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Grundsatzpositionen

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UNSERE POSITIONEN

– Seit dem 1. Weltkrieg ist der Kapitalismus ein dekadentes gesellschaftliches System. Zweimal hat er die Menschheit in einen barbarischen Zyklus von Krise, Weltkrieg, Wiederaufbau, neue Krise gestürzt. In den 80er Jahren ist er in die letzte Phase seines Niedergangs eingetreten – die seines Zerfalls. Gegenüber diesem unwiderruflichen historischen Abstieg gibt es nur eine Alternative: Sozialismus oder Barbarei, kommunistische Weltrevolution oder Zerstörung der Menschheit.

– Die Pariser Kommune von 1871 war der erste Versuch des Proletariats, diese Revolution durchzuführen. Dies geschah jedoch zu einem Zeitraum, als die Bedingungen dafür noch nicht reif waren. Nachdem diese Bedingungen aber mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenz geschaffen waren, stellte die Oktoberrevolution 1917 in Rußland den ersten Schritt einer echten kommunistischen Weltrevolution innerhalb einer internationalen Welle von revolutionären Kämpfen dar, die den imperialistischen Weltkrieg zu Ende brachte und mehrere Jahre fortdauerte. Das Scheitern dieser revolutionären Welle, insbesondere in Deutschland von 1919–23 führte dazu, daß die Revolution in Rußland isoliert blieb und schnell entartete. Der Stalinismus war nicht das Ergebnis der russischen Revolution, sondern ihr Totengräber.

– Die staatlichen Regime, die unter der Bezeichnung „sozialistisch“ oder „kommunistisch“ in der UdSSR, in Osteuropa, China, Kuba usw. entstanden waren, waren nur besonders brutale Formen einer weltweiten Tendenz zum Staatskapitalismus, die typisch ist für die Niedergangsphase des Kapitalismus.

– Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts sind alle Kriege imperialistische Kriege in einem Todeskampf zwischen großen oder kleinen Staaten gewesen, um eine internationale Stellung zu erobern oder zu erhalten. Diese Kriege haben der Menschheit nur Tod und Zerstörung in einem immer größeren Ausmaß gebracht. Die Arbeiterklasse muß dem ihre internationale Solidarität und den Kampf gegen die Bourgeoisie in allen Ländern entgegensetzen.

– All die Ideologien der „nationalen Unabhängigkeit“, des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“, unabhängig davon, ob sie unter einem ethnischen, historischen, religiösen oder sonstigen Vorwand verteidigt werden, sind für die Arbeiter ein wahres Gift. Indem sie für die eine oder andere Fraktion der Bourgeoisie Partei ergreifen sollen, werden so die Arbeiter gegeneinander aufgehetzt und dazu getrieben, sich im Interesse der Ausbeuter in den Kriegen zwischen diesen gegenseitig abzuschlachten.

– Im dekadenten Kapitalismus sind das Parlament und die Wahlen zu einer einzigen Heuchelei geworden. Jeder Aufruf zur Beteiligung am Wahlzirkus kann nur die Wirkung der Lügen verstärken, mit der die Wahlen als eine „echte Alternative“ für die Ausgebeuteten darstellt werden. Die Demokratie, die eine besonders heuchlerische Herrschaftsform der Bourgeoisie ist, unterscheidet sich im Grunde nicht von den anderen Formen der kapitalistischen Herrschaft, dem Stalinismus und dem Faschismus.

– Die Fraktionen der Bourgeoisie sind alle gleich reaktionär. Alle sog. „sozialistischen“, „kommunistischen“ Arbeiterparteien (jetzt die früheren „Kommunisten“), die Organisationen der extremen Linken (Trotzkisten, Maoisten, und Ex-Maoisten, offizielle Anarchisten) stellen den linken Flügel des politischen Apparates des Kapitals dar. All die Taktiken der „Volksfront“, der „antifaschistischen“ Front und der „Einheitsfront“, die die Interessen des Proletariats mit denen einer Fraktion der Bourgeoisie zusammenbringen wollen, dienen nur dazu, daß der Kampf der Arbeiterklasse kontrolliert und in Sackgassen gelenkt wird.

– Mit dem Eintritt des Kapitalismus in seine Dekadenz sind die Gewerkschaften überall zu Organen der kapitalistischen Ordnung innerhalb der Arbeiterklasse geworden. Die gewerkschaftlichen Organisationsformen, ob die „offiziellen“ oder die „Basisgewerkschaften“, dienen nur dazu, die Arbeiterklasse zu kontrollieren und ihre Kämpfe zu sabotieren.

– Um ihre Kämpfe erfolgreich durchzuführen, muß die Arbeiterklasse ihre Kämpfe zusammenschließen, indem sie deren Ausdehnung und Organisierung selbst in die Hand nimmt. Dies geschieht mittels selbständiger Vollversammlungen und Komitees von Delegierten, die jeweils jederzeit von diesen Versammlungen gewählt und abgewählt werden können.

– Der Terrorismus ist in keiner Hinsicht ein Mittel des Kampfes der Arbeiterklasse. Als Ausdruck der geschichtlich zukunftslosen gesellschaftlichen Schichten und des Zerfalls des Kleinbürgertums liefert der Terrorismus, wenn er nicht direkt ein Mittel des ständigen Krieges zwischen den Staaten ist, immer einen Nährboden für die Manipulationen der Bourgeoisie. Indem er für die geheimen Aktionen von kleinen Minderheiten eintritt, steht er im totalen Gegensatz zur Klassengewalt, die sich auf Handlungen einer bewußten und organisierten Masse des Proletariats stützt.

– Die Arbeiterklasse ist die einzige Klasse, die dazu in der Lage ist, die kommunistische Revolution durchzuführen. Der revolutionäre Kampf führt die Arbeiterklasse notwendigerweise zu einer Konfrontation mit dem kapitalistischen Staat. Um den Kapitalismus zu zerstören, muß die Arbeiterklasse alle Staaten zerstören und die Diktatur der Arbeiterklasse auf Weltebene errichten: die internationale Macht der Arbeiterräte, die das gesamte Proletariat umfassen.

– Die kommunistische Umwandlung der Gesellschaft durch die Arbeiterräte bedeutet weder „Selbstverwaltung“ noch „Verstaatlichung“ der Wirtschaft. Der Kommunismus erfordert die bewußte Abschaffung der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse durch die Arbeiterklasse: die Lohnarbeit, die Warenproduktion, die Landesgrenzen. Dazu muß eine Weltgemeinschaft errichtet werden, deren ganze Aktivitäten auf die volle Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse ausgerichtet sind.

– Die revolutionäre politische Organisation stellt die Avantgarde des Proletariats, den aktiven Faktor des Prozesses der Generalisierung des Bewußtseins innerhalb des Proletariats dar. Ihre Rolle besteht weder in der „Organisierung der Arbeiterklasse“ noch in der „Übernahme der Macht“ in ihrem Namen, sondern aktiv an der Vereinigung der Kämpfe mitzuwirken, daß die Arbeiter die Kämpfe selbst in die Hand nehmen und eine revolutionäre politische Orientierung für den Kampf des Proletariats aufgezeigt wird.

UNSERE AKTIVITÄT

– Die theoretische und politische Klärung der Ziele und Mittel des Kampfes des Proletariats, seiner geschichtlichen und unmittelbaren Bedingungen.

– Die organisierte, vereinigte und auf internationaler Ebene zentralisierte Intervention, um zum Prozeß beizutragen, der zu revolutionären Handlungen der Arbeiterklasse führt.

– Die Umgruppierung der Revolutionäre im Hinblick auf die Schaffung einer wirklichen kommunistischen Weltpartei, die unabdingbar ist für die Abschaffung der kapitalistischen Herrschaft und die Entwicklung hin zur kommunistischen Gesellschaft.
 

UNSER URSPRUNG

– Die Positionen der revolutionären Organisationen und ihre Aktivitäten sind das Ergebnis der vorherigen Erfahrungen der Arbeiterklasse und der Lehren, die diese politischen Organisationen aus der Geschichte gezogen haben. So beruft sich die IKS auf die Errungenschaften, die nacheinander erbracht wurden vom Bund der Kommunisten (1847–52) um Marx und Engels, den drei Internationalen (Internationale Arbeiterassoziation 1864–72, Sozialistische Internationale 1889–1914, Kommunistische Internationale 1919–1928), den Linkskommunistischen Fraktionen, die in den 20er und 30er Jahren aus der Dritten Internationale während ihres Niedergangs hervorgegangen waren, insbesondere der Deutschen, Holländischen und Italienischen Linken.

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Marxismus: die Theorie der Revolution [1]

DAS VERHÄLTNIS FRAKTION - PARTEI IN DER MARXISTISCHEN TRADITION VON MARX BIS LENIN, 1848-1917

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LENIN, 1848-1917

I. Von Marx bis zur II. Internationale

Nachdem sie das Wirken der Linksfraktion der Kommunistischen Partei Italiens in den Jahren zwischen 1935-45 kritisiert haben, schließen die Genossen von Battaglia Comunista den Artikel, den wir schon früher zitiert haben, mit einer Verwerfung des Konzeptes der Fraktion im Allgemeinen ab:

"Welchen Sinn hat es, den Begriff der Partei ausschließlich mit dem Begriff der Macht zu verbinden oder der Möglichkeit, die Massen zu führen, indem dem politischen Organ des Klassenkampfes jede Existenzmöglichkeit außerhalb der revolutionären Phasen abgestritten  wird, und indem nie deutlich definierten Organismen oder irgendwelchen Ersatzkörpern die Aufgabe zugeordnet wird, die Interessen der Klasse in den konterrevolutionären Phasen zu verteidigen....

Zu behaupten, daß die Partei nur in revolutionären Situationen entstehen kann, in denen die Frage der Macht auf der Tagesordnung steht, während in den konterrevolutionären Phasen die Partei verschwinden "muß" oder ihren Platz Fraktionen überläßt, bedeutet nicht  nur, der Klasse in den schwierigsten und gefährlichsten Momenten einen politischen Bezugspunkt vorzuenthalten, wodurch das politische Handeln der Bourgeoisie erleichtert wird, sondern  auch bewußt eine Leere entstehen zu lassen, die nur schwer innerhalb von 24 Stunden zu füllen ist...

Man darf solche Thesen nicht unterstützen, die die geschichtliche Erfahrung auf den Kopf stellen, und indem der bolschewistischen Partei selber die Rolle der "Fraktion" der russischen Sozialdemokratie bis 1917 zugeordnet wird (Thesen, die von der IKS in der Internationalen Revue Nr. 3 vertreten werden)"...

Rußland war das einzige europäische Land, welches trotz viel ungünstigerer Bedingungen als in anderen Ländern am 1. Weltkrieg von 1914-1918 teilnahm, und wo eine proletarische Revolution entstand. Dies war erst möglich, weil dort eine Partei vorhanden war, die als solche mindestens seit 1912 aktiv war. Von Anfang an hat sich der Bolschewismus nicht darauf beschränkt, auf politischer Ebene dem Opportunismus der Menschewiki entgegenzutreten, die theoretischen Grundlagen der Prinzipien der Revolution auszuarbeiten, Kader zu bilden und neue zu gewinnen, sondern er hat auch die ersten Beziehungen zwischen der Klasse und der Partei geknüpft, die zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich in der Hitze der sich zuspitzenden Situation zu echten Verbindungsgliedern zwischen der Spontanität der Klasse und dem taktischen und strategischen  Programm der Partei wurden...

1902 schon hatte Lenin die taktischen und organisatorischen Grundlagen geschaffen, auf der man die Alternative gegenüber dem Opportunismus der russischen Sozialdemokratie, die Alternative der Partei, hatte bauen müssen, es sei denn man würde "Was tun?" als die 10 Gebote des guten Fraktionsanhängers darstellen"[1].

Um die Auffassung BC zusammenzufassen,

1) man weiß nicht, woher diese Theorie kommt, derzufolge in den konterrevolutionären Phasen die Fraktionen die Aufgabe der Partei übernehmen sollten,

2) diese Fraktionen sind "nie wirklich gut definierte Organismen" und damit unfähig, dem Proletariat eine politische Orientierung anzubieten,

3) wenn die russische Revolution stattgefunden hat, dann deshalb, weil Lenin seit 1902 die Grundlagen der bolschewistischen Partei und nicht der bolschewistischen Fraktion, wie es die IKS behauptet, gelegt hat.

Drei Behauptungen, drei Risse in der theoretisch-politischen Kohärenz Battaglias, und ein Versuch, der Geschichte der Arbeiterbewegung umzuschreiben. Sehen wir weshalb.

MARX, DER BUND DER KOMMUNISTEN, DIE I. INTERNATIONNALE UND DIE LEHREN DER KONTERREVOLUTION

"Ich bemerke d'abord, daß, nachdem der "Bund" auf meinen Antrag im Nov. 1852 aufgelöst wurde, ich nie mehr irgendeiner geheimen oder öffentlichen Gesellschaft angehört habe oder angehöre; daß also die Partei in diesem ganz ephemeren Sinne für mich seit 8 Jahren zu existieren aufgehört hat... Ich ward dann noch wiederholt, wenn nicht namentlich, so doch verständlich, bitter angegriffen wegen dieser "Tatenlosigkeit".... Aber von "Partei" in dem Sinne deines Briefes weiß ich nichts seit 1852... Der "Bund", wie die Société des Saisons zu Paris, wie 100 andere Gesellschaften, war nur eine Episode in der Geschichte der Partei, die aus dem Boden der modernen Gesellschaft sich überall naturwüchsig bildet...

Ich habe ferne das Mißverständnis zu beseitigen gesucht, als ob ich unter "Partei" einen seit 8 Jahren verstorbenen "Bund" oder eine seit 12 Jahren aufgelöste Zeitungsredaktion verstehe. Unter Partei verstand ich die Partei im großen historischen Sinne" (Marx an Freiligrath, 29.2.1860, MEW Bd 30, S. 489).

Wie man sieht, ist diese Theorie, derzufolge die proletarischen Parteien in den konterrevolutionären Phasen 'verschwinden', kein Beitrag der Genossen BILANs aus den 30er Jahren dieses Jahrhunderts, sondern eine feste Überzeugung Marxens seit der Mitte des letzten Jahrhunderts. Als er dem früheren Mitglied des Bundes der Kommunisten, Ferdinand Freiligrath, der ihn dazu aufforderte, die Führung der 'Partei' wieder zu übernehmen, antwortete, unterstrich Marx, daß diese Partei sich 8 Jahre zuvor aufgelöst hatte, nämlich am Ende der revolutionären Welle von 1848, genauso wie sich zuvor die Gesellschaft der Pariser Saisonarbeiter und anderer Organisationen aufgelöst hatte, nachdem die Welle von Kämpfen, die sie hervorgebracht hatten und deren Ergebnis sie waren, abgeebbt waren. Es steht fest, daß Marx diese zutiefst materialistische Haltung immer gegenüber den aktivistischen Vorurteilen derjenigen gehabt hat, die die Tiefe und das ganze Ausmaß der Niederlage nicht wahrhaben wollten und sofort 'wieder wie früher anfangen' wollten. Als Marx 1850 behauptete, daß der weltweite wirtschaftliche Aufschwung jede revolutionäre Perspektive in Europa in weite Ferne rückte, stellte sich die Mehrheit des Bundes (die Fraktion um Willich-Schapper) dieser Einschätzung entgegen, und warf ihm vor, er meinte, "man solle sich hinlegen und schlafen". Nur eine Minderheit unterstützte seine Ansichten - selbst nach der förmlichen Auflösung der Bundes im Jahre 1852 -man müsse sich der schwierigen Aufgabe widmen, 'die Lehren aus der Niederlage zu ziehen', indem man die Ursachen zu erhellen und die theoretischen Instrumente zu schaffen versuchte, die der Arbeiterklasse in den darauffolgenden Kampfeswellen nützlich sein würden. Es ist wichtig zu unterstreichen, daß die Genossen, die den Bund der Kommunisten um jeden Preis aufrechterhalten wollten, zunächst gezwungen waren, ihre politischen Positionen über Bord zu werfen, indem sie Intrigen spannen, künstliche Bündnissen mit den Demokraten eingingen und sich später selbst auflösten, ohne auch nur irgend etwas anderes zu hinterlassen als das aktivistische Geschwafel über die Aufrechterhaltung der Partei. Dagegen sollte die geduldige Arbeit der Klärung und der Bildung der Revolutionäre, die von der Fraktion um Marx geleistet wurde, ihre "Früchte mit dem Wiedererstarken der Arbeiterbewegung" bringen: die wenigen marxistischen Revolutionäre standen selbstverständlich an der Spitze der verschiedenen Sektionen der Internationalen Arbeiterassoziation, als diese I. Internationale 1864 gegründet wurde (indem sie sich spontan in der modernen Gesellschaft entfaltete), als es ein internationales Wiedererstarken der Arbeiterbewegung gab. Marx änderte nicht seine Position, als die Niederlage der Pariser Kommune 1871 die Tür öffnete für einen neuen Zeitraum des Rückflusses der Arbeiterbewegung. Unter diesen Umständen verstanden Marx und Engels sehr schnell, daß die Tage der I. Internationale gezählt waren, und auf dem Kongreß von Den Haag im Jahre 1872 brachten sie den Antrag zur Übersiedlung des Generalrates nach New York ein, was der Auflösung der Organisation gleichkam: "Nach meiner Ansicht von den europäischen Verhältnissen ist es durchaus nützlich, die formelle Organisation der Internationale einstweilen in den Hintergrund treten zu lassen... Die Ereignisse und die unvermeidliche Entwicklung und Verwicklung der Dinge werden von selbst für Auferstehung der Internationalen in verbesserter Form sorgen. Einsweilen genügt es, die Verbindung mit den Tüchtigsten in den verschiedenen Ländern nicht ganz aus den Händen schlüpfen zu lassen". (Marx an Sorge, 27.9.1873, MEW 33, S. 606).

Erneut war es für Marx und Engels klar, daß es in einer konterrevolutionären Zeit absolut unnütz ist, eine Fassade einer Partei künstlich am Leben zu erhalten, während es dagegen wesentlich ist, daß die gemeinsamen Aktivitäten dieser Fraktion fähiger Militanten in der Lage bleibt, der Demoralisierung zu widerstehen, und um das zukünftige Widererstarken des Klassenkampfes noch besser vorzubereiten.

Um die Genossen BCs zu trösten, die der Möglichkeit mit Schrecken entgegensehen, daß jemand 'entscheiden' könne, die Partei 'müsse' in einer bestimmten Phase verschwinden, muß man hervorheben, daß Marx und Engels niemals daran gedacht haben, solche 'Entscheidungen' zu treffen. Zu 'entscheiden', die Partei aufzulösen, ist ein reiner Willensakt, genauso wenn man versuchen würde, sie künstlich am Leben zu erhalten. Marx hat den Bund der Kommunisten 1850 nicht auf autoritäre Weise aufgelöst, genauso wenig 1872 die I. Internationale. Er hat nur erklärt, daß die Revolutionäre sich auf den anstehenden Zerfall, das Auseinanderbrechen der Partei vorbereiten müssen, um sich darauf einzustellen, daß man selbst nach der Auflösung dieser Parteien den roten Faden der kommunistischen Aktivität aufrechthält. Und wenn die Auflösung dieser Organe nachher tatsächlich stattgefunden hat, war dies der Ansicht Marxens nach auf die Kraft der Verhältnisse, auf die Lage selber zurückzuführen, und nicht auf die Befehle von Marx.

DIE DIALEKTIK FRAKTION - PARTEI WIRD DEUTLICH IN DER HISTORISCHEN ENTWICKLUNG DER ARBEITERBEWEGUNG

Nachdem wir jetzt gesehen haben, daß die 'seltsame' Theorie des Verschwindens der proletarischen Parteien in den konterrevolutionären Zeiträumen von Marx entwickelt wurde, müssen wir uns mit den Organen befassen, die in diesen Zeiten die Kontinuität der revolutionären Aktivitäten sicherstellen, d.h. die Fraktionen. Battaglia zufolge handelt es sich um "nie gut definierte Organismen". Es stimmt sicherlich, daß Marx nie ein umfassendes Werk der Propaganda (in dem Stile wie "Lohnarbeit und Kapital") über die Funktion des Netzes von Genossen geschrieben hat, die nach der Auflösung des Bundes der Kommunisten und der I. Internationale mit ihm zusammenblieben. Aber das heißt nicht, daß aus Marxens Sicht diese Arbeit des Bilanz Ziehens nicht wichtig war. Dies ist darauf zurückzuführen, daß der Begriff der Fraktion der Klassenpartei seinem Wesen zufolge mit dem Begriff der Partei selber verbunden ist. Die Definition dieses Körpers geht einher mit dem historischen Prozeß, der beim Bund der Kommunisten anfängt und sich bis zur Kommunistischen Internationale hinzieht, die "sich zur historischen Aufgabe gestellt hat, die Revolution weltweit zu verwirklichen"[2].

Im Laufe der geschichtlichen Erfahrung der Klasse haben die Umrisse dieser Avantgardepartei deutlicher Gestalt angenommen, und gleichzeitig wurde die Erfahrung für die Definition der Arbeit der marxistischen Fraktion angehäuft, die als eine Reaktion gegenüber den opportunistischen Abweichungen der Partei entstand. Nur als der Kapitalismus in seine Endphase eintrat und die Notwendigkeit und Möglichkeit der kommunistischen Revolution schließlich auf der Tagesordnung standen, konnte sich die Klassenpartei in ihrer endgültigen Form entwickeln, wodurch sie erst in die Lage versetzt wurde, wahre Fraktionen als eine Reaktion gegen den opportunistischen Kurs und die Entartung hervorzubringen. Die Italienische Linke hatte diese Lehre aus den 30er Jahren gezogen:

"Das Problem der Fraktion - wie wir sie auffassen - d.h. als ein Moment des Wiederaufbaus der Klassenpartei wurde und konnte innerhalb der I. und II. Internationale nicht richtig begriffen werden. Diejenigen, die sich damals Fraktion nannten oder allgemeiner "rechter" oder "linker Flügel", oder "unnachgiebige Strömung, oder schließlich "revolutionärer oder reformistischer Flügel" waren meistens mit Ausnahme der Bolschewiki vor oder während Kongresse zufällige Zusammenschlüsse. Dabei verfolgten sie jeweils das Ziel, bestimmte Tagesordnungspunkte in den Vordergrund zu stellen, ohne dabei irgendeine  organisatorische Kontinuität aufzubauen. All das geschah zu einer Zeit, als das Problem der Machtergreifung nicht auf der Tagesordnung stand und es keine Klassenpartei geben konnte[3]. Der Zusammenbruch der II. Internationale während des Ausbruch des I. Weltkriegs war kein plötzlicher Verrat, sondern der Abschluß einer ganzen Entwicklung. Die genaue Auffassung der Aufgaben einer Fraktion ist abhängig von  einer genauen Vorstellung von der Klassenpartei"[4].

Der Prozeß des Reifens und der Definition der Auffassung von der Fraktion hat seine Wurzeln (aber nicht seinen Abschluß) in diesem ersten Kreis von Genossen, die die Auflösung des Bundes der Kommunisten überlebt hatten. Da es immer unabdingbar ist zu begreifen, von wo wir ausgegangen sind und wohin wir gehen, wollen wir die Aktivität dieser ersten "Fraktion" etwas näher untersuchen.

Bestimmte Sätze des Briefes an Freiligrath oder andere isoliert betrachtete Zitate der Privatkorrespondenz zwischen Marx und Engels sind oft für den Versuch verwendet worden, aufzuzeigen, daß diese Genossen sich ins Privatleben zurückgezogen hätten, um sich mit ihren theoretischen Studien zu beschäftigen, und die sie dann später den lesehungrigen und lerneifrigen Massen zur Verfügung gestellt hätten. Die Wirklichkeit sah ganz anders aus.

Engels meinte dazu: "Die Hauptsache für den Moment ist: die Möglichkeit, unsere Sachen zum Druck zu bringen; entweder in einer Vierteljahresschrift, wo wir direkt attackieren und uns den Personen gegenüber unsere Position sichern; oder in dicken Büchern, wo wir dasselbe tun, ohne nötig zu haben, irgendeine dieser Spinnern auch nur zu erwähnen. Mir ist beides recht; auf die Dauer und bei der zunehmenden Reaktion scheint mir die Möglichkeit für ersteres abzunehmen und letzteres mehr und mehr unsere Ressource zu werden, worauf wir uns werfen müssen" (Engels an Marx, 13.2.1851, MEW Bd 27, S. 191). Marx äußerte sich dazu: “Ich erklärte, wir könnten direkt an keinem Blatt mitarbeiten, überhaupt an keinem Parteiblatt, das wir nicht selbst redigierten. Zu letzterem Schritt aber fehlten alle Bedingungen in diesem Augenblick". (Marx an Engels, 18. Mai 1859, MEW Bd 29, S. 435)[5]

Dies heißt überhaupt nicht Rückzug  ins Privatleben und ist etwas anderes als 'eifrig Studien zu betreiben', um nachher die militanten Aktivitäten wiederaufzunehmen.  Das Wesentliche für Marx und Engels, für das sie sich voll einsetzten, war die bestmögliche regelmäßige Veröffentlichung einer revolutionären Presse zur öffentlichen Verteidigung und Vertiefung der Perspektive des Kommunismus und der Kritik der kapitalistischen Gesellschaft. Sie verwarfen nicht diese organisierte und geregelte Aktivität, sondern den trügerischen Schritt der Zusammenarbeit mit verwirrten und aktivistischen Elementen, die ihre Arbeit vollkommen zerstört hätten. Wenn sie einen so streng organisierten Arbeitsrahmen nicht haben aufrechthalten können, dann nicht, weil sie es nicht versucht hätten, sondern weil die objektiv notwendigen Bedingungen für die Durchsetzung eines solchen Zieles nicht vorhanden waren. Und diese Bedingungen waren nicht vorhanden, weil die Entwicklung der Arbeiterbewegung noch in ihren Kinderschuhen steckte, und in den Rückflußphasen war selbst die Existenz einer kleinen organisierten revolutionären Gruppe unmöglich. Wir möchten nochmal wiederholen: niemand entscheidet, die Partei 'müsse' verschwinden, die Fraktion 'müsse' auf ein informelles Netz von Genossen beschränkt bleiben. Die objektiven Bedingungen der Klassengegensätze entscheiden darüber. Die Genossen können nur Entscheidungen treffen, wenn sie diese Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen, oder im Gegenteil, wenn sie die Augen davor verschließen und sich und anderen etwas vormachen, wodurch vom Organ der Klasse, der Partei, nur der Name und nichts anderes übrig bliebe. In Wirklichkeit waren diejenigen, die nicht mit in der Luft hängenden Zentralkomitees scherzen, die die Rolle der 'Partei' in den konterrevolutionären Phasen ausfüllten: die kleine informelle Gruppe von Genossen, die sich um Marx organisierte, und die allesamt so beständig und kollektiv arbeiteten, daß sie im revolutionären Milieu unter dem Begriff "Marxens Partei" bekannt wurden. Marx mußte gar in einem Brief an Freiligrath unterstreichen, daß diese Partei nicht existierte. Marx hob hervor, wenn er von der Aktivität der Partei spreche, meine er dies 'in einem weitesten historischen Sinne' als die 'Aktivität der Partei', die die politische Kontinuität zwischen den Parteien sicherstellt. Die Gruppen von Genossen, die diese Kontinuität nach der Auflösung des Bundes der Kommunisten und der I. Internationale hergestellt haben, können aufgrund ihres informellen Organisationsgrades in jeder Hinsicht als Fraktionen aufgefaßt werden, weil es sich nicht um neue revolutionäre Gruppierungen handelte, sondern um wirkliche Fraktionen der alten Parteien. Die 'Partei Marxens' der Jahre 1853-1863 war nichts anderes als die "Fraktion Marxens" der Jahre 1850-52 innerhalb des Bundes. Die "fähigsten Genossen der verschiedenen Länder" während der Zeit zwischen der Auflösung der I. Internationale bis hin zur Geburt der II. Internationale (1889) waren nichts anderes als die alte marxistische 'autoritäre' Fraktion innerhalb der I. Internationale. Unabhängig von der Art und Weise, wie die Fraktionen definiert wurden und wie diese sich den Umständen gemäß organisierten, stellten sie somit die historische Kontinuität zwischen den verschiedenen Phasen der Geschichte der Partei dar.

DAS PROBLEM DER FRAKTION IN DER II. INTERNATIONALE

Die Behauptung, daß Lenin als Chef der bolschewistischen Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands etwas mit einer Fraktion zu tun gehabt hätte, ruft bei Battaglia Verachtung hervor, denn BC zufolge war Lenin der Mann der Partei und nichts anderes. BC zufolge konnte die Revolution in Rußland siegreich sein, weil es eine bolschewistische Partei - und nicht irgendeine 'kaum definierte' Fraktion - gab.

Bevor wir auf diese weitere Geschichtsfälschung Battaglias zu sprechen kommen, muß man den historischen Rahmen in Erinnerung rufen, innerhalb dessen die Aktionen der Bolschewiki und der sozialistischen Linke im Allgemeinen innerhalb der II. Internationale entfaltet wurden. Diese war in einer für die Revolutionäre schwierigen Zeit gegründet worden: einerseits ging in Europa der Prozeß zu Ende, bei dem die Arbeiterklasse selbständig an den bürgerlichen demokratischen Revolutionen (die nunmehr 'von oben' zum Abschluß gebracht wurden, siehe Bismarck in Deutschland) teilnehmen konnte; andererseits waren die Bedingungen, die proletarische Revolution schon auf die Tagesordnung zu setzen, noch nicht vorhanden, da der Kapitalismus noch in der letzten und stürmischsten Phase seiner wirtschaftlichen Entwicklung steckte. Unter diesen Umständen meinten Marx (und Engels nach dessen Tod), daß das Vorhandensein eines starken opportunistischen Flügels in den sozialdemokratischen Parteien eine 'unvermeidbare Tatsache' war. Deshalb empfahlen sie den marxistischen Gruppierungen, vorschnelle Spaltungen zu vermeiden, um sich auf die unnachgiebige politische Verteidigung der Klassenpositionen innerhalb der Partei zu konzentrieren, wobei man auf den Ausbruch einer revolutionären Krise warten müßte, die 'automatisch' zur Spaltung und zum Entstehen wirklicher marxistischer Parteien[6]  führen werde.

Die Revolutionäre müssen die entschlossensten Verteidiger der Einheit der Partei sein, wobei sie manchmal vorübergehend auf die Bildung organisatorisch klar umrissener Strömungen verzichten müssen, um  der Gefahr von Ausschlüssen und damit des Absterbens zu einer Sekte zuvorzukommen, die von der wirklichen Bewegung der Klasse losgelöst gewesen wäre. Unter den damaligen Umständen war dies die einzig angemessene Vorgehensweise, und tatsächlich erzielte sie mehr als nur einen Erfolg (Annahme des marxistischen Erfurter Programms 1881). Weil aber die Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs und des sozialen Friedens jahrzehntelang andauerte, und die Existenz des opportunistischen Flügels damit 'unvermeidbar' mehr an Boden gewann und sich dieser in der Mehrheit der Partei niederließ, stieß die Partei auf große Schwierigkeiten, sich in einer vorrevolutionären Situation von diesem Einfluß zu lösen.  Anfang des Jahrhunderts standen die Marxisten langsam vor der Notwendigkeit, daß sie gegenüber dieser Entwicklung einschreiten mußten, wobei sie von der 'zerstreuten' Verteidigung des Marxismus zu einer mehr koordinierten Vorgehensweise innerhalb der Partei übergehen mußten. Dabei handelte es sich jedoch um einen sehr schwierigen Übergang, denn der Mythos der Einheit über alles war bis tief in die Grundmauern der Partei selber eingedrungen, und die Führungen der Partei warteten jedes Mal mit diesem Argument auf, um die Radikalen als die Spalter der Einheit der Partei darzustellen.

1909 wurde der Versuch von Genossen der holländischen Linke, sich als Tendenz um ein Organ, DE TRIBUNE, zusammenzuschließen, im Keim erstickt, indem Genossen gruppenweise ausgeschlossen wurden, wodurch sie vorübergehend eine Minipartei bilden mußten, und wobei es nicht lange dauerte, bis diese die Schwächen der alten, ursprünglichen Partei wieder neu aufleben ließ[7].

Wie die von BILAN Nr. 24 erwähnten Zitate zeigen, waren die russischen Bolschewiki die einzige Ausnahme, die sich in eine eigenständige Fraktion der SDAPR von 1904 an organisierten. Man könnte überrascht sein, daß die ersten, die sich in Bewegung setzten, diese hinterherhinkenden Russen waren, aber die Erklärung für ihre Avantgarderolle findet sich gerade in den besonderen Bedingungen des russischen Reiches (das damals von Sibirien bis nach Polen reichte). In diesem riesigen Gebiet und in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts stand diese bürgerliche demokratische Revolution, die in Europa schon längst abgeschlossen war, noch auf der Tagesordnung. Auch hatte die verspätete Entwicklung der russischen Bourgeoisie sie daran gehindert, eine Vorreiterrolle in der demokratischen Revolution zu spielen, gleichzeitig verhinderte das vollkommen rückständige Wesen des russischen Zarismus die Verwirklichung der Revolution 'von oben', so wie sie unter Bismarck in Deutschland vollzogen worden war. Dem russischen Proletariat sollte die letzte historische Möglichkeit nicht vergönnt sein, sich selbsttätig an einer bürgerlichen Revolution zu beteiligen.

Aber wie erwähnt hatte Engels schon das Heraufziehen einer revolutionären Krise vorausgesehen, die die organisatorische Spaltung zwischen Marxisten und Opportunisten auf die Tagesordnung setzen würde. Das Heranreifen einer revolutionären Situation im Zarenreich hat die Voraussagungen Engels vollauf bestätigt. Das Zusammenwirken in einer Organisation zwischen marxistischen Revolutionären und den Opportunisten, die zu Kompromissen mit den Demokraten und gar mit den Reaktionären neigten, wurde unmöglich. In Polen hatten die Revolutionäre, die von Rosa Luxemburg geführt wurden, das Problem schon 1894 gelöst, als sie eine neue Partei gründeten, die Sozialdemokratie des Königreichs Polen (SDKP), die im Gegensatz stand zur alten sozialistischen Partei, der PPS (Polnische Sozialistische Partei), welche zutiefst vom Nationalismus durchdrungen war. So hatte Rosa Luxemburg schnell ausreichend Spielraum, aber sie hatte nie die Möglichkeit, die Erfahrung eines Fraktionskampfes zu erleben, um eine Partei zu verteidigen, die vom Entartungsprozeß bedroht ist. Deshalb hat sie es nie geschafft, eine Fraktionsarbeit zu betreiben, und damit hat sie auch nie wirklich die Auffassung einer Fraktionsarbeit verstanden. Diese Schwäche wurde teuer während des heldenhaften Kampfes der Spartakisten gegen die Entartung der deutschen SPD bezahlt, und sie war zum Teil mit ein Grund für die fatale Verspätung bei der Bildung einer neuen kommunistischen Partei in Deutschland im Jahre 1918.

Der Kampf, den Lenin mehr als 10 Jahre lang führte, fand dagegen im Innern einer Partei statt, und so konnte er die politische Auffassung von einer Linksfraktion entwickeln und ausarbeiten, wodurch die Grundlagen für die III. Internationale gelegt wurden.

II. Von Marx zu Lenin, 1848 – 1917

Lenin und die Bolschewiki

Durch die gegenwärtige Beschleunigung der Geschichte, in der die kapitalistische Gesellschaft voll in den Sumpf ihres Zerfalls geraten ist, wird die Frage der proletarischen Revolution als einzige Lösung der Barbarei,  die von dem durch die Krise erschütterten Kapitalismus hervorgerufen wird, immer dringender. Die Geschichte hat bewiesen, daß eine solche Revolution nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Arbeiterklasse es schafft, sich selbständig (in Arbeiterräten) gegenüber den anderen Klassen zu organisieren und das Avantgardeorgan hervorzubringen, das sie zu ihrem Sieg führt: die Klassenpartei. Jedoch besteht heute diese Klassenpartei nicht, und viele legen  entmutigt die Hände in den Schoß, weil in Anbetracht der gigantischen Aufgaben, die uns  bevorstehen, die Aktivitäten gegenwärtig existierender kleiner revolutionärer Gruppen  als sinnlos und hoffnungslos erscheinen. Innerhalb des revolutionären Lagers selber reagiert die Mehrheit der Gruppen in Anbetracht der Abwesenheit der Partei immer nur wiederkäuend, indem sie auf die allmächtige Partei verweisen, die da sein müsse, und sie setzen alle Hoffnung darauf, daß allein durch das Bestehen der Partei  alle Probleme der Klasse gelöst würden... Der individuelle Rückzug und das große Sprücheklopfen sind zwei klassische Arten, vor dem Kampf um die Partei zu flüchten. Denn dieser Kampf findet jetzt schon, heute, statt. Er stellt eine Kontinuität mit den Aktivitäten der Linksfraktionen  dar, die sich in den 20er Jahren aus der niedergehenden Kommunistischen Internationale herausgelöst hatten.

In den ersten beiden Teilen dieser Artikel haben wir die Aktivitäten der Kommunistischen Linke Italiens untersucht, die sich in den 30er und 40er Jahren als Fraktion organisiert hatte, sowie die überstürzte Gründung der Internationalistischen Kommunistischen Partei, die vollkommen künstlich durch Genossen von Battaglia Comunista 1952 erfolgte.[8].

In diesem 3. Teil haben wir zunächst gezeigt[9], daß die Arbeitsmethode der Fraktion in den ungünstigen Perioden, in denen die Existenz einer Klassenpartei nicht möglich war, die einzige Art der politischen Arbeit war, die ja auch von Marx selber angewandt wurde. In diesem Teil wollen wir aufzeigen, daß solch eine marxistische Arbeitsmethode für die Partei möglich war aufgrund des Wirkens der bolschewistischen Fraktion der SDAPR (Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands). Gegenüber all denjenigen, die Lobesreden halten auf die "stahlharte" Partei Lenins, und die nur Ironie übrig haben gegenüber den "kleinen Grüppchen der Fraktionen der Linken", wiederholen wir, daß die "Geschichte der Fraktionen die Geschichte Lenins" [10] ist, und daß man nur auf der Grundlage der von ihr geleisteten Arbeit die zukünftige kommunistische Weltpartei aufbauen kann.

"OHNE DIE FRAKTIONEN WÄRE LENIN SELBER EIN BÜCHERWURM GEBLIEBEN"

Mit den Zitaten, welche wir im letzten Artikel gebracht haben, haben wir aufgezeigt, wie Battaglia Comunista (BC) keine Gelegenheit verpaßt, um über sich über die Tatsache ironisch zu äußern, daß Lenins "Was tun?" aus dem Jahre 1902 das ständige Handbuch des perfekten Fraktionisten sei, und so läßt BC keine Gelegenheit aus, um unaufhörlich zu zeigen, daß sie all dieses Geredes um die Fraktion überdrüssig seien[11]. Aber wenn die Genossen aufhörten, nur mit dem Begriff der Partei herum schmeißen und anfingen, die Geschichte der Partei nüchterner zu untersuchen, würden sie feststellen, daß Lenins "Was tun" kaum von einer bolschewistischen Fraktion sprechen konnte, weil sie sich erst in Genf im Juni ... 1904 gebildet hat (das Treffen der "22")[12]. Von diesem Zeitpunkt an haben die Bolschewiki den Begriff der Fraktion und ihr Verhältnis zur gesamten Partei aufgegriffen und entwickelt. Dieser Begriff wurde dann in seiner endgültigen Form präzisiert in der Erfahrung der Revolution von 1905 und insbesondere in der Reaktion auf deren Niederlage[13]:

"Eine Fraktion ist eine Organisation innerhalb der Partei, die nicht durch den Ort der Arbeit, nicht durch die Sprache oder durch andere objektive Bedingungen, sondern durch die besondere Plattform der Auffassungen in Parteifragen zusammengehalten wird." ("Über die neue Fraktion der Versöhnler oder die Tugendhaften", 18/31. Okt. 1911, Bd 17, S. 253).[14]

"In der bolschewistischen Fraktion zeichnen sich Strömungen ab, die dem Bolschewismus in seiner ganz bestimmten taktischen Physiognomie zuwiderlaufen... Die Fraktion ist aber nicht die Partei. In der Partei ist eine Fraktion eine Gruppe von Gleichgesinnten, die sich gebildet hat, um vor allem in einer bestimmten Richtung in der Partei in möglichst reiner Form ihre Auffassungen durchzusetzen. Dazu bedarf es wirklich gleicher Gesinnung. Diesen Unterschied in den Forderungen, die wir an die Einheit der Partei und an die Einheit der Fraktion stellen, muß jeder begreifen, der hinsichtlich der wirklichen Lage der Dinge, hinsichtlich der inneren Reibungen in der bolschewistischen Fraktion ein klares Bild erlangen will." (Beratung der erweiterten Redaktion des "Proleteari", 8-17(21-30) Juli 1909, Bd 15, S. 432).[15]

"Doch als Fraktion, d.h. als Bund von Gleichgesinnten in der Partei, können wir ohne Einheitlichkeit in den Grundfragen nicht weiterarbeiten. Abspaltung von einer Fraktion ist etwas anderes als Abspaltung von der Partei. Diejenigen, die sich von unserer Fraktion abgespalten haben, verlieren keineswegs die Möglichkeit, in der Partei zu arbeiten"[16].

Die Fraktion ist also eine Organisation innerhalb der Partei, die durch eine Plattform genau definiert ist, und die um Einfluß innerhalb der Partei kämpft, und die das Endziel verfolgt, daß ihre Prinzipien "in der reinst möglichen Form" innerhalb der Partei siegen, d.h. ohne irgendwelche Vermittlung oder nicht vorhandene Homogenität. Während dieser Zeit wirkt die Fraktion in der Partei mit den Fraktionen, die andere Plattformen verteidigen, so daß die praktische Erfahrung und die öffentliche politische Debatte es der gesamten Partei ermöglichen, sich darüber im klaren zu werden, welche Plattform am korrektesten ist. Diese Koexistenz ist unter der Bedingung möglich, daß es innerhalb der Partei keinen Platz gibt für diejenigen, die sich schon für einen Austritt aus der Partei entschieden haben. Denn wenn diese weiter in der Partei, innerhalb der Organisation selber bleiben, wird die Organisation auch von Zerstörung bedroht. Dies war die Rolle der "liquidatorischen" (zerstörerischen) Strömung in Rußland, die für die Auflösung der illegalen Partei und ihre Unterwerfung unter die zaristische "Legalität" eintrat. Die grundsätzliche Divergenz zwischen den Bolschewiki und den anderen Fraktionen bestand gerade darin, daß während die einen die "Liquidatoren" im allgemeinen verurteilten, betrachteten sie sie weiterhin als Mitglieder der Partei. Die Bolschewiki meinten, es müsse einen Platz in der sozialistischen Partei für alle Meinungen geben, mit Ausnahme derjenigen, die antisozialistisch  solche Auffassungen vertreten:

"Falsch und verlogen ist am Versöhnlertum die Grundlage - das Bestreben, die Einheit der Partei des Proletariats auf dem Bündnis aller, darunter auch der anti-sozialdemokratischen, nicht-proletarischen Fraktionen aufzubauen, falsch und verlogen ist seine prinzipienlose "Vereinigungs"-Projektemacherei, die zur Aufschneiderei führt; falsch sind die Phrasen gegen die "Fraktionen" (wobei in der Tat eine neue Fraktion gebildet wird).[17]

Es ist interessant festzustellen, daß diese Zeilen Lenins gegen Trotzki gerichtet waren, der in der SDAPR der Hauptgegner der organisierten Existenz der Fraktionen war, welche er als unnütz und als für die Partei schädlich betrachtete. Trotzki verstand überhaupt nicht die Notwendigkeit einer Fraktionsarbeit. Dies sollte katastrophale Konsequenzen während und nach dem Niedergang der russischen Revolution haben.

"Man muß feststellen, daß Trotzki - bei allen Fragen hinsichtlich der Revolution von 1905 wie auch während der ihr nachfolgenden Zeit - im allgemeinen auf der Seite der Bolschewiki hinsichtlich der Prinzipienfragen stand, aber bei allen Organisationsfragen schlug er sich auf die Seite der Menschewiki.

Sein mangelndes Begreifen der Rolle der Partei, ihres Konzeptes während dieser Zeit war ausschlaggebend für seine Position "gegen die Fraktionen" zugunsten der Einheit um jeden Preis.

Seine jämmerliche gegenwärtige Position - die ihn in die Arme der Sozialdemokratie treibt - beweist, daß Trotzki in dieser Hinsicht nichts aus den Ereignissen gelernt hat"[18].

Natürlich wurde Lenin sowohl in der Bewegung in Rußland als auch international aufgrund seiner sektiererischen und spalterischen "Verrücktheit" angegriffen, während gleichzeitig einhellig das "Ende der Fraktionen" gefordert wurde. Lenin wollte eigentlich als erster selber das Ende der Fraktionen, weil er wußte, daß die Existenz von Fraktionen ein Symptom der Krise in der Partei war. Aber er wußte auch, daß der offene, praktische Kampf der Fraktion das einzige wirksame Mittel gegen die Krankheit der Partei war, weil nur aus der öffentlichen  Konfrontation der Plattformen die Klarheit über den einzuschlagenden Weg hervorgehen würde.

"Jede Fraktion ist davon überzeugt, daß ihre Plattform und Politik der beste Weg zur Beseitigung der Fraktion sei, denn niemand hält das Bestehen von Fraktionen für ein Ideal. Der Unterschied besteht darin, daß Fraktionen mit einer klaren, konsequenten, in sich geschlossenen Plattform ihre Plattform geradeheraus verteidigen, während sich prinzipienlose Fraktionen hinter billigem Geschrei über ihre Tugendhaftigkeit, ihre fraktionelle Ungebundenheit verstecken" ("Über neue Fraktionen der Versöhnler oder der Tugendhaften", ebenda, Bd. 17, S. 254).[19]

Eine der Hauptlügen, die der Stalinismus hervorgebracht hat, ist die der Existenz einer monolithischen bolschewistischen Tradition, in der es keinen Platz gegeben habe für viel Gerede und die Debatten nur Intellektuellen gedient hätten. Diese Lüge wird ja auch gerade von den Menschewisten als Vorwurf erhoben, als sie gegenüber den Bolschewiki sagten, die "Debatten sind verschlossen". Natürlich stimmt es, daß die Debatte zwischen den Menschewiki und den Versöhnlern "frei" war, während die unter den Bolschewiki "einem Zwang" unterworfen war. Aber das stimmt nur insofern, als die erstgenannten sich frei fühlten, über alles zu diskutieren, wenn es ihnen jeweils in den Sinn kam, und zu schweigen, wenn sie jeweils Divergenzen zu verheimlichen hatten. Für die Bolschewiki dagegen waren die Debatten nicht "frei", sondern eine Pflicht, und sie waren jeweils umso mehr geboten, wenn Divergenzen innerhalb der Fraktion auftauchten. Diese Divergenzen mußten nämlich öffentlich ausdiskutiert werden, um überwunden, oder auf die Spitze getrieben zu werden, der dann eine organisatorische Abtrennung folgte, die auf klaren Motiven fußte.

"Zu diesem Zweck eröffneten wir im "Proletari" die Diskussion über diese Fragen. Wir brachten alles, was uns zuging, und übernahmen alles, was diesbezüglich von den Bolschewiki in Rußland geschrieben wurde. Nicht einen einzigen Diskussionsartikel haben wir bisher abgelehnt, und so werden wir auch in Zukunft verfahren. Leider haben die Genossen Otsowisten und die mit ihnen sympathisierenden Genossen bisher unserer Zeitung wenig Material zugesandt und überhaupt eine offene und vollständige Darlegung ihres prinzipiellen Glaubensbekenntnisses auf den Seiten der Presse gescheut, und dafür Gespräche "unter sich" vorgezogen. Wir fordern alle Genossen, Otsowisten wie orthodoxe Bolschewisten auf, ihre Anschauungen in den Spalten des "Proletari" darzulegen. Wenn erforderlich, werden wir die uns zugegangenen Materialien auch in einer besonderen Broschüre herausgeben. Ideologische Klarheit und Prinzipienfestigkeit, das brauchen wir, besonders in der gegenwärtig schwierigen Situation... Unsere Fraktion darf den inneren ideologischen Kampf, wenn er einmal notwendig geworden ist, nicht fürchten. Sie wird dadurch noch mehr erstarken" (Zu den nächsten Aufgaben, 12./25. Juli 1909, Bd 15, S. 358).[20]

Solch ein Bericht deckt den großen Beitrag Lenins zur historischen Beschreibung des Wesens und der Funktion der Fraktion auf - ungeachtet all der Ironie Battaglias über die "10 Gebote eines guten Fraktionisten". Nur nebenbei wollen wir festhalten, daß BC in einem Satz von der Alternative zur Partei von 1902 an spricht und in einem anderen behauptet, die Partei habe als solche "mindestens von 1912 an" gehandelt. Und was hat dann Lenin von 1902 - 1912 getan - da er ja keine Fraktionsarbeit geleistet hat? Hat er makrobiologische Kochkunst betrieben? In Wirklichkeit will BC behaupten, daß die Bolschewiki sich nicht darauf beschränkt hätten, theoretische Arbeit zu leisten und Kader auszubilden, sondern daß sie auch eine Arbeit in Richtung der Massen betrieben, und daß sie deshalb auch keine Fraktion sein konnten. In Wirklichkeit ist also aus BCs Sicht die Entscheidung, als Fraktion zu wirken, eine Flucht vor dem Klassenkampf, eine Weigerung, sich die Hände mit der Massenarbeit zu beschmutzen, was bewirkt daß man sich auf eine "Politik stützt, die von einem großen Bekehrungseifer geprägt ist und auf Propaganda beschränkt, und sich auf die Untersuchung der sog. Hintergrundfragen eingrenzt, wodurch die Aufgaben der Partei auf die Aufgaben einer Fraktion, wenn nicht gar einer Sekte eingeschränkt werden".[21].

"Das Spiel ist gelaufen": auf der einen Seite steht Lenin, der an die Massen denkt, und der somit nur die Partei sein kann, auf der anderen Seite wiederum gibt es in den 30er Jahren die Italienische Linke im Ausland, die als Fraktion wirkt und nur ein Kreis von Studenten und kleinen Professoren sein kann. Wir haben schon von den wirklichen Aktivitäten Lenins gesprochen; schauen wir uns jetzt an, worin die wirklichen Aktivitäten der Italienischen Linken bestanden.

"Man könnte meinen, daß die Aufgaben der Fraktion rein didaktischer Art seien. Aber solch eine Kritik kann von den Marxisten mit den gleichen Argumenten gegenüber all denjenigen verworfen  werden, die trügerischerweise den Kampf des Proletariats für die Revolution und die Umwandlung der Welt auf die gleiche Ebene setzen wie Wahlkämpfe.

Es stimmt vollkommen, daß die besondere Rolle der Fraktion gerade in einer erzieherischen Rolle der Kader durch die Aufarbeitung der Erfahrung besteht, und dies durch die gewissenhafte Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser Ereignisse erfolgen muß. Aber es trifft auch zu, daß diese hauptsächlich ideologische Arbeit auch die Bewegung der Massen berücksichtigen und jeweils politische Lösungen für den Erfolg dieser Massenbewegungen anbieten muß. Ohne die Arbeit der Fraktionen wäre Lenin selber ein Bücherwurm geblieben und kein revolutionärer Chef geworden.

Die Fraktionen sind also der einzige historische Ort, an dem die Arbeiterklasse ihre Aufgabe für die Organisierung als Klasse fortführen kann. Von 1928 bis heute hat der Genosse Trotzki diese Arbeit des Aufbaus der Fraktionen vollkommen vernachlässigt, und deshalb hat er nicht zur Verwirklichung der Bedingungen zum Entstehen einer neuen Massenbewegung beigetragen"[22].

Wie man sieht ist die Ironie Battaglias über die Fraktion als eine vor den Massen flüchtende Sekte ganz fehl am Platz. BILAN hatte die gleiche Sorge wie die Bolschewiki, nämlich "dazu beizutragen, die Entwicklung für die Bedingungen einer Massenbewegung zu erfüllen". Die Tatsache, daß die quantitative Dimension der Verbindungen zu den Massen, den die Bolschewiki in den Jahren um 1910 und die Italienische Linke in den 30er Jahren hatten, ganz anders war, hängt sicher nicht von den persönlichen Tendenzen des einen oder anderen ab, sondern von den objektiven Bedingungen des Klassenkampfes, die ganz unterschiedlich waren. Die bolschewistische Fraktion war nicht zusammengesetzt aus einer Gruppe von Genossen, die den Tod einer Partei überlebt hatten. Sondern sie waren eine Gruppe von Genossen,  die in einer Zeit der Konterrevolution und der tiefsten Niederlage des Proletariats lebten. Es handelte sich um einen (oft in der Mehrheit befindlichen) Teil einer proletarischen Massenpartei (wie alle Parteien der 2. Internationale), die in einer unmittelbar vorrevolutionären Phase (1904) gegründet worden waren, und die sich während einer gewaltigen revolutionären Welle entfaltet hatte, welche zwei Jahre lang (1905-6) das gesamte russische Reich vom Ural bis hin zu Polen erschütterte. Wenn man quantitative Vergleiche zwischen den Aktionen der Fraktion der Italienischen Linken und denen der Bolschewiki anstellen will, muß man sich auf eine Zeit beziehen, die geschichtlich relativ vergleichbar ist, d.h. den revolutionären Jahren zwischen 1917-21. Während jener Jahre entfaltete sich die "Abstentionistische Kommunistische Fraktion" (linke Fraktion der PSI) so, daß sie zur Zeit der Gründung der Italienischen Kommunistischen Partei ein Drittel der Mitglieder der alten sozialistischen Massenpartei und die Gesamtheit des Jugendverbandes umfaßte. Die Genossen, die dazu in der Lage gewesen waren, diesen Prozeß zu steuern, wirkten 10 Jahre später in der Fraktion der Linken im Ausland mit, obgleich ihre Anzahl damals auf ein gutes Dutzend Kader zusammengeschmolzen war. Was hatte sich geändert? Hatten die Genossen nicht mehr den Willen, eine Massenbewegung zu führen? Natürlich nicht!

"Seitdem wir bestehen, war es uns nicht möglich eine Massenbewegung zu führen. Wir müssen uns klar vor Augen halten, daß dies nicht von unserem Willen abhing, von unserer Unfähigkeit, oder aufgrund der Tatsache, daß wir eine Fraktion gewesen wären, sondern dies ist zurückzuführen auf eine Situation, deren Opfer wir waren, genauso wie die revolutionäre Arbeiterklasse der ganzen Welt selber das Opfer dieser Verhältnisse ist" (BILAN, Nr. 28, 1935).

Was sich geändert hatte, waren also die objektiven Bedingungen des Klassenkampfes, der  von einer vorrevolutionären Phase - welche die Umwandlung der Fraktion zur Partei auf die Tagesordnung stellte - zu einer konterrevolutionären Phase übergewechselt war, welche die Fraktion zwang, gegen den Strom zu schwimmen. Durch ihre Arbeit trug sie zur Entfaltung neuer Situationen bei, die die erneute Umwandlung zur Partei auf die Tagesordnung stellen würden.

VON DER BOLSCHEWISTISCHEN FRAKTION DER SDAPR ZUR KOMMUNISTISCHEN PARTEI RUSSLANDS

Wenn man die Positionen Battaglias kritisiert, kommt man immer auf den entscheidenden Punkt, d.h. auf die Bedingungen für das Entstehen der Partei zu sprechen. Wir haben gesehen, wie BC gerne Lenin von der beleidigenden Bezeichnung "guter Fraktionist", die er ja schon von 1902 trug,  weißwaschen möchte. Weil sie Konzessionen machen wollen, sind die Genossen von BC bereit, ein Lippenbekenntnis abzulegen und zu sagen, daß die Bolschewistische Partei nur von 1912 existiert habe, unter der Voraussetzung, daß sie eindeutig vor der revolutionären Phase bestanden habe, die im Februar 1917 anbrach. Sie wollen auf jeden Fall vermeiden zuzugeben, daß der Kampf der bolschewistischen Fraktion der SDAPR 1917 in der Umwandlung zur Kommunistischen Partei Rußlands (Bolschewisten) mündete, weil dies bedeutete einzugestehen, daß "die Umwandlung der Fraktion der Partei bedingt wird ... durch das Auftauchen von revolutionären Bewegungen, die es der Fraktion ermöglichen würden, die Führung der Kämpfe um den Aufstand zu übernehmen" (BILAN, Nr. 1, 1933). Man muß also klären, ob diese Umwandlung 1912 - fünf Jahre vor der Revolution - stattgefunden hat oder nicht.

Was war 1912 passiert? In Prag hatte es eine Konferenz der territorialen Organisationen der SDAPR gegeben, welche in Rußland tätig waren. Und diese Konferenz hatte eine Neuorganisierung der Partei ermöglicht, welche nach der Niederlage der Revolution von 1905 zerstört worden war. Auch war ein neues Zentralkomitee gewählt worden, welche das zuvor aufgelöste ersetzte. Die Konferenz und das neue Zentralkomitee waren von den Bolschewiki beherrscht worden, während die anderen Tendenzen der SDAPR  sich nicht an der "spalterischen" Initiative Lenins beteiligten.

Auf den ersten Blick scheint Battaglia recht zu haben: eine Konferenz der Bolschewiki hat die Initiative zum Wiederaufbau der Partei ergriffen, unabhängig von den anderen Fraktionen. Also von jenem Moment an handelten die Bolschewiki als Partei, ohne auf den Anbruch einer vorrevolutionären Phase zu warten. Aber wenn wir uns das ganze etwas näher betrachten, kann man sehen, daß das alles etwas anders war. Die Geburt einer revolutionären Fraktion innerhalb der alten Partei fand statt als Reaktion gegen  die Krankheiten der Partei, gegen ihre Unfähigkeit, ausreichende Antworten auf die neuen historischen Notwendigkeit zu liefern, auf die Löcher, die offen gebliebenen Fragen  in ihrem Programm. Die Umwandlung der Fraktion zur Partei heißt nicht, daß man ganz einfach zum vorherigen "Status Quo" zurückkehrt, zur alten, von den Opportunisten leergefegten Partei. Das heißt Bildung einer neuen Partei, die auf dem neuen Programm fußte, die die vorherigen Unklarheiten eliminiert hatte, wobei man sich auf die "reinsten" Prinzipien der revolutionären Fraktion stützte. Andernfalls wäre man zum Ausgangspunkt zurückgekehrt, von wo aus sich die gleiche opportunistische Abweichung entfaltet hätte, die jetzt verjagt worden war. Und soll Lenin 1912 die Fraktion zur Partei auf der Grundlage eines "neuen Programms" umgewandelt haben? Selbst im Schlaf hätte er nicht solch eine Idee gehabt. Erstens bringt die Resolution, die von der Konferenz abgestimmt wurde, die Wichtigkeit der Arbeit zum Ausdruck, die für den "Zusammenschluß aller Parteiorganisationen Rußlands ohne Unterschied der Fraktionen sowie für den Wiederaufbau unserer Partei"[23] geleistet wurde. Es handelte sich also keineswegs um eine rein bolschewistische Konferenz, zumal ihre Organisierung zum Großteil dem territorialen Komitee in Kiew übertragen worden war, das von den Menschewisten beherrscht wurde, und es war gerade ein Menschewik, der der Mandatsprüfungskomission vorstand[24]. Von einer Änderung des alten Programms war nichtmal die Rede, und die getroffenen Entscheidungen bestanden einfach in der Anwendung der Resolutionen, welche die Liquidatoren verurteilten. Es handelte sich dabei um Resolutionen, die 1908 und 1910 von den "Repräsentanten aller Fraktionen" verabschiedet worden waren.

Die Konferenz setzte sich also nicht nur aus "Mitgliedern der Partei zusammen, unabhängig von ihrer Fraktionszugehörigkeit", sondern sie stützte sich auch auf eine Resolution, die von "den Repräsentanten aller Fraktionen" unterstützt wurde. Es liegt auf der Hand, daß es sich nicht um die Gründung einer neuen bolschewistischen Partei handelte, sondern um die einfache Neuorganisierung der alten sozialdemokratischen Partei. Es lohnt sich hervorzuheben, daß solch eine Umorganisierung nur als möglich angesehen wurde, weil "die Arbeiterbewegung wieder auf dem aufsteigenden Pfad" sei[25]  nach den Jahren der Reaktion von 1908-1910. Wie man sieht, dachte Lenin überhaupt nicht an die Gründung einer neuen Partei vor den revolutionären Schlachten, sondern er hatte nicht mal die Illusion der Neuorganisierung dieser alten Partei, wenn es keine neue Phase des Klassenkampfes geben würde. Die Genossen von Battaglia - und nicht nur sie - sind so sehr von dem Wort Partei hypnotisiert, daß sie nicht mehr in der Lage sind, die Tatsache mit klarem Kopf zu untersuchen, wobei sie als eine entscheidende Wende das bezeichnen, was in Wirklichkeit eine wichtige Etappe bei dem Prozeß der Abgrenzung vom Opportunismus war. Die Wahl eines Zentralkomitees 1912 auf einer Konferenz, in der die Bolschewiki die vorherrschende Gruppe waren, kann nicht als Beweis für das Ende der Fraktionsphase und als den Anfang der Phase der Partei aufgefaßt werden. Ganz einfach schon allein, weil es in London 1905 eine ausschließlich von Bolschewiki besuchte Konferenz gegeben hatte, die sich als den 3. Kongreß der Partei bezeichnet hatte, und die ein Zentralkomitee gewählt hatte, welches ausschließlich aus Bolschewiki bestand und die Menschewiki als außerhalb der Partei stehend auffaßte. Aber im darauffolgenden Jahr wurde sich Lenin des Fehlers bewußt, der begangen worden war, und auf dem Kongreß von 1906 hatte sich die Partei wieder zusammengeschlossen, wobei die beiden Fraktionen als Fraktionen ein- und derselben Partei auftraten. So schätzte Lenin zwischen 1912-14 die Situation auch so ein, daß die Phase des Kampfes der Fraktion jetzt dabei sei vorüberzugehen und daß die Stunde der endgültigen Herauskristallisierung geschlagen habe. Aus einem eng russischen Standpunkt aus konnte dies vielleicht zutreffen, aber aus einem internationalen Standpunkt aus war dies sicherlich eine vorreife, verfrühte Einschätzung:

"Diese Fraktionsarbeit Lenins fand nur innerhalb der russischen Partei statt, ohne zu versuchen, diese auf internationaler Ebene auszudehnen. Man muß nur seine verschiedenen Interventionen auf den verschiedenen Kongressen lesen, um sich davon zu überzeugen, und man kann sehen, daß diese Arbeit außerhalb der russischen Kreise vollkommen unbekannt blieb".[26].

Praktisch fand dann die endgültige Herauskristallisierung zwischen 1914 und 1917 gegenüber der doppelten Herausforderung des Krieges und der Revolution statt, die unter den Sozialisten eine klare Abgrenzung zwischen Sozialpatrioten und Internationalisten bewirkte. Lenin war sich dessen voll bewußt - und genauso wie er 1906 für die Wiedervereinigung der Partei gekämpft hatte - trat er im Februar 1915 dafür ein, als er der Gruppe Trotzkis "Nashe slovo" antwortete: "Wir sind voll mit euch einverstanden, daß die Sammlung aller wirklichen sozial-demokratischen Internationalisten eine der dringendsten Aufgeben der jetzigen Zeit ist..."[27].

Das Problem war, daß aus Lenins Sicht die Vereinigung der Internationalisten in einer wirklich kommunistischen Partei nur unter der Bedingung möglich war, daß man diejenigen, die nicht wirklich konsequent internationalistisch waren, beiseite drängt und herausschmeißt, während Trotzki - wie gewohnt - das Unversöhnliche "versöhnen" wollte. Denn er wollte die Einheit der internationalistischen Partei "auf der Union all der Fraktionen" bauen, wobei diejenigen eingeschlossen wären, die nicht bereit wären, mit den Feinden des Internationalismus zu brechen. Drei Jahre lang hat Lenin unaufhörlich gegen diese Illusionen gekämpft, als er seinem Fraktionskampf um die Klarheit von dem zuvor ausschließlich russischen Rahmen auf eine internationale Ebene übertrug, den der "Zimmerwälder Linken"[28]. Dieser große internationale Kampf war der Gipfel und der Abschluß der Fraktionsarbeit der Bolschewiki, die bei Ausbruch der Revolution in Rußland gut vorbereitet dastanden. Dank dieser Kampftradition und aufgrund der Entwicklung einer revolutionären Situation konnte Lenin unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Rußland die Vereinigung der Bolschewiki mit den anderen konsequenten Internationalisten auf der Grundlage eines neuen Programms vorschlagen. Der neue Name sollte "Kommunistische Partei" sein, wodurch der alte Begriff "Sozialdemokratie" ersetzt wurde. Dadurch kam es zum letzten Ausscheidungsprozeß bei den rechten Bolschewiki (Voitinski, Goldenberg), die zu den Menschewiki überwechselten, während das Zentrum der "alten Bolschewiki" (Sinowjew, Kamenew) sich Lenin entgegenstellte unter Berufung auf das alte Programm, auf das sich die Konferenz von 1912 gestützt hatte. Lenin wurde beschuldigt, der "Totengräber des ganzen bolschewistischen Kampfes" zu sein. Darauf erwiderte er, daß der ganze Kampf der Bolschewiki nur eine Vorbereitung für den Aufbau einer wirklich kommunistischen Partei gewesen sei: "Schaffen wir eine proletarische kommunistische Partei; Elemente einer solchen Partei haben die besten Anhänger des Bolschewismus bereits aufgebaut.[29]“ Hier kam der lange Kampf der bolschewistischen Fraktion zum Abschluß, hier kam es zur wirklichen Umwandlung zur Partei. Wir sagen wirklichen, weil von einem formalen Standpunkt aus der Name Kommunistische Partei erst im März 1918 eingeführt wurde, während die endgültige Fassung des neuen Programms erst im März 1919 angenommen wurde. Aber der grundsätzliche Übergang fand im April 1917 statt (8. Gesamtrussische Konferenz der Bolschewiki). Man darf nicht vergessen, was eine Partei von einer Fraktion unterscheidet, ist ihre Fähigkeit, direkt den Lauf der Ereignisse zu beeinflussen. Die Partei ist tatsächlich "ein Programm, aber auch ein Willen zur Handlung" (Bordiga), unter der Voraussetzung natürlich, daß dieser Willen auch in objektiv günstigen Voraussetzungen für die Entwicklung einer Klassenpartei zum Ausdruck kommen kann. Im Februar 1917  waren die Bolschewiki nur einige Tausend, und sie hatten keine führende Rolle bei dem spontanen Aufstand gespielt, der die revolutionäre Periode eröffnete. Ende April waren sie schon mehr als 60.000 und waren als einzige wirkliche Opposition gegen die bürgerliche provisorische Regierung anerkannt. Mit der Zustimmung zu den Aprilthesen und der Notwendigkeit eines neuen Programms wurde die Fraktion zur Partei, und sie öffnete die Tür zum "roten Oktober".

Im nächsten Artikel dieser Serie werden wir untersuchen, wie die besonderen und geschichtlich neuen Bedingungen des Niedergangs der russischen Revolution das Auftauchen einer Linksfraktion verhindert haben, um in der entartenden bolschewistischen Partei den Kampf Lenins innerhalb der sozialdemokratischen Partei wieder aufzunehmen. Die Unfähigkeit der russischen Opposition, eine Fraktion zu bilden, legte die Grundlage für das historische Scheitern der trotzkistischen internationalistischen Opposition, während die Italienische Linke - sich auf die Arbeitsmethode Marxens und Lenins stützend - von 1937 an in der Lage war, eine Internationale Kommunistische Linke zu bilden[30]. Wir werden ebenfalls sehen, wie die Aufgabe dieser Arbeitsmethode von den Genossen, die die Internationalistische Kommunistische Partei 1943 gegründet haben, die Ursache ist für die Unfähigkeit, als revolutionärer Umgruppierungspol zwischen den Organisationen zu wirken (Battaglia Comunista und Programma Comunista), die aus dieser Partei hervorgingen.

Beyle.

(aus Internationale Revue, Nr. 65, englisch, französisch, spanische Ausgabe, 2. Quartal 1991).


[1] "Fraktion und Partei in der Erfahrung der Italienischen Linke",in Prometeo, Nr. 2,März 1979, 

[2] "Hin zur 2 3/4 Internationale?" in BILAN; Nr. 1, Nov. 1933

[3] Es konnte keine voll entwickelte Klassenpartei geben. Der Bund der Kommunisten und die I. Internationale waren beide Klassenparteien, die der Entwicklung der Bewegung der Arbeiterklasse voll entsprachen. (Hinweis der IKS).

[4] "Das Problem der Fraktion in der II. Internationale", in BILAN, Nr. 24,1935.

[5] Marx verstand darunter eine wirklich sozialistische Zeitung. Die unterschiedslose Verwendung des Wortes 'Partei' zeigt klar, daß man noch in den Kinderschuhen steckte bei der historischen Definition der Struktur und der Funktion der Klassenpartei.

[6] siehe dazu die Korrespondenz von Marx und Engels mit den Führern der deutschen Partei,

[7] Während des I. Weltkriegs schwankte die Führung der holländischen Sozialdemokratie zwischen einer Politik der zweideutigen Unterstützung des englisch-amerikanischen Imperialismus. Die internationalistischen Schriften der linken Parteimitglieder wie Gorter wurden einer Zensur unterworfen; siehe dazu "Die holländische Linke", Artikelsammlung der IKS.

[8] Die ersten Teile dieser Artikelserie wurden in der International Review Nr. 59/61 (engl., franz., spann. Ausgabe) veröffentlicht. Weiteres Vertiefungsmaterial in "La Gauche Communiste d'Italie, 1927-52 (erhältlich auch auf Englisch), sowie "Rapports entre fraction de gauche du PC d'Italie et l'Opposition de Gauche Internationale 1929-1933".

[9] Siehe 3. Teil "Von Marx bis Lenin, 1848-1917, I. Lenin und die Bolschewiki",

[10] Intervention Bordigas auf dem 6. erweiterten Exekutivkomitee der Komintern 1926.

[11] "1902 schon hatte Lenin die taktischen und organisatorischen Grundlagen geschaffen, auf der die Alternative zum Opportunismus der russischen Sozialdemokratie, die Parteialternative aufgebaut wurde; es sei denn man möchte "Was tun?" als die 10 Gebote des guten Fraktionisten darstellen" ("Fraktion und Partei in der Erfahrung der Italienischen Linken", in Prometeo Nr. 2, März 1979).

[12] Die (mehrheitlichen) Bolschewiki auf dem Kongreß von 1903 der SDAPR waren das Ergebnis der vorübergehenden Allianz zwischen Lenin und Plekanov. Die Fraktion von 1904 nannte sich Bolschewistisch, um sich auf die Positionen zu berufen, die von der Mehrheit des Kongresses von 1903 vertreten wurde.

[13] Es ist aufschlußreich, daß die vollständige Theoretisierung des Konzeptes der Fraktion durch Lenin erst in den Jahren der furchtbaren Reaktion nach der Revolution von 1905 stattfand. Erst die Aktivität der Fraktion machte es möglich, den ungünstigen Zeiten zu widerstehen.

[14] "Über die neue Fraktion der Versöhnler oder die Tugendhaften", Sozialdemokrat Nr. 24, 18(31) Okt. 1911, Lenin, Ges. Werke, Bd. 17,

[15] "Beratung der erweiterten Redaktion des "Proletari", 8-17(21-30) Juli 1909, Bd 15, S. 432).

[16] "Die Liquidierung des Liquidatorentums", Proletari Nr. 46, 11 (24) Juli 1909, Bd 15).

[17] Ebenda, siehe Fußnote 7

[18] "Das Problem der Fraktionen in der 2. Internationale", in BILAN Nr. 24, 1935.

[19] Ebenda, Fußnote 7

[20] ("Zu den nächsten Aufgaben", 12/25. Juli 1909, Bd 15, S. 358).

[21] Politische Plattform der Internationalistischen KP (BC) von 1952. In einer neulich stattgefundenen Aktualisierung im Jahre 1982 ist dieser Absatz unverändert übernommen worden.

[22] "Hin zur 2 3/4 Internationale" in BILAN Nr. 1, 1933, Auszüge sind im "Bulletin d'Etude et de Discussion de Révolution Internationale", Nr. 6, April 1974.

[23]  (6. Konferenz der SDAPR in Prag, 6-17 (18-30) Jan. 1912, Resolution der Konferenz, "Über die Organisationskommission Rußlands, die mit dem Aufruf zur Konferenz befaßt ist", Bd 17.

[24] "Die Situation in der SDAPR und die unmittelbaren Aufgaben der Partei", 16.Juli 1912, Gazeta Robotnicza, Nr. 15-16, Bd 18,  "Es war gerade der Delegierte dieser Organisation (aus Kiew), der der Vorsitzende der Mandatskommission auf der Konferenz wurde".

[25] Aus den Resolutionen der Konferenz. Lenin kam 1915 nochmal auf dieses Thema zu sprechen: "Die Jahre 1912-14 standen im Zeichen des Beginns eines neuen grandiosen revolutionären Aufschwungs in Rußland. Wir wurden aufs neue Zeugen einer gewaltigen Streikbewegung, wie sie die Welt noch  nicht gesehen hatte. Am revolutionären Massenstreik nahmen im Jahre 1913 nach den minimalsten Berechnungen anderthalb Millionen teil, im Jahre 1914 überstieg die Zahl schon 2 Mio. und näherte sich dem Stand von 1905" (Sozialismus und Krieg, "Die Arbeiterklasse und der Krieg", MEW Bd 21, S. 321, Sommer 1915).

[26] "Das Problem der Fraktionen in der 2. Internationale", BILAN, Nr. 24, 1935

[27] "Brief des ZK der SDAPR an die Reaktion des Nashe Slovo", 10 (23) März 1915, Bd. 21

[28] Für ein umfassenderes Verständnis der Rolle der Bolschewiki bei der Zimmerwalder Konferenz siehe "International Review" Nr. 57.

[29] "Zur Doppelmacht", Prawda, Nr. 28, 9.April 1917, Bd. 24.

[30] Siehe die beiden ersten Teile dieser Artikelserie zur Geschichte der Italienischen Fraktion in den 30er Jahren.

Die italienische kommunistische Linke

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Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Italienische Linke [2]

Die italienische kommunistische Linke; Einleitung

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Bis heute ist die Italienische Linke (sinistra italiana) selbst in dem Land, wo sie entstanden war, und dort, wo sie sich weiter entwickelt hatte, unbekannt, wenn nicht gar verkannt geblieben. 
Sie war in Italien in den Jahren vor dem I. Weltkrieg um Amadeo Bordiga, ihrem bekanntesten Führer, entstanden und stand von 1921 bis 1925 an der Spitze der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI). Damals spielte die Strömung um Gramsci nur eine untergeordnete, zweitrangige Rolle. Als rechtem Flügel gestaltete es sich ihm trotz der Unterstützung durch die Komintern als schwierig, die linke Führung, die von der Mehrheit der PCI-Mitglieder unterstützt wurde, beiseite zu drängen. Doch nach dem Kongress von Lyon 1926 wurde die alte „bordigistische“ Mehrheit langsam aus der Partei gedrängt. Kurz darauf wurde ihr prominentestes Mitglied, Bordiga, ins Gefängnis geworfen. Nach seiner Haftentlassung zog er sich aus allen militanten Aktivitäten zurück und widmete sich seinem Beruf als Ingenieur und Architekt. Erst 1944 brach er sein Schweigen wieder.
So setzten die italienischen Linkskommunisten ihre Aktivitäten ohne Bordiga und außerhalb Italiens fort, wo die „faschistischen“ Gesetze jede organisierte politische Aktivität unmöglich gemacht hatten. 1927 wurden sie linke Fraktion der PCI, 1935 schließlich Fraktion der Kommunistischen Linken. In der ganzen Zeit ihrer Existenz, von ihrer Gründung in Pantin 1927 bis zu ihrer Auflösung 1945, machte sie sich das Erbe der Partei, als Bordiga noch die Führung innegehabt hatte, zu eigen und entwickelte es weiter.
Nachdem sie 1926 ins Exil verschlagen worden waren, verloren die italienischen Linkskommunisten allmählich die ursprünglich „italienischen“ Züge ihrer Herkunft und Entwicklung. Sie bildeten eine Gruppe von italienischen Emigranten, die sich vorwiegend in Frankreich und Belgien aufhielten, und beriefen sich auf die ursprünglichen Traditionen der PCI. Zur Auswanderung gezwungen und sich eng an die Traditionen der Kommunistischen Internationalen anlehnend, verteidigten sie nicht irgendwelche Nationen oder Landesgrenzen, sondern waren als „italienische“ Fraktion wahrhafte Internationalisten. Diese Fraktion existierte nicht nur in Frankreich und Belgien, sondern später auch in den USA. Einige Jahre lang gab es sogar Genossen in Russland und Kontakte in Mexiko. Ihr gelang es nicht nur, die bei politischen Emigranten häufig anzutreffende Erscheinung der inneren Emigration zu überwinden. Sie suchte stets auch die Auseinandersetzung mit den Ideen all jener Gruppen, die aus der Komintern ausgetreten oder ausgeschlossen worden waren, von den Trotzkisten bis zu den Linkskommunisten, die mit Trotzki gebrochen hatten. Ungeachtet einer Reihe von Spaltungen innerhalb dieser Gruppen und ihrer Abwege war dieses Beharren auf eine Auseinandersetzung fruchtbar. 1937 entstand eine belgische Fraktion, die aus der Ligue des communistes internationalistes (LCI – Bund der Internationalen Kommunisten) um Hennaut hervorgegangen war, 1944 schließlich eine französische Fraktion. Dies beweist unstrittig die Ausdehnung ihres Einflusses, der jedoch eher politisch als zahlenmäßig erfasst werden kann. Die Italienische Kommunistische Linke war keine spezifisch italienische Linke mehr, sondern wurde 1938 zur internationalen Kommunistischen Linken; es wurde ein Internationales Büro der Fraktionen eingerichtet.
Die Italienische Linke war und blieb in ihren politischen Positionen und Aktivitäten durch und durch internationalistisch. Internationalismus hieß für diese kleine Arbeiterorganisation, keinen Verrat am Weltproletariat zu begehen. Zu einer Zeit, die sich für die vom Proletariat immer isolierteren Gruppen als besonders schlimm erwies, war sie eine der wenigen Organisationen, die beschlossen hatten, gegen den Strom zu schwimmen. Sie weigerte sich, die Demokratie gegen den Faschismus zu unterstützen; sie lehnte die Verteidigung der UdSSR genauso ab wie die nationalen Befreiungskämpfe. In einer vom Krieg überschatteten Zeit trat sie, wie Lenin 1914, unermüdlich für den „revolutionären Defätismus“ gegenüber allen militärischen Lagern ein; und ebenso unermüdlich vertrat sie die Notwendigkeit einer proletarischen Weltrevolution als einzige Lösung für die von Krisen, Kriegen und massivem Terror erschütterten Welt.
Ungeachtet der Ablehnung, ja, gar Feindschaft, auf die sie unter den Arbeitern stieß, von denen eine große Mehrheit den Aktivitäten der Volksfront und des Antifaschismus folgte, trat sie für ihre Auffassung ein, die da lautete: „Keinen Verrat begehen!“. In ihrer ohnehin schon großen Isolation traf sie die schwere Entscheidung, sich mit ihrer vorbehaltlosen Verteidigung von internationalistischen Positionen gegen den Krieg noch weiter zu isolieren. Während des Spanienkriegs war sie in Frankreich die einzige Gruppe, die der republikanischen Regierung die Unterstützung, gleich unter welchen Umständen, versagte und zur Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg aufrief. Dabei wurde sie lediglich von einer kleinen Minderheit in der LCI Belgiens und einer kleinen mexikanischen Gruppe unterstützt, ansonsten stand sie gegenüber der Union Communiste in Frankreich, der LCI in Belgien, der Revolutionary Workers League (RWL) in den USA völlig allein da. Als Preis für diese kompromisslose Verteidigung ihrer Positionen musste sie selbst eine Spaltung hinnehmen, in deren Folge eine wichtige Minderheit austrat. Obwohl zahlenmäßig geschwächt, ging die Linksfraktion politisch gestärkt aus dieser Phase hervor. Als der Krieg ausbrach, war sie neben den holländischen Internationalisten, den deutschen RKD und den französischen Communistes Révolutionaires die einzige Gruppe, die den imperialistischen Krieg, die Résistance und Partisanenkriege ablehnte. Stattdessen setzte sie all dem die Notwendigkeit einer proletarischen Revolution entgegen, die Blöcke und militärische Fronten aller Art negiert. Den Massakern an den Arbeitern im Krieg setzte sie die Fraternisierung über alle Grenzen hinweg entgegen.
Beim Versuch der Charakterisierung ihrer Positionen haben einige Historiker bzw. politische Gegner ihr das doppelte Etikett „linksradikal“ und „bordigistisch“ anzuheften versucht. Tatsächlich war die italienische Kommunistische Linke weder linksradikal noch bordigistisch. Sie hat sich stets gegen diese Bezeichnung gewehrt. Sie trachtete nie nach einer eigenen, „originellen“ Position. Obgleich sie, zusammen mit der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschland (KAPD), von Lenin in dessen Schrift „Der linke Radikalismus – eine Kinderkrankheit im Kommunismus“ angegriffen wurde, war sie vor allem der Ausdruck der Linken in der Komintern. Sie strebte danach, die revolutionären Traditionen der ersten beiden Kongresse fortzusetzen. Sie war eine der ersten linkskommunistischen Strömungen, die in der Komintern entstanden waren, und sie war eine der letzten, die aus ihr ausschieden, und das nicht freiwillig, sondern weil sie ausgeschlossen wurde. Obwohl sie ständig von Trotzki als „Linksradikale“ angegriffen wurde, arbeitete und diskutierte sie jahrelang mit der trotzkistischen Strömung, bis sie dann auch aus ihr ausgeschlossen wurde. Als konsequent marxistische Strömung vor dem I. Weltkrieg entstanden, blieb sie der ursprünglichen Stringenz der Komintern noch treu, als diese sich schon in Richtung der „Taktik“ der Volksfront und der Arbeiterregierungen bewegte.
Die Italienische Kommunistische Linke blieb als Strömung am Leben, weil ihre politische Erfahrung sie dazu veranlasste, die Schemata der Vergangenheit zu überprüfen und diejenigen in Frage zu stellen, die ihr überholt erschienen, und nicht, weil sie den "Extremismus“ suchte. Sie war der Auffassung, dass die russische Erfahrung nicht zu einem unantastbaren Heiligtum erhoben, sondern einer harten und schonungslosen Kritik unterworfen werden musste. Für sie war der Marxismus weder eine Bibel, noch bestand er aus einer Reihe von Rezepten. Er sollte durch die Erfahrungen der Arbeiterklasse bereichert werden. Sie lehnte es ab, Lenin und Bordiga als quasi-religiöse Dogmenverkünder darzustellen. Davon ausgehend, dass die Russische Revolution und die ihr folgende Zeit einer genauen Bilanz (Bilan) unterzogen werden mussten, scheute sie nicht davor zurück, einige Positionen Lenins und Bordigas zu kritisieren, obwohl sie sich ansonsten auf diese beiden berief. Ob in der Gewerkschaftsfrage, der Frage der nationalen Befreiungskämpfe oder in der Frage über die Übergangsperiode, wann immer es ihr als notwendig erschien, schreckte sie nicht vor der Formulierung neuer Positionen zurück. Daher kann sie nicht mit dem Etikett „leninistisch“ oder „bordigistisch“ versehen werden. Es war sicherlich diese kritische Bilanz der Vergangenheit, die es ihr ermöglichte, den II. Weltkrieg zu überleben und bis heute als historische Strömung fortzubestehen.
Dass die Italienische Linke, die zu Unrecht als „bordigistisch“ bezeichnet wird, solange in der Emigration überlebt hat, kann nicht durch die Anwesenheit von Persönlichkeiten wie Ottorino Perrone (Vercesi) erklärt werden, der einer ihrer Hauptführer war. Er mag noch so brillant gewesen sein, aber letztendlich war Perrone nur die Verkörperung der theoretischen und politischen Aktivitäten aller Militanten. Sein politisches Zaudern, ja, seine überraschende Beteiligung an der „antifaschistischen Koalition“ in Brüssel 1944/45 zeigen, dass die politische Kontinuität der Italienischen Linken mehr von der Organisation in ihrer Gesamtheit abhing als von einzelnen Individuen. Einer Formulierung der Italienischen Fraktion zufolge – eine Formulierung, die ihr sehr wichtig war -, brachte sich jeder einzelne Genosse so in der Organisation zum Ausdruck, wie umgekehrt die Organisation in jedem einzelnen Genossen zum Ausdruck kam. Und wenn sie dennoch Führer der Arbeiterbewegung, wie Lenin, pries, dann nur, um die Verkörperung des organischen Lebens der Partei in Gestalt dieser „Führer“ zu demonstrieren. Insgesamt aber versuchte sie soweit wie möglich, die bekanntesten und respektiertesten Gesichter anonym zu halten. Somit folgte sie einem Anliegen Bordigas, der in den 20er Jahren stets dafür eingetreten war, dass das Leben der Partei nicht durch das „Führer, wir folgen dir“-Prinzip geprägt wird, sondern durch ihr politisches Programm.
Überraschenderweise gehen die gegenwärtigen Gruppen, die sich auf die Tradition der Italienischen Linken berufen, oft mit Schweigen über ihre eigene Geschichte hinweg, obwohl einige ihrer Mitglieder aus der Italienischen Fraktion stammen. Wenn sie denn über Bilan reden, dann stellen sie diese Zeitschrift als ein kleines Blatt italienischer Emigranten dar, aber hüllen sich über die von Bilan vertretenen Positionen in Schweigen. Dies trifft beispielsweise auf die Parti Communiste Internationale (PCI/IKP) zu, die die Zeitschrift Programme Comuniste (Kommunistisches Programm) veröffentlicht. Obgleich sie sich auf eine „vollständige Kontinuität mit der Italienischen Linken seit 1921 beruft und auf eine Invarianz ihrer Positionen, einer absoluten Treue gegenüber allen Positionen Bordigas und Lenins in den 20er Jahren“, scheint sie das Leben der Italienischen Fraktion zwischen 1926 und 1945 zu ignorieren.
In der Geschichte der Italienischen Linken ereignete sich zwischen 1943 und 1945 ein bedeutender Bruch, als die Partito Comunista Internazionalista Italiens gegründet wurde. Dies führte seinerzeit in Frankreich und Belgien zur Auflösung der Italienischen Fraktion, nachdem sich die meisten ihrer Mitglieder der neuen Partei anschlossen hatten, obgleich sie nicht einmal ihr Programm kannten. Bei aller Begeisterung, mit der sie der italienischen PCInt beitraten – einer Partei, die immerhin mehrere Tausend Mitglieder zählte und an deren Spitze so prominente Führer wie Bordiga, Damen und später auch Perrone standen –, wurden viele Divergenzen vorübergehend in den Hintergrund gerückt. Viele Militante hegten die heimliche Hoffnung, dass die Partei aus der Ära von Livorno und Bordigas wiederauferstehen würde. Das Gefühl der zahlenmäßigen Stärke der PCInt führte zu einer sektiererischen Politik, die im Gegensatz zur Praxis der Fraktion der Kommunistischen Linken in Frankreich und Belgien stand. Die PCInt lehnte jede Diskussion und Auseinandersetzung mit Gruppen wie der RKD-CR ab, obwohl auch diese sich geweigert hatten, den Krieg zu unterstützen, und konsequent internationalistische Positionen vertreten hatten. Die PCInt schloss faktisch die französische Fraktion aus, die die Tradition von Bilan fortsetzen wollte und deren Verdienst es war, die schlummernden Kräfte der belgischen und italienischen Fraktionen während des Krieges wieder geweckt zu haben.
Einige Jahre später geriet die gerade gegründete PCInt in eine tiefe Krise, die in einer Reihe von Spaltungen und Austritten kulminierte. Die Mitgliederzahl der Partei schrumpfte rapide. Sie wurde zu einer kleinen Organisation von Militanten, die sich weiterhin „Partei“ nannte, obgleich sie weder die Form noch die Mittel dazu besaß; denn sie existierte in einer Zeit, in der, ähnlich wie in den 30er Jahren, proletarische Organisationen isoliert blieben. 1952 trennte sich die Tendenz um Damen, Mitbegründer der PCInt, nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit Bordiga, der nicht einmal Mitglied der Partei war, von der rein „bordigistischen“ Tendenz. Letztere berief sich auf die Thesen von Bordiga und Lenin aus den 20er Jahren und verwarf all die theoretischen Auseinandersetzungen von Bilan, Octobre und Communisme in den 30er Jahren.
Heute bekennt sich unter all den bestehenden Gruppen der Italienischen Linken lediglich Battaglia Comunista,  die sich in der Tradition der von Damen 1943 gegründeten PCInt sieht, zu Bilan. Doch nach der Spaltung von 1952 schlossen sich die meisten der Mitglieder der ehemaligen Fraktion der Italienischen Linken der Tendenz Damens an.
Ohne direkt aus der Italienischen Kommunistischen Linken in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen hervorgegangen zu sein, beruft sich heute dennoch die Internationale Kommunistische Strömung (IKS) ausdrücklich auf Bilan und auf die französische Fraktion, die nach 1945 die Zeitschrift Internationalisme veröffentlichte und die Positionen von Bilan weiterzuführen gedachte. Vor allem die IKS hat die Texte von Bilan in mehreren Sprachen wiederveröffentlicht.
Heute eine Geschichte (oder besser: den Umriss einer Geschichte) der Italienischen Kommunistischen Linken zwischen den beiden Weltkriegen zu veröffentlichen, mag vielen als nutzloses Unterfangen erscheinen. Aber die Italienische Linke hatte einen Einfluss und eine Bedeutung, die weit über ihre zahlenmäßige Stärke hinausgingen. Heute, wo die herrschende Klasse mehr denn je über den „Tod des Kommunismus“ redet und uns immer wieder die Lüge, derzufolge Kommunismus gleich Stalinismus ist, auftischt, ist es um so wichtiger aufzuzeigen, dass es Kommunisten gab, die diese Lüge von Anbeginn aufgedeckt und die wirklichen Errungenschaften der Oktoberrevolution sowohl aufrechterhalten als auch kritisch weiterentwickelt hatten – und das gegen all die Verfälschungen und Verleumdungen durch die stalinistische Konterrevolution.
Die hier abgedruckten Kapitel sind Teil eines Buches, das im Dezember 1981 von der IKS veröffentlicht wurde. In dem Buch sind viele Quellenangaben und Fußnoten aufgeführt, die wir hier der besseren Lesbarkeit wegen weggelassen haben. Wenn wir dennoch die Originalfußnotennumerierung in der Broschüre mit aufführen, so deshalb, um ein Auffinden der Quellen zu erleichtern. Die Nummern beziehen sich auf die französische Originalausgabe.

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Kommunistische Linke [3]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Italienische Linke [2]

Kapitel 1: Die Ursprünge (1912 – 1926)

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KAPITEL 1

 

 

Alle Linken in den sozialdemokratischen Parteien entstammten der II. Internationale. Mit der reformistischen Strömung konfrontiert, die vor allem von Bernstein, Jaurès, Turati und Renner repräsentiert wurde, entstand die marxistische Strömung erst sehr spät. Zudem war sie mehr eine Tendenz linker Oppositioneller als eine wirklich international organisierte Fraktion innerhalb der Internationale. Zu Beginn des Jahrhunderts war die revolutionäre Strömung auf nationaler Ebene organisiert: zunächst 1903 in Russland und Bulgarien durch die Bolschewiki und „Tesniki", dann 1909 in den Niederlanden in Gestalt der neuen Partei Gorters und Pannekoeks. In der deutschen SPD, der viel beachteten und geachteten Führungspartei innerhalb der Internationale, waren die Linksradikalen um Rosa Luxemburg trotz der Gründung ihrer eigenen Partei in Polen, der SDKPIL, nicht als Fraktion organisiert. Obwohl die linken Strömungen schon lange die „opportunistische Gefahr" angeprangert hatten, begannen sie sich erst während des Weltkrieges international zu organisieren.

Die II. Internationale hatte sich als Föderation nationaler Sektionen ohne wirkliche Zentralisierung im Weltmaßstab gebildet, was zumindest teilweise der nationalstaatlichen Entwicklung des Kapitalismus geschuldet war. Das Internationale Büro in Brüssel, das unter der Leitung von Camille Huysmans stand, hatte eher die Aufgabe, die Sektionen zu koordinieren, als sie mit politischen Direktiven auszustatten. Es war der III. Internationale vorbehalten, erstmals in der Geschichte der Arbeiterbewegung eine internationale Organisation zu schaffen, ehe sich alle ihrer Mitglieder auf nationaler Ebene als Parteien konstituiert hatten.

Die starke Stellung der reformistischen Strömung und die Schwäche der konsequent marxistischen Gruppen waren nicht zufällig. Die ungeheure Entwicklung des Kapitalismus nach 1870 verleitete große Teile der Arbeiterbewegung zu glauben, dass der Kampf um Reformen und die daraus resultierenden realen Verbesserungen des Lebensstandards in den hochentwickelten Staaten die soziale Revolution hier und weltweit überflüssig gemacht hatten. Solange die Proletarier der verschiedenen Länder nicht mit der Realität von Weltkrieg und Weltkrise konfrontiert waren, erschien ihnen eine weltweite Arbeiterbewegung als Utopie, als Einfall überschwänglicher Geister. Auch die italienische Arbeiterbewegung entkam dieser für diese Zeit so charakteristischen Entwicklung nicht.

Die Geburt der Sozialistischen Partei Italiens

Bis 1870 war die italienische Arbeiterbewegung ausgesprochen schwach. Zu dieser Zeit existierten nicht mehr als 9.000 Industrieunternehmen, die etwa 400.000 Lohnarbeiter beschäftigten. 1871 zählte Engels, der von der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) zum Bevollmächtigten für Italien ernannt worden war, nur 750 Mitglieder in der italienischen Sektion der Internationale, der Federazione degli Operai. Im folgenden Jahr nahm diese Zahl wegen der Spaltung zwischen den Anhängern Mazzinis und den Sozialisten noch weiter ab. Die zunehmende Stärke der Anarchisten, eine allgemeine Tendenz in den weniger entwickelten Ländern, und das Verbot der italienischen Sektion der IAA 1874 ließen die sozialistische Arbeiterbewegung fast gänzlich verschwinden. Die Aufstände, die 1874 in der Romagna und 1877 in Benevent losbrachen, wurden von den Bakunisten dominiert.

Erst 1881 erschien mit der auf Initiative von Andrea Costa gegründeten Revolutionären Sozialistischen Partei der Romagna (RSP) wieder eine organisierte sozialistische Kraft. Ihr Programm basierte auf dem revolutionären Marxismus. So hieß es darin:

„Die RSP der Romagna ist revolutionär und muss es sein. Die Revolution ist vor allem ein gewalttätiger materieller Aufruhr der Massen gegen die Hindernisse, die die existierenden Institutionen der Bestätigung und Realisierung des Volkswillens in den Weg legen.

Daher ist die Revolution die zeitweilige Diktatur der arbeitenden Klassen, die Ansammlung aller gesellschaftlichen Kräfte (ökonomisch, politisch, militärisch) in den Händen der aufständischen Arbeiter mit dem Ziel der Zerstörung der Hindernisse, welche die alte Ordnung der Dinge gegen den Aufbau der neuen errichtet hat; der Verteidigung, Herbeiführung und Propagierung der Revolution; der Enteignung des Privateigentums und Etablierung von Gemeineigentum sowie der allgemeinen Organisation der Arbeit." (1)

Ein Jahr später vereinigte sich diese Partei mit der in Mailand um Turati herum gegründeten Partito Operaio. Bei dieser handelte es sich um eine Partei, die nur Lohnarbeiter als Mitglieder akzeptierte und allen Programmen und Ideologien ablehnend gegenüberstand und daher auch an den Wahlen nicht teilnahm. Zu ihren Mitgliedern gehörten der Drucker Lazzari und ihr Theoretiker Benedetto Croce. Zwischen dieser Partei und den ihr angehörenden Gewerkschaften, wie den Figli del Lavoro, bestand faktisch kein Unterschied. Dennoch vertrat die Partei einen kompromisslosen Internationalismus. So proklamierte sie während des Feldzuges in Äthiopien die Parole: „Keinen Mann und keinen Pfennig für die Abenteuer in Afrika!" 1886 übersetzte zudem Cafrera das „Kapital" ins Italienische, und trotz der Auflösung der Partei erschien die „Rivista Italiana del Socialismo" weiter. 1889 wurde erstmals das „Manifest der Kommunistischen Partei" auf Italienisch herausgegeben und 1891 die Zeitschrift „Critica Sociale" gegründet.

Das Wachstum des Proletariats und die Entwicklung des Klassenkampfes unter den Landarbeitern führte zur Einrichtung der ersten Gewerkschaftszentren (Camere del Lavoro) und 1892 in Genua zur Gründung der Italienischen Sozialistischen Partei (PSI).

Diese Gründung war vor allem deshalb bedeutsam, weil sie die Trennung der Sozialisten von den Anarchisten beinhaltete. Aber die neue Partei wurde auf reformistischer Basis gebildet und rief zum

Sehr bald hatte die Partei ihre ersten Feuerproben zu bestehen. Obwohl sie infolge der antisozialistischen Gesetze der Crispi-Regierung 1894 aufgelöst wurde, erlebte die Partei dennoch eine echte Entwicklung. 1898 brachen überall im Mezzogiorno, ausgelöst durch den Krieg, Hungerrevolten aus, und im selben Jahr kostete die grausame Repression in Mailand 100 Arbeitern das Leben. Trotz aller Unterdrückung wurde die Parteizeitung „L’Avanti" auf tägliches Erscheinen umgestellt. Und die Wahlen des Jahres 1900 brachten die Niederlage der Rechten sowie den Durchbruch der PSI, die 13% der Stimmen erhielt.

Dieser Wahlsieg bedeutete auch einen Sieg der reformistischen Strömung um Turati. Nach dem von Anarchisten verübten Attentat auf König Umberto erklärte Turati vor den Parlamentsabgeordneten: „Wir teilen eure Trauer." Und auf dem Parteikongress in Rom im gleichen Jahr triumphierte die Strömung voll und ganz. Auf diesem Kongress wurde nicht nur die Verteidigung der Verfassung, sondern auch die volle Autonomie jeder Parteisektion und der Parlamentsfraktion in Wahlfragen beschlossen. Das Verhalten der Regierung, die nach einigen großen Streiks das Koalitionsrecht anerkannte, förderte die reformistischen Tendenzen noch zusätzlich. Der Widerpart des Reformismus war die zuerst 1904 auf dem Parteitag in Bologna auftauchende „revolutionär-syndikalistische" Tendenz um Antonio Labriola, die die Notwendigkeit des Generalstreiks und die Vormachtstellung der Gewerkschaften über die Partei vertrat. Labriolas Strömung verließ aber bereits 1907 die Partei wieder.

Die Linke innerhalb der Partei (1913-1918)

Bis zu diesem Zeitpunkt existierte keine wirklich linke Strömung in der PSI. Die erste kompromisslos marxistische Reaktion stellte sich nicht vor 1910 ein. Als die Parlamentsfraktion die Rechte unterstützte, kritisierte Lazzaro auf dem Mailänder Parteitag scharf die parlamentarische Tätigkeit der Gruppe um Turati. Er erklärte, dass „es ein geringeres Übel darstellen würde, wenn das Proletariat nicht länger im Parlament vertreten wäre." Mussolini prangerte im Namen der Linken aus der Romagna den politischen Waffenstillstand zwischen Sozialisten und Republikanern an. Aber die linke Minderheit um Lazzaro wurde vernichtend geschlagen.

Erst der italienisch-türkische Krieg wegen der Libyenfrage verlieh den Kompromisslosen wirklichen Auftrieb. Die extreme Rechte der Partei um Bissolati, Bonomi und Felice (die auch von Labriola unterstützt wurde) erklärte ihre Unterstützung für die Regierung. Dennoch stimmte die gesamte sozialistische Fraktion 1912 gegen die Annexion Libyens durch das Königreich. Diese kompromisslose Position wurde in Reggio-Emilia bekräftigt, wo der Parteitag die Abgeordneten Bonomi, Bissolati, Cabrini und Podrecca ausschloss, die zum Quirinal gegangen waren, um ihre Missbilligung gegenüber einem Attentatsversuch auf den König zum Ausdruck zu bringen. Dies stellte einen großen Sieg für die Linke dar, die über zwei Publikationen verfügte: „Lotta di Classe" in Forli und „La Soffitta" („Die Rumpelkammer", was jene verspotten sollte, die den Marxismus in „die Rumpelkammer ablegen" wollten). Auf Anregung Mussolinis nahm der Kongress auch die Autonomie der Parlamentsfraktion zurück und kritisierte das Übergewicht der Wahlaktivitäten in der Partei. Das allgemeine Wahlrecht diene nur dazu, „dem Proletariat zu zeigen, dass dies nicht die Waffe ist, die es in die Lage versetzen wird, seine völlige Emanzipation zu erlangen." Ferner wurde darauf hingewiesen, dass „die Partei keine Bühne für illustre Männer" sei. Lenin, der die Linke unterstützte, kommentierte diese Spaltung in der Prawda folgendermaßen: „Eine Spaltung ist eine schwere, schmerzhafte Angelegenheit. Aber zuweilen wird sie notwendig, und in solchen Fällen ist jegliche Schwäche, jegliche ‚Sentimentalität’ (ein Wort, das in Reggio unsere Landsmännin Balabanowa gebrauchte) ein Verbrechen (...) Und indem die Partei des sozialistischen Proletariats Italiens die Syndikalisten und rechten Reformisten aus ihrer Mitte entfernte, beschritt sie den richtigen Weg." (Lenin, Werke Bd. 18, S. 161.) Gestärkt durch die Unterstützung der Internationale, wurde Mussolini Herausgeber des „L’Avanti".

Doch der entschlossenste Kampf gegen die Rechte und das Zentrum in der PSI entwickelte sich innerhalb der Föderation Junger Sozialisten, dem Jugendverband der PSI, der 1903 gegründet worden war. 1907 hielt er einen Kongress in Bologna ab, auf dem die Notwendigkeit antimilitaristischer Propaganda auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Um die Reinheit der Partei zu erhalten, verbot die Föderation die Mitgliedschaft von Katholiken oder christlichen Demokraten in der Organisation und forderte in ihrem Organ „L’Avantguardia" auch den Ausschluss von Freimaurern aus der Partei. Zum endgültigen Triumph der Linken kam es aber erst 1912 auf dem Kongress in Bologna, auf dem erstmals auch eine kleine Gruppe ausnahmslos aus Neapel stammender kompromissloser junger Sozialisten auftrat, die schnell ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten und deren Führer zweifelsohne Amadeo Bordiga war.

Bordiga war 1889 in der Nähe Neapels geboren worden. Sein Vater war Professor für Agrarökonomie, während seine Mutter dem Adel entstammte. 1910 schloss er sich der sozialistischen Bewegung an. Auch nach dem Austritt der revolutionären Syndikalisten war die PSI-Gruppe in Neapel vom Freimaurertum durchsetzt und neigte zur Autonomie gegenüber der Mutterpartei in Wahlangelegenheiten sowie zu Bündnissen mit den Parteien der republikanischen Linken. Daher sahen sich die kompromisslosen Marxisten 1912 gezwungen, die Parteisektion in Neapel, die sie nicht länger als sozialistisch anerkannten, in Scharen zu verlassen. Aus dieser Spaltung ging der Circolo Socialista Revoluzionario Carlo Marx hervor, dessen führende Köpfe Bordiga und Grieco waren. Diese Spaltung wurde von „La Soffitta" sehr begrüßt. Was die Reformisten anging, die in der Unione Socialista Neapels organisiert waren, so verließen sie 1914 die Partei. Anschließend reorganisierten Bordiga, Bombacci und Grieco die neapolitanische Sektion der PSI mit zunächst nur 16 Mitgliedern.

Auf dem Jugendkongress von 1912 nahm Bordiga den Kampf gegen Tascas „kulturalistische" Strömung auf, die „L’Avantguardia" in ein „im Wesentlichen kulturelles Organ" und all die sozialistischen Jugendgruppen durch ein System von Vorträgen und Büchereien in Studienzirkel umwandeln wollte. Der Antrag der Linken, der von Bordiga eingebracht wurde, errang die Mehrheit. Er bekräftigte, dass „innerhalb der kapitalistischen Herrschaft die Schule ein mächtiges Konservierungsmittel in den Händen der herrschenden Klasse ist, die dazu tendiert, der Jugend eine Erziehung zu geben, die ihr Loyalität und Resignation gegenüber dem derzeitigen System einimpfen soll." Folglich finde „die Erziehung der Jugend mehr in der Aktion statt als beim Studieren, das von einem bürokratischen System und seinen Normen reguliert" sei; Erziehung könne „nur in einer proletarischen Atmosphäre erfolgen, die durch den Klassenkampf belebt wird, welcher als Vorbereitung für die größten Eroberungen des Proletariats verstanden werden muss." (2)

Dieser Sichtweise der rigoros im Klassenkampf organisierten Partei als Organ revolutionärer Aktion hing Bordiga sein Leben lang an.

Sein Kampf innerhalb der Partei für einen kompromisslosen Marxismus besaß vier Achsen, deren Ziel die Erhaltung des proletarischen und politischen Charakters der Partei war:

- Antiparlamentarismus: Bordiga hat immer die Unterordnung von Wahlkampagnen unter die revolutionäre Zielsetzung befürwortet. Doch noch vor 1918 war er nicht abstentionistisch. So hatte er 1913 einen gegen die Anarchisten gerichteten Artikel geschrieben, der den Titel trug: „Contro l’ astensionismo" (Gegen den Abstentionismus);

- revolutionärer Syndikalismus: Bordiga war der entschiedenste Anhänger einer Unterordnung der Gewerkschaftsaktionen unter die Partei. So war er ein Gegner der revolutionären Syndikalisten, die das Gegenteil anstrebten. Daher wurde er auch zum Widersacher Gramscis, Togliattis, Tascas und des „L’Ordinovismo", der aussagte, dass die Partei auf dem Fundament der Fabriksräte im Besonderen und der ökonomischen Aktion im Allgemeinen gestellt werden müsse;

- Reformismus: Bordiga war neben Mussolini (dieser allerdings nur bis 1914) der entschiedenste Befürworter eines Parteiausschlusses der Freimaurer und der Parteirechten mit ihrer abwartenden Haltung gegenüber dem Klassenkampf. Die Reinheit der Partei zu erhalten, um ihre revolutionäre Integrität aufrechtzuerhalten – das war stets die Losung der „bordigistischen" Strömung;

- Krieg und Antimilitarismus: Angesichts des drohenden Krieges stand die kompromisslose marxistische Strömung in der ersten Reihe des Kampfes gegen den Militarismus. 1912 begrüßte sie das Basler Manifest gegen den Krieg, das die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg forderte. In der Zeitschrift „Voce de Castellamare di Stabia" schrieb Bordiga: „Wenn der Befehl zur Mobilmachung erfolgt, werden wir mit dem unbegrenzten Generalstreik antworten; auf die Kriegserklärung werden wir mit dem bewaffneten Aufstand antworten. Dies wird die soziale Revolution sein." Um diese prinzipielle Position zu unterstützen, machte der Jugendverband der Jungen Sozialisten Bordiga zum Herausgeber einer antimilitaristischen Zeitschrift, deren Titel „Soldatenpfennig" lautete und die mit dem Jugendverband verbunden war.

Aber Bordigas Hoffnung auf eine Umwandlung des Krieges in eine Revolution erfüllte sich nicht. Nachdem die „Rote Woche" in Ancona zu einer Welle von Aktionen der Arbeiterklasse gegen Repression und Krieg im ganzen Land geführt hatte, brach die Entscheidung der Gewerkschaft HQ, zur Rückkehr zum Arbeitsplatz aufzurufen, der Bewegung das Genick.

Wie würde nun die PSI, mit einer linken Fraktion in ihrer ersten Reihe, auf den Krieg antworten? Die wichtigsten sozialistischen Parteien hatten sich mehrheitlich selbst als Mitwirkende am imperialistischen Krieg entlarvt. In „L’Avanti" schrieb Mussolini, dass er sich weigere, über ein Bündnis mit der italienischen Bourgeoisie nachzudenken. Bordiga argumentierte gegen jede Unterscheidung zwischen Offensiv- und Defensivkrieg. 1914 kritisierte er auch jegliche Idee von Neutralität in den Reihen der Arbeiterklasse: „Für uns bedeutet Neutralität eine glühende sozialistische Verstärkung des Kampfes gegen den bürgerlichen Staat, die Betonung aller Klassenantagonismen, die die wirkliche Quelle jeder revolutionären Entwicklung sind." Die Linke erklärte, „auf dem Posten für den Sozialismus" zu sein, und Bordiga schrieb in einem anderen Artikel: „Wir müssen auf unserem Posten sein und bleiben – gegen alle Kriege und für das Proletariat, das durch sie alles zu verlieren, aber nichts zu gewinnen oder erhalten hat." Doch der Artikel unterstrich auch die Schwäche der proletarischen Reaktion:

„…in allen Ländern ist es der herrschenden Klasse gelungen, das Proletariat glauben zu machen, dass sie wohlgesinnt sei, dass sie in den Krieg getrieben worden sei, weil sie das Land und seine höchsten Interessen verteidigen müsse. In der Realität aber ist die Bourgeoisie in allen Ländern gleichermaßen verantwortlich für den Ausbruch des Konflikts oder – besser - ist das kapitalistische System, das mit seinem Bedürfnis nach Expansion das Wettrüsten erzeugt hat, dafür verantwortlich…" (Avanti, „Al Nostro Posto!", 16. August 1914.)

Die PSI sollte diese kompromisslose Position nicht lange aufrechterhalten. Mussolini schwor seiner revolutionären Vergangenheit ab, indem er sich zum Krieg bekannte. Er wurde im Oktober 1914 zum Interventionisten, als er seine neue Position in einem Artikel mit dem Titel „Von absoluter Neutralität zu aktiver und operativer Neutralität" in „L’Avanti" veröffentlichte. Nach seinem Ausschluss aus der Partei gab er dank der Finanzierung durch die Entente, die er durch die Vermittlung des französischen sozialistischen Abgeordneten Marcel Cachin, eines späteren Führungsmitgliedes der Kommunistischen Partei Frankreichs, erhalten hatte, die Zeitung „Il Popolo d’Italia" heraus. In der Frage des Krieges blieb aber auch die Position der Parteiführung, die durch Lazzari vertreten wurde, nicht die klarste. Mit dem Krieg konfrontiert, verkündete sie, die Partei werde den Krieg weder unterstützen noch sabotieren, was bezüglich der Frage der Umwandlung des Krieges in die Revolution mehrdeutig verstanden werden konnte und in der Praxis die Form einer Neutralität gegenüber der italienischen Bourgeoisie annahm. Indes, als der Krieg ausbrach titelte „Il Socialista" in Neapel: „Der Krieg wurde beschlossen. Nieder mit dem Krieg!" Und „L’Avanti" erklärte sich „gegen den Krieg und für den antimilitaristischen internationalen Sozialismus".

Das Schwanken der PSI zwischen der Parteirechten und –linken begünstigte nicht die Entstehung einer linken Fraktion während des Weltkrieges. In Zimmerwald war nicht die Linke vertreten, sondern die Rechte in der Person des Abgeordneten Modigliani. Bordiga, in den Jahren 1915 und 1916 zweimal zum Militär eingezogen, war vor 1917 nicht in der Lage, eine linke Opposition zu bilden.

Auf dem Weg zur Eroberung der Partei (1918-1921)

Erst 1917, auf dem Parteitag in Rom, verschärfte sich der Gegensatz zwischen der Rechten und Linken. Erstere erhielt 17.000 Stimmen, während Letztere es auf 14.000 brachte. Der Sieg Turatis, Treves’ und Modiglianis zu einer Zeit, in der die Russische Revolution bereits tobte, führte zur Formation einer „kompromisslosen revolutionären Fraktion" in Florenz, Mailand, Turin und Neapel. Gegen die Formel „Für Frieden und Leben nach dem Krieg", die weiterhin von der Mehrheit der Partei verwendet wurde, verteidigte die Plattform der Fraktion „das Recht des Proletariats in allen Ländern, seine Diktatur zu errichten" und „allen bürgerlichen Institutionen nicht nur auf dem politischen Terrain, sondern auch durch die sozialistische Enteignung der Kapitalisten den Kampf anzusagen".

Die Kristallisierung einer revolutionären Fraktion signalisierte eine Reifung des revolutionären Bewusstseins des italienischen Proletariats. Getrieben vom Hunger und angespornt vom russischen Beispiel (nur wenige Monate zuvor hatten sie den sowjetischen Repräsentanten einen triumphalen Empfang bereitet), errichteten im August 1917 die Turiner Arbeiter Barrikaden und bewaffneten sich mit Gewehren, die sie von Soldaten erhalten hatten. In den Kämpfen wurden mehr als 50 Arbeiter getötet. Trotz dieses Aufschwungs der revolutionären Bewegung versäumte es der Parteitag in Rom 1918, die rechte Fraktion auszuschließen. Der Kongress vergaß, dass Turati zur Zeit von Caporetto erklärt hatte, dass „‘L’Avanti‘ während der Periode des Krieges eine ruhmreiche Seite in der Geschichte der Arbeiterklasse geschrieben" habe. So wurde die ‚maximalistische" Tendenz geboren – trotz ihres Verbalradikalismus wagte sie es nicht, durch eine Spaltung eine klare Linie zwischen der Linken und der Rechten zu ziehen. (3)

Überzeugt davon, dass sie entschlossen in Richtung einer Organisierung der linken Fraktion zu gehen habe, um die Rechte und das Zentrum zu eliminieren, rüstete sich die kompromisslose Fraktion im Dezember 1918 mit einem eigenen Organ aus: dem in Neapel erscheinenden „Il Soviet". Dies war die Geburtsstunde der Abstentionistischen Kommunistischen Fraktion. Formell konstituierte sich die Fraktion nach dem Bologneser Parteitag im Oktober 1919, in einer Situation proletarischer Erregung, die sich durch ökonomische Streiks ausdrückte. In einem Brief aus Neapel nach Moskau im November sah sie ihr Ziel im „Ausschluss der Reformisten aus der Partei, um eine revolutionärere Haltung zu gewährleisten." Zudem bestand sie darauf, dass eine der Komintern zugehörige Partei auf antiparlamentarischer Basis begründet sein müsse. Nicht nur müsse „jeder Kontakt mit dem demokratischen System abgebrochen werden", darüber hinaus sei eine wirklich kommunistische Partei nur möglich, „wenn wir auf die Wahl- und Parlamentsaktivitäten verzichten."

Aber Bordiga wollte keine Spaltung. Obwohl sie als eigenständige Fraktion innerhalb der PSI mit ihrer eigenen Presse organisiert war, strebte die Abstentionistische Fraktion vor allem die Gewinnung der Mehrheit der Partei für ihr Programm an. Sie ging noch davon aus, dass dies trotz des erdrückenden Sieges der pro-parlamentarischen Tendenz, die durch die Allianz von Lazzari und Serrati repräsentiert wurde, möglich ist. Die Fraktion könne erst zu einer Partei werden, wenn sie zuvor mit aller Kraft auf die Gewinnung zumindest signifikanter Minderheiten hingearbeitet habe. Das Terrain nicht preiszugeben, solange der Kampf nicht so weit wie möglich geführt worden war - das war stets die Hauptsorge der „bordigistischen" Bewegung. Hier zeigt sich, dass es sich um keine Sekte handelte, wie es ihre Gegner immer behauptet haben.

Der bedingungslose Rückhalt, den die Komintern auf ihrem II. Weltkongress Bordigas Fraktion gewährte, versetzte die Abstentionistische Kommunistische Fraktion in die Lage, aus ihrer Isolation als Minderheit innerhalb der Partei auszubrechen. Obwohl in der Frage der prinzipiellen Wahlenthaltung gegensätzlicher Meinung, betrachtete Lenin Bordiga als den leidenschaftlichsten und entschlossensten Anhänger einer Gründung der Internationale auf strenger Grundlage. Der Repräsentant von „Il Soviet" bewegte den Kongress zur Annahme der 21. Bedingung zur Aufnahme in die Komintern: den Ausschluss all jener Parteien, die nicht allen Bedingungen und Thesen der Internationale zuzustimmen bereit waren. Im sicheren Gefühl, dass der Kampf gegen den Reformismus entschlossen geführt werde, unterwarf sich Bordiga der Forderung der Komintern, dass jede Partei Kandidaten für die Wahlen zu präsentieren hat. Um sich von den Anarchisten abzugrenzen, versicherte er, dass sein Abstentionismus „taktischer" Natur sei, dass sich in der Praxis die Wahl zwischen einer „Wahlvorbereitung", die eine übermäßige Mobilisierung der Ressourcen der Partei in Anspruch nehme, und der „revolutionären Vorbereitung", d.h. einer für die Entwicklung der Partei notwendigen Agitation und Propaganda, stelle. (4)

Bordiga und die "Partito Comunista d’Italia"

Somit war der Weg frei zur Gründung einer kommunistischen Partei. Im März 1920 brach in Turin ein Generalstreik aus, der zehn Tage andauerte. Die Zersplitterung der Kämpfe und die Unbeweglichkeit der PSI, die durch eine legalistische Gewerkschaft unterstützt wurde, zwang die verschiedenen Oppositionsgruppen zur Zusammenarbeit und kurz darauf zur Vereinigung. Am 1. Mai 1919 erschien die erste Ausgabe von „L’Ordine Nuovo", die von Gramsci, Togliatti und Tasca herausgegeben wurde. Die Kontakte zur „bordigistischen" Strömung waren aus naheliegenden Gründen eng: Die Turiner Parteigruppe war abstentionistisch und wurde von einem Parteigänger Bordigas, dem Arbeiter Giovanni Boero, geleitet. Dennoch befürwortete die Gruppe um Gramsci die Beteiligung an den Wahlen. Sie stellte „Il Soviet" eine raffinierte Mischung aus Lenin und De Leons revolutionärem Syndikalismus entgegen. Der Grundgedanke war, dass „der Tradeunionismus gezeigt hat, dass er nichts anderes ist als eine Form der kapitalistischen Gesellschaft" und dass er durch Betriebsräte und Sowjets ersetzt werden müsse. Im weiteren Verlauf rief sie die Arbeiter zur Selbstverwaltung der Fabriken auf und schien die Rolle der kommunistischen Partei zu unterschätzen, indem sie ihr lediglich ökonomische Aufgaben zuwies. Für „Il Soviet" bestand die Schlüsselfrage in der Rolle der Partei, ohne die ihrer Meinung nach der Klassenkampf nicht auf den richtigen Pfad gelangen werde. Zwar war Bordiga ein Anhänger der Räteidee, aber er bestand darauf, dass die Räte einen revolutionären Inhalt nur durch ihre Formierung auf der Basis „lokaler Sektionen der kommunistischen Partei" annehmen könnten. Für ihn konnte die Diktatur des Proletariats nur durch die Diktatur der Partei realisiert werden, denn die Räte seien „im Kern keine revolutionären Organe". Abseits dieser theoretischen Fragen, über die Bordiga eine kontinuierliche Auseinandersetzung führte, bestand die fundamentale Divergenz in dem Versäumnis der Gruppe um „L’Ordine Nuovo", mit dem Maximalismus zu brechen, und in ihrem Zögern, sich selbst als eigenständige Fraktion zu konstituieren, in Aussicht auf einen baldigen Bruch mit Serratis Zentrum. (5)

Gegen Ende 1920 näherte sich die Gruppe um „L‘Ordine Nuovo" der Fraktion um Bordiga an, die mittlerweile nicht nur in Neapel, sondern auch in Turin, Mailand und Florenz über die Mehrheit in der Partei verfügte. Der gescheiterte Versuch im September, die Fabriken zu besetzen, versetzte Gramscis Theorien der Wirtschaftsverwaltung und der „Arbeiterkontrolle" einen herben Rückschlag. Durch ein geschicktes Manöver gelang es der Giolotti-Regierung, die Streiks abklingen zu lassen und eine Arbeiterkontrolle zu verordnen. Die revolutionären Ereignisse deckten die Abwesenheit einer kommunistischen Partei auf, die in der Lage gewesen wäre, die Bewegung zu unterstützen und zu führen. Der darauffolgende Rückfluss der revolutionären Welle war für die abstentionistische Fraktion und für „L‘Ordine Nuovo" der Beweis, dass ein Abwarten und getrenntes Agieren nicht länger möglich ist. So wurde im Oktober die Vereinigte Kommunistische Fraktion gegründet. Sie gab ein Manifest heraus, das die Bildung einer kommunistischen Partei durch den Ausschluss von Turatis rechtem Flügel forderte. Sie gab den Wahlboykott auf und folgte somit den Entscheidungen des II. Kongresses der Komintern.

Der Schritt zur Spaltung, die zu diesem Zeitpunkt noch unterschwellig war, fand im Dezember auf der Konferenz von Imola statt. Das deutsche Modell einer Vereinigung von Kommunisten und Linkssozialisten wurde dabei zurückgewiesen: „Unsere Arbeit als Fraktion ist und muss nun beendet sein." Die Teilnehmer an der Konferenz erklärten einstimmig, dass sie nicht länger „in der alten Partei (bleiben können), um die ermüdende Arbeit der Überzeugung zu leisten, die in jedem Fall beendet ist, da so das Proletariat bis zum nächsten Kongress zur Unbeweglichkeit verurteilt wäre." So war die Schlussfolgerung „ein umgehender Rückzug aus der Partei und vom Kongress (der PSI), sobald die Abstimmung uns zur Mehrheit oder Minderheit macht. Daraus folgt … eine Abspaltung vom Zentrum."

Am 21. Januar 1921 erhielt der Antrag von Imola ein Drittel der Stimmen: 58 783 gegen 172 487. Die Kommunistische Partei Italiens, Sektion der Kommunistischen Internationale, war gegründet worden. Kurz zuvor hatte Bordiga auf dem Parteitag der PSI erklärt, dass „die Sozialistische Partei bleibt, was sie am Vorabend des Krieges gewesen war: die beste Partei der II. Internationale, aber eben keine Partei der III. Internationale." Serrati habe zwar formal die 21 Bedingungen akzeptiert, sei aber nicht in der Lage gewesen, „sie in die Tat umzusetzen. Wir nehmen mit uns die Ehre unserer Vergangenheit", schloss er und verließ den Kongress. Die Abstentionistische Fraktion löste sich in der neuen Partei auf, die ihrerseits das Bestehen autonomer Fraktionen ablehnte, um in „strikter Homogenität und Disziplin" zu agieren.

Was waren nun die Grundlagen der neuen Partei unter Bordigas Führung? Sie waren in den „Thesen der abstentionistischen Fraktion" von 1920 festgelegt worden. Sie legten dar, dass die Kommunistische Partei „als Generalstab des Proletariats im revolutionären Krieg" zu handeln habe, denn „nur seine Organisation in einer politischen Partei kann die Formierung des Proletariats als Klasse, die für ihre Emanzipation kämpft, ausführen." Der Text lehnte die Einheitsfront mit anderen Parteien, die das kommunistische Programm nicht vertreten, und die Unterordnung der Partei unter die ökonomische Aktion ab und unterstrich das Hauptziel jeder kommunistischen Partei: die gewaltsame Ergreifung der Macht und die Errichtung einer Diktatur der Partei.

Die in der Revolution aufkommenden Räte seien nur revolutionär, „wenn die Mehrheit von der Kommunistischen Partei gewonnen ist". Andernfalls würden sie eine „ernsthafte Gefahr für den revolutionären Kampf darstellen". In den gegenwärtigen Kämpfen müssen die Kommunisten durch Propaganda, durch „intensive Schulung und Kritik (...) die Entwicklung kontinuierlich in Richtung auf eine effektive Vorbereitung für den unvermeidlichen bewaffneten Kampf gegen all jene lenken, die die Prinzipien und Macht der Bourgeoisie verteidigen".

Die „Thesen von Rom", die Bordiga und Terracini für den II. Parteitag der PCI im Jahre 1922 verfasst hatten, bestätigten diese Sichtweise. Sie stellten die Grundlage der „bordigistischen" Strömung dar. Sie zeigten auf, dass der Krieg eine neue historische Epoche eröffnet hat, in der „die kapitalistische Gesellschaft auseinanderfällt und in der der Klassenkampf nur in einem bewaffneten Konflikt zwischen den arbeitenden Massen und den Mächten der verschiedenen kapitalistischen Staaten enden kann." Die Partei sei die Synthese von Programm und Wille, das Instrument, um diese in die Tat umzusetzen, und werde durch ihre organische Kontinuität mit der Fraktion, aus der sie sich entwickelt hatte, definiert. Sie könne kein Konglomerat mit anderen Parteien und Fraktionen eingehen, ohne „die Beständigkeit ihrer politischen Position und die Festigkeit ihrer Struktur" zu gefährden. Als einheitliche Partei müsse sie die einheitliche Führung der Gewerkschaften und aller ökonomischen Vereinigungen der Arbeiter anstreben. Abschließend wurde festgestellt, dass die Partei keine Ansammlung von Individuen sei, sondern ein diszipliniertes Kollektiv. Sie müsse eine unablässige Kritik an den anderen Parteien üben und deren praktische Tätigkeit anprangern, sobald diese eine fehlerhafte und gefährliche Taktik aufwiesen. (6)

Doch die Kommunistische Partei war zu spät gegründet worden. Die Entwicklung der faschistischen Bewegung schränkte ihre Tätigkeit ein und drängte sie in die Defensive. Sie organisierte zwar bewaffnete Gruppen, um ihre Büros zu verteidigen und die faschistische Offensive zurückzudrängen. Aber auch wenn dies gelegentlich erfolgreich war, bestand die Hoffnung der PCI, den Faschismus tatsächlich zurückzudrängen, letztendlich in der Ausbreitung breiter wirtschaftlicher Kämpfe. Seit dem September 1920 befanden sich diese aber im Rückgang. Zudem konnte die PCI nicht auf eine Zusammenarbeit mit der PSI zählen, denn diese nahm eine Position der Neutralität ein, indem sie einen „Befriedungspakt" mit Mussolini unterschrieb. Ihre Forderungen nach einer „Rückkehr zur Legalität" zeigten das Unvermögen, das sich hinter ihrer maximalistischen Sprache verbarg. Daher führte die PCI ihre eigene Politik aus, die jegliche Einheitsfront mit Elementen ablehnte, „deren Ziel nicht der bewaffnete revolutionäre Kampf des Proletariats gegen den gegenwärtigen Staat" war. Identisch dazu war die Politik der Partei gegenüber antifaschistischen Bündnissen. Um eine revolutionäre Vision innerhalb des Proletariats aufrechtzuerhalten, um seine Klassenautonomie zu bewahren, konnte es für die Partei nicht in Frage kommen, sich den „arditi del popolo" anzuschließen, die wie die PSI für eine Rückkehr zur „demokratischen Ordnung" eintraten. Aus dem Faschismus stammend, schlugen diese vor, „den inneren Frieden herbeizuführen". Sie erklärten sich selbst zu Patrioten und erlaubten lediglich früheren Kriegsteilnehmern und Mitgliedern von Sturmabteilungen den Zugang. Es geschah also nicht aus Gründen des „Sektierertums" oder „Purismus", dass die PCI sich weigerte, solche Bündnisse zu bilden. Als revolutionäre Partei konnte sie keinerlei Zweideutigkeiten über das Wesen der Demokratie zulassen oder das Proletariat von seinem Ziel ablenken, das nicht in der Verteidigung des „demokratischen" Staates bestand, sondern in seiner Zerstörung.

Tatsächlich unterstrich Bordiga, dass es faktisch die Demokratie war, die die faschistische Bewegung unterstützt und geschaffen hatte. Die Regierung, die von der PSI wegen ihrer fehlenden Konsequenz kritisiert wurde, hatte in ihrem Dekret vom 20. Dezember 1920 60.000 demobilisierte Offiziere in Ausbildungslager entsandt, mit der Verpflichtung, sich den Gruppen der Squadristi anzuschließen. Wann immer die Faschisten die Büros der Gewerkschaften oder der Arbeiterparteien niederbrannten, waren Polizei und Armee des liberalen und demokratischen Staates auf ihrer Seite.

Aus diesen historischen Erfahrungen entwickelte die PCI auf dem IV. Kongress der Komintern die in ihren Augen wichtigsten Lehren.

- Der Faschismus sei nicht die Bewegung der Mittelklassen und der agrarischen Bourgeoisie. Vielmehr sei er das Produkt der Niederlage, die das Proletariat erlitten hatte und die die unentschlossenen kleinbürgerlichen Schichten hinter die faschistische Reaktion gedrängt habe:

„Als die Mittelklasse sah, dass die Sozialistische Partei unfähig war, aus der Situation Vorteile zu ziehen, verlor sie Stück für Stück das Vertrauen in die Möglichkeiten des Proletariats und schloss sich der gegnerischen Klasse an. Diese nutzte den Geisteszustand aus, in dem sich die Mittelschicht befand."

- Der Faschismus sei keine „feudale" Reaktion. Er sei in den großen Industriestädten entstanden, wie in Mailand, wo Mussolini 1919 seine Partei gegründet hatte. Die Industriellen unterstützten die faschistische Bewegung, die sich selbst präsentierte als „große Einheitsbewegung der herrschenden Klasse, bereit, sich in ihren Dienst zu stellen, alle Mittel, sämtliche partiellen und lokalen Interessen der sowohl agrarischen als auch industriellen Gruppen der Bosse zu nutzen und auszuschöpfen".

- Der Faschismus sei nicht mit der Demokratie unvereinbar. Er sei ihre unverzichtbare Ergänzung für den Fall, „dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, die Macht der Bourgeoisie zu verteidigen". Die faschistische Partei unterstützte den Staat mit einer „einheitlichen Partei, einer zentralisierten konterrevolutionären Organisation".

An anderer Stelle zog die Italienische Linke die praktischen Konsequenzen aus ihren Analysen gegenüber der PCI und des „Antifaschismus":

- Es sei die Linke und in erster Linie die Sozialdemokratie gewesen, die die Tür zum Faschismus aufgestoßen hätten, indem sie die Arbeiter mit der Verteidigung der „demokratischen Freiheiten" und des „demokratischen Staates" eingeschläfert hätten. Neben der Linken sah Bordiga in der italienischen CGL, die 1921 die Kämpfe der Metallarbeiter in der Lombardei, Venetien und Ligurien in einen regionalen Rahmen gesperrt habe, einen Hauptfaktor bei der Demobilisierung der Arbeiter und ihrer schutzlosen Auslieferung gegenüber den faschistischen Angriffen. Um seine Position zusammenzufassen, erklärte er unter Bezugnahme auf das deutsche Beispiel von 1919, dass dies „die Straße war, die zum ‚Noskismus’ führt".

- Der „Antifaschismus" sei das schlimmste Produkt des Faschismus, denn er täuschte vor, dass ein Bündnis mit den liberalen oder linken Parteien das Proletariat vor den Schlägen der vereinigten bürgerlichen Reaktion retten könne. Der Antifaschismus habe die übelsten Illusionen über die „demokratische" Linke aufrechterhalten, die 1922 die Macht kampflos an Mussolini abgetreten hatte.

Die kommunistische Linke sah die Lösung in einer sich aus ökonomischen Kämpfen heraus entwickelnden Arbeiteroffensive gegen den Kapitalismus. Gegen den vereinten Angriff der Bourgeoisie könne das italienische Proletariat nur eine einheitliche Antwort auf ihrem spezifischen Terrain geben: den Streik. Daher unterstützte die „bordigistische" Führung, obwohl sie die politische Einheitsfront ablehnte, die Idee einer Einheitsfront der Gewerkschaften mit den sozialistischen und anarchistischen Gewerkschaften. Die PCI schloss sich dem „Arbeiterbündnis" an, das auf Initiative der Eisenbahner-Gewerkschaft gebildet worden war und dem im Februar 1922 alle Gewerkschaften beitraten. Angesichts seiner Politik der lokalen Streiks musste die Kommunistische Partei allerdings feststellen, dass das Bündnis „träge und passiv (blieb); nicht nur hat es den Kampf nicht aufgenommen, es hat weder klar gesagt, dass die Zeit dazu reif ist, noch gezeigt, dass es sich dafür vorbereiten will." Tatsächlich rief das Bündnis während des großen Auguststreiks, der sich überall im Land ausbreitete, dazu auf, zur Arbeit zurückzukehren. (7)

Trotz dieser bitteren Erfahrung stellte die PCI genauso wie später die Kommunistische Linke niemals die Parole der „gewerkschaftlichen Einheitsfront" in Frage. Diese Position enthielt einen gewissen logischen Mangel: Wenn die Gewerkschaften von den politischen Parteien geführt wurden, vertraten sie auch notwendigerweise die Politik dieser Parteien. Folglich ist es schwierig, die Grundlage für diese Unterscheidung zwischen der Einheitsfront der Gewerkschaften und der politischen Einheitsfront zu erkennen. Im Gegensatz zur Deutsch-Holländischen Linken stellte die Italienische Linke ihre Mitwirkung in den Gewerkschaften, die sie weiterhin als opportunistische Arbeiterorganisationen definierte, nicht in Frage.

Es war gerade die Frage der Einheitsfront, die zu einem ständigen Gegensatz zwischen der „bordigistischen" Führung und der Komintern führte. Auf ihrem III. Kongress hatte die Kommunistische Internationale die Übernahme dieser „Taktik" in allen Ländern angeordnet. Sie hatte sogar an einer gemeinsamen Konferenz der drei Internationalen teilgenommen, um die Einheitsfront zu organisieren. Auf dem IV. Weltkongress stellte sich die Delegation der PCI dieser Parole entgegen und erklärte, dass sie:

„... nicht akzeptieren wird, ein Teil gemeinsamer Organe verschiedener politischer Organisationen zu sein (...) (Sie) wird ebenfalls vermeiden, gemeinsame Erklärungen mit anderen politischen Organisationen zu verabschieden, wenn diese Erklärungen ihrem Programm widersprächen und dem Proletariat als Resultat von Verhandlungen präsentiert würden, mit dem Ziel, eine gemeinsame Linie für die Praxis zu finden."

Die PCI weigerte sich auch, die Parole der „Arbeiterregierungen" zu übernehmen, die eine Konkretisierung der Einheitsfront darstellten:

„Über Arbeiterregierungen zu reden, indem man erklärt, dass wir die Möglichkeit der Bildung einer parlamentarischen Koalition, an der sich die Kommunistische Partei beteiligt, nicht ausschließen dürfen, führt zu einer praktischen Verleugnung des politischen Programms des Kommunismus, d.h. der Notwendigkeit, die Massen für den Kampf um die Diktatur des Proletariats vorzubereiten." (8)

„Bolschewisierung" und die Reaktion der Linken

Doch die Hauptdivergenz zwischen der Führung der Komintern und der italienischen Parteiführung kristallisierte sich in der Frage der Verbindung der PCI mit der Linken der PSI heraus, sobald Letztere Turatis rechten Flügel ausgeschlossen hatte. Die Komintern wollte eine Massenpartei in Italien nach dem Modell der deutschen VKPD schaffen. Sie nahm an, dass Serrati und Lazzari Revolutionäre seien, von denen sich Bordigas Tendenz aus reinem „Sektierertum" distanziere. Auch wenn sie verkündete, dass „Reformisten und Zentristen Blei an den Füßen der Partei waren", dass sie „nichts anderes (waren) als die Agenten der Bourgeoisie im Lager der Arbeiterklasse", ordnete die Exekutive der Komintern ohne Zögern eine Fusion an, um eine vereinte kommunistische Partei zu bilden. Zu diesem Zweck wurde ein Organisationskomitee gebildet, das Bordiga und Tasca für die PCI, Serrati und Maffi für die PSI sowie Sinowjew für die Exekutive umfasste. Somit räumte die Komintern in der Absicht, die „bordigistische" Führung zu zähmen, dem rechten Flügel der Partei (der eine kleine Minderheit war, die lediglich 4.000 Stimmen gegen 31.000 Stimmen für die Linke auf dem Römer Kongress erhielt) das gleiche Gewicht ein. Die rechte Tendenz setzte sich aus all den alten „Ordinovisti" zusammen, mit Ausnahme von Gramsci und Togliatti, die noch der Mehrheit folgten. Es wurde beschlossen, Sinowjews „Direktiven" anzuwenden. (9)

Was die Fusion anbetrifft, die für die Komintern das Motiv für die Eliminierung der Führung war, so fand sie nicht einmal statt. Die PSI weigerte sich, die Bedingungen für den Beitritt zu akzeptieren, und schloss die Serrati-Maffi-Gruppe mit ihrer Zeitschrift „Pagine Rosse" aus. Die „Terzionalisti" oder „Terzini" schlossen sich schließlich im August 1924 in ihrer Gesamtheit an und brachten 2.000 Mitglieder aus einer Partei mit, die unter den Auswirkungen der Repression und Demoralisierung nur noch 20.000 Angehörige hatte.

Sinowjews Bolschewisierung war es nicht gelungen, Bordigas kompromisslose Tendenz, die die überwältigende Mehrheit in der Partei bildete, zu eliminieren. Die Exekutive der Komintern versuchte daraufhin, ihre unangefochtenen Führer zu neutralisieren, indem sie Bordiga aufforderte, ins italienische Exekutivkomitee zurückzukehren. Aufgrund seiner Meinungsverschiedenheiten mit Letzterem lehnte Bordiga ab. Er lehnte ebenfalls den Posten eines Abgeordneten ab, der ihm angeboten worden war – eine wahre Beleidigung eines Abstentionisten. Seine Antwort war kurz und prägnant: „Ich werde niemals ein Abgeordneter sein, und je eher Sie ihre Projekte ohne mich fortsetzen, desto mehr Zeit werden Sie sparen." (Brief von Bordiga an Togliatti, 2. Februar 1924)

Im Mai 1924 wurde in Como unter Geheimhaltung die Konferenz der PCI abgehalten. Sie war ein überwältigender Erfolg für die Linke. 35 von 45 Gebietssekretäre, vier von fünf zwischenregionale Sekretäre stimmten den von Bordiga, Grieco, Fortichiari und Repossi präsentierten Thesen zu. Diese stellten fest, dass die Partei in einer ungünstigen Periode gebildet worden sei; jedoch habe der Faschismus, „nach der Zerschlagung des Proletariats (...) die politischen Methoden und die Illusionen des alten pazifistischen Sozialismus liquidiert" und somit die Arbeiterklasse vor die Alternative gestellt: „Diktatur des Proletariats oder Diktatur der Bourgeoisie". Insbesondere kritisierten sie die Komintern, die Verschmelzung erzwungen zu haben und gegenüber dem Charakter des Maximalismus mehrdeutig geblieben zu sein. Auf politischer Ebene müsse die Partei, während sie einen entschlossenen Kampf gegen den Faschismus führte, ebenfalls „eine entschiedene Kritik der so genannten antifaschistischen bürgerlichen Parteien wie der sozialdemokratischen Parteien verfassen und jegliche Block- oder Bündnispolitik vermeiden..." Doch vor allem richtete die gesamte Linke ihre Angriffe gegen die Bolschewisierung, die eine disziplinarische Funktionsweise durchgesetzt habe. In ihrem neopolitanischen Organ „Prometeo" zeigte sie, dass in der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung „die revolutionäre Orientierung durch einen Bruch mit der Disziplin und mit dem hierarchischen Zentralismus der früheren Organisationen gekennzeichnet war". Die Parteizugehörigkeit müsse auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhen, die Disziplin könne nur das Resultat und nicht die Voraussetzung einer gesunden Funktionsweise sein. Andernfalls würde Letztere „auf eine banale Regel des mechanischen Gehorsams" reduziert werden.

Doch paradoxerweise war Bordiga auf dem V. Kongress der entschiedenste Vertreter einer Anwendung der Disziplin, auch wenn er seine frühere Kritik aufrechterhielt. „Wir wollen eine wirkliche Zentralisierung, eine wirkliche Disziplin", erklärte er, um zu beweisen, dass es nicht, wie behauptet wurde, seine Absicht war, eine linke Fraktion zu konstituieren. Seine Ablehnung von Sinowjews Angebot einer Vizepräsidentschaft in der Komintern mag somit widersprüchlich erscheinen. Jedoch war diese Vorschlag nicht ohne Hintergedanken: Er war nichts anderes als ein Versuch, den Gründer der italienischen Partei zu kaufen. Aber Bordiga war nicht Togliatti.

Von nun an herrschte Krieg zwischen der „bordigistischen" Tendenz und der russischen Führung der Komintern. Das Jahr 1925 sollte sich als entscheidend erweisen.

1925 war das Jahr der aktiven Bolschewisierung der Parteien. Es war auch das Jahr, in dem der Kampf der russischen KP und der Komintern gegen Trotzkis Linksopposition seinen eigentlichen Anfang nahm: Im Januar trat Trotzki von seinem Posten als Volkskommissar zurück. Es war das Jahr, in dem die alte „linke" Führung unter Fischer und Maslow langsam aus der KPD gedrängt wurde und Karl Korsch seine Fraktion zu organisieren begann. Es war somit das Jahr, in dem der Kampf der Komintern gegen ihre linken Tendenzen begann, zu Gunsten einer zentristischen Führung, die Stalin untergeordnet war.

Es geschah daher mehr aus einer Reaktion gegen diese Politik denn auf eigener Initiative, dass die Italienische Linke veranlasst wurde, sich als eine Tendenz zu organisieren und den Kampf gegen Gramsci-Togliatti und die russische Führung aufzunehmen.

Im März-April 1925 setzte die Erweiterte Exekutive der Komintern die Eliminierung der „bordigistischen" Tendenz auf die Tagesordnung des III. Kongresses der PCI. Sie verbat die Veröffentlichung eines Artikels von Bordiga, in dem sich dieser für Trotzki ausgesprochen hatte („Die Trotzki-Frage"). Die Bolschewisierung der italienischen Sektion begann mit der Entfernung Fortichiaris von seinem Posten als Gebietssekretär von Mailand. Im April gründete die Linke, mit Damen, Repossi und Fortichiari, ein „Bündniskomitee", um ihre Aktivitäten zu koordinieren. (10)

Die Gramsci-Führung griff dieses Komitee gewaltsam an und denunzierte es als eine „organisierte Fraktion". Tatsächlich aber wollte sich die Linke noch nicht als Fraktion konstituieren; sie wollte keinerlei Vorwand für ihren Ausschluss aus der Partei liefern, während sie noch in der Mehrheit war. Zunächst weigerte sich Bordiga, dem Komitee beizutreten, da er nicht den ihm auferlegten disziplinarischen Rahmen übertreten wollte. Erst im Juni schloss er sich der Position von Damen, Fortichiari und Repossi an. Ihm wurde die Aufgabe zugeteilt, eine „Plattform" der Linken zu entwerfen, die der erste systematische Angriff auf die Bolschewisierung war. Die Plattform verurteilte die Politik der „Manöver und Zweckdienlichkeit", die auf die willkürliche Schaffung einer Massenpartei abzielte, „geht man davon aus, dass das Verhältnis zwischen der Partei und den Massen im Wesentlichen von den objektiven Bedingungen der Situation abhängt". Sie verurteilte das System der Fabrikzellen, „eine Negation der Zentralisierung der kommunistischen Parteien". In einem Artikel, der in denselben Tagen wie die Plattform veröffentlicht wurde, betonte Bordiga, dass die Funktion dieser Zellen es sei, jegliches interne Leben zu ersticken und die Arbeiter in die engen Grenzen der Fabrik einzusperren. Im Namen des Kampfes gegen die „Intellektuellen" wurde die Macht der Funktionäre wieder verstärkt. Es lohnt sich, die Argumente der Linken zu untersuchen, die am systematischsten die Politik der Bolschewisierung kritisierte:

- Die Ersetzung der territorialen Sektionen durch Zellen bedeute die Abschaffung des organischen Lebens einer revolutionären Partei, die sich „als ein aktives Kollektiv mit einer einheitlichen Führung" präsentieren müsse. Sie seien die Negation der Zentralisierung und der bürokratische Triumph des Föderalismus, in dem der Parteikörper in hermetisch voneinander isolierte Zellen aufgeteilt werden würde.

- Die „Bolschewisierung" fördere den Partikularismus und Individualismus. Die Partei würde zu einer Summe von individuellen Arbeitern, die mit ihrem Berufszweig verhaftet seien. Die Konsequenz daraus sei der Korporatismus und die Arbeitertümelei, der Bruch der organischen Einheit des Parteikollektivs, das über alle Berufskategorien hinweggehen müsse.

- Statt die Rolle der „Intellektuellen" in der Partei einzuschränken, hätten die Zellen den entgegengesetzten Effekt:

„Der Arbeiter in den Zellen wird dazu neigen, einzig und allein ökonomische Fragen im Interesse der Arbeiter in seinem Unternehmen zu diskutieren. Der Intellektuelle wird weiter intervenieren, nicht dank der Stärke seiner Beredsamkeit, sondern eher dank des Monopols der Autorität, die ihm von der Parteizentrale verliehen wurde, um aufkommende Fragen zu ‚regeln‘."

Darüber hinaus entsprach die „Bolschewisierung" der Parteiführung – ein Ziel, das die „Bolschewiki" verkündeten – nur wenig der tatsächlichen Realität: Die neue Führung hatte im Gegensatz zur alten nicht einen Arbeiter in der Exekutive.

- Führer mit Arbeiterherkunft zu haben war keine Garantie für den proletarischen Charakter der Partei, weil „Führer mit Arbeiterherkunft sich zumindest genauso fähig zum Opportunismus und Verrat zeigen können wie die Intellektuellen und im Allgemeinen anfälliger gegenüber bürgerlichen Einflüssen sind."

Unter der Drohung des Ausschlusses löste sich das Bündniskomitee auf und beugte sich der Disziplin. Dies war der Anfang vom Ende der Italienischen Linken als Mehrheit. Mit den Rekrutierungskampagnen der Gramsci-Führung wuchs die Partei von 12.000 auf 30.000 Mitglieder. Die neuen Mitglieder waren vorwiegend sehr junge Arbeiter und Bauern, die zum ersten Mal am politischen Leben teilnahmen. Togliatti meinte, dass „das Niveau der politischen Kapazität und Reife ziemlich niedrig gewesen war". Mit dieser tiefgreifend veränderten Partei im Rücken (11) verdrängte der Kongress von Lyon definitiv die Anhänger Bordigas aus den verantwortlichen Positionen; sie erhielten lediglich 9,2% der Stimmen. Um seine Tendenz jedoch nicht zur Bildung einer Fraktion oder gar zu einer neuen Partei zu verleiten, holte Gramsci drei Mitglieder der Linken ins Zentralkomitee.

Anlässlich dieses Kongresses wurden die berühmten „Thesen von Lyon" vorgestellt, die der Politik der Kommunistischen Linken in der Emigration eine Orientierung geben sollten.

Die Thesen sind an erster Stelle eine Verurteilung der Politik Gramscis, deren pseudo-marxistische Mischung à la Croce und Bergson angeprangert wurde. Sie kritisierten den Vorschlag einer Bildung eines Bündnisses mit den antifaschistischen Parteien nach der Ermordung von Matteotti sowie die Parole der „föderalen Arbeiterrepublik" als einen Verrat am Marxismus.

An zweiter Stelle fassten sie die „bordigistische" Konzeption der Partei zusammen. Diese müsse, um den Klassenkampf zum Sieg zu führen, auf drei Ebenen handeln:

- auf theoretischer Ebene: Der Marxismus bereichere sich durch komplexe Situationen. Er könne nicht auf einen „unabänderlichen und feststehenden Katechismus" reduziert werden, sondern sei „ein lebendiges Instrument zum Verstehen und Verfolgen der Gesetze des historischen Prozesses".

- auf organisatorischer Ebene: Die Partei werde nicht durch den reinen Willen einer kleinen Gruppe von Menschen gebildet, sondern als Antwort auf eine günstige objektive Situation. „Die Revolution ist nicht eine Frage der Organisation", und die Partei sei „gleichzeitig Faktor und Produkt der historischen Entwicklung". Die „Thesen" lehnten daher Voluntarismus und Fatalismus ab.

- auf der Ebene der Intervention: Die Partei müsse sich unabhängig von allen anderen Parteien am Klassenkampf beteiligen.

An dritter Stelle verwarf die „bordigistische" Plattform jene Art von Disziplin, die den freiwilligen Anschluss durch die militärische Regel der Unterwerfung unter einer Autorität ersetzt. Sie unterstrich die Gefahr der Degenerierung der in der Internationale zusammengeschlossenen Parteien, die sich der Bolschewisierung unterworfen hatten. Angesichts dieser Gefahr fassten die Thesen nicht die Bildung einer Fraktion ins Auge, da die wahre Gefahr „in der Form einer subtilen Durchdringung im einheitlichen und demagogische Gewand" lauere und „von oben kommt, um die Initiativen der revolutionären Avantgarde zu frustrieren".

Wie war es um die historischen Aussichten bestellt, die aus dieser Degenerierung resultierten? Sie verdüsterten sich aus zwei Gründen :

- wegen der Stabilisierung des Kapitalismus: In vollkommener Kenntnis der Tatsache, dass „die Krise des Kapitalismus noch andauert", habe die „partielle Stabilisierung" zu einer „Schwächung der revolutionären Arbeiterbewegung in nahezu allen ökonomisch entwickelten Ländern" geführt.

- wegen der Gefahr der Konterrevolution in Russland: Eine revolutionäre Politik von Russland und der Komintern würde subjektiv die künftigen Bedingungen der Revolution bestimmen. Doch Russland werde durch den Kapitalismus innerhalb seiner Grenzen bedroht, durch die Wirtschaft, wo bürgerliche (staatskapitalistische) und sozialistische Elemente koexistieren. Angesichts einer Entwicklung, die der Russischen Revolution „ihren proletarischen Charakter zu rauben droht", könne sie nur durch „den Beitrag aller Parteien und der Internationale" gerettet werden.

Um einen solchen Beitrag zu leisten, nahm Bordiga im März/April 1926 zum letzten Mal an der VI. Erweiterten Exekutive Teil. (12) Dies bot ihm die Gelegenheit zu langen Diskussionen mit Trotzki. Er versicherte ihm die Solidarität der Italienischen Linken mit seinem Kampf gegen den „Sozialismus in einem Land". In äußerst harten Interventionen attackierte er Stalin. Couragiert verteidigte er die Notwendigkeit „eines Widerstandes von links gegen die Gefahr von rechts", und zwar auf „internationaler Ebene". Bordiga beabsichtigte nicht die Bildung einer Fraktion, lehnte jedoch auch nicht die mögliche Bildung einer solchen ab. Er erinnerte daran, dass „die Geschichte der Fraktionen die Geschichte Lenins ist". Fraktionen seien keinesfalls eine Krankheit, sondern das Symptom einer Krankheit. Sie seien eine Reaktion der „Verteidigung gegen den opportunistischen Einfluss".

Dies war der letzte Kampf Bordigas und der Italienischen Linken innerhalb der Komintern. Von nun an begann sie sich langsam als Fraktion der PCI zu formieren. Nach ihrer Eliminierung aus der Partei und aufgrund ihrer Zerstreuung in etlichen Ländern unter den Schlägen der faschistischen Repression befand sie sich allein und isoliert in ihrem Kampf um die Wiederbelebung der Komintern. Ohne Kontakt zu Trotzki, der seinen eigenen Weg verfolgte, ohne die Möglichkeit, ihre Propaganda in Italien und in der Komintern zu verbreiten, sah sie sich in dem Status einer sehr begrenzten, minoritären Opposition versetzt.

Die Beziehungen zu Karl Korsch

Die erste Aufgabe, die sich nun der Italienischen Linken stellte, war, Verbindungen mit der deutschen Linksopposition herzustellen. Diese arbeitete damals für eine internationale Regruppierung der Kommunistischen Linken. Diese Verbindungen waren schon 1923 geknüpft worden, als Mitglieder der Tendenz um Bordiga in Deutschland direkten Kontakt mit der Linken innerhalb der KPD unterhielten. Einige, beispielsweise Pappalardi (siehe folgendes Kapitel), hatten sich sogar von der PCI losgesagt und die erste organisierte Opposition der italienischen Emigration gebildet.

Doch die engsten Verbindungen existierten vor allem zu Karl Korsch, den Bordiga seit dem V. Kongress der Komintern kannte. Korsch war am 1. Mai 1926 wegen seiner Opposition gegen die Außenpolitik des russischen Staates, die er als roten Imperialismus bezeichnete, aus der KPD ausgeschlossen worden und hatte eine mehrere Tausend Mitglieder umfassende Opposition, Die Entschiedene Linke, gegründet, die die Zeitschrift „Kommunistische Politik" herausgab. In den Thesen dieser Gruppierung definierte Korsch die Russische Revolution als bürgerlich, deren Charakter „mit dem Rückfluss der Weltrevolution" immer klarer geworden sei. Seine Gruppe hatte im Gegensatz zur Italienischen Linken „jegliche Hoffnung auf eine revolutionäre Rückeroberung der Komintern aufgegeben". (13)

Die organisatorischen Ziele der Gruppe kamen nicht deutlich zum Ausdruck. „Kommunistische Politik" betrachtete sich weder als Partei noch als Fraktion, und ihre Mitglieder durften parteilos sein oder der KAPD angehören. Dennoch unterstrich sie, dass „in der gegenwärtigen Situation die historische Aufgabe aller Marxisten die Neugründung einer wirklich revolutionären Klassenpartei auf nationaler wie internationaler Ebene, einer neuen Kommunistischen Internationale ist". Doch betonte sie, dass „es nicht möglich ist, diese Aufgabe zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu verwirklichen". Ohne die Existenz kommunistischer Parteien sah die Gruppe keine andere Lösung als die Einberufung eines neuen Zimmerwald:

„Die Formel, die wir für unsere politische und taktische Linie zum gegenwärtigen Zeitpunkt gefunden haben, ist die von Zimmerwald und der Zimmerwalder Linken. Damit wollen wir sagen, dass man in einer Phase der Liquidierung der III. Internationale die Taktik Lenins zur Zeit der Liquidierung der II. Internationale wiederaufnehmen sollte." (Brief von Korsch an die italienische Oppositionsgruppe im Ausland, 27. August 1926, zitiert in: Montaldi, „Korsch und die italienischen Kommunisten").

Dieser Vorschlag wurde der Italienischen Linken unterbreitet, und es wurde ein Brief mit der Einladung zu einer internationalen Konferenz der Linken in Deutschland an Bordiga geschickt, der in Neapel weilte. Die „Kommunistische Politik" glaubte, nachdem sie Kenntnis von den Protokollen des IV. Erweiterten Exekutivkomitees, die auf Deutsch in Hamburg veröffentlicht wurden, erhalten hatte, dass rasch eine Ideen- und Aktionsgemeinschaft zwischen den beiden linken Strömungen geschaffen werden könne.

Die Antwort Bordigas und der Italienischen Linken – die seinerzeit in ständigem Briefkontakt mit Ersteren stand - war eine klare Absage. Diese Ablehnung war die Konsequenz aus den politischen Divergenzen, nicht einer „sektiererischen" Zurückhaltung.

Die Divergenzen konzentrierten sich auf die Fragen des Charakters der Russischen Revolution und der Arbeitsperspektiven der Linkskommunisten:

- der Charakter des russischen Staates: Dieser wurde als proletarisch definiert, auch wenn die Gefahr der Konterrevolution real sei:

„Die Art, wie Ihr Euch ausdrückt, scheint mir nicht richtig zu sein. Man kann nicht sagen, dass die Russische Revolution eine bürgerliche Revolution gewesen sei. Die Revolution von 1917 war eine proletarische Revolution, obwohl es ein Fehler wäre, ihre taktischen Lektionen zu verallgemeinern. Jetzt stellt sich das Problem, was mit der Diktatur des Proletariats in einem Land geschieht, wenn die Revolution sich nicht auf andere Länder ausdehnt. Es kann eine Konterrevolution geben; es kann ein Prozess der Degenerierung eintreten, deren Symptome und Reflexe in der kommunistischen Partei entdeckt und definiert werden müssen. Man kann nicht einfach sagen, dass Russland ein Land sei, wo der Kapitalismus expandiert."

- die Ablehnung einer Spaltung: „Wir sollten nicht die Spaltung der Parteien und der Internationale anstreben. Wir sollten dem Experiment der willkürlichen und mechanischen Disziplin eine Chance geben, indem wir Letztere so weit wie möglich, bis zur totalen Absurdität ihres Verfahrens, respektieren, ohne jedoch auf unsere ideologische und politische Kritik zu verzichten und ohne uns jemals mit der herrschenden Orientierung zu solidarisieren."

- die Ablehnung von Oppositionsblöcken: „Ich glaube, dass einer der Fehler der gegenwärtigen Internationale darin besteht, dass sie einen ‚Block‘ lokaler und nationaler Oppositionen darstellt."

- die kritische Einschätzung der Vergangenheit: „Generell denke ich, dass mehr noch als Organisation und Manöver heute die Erarbeitung einer politischen Ideologie der internationalen Linken zuoberst stehen sollte, die auf den beredten Erfahrungen der Komintern beruht. Da wir noch entfernt sind von diesem Punkt, erscheint jede internationale Initiative schwierig."

Aus all diesen Gründen kam Bordiga zum Schluss, jegliche gemeinsame Erklärung abzulehnen, denn er glaubte nicht, dass dies in der Praxis möglich sei. (14)

Der ganze Geist der Italienischen Linken spiegelte sich in diesem Brief wider. Zuoberst stand die Treue zur Russischen Revolution und zur Internationale. Es gab einen fundamentalen Unterschied zu den anderen Linken: die Herangehensweise und die Methode. Die Italienische Linke verließ niemals das Schlachtfeld, ehe sie den Kampf zu Ende geführt hatte. Es war insofern ein theoretischer Kampf, als er danach strebte, alle Lehren zu ziehen, die der Niederlage zu entnehmen waren. Hier ähnelte die Herangehensweise der Italienischen Linken jener von Luxemburg, für die Niederlagen reich an Lehren für die künftigen Siege waren. Es war vor allem ein politischer Kampf, mit der Konzeption einer revolutionären Organisation, die sich durch die Klarheit ihrer Ziele, ihrer Prinzipien sowie ihrer Taktik auszeichnet, welche alle durch ihren theoretischen Rahmen miteinander verknüpft waren.

Im Unterschied zu den Gruppen, die voreilig die Gründung neuer Parteien und einer neuen Internationale forderten, ging die Italienische Linke mit Methode vor. Solange die Internationale nicht tot war, solange sie noch ein Funken Leben in sich hatte, hielt die Italienische Linke an ihr fest wie ein Glied an seinem Körper. Ihre Organisationsauffassung war einheitlich: Spaltungen waren ein Übel, das es zu vermeiden galt, um die Kräfte nicht zu zerstreuen, die zu einer zentralisierten internationalen Organisation drängen. Erst als der Tod der Internationale feststand, fasste sie die Bildung einer autonomen Organisation ins Auge. Die Gründung einer Fraktion in der alten Partei, die deren früheres revolutionäres Programm aufrecht hält, sei eine Vorbedingung für die Konstituierung einer neuen Partei, die erst bei einem revolutionären Aufstand proklamiert werden könne. Die Internationale sollte denselben Gesetzmäßigkeiten gehorchen: Nur die reale Existenz von revolutionären Parteien in mehreren Ländern konnte die Grundlage für eine Internationale bieten.

Diese organische Sichtweise der Partei sollte bis zum Zweiten Weltkrieg der Italienischen Linken eigen bleiben. Sie wollte sich als Organ einer Internationale und einer Partei gemäß den natürlichen Gesetzen dieser Organe entwickeln, ohne riskante Transplantationen zu unternehmen und ohne ihre freie, natürliche Entwicklung zu beschleunigen.

1926 hatte die Kommunistische Linke Italiens im Grunde die Erarbeitung ihrer fundamentalsten Prinzipien abgeschlossen. Sie verwarf:

- die Einheitsfront sowie „Arbeiter- und Bauernregierungen",

- den Antifaschismus sowie jegliche Politik, die sich nicht auf dem Terrain des Klassenkampfes befand,

- den Sozialismus in einem Land,

- die Verteidigung der Demokratie.

Andere theoretische Aspekte wie die Frage des russischen Staates und die Bildung von Fraktionen wurden kaum erörtert. Dies sollte später die Aufgabe der Italienischen Linken in der Emigration sein.

Man kann sich fragen, weshalb die Strömung um Bordiga innerhalb der italienischen KP eine Niederlage erlitt. Wenn man aus den Augen verliert, dass die Italienische Kommunistische Partei eine Sektion der Komintern war, bleibt die Frage in der Tat ungeklärt. Nicht die Parteibasis eliminierte Bordiga, sondern die Komintern via Gramsci und Togliatti, die sich ihre hierarchische Autorität zunutze machten. Das Gewicht der russischen Partei innerhalb der Komintern, die ein Instrument des russischen Staates geworden war, vertrieb jegliche linke Opposition. Unter diesen Umständen war der Widerstand äußerst gering. Nicht nur ging die revolutionäre Welle zurück, hinzu kam, dass das Prestige der Komintern trotz ihrer Degeneration immer noch enorm war und den Willen der Opposition lähmte.

All diese Gründe erklären, warum die Niederlage trotz aller Sympathien, die der „bordigistischen" Führung in der Partei entgegengebracht wurden, unvermeidlich war. Vielleicht beschleunigten der zögerliche Widerstand, das halb-mechanische Akzeptieren der Disziplin sowie ihre Ablehnung, eine Fraktion zu bilden, diese Niederlage. Doch während wir die Vergangenheit interpretieren können, können wir keine Geschichte mit Wenn und Aber‘s neu schaffen.

Bordigas Entwicklung nach 1926

Amadeo Bordiga wurde Ende 1926, nachdem sein Haus von den Faschisten verwüstet worden war, verhaftet und zu drei Jahren Verbannung verurteilt, die er zuerst in Ustica, dann in Ponza verbrachte. Er organisierte mit Gramsci eine Parteischule, wo er die wissenschaftliche Abteilung leitete. Schnell traten Unstimmigkeiten unter den Verurteilten auf. Als 38 Gefangene, unter ihnen Bordiga, sich im Gegensatz zu 102 weiteren Gefangene gegen die anti-trotzkistische Kampagne aussprachen, entschied die KP-Führung in Paris, den Gründer der Partei auszuschließen. Der Ausschluss wurde im März 1930 nach einem Rapport des stalinistischen Schergen Giuseppe Berti vollzogen.

Während die Italienische Linke in den italienischen Gefängnissen und im Ausland ihren Kampf fortführte, entfernte sich Bordiga Schritt für Schritt aus dem politischen Leben, um sich seinem Beruf als Architekt zu widmen.

Viele waren über sein Schweigen erstaunt und führten dies auf die ununterbrochene Überwachung durch die faschistische Polizei zurück: Wo immer er hinging, wurde er von zwei Polizeiagenten begleitet.

In den dreißiger Jahren fragte Trotzki Alfonso Leonetti, der Trotzkist geworden war und Bordiga gut kannte, seit er 1924 im Publikationskomitees des „Prometeo" gewesen war: „Warum tut Bordiga nichts?" Leonetti antwortete: „Bordiga denkt, dass alles verfault sei. Man müsse die Entstehung neuer Situationen abwarten und dann neu beginnen." (Brief von Leonetti an Franco Livorsi, 1.5.1974)

Ein Bericht der Polizei vom 26. Mai 1936 (ACS CPC 747), der ein Gespräch zwischen Bordiga und seinem Schwiegerbruder zum Inhalt hatte, unterstützte diese Aussage. Bordiga erklärte: „Es ist notwendig, auf Distanz zu gehen und zu warten (...) warte nicht auf diese Generation, sondern auf die künftigen Generationen". Bordiga war erschöpft und abgestoßen vom militanten Leben, was das folgende Gespräch vom 3. Juli 1936 bestätigte (ACS 19496, Divisione degli affari generali e riservati): „Ich bin glücklich, außerhalb der kleinlichen und unbedeutenden Ereignisse der politischen Militanz zu leben (...) Ihre täglichen Geschehnisse interessieren mich nicht mehr. Ich bleibe meiner Ansicht treu. Ich bin glücklich in meiner Isolation."

Trotz aller Anstrengungen, die die Mitglieder der Italienischen Linken unternahmen, um mit Bordiga zusammenzukommen, lehnte dieser jeden Kontakt ab und beschränkte sich auf rein informelle Kontakte über alte Kämpen der Linken wie Indorico Tarisia oder Antonio Natangelo, der 1939 von Bordiga gebeten wurde, seine Solidarität an Freunde in Mailand zu übermitteln, mit der Empfehlung, dass sie ihr Vertrauen in sich nicht verlieren sollten, dass sie unbeirrt, ohne Schwanken und auf alle Eventualitäten vorbereitet bleiben (ACS, Bordigas Schnellhefter im Zentralen Politischen Archiv).

Wie ersichtlich wird, gelangten Bordiga und seine Genossen, obwohl sie dieselbe Ansicht über den konterrevolutionären Charakter der Periode teilten, zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen: Für Ersteren bestand sie in der Unmöglichkeit jeglicher organisierten Arbeit in dieser Phase; für die anderen in der absoluten Notwendigkeit solch einer Arbeit, als eine linke Fraktion, die sich von der alten Partei gelöst hat. Dieser große Unterschied sollte, entsprechend Bordigas großem Einfluss, ein enormes Gewicht bei den Orientierungen erlangen, die von der internationalistischen Bewegung in Italien nach dem II. Weltkrieg formuliert wurden. Es scheint, dass Bordiga vom Krieg das Wiederaufflammen der revolutionären Welle erwartete: „Wenn Hitler die verhassten Mächte Großbritannien und die Vereinigten Staaten zurückdrängen kann und so das Gleichgewicht der kapitalistischen Welt prekär macht, so lebe der Schlächter Hitler, der so die Bedingungen für die proletarische Weltrevolution schafft." Und er fügte hinzu: „Alle Kriege erlebten als Folge die revolutionäre Tat. Nach der Niederlage kommt die Revolution." (ebenda, 26. Mai 1936)

Bordiga war daher überzeugt, dass die Revolution aus dem Krieg hervorgehen würde, und erschien 1944 wieder auf der politischen Bühne, in einer Fraktion der italienischen Kommunisten und Sozialisten (siehe unten). Zuvor hatte er alle Angebote zur Zusammenarbeit abgelehnt, die ihm zuerst von Bombacci - der eine profaschistische Zeitschrift „der Linken" gegründet hatte - und schließlich von den Amerikanern unterbreitet worden waren. (15)

Von 1926 bis 1945 verfolgte die Italienische Linke ihren eigenen Weg und musste dabei jenen Mann entbehren, der sie am besten verkörperte.

Aufgrund ihrer internationalen Aktivitäten in mehreren Ländern war die Italienische Linke weder „italienisch" noch „bordigistisch". Zwar war sie in Italien entstanden, entwickelt hat sie sich jedoch international. Kristallisierte sie sich zuerst in den theoretischen und politischen Beiträgen Bordigas, so wurde sie später anonym. Hier folgte sie den wesentlichen Linien der „Thesen von Lyon", die die Organisation als einheitliches Kollektiv definierten.

Den Ausdruck „Bordigismus", der ihr oft angeheftet wurde, wies die Kommunistische Linke in der Emigration stets zurück, da er einen Personenkult begünstigte, den sie, zumindest bis zum Ende des Krieges, nicht unterstützte. Die theoretische und politische Entwicklung dieser Linken sollte, angereichert durch die Erfahrung, die Beiträge Bordigas übertreffen und bereichern. Deshalb war die heftige Reaktion der italienischen Fraktion 1933 völlig verständlich:

„Wiederholt haben wir in der italienischen Partei in Anwesenheit des Genossen Bordiga, wie auch in der Internationale und in der linken Opposition die Nichtexistenz des ‚Bordigismus‘ sowie all der anderen „ismen" betont, die eine inflationäre Verbreitung gefunden haben, seitdem sich eine Börse der Verwirrung und des politischen Betrugs in der kommunistischen Bewegung eingerichtet hat. Ein einziges Mal ist der Begriff ‚Bordigismus‘ auf dem Deckblatt der französischen Ausgabe unserer Plattform erschienen, was wir mehrmals zu klären versucht haben. Wir haben gesagt, dass dieser Begriff ein Irrtum ist, dass es lediglich die Absicht der Genossen war, mit diesem Begriff die Traditionen der politischen Strömung, die diese Plattform herausgab, unter den zahllosen Oppositionsgruppen der französischen Partei zu spezifizieren. Der Begriff ‚Bordigismus‘ ist wie die Reduzierung unserer politischen Strömung auf die Person Bordiga die krasseste Deformation der Ansichten des Genossen Bordiga selbst, welcher auf den Spuren von Marx den Begriff der Individualität zerstört und theoretisch aufgezeigt hat, dass nur die Kollektivität und ihre sozialen Organismen dem Individuum eine Bedeutung geben können."

(Bilan, Nr. 2, "Pas de Bordigisme")

Wenn wir in dieser Untersuchung hie und da den Begriff „Bordigismus" benutzen oder über eine „bordigistische" Strömung sprechen, so ist dies keine bösartige Absicht. Es handelt sich mehr um eine Angelegenheit des Ausdrucks als um die Überzeugung, dass die Italienischen Linke Bordiga zum Fetisch macht. Dagegen waren in der Nachkriegszeit viele ehemalige Mitglieder der Fraktion außer sich vor Begeisterung und vielmals ohne irgendeine Kritik der „Partei Bordigas" beigetreten oder haben sich „für Bordiga" abgespalten. Für sie ist der Begriff „Bordigismus" gerechtfertigt.

Fußnoten:

Zur Geschichte der sozialistischen Bewegung vor 1918 können wir entweder auf Bordigas Buch (Storia della sinistra italiana), das unersetzliche Zeugnis eines Mitglieds, oder auf das Buch von G. Arfe: Storia del socialismo italiana (1892-1926), 1966, Einaudi, verweisen.

Zu Bordiga weisen „Invariance", „Le Fil du Temps", „Programme Communiste" in ihren zahlreichen Neuauflagen alle diesbezüglichen Texte auf. Siehe besonders „Le Fil du Temps" Nr. 13, Nov. 1976 und „Programme Communiste" Nr. 48-56.

Zur PSI im Krieg siehe die Gesammelten Werke „Il PSI e la grande guerra", Florenz, 1969.

Die Beziehungen zwischen Lenin und Bordiga sind von H. König in „Lenin und der Italienische Sozialismus" (1915-21, Tübingen, 1967) untersucht worden.

A. Leonetti hat eine Textsammlung über die Auseinandersetzung zwischen Bordiga und Gramsci zur Frage der Räte herausgegeben: „Dibattilo sur consigli di fabrica", 1973. „Programme Communiste" hat in den Nummern 71, 72 und 74 eine Reihe von französischsprachigen Texten über die Debatte veröffentlicht, wobei es einen kritischen Standpunkt gegenüber Gramsci und dem „Gramscismus" vertrat.

Zur Entstehung der italienischen KP hatte G. Galli eine sehr prägnante „Storia del partito comunista italiano" (1958) verfasst. Die programmatischen Texte der Kommunistischen Partei Italiens können in „Le Fil du Temps", Nr. 8, Oktober 1971, nachgelesen werden.

Die Auffassung der Italienischen Linken über den Faschismus werden in einer Sammlung von Texten Bordigas präsentiert. „Kommunismus und Faschismus" in „Programme Communiste", 1970. Siehe auch „Programme Communiste", Nr. 45-50. „Le PC d’Italie face l’offensive fasciste".

Siehe „Relazione del PC d’14 congresso dell’Internazionale, novembre 1922", Maspero-Reprint.

Die Resolution über Italien kann in „Les Quatre Premiers Congrès de l’IC", Maspero-Reprint, nachgelesen werden.

Es hat den Anschein, als wären Damen und vor allem Repossi im Gegensatz zu Bordiga für die sofortige Bildung einer linken Fraktion gewesen. „... die linken Elemente müssen nicht Posten einnehmen, aber sich selbst zu einer Fraktion bilden und in den Massen arbeiten, um die Partei wieder zu einer gesunden Aktivität zurückzuführen." (Brief von Repossi an Genossen, zitiert von D. Montaldi, „Korsch i comunisti italiani", 1975)

Togliatti: „La formazione del gruppo dirigente del PCI", 1962, welches sinnvollerweise mit S. Merli, „Le origini della direzione centrista del PCI d’I" in „Rivista storia del socialismo", 1964, und mit seiner Untersuchung „Il PCI, 1921-1926", Annali Feltrinelli, 1960, verglichen werden sollte.

Bordigas Interventionen können auf Französisch in „Programme Communiste", Nr. 69-70, Mai 1976 gefunden werden.

D. Montaldi, oben zitiert. Die Entschiedene Linke, die die kompromisslosesten linken Opponenten des Stalinismus um sich scharte, wurde eigentlich am 2. April 1926 auf einer Konferenz in Berlin gegründet, die eine „Plattform der Linken" verabschiedete. Diese sprach sich gegen jegliche Spaltung in der KPD und in der Komintern aus. Sie war äußerst heterogen, was zum schnellen Auseinanderbrechen der EL führte:

    die Gruppe um Iwan Katz, die besonders stark in Niedersachsen war und sich am 16. Mai 1926 von der Korsch-Gruppe trennte; mit Pfenferts AAU-E gründete sie am 28. Juni den „Spartacusbund der Linkskommunistischen Organisationen" und veröffentlichte die Zeitung „Spartakus". „Spartacusbund Nr.2" verschwand im Frühling 1927;

    die Gruppe um Schwarz, einem KPD-Reichstagsabgeordneten, die die EL mit Korsch gegründet hatte, trennte sich von derselben am 28. September. Sie veröffentlichte daraufhin eine Zeitung namens „Die Entschiedene Linke", die den Originalnamen der Organisation annahm. Die EL verband sich mit der KAPD im Juni 1927; dies führte zu einer schweren Krise in der Partei, da Schwarz sich weigerte, seinen Sitz im Parlament aufzugeben;

    die Gruppe um Korsch, die sich nach der Spaltung im September „Kommunistische Politik" nannte, in Anlehnung an den Namen der Zeitschrift, die seit 1926 publiziert wurde. Feindlich gegenüber der KAPD eingestellt, favorisierte sie eine „Politik der kommunistischen Unionen". Sie war für die Schaffung einer „unabhängigen KP" in einer Internationale, die unabhängig von der Komintern war. Als reine Propagandagruppe, deren Mitglieder auch Arbeiterparteien, die auf Klassenprinzipien fußen (wie die KAPD), den Unionen oder den revolutionären syndikalistischen Organisationen angehören konnten, verschwand diese Gruppe praktisch im Dezember 1927.

in „Programme Communiste", Nr. 68, Dezember 1975.

Während des Krieges behauptete der pro-deutsche Sprecher Herriot wie auch gewisse Zeitungen im Mai und Juni 1944, dass Bordiga den Vormarsch der Roten Armee in Europa als einen Sieg für die „proletarische Revolution" unterstützt habe. Diese Behauptung, die die Italienische Fraktion in Frankreich und Belgien perplex machte, ist nicht glaubwürdig. Man sollte die Atmosphäre jener Zeit – Gerüchteküchen und die unglaublichsten Verfälschungen von Informationen – dabei nicht außer Acht lassen. Jedoch gab die Internationalistische Kommunistische Partei niemals ein offizielles Dementi zu diesem Punkt heraus (zu Bordigas politischer Position siehe letztes Kapitel).

Das Kommuniqué, das auf Italienisch von der Italienischen Fraktion in Marseille veröffentlicht wurde, kann in ihrem „Bulletin de Discussion", Nr. 7 (Juli 1944) gefunden werden. Es stellte fest: „Wir denken nicht, dass ein Genosse mit der ideologischen Kapazität eines Bordiga solch eine Position zum Ausdruck bringen könnte, die hinter ihrer scheinbar radikalen Phraseologie lediglich die Position des internationalen Kapitalismus und seiner Alliierten (‚Sozialismus in einem Land‘) ausdrückt und es Letzteren erlaubt hat, das Proletariat in den imperialistischen Krieg zu werfen. Die gegenwärtigen Bedingungen erlauben es uns nicht, die Wahrheit schnell und präzise durchzusetzen."

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Italienische Linke [2]

Inhaltsverzeichnis

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Einleitung

Kapitel 1: Die Ursprünge (1912 – 1926)

Kapitel 2: 1927 – 1933 Italienische Linke oder Deutsche Linke?

Kapitel 3: Die Geburt der Linken Fraktionen der PCI (1927 - 1933)

Kapitel 4: Bilan: Mit Riesenschritten in die Niederlage (1933 - 1939)

Kapitel 5: Der Krieg in Spanien – Kein Verrat

Kapitel 6: Hin zum Krieg oder zur Revolution? 

Kapitel 7: Bilanz der Russischen Revolution

Kapitel 8: Die Herausforderung des Krieges

Kapitel 9: „IL PARTITO COMUNISTA INTERNAZIONALISTA“ ITALIENS (1943-45)

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Kommunistische Linke [3]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Italienische Linke [2]

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Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/2/24/marxismus-die-theorie-der-revolution [2] https://de.internationalism.org/tag/entwicklung-des-proletarischen-bewusstseins-und-der-organisation/italienische-linke [3] https://de.internationalism.org/tag/politische-stromungen-und-verweise/kommunistische-linke