das tut die Bourgeoisie seit mindestens einem Jahrzehnt, seitdem der Populismus zu einem dominierenden politischen Trend innerhalb der bürgerlichen Staaten geworden ist.
Darüber hinaus scheint der Artikel völlig zu übersehen, dass die Bourgeoisie ihre politischen Spaltungen seit langem als demokratische Waffe gegen ihren proletarischen Klassenfeind einsetzt, um ihn zu befrieden und wenn möglich zum Entgleisen zu bringen und seinen revolutionären Kampf im Blut zu ertränken, wie die von den Sozialdemokraten angeführte Konterrevolution in Deutschland 1919 brutal gezeigt hatte. Doch die IKT sollte als Teil der Tradition der Kommunistischen Linken die Lehre aus der Bedrohung der Demokratie für das Proletariat gezogen haben. Wir werden uns etwas später mit dieser historischen Tradition der kompromisslosen Ablehnung der Demokratie durch die Kommunistische Linke befassen.
Vorerst stellen wir jedoch fest, dass der Artikel nicht in der Lage ist, den bürgerlichen Klassencharakter dieser demokratischen Proteste zu erkennen, und über die wesentliche Unterscheidung hinweggeht, die Revolutionäre zwischen demokratischen Protesten und genuin proletarischen Bewegungen treffen müssen:
„Im vergangenen Jahr haben wir in mehreren Ländern einige der größten Proteste seit Jahrzehnten erlebt. Diese Kämpfe hatten keinen klaren Klassencharakter und unterschieden sich hinsichtlich der Hauptthemen und auslösenden Faktoren stark voneinander. Aber auch wenn die Arbeiterklasse diese Proteste nicht dominiert hat, waren große Teile der Klasse (und in gewissem Maße auch Arbeiterorganisationen und Streikaktivitäten) eindeutig in Bewegung, und kein Bereich der Lebensbedingungen der Proletarier bleibt von der sich beschleunigenden Krise des Kapitalismus unberührt. Im Folgenden werden wir kurz einige dieser Proteste beschreiben, was wir als ihre Grenzen ansehen und was unserer Meinung nach der notwendige Weg nach vorne ist.“
Der Artikel der IKT berichtet dann über die Kämpfe in Südkorea, Griechenland, der Türkei, den USA und anderen Ländern, die in Wirklichkeit zeigen, dass sie keineswegs keinen „klaren Klassencharakter“ haben, sondern trotz der Beteiligung vieler Arbeiter*innen eindeutig auf dem Terrain der Verteidigung bürgerlich-demokratischer Werte gegen den Autoritarismus und die Korruption im Zusammenhang mit dem Wachstum des politischen Populismus stehen und nichts mit der Verteidigung der Interessen der Arbeiter*innen als Klasse gegen die gesamte bürgerliche Klasse zu tun haben.[2]
Weiter verzichtet der Artikel daher darauf, die Klasse vor einer Beteiligung an diesen Protesten zu warnen. Im Gegenteil, suggeriert er, dass es möglich sei, die Protestbewegungen „voranzubringen“ (wohin?), indem man ihre vermeintlichen Grenzen überwinde.
Der Artikel bestätigt diesen Irrtum mit der Schlussfolgerung: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Kämpfe gegen Korruption und eine zunehmend autoritäre Entwicklung sowie gegen einen Staat gerichtet sind, der angesichts der sich verschärfenden kapitalistischen Krise seine grundlegenden Dienstleistungen nicht mehr erbringt. Es handelt sich nicht um rein proletarische Kämpfe, aber es ist klar, dass weite Teile der Arbeiterklasse daran beteiligt sind. Sie sind Ausdruck einer allgemeinen Unzufriedenheit und Frustration, die unter der Oberfläche brodelt und manchmal explodieren muss.“
Die jüngsten demokratischen Kämpfe in verschiedenen Ländern zeigen, dass sie weit davon entfernt sind, auch nur „unreine“ proletarische Kämpfe zu sein. Sie zeigen im Gegenteil, dass die allgemeine Unzufriedenheit und Frustration der Bevölkerung über ihre Unterdrückung immer noch von der Bourgeoisie vereinnahmt und in Bewegungen zur Wiederbelebung der Demokratie und zur Verhinderung eines Klassenkampfs untergeht, obwohl umfangreiche Elemente der Arbeiterklasse in ihnen vertreten sind.
Um gegenüber der IKT gerecht zu sein, wollen wir darauf hinweisen, dass der Artikel durchaus Lehren aus dem Arabischen Frühling 2011 in Ägypten zieht und darauf hinweist, dass diese Massenbewegung vor anderthalb Jahrzehnten, trotz massiver Streiks in der Textilindustrie, im dreckigen Sumpf des Kampfes für Demokratie unterging. Der Artikel versäumt es jedoch, diese Lehre auf die demokratischen Kämpfe von 2025 anzuwenden.
Angesichts des Versäumnisses des Artikels der IKT, vor der Gefahr zu warnen, den proletarischen Kampf mit dem Kampf für Demokratie heute zu verwechseln, oder vor der Gefahr zu warnen, so zu handeln, als ob es möglich wäre, Letzteres in Ersteres umzuwandeln, ist es einleuchtender, warum diese Gruppe unseren vorgeschlagenen Aufruf gegen die Demokratie abgelehnt hat, der eine klare Position gegen die demokratischen Kampagnen und Kämpfe darstellte. Unser Aufruf weisst die Ideen zurück, dass solche Kampagnen in Klassenbewegungen umgewandelt werden können.
Die Ablehnung des Aufrufs durch die anderen Gruppen erfolgte nicht deshalb, weil sie mit dem Wortlaut des Aufrufs nicht einverstanden gewesen wären – sondern mit seinem Geist: weil der Aufruf eine Kluft zwischen der Kommunistischen Linken und allen anderen politischen Tendenzen (von der extremen Rechten bis zur extremen Linken) hervorhebt und jegliche opportunistischen Zugeständnisse an Letztere verhindert.
In ähnlicher Weise lehnte die IKT unseren internationalistischen Aufruf von 2022 nicht deshalb ab, weil sie mit den Hauptargumenten dieses Aufrufs in der Theorie nicht einverstanden gewesen wäre, sondern weil die IKT in der Praxis so tun wollte, als sei es möglich, eine internationalistische Bewegung gegen den Krieg zu schaffen, die über die politische Unnachgiebigkeit der Tradition der Kommunistischen Linken hinausgeht: eine Vortäuschung, die zu dem Bluff der Initiative Kein-Krieg-außer-dem-Klassenkrieg (No War But the Class War NWBCW) führte.
Die Vorstellung, dass die heutigen bürgerlich-demokratischen Bewegungen in ihrem Klassencharakter mehrdeutig oder fließend sind, würde bedeuten, dass sie potenziell in authentische proletarische Bewegungen umgewandelt werden können. Und die IKT hat nicht gezögert, diese eigenartige Logik anzunehmen, obwohl die beiden Arten von Bewegungen völlig antagonistisch und miteinander unvereinbar sind.
Der Artikel der IKT veranschaulicht diese Illusion perfekt mit einem Untertitel: „Vom Straßenkrieg zum Klassenkampf”.
Ein weiteres Beispiel findet sich in einem Flugblatt (11.06.2025) ihrer US-amerikanischen Schwesterorganisation, der Internationalist Workers Group, gegen die ICE-Ausschaffungsoffensive (Abschiebeoffensive) in Amerika. Das Flugblatt weist darauf hin, dass die demokratische Präsidentschaft von Barack Obama mehr Einwanderer abgeschoben hat als Trump, und sagt: „Arbeiter überall müssen bereit sein, sich selbst, ihre Nachbarn und ihre Kollegen gegen die Razzien der ICE zu verteidigen. Von Nachbarschaftskomitees und Arbeitskämpfen bis hin zu Massenprotesten muss der Kampf von der Arbeiterklasse mit ihrer immensen Stärke geführt werden.“[3]
Der Flugblatttext verschweigt jedoch, dass eine klassenkämpferische Reaktion der Nachbarschaften auf die Razzien der ICE bereits lange im Voraus von der Demokratischen Partei sabotiert worden war, wie diese Zitate ihrer Vertreter zur Unterstützung des Kampfes zeigen: „Er [Trump] hat den Krieg erklärt. Die Demokratie wird vor unseren Augen angegriffen.“ (Gavin Newsome, Gouverneur von Kalifornien). „Wir befinden uns in einem Krieg um die Seele unseres Landes, um unsere Demokratie.“ (Dolores Huerta, ehemalige Gewerkschaftsfunktionärin und Bürgerrechtsaktivistin). „Friedliche Proteste sind das Fundament unserer Demokratie.“ (Bürgermeister Andrew Ginther, Columbus, Ohio). „Wir setzen uns für die Verteidigung der Demokratie, das Streben nach Gerechtigkeit und die Rechtsstaatlichkeit ein.“ (Jewish Democratic Council of America).
Der verzweifelte Kampf der Arbeitsmigrant*innen gegen die militarisierten Maßnahmen der ICE (eine Behörde, die seit dem Anschlag auf die Twin Towers im Jahr 2001 existiert) wurde bereits auf die Schiene der Verteidigung der US-Demokratie gegen Trumps Missachtung demokratischer Gesetze und Verfahren gebracht. Dieselben Gesetze, die zuvor die Brutalität der Abschiebungen illegaler Einwanderer durch die Demokraten verschleiert hatten. Mit anderen Worten: Die heutigen Proteste gegen die ICE sind kein Klassenkampf gegen die Angriffe des kapitalistischen Staates auf Wanderarbeitende, sondern eine Kampagne für die demokratische, “rechtmäßige” Repression und Brutalisierung der Maßnahmen gegen sie.
Das Flugblatt der IKT ruft die Arbeiterklasse dazu auf, den Kampf gegen die ICE in ihre Hände zu nehmen und ihn zu einer Klassenbewegung zu machen. Dies würde jedoch – wenn es möglich wäre – eine Ablehnung aller nationalen Spaltungen und Grenzen und die Konfrontation nicht nur mit dem militarisierten Gesicht des Staates in der ICE, sondern auch mit seinem demokratischen alternativen Gesicht bedeuten. Mit anderen Worten, es würde eine völlig andere Bewegung auf einem anderen Klassenterrain bedeuten. Dies wäre nur möglich, wenn die Arbeiterklasse bereits ihren eigenen Klassenkampf für ihre eigenen Interessen auf dieses politische Niveau entwickelt hätte. Aber wie der Flyer und der erwähnte Artikel zugeben, ist dies noch weit von der Realität entfernt.
Weder der Artikel noch das Flugblatt weisen jedoch auf die internationalen Lohnkämpfe der Arbeiter*innen im vergangenen Jahr und seit 2022 (auch in den USA) hin, die sich auf einem Klassenterrain entwickelt haben und sich deutlich von den demokratischen Kampagnen und Bewegungen unterscheiden und die einzige Grundlage für einen völlig anderen zukünftigen politischen Kampf des Proletariats als autonome Bewegung sind.
Leider sind die Broschüre und der Artikel kein Einzelfall, sondern eine Wiederholung anderer schwerwiegender Fehler der Gruppen der Kommunistischen Linken, wie beispielsweise der Fehler der IKT, die Black-Lives-Matter-Unruhen und die Proteste gegen den Polizeimord an George Floyd, die 2020 während Trumps erster Präsidentschaft ausbrachen, als Bewegung der Arbeiterklasse zu betrachten: „1965, genau wie 2020, tötet die Polizei, und die Klasse reagiert mit Trotz auf die korrupte Gesellschaftsordnung, für die sie mordet. Der Kampf geht weiter.“[4]
Die IKT fügte hinzu, dass die Bewegung „nicht weit genug geht“ und die Demokratische Partei nicht unterstützen sollte. Das macht jedoch keinen Sinn, wenn die Bewegung ohnehin schon in die falsche Richtung geht.[5] Noch weniger Sinn macht es, wenn man bedenkt, dass die Experten darin so tun, als könne man die Mobilisierung der demokratischen Opposition „weiter vorantreiben“ – die Linken jedoch dieses politische Terrain bereits vollständig besetzt haben und keine Unterstützung von fehlgeleiteten Gruppen der Kommunistischen Linken benötigen.
Im Artikel über die heutigen demokratischen Kämpfe erklärte die IKT dann kategorisch und ohne Rücksicht auf die tatsächliche Situation der Arbeiterklasse, dass „die städtische Rebellion in eine Weltrevolution umgewandelt werden muss“.
Unser Aufruf gegen die demokratischen Kampagnen bezieht sich auf die wichtige Erkenntnis der italienischen Fraktion der kommunistischen Linken um Bilan in den 1930er Jahren, wonach „demokratische Kämpfe“ und „proletarischer Kampf“ antagonistisch sind und jede Verwirrung in dieser Frage fatal ist.
Die Position von Bilan lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die „demokratischen“ Experimente seit 1918 haben gezeigt, dass die Verteidigung der Demokratie den Klassenkampf sabotiert, das proletarische Bewusstsein erstickt und seine Avantgarde zum Verrat verleitet: „Das Proletariat hingegen findet den Grund für seine historische Mission in der Aufdeckung der Lüge des demokratischen Prinzips, in dessen Wesen selbst und in der Notwendigkeit, die Klassenunterschiede und die Klassen selbst zu beseitigen.” (Faschismus – Demokratie: Kommunismus, von Vercesi, Bilan Nr. 13, November-Dezember 1934)
Die Mehrheit von Bilan verteidigte später dieses antidemokratische Prinzip auf Kosten einer Spaltung mit einer Minderheit der Fraktion, die dieses Prinzip aufgab und 1936 in den Krieg in Spanien zog, in der Illusion, dass der militärische Konflikt des demokratisch-republikanischen Flügels gegen den faschistischen Flügel der Bourgeoisie der Vorläufer einer proletarischen Revolution sei und nicht – wie die Realität bewies – die Vorbereitung auf das Abschlachten der Arbeiterklasse im Zweiten Weltkrieg. Die Minderheit von Bilan bestätigte damit in der Praxis Vercesis Aussage, dass die Verteidigung der Demokratie die proletarische Avantgarde zum Verrat führt.
In den 1930er Jahren war die Ablehnung des Antifaschismus, d. h. die Ablehnung der Verteidigung der bürgerlichen Demokratie, der Lackmustest für jegliche kommunistische Tendenz.[6]
Es sei darauf hingewiesen, dass die Mitglieder dieser Minderheit von Bilan – ohne auf ihre Intervention an der Seite der Republikaner in Spanien verzichten zu müssen – später in die Internationalistische Kommunistische Partei PCInt integriert wurden, die der Vorläufer aller Gruppen der Kommunistischen Linken war, die unseren Aufruf gegen die demokratischen Kampagnen abgelehnt haben.
Der PCInt wurde 1943 in Italien als eine internationalistische Partei der Italienischen Linken gegründet, war aber politisch sehr heterogen. Viele Militante, die nicht mit den Positionen der Einheitsfront und des Antifaschismus gebrochen hatten, schlossen sich dieser neuen Partei an. Die Grundlagen, auf denen die Partei gegründet wurde, enthielten alle möglichen Unklarheiten, was bedeutete, dass die Partei einen politischen Rückschritt gegenüber den Positionen der Fraktion vor dem Krieg, den Positionen von Bilan, darstellte. Obwohl der PCInt im allgemeinen Sinne im proletarischen Lager blieb, gelang es ihm nicht, sich von den falschen Positionen der Kommunistischen Internationale zu distanzieren, beispielsweise in der Gewerkschaftsfrage und der Frage der Teilnahme an Wahlkampagnen.
Nur die Gruppe Gauche Communiste de France war in dieser Zeit in der Lage, eine kompromisslose Haltung gegenüber der bürgerlichen Demokratie beizubehalten und die politische Arbeit von Bilan nach dem Zweiten Weltkrieg fortzusetzen.[7]
Am Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelte der PCInt eine zweideutige Haltung gegenüber den antifaschistischen Partisanengruppen in Italien, die sich voll und ganz dem imperialistischen Krieg an der Seite der Alliierten angeschlossen hatten. Er glaubte, dass diese Gruppen wegen der Anwesenheit von Arbeitern in ihren Reihen und dank des Einflusses des PCInt darin irgendwie für die proletarische Revolution gewonnen werden könnten.[8]
Als sich der PCInt 1952 spaltete, wurde diese anfängliche Verwirrung um ihre Gründung nicht geklärt, auch nicht von Battaglia Comunista (die heutige IKT), obwohl sie zum Zeitpunkt der Spaltung den „Bordigismus“ kritisiert hatte. Es war daher unvermeidlich, dass dieselbe versöhnliche Haltung gegenüber demokratischen Kämpfen weiterleben würde.
1989, mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Regime des Ostblocks, interpretierte Battaglia Comunista die Wut der Bevölkerung gegen das verhasste Regime von Ceausescu in Rumänien fälschlicherweise als „echten Volksaufstand”, obwohl sich die Bevölkerung in Wirklichkeit hinter der demokratischeren Opposition mobilisierte, lediglich um ihn zu ersetzen. In Bezug auf die demokratischen Forderungen der Arbeiterkämpfe jener Zeit in Russland selbst räumte Battaglia Comunista zwar ein, dass diese Forderungen von einem Flügel der Bourgeoisie instrumentalisiert werden könnten, erklärte jedoch: „(...) Für diese Massen, die vom Antistalinismus und der Ideologie des westlichen Kapitalismus durchdrungen sind, sind die ersten möglichen und notwendigen Forderungen der Sturz des „kommunistischen” Regimes, die Liberalisierung des Produktionsapparats und die Erlangung „demokratischer Freiheiten”.[9]
Es ist offensichtlich, dass die Zweideutigkeit dieser Gruppen in Bezug auf die Ablehnung der Demokratie eine lange Geschichte hat. Aber die Unnachgiebigkeit in Bezug auf dieses Prinzip muss von der Kommunistischen Linken gestärkt werden, nicht nur für den Klassenkampf von heute, sondern auch für den revolutionären Kampf der Zukunft und für die Bildung ihrer Klassenpartei, die in hohem Maße von der Ablehnung jeglicher Versöhnung mit der einen oder anderen politischen Formation der herrschenden Klasse abhängt, deren Spaltungen dazu genutzt werden, dieses Ziel zu vereiteln.
Como, 8.9.2025
[1] Für einen Aufruf der Kommunistischen Linken an die Arbeiterklasse – gegen die internationale Kampagne zur Mobilisierung für die bürgerliche Demokratie [1], IKSonline Oktober 2024
[2] Eine vollständige Darstellung findet ihr in den folgenden beiden Artikeln: The bourgeoisie is trying to lure the working class into the trap of anti-fascism [2], World Revolution 403, Frühling 2025; Workers must not let themselves to be drawn into demonstrations for the defence of democracy [3]”, ebenda.
[3] https://www.leftcom.org/en/articles/2025-06-11/against-deportation-and-imperialism-no-war-but-the-class-war [4] (aufgerufen am 21.11.2025)
[4] www.leftcom.org/en/articles/2020-05-30/on-minneapolis-police-brutality-class-struggle [5] (aufgerufen am 14.11.2025)
[5] Siehe dazu unseren Artikel: „Black Lives Matters“ Proteste: Die Gruppen der Kommunistischen Linken und ihr Versagen das Terrain der Arbeiterklasse zu identifizieren [6], IKSonline Juli 2020
[6] Siehe dazu unser Buch Die Italienische Kommunistische Linke, vor allem Kapitel 4: “Mit Riesenschritten in die Niederlage (1933-39)”
[7] Polemik: Die Wurzeln der IKS und des IBRP - Die Italienische Fraktion und die Französische Kommunistische Linke [7], Internationale Revue Nr. 22, 1998
[8] The ambiguities of the Internationalist Communist Party over the ‘partisans’ in Italy in 1943 [8], International Review Nr. 8, 1. Quartal 1977 (engl./frz./span. Ausgabe)
[9] Polemic: The wind from the East and the response of revolutionaries [9], International Review Nr. 61, 2. Quartal 1990 (engl./frz./span. Ausgabe)
Links
[1] https://de.internationalism.org/content/3240/fuer-einen-aufruf-der-kommunistischen-linken-die-arbeiterklasse-gegen-die
[2] https://en.internationalism.org/content/17669/bourgeoisie-trying-lure-working-class-trap-anti-fascism
[3] https://en.internationalism.org/content/17673/workers-must-not-let-themselves-be-drawn-demonstrations-defence-democracy
[4] https://www.leftcom.org/en/articles/2025-06-11/against-deportation-and-imperialism-no-war-but-the-class-war
[5] http://www.leftcom.org/en/articles/2020-05-30/on-minneapolis-police-brutality-class-struggle
[6] https://de.internationalism.org/content/2947/black-lives-matters-proteste-die-gruppen-der-kommunistischen-linken-und-ihr-versagen
[7] https://de.internationalism.org/content/1086/polemik-die-wurzeln-der-iks-und-des-ibrp-die-italienische-fraktion-und-die
[8] https://en.internationalism.org/internationalreview/197701/9333/ambiguities-internationalist-communist-party-over-partisans-italy-19
[9] https://en.internationalism.org/content/3203/polemic-wind-east-and-response-revolutionaries