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Weltrevolution - 1998

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Aufstieg und Niedergang der Autonomia Operaia

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Aufstieg und Niedergang der  

Autonomia Ope­raia     /1. Teil

 Als nach 1989 die Weltbourgeoisie den Zusammenbruch der stalinistischen Regime Osteuropas zum Anlaß nahm, um den endgültigen Bankrott des Marxismus und der „traditionellen Vorstellung vom Klassenkampf“ bekanntzugeben, witterten nicht nur Anarchisten, sondern auch Operaisten Morgenluft. Habe der Operaismus sich nicht schon Ende der 60er Jahre von vermoderten Vorstellungen des Marxismus verabschiedet, wie etwa der Wirtschaftskrise und der Verelendung der Arbeiterklasse, dem imperialistischen Krieg und dem politischen Kampf dagegen, oder der Notwendigkeit politischer Organisationen der Klasse, welche im Klassenkampf intervenieren, ohne in diesen Kämpfen jeweils aufzugehen? Während also Ende der 80er Jahre die operaistische Bewegung nach zwei Jahrzehnten aktivistischer und zumeist erfolgloser Interventionen im Klassenkampf ziemlich erschöpft und lädiert dastand, glaubte man nach 1989 wieder an die Möglichkeit, Einfluss zu gewinnen. Und tatsächlich stieg im Laufe der 90er Jahre der Bekanntheitsgrad von operaistischen „Vordenkern“ wie Toni Negri oder Karl-Heinz Roth wieder an. Und dennoch waren die Ereignisse von 1989 eine Bestätigung der Thesen nicht der Arbeiterautonomie, sondern des Marxismus. Die Regime Osteuropas brachen zusammen als Ergebnis der von Marx vorhergesehenen historischen Krise des Kapitalismus. 

 In Anbetracht der Fortentwicklung der Krise, der imperialistischen Kriege sowie der politischen Verantwortung der Arbeiterklasse und der Revolutionäre seitdem, ist es nun höchste Zeit, die ursprünglichen Thesen nicht des Marxismus sondern des Operaismus kritisch, d.h. historisch zu hinterfragen. Haben die Schlussfolgerungen, welche die Autonomie in Italien Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre zogen, der Prüfung durch die Geschichte standgehalten? Der Leser soll selbst beurteilen. Wir veröffentlichen auszugsweise eine Kritik an Potere Operaio, welche die IKS bereits 1979 verfasste, und welche seitdem – meinen wir – an Aktualität eher gewonnen als eingebüßt hat. (Aus der International Review Nr. 16, engl., franz., span. Ausgabe)

  

Die Ursprünge der „Führungskrise“ –  

Die Verwerfung der marxistischen Krisenauffassung

 Obgleich die lange Phase des Wohl­stands am Ende des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Theorien entstehen ließ über einen schrittweisen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus - ganz einfach durch das Anheben des Bewusstseins der Arbeiter - lieferte der Eintritt des Systems in seinen Nieder­gang mit der Auslösung des 1. Welt­kriegs die historische Bestätigung der alten „Katastrophenauffassungen“ von Marx über den unvermeidbaren Zusam­menbruch der Warenwirtschaft. Es wurde deutlich, dass es für die Mensch­heit nur eine Alternative gäbe: Revolu­tion oder Reaktion und „es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemäß geschichtlich zu tun gezwungen sein wird.“(Marx, Die heilige Familie, MEW 2, S. 38)

 Nach der Niederlage der revolutionären Welle in den 20er Jahren und nachdem die Kommunistische Internationale in den Dienst der Konterrevolution trat, haben die überlebenden revolutionären Gruppen weiterhin die marxistischen Prinzipen verteidigt, dass „eine neue revolutionäre Welle nur aus einer neuen Krise“ (Marx) hervorgehen werde. Nachdem es nach dem Ende des 2. Weltkriegs nicht zu einer proletarischen Erhebung wie im Roten Oktober 1917 kam, bewirkte die Phase kapitalistischer „Gesundheit“ während der Wiederauf­bauzeit in diesen kleinen Fraktionen eine Zerstreuung, wobei die meisten von ihnen von der Bildfläche verschwanden. Als ein Ergebnis dieser Periode entstan­den neue Theorien, die beanspruchten, über die marxistische Krisenauffassung hinausgegangen zu sein. So bestand die Gruppe Socialisme ou barbarie in Frankreich darauf, dass der Kapitalismus seine ökonomischen Widersprüche überwunden habe (1). Die anti-marxisti­schen Schlussfolgerungen von Socia­lisme ou barbarie wurden von einer ganzen Reihe von Gruppen aufgegriffen; eine der bekanntesten waren die Inter­nationalen Situationisten. Mai 1968 war der Altweibersommer dieser Position. Das Wiederauftauchen der Arbeiterkämpfe auf der Bühne der Geschichte zu einem Zeitpunkt, als die Wirtschaftskrise sich noch nicht voll entfaltet hatte, ließ diese Unglückseligen glauben, dass die Bewegung keinen ökonomischen Hintergrund habe: „Was die Überreste der alten nicht-trotzkisti­schen Linksradikalen angeht, müssen sie nun, nachdem sie anerkannt haben, dass es im Mai 68 eine revolutionäre Krise gab, beweisen, dass es eine unsichtbare Wirtschaftskrise im Frühjahr 68 gab. Ohne Angst, sich lächerlich zu machen, haben sie Prognosen gemacht über einen zu erwartenden Anstieg der Arbeitslosig­keit und der Preise.“ (Situationistische Internationale, Nr. 12, Dezember 1969)

 Die Theoretiker dieser „Gesellschaft des Spektakels“ konnten die Krise nur se­hen, als sie spektakulär wurde .... Aber Marxisten haben nicht solange warten brauchen, bis etwas offensichtlich wird, auf den ersten Seiten der Zeitungen erscheint und in die Köpfe der bürgerli­chen Führer vorgedrungen ist, bevor sie in der Lage sind, das Auftauchen und die Bedeutung der neuen Krise zu erkennen. Obgleich sie sich weit weg vom Zentrum der kapitalistischen Welt befanden, konnte eine Handvoll „linksradikaler“ Genossen in Venezuela in ihrer Zeit­schrift Internacionalismo im Januar 1968 schreiben: „Im Jahre 1967 fiel der Kurs des britischen Pfundes, im Jahr 1968 ergriff [Präsident] Johnson entsprechende Maßnahmen  .... Wir sind keine Propheten, und wir behaupten nicht zu wissen, wann wo was stattfinden wird. Aber wir sind uns sicher, dass man den Prozess nicht aufhalten kann, den das kapitalistische System mit diesen Reformen und anderen kapitalistischen Hilfsmitteln durchläuft, und dass dieser Prozess unaufhaltsam zu einer Krise führen wird. Der gegenteilige Prozess, die jetzige Entwicklung der Kampfbereitschaft, führt im Gegenzug das Proletariat in einen direkten und blutigen Kampf um die Zerstörung der bürgerlichen Staaten.“ Das Auftauchen der Arbeiterklasse auf der historischen Bühne nach 1968 machte es den Vertretern des „revolutionären Karnevals“ unmöglich, im Namen der Klasse zu sprechen. 1970 löste sich die Situationistische Interna­tionale in einer Orgie von gegenseitigen Ausschlüssen auf. Danach waren die verschiedenen periodischen Ausbrüche von Revolten, die den Zerfall des Klein­bürgertums widerspiegelten, unfähig, eine neue Situationistische Internatio­nale hervorzubringen. Das endete je­weils in einem Zirkus.

  

Der Voluntarismus in den Farben der Arbeiterklasse und die „Führungskrise“

 Das Wiederauftauchen der Klasse auf der Bühne der Geschichte und das Ver­schwinden der Situationisten und ande­rer „Protestler“ verlangte, dass die Theorie, der Kapitalismus sei in der Lage, die Krise zu kontrollieren, angepasst werden müsste, wobei der neuen Wirklichkeit Rechnung getragen werden musste. Anstatt einfach die Möglichkeit der Krise zu leugnen (das war zum damali­gen Zeitpunkt schon unmöglich) wurde der aktive Aspekt der Theorie aufgewer­tet: da der Kapitalismus die Krise kon­trollieren könnte, sei die wirkliche Wirt­schaftskrise durch eine Krise der Kon­trolle selber hervorgerufen worden, und dies sei wiederum durch die Aktionen der Arbeiterklasse bewirkt worden. (2)  

Dieses Thema, das schon in den letzten Texten der Situationisten neben Hirten­gedichten über die Kritik am Alltagsle­ben aufgetaucht war, wurde ein Aus­gangspunkt der Positionen der neuen Kritiker der „sozialen Barbarei“, die sich nunmehr als „Marxisten“ und Anhänger der „Arbeiterklasse“ betrachteten. In Frankreich war es typisch, dass Anstren­gungen zur Schaffung einer „Marxistischen Linken für die Macht der Arbeiterräte“ (Gauche Marxiste pour le Pouvoir des Conseils des Travailleurs) auf dieser Grundlage 1971 von der Gruppe Arbeitermacht (Pouvoir Ouvrier) unter­nommen wurden, die selbst ein „marxistischer“ Ableger von Sozialis­mus oder Barbarei war.  

In Italien wurden diese Positionen haupt­sächlich durch die Gruppe Potere Ope­raio (Arbeitermacht) entwickelt. Wir wollen uns mit deren Positionen befas­sen (3).  

Die Gruppe stützte sich auf die Aner­kennung der Allmacht des „theoretischen Gehirns des Kapitals“, das ein erfahre­ner Manipulator der krisenlosen Gesell­schaft sei: „nach 1929 hat das Kapital gelernt, wie es die Wirtschaftszyklen kontrollieren, die Krisenmechanismen überwinden und vermeiden kann, von ihnen erdrückt zu werden, um sie poli­tisch gegen die Arbeiterklasse einzuset­zen.“ Sie schlugen deshalb folgende Lösung vor: „Das strategische Ziel der Arbeiterkämpfe – mehr Geld und weni­ger Arbeit – die gegen die Entwicklung des Kapitals durchgeführt werden, hat den theoretischen Ausgangspunkt bestä­tigt, von dem wir vor 10 Jahren ausgin­gen: die Einführung eines neuen Konzep­tes der Krise des Kapitals, die keine spontane Wirtschaftskrise mehr ist, welche von inneren Widersprüchen hervorgerufen wird, sondern eine politi­sche Krise, die von den subjektiven Bewegungen der Arbeiterklasse, durch ihre Forderungskämpfe hervorgerufen wird.“ (4)  

Nach der Leugnung, dass eine „neue revolutionäre Welle nur aus einer neuen Krise hervorgehen werde“, musste jetzt jedoch erklärt werden, warum diese Subjektivität der Arbeiter sich dazu durchgerungen hatte, 1968-69 wieder durchzubrechen und nicht 1954 oder 1982. Ihre Erklärung des Ursprungs dieses Kampfzykluses legt all das man­gelnde Begreifen von Potere Operaio bloß, oder vielmehr deren Ignoranz der Geschichte der Arbeiterbewegung.  

Die Niederlagen der 20er Jahre, der Ausschluss und schließlich die Aus­löschung der revolutionären Genossen durch die Kommunistische Internatio­nale, nachdem diese für das Lager der Konterrevolution wirkte, all das hat es aus der Sicht von Potere Operaio nie gegeben, da sich alles außerhalb der Fabriktore abspielte. Potere Operaio (PO) zufolge war die Einführung des Fließbandes ausschlaggebend, das „alle Arbeiter entqualifizierte und die revolu­tionäre Welle zurücktrieb“. Erst in den 30er Jahren übernahmen die historischen Organisationen der Klasse „das Projekt des Kapitals“, und dies geschah, weil sie die Umstrukturierung des Produktions­apparates gemäß den Wirtschaftstheorien von Keynes nicht verstanden hätten. Nachdem sie das Problem auf diese Weise gestellt und die historische Erfah­rung der Arbeiterklasse verworfen hat­ten, gab es keinen Anlass zu fragen, warum die Arbeiter erst 1968 erfuhren, dass „eine neue Gesellschaft und ein neues Leben möglich waren, dass eine neue, freie Welt durch die Kämpfe eröff­net wird.“ Es reichte aus zu antworten: „Wo sind die objektiven Bedingungen, die den subjektiven politischen Willen ermöglichen werden, sobald die Arbei­terklasse organisiert ist, um das revolu­tionäre Ziel zu erreichen?“ (PO, Nr. 38-39, Mai 1971). Dieser organisatorische Vorschlag von PO an die fortgeschritte­nen Arbeiter ging von einem tiefsitzen­den Misstrauen gegenüber der wirkli­chen Selbständigkeit der Arbeiterklasse aus, die als eine leicht formbare Masse in den Händen der Partei angesehen wurde, welche (zum Trost) „innerhalb der Klasse“ stand:  „Wir haben immer gegen diejenigen Opportunisten ge­kämpft, die Spontaneität „Spontaneismus“ nennen, anstatt ihre eigene Machtlosigkeit zuzugeben, wenn sie diese Spontaneität nicht anführen und in ein organisatorisches Projekt, in eine Führung der Partei, einbinden können.“ (PO, Nr.38-39, S. 4)

 Im Mittelpunkt der Widersprüche von PO ragt die Tatsache heraus: wenn PO von der Partei als einem Teil der Klasse spricht, meint sie damit nicht eine Or­ganisation, die um ein klares Programm und somit auf einer klaren politischen Grundlage die bewusstesten Elemente zusammenfasst, die in den Arbeiter­kämpfen gebildet wurden, ungeachtet ihres sozialen Ursprungs. Sondern sie spricht von einer Schicht, einem Teil der Klasse, der aus soziologischer Sicht direkt den Massenarbeitern und der „Massenvorhut im Kampf gegen die Arbeit“ angehört. Gegenüber Lenin, dem Bolschewik, verteidigte Martow, der Menschewik, die These, dass „jeder Streikende ein Mitglied der Partei“ sein könne. Die „Bolschewiki“ von PO ha­ben Martow ein wenig „aufgemöbelt“: „Jeder entschlossen Streikende ist Mit­glied der Partei.“ Die Partei ist einfach ein großes Basiskomitee und ihr einziges Problem besteht im Erreichen der He­gemonie der Massenarbeiter über die Passivität und den Widerstand bestimm­ter Schichten der Klasse. Um die Arbeiter wieder zu beleben, muss man ihnen einen voll ausgearbeite­ten Organisationsplan aushändigen: „Warum üben die Gewerkschaften noch die Kontrolle über den Ablauf der Kämpfe aus? Einfach wegen ihrer orga­nisatorischen Überlegenheit. Es handelt sich um ein „Management“-Problem. Ein Problem, wie man ein Mindestmaß an Organisation erreicht, wie man die Kämpfe glaubwürdig und annehmbar führt.“ Wenn man die Partei den kämp­ferischen Fraktionen der Klasse auf­zwingt, ist es unvermeidlich, wenn die Kampfbereitschaft nachlässt, dass die Partei sich mehr und mehr den Arbeitern substituiert, für sie stellvertretend han­delt, in einem „vollkommen subjektiven“ Weg hin zur Askese und zum Militaris­mus.  

Die Bildung des Bereichs der Autonomia und die Auflösung von Potere Operaio

 Die Arbeiterkämpfe im Herbst 1972, die mit der Besetzung des Fiat-Werkes Mirafiori im März 73 abschlossen, bewirkten einerseits einen Verlust der Glaubwürdigkeit der linksextremen Gruppen unter den Arbeitern (und somit zur Ausdehnung der selbständigen Organe), und andererseits entstand dadurch eine interne Krise bei PO. Die ausgesprochen den Willen betonende, militaristisch ausgerichtete Linie wurde kritisiert, da „die militärische Struktur als einzige dazu in der Lage ist, eine revolutionäre Rolle zu erfüllen, indem der Klassenkampf und die politische Rolle der Arbeiterkomitees verneint wird.“ (PO Nr. 50, November 73). Aber diese Verwerfung stieß nicht bis zu den theoretischen Grundlagen dieser Entartung vor, und sie wurde eher als eine Bestätigung der Thesen von PO verfasst als eine Kritik derselben. In Wirklichkeit wurde eine Neuauflage der alten These präsentiert, um irgendwie zu erklären, dass beim Ausbleiben von Arbeiterkämpfen die Krise sich in allen Ländern zuspitzen würde. Während man vorher betonte, dass die Krise durch die Avantgarde hervorgerufen worden sei, vertrat man nun die Auffassung, die mehr Anerkennung finden würde, dass  die Krise absichtlich von den Kapitalisten ausgelöst worden sei. „Die Kapitalisten lösen die Wirtschaftskrise aus und schaffen sie sooft aus der Welt, wie sie es für nötig halten, jeweils um die Arbeiterklasse zu schlagen.“ („Von den Kämpfen zur Entwicklung der Arbeiterautonomie“ der Autonomen Versammlungen von Alfa-Romeo und Pirelli und dem Kampfkomitee von Sit-Siemens, Mai 1973). Erneut weigert man sich, eine Bilanz der historischen Erfahrung des Proletariats zu ziehen, indem man einfach „berechtigterweise über die Form der Partei lachte, die die 3. Internationale entwickelt hatte“. Aber wenn die Arbeiterklasse über ihre eigene Vergangenheit nachdenkt, geschieht das nicht, um darüber zu lachen oder zu weinen, sondern um ihre Fehler zu begreifen, und um anhand dieser Erfahrung eine Klassenlinie festzulegen und um sich vom Klassenfeind abzugrenzen. Das revolutionäre Proletariat „lacht“ nicht über den „überholten Marxismus-Leninismus Stalins“, um besser den von Mao-Tse-Tung „erneuerten“ zu verherrlichen, sondern verwirft sie beide als Waffen der Konterrevolution. Aber genau das wollen die Neo-Autonomen nicht machen: „Aus dieser Sicht verwerfen wir jede dogmatische (?!) Unterscheidung zwischen Leninismus und Anarchismus: Unser Leninismus ist der von „Staat und Revolution“, und unser Marxismus-Leninismus ist der der chinesischen Kulturrevolution.“ (PO Nr. 50, S. 3). Worin besteht schlussendlich die Rolle der Revolutionäre? „Wir müssen dazu in der Lage sein, die Kraft der Arbeiterklasse zu vereinigen und zu organisieren; wir dürfen nicht stellvertretend für sie handeln.“ (Alle Avanguardie per il Partito, PO, Dez. 1970). Diese Aussage stelle die unüberwindbare Grenze dar, über die Autonomia Operia nie hinausgehen konnte, d.h. nur die Auffassungen als substitutionistisch zu betrachten, denen zufolge die Revolution von den Abgeordneten mit Reformen gemacht wird oder von den „militarisierten“ Studenten mit Molotov-Cocktails. Aber derjenige ist substitutionistisch, der das revolutionäre Wesen der Arbeiterklasse leugnet, mit all dem, was dies bedeutet. Wenn man behauptet, die Aufgabe der Revolutionäre bestünde in der Organisierung der Arbeiterklasse, leugnet man gerade die Fähigkeit der Klasse, sich gegenüber allen anderen Klassen der Gesellschaft selbst zu organisieren. Die Arbeiterräte der ersten revolutionären Welle wurden von den Arbeitermassen spontan gebildet; Lenin hat diese 1905 nicht organisiert, sondern sie anerkannt und in ihren Reihen die revolutionären Positionen der Partei verteidigt.  Wenn „die Organisation, die Partei, heute im Kampf gegründet wird“, wie kann man dann, sobald die Kämpfe beendet sind, das Überleben dieser Partei rechtfertigen, ohne in Substitutionismus zu verfallen? Die Avantgarden, die Revolutionäre schließen sich nicht um diesen oder jenen Kampf, sondern um ein politisches Programm zusammen. Auf der Grundlage desselben und als Ergebnis des Kampfes werden sie wiederum zu einem aktiven Faktor der Kämpfe, ohne jedoch von den Höhen und Tiefen der Bewegung abhängig zu sein, oder diese durch wohlgemeinte „Organisationsarbeit“ auszugleichen. Die Unfähigkeit zu begreifen, dass  Klasse und revolutionäre Organisation zwei unterschiedliche aber nicht entgegengesetzte  Wirklichkeiten sind, liegt an der Wurzel der substitutionistischen Auffassungen, die alle Partei und Klasse gleichsetzen. Wenn die Leninisten die Klasse mit der Partei gleichsetzen, kehren die Autonomen (unbewusste Nachkömmlinge des entarteten Rätekommunismus) nur die Sache um, indem sie die Partei mit der Klasse gleichsetzen. Diese Unfähigkeit ist das Symptom eines unvollständigen Bruchs mit den Gruppen der extremen Linke. Dies kommt durch die Autonome Versammlung von Alfa-Romeo gut zum Ausdruck, in der eine Aufgabenteilung theoretisiert wird, derzufolge die politischen Gruppen politische Kämpfe betreiben (d.h. politische und Bürgerrechte, Antifaschismus, kurzum das ganze arbeiterfeindliche Verschleierungsarsenal) und die autonomen Organe, die Kämpfe in den Fabriken und den Büros. All das ist logisch aus der Sicht derjenigen, die meinen „die Fähigkeit, Valpreda mit einer Abstimmung aus dem Gefängnis zu holen, war ein Teil des siegreichen Kampfes gegen den bürgerlichen Staat(!)“(Alfa-Romeo, Arbeiterzeitung des Kampfes 1972-73, Autonome Versammlung, Oktober 1973).

 Wie wir gesehen haben, ging die Autonomia Operaia von noch ein wenig konfuseren Grundlagen als PO  aus, während die Lage viel klarere Grundlagen erforderte. All diese proletarischen Bestrebungen, die zwar eine verwirrte aber gesunde Reaktion gegen die elende Praxis der extremen Linke darstellten, drehten sich nur im Kreise herum und versickerten, wenn sie weiter in diesem verwirrten Rahmen steckenblieben.         (Fortsetzung folgt).

 (Auszug aus Internationale Revue Nr. 16, englische, französische, spanische Ausgabe, 1979).  

Aufstieg und Niedergang der Autonomia Operaia 2. Teil

 

Ende der 60er Jahre entstand der Operaismus in Italien als Neuauflage der alten Arbeiterkultideologie der ‚Militanz am Arbeitsplatz‘. Als nach 1989 der Marxismus allgemein für bankrott erklärt wurde, witterte der Operaismus Morgenluft, da er seit jeher die klassischen Thesen des Marxismus wie etwa der Wirtschaftskrise des Kapitalismus oder die Unvermeidbarkeit des imperialistischen Krieges verworfen hatte. In Anbetracht der Fortentwicklung der Krise sowie des imperialistischen Krieges ist es nun höchste Zeit, die ursprünglichen Thesen nicht des Marxismus sondern des Operaismus kritisch, d.h. historisch zu hinterfragen.  Haben die Schlussfolgerungen, welche die Automia in Italien damals zog, der Prüfung durch die Geschichte standgehalten. Wir veröffentlichen nachfolgenden in Auszügen den zweiten Teil einer Kritik an Potere Operaio, die die IKS bereits 1979 verfasste (International Review, engl./franz./span. Ausgabe, Nr. 16). Der erste Teil des Artikels erschien in Weltrevolution Nr. 95. egenüber dem Rückfluss [des Klassenkampfes Anfang der 70er Jahre] liefert die Autonomia vor allem zwei Arten von Antworten: 

 G

1)       den voluntaristischen Versuch, dem Rückfluss gegenzusteuern, indem man einen immer frenetischeren und immer substitionistischeren Kurs gegenüber der Klasse einschlägt. 

2)       Die schrittweise Verlagerung des Fabrikkampfes auf neue Kampfgebiete, die natürlich “höherstehend” seien.

Aber über diese schrittweise Unterscheidung zwischen denen, die “durchhalten” wollen  und den “alternativen” Erneuerern stolpert und zerbricht das Projekt der Zentralisierung des “Bereichs der Autonomia”, welches mit großen Ansprüchen zu dem Zeitpunkt formuliert worden war, als Potere Operaio (PO)versuchte, innerhalb der Nationalen Koordination seine Politik durchzusetzen. Diese beiden Linien haben im großen und ganzen die beiden symmetrischen Abweichungen hervorgebracht, den Terrorismus und den Marginalismus, die sich beide überschnitten und ergänzten.  

Ohne hier diese beiden “Fäden” näher untersuchen zu können, ist es dennoch wichtig aufzuzeigen, dass sie die logische Fortentwicklung ihres Ursprungs aus der Arbeiterkultszene sind und keineswegs eine Ablehnung desselben.  

“Wenn der Arbeiterkampf das Kapital in die Krise und Defensive treibt, muss die Arbeiterorganisation schon technisch vorbereitete, solide Instrumente zu ihrer Verfügung haben, mit Hilfe derer man den Willen zum Angriff seitens der Arbeiter ausdehnen, verstärken und vorantreiben kann... Die ununterbrochene Revolution gegen die Arbeit herbeiführen und organisieren, Momente der Befreiung sofort festlegen und leben.. Dies ist die Aufgabe der Arbeiteravantgarde und unsere Auffassung von der Diktatur.” (4)  

Wie man sieht, bringt PO hier die Grundsatzpositionen zum Ausdruck, die die Wurzel seiner terroristischen “Linie” bilden.  

1)       Einerseits die Auffassung, die Krise sei erst durch den Druck des Klassenkampfes entstanden.  

2)       Andererseits die Auffassung der Revolutionäre als technische Organisatoren des Klassenkampfes. Deshalb müsse man eine “bestimmte Organisationsform” erreichen, um gegenüber der Arbeiterklasse glaubwürdig zu sein und mit den Gewerkschaften konkurrieren zu können  bei der “Verwaltung” der Kämpfe.  

In dem Maße, wie die Welle von Kämpfen von 68 nachließ, entwickelte man “Tricks”, die ein guter Techniker der Guerilla in den Fabriken kennen müsse, um seine Genossen am Arbeitsplatz zum “versprochenen Paradies” zu führen. So entstand und entfaltete sich die ganze mystische Herangehensweise der “Arbeiteruntersuchung”, d.h. der Untersuchung der Fabrikstrukturen – und der Produktionszyklen - durch die Avantgarden, um deren Schwachpunkte zu entdecken: Es würde dann ausreichen, an diesen Schwachpunkten anzusetzen, um den ganzen Zyklus zu blockieren und die Bosse “in die Enge zu treiben”. (...) Die Idee, ohne Vorwarnung zu dem Zeitpunkt und an dem Ort zuzuschlagen, wenn dies den Bossen am meisten wehtut, ohne dass dadurch gleichzeitig große Verluste für die Arbeiter entstehen, ist kein bloßer Einfall, sondern eine praktische Erkenntnis der Arbeiterklasse und wird  als “wilder Streik” bezeichnet. Das Neue ist die Idee (und dies ist tatsächlich  eine fixe Idee), dass der wilde Streik von den Avantgarden programmiert werden könnte, was aber ein Widerspruch in sich ist.  

Man könnte uns erwidern, dass dies alles stimme, aber wenn man nicht die Fabriken kenne, könnte man die Kämpfe verschiedener Sektoren nicht vereinigen, man würde sich verlieren und verlaufen etc.. Das stimmt. Aber es steht keineswegs fest, dass es dank der nächtelangen “Untersuchungen” einiger Militanter den Arbeitern, z.B. denen der Lackiererei, gelingen würde, sich zum Fließband, wo  Karosserien montiert werden, oder zur Stahlpresse zu begeben. Im Verlaufe ihres Kampfes löst die Klasse in der Praxis das Problem der Absperrungen und der Gitter, in- dem sie diese niederreißt.  

Dieser Punkt, der vielleicht als widersprüchlich erscheint, zeigt klar auf, dass hinter solch einer technisch-militärischen Auffassung des Klassenkampfes eine falsche Herangehensweise steckt. Die Vereinigung der Kämpfe wird nicht dadurch möglich, indem in jeder Gruppe Genossen die Pläne der Fabriken auswendig kennen. Aus dem Bedürfnis, die Kämpfe zu vereinigen, um aus den irreführenden Sackgassen der auf einzelne Bereiche beschränkten Kämpfe herauszukommen, wird die Klasse gezwungen, die Hindernisse auf dem Weg dieser Vereinigung beiseitezufegen. Um durch eine Demonstration die Arbeiter anderer Betriebe zur Teilnahme aufzurufen, ist es keinesfalls wichtig zu wissen, wo der Aus- oder Eingang eines Betriebes ist, sondern man muss verstanden haben, dass nur die Ausdehnung des Kampfes zum Sieg führen kann. In Wirklichkeit sind nämlich die schlimmsten Hindernisse keineswegs die Absperrungen, sondern diejenigen, die sich innerhalb der Arbeiterklasse mit viel Demagogie der Reifung der Klasse entgegenstellen. Die wirkliche Mauer, die niedergerissen werden muss, ist die, die jeden Tag von den Gewerkschaftsaktivisten, den Parteien und den “Arbeitergruppen” errichtet wird, die nämlich eine nahezu unsichtbare aber hohe Mauer aufbauen, welche das Proletariat innerhalb des “italienischen Volkes” einsperren und es von seinen Klassenbrüdern auf der Welt abspalten wollen. Das ist die Fußfessel, die es an die in Schwierigkeiten geratene Volkswirtschaft binden soll. Die demagogische und radikale “Verkleidung” dieser Hindernisse zu entblößen, deren konterrevolutionäres Wesen aufzuzeigen, das ist die besondere Rolle der Revolutionäre inner- und außerhalb der Betriebe, das ist ihr unersetzlicher Beitrag zur Herausbildung des Klassenbewusstseins und der Einheit der Klasse, die ganz andere Fabriktore aufbrechen wird als die von Fiat (...)  

Mittlerweile ist es schon zu einem Allgemeinplatz in den Publikationen von Autonomia geworden, dass sie den “Roten Brigaden” “Übertreibungen” des Militarismus und  Loslösung von den Massen vorwerfen. Die Brigaden haben deren Weg des Voluntarismus eigentlich nur konsequent zu Ende beschritten (...) Die Tatsache, dass all die Kritik der Arbeiterautonomie an den Roten Brigaden nie über das übliche opportunistische Jammern, einige Aktionen seien verfrüht, hinausgeht, und nie zum Wesentlichen vordringt, ist sicherlich kein Zufall, denn die Wurzeln dieses Tatbestandes liegen in der Theorie der Arbeiterautonomie selber.  

“Man kann keine ‚klassische‘ Aufstandstheorie mehr in den kapitalistischen Metropolen anwenden. Sie hat sich als überholt erwiesen; genauso wie sich das Verständnis der Krise als ein Zusammenbruch als überholt erwiesen hat... Der bewaffnete Kampf entspricht der neuen Form der Krise, die von der  Arbeiterautonomie aufgezwungen wurde, genauso wie der Aufstand der logische  Abschluss der alten Krisentheorie als wirtschaftlicher Zusammenbruch war.” (Potere Operaio, März 1973)  

Man kann nicht den Marxismus auf dem Altar  des subjektiven Willens der Massen opfern und dann ernsthaft diejenigen kritisieren (...), die den Lauf der Geschichte zu beschleunigen versuchen, indem sie den Massen ihren eigenen “Willen” aufzuzwingen versuchen. Der Militarismus der “Roten Brigaden” ist nur die konsequente und logische Weiterentwicklung des Arbeiteraktivismus der berühmt berüchtigten “Arbeiteruntersuchungen”.  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Operaismus [1]

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [2]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [3]

Weltrevolution Nr. 86

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Hände weg von Rosa Luxemburg

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Noch nie seit dem 2. Weltkrieg haben die linkskapitalistischen Vertreter gerade der deutschen Bourgeoisie sich so intensiv wie heute mit Rosa Luxemburg befaßt. Auf „Luxemburg-Tagen“ wie im Januar 1994 in Stuttgart oder im Januar 97 an der Berliner Humboldt-Universität berufen sich kleinbürgerliche Feministen, Antifas, Trikont-Aktivisten, Sprecher der Grünen und andere Feinde des Proletariats auf die große Vorkämpferin der Arbeiterklasse. Auf den jährlich im Januar stattfindenden Demonstrationen zum Jahrestag der Ermordung von  Liebknecht und Luxemburg mobilisiert die PDS, die Partei von Ulbricht, Honecker und Gysi, regelmäßig 100.000 Teilnehmer, um Rosa für eine Art „demokratischen“ und „humanistischen“ Stalinismus zu mißbrauchen. Diese Beanspruchung von Luxemburg durch die Bourgeoisie soll vor allem eins bewirken: die nach Klarheit suchenden  revolutionären  Elemente davon abzuschrecken, sich mit dem marxistischen Erbe Rosa Luxemburgs auseinanderzusetzen.

 

Diese plötzliche Beschäftigung der herrschende Klasse mit berühmten Revolutionären ist nicht zufällig. Nach dem Zusammenbruch des osteuropäischen Stalinismus stellen sich kleine, politisierte Minderheiten der Arbeiterklasse  (aus der Überzeugung heraus, nicht der Kommunismus, sondern sein stalinistischer Erzfeind ist dort gescheitert) Fragen über das wirkliche historische und theoretische Erbe der  Arbeiterklasse.  Aus der Sicht  der Bourgeoisie droht die Gefahr, daß solche Suchende vermehrt die jahrzehntelang von der stalinistischen Konterrevolution begrabene Tradition der Kommunistischen Linke wiederentdecken, welche gerade im Kampf  gegen den Stalinismus gestählt wurde. Es gibt nun keinen „Klassiker“ des  Marxismus, dessen  Erbe derart unübersehbar zu den Traditionen der Kommunistischen Linke hinführt wie Rosa Luxemburg. Im Gegensatz zu den eigentlichen, heute kaum noch bekannten „Theoretikern“ des Linkskommunismus wie Pannekoek, Gorter oder Bordiga ist Luxemburg zudem so bekannt, daß ihr Beitrag zum Marxismus nicht einfach durch  Schweigen übergangen werden kann. Zudem hat sie schon so früh und eindringlich vor den Gefahren einer Degeneration der russischen Revolution gewarnt und deutlich das Ausbleiben der Weltrevolution als Hauptquelle dieser Degeneration genannt, daß es selbst den verdrehtesten Lügnern der Bourgeoisie schwerfällt, sie als Vorläuferin des Stalinismus hinzustellen. Kurzum: im jetzigen Zeitalter des Heranreifens revolutionärer Minderheiten der Arbeiterklasse bedeutet eine etwaige proletarische Auseinandersetzung mit dem Werk Luxemburgs etwas höchst gefährliches, das die Bourgeoisie zu verhindern trachtet. Um dies zu verhindern, gehört aber nicht  nur die falsche Beanspruchung dazu (die Zeitschrift ‘Vogue’, ein bekanntes bürgerliches Brechmittel, nannte Luxemburg die „Leidensmutter der Linken“), sondern auch die Peitsche der stalinoiden Gegenpropaganda. Dies besorgt im Stil der Moskauer Schauprozesse das kleinbürgerliche Blatt Bahamas. So erfahren wir in Bahamas Nr.22 1997 (1), daß

 

- die deutsche Vorkriegsarbeiterbewegung bis 1914 „Rosa Luxemburg eingeschlossen“ nichts als eine „lassalleanischen Bewegung“ war,

 

- Luxemburg in der proletarischen Revolution „weder das Lohnarbeitsverhältnis noch den Staat abschaffen“ wollte, und daß sie „bis zu  ihrem Tod“  eine „bürgerliche Revolution mit proletarischen Mittel“ anstrebte,

 

- „Luxemburg zur Kritik der Herrschaftsform Demokratie so unfähig wie die Leninisten“ war usw.

 

Es handelt sich hierbei nicht nur um die Hirngespinste aufgeblähter, verrückt gewordener Kleinbürger, welche sich hiermit der mächtigen Großbourgeoisie empfehlen möchten. Das Ganze hat Methode. So erfahren wir bereits in Bahamas Nr. 13, 1994, daß das gesamte Werk Rosa Luxemburgs nichts taugt und niemandem anempfohlen werden kann wegen ihres angeblich...“ökonomistischen Determinismus“! (3) An diesem Determinismus wiederum, erfahren wir, sei vor allem ‘ihre Dekadenztheorie schuld’.

 

Man sieht, worum es geht: die proletarische Wiederaneignung des unerläßlichen luxemburgschen Beitrags zu torpedieren.

 

„Hände weg von Rosa Luxemburg“ lautete der Titel eines bekannten Artikels, worin Leo Trotzki auf die Verleumdung der Mitbegründerin der KPD durch die stalinistische Konterrevolution antwortete. Heute wie damals gehört es zu den wichtigsten Zielen der herrschenden Klasse im Kampf gegen den Marxismus, den gigantischen Beitrag Rosa Luxemburgs zum historischen Erbe des Proletariats zu diskreditieren und zu entstellen.  Heute wie damals gehört es zu den Aufgaben der wirklichen Marxisten, diese Angriffe zurückzuschlagen.

 

Das  Erbe Rosa Luxemburgs

 

Rosa Luxemburg war, wie Franz Mehring zu recht bemerkte, der größte Theoretiker des Marxismus seit Karl Marx. Sie bildete die Speerspitze eines zwei Jahrzehnte dauernden Kampfes um die Verteidigung des Programms und der Organisation der Arbeiterklasse gegen Opportunismus und Verrat. Sie war, neben Karl Liebknecht und dem Spartakusbund, der politische Bezugspunkt des Kampfes gegen den imperialistischen Weltkrieg von 1914-18 in Deutschland und darüber hinaus. Schließlich hatte sie bereits begonnen, gegenüber der am Kriegsende ausbrechenden deutschen Revolution eine ähnliche Rolle auszufüllen wie die Lenins und Trotzkis in Rußland - bis sie 1919 von der sozialdemokratischen Konterrevolution ermordet wurde.

 

Vor allem wurde Rosa Luxemburg nach ihrem Tod zur bedeutendsten theoretischen Wegbereiterin und Inspiratorin der Kommunistischen Linken: der klarsten und entschiedensten Opposition gegen die opportunistische Entartung der  Komintern und gegen die stalinistische Konterrevolution. Nicht nur die deutsch-holländische Linke (die Tradition der aus der KPD und der Kommunistischen Internationalen zu Unrecht als „Kinderkrankheit des Kommunismus“ ausgeschlossenen KAPD) wurde maßgeblich durch ihre programmatischen Beiträge geprägt. Auch die Auslandsfraktion der italienischen Linken (welche die politische Arbeit der Begründer der Kommunistischen Partei Italiens um Bordiga seit Ende der 20er Jahre im Exil um die Zeitschrift Bilan fortsetzte) verdankte Luxemburg entscheidende Einsichten. (3)

 

Von Rosa Luxemburg übernahm die Kommunistische Linke das Verständnis, daß in der imperialistischen Epoche des niedergehenden Kapitalismus

 

- die Organisationsform des kämpfenden Proletariats nicht mehr permanente, bereits vor dem Kampf existierende Gewerkschaften sind, sondern im Kampf selbst entstehende, die ganze Klasse erfassende Massenorganisationen

 

- die  Rolle der Arbeiterpartei nicht mehr in der Organisierung und Erziehung des Proletariats, sondern in der politischen Führung der Klasse besteht (die beiden Hauptlehren ihrer Massenstreikbroschüre)

 

- jegliche nationale Bewegung zwangsläufig zum Bestandteil des reaktionären, inter-imperialistischen Räuberkampfes der Bourgeoisie wird, und somit von der Arbeiterklasse bekämpft werden muß (Juniusbroschüre).

 

Insbesondere bereitete Rosa Luxemburg - historisch, politisch wie ökonomisch- die Grundlagen für die Anwendung der marxistische Dekadenztheorie auf den Kapitalismus durch die Kommunistische Linke vor (vor allem in ihrem Buch ‘Die Akkumulation des Kapitals) und lieferte somit die theoretische Begründung der neuen Positionen, welche nach 1914 zuerst die Kommunistische Internationale und dann die Kommunistische Linke für die angebrochene Epoche von „Kriegen und Revolutionen“ formulierten. Was Lenin in der Frage der Notwendigkeit der Zertrümmerung  des bürgerlichen Staates leistete (die Wiederherstellung, Verteidigung und Vertiefung der ursprünglichen marxistischen Position), leistete vor allem Luxemburg und die auf ihr aufbauende Kommunistische Linke in der Frage der Dekadenz des Kapitalismus.

 

Gegen die Entdeckung dieser Errungenschaften macht Bahamas, macht die Bourgeoisie nun Front.

 

Die stalinistischen Methoden von Bahamas

 

Es gab 1917-18 keinen leidenschaftlicheren Verteidiger der Russischen Revolution als Rosa Luxemburg. Wie kein zweiter setzte sie sich für die kühne Politik der Bolschewiki ein, durch Taten die Flammen der Weltrevolution zu entfachen. Der letzte große Kampf ihres Lebens war ganz der Rettung der russischen Revolution durch ihre Ausdehnung auf Deutschland gewidmet. Während die sozialdemokratischen Verräter den Bolschewiki und dem russischen  und deutschen Proletariat angesichts der Feindschaft der Weltbourgeoisie dazu rieten, die  Waffen zu strecken, betonte Luxemburg  die Pflicht zur revolutionären Klassengewalt, um die  Barbarei des Kapitalismus zu beenden.

 

Zugleich übte sie in zwei wesentlichen Punkten eine solidarische Kritik gegenüber der Form der Ausübung der proletarischen Diktatur in Rußland. Zum einem unterschied sie scharfsinnig zwischen der unabdingbaren Klassengewalt der proletarischen Massen und einem von ihr wie vom ursprünglichen Spartakusbund verworfenen, staatlich institutionalisierten „Roten Terror“. Zum anderen verteidigte sie die Unterdrückung konterrevolutionärer Organisationen, vertrat aber vehement die revolutionäre Demokratie innerhalb der Arbeiterklasse im allgemeinen, sowie den „Pluralismus“ proletarischer Parteien insbesondere. Politische Richtschnur dieser Auffassung war: jede Gewaltanwendung in den Reihen der Arbeiterklasse selbst (und sei es im Namen der „Rettung der Revolution“) führe unweigerlich zu einer fatalen Schwächung des Trägers der Revolution selbst.(4)

 

Diese Ansichten Rosa Luxemburgs, später von führenden Vertretern des Linkskommunismus sowie anderen Oppositionsgruppen gegen den Stalinismus (auch in Rußland selbst) übernommen, gehören heute wesentlich zur Schatzkammer der marxistischen Theorie über die Ausübung der revolutionären proletarischen Diktatur. Und sie beweisen:  da, wo die russischen Revolutionäre tatsächlich Fehler begangen haben (das unvermeidliche Lehrgeld der ersten landesweiten proletarischen Machtergreifung überhaupt), waren es die Marxisten selbst, welche diese Fehler erkannten und korrigierten.

 

Kein Wunder also, wenn Bahamas gerade diese Beiträge Rosa Luxemburgs ins Visier nimmt. Hier sieht man, wozu das ganze aufgeblasene Geschwafel über den angeblichen „ökonomischen Determinismus“ Luxemburgs dient. Denn Bahamas, auf die Tradition der sog. „Frankfurter Schule“ (Adorno, Marcuse usw.) zurückgreifend, will vor allem eins beweisen: die Arbeiterklasse ist keine   revolutionäre Klasse. Folgerichtig bewertet Bahamas „den Glauben an das sozialistische Wesen der proletarischen Masse“ als Beweis für den „auf dem Ökonomismus basierenden Humanismus der Luxemburg“. Im Klartext: Luxemburg glaubte nur deshalb, die proletarische Diktatur muß von dem von Bahamas verachteten Proletarier selbst ausgeübt werden, weil sie die Revolution als etwas automatisch Vorbestimmtes, von allein Sich-Vollziehendes ansah - wo sowieso nichts schief gehen kann. Der sog.  „ökonomistische Determinismus“, wogegen Bahamas wettert, ist tatsächlich nichts anderes als die eiserne marxistische „Determinierung“ der revolutionären Rolle des Proletariats als „Totengräber“ dieser Gesellschaft aus seiner Stellung in der kapitalistischen Produktion heraus. Zuviel für die zarten Verdauungsorgane unserer sensiblen kleinbürgerlichen Intellektuellen, welche die Rolle der Menschheitsbefreier eher für sich selbst in Aussicht stellen wollen. Sie schäumen geradezu vor beleidigter Wut angesichts dieses verhaßten marxistischen „Determinismus“. Als brave universitäre „Marxologen“ versuchen sie Rosa Luxemburg etwas anzulasten, was bereits schwarz auf  weiß im Kommunistischen Manifest steht. Als ob der berühmte Ausspruch „die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein“ nicht von Marx selbst stammen würde!

 

Diese ohnmächtige Wut linksintellektueller Zwischenschichten führt Bahamas zu Ver­leumdungen Rosa Luxemburgs in bester stali­nistischer Manier. Nicht zufällig: es handelt sich bei solchen Gruppen ohnehin zumeist um vom Zusammenbruch des Ostens enttäuschte ehemalige Stalinisten. Nun stimmen sie mit echter Inbrunst in die laufende Kampagne über den „Zusammenbruch der  Arbeiterbewegung“ und  den „Bankrott der alten Klassenkampf­theorie“ ein. Dabei läßt sich Bahamas zu Verleumdungen hinreißen, welche Stalin selbst in den Schatten stellen: ‘Rosa Luxemburg als Aushängeschild der BRD und der PDS!’

 

- „...die Demokratietheorie der Luxemburg ist, entkleidet man sie des Ökonomismus, der  ideale Anknüpfungspunkt für ehemals Linke, die die bestehende Bundesrepublik, dieses kapitalistische, parlamentarisch verfaßte System, für den optimalen Ausgangspunkt für einen „demokratischen Sozialismus“- in dem die Formen demokratischer Herrschaft verfeinert und einer breiteren TrägerInnenschaft zugänglich gemacht werden - halten.“

 

- In demselben „Dilemma“ (Rosa Luxemburgs gegenüber der Demokratie) „befindet sich z.B. die PDS, die Partei des demokratischen Sozialismus“ (ibid).

 

Was Luxemburg über die bürgerliche Demokratie und die „Demokratie als solche“ wirklich dachte, kann jeder selber nachlesen - hier nur eine Kostprobe: ‘Was bisher als Gleichberechtigung und Demokratie galt: Parlament, Nationalversammlung, gleicher Stimmzettel, war Lug und Trug! Die ganze Macht in der Hand der arbeitenden Masse als revolutionäre Waffe zur Zerschmetterung des Kapitalismus - das allein ist wahre Gleichberechtigung, das allein wahre Demokratie!’ (17.12.1918, Werke Band 4, S.461). 

 

Eine letzte Anmerkung dazu: Bahamas Kampagne gegen Luxemburgs „Demokratieverständnis“ dient der Verleumdung nicht nur der von ihr gezogenen Lehren aus der Russischen Revolution, sondern ebenso der Bekämpfung ihres theoretischen Hauptwerks „Die Akkumulation des Kapitals“. Letzteres wird als eigentliche Quelle ihres angeblichen Determinismus ausgemacht. Bahamas schreibt,  für Luxemburg entstehe die „revolutionäre Periode“ erst, wenn insbesondere „die Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwerts und damit die Kapitalakkumulation nicht mehr möglich sind,“ so daß der Sieg des Sozialismus dann von vornherein feststünde.  Jeder, der Luxemburg gelesen hat, weiß, daß für sie dieser theoretische Endpunkt der Kapitalakkumulation historisch nie eintritt und gar nicht eintreten kann, da lange zuvor der Klassenkampf „mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft“ endet „oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“, um mit dem Kommunistischen Manifest zu sprechen. Die Periode des revolutionären Massenstreiks, in der der Sturz der Bourgeoisie möglich wird, kündigt sich für Luxemburg bereits 1905 in Rußland an und tritt mit dem 1. Weltkrieg endgültig in Kraft.

 

Hinter der „Determinismuskritik“: ein anarchistischer Angriff auf den Marxismus

 

Was steckt tatsächlich hinter dem großspurigen Bluff von Bahamas, Rosa Luxemburg des „ökonomistischen Determinismus“ zu bezichtigen?

 

Mit Determinismus ist hier Fatalismus gemeint: der quasi-religiöse, anti-marxistische Glaube, daß der Verlauf der Geschichte vorbestimmt, in ihrem Ausgang von vornherein feststeht, bar jeder Beeinflussung durch die menschlichen Subjekte der Geschichte. Der Begriff „ökonomistische Determinismus“ meint hier, dieser  unabwendbare  Gang nicht vom „Willen Gottes“- die Geschichtsauffassung der Zeugen Jehovas etwa-, sondern von den objektiven Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft abzuleiten. Dies wäre eine pseudo- marxistische Form des Fatalismus. Laut Bahamas vertrat nicht nur Luxemburg, sondern die  gesamte Arbeiterbewegung vor dem 1. Weltkrieg -in Anlehnung an Lassalle und im Gegensatz zu Marx-  einen solchen wirtschaftlichen Fatalismus.

 

„Was ist dann die Aufgabe der Sozialdemokratie?“ fragt Bahamas. „Diese wird bei Rosa Luxemburg zu dem, was Max Weber der SPD in der Kritik des Ökonomismus vorgeworfen hatte: zu einem Verein zur Herbeiführung einer ohnehin stattfindenden Sonnenfinsternis.“ Soll heißen, Luxemburg kämpfte nicht wirklich für den Sozialismus, weil sie geglaubt haben soll, dieser würde sich von allein durchsetzen. 

 

Um diesen Vorwurf zu erhärten, zitiert Bahamas (unvorsichtigerweise) aus Luxemburgs „Juniusbroschüre“.

 

„Der wissenschaftliche Sozialismus hat uns gelehrt, die objektiven Gesetze der geschichtlichen Entwicklung zu begreifen. Die Menschen machen  ihre Geschichte nicht aus freien Stücken. Aber sie machen sie selbst. Das Proletariat ist in seiner Aktion von dem jeweiligen Reifegrad der gesellschaftlichen Entwicklung abhängig, aber die gesellschaftliche Entwicklung geht nicht jenseits des Proletariats vor sich, es ist im gleichen Maße ihre Triebfeder und Ursache, wie es ihr Produkt und ihre Folge ist. Seine Aktion selbst ist mitbestimmender Teil der Geschichte. Und wenn wir die geschichtliche Entwicklung sowenig überspringen können wie der Mensch seinen Schatten, so können wir sie doch beschleunigen oder verlangsamen.“

 

Mögen unsere Leser spätestens an dieser Stelle in schallendes Gelächter ausbrechen. Die armen Bahamisten merken nicht mal, wie dieses Zitat, anstatt ihre sogenannte These zu erhärten,  das  genaue Gegenteil beweist. Und überhaupt: die Juniusbroschüre ist eine der glänzendsten jemals geschriebenen Verteidigungen des Marxismus gegen jeglichen Determinismus. Dort zerstört Rosa die Legende von der automatisch sich einstellenden Revolution und formuliert die schreckliche Alternative des 20. Jahrhunderts: Sozialismus oder Barbarei. Dort zeigt sie die Existenz zweier feindlicher, einander ausschließenden „Determinismen“: den des Proletariats und der Bourgeoisie. Insbesondere hängt  für Luxemburg der Sieg der Revolution vor allem vom  Bewußtseinsstand des Proletariats selbst - also vom berühmten „subjektiven“ Faktor der Geschichte - ab. Rosa Luxemburg lebte  und starb in der Gewißheit, daß der Sozialismus nur als bewußter Akt des Proletariats, als erstes völlig bewußtes, ausschlaggebendes Eingreifen der revolutionären Massen selbst im Verlauf der Weltgeschichte möglich sein wird.

 

Vertritt Luxemburg in dieser Frage Marx, vertritt Bahamas den alten anarchistischen Aberglauben, daß die Revolution jederzeit durch bloße Willensbekundung möglich ist. Während für den Marxismus die Revolution nicht der Schöpfer der neuen Gesellschaft ist, sondern deren Geburtshelfer, dessen Eingreifen für eine erfolgreiche Niederkunft unabdingbar ist, hält es Bahamas mit Bakunin oder mit den frühen Christen vor 2000 Jahren:

 

„Kein technizentristisch oder ökonomistisch bestimmter Stand irgendeines Produktionszweiges oder der Produktion als solcher ist maßgeblich für eine revolutionäre Situation verantwortlich, sondern nur die Kämpfe selbst.  Diese können überall ausbrechen und in einer Art Dominoeffekt aus allen Bereichen der Gesellschaft kommen und alle ergreifen.“ (S.43). Somit entpuppt sich der Angriff unserer Anarcho-Stalinisten -“theoretisch“ gesprochen- als beherzte Verteidigung der absoluten Freiheit des kleinbürgerlichen Individuums gegen den Zwang aller als „Determinismus“ empfundenen Gesetze - einschließlich die Gesetze der Geschichte selbst! Unsere eingebildeten „Philosophen“ erahnen nicht, was vor dem Marxismus bereits der Philosoph Hegel sehr gut wußte: daß Freiheit und Notwendigkeit sich nicht ausschließen, sondern gegenseitig bedingen. M.a.W. das Proletariat muß die Gesetzmäßigkeit der geschichtlichen Entwicklung begreifen und sich daran halten, um die Welt erfolgreich  verändern zu können. Dafür haben wir den Marxismus.

 

Bahamas: Ein Feind  der  Arbeiterbewegung

 

Genau diese großartige, für die Befreiung des Proletariats unerläßliche Kontinuität der marxistischen Theorie will Bahamas treffen. Die Verteidigung  und Entwicklung marxistischer Theorie ist das Anliegen nicht von kleinbürgerlichen Intellektuellen, wie Bahamas glauben läßt, sondern der organisierten Arbeiterbewegung, wie Rosa Luxemburg exemplarisch zeigt. Damit diese Theorie zukünftig die proletarischen Massen ergreifen wird, muß sie sich heute auf  den  festen Boden der vergangenen Beiträge der organisierten Arbeiterbewegung gründen. Die Werke Rosa Luxemburgs bilden einen wesentlichen Bestandteil dieser Grundlage.

 

Bahamas hingegen verrichtet nur die Arbeit der Bourgeoisie, indem sie im Rahmen der herrschenden Kampagne über den „Tod des Sozialismus“ zum Bruch mit der vergangenen Arbeiterbewegung, zum Bruch mit Rosa Luxemburg aufruft.

 

„Die Person Rosa Luxemburg von  der Arbeiterbewegung zu lösen, ist falsch. Die  historische Berechtigung dieser Bewegung hat mit dem Nationalsozialismus, spätestens aber 1989 aufgehört. Der Zusammenbruch des realen Sozialismus symbolisierte das Ende ihrer historischen Wahrheit und Wirksamkeit. (...) wir sollten ein für alle Mal einen Bruch mit dieser Tradition vollziehen..“ (Bahamas Nr.22 S.30).

 

Bahamas verrät am Ende seine wahre Absicht: die Zerstörung des historischen Erfahrungsschatz des  Proletariats.     Ha.

 

  • (1) „Rosa Luxemburg und die Demokratie- über einen linken Mythos“.

     

  • (2) „Madame Geschichte und die Kämpfe: Zur Kritik der Rosa-Luxemburg-Nostalgie“.

     

  • (3) Der Einfluß der Werke Luxemburgs auf Bilan wurde vor allem durch die belgische Fraktion der „italienischen“ Linken vermittelt, welche auch die Positionen der Linkskommunisten in den Niederlanden gut kannten. Nicht zuletzt dank des Werkes Rosa Luxemburgs wurde somit ein kurzer, aber geschichtlich enorm wichtiger Prozeß der gegenseitigen Befruchtung zwischen den italienischen und den deutsch-holländischen Linken ermöglicht. Unsere eigene Organisation, die IKS, beruft sich gerade auf die Synthese zwischen den verschiedenen Hauptströmungen der Kommunistischen Linken. Zur Geschichte der italienischen und der deutsch-holländischen Linken siehe unsere dazu auf Deutsch erschienenen Broschüren bzw. unsere Bücher auf Französisch  und z.T. auf Englisch (über unsere Adressen erhältlich).

     

  • (4) Diese Ansichten Rosa Luxemburgs, als Antwort auf die Probleme der russischen und der deutschen Revolution formuliert, werden u..a. in ihrer Gefängnisschrift über die Russische Revolution sowie in „Was will der Spartakus-Bund“ entwickelt.

     

 

Weltrevolution Nr. 87

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1848: Veröffentlichung des Kommunistischen Manifestes - Ein unabdingbarer Kompaß für die Zukunft der Menschheit

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„Ein Gespenst geht um in Europa- das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten." (Manifest, Einleitung)

 

Diese Einleitungssätze aus dem Manifest, das vor genau 150 Jahren geschrieben wurde, sind heute mehr als je zuvor gültig. Anderthalb Jahrhunderte nachdem der Bund der Kommunisten seine berühmte Kriegserklärung des revolutionären Proletariats gegen das kapitalistische System verfaßte, fürchtet die herrschende Klasse immer noch das Gespenst des Kommunismus.

Die bürgerlichen ‘Gespenster des Kommunismus’

Das Kommunistische Manifest wurde zu einem entscheidenden Zeitpunkt in der Geschichte des Klassenkampfes geschrieben, nämlich als die Klasse, die Träger des kommunistischen Projektes ist, das Proletariat, anfing, sich als unabhängige Klasse in der Gesellschaft zu bilden. In dem Maße wie das Proletariat seine eigenen Kämpfe für seine Lebensbedingungen entfaltete, hörte der Kommunismus auf, ein abstraktes Ideal zu sein, das von utopischen Strömungen ausgedacht worden war, um zu der praktischen gesellschaftlichen Bewegung zur Abschaffung der Klassengesellschaft und zur Schaffung einer wirklich menschlichen kommunistischen Gesellschaft zu werden. Als solches bestand die Hauptaufgabe des Manifestes in der Ausarbeitung des wirklichen Wesens des kommunistischen Ziels des Klassenkampfes und der Hauptmittel zur Durchsetzung dieses Ziels. Dies wiederum erklärt die gigantische Bedeutung des Manifestes heute gegenüber all den Verleumdungen des Kommunismus und des Klassenkampfes durch die Bourgeoisie. Diese Bedeutung versucht die Bourgeoisie heute zu verheimlichen.

So versteht man im allgemeinen heute nicht, was mit dem berühmten Einleitungssatz des Manifestes, mit dem ‘Gespenst des Kommunismus’ gemeint ist. Das bedeutet, daß damals wie heute nicht der Kommunismus des Proletariats, sondern der falsche und reaktionäre ‘Kommunismus’ anderer gesellschaftlicher Schichten, den ‘Kommunismus’ eingeschlossen, der von der herrschenden Klasse erfunden wurde, die öffentliche Aufmerksamkeit beherrschte. Dies hieß, daß die Bourgeoisie, die es nicht wagt, die kommunistischen Tendenzen, die schon innerhalb des proletarischen Klassenkampfes bestehen, offen zu bekämpfen und sie damit öffentlich anerkennt, diese Verwirrung ausnutzt, um die Entwicklung des selbständigen Klassenkampfes der Arbeiterklasse zu bekämpfen.

‘Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als kommunistisch verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die den fortgeschritteneren Oppositionsleuten sowohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Kommunismus nicht zurückgeschleudert hätte

Schon 1848 stand in einem gewissen Maße dieses falsche ‘Gespenst des Kommunismus’ im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzungen, so daß es für das junge Proletariat besonders schwierig war zu begreifen, daß der Kommunismus alles andere als getrennt von oder gar den täglichen Klassenkämpfen entgegengesetzt ist, sondern dem eigentlichen Wesen, der historischen Bedeutung und dem Endziel dieses Kampfes entspricht. Daß, wie das Manifest schrieb, „die theoretischen Sätze der Kommunisten... nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassenkampfes, einer unter unsern Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung sind." (ebenda, S. 475) Hierin liegt die dramatische Aktualität des Kommunistischen Manifestes. Genauso wie vor anderthalb Jahrhunderten zeigt uns das Manifest heute den Weg nach vorne, indem dieganzen Verfälschungen über den Kommunismus, die gegen die Arbeiterklasse gerichtet sind, aufgezeigt werden. In Anbetracht eines völlig neuen Geschichtsphänomens - Massenarbeitslosigkeit und Massenverarmung im industrialisierten Großbritannien, der Erschütterung eines immer noch halb-feudalen Europas durch zyklische Handelskrisen, der internationalen Ausdehnung der revolutionären Unzufriedenheit der Massen am Vorabend des Jahres 1848 - die am meisten bewußten Teile der Arbeiterklasse tasteten sich schon hin auf ein klareres Begreifen, daß durch die Bildung einer neuen Klasse von besitzlosen Produzenten, die durch die assoziierte Arbeit in der modernen Industrie international mit einander verbunden war, der Kapitalismus seinen eigenen potentiellen Totengräber geschaffen hatte. Die ersten großen kollektiven Arbeiterstreiks in Frankreich und anderswo, das Entstehen einer ersten proletarischen Massenbewegung in Großbritannien (Chartisten) und die Klärungen des sozialistischen Programms vor allem durch die Arbeiterorganisationen in Deutschland (von Weitling bis zum Bund der Kommunisten) brachten diese Fortschritte zum Vorschein. Um aber die proletarische Bewegung auf einer soliden Klassenbasis zu stellen, war es vor allem notwendig, das kommunistische Ziel dieser Bewegung ins richtige Licht zu rücken, wodurch auch der ‘Sozialismus’ der anderen Klassen bekämpft wurde. Die Klärung dieser Frage war dringend geboten, denn 1848 befand sich Europa vor dem Ausbruch von revolutionären Bewegungen, die in Frankreich ihren Höhepunkt mit der ersten massiven Konfrontation zwischen Bourgeoisie und Proletariat erreichen sollten.

Deshalb befaßt sich das Kommunistische Manifest in einem ganzen Abschnitt mit dem reaktionären Wesen des nicht-proletarischen Sozialismus, der auch die Elemente umfaßt, die in Wirklichkeit Ausdrücke der herrschenden Klasse und direkt gegen die Arbeiterklasse gerichtet sind:

- der feudale Sozialismus, der zum Teil auf die Mobilisierung der Arbeiter für den reaktionären Widerstand des Adels gegen die Bourgeoisie abzielt,

- der bürgerliche Sozialismus, der Ausdruck der Tatsache ist, daß „ein Teil der Bourgeoisie den sozialen Mißständen abzuhelfen (wünscht), um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern." (ebenda, S. 488)

Das Manifest wurde also geschrieben, um vor allem dieses ‘Gespenst des Kommunismus’ zu bekämpfen. Wie das Vorwort dazu meint: „Es ist hohe Zeit, daß die Kommunisten ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenstellen."(ebenda, S. 461)

Die Hauptteile dieser Darlegung waren die materialistische Geschichtsauffassung und die klassenlose kommunistische Gesellschaft, die an die Stelle des Kapitalismus treten sollte. Die brillante Lösung dieser historischen Aufgabe läßt heute das Manifest zum unabdingbaren Ausgangspunkt des Kampfes der Arbeiterklasse gegen den ideologischen Mist der Bourgeoisie werden, den die stalinistische Konterrevolution hinterlassen hat. Weit davon entfernt, eine überholte Schrift aus der Vergangenheit zu sein, ging 1848 seiner Zeit weit voraus. Zur Zeit seiner Veröffentlichung glaubte es fälschlicherweise, daß der Zerfall des Kapitalismus und der Sieg der Arbeiterrevolution kurz bevorstünde. Erst im 20. Jahrhundert konnte die Verwirklichung der revolutionären Auffassung des Marxismus auf die Tagesordnung der Geschichte gestellt werden. Wenn man es heute liest, meint man, daß es erst vor kurzem geschrieben wurde, dank seiner Formulierungen der Widersprüche der gegenwärtigen bürgerlichen Gesellschaft und der notwendigen Überwindung durch den Klassenkampf des Proletariats. Diese fast überwältige Aktualität stellt den Beweis dar, daß es ein echter Ausdruck einer wirklich revolutionären Klasse ist, die die Zukunft der Menschheit in ihren Händen trägt, und die gleichzeitig über eine umfassende und realistische langfristige Sicht der Menschheitsgeschichte verfügt.

?" (Manifest, MEW Bd.4, S. 461)

Das Manifest: eine unschätzbare Waffe gegen den Stalinismus

Natürlich wäre es falsch, den naiven feudalen und bürgerlichen ‘Sozialismus’ von 1848 mit der stalinistischen Konterrevolution der 30er Jahre zu vergleichen, die die erste siegreiche proletarische Revolution in der Geschichte im Namen des Sozialismus zerstörte und die kommunistische Vorhut der Arbeiterklasse physisch liquidierte und die Arbeiterklasse der barbarischsten kapitalistischen Ausbeutung unterwarf. Aber das Kommunistische Manifest deckte schon den gemeinsamen Nenner des ‘Sozialismus’ der ausbeutenden Klassen auf. Was Marx und Engels über den ‘konservativen oder bürgerlichen Sozialismus’ von damals schrieben, trifft voll auf den Stalinismus des 20. Jahrhunderts zu.

„Unter Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse versteht dieser Sozialismus aber keineswegs die Abschaffung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse, die nur auf revolutionärem Wege möglich ist, sondern administrative Verbesserungen, die auf dem Boden dieser Produktionsverhältnisse vor sich gehen, also an dem Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit nichts ändern, sondern im besten Fall der Bourgeoisie die Kosten ihrer Herrschaft vermindern und ihren Staatshaushalt vereinfachen." (ebenda, S. 489) Der Stalinismus verkündete, daß trotz des Vorhandenseins der von ihr so bezeichneten ‘sozialistischen’ Lohnarbeit das Erzeugnis dieser Arbeit der produzierenden Klasse gehöre, da die persönliche Ausbeutung durch Einzelkapitalisten durch den Übergang des Eigentums in Staatsbesitz ersetzt worden war. Als ob es schon darauf eine Antwort liefern wollte, steht dazu im Manifest:

„Schafft aber die Lohnarbeit, die Arbeit des Proletariers ihm Eigentum?" Das Manifest antwortet: „Sie schafft das Kapital, d.h. das Eigentum, welches die Lohnarbeit ausbeutet, welches sich nur unter der Bedingung vermehren kann, daß es neue Lohnarbeit erzeugt, um sie von neuem auszubeuten. Das Eigentum in seiner heutigen Gestalt bewegt sich in dem Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit [....]. Kapitalist sein, heißt nicht nur eine rein persönliche, sondern eine gesellschaftliche Stellung in der Produktion einnehmen. Das Kapital ist ein gemeinschaftliches Produkt und kann nur durch eine gemeinsame Tätigkeit vieler Mitglieder, ja in letzter Instanz nur durch die gemeinsame Tätigkeit aller Mitglieder der Gesellschaft in Bewegung gesetzt werden. Das Kapital ist also keine persönliche, es ist eine gesellschaftliche Macht." (ebenda, S. 475)

Dieses grundlegende Begreifen des Manifests daß die juristische Ersetzung der Einzelkapitalisten durch Staatsbesitz im Gegensatz zu den Lügen der Stalinisten keineswegs das kapitalistische Wesen der Ausbeutung der Lohnarbeit aufhebt wurde von Engels sogar noch ausdrücklicher im Anti-Dühring formuliert:

‘Aber weder die Verwandlung in Aktiengesellschaft noch die in Staatseigentum, hebt die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf (...) Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist. Je mehr Produktivkräfte er in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesmtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus. Die Arbeiter bleiben Lohnarbeiter, Proletarier. Das Kapitalverhältnis wird nicht aufgehoben, es wird vielmehr auf die Spitze getrieben.’

Aber vor allem indem der grundlegende Unterschied zwischen Kapitalismus und Kommunismus aufgezeigt wird, zeigt das Manifest den eindeutig bürgerlichen Charakter der früheren stalinistischen Länder.

„In der bürgerlichen Gesellschaft ist die lebendige Arbeit nur ein Mittel, die aufgehäufte Arbeit zu vermehren. In der kommunistischen Gesellschaft ist die aufgehäufte Arbeit nur ein Mittel, um den Lebensprozeß der Arbeiter zu erweitern, zu bereichern, zu befördern."

Deshalb sind die Erfolge des Stalinismus bei der Industrialisierung in Rußland in den 30er Jahren auf Kosten einer wilden und brutalen Absenkung des Lebensstandards der Arbeiter der beste Beweis des bürgerlichen Wesens dieses Regimes. Die Entwicklung der Produktivkräfte auf Kosten der Kaufkraft der Produzenten ist die historische Aufgabe des Kapitalismus. Die Menschheit mußte durch diese Hölle der Kapitalakkumulation gehen, damit die materiellen Voraussetzungen für eine klassenlose Gesellschaft geschaffen werden. Der Sozialismus dagegen zeichnet sich bei jedem einzelnen Schritt in Richtung auf dieses Ziel dadurch aus, daß es zu einem quantitativen und qualitativen Wachstum des Verbrauchs kommt, insbesondere beim gestiegenen Verbrauch von Lebensmitteln, Kleidung und dem Bau von Wohnungen. Deshalb bezeichnete das Manifest die relative und absolute Verarmung der Arbeiterklasse als das Hauptmerkmal des Kapitalismus, wo klar wird, daß die ‘Bourgeoisie unfähig ist zu ‘herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muß, statt von ihm ernährt zu werden. Die Gesellschaft kann nicht mehr unter ihr leben, das heißt, ihr Leben ist nicht mehr verträglich mit der Gesellschaft.’ (ebenda, S. 473). Und dies trifft in einem doppelten Sinn zu: weil Verarmung die Arbeiterklasse zur Revolution treibt, und weil diese Massenverarmung bedeutet, daß die Ausdehnung kapitalistischer Märkte mit der Ausdehnung der kapitalistischen Produktion nicht Schritt halten kann. Das Ergebnis ist: die Produktionsform erhebt sich gegen die Austauschform, die Produktivkräfte erheben sich gegen eine Produktionsform, über die sie hinausgewachsen sind; das Proletariat erhebt sich gegen die Bourgeoisie, lebendige Arbeit gegen die Herrschaft toter Arbeit. Die Zukunft der Menschheit [.....] gegen die Beherrschung der Gegenwart durch die Vergangenheit.

(ebenda, S. 476)
(Anti-Dühring, MEW 20, S. 260).

Das Manifest: die marxistische Zerstörung der Lüge des ‘Sozialismus in einem Lande’

Der Kapitalismus hat in der Tat die Vorbedingungen für eine klassenlose Gesellschaft geschaffen; zum ersten Mal steht der Menschheit die Möglichkeit offen, den Überlebenskampf des Menschen gegen den Menschen zu überwinden und eine Fülle von Subsistenzmitteln und menschlicher Kultur zu schaffen. Allein aus diesem Grunde lobt das Manifest die revolutionäre Rolle der bürgerlichen Gesellschaft. Aber diese Vorbedingungen - insbesondere der Weltmarkt und das Weltproletariat selber - bestehen nur auf Weltebene. Die höchste Form kapitalistischer Konkurrenz (die selbst nur die moderne Version des althergebrachten Kampfes des Menschen gegen den Menschen ist, um unter den Bedingungen des Mangels zu überleben), ist der wirtschaftliche und militärische Überlebenskampf zwischen bürgerlichen Nationalstaaten. Deshalb ist die Überwindung der kapitalistischen Konkurrenz und die Errichtung einer wirklich kollektiven menschlichen Gesellschaft nur möglich durch die Überwindung des Nationalstaates, durch eine proletarische Weltrevolution. Nur die Arbeiterklasse kann diese Aufgabe erfüllen, da - wie das Manifest erklärt - die Arbeiter kein Vaterland haben. Die Herrschaft der Arbeiterklasse, so wird im Manifest aufgezeigt, wird nationale Grenzen und Gegensätze zwischen den Völkern mehr und mehr verschwinden lassen.

„Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner Befreiung

Schon vor dem Manifest antworteten Marx und Engels in ‘Grundsätze des Kommunismus’ auf die Frage, ob die sozialistische Revolution in einem einzigen Lande allein vor sich gehen könne, folgendermaßen: „Nein. Die große Industrie hat schon dadurch, daß sie den Weltmarkt geschaffen hat, alle Völker der Erde, und namentlich die zivilisierten, in eine solche Verbindung zueinander gebracht, daß jedes einzelne Volk davon abhängig ist, was bei einem andern geschieht [....]. Die kommunistische Revolution wird daher keine bloß nationale, sie wird eine in allen zivilisierten Ländern, d.h. wenigstens in England, Amerika, Frankreich und Deutschland gleichzeitig vor sich gehende Revolution sein." (Grundsätze des Kommunismus, MEW 4, S. 374)

Dies ist ein letzter tödlicher Schlag des Manifestes gegen die bürgerliche Ideologie der stalinistischen Konterrevolution - gegen die sogenannte Theorie des Sozialismus in einem Land. Das Kommunistische Manifest war der Kompaß, der der weltweiten revolutionären Welle von Kämpfen von 1917-23 den Weg wies. Mit dem glorreichen Schlachtruf „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!", kämpften die Arbeiter 1917 in Rußland in ihrem heldenhaften Kampf gegen den imperialistischen Krieg ums Vaterland und als sie die Macht ergriffen, um die Weltrevolution zu beginnen. Das Kommunistische Manifest war ebenso der Dreh- und Angelpunkt der berühmten Programmrede Rosa Luxemburgs auf dem Gründungskongreß der KPD inmitten der deutschen Revolution und auf dem Gründungskongreß der Kommunistischen Internationale im März 1919. Und genauso war es der kompromißlose proletarische Internationalismus des Manifestes und der ganzen marxistischen Tradition, der Trotzki bei dessen Kampf gegen ‘den Sozialismus in einem Land’ inspirierte, und der der Kommunistischen Linken in ihrem mehr als 50 Jahre langen Kampf gegen die stalinistische Konterrevolution als Richtschnur diente.

Die Kommunistische Linke ehrt heute das Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 nicht als einen Überrest aus einer fernen Vergangenheit, sondern als eine mächtige Waffe gegen die Lüge, daß der Stalinismus Sozialismus gewesen wäre. Das Manifest ist und bleibt ein unverzichtbarer Kompaß für die notwendige revolutionäre Zukunft der Menschheit. (leicht gekürzte Fassung eines Artikels aus Internationale Revue Nr. 93).

[des Proletariats]." (ebenda, S. 479)

(1) Schwarzbuch des Kommunismus, Verbrechen, Terror und Unterdrückung

(2) Der sogenannte große Lauschangriff der deutschen Bourgeoisie angeblich als Schlag gegen das organisierte Verbrechen geplant, der aber 50 verschiedene Vergehen - bestimmte Untergrundarbeit eingeschlossen - aufführt, ist dagegen gerichtet.

 

 

 

 

„Ein Gespenst geht um in Europa- das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst

Geschichte der Arbeiterbewegung: 

  • 1848 [4]

Entwicklung des proletarischen <br>Bewusstseins und der Organisation: 

  • Bund der Kommunisten [5]

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [2]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Marxismus: die Theorie der Revolution [6]

Bert Brecht: Barde der GPU

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 Anläßlich des 80. Jahrestages der Oktoberrevolution von 1917 in Rußland übertraf sich die herrschende Klasse selbst in ihrer hysterischen Verleumdungskampagne. Diese erste siegreiche proletarische Revolution der Geschichte sei der direkte Wegbereiter des stalinistischen, aber indirekt auch des faschistischen Terrors im 20. Jahrhundert gewesen; ihre bekanntesten Vertreter wie Lenin und Trotzki seien nicht viel besser als Stalin oder Hitler usw.

Als es aber darum ging, 1998 das „Brecht-Jahr“ zu feiern, und somit Leben und Werk des angeblich „größten Dichters des Kommunismus“ zu würdigen, schlugen die Machthaber ganz andere Töne an. Von Rechtskonservativ bis Linksaußen wurde nicht nur das literarische, sondern auch das politische Erbe Bert Brechts in den höchsten Tönen gewürdigt. Anläßlich Brechts 100. Geburtstag wurde die Laudatio auf den berühmten Dichter in seiner Heimatstadt Augsburg von dem bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber, in Berlin von Bundespräsident Herzog gehalten.

Wie erklärt sich diese Unterschiedlichkeit der Behandlung von Seiten der Bourgeoisie? Während Lenin, Trotzki und die Oktoberrevolution haßerfüllt verleumdet werden, wird Brecht, obwohl angeblich ebenfalls ein Klassenfeind des Kapitals, umjubelt? Ist die herrschende Ausbeuterklasse also doch zur Großzügigkeit gegenüber ihren Feinden fähig? Oder bringt ihre Begeisterung gegenüber Brecht etwa einen sich über alle Klassengräben hinwegsetzenden Respekt der Bürgerlichen vor der menschlichen Kultur schlechthin zum Ausdruck?

Die Legende von Brecht als Dichter und Denker des Marxismus

Auch die bürgerliche und kleinbürgerliche Linke beteiligt sich nach Kräften an der Verleumdung der russischen Revolution sowie an der Glorifizierung Brechts, der als wahrer „Vordenker des Marxismus“, als „beispielhaft politisch engagierter Künstler“ - ja sogar als versteckter Stalinismusgegner hingestellt wird.

Diese linken Intellektuellen, deren Vorläufer sich schon in den 30er Jahre schamlos an den Stalinismus verkauften, wollen sich heute reinwaschen, indem sie „Dichter und Denker“ der damaligen Zeit wie Brecht, Lukacs oder Gramsci, welche sich mehr oder weniger dem Stalinismus unterwarfen, als die Antwort der Gegenwart auf den Stalinismus präsentieren.

Es ist aber vor allem der gewendete Stalinismus selbst, der sich dieser Tricks bedient, um sein eigenes geschichtliches Wesen zu verschleiern. So z.B. ‘Arbeiterkampf’ (12.2.98), der den Auftakt zum Brecht-Jahr feiert mit dem Artikel „Brecht und Gramsci: Kampf gegen Ökonomismus und Wiedergewinnung der Dialektik“ (1). Hier lebt die alte stalinistische Geschichtsfälschung wieder auf: die Legende von Brecht als Alternative zum Stalinismus

Die deutsche Bourgeoisie schließt ihren verlorenen Sohn Brecht wieder an die Brust

In Wahrheit ehrt die deutsche Bourgeoisie in Bert Brecht keinen Klassenfeind, sondern einen der ihren. Die (west)deutsche Bourgeoisie hat Brecht vergeben, daß er sich im Kalten Krieg auf die Seite der DDR geschlagen hat. Denn heute ist der Kalte Krieg zu Ende. Nicht zu Ende aber ist der Klassenkrieg zwischen Lohnarbeit und Kapital. Und in diesem Krieg stand Brecht auf der Seite der Ausbeuter, der Konterrevolution, der bürgerlichen Nation.

In Wahrheit ist Brecht niemals ein wirklicher Kommunist gewesen. Solange in Deutschland am Ende des 1. Weltkriegs der Bürgerkrieg zwischen Proletariat und Bourgeoisie tobte, blieb Brecht der Arbeiterbewegung fern. Der Held seines ersten Dramas Trommeln in der Nacht, ein totgeglaubter, spät heimgekehrter Frontsoldat, zieht das weiche Bett seiner Vorkriegsverlobten dem Straßenkampf an der Seite der Spartakisten vor. In den zwanziger Jahren fühlt sich Brecht nicht durch die proletarische Revolution angezogen, sondern durch den rasanten sozialen Zerfall der zukunftslosen Zwischenschichten. Der bekannte Spruch aus seiner Dreigroschenoper „erst kommt das Fressen, und dann kommt die Moral“, welchen die bürgerlichen Linken von heute für das letzte Wort des Marxismus halten, formuliert in Wirklichkeit den Nihilismus der Deklassierten, vor allem des kriminellen Lumpenproletariats.

Brecht wurde erst 1930 Mitglied der KPD - zu einer Zeit also, als die stalinistische Zerstörung dieser einst wichtigsten kommunistischen Arbeiterpartei außerhalb Rußlands in vollem Gang war. Als versuchte Ehrenrettung für Brecht wird heutzutage oft betont, daß das Leiden des Proletariats durch die Weltwirtschaftskrise ab 1929 Brecht zur KPD brachte, und daß seine „Lehrer“ in Sachen Marxismus (er lernte „politische Ökonomie“ bei Fritz Sternberg und „Philosophie“ bei Karl Korsch) keine Stalinisten waren. Tatsächlich aber wurde der nihilistische, durch den Weltkrieg haltlos gewordene, ruhmsüchtige Individualist Brecht, der sich in der wirklich kollektiven, solidarischen Gemeinschaft der Arbeiterbewegung einzufügen außerstande sah, gerade durch den Stalinismus angezogen. Gerade der blinde Gehorsam, den der Stalinismus als Ausdruck des bürgerlichen Totalitarismus verlangte, gab ihm den fehlenden Halt. „Aus dieser totalen Verneinung, dieser zynischen Abkehr von allen Werten, dieser nihilistischen Leere fiel Brecht ins Entgegengesetzte, in die Bewunderung der Disziplin und der hierarchischen Ordnung der deutschen Kommunistischen Partei“, schrieb später Ruth Fischer. „Fasziniert von ihren totalitären und terroristischen Zügen wurde er der originellste Dichter, den die Partei gehabt hat.“ (2)

Die Maßnahme - Ein Lehrstück, 1929-30 entstanden, zeigt am deutlichsten Brecht als Dichter des Stalinismus. Es handelt sich dabei um ein junges Parteimitglied während der niedergeschlagenen chinesischen Arbeiterrevolution von 1925-27, das aufgrund von Feinfühligkeit - so Brecht - die Disziplin verletzt und zur Gefahr für die Partei und deswegen von seinen eigenen Parteigenossen hingerichtet wird. Indem das Opfer seiner eigenen Vernichtung vorher noch zustimmt, nimmt Brecht die Methoden des stalinistischen Terrors der 30er Jahre vorweg. Die Musik dazu komponierte Hans Eisler, dessen Bruder Gerhard 1929 nach China entsandt wurde, um nach der dort von Stalin organisierten Niederlage die proletarische Opposition innerhalb der chinesischen KP zu liquidieren.

Zugegeben: auf dem Höhepunkt der Moskauer Prozesse, als andere westliche Literaten und Intellektuelle (wie Lion Feuchtwanger) Stalin zu Füßen lagen, zog Brecht es vor zu schweigen. Er schwieg auch, als befreundete Künstler vernichtet wurden. Obwohl ihm damals sogar heimliche Sympathien gegenüber Trotzki und der proletarischen Opposition nachgesagt wurden, schwieg er. Damit kam neben seiner Faszination für den Staatskapitalismus à la Stalin ein zweiter Wesenszug Brechts wie auch anderer bürgerlicher Intellektuellen der damaligen (wie heutigen) Zeit zum Vorschein: seine abgrundtiefe Feigheit. In seinem Leben des Galilei ist er bemüht, diese Feigheit zu rechtfertigen. Während Giordano Bruno, der Trotzki und die ganze proletarische Opposition gegen den Stalinismus symbolisieren soll, sinnlos verbrannt wird, überlebt Galilei, indem er seine wirkliche Gesinnung verinnerlicht, also gegenüber Rom (sprich Moskau) verheimlicht.

Brecht: ein deutscher Patriot

Brecht war nicht nur Konterrevolutionär, sondern auch Patriot. Wie viele andere deutsche intellektuelle Stalinisten ging Brecht während der Hitlerzeit nicht in die Sowjetunion ins Exil sondern in den Westen. Er verbrachte den 2. Weltkrieg in den USA. Stalin erblickte darin zu Recht eine gewisse Opposition gegen die Vorherrschaft des „sowjetischen“ Imperialismus. Im kalifornischen Exil träumten Brecht und seine Freunde von einem gegenüber dem russischen Stalinismus unabhängigen, kulturell höherstehenden, echten deutschen Stalinismus. Als nach 1945 die Staatsmacht in der DDR in die Hände der stalintreuen Gruppe-Ulbricht überging, schlug die Enttäuschung dieser aus den USA oder Mexiko zurückkehrenden deutsch-patriotischen Intellektuellen in einen tiefen Zynismus um. Auch dieser Zynismus, welcher das Nachkriegsschaffen Brechts kennzeichnet, wird heute oft als Beweis für die Oppositionshaltung Brechts gegenüber dem Stalinismus angeführt. In Wahrheit wußte die rote Bourgeoisie der DDR sehr gut, sich dieses Zynismus zu bedienen. Wenn nicht Brecht selbst, so dienten der Zynismus und die intellektuellen Fähigkeiten dieser Patrioten dazu, den Staatssicherheitsdienst aufzubauen und zu leiten. Dieser Personentyp und deren Geisteshaltung wird heute noch von Markus Wolff sehr gut verkörpert.

Die letzten Jahre und Werke Brechts sind durch Enttäuschung, Verbitterung und zunehmende Vereinsamung des Dichters gekennzeichnet. Auslöser dieser letzten, düsteren Stimmungen war nicht das schreckliche Leiden des Proletariats nach dem Krieg, sondern im Gegenteil das Aufbegehren der Arbeiterklasse gegen ihre Ausbeutung. Angesichts des Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953 in der DDR zog sich Brecht immer mehr auf seine Luxusdatscha außerhalb Berlins zurück, unfähig, die ‘Undankbarkeit’ des Volkes gegenüber seinen Ausbeutern zu begreifen.

Es ist also nur folgerrichtig, wenn die Bourgeoisie heute dieses Lebenswerk als das ihre ehrt. Seine Parteinahme für die Konterrevolution, sein früher Nihilismus und später Zynismus, seine Glorifizierung der militärischen Hierarchie, seine Feigheit, seine Empörung wegen der ‘Undankbarkeit’ der Arbeiter, welche er zu verteidigen vorgab, sind eine Wiederspiegelung der Seele des Bürgertums. Vor allem ist es aber sein Patriotismus - das glatte Gegenteil des proletarischen Internationalismus -, den die Herrschenden heute loben. So hoben alle Festredner positiv hervor, daß sich Brecht im Gegensatz etwa zu Thomas Mann 1945 gegenüber den Siegermächten „für Deutschland“ einsetzte.

Hier wird deutlich, wie das Brecht-Jahr dazu dient, die häßliche, konterrevolutionäre Fratze des Stalinismus zu liften.

Nicht nur als Politiker, auch und gerade als Künstler diente Brecht dem Stalinismus; dienen die Brecht-Feierlichkeiten dazu, die größte Lüge des 20. Jahrhunderts weiter zu legitimieren: daß der Stalinismus irgendwo doch der legitime Nachfolger des Marxismus sei. Der Künstler Brecht dient in besonderer Weise dazu, weil er den Anspruch des Stalinismus vor allem mit den Mitteln der Kunst zu untermauern versuchte.

Auch der Künstler Brecht, das von ihm hinterlassene „Modell“ des „realistischen“ und „politisch engagierten“ Künstlers - der am besten dabei auch noch der Linie „der Partei“ folgt - steht für den Kampf des Stalinismus gegen das Proletariat und gegen die Kunst. Wie wenig der Marxismus die Aufgabe der Kunst darin sieht, eine bestimmte parteipolitische Linie propagandistisch zu unterstützen, zeigt bereits Friedrich Engels in einem 1888 geschriebenen Brief an Margaret Harkness: „Ich bin weit davon entfernt, darin einen Fehler zu sehen, daß Sie nicht einen waschechten sozialistischen Roman geschrieben haben (...) Je mehr die Ansichten des Autors verborgen bleiben, desto besser für das Kunstwerk.“ (3)

Das heißt keineswegs, daß der Künstler sich nicht politisch engagiert. Aber die soziale Anteilnahme des Künstlers liegt vor allem in der tiefen, objektiven Wahrheit seines Kunstwerks selbst, nicht in den subjektiven politischen Ansichten des Autors. So schrieb Rosa Luxemburg über die klassische russische Literatur: „Dostojewski ist, zumal in seinen späteren Schriften, ausgesprochener Reaktionär, frömmelnder Mystiker und Sozialistenhasser (...) Tolstois mystische Lehren schillern zum mindesten in reaktionären Tendenzen. Und doch wirken auf uns beide in ihren Werken aufrüttelnd, erhebend, befreiend. Das macht: nicht ihr Ausgangspunkt ist reaktionär, nicht sozialer Haß, Engherzigkeit, Kastenegoismus, Festhalten an dem Bestehenden beherrschen ihr Denken und Fühlen, sondern umgekehrt: weitherzige Menschenliebe und tiefstes Verantwortlichkeitsgefühl für soziales Unrecht.“ (4).

Das Beispiel Brechts mit seinen Agit-Prop „Lehrstücken und Schulopern“ im Dienste der (stalinistischen) Partei dient heute vor allem dazu, den Marxismus zu pervertieren und zu diskreditieren. Die marxistische Tradition der Verteidigung der Unabhängigkeit der Künste vor politischer Gängelung wurde vor allem von Trotzki im proletarischen Kampf gegen die stalinistische Konterrevolution verteidigt. Während Brecht 1938 auf dem Höhepunkt des stalinistischen Terrors schwieg, verfaßte Trotzki zusammen mit dem Surrealisten André Breton ein Manifest „Für eine unabhängige revolutionäre Kunst“, worin stand: „Jede fortschrittliche Tendenz in der Kunst wird vom Faschismus als Entartung gebrandmarkt. Jede freie Schöpfung wird von den Stalinisten für faschistisch erklärt.“(5)

Wenn das Proletariat gegenüber der Kunst eine Zwangsjacke anlegen würde, würde es sich damit selbst Hindernisse auf seinen Weg in die kommunistische Gesellschaft legen und damit seinen eigenen Klasseninteressen widersprechen. Kr.

(1) Dieser Artikel ist ein Auszug aus Sabine Kebir´s Buch „Gramscis Zivilgesellschaft“.

(2) Ruth Fischer: Stalin und der deutsche Kommunismus Band 2, S. 283. Fischer nannte Brecht „Den Sänger der GPU“ (d.h.der stalinistischen Geheimpolizei).

(3) Marx-Engels-Werke Band 37, S. 43.

(4) Einleitung zu Korolenko: Geschichte meines Zeitgenossen in Luxemburg Werke Band 4, S. 306).

(5) Julijana Ranc: Trotzki und die Literaten, S. 192. Wie wichtig Trotzki diese Frage nahm, zeigt die Entstehungsgeschichte dieses Manifests. In der ersten Fassung schrieb Breton, daß der Kunst volle Freiheit auch unter der proletarischen Diktatur gewährt werden muß, außer wenn sie sich gegen die Revolution richtet. Trotzki bestand darauf, diese Einschränkung aus dem Text zu streichen.

Weltrevolution Nr. 88

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Mai 1968: Das Proletariat tauchte als einzig revolutionäre Klasse der Gesellschaft erneut auf

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 Seit 30 Jahren benutzt die Bourgeoisie regelmäßig die Erinnerungen an den Mai 1968, um die Geschichte zu verfälschen. Während dieses Ereignis mit internationaler Tragweite die Rückkehr des Proletariats auf die gesellschaftliche Bühne nach mehr als 40 Jahren Konterrevolution bedeutete, kommen in der bürgerlichen Propaganda immer nur die Studentenunruhen zur Sprache. Dieser Propaganda zufolge hätte Mai 68 nur den naiven Idealismus, der mehr oder weniger von revolutionären Utopien geprägt war, der ‘verwöhnten Jugend’ ans Tageslicht gebracht, die in der Zeit des ‘Babybooms’ geboren wurde. Das beharrliche Schweigen über die Millionen streikenden Arbeiter (während man den gesellschaftlichen Erfolg der damaligen Studentenführer, die mittlerweile in die 50 gekommen sind, ausführlich aufgreift) spiegelt die Angst wider, die der Bourgeoisie vor 30 Jahren nicht durch die Studentenrevolte, sondern durch das historische Wiedererwachen des Proletariats eingejagt wurde. Bei den Lügen über die Ereignisse vom Mai 68 geht die herrschende Klasse genauso vor wie bei der Erinnerung an den 80. Jahrestag der Oktoberrevolution von 1917. Das Blackout über die wirklichen Ereignisse, die Versessenheit, mit der die revolutionäre Erfahrung des Proletariats aus den Zusammenstößen mit der bürgerlichen Ordnung ausgelöscht werden soll, die Verleumdungen über die angeblichen ‘Verbrechen des Kommunismus’, der mit dem stalinistischen Henker in einen Topf geschmissen wird, zielen darauf ab, die Lüge einzutrichtern, daß die einzige revolutionäre Klasse der heutigen Gesellschaft weder Vergangenheit noch Zukunft habe. Deshalb ist es für die Arbeiterklasse absolut notwendig, sich ihre Geschichte wieder anzueignen, denn diese bestimmt weiterhin die Zukunft ihres Kampfes und damit auch den der gesamten Menschheit.

Nachfolgend veröffentlichen wir einen Artikel, den wir vor 10 Jahren in unserer Presse über die Mai-Ereignisse schrieben. Einen ausführlichen Artikel zur Einschätzung des Mai 68 gibt es in der International Revue Nr. 93 (engl./franz./span. Ausgabe).


Mai 68: Das Proletariat erscheint erneut auf der Bühne der Geschichte

Nachdem die Bourgeoisie die Arbeiterklasse in den 20er Jahren nach der Welle revolutionärer Kämpfe im Anschluß an den I. Weltkrieg physisch zerschlagen hatte, nachdem sie sie in den 30er Jahren demoralisiert und vollständig im Namen der ‘Verteidigung des sozialistischen russischen Vaterlandes’ und des ‘Antifaschismus’ desorientiert hatte, nachdem sie sie auf die Schlachtfelder des 2. Weltkriegs geschickt hatte, verwechselte die Bourgeoisie die Erschöpfung der Arbeiterklasse mit ihrer Unterwerfung. Durch ihre Siege berauscht, verblendet durch die ‘Blütezeit’ nach dem 2. Weltkrieg, die nur möglich war dank der Millionen von Kadavern, glaubte die herrschende Klasse, sie sei unsterblich geworden. Sie verhöhnte offen die Arbeiterklasse, die ihr Totengräber ist, und den Kommunismus.

Diese Illusion verbreiteten wortgewaltig die Intellektuellen, die Castoriadis, Marcuse und ihre Erben, die Enkel der stalinistischen Gangster, die allemal Grabesreden zur Beerdigung des Proletariats gehalten hatten. Diese Intellektuellen hatten ‘entdeckt’, daß der Kapitalismus sich ohne Krise werde entwickeln können. Aus ihrer Sicht war die Arbeiterklasse vereinnahmt worden, in das System integriert, verbürgerlicht. Der gleiche Kranz wurde dem Klassenkampf und dem revolutionären Wesen des Proletariates umgehängt. Doch all das waren die Illusionen der Bourgeoisie.

Mai 1968: Das Ende des Mythos der Auflösung der Arbeiterklasse

Die Bewegung des Mai 68 sollte diesen Illusionen ein Ende bereiten. Die Begräbnisfeier hatte noch nicht begonnen, da setzte ihr der Totgeglaubte jäh ein Ende. Und wie! Nach seinem ersten Erwachen nach Jahrzehnten des Erstarrens sollte das Weltproletariat in Frankreich den größten Streik seiner Geschichte auslösen: 9 Millionen Arbeiter, fast alle Arbeiter des Landes blockierten die Produktion fast einen Monat lang. Wie war das möglich?

Wir können natürlich im Rahmen dieses Artikels keinen genauen geschichtlichen Abriß der Ereignisse geben (1). Nur die wichtigsten Schritte können wir hier aufzeigen, damit sich die Leser, die an den Ereignissen nicht teilgenommen haben, eine Vorstellung davon machen können.

Selbst wenn der Streik vom Mai 68 fast alle überrascht hat, schlug er doch nicht ein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Tatsächlich hatte sich in Frankreich im Jahr zuvor schon eine Reihe von sozialen Konflikten entfaltet, wie Streiks, Fabrikbesetzungen, Demos, Zusammenstöße mit der Polizei, die allemal eine wachsende Unzufriedenheit der Arbeiter widerspiegelten. Aber das auslösende Ereignis im Mai 68 war die Repression, die gegenüber den Studenten Anfang des Monats ausgeübt wurde. Seit Ende März hatten die Studentenunruhen zugenommen; insbesondere an der Uni von Nanterre (Vorort von Paris). Am 2. Mai wurde diese Uni von den CRS (französische Bürgerkriegsarmee) besetzt und geschlossen. Aus Protest besetzten am darauf folgenden Tag einige Hundert Studenten das Gelände der Sorbonne, was wiederum zum Eingreifen der CRS führte, die Verhaftungen vornahm. Die Forderung nach der ‘Freilassung unserer Kommilitonen’ mobilisierte in den nächsten Tagen Tausende von ihnen, bis hin zu den Barrikaden am 10. Mai, als die Polizei eine blutige Repression ausübte. In Anbetracht der Wut, die sich in der Mehrheit der Bevölkerung und insbesondere in der Arbeiterklasse ausbreitete, riefen die Gewerkschaftszentralen zu Demos für den 13. Mai auf. Trotz der schnellen Freilassung der Verhafteten nahmen diese Demos ein nie gekanntes Ausmaß an: fast eine Million Menschen strömten in Paris zusammen.

So führten die Studentenunruhen, die insgesamt von geringerem Ausmaß gewesen waren als in vielen anderen Ländern, aufgrund der ungeschickten Vorgehensweise einer Regierung, welche die Lage nicht mehr beherrschte, und aufgrund einer ebenso brutalen wie stupiden Repression zu der Mobilisierung von Millionen von Arbeitern. Aber die Unfähigkeit und die Überraschung der staatlichen Behörden erklären nicht alles. Unter dieser gewaltigen Mobilisierung schlummerte eine viel tiefer verwurzelte Unzufriedenheit, die bereit war auszubrechen. Streiks brachen spontan aus in Nantes bei der Sud-Aviation, dann in Renault-Cléon. Am 16. Mai trat die größte Fabrik Frankreichs, Renault-Billancourt, in den Streik, was wiederum eine Signalwirkung auf Millionen anderer Arbeiter hatte, die sich nun in den Kampf stürzten.


Wie die Bourgeoisie die Lage wieder unter Kontrolle bekam

Von diesem Streik überrascht, der sich wie ein Feuerball im ganzen Land ausdehnte, rief die CGT (der stalinistischen KP nahe stehende Gewerkschaft) am gleichen Tag zu ‘Widerstand’ auf. Damals reagierten die Arbeiter darauf, indem sie sagten: ‘Die CGT springt auf den fahrenden Zug’. Die anderen Gewerkschaftszentralen schlossen sich ihr an. Sie alle hatten die gleiche Sorge: wieder die Kontrolle über eine Bewegung auszuüben, die unabhängig, wenn nicht gar gegen ihren Willen ausgelöst worden war. Sie traten für Fabrikbesetzungen ein, die, abgesperrt durch gewerkschaftliche Streikposten, zu wahren Gefängnissen für die Arbeiter wurden. Für die Gewerkschaften und die KP kam es darauf an, im Namen der ‘Verteidigung des Arbeitsinstruments’ gegen die ‘Provokateure’, welche sich unter die Studenten geschlichen hätten, zu verhindern, daß die linksextremen Gruppen der Maoisten und Trotzkisten, deren Konkurrenz sie fürchteten, vor allem aber die Revolutionäre unter den Arbeitern Anhang fänden. Sie strebten vor allem danach, die verschiedenen Bereiche der Klasse zu spalten, sie voneinander zu isolieren, jeder Bereich in seiner Ecke, um zu verhindern, daß die Arbeiter als Klasse, als vereinigte Kraft auftraten. Aber diese Manöver reichten nicht aus, um die Ausdehnung der Bewegung abzubrechen, oder um die zahlreichen Diskussionen zu verhindern, an denen sich Tausende von Arbeitern (oft in den besetzten Unis) beteiligten, und in denen eine Vielzahl von Themen angeschnitten wurden, die die Arbeiterklasse interessierte: die Rolle der Gewerkschaften, die Arbeiterräte, die Revolution, wie heute kämpfen usw... Mit Verspätung gegenüber der KP und der CGT traten die anderen Teile des politischen Apparates der Bourgeoisie auf den Plan. Am 24. Mai schlug die Regierung gleichzeitig mit der provokativen Ausweisung des Studentenführers von Nanterre D. Cohn-Bendit Verhandlungen vor, die von den Gewerkschaften schon lautstark gefordert worden waren. Am 25. und 26. Mai schlossen alle Führer der Gewerkschaftszentralen und der Unternehmerverbände unter der Führung Pompidous des Premierministers, das Abkommen von Grenelle ab, das zur Abwürgung des Streiks diente. Obgleich dieses Abkommen eine 35% Steigerung des Mindesteinkommens vorsah (wofür nur 7% der Arbeiter in Frage kamen), sollten die anderen Löhne nur um 10% steigen, was in Anbetracht eines 4%igen Lohnverlustes infolge des Streiks und aufgrund der Preissteigerungen eine viel geringere Erhöhung als in den vorangegangenen Jahren war (die schon nicht berühmt gewesen waren).

Die Arbeiter empfanden dieses Abkommen als einen Schlag ins Gesicht. Als er dieses Abkommen in Renault-Billancourt am Morgen des 27. Mai präsentieren wollte, wurde Seguy, der Generalsekretär der CGT, stark ausgepfiffen. Er konnte nur sein Spiel gewinnen, indem er sich von einem Text distanzierte, den er zuvor zwei Tage lang mit den Arbeitgebern und der Regierung ausgearbeitet hatte, und nachdem er noch einige Stunden zuvor den Journalisten erklärt hatte, daß die ‘Wiederaufnahme der Arbeit kurz bevorstünde’. Um nicht die Kontrolle über die Lage zu verlieren, gab die CGT die Parole aus: ‘Der Kampf geht weiter’. Unterdessen reihten sich andere Kräfte der Linken in diese Sabotagearbeit ein. Am gleichen Tag fand in dem Stadion in Charlety in Paris eine Großveranstaltung statt, die eine Unterstützung für eine ‘linke Alternative’ sein sollte und dazu gedacht war, die von den Manövern der CGT angeekelten Arbeiter wieder auf die ‘richtige Bahn’ zu lenken. Auf dieser Großveranstaltung traten die CFDT (der sozialistischen Partei nahe stehende Gewerkschaft), die linken Gruppen (Maoisten, Trotzkisten, Anarchisten) Cohn-Bendit und Mendes-France Seite an Seite nebeneinander auf. Die CGT selber organisierte am 29. Mai eine große Demo in Paris, wo sie die Parole ausgab: ‘Volksregierung’.

Am 30. Mai gingen die offiziellen Autoritäten erneut zum Angriff über. De Gaulle hielt eine Rede, in der er die Auflösung der Nationalversammlung und Wahlen für Ende Juni ankündigte, gleichzeitig wurde sein Fußvolk in Paris mobilisiert, und man organisierte eine große Demo auf den Champs Elysées. Die Regierung rief zu branchenweisen Verhandlungen auf. Die Gewerkschaften und insbesondere die CGT stürzten sich auf diese Gelegenheit, um so wieder die Kontrolle über die einzelnen Branchen zu erlangen. Unter allen möglichen Vorwänden riefen sie zum Ende der Streikbewegung auf, unter anderem wäre es nötig die Streiks zu beenden, weil die Wahlen als angeblicher Sieg der Arbeiter unter normalen Umständen stattfinden sollten. Trotz des Lügengeschwafels der CGT gab es aber noch viele Teile der Klasse, in denen sich der Widerstand hielt, wie bei Renault-Flins, Peugeot-Sochaux, wo die Repression durch den Staat mehrere Tote gefordert hatte, wie auch bei Citroen-Javel, wo die Arbeit erst wieder nach der ersten Wahlrunde am 23. Juni aufgenommen wurde. Schließlich mußte die große Streikwelle vom Mai-Juni 1968 zu einer Niederlage für die Arbeiterklasse führen. Aber es handelte sich um eine unvergleichbare Erfahrung, wo Millionen von Arbeiter mit Problemen konfrontiert wurden, die sich der ganzen Klasse stellten, wo sie insbesondere sehen mußten, wie sie mit der Sabotage durch die Gewerkschaften fertig wurden (im Juni 68 wurden viele Gewerkschaftskarten zerrissen). Aber vor allem bewies der Mai 68 aufgrund seiner Ausdehnung, daß es sich nicht um eine rein ‘französische Angelegenheit’ der Studentenrevolte der 60er Jahre handelte, der so genannten Revolte gegen die ‘Konsumgesellschaft’. Es handelte sich sehr wohl um einen neuen Zeitraum, der in der Geschichte der Weltarbeiterklasse eröffnet worden war.


Das historische Wiedererstarken des Weltproletariats

Nur die revolutionären Marxisten konnten diesen neuen Zeitraum voraussehen. Nur sie wußten, daß der dekadente Kapitalismus vollkommen unfähig ist, seine ökonomischen Widersprüche zu überwinden. So schrieben unsere Genossen aus INTERNACIONALISMO in Venezuela (es handelt sich um die Vorläufergruppe der IKS) im Januar 1968 in der Nr. 9 ihrer Revue: ‘1967 gab es den Sturz des Britischen Pfundes, 1968 gibt es die Maßnahmen Johnsons... hierdurch wird der Zerfall des kapitalistischen Systems deutlich, der jahrelang hinter diesem Bild des ‘Fortschritts’ nach dem 2. Weltkrieg verdeckt worden war’. Auf diesem Hintergrund begrüßten die Genossen das Jahr 1968, denn in diesem Jahr sollten die Arbeiterkämpfe überall infolge der Krisenentwicklung auftauchen.

Viele Intellektuelle, die auf die Rolle der Studenten in den Unruhen und das revolutionäre Gerede in ihren Reihen verwiesen, überschätzten vollkommen deren Rolle in den Mai-Ereignissen, um den Platz der Arbeiterklasse herunterzuspielen. So posaunte Castoriadis laut heraus: „Man muß es laut und deutlich sagen, daß das Proletariat im Mai 68 nicht die revolutionäre Avantgarde der Gesellschaft war, sondern stumm ‘hinten anstand’’’. Die Bourgeoisie selber aber erkannte, welche Gefahr die Arbeiterklasse darstellte, denn die Kampfwelle, die im Mai 68 Frankreich erschütterte, erfaßte bald viele andere Länder bis hin zum Jahr 1974: Italien und Argentinien, BRD 1969, Spanien und Polen 1971, Belgien und England 1972. Aber während viele das Wort Revolution im Mai 68 in den Mund nahmen, um nachher mit Ungeduld deren Unmöglichkeit zu verkünden, haben die Marxisten diese unmittelbare Erwartung an die Kämpfe damals nicht geknüpft. Denn obgleich das Proletariat nach 50 Jahren Konterrevolution erneut auf die Bühne getreten war, hatte es weder in Frankreich noch irgendwo anders die notwendige Reife erreicht, um sich gegenüber der Bourgeoisie durchzusetzen und ihr entscheidende Kämpfe zu liefern.

Die Revolution wird notwendigerweise das bewußte Werk der großen Mehrheit der Arbeiter sein, und dieses Bewußtsein kann nur durch eine lange Reihe von Kämpfen entstehen, die sich mehr und mehr als eine Reaktion auf die sich zuspitzende Krise und der damit verbundenen Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse radikalisieren werden.

Dies ist die eigentliche Bedeutung der vielen Arbeiterkämpfe, die sich seit 1968 entwickelt haben. Diese Reifung des Bewußtseins der Klasse wird deutlich in dem immer größer werdenden Mißtrauen, der Verwerfung der Gewerkschaften. Auch die zahlreichen Versuche der Arbeiter, ihre Kämpfe nicht isoliert durchzuführen, sondern den Zusammenschluß mit anderen Arbeitern zu suchen, die Kämpfe selbst in die Hand zu nehmen, sind Beweise dafür.

Die marxistische Methode ist lebendig, ihre Gegner sind um Argumente verlegen. Sie hatte es den Revolutionären ermöglicht, nicht den Lockrufen der Modernisten zu erliegen. Die marxistische Methode dient dazu, die Arbeiterkämpfe zu begreifen und zu verstehen, wie man in ihnen intervenieren soll. Weil sie einen internationalen und historischen Rahmen hat, ist die marxistische Methode als einzige dazu in der Lage, den Revolutionären zu ermöglichen, konkret und mit einem theoretischen Beitrag bei der Verwirklichung dieses Prozesses mitzuwirken, der 1968 durch die Arbeiterklasse wieder ausgelöst wurde, um so schließlich den Sieg der Weltrevolution möglich zu machen.

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Proletarischer Kampf [3]

Weltrevolution Nr. 89

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Revolutionäre Debatte in Rußland: Die Waffe der Selbstkritik

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 Die März/April Ausgabe der „Direkte Aktion“, die Zeitung der anarchosyndikalistischen „Freien Arbeiterunion“ (FAU/IAA), veröffentlicht einen hochinteressanten Diskussionsbeitrag russischer Anarchisten. Es handelt sich dabei um einen Auszug aus einer Rede, welche beim „Ostwesttreffen“ anarchistischer und anarcho-syndikalistischer Gruppen Ende August 1997 im ukrainischen Lwow (Lemberg) gehalten wurde. Diese Rede, welche unter dem Titel „Sollen wir es anstreben, eine Massenbewegung zu sein?“ von der FAU auszugsweise wiedergegeben wird, wurde von einem Vertreter der Moskauer Ortsgruppe der „Konföderation der Revolutionären Anarchosyndikalisten“ (KRAS-IAA) gehalten.

Mit großer politischer Klarheit und Aufrichtigkeit unterzieht der Delegierte der Moskauer KRAS in Lwow die bisherigen Versuche, eine revolutionäre Strömung in der ehemaligen Sowjetunion auf der Grundlage des Anarchismus zu gründen, einer schonungslosen, beinahe vernichtenden Kritik.

„All das, was ich gestern hörte, brachte mich zum tiefen Erstaunen und zum Zweifel in Bezug auf die Perspektiven der heutigen anarchistischen Bewegung der ehemaligen Sowjetunion, ihren syndikalistischen Teil einbezogen. Die Bewegung hat nichts verstanden und nichts gelernt..(...) Sie hat keine Strategie, und von Anfang an wurde sie von einem Extrem ins andere gestürzt. Schon zehn Jahre lang gerät sie fleißig in jede Falle, die auf ihrem Weg entsteht. Zuerst waren die AnarchistInnen ein Anhängsel der „DemokratInnen“, ein „linker Flügel“ der Perestroika, später ein Anhängsel jeder neuen Opposition - der gewerkschaftlichen, der „roten“, der nationalistischen... Jedes Mal traten sie auf dieselbe Harke und jedes Mal bekamen sie einen Schlag vor die Stirn. Die Lehre haben sie daraus aber nicht gezogen. Und so hörten wir gestern, wie die AnarchistInnen von Donezk mit den offiziellen bürokratischen Gewerkschaften zusammenarbeiten, zum Schwanz des Streikkomitees geworden sind, das sie dafür loben, daß es dem Streik nicht erlaubte, in eine soziale Revolte überzugehen.“

Obwohl der Anarchismus sich stets für die denkbar radikalste politische Bewegung gehalten hat, - die reinste Bastion der „Anti-Staatlichkeit“ - zeigt diese Bilanz überdeutlich den Hang anarchistischer Gruppen zur Zusammenarbeit mit konterrevolutionären, staatlichen Organisationen und Behörden. Der Genosse spricht in diesem Zusammenhang auch von Reformismus. Dabei beschränkt er seine Kritik keineswegs auf die anarchistischen Gruppen der ehemaligen UdSSR. „Der Wunsch nach einem raschen Erfolg führte zum Reformismus, wie bei der „CNT-Paris“ oder bei der „USI-Rom“.


Die Ablehnung der Arbeit in bürgerlichen Institutionen und die Notwendigkeit des „langen Atems“

Die Lwower Rede des KRAS Genossen aus Moskau beschränkt sich nicht darauf, das Scheitern des bisherigen Versuchs, eine revolutionäre Strömung auf anarchistischer Grundlage zu gründen, festzustellen. Die KRAS-Genossen wollen die Ursachen dieses Scheiterns begreifen und damit eine Perspektive revolutionärer Politik öffnen. Ihre Kritik bewegt sich in die Richtung der Ablehnung jeglicher Arbeit in bürgerlichen Institutionen. „Die Anarchistinnen sollen nicht an Bewegungen mit zweifelhaften Ideologien teilnehmen oder mit den offiziellen Gewerkschaften - Agenten des Klassenfeindes - zusammenarbeiten.“ Auch die linkskapitalistische „Taktik“ des „Entrismus“, um angebliche Eroberungen bürgerlicher Organisationen „im Namen der Arbeiterklasse“ zu bewerkstelligen, wird abgelehnt. „Die Infiltration in eine reformistische ArbeiterInnenbewegung ist natürlich nicht besser; das wäre ganz im trotzkistischen Sinn. Das ist ein weiterer Versuch, die „ideologisch rückständigen“ Massen zu zwingen, dem nächsten „Avantgarde Führer“ zu folgen, ohne dabei den Sinn und die Motivationen ihrer Handlungen zu verstehen (oder mindestens ohne sie bis zum Ende zu verstehen).“

Bedeutend in diesem Zusammenhang ist die grundsätzliche Ablehnung des kurzfristig denkenden, opportunistischen Wunsches, die Massen politisch „erobern“ zu wollen zu einem Zeitpunkt, wo die Massen noch nicht revolutionär sind; oder selbst Teil einer Massenbewegung sein zu wollen zu einer Zeit, wo eine „Massenbewegung“ nur eine bürgerliche Bewegung sein kann.

„Gebt uns eine Massenbewegung - möglichst schnell und um jeden Preis! Im Ergebnis scheitern die AnarchistInnen einmal wieder am Problem der Bündnisse, z.B. mit den offiziellen Gewerkschaften. Die Realität ist einfach und hart. In einer Periode allgemeiner Atomisierung der Gesellschaft, in einer Periode der sozialen Konterrevolution, kann die anarchistische Bewegung nicht massenhaft sein. Mehr noch: sie soll auch nicht massenhaft sein, da die Massen eben (noch) nicht revolutionär sind. Eine Massenbewegung in der Zeit der sozialen Konterevolution kann nur konterrevolutionär sein, bis die Masse selbst revolutionär wird. Man kann dieser dabei nicht helfen, indem man zweifelhafte Bündnisse macht und für uns fremde Klassenziele, Übergangsstadien usw. kämpft.“

Was dies nach Meinung der Genossen für den Aufbau revolutionärer Organisationen bedeutet, wird so geschildert: „Man soll nach den Leuten suchen. Ein oder zwei wirklich anarchistisch denkende Menschen, die verstehen, warum und wozu sie in der Bewegung sind, und fähig sind, dieses Verständnis weiter zu verbreiten, sind besser, als ein großer Haufen Leute mit fremder Ideologie, die die AnarchistInnen auflösen lassen und hinter sich führen werden.“ Der Revolutionär soll somit heute „einen langen Atem haben. Er/sie sollte eine Revolution vorbereiten und nicht nach allen Seiten für kurzfristige taktische Erfolge herumstochern.“


Die Öffnung gegenüber der Kommunistischen Linke

Im Gegensatz zum Gros der anarchistischen Bewegung zeigen sich diese Moskauer Genossen imstande, wirkliche Lehren aus dem Scheitern der anarchistischen Bewegung zu ziehen. Dies ist auch kein Zufall. Es handelt sich bei dieser Gruppe nämlich um Genossen, welche ernsthaft bemüht sind, sich die Lehren aus der wirklichen Geschichte der Arbeiterbewegung und des Klassenkampfes anzueignen, welche über ein halbes Jahrhundert lang von der stalinistischen Konterrevolution begraben wurden. Mehr noch: um dieses Ziel zu erreichen, öffnen sich diese Genossen gegenüber der internationalen Debatte im allgemeinen, und gegenüber den Traditionen und heutigen Gruppen der Kommunistischen Linken insbesondere. So beteiligten sich diese Genossen an dem öffentlichen Teil der Debatten bei der Konferenz über Trotzkis Buch „Verratene Revolution“ 1996 in Moskau. Über diese Konferenz und die Intervention der KRAS Genossen schrieben wir in unserer Internationale Revue: „Unsere Stimme war jedoch nicht die einzige, die sich zur Verteidigung des proletarischen Internationalismus erhob. Einer der jungen russischen Anarchisten intervenierte ebenfalls, zunächst um die Manöver der Kollaborationspolitik des russischen Zweiges der Militant-Tendenz innerhalb des Trotzkismus mit anderen linken, aber auch rechten Tendenzen zu denunzieren. Doch vor allem entlarvte der Genosse den imperialistischen Charakter des 2. Weltkriegs und der Teilnahme Rußlands an ihm - wahrscheinlich die erste öffentliche und somit historische internationalistische Erklärung dieser Art durch eine neue Generation von Revolutionären in Rußland.“ (Moskauer Konferenzen: Der Beginn einer proletarischen Debatte in Rußland, Internationale Revue Nr. 21).

Auch ist uns bekannt, daß diese Genossen bemüht sind, das Erbe sowohl der Kommunistischen Linke Rußlands, wie z.B. der „Kommunistischen Arbeitergruppe“ um Gabriel Miasnikow, als auch der deutsch-holländischen Linken (z.B. die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands - KAPD) kennenzulernen und zu studieren.

Und tatsächlich: die Kritik der Genossen an dem um sie herum vorherrschenden kurzlebigen Opportunismus und der bürgerlichen „Massenbewegungspolitik“ hat mit der kleinbürgerlich-immediatistischen, scheinradikalen Tradition des Anarchismus nichts zu tun. Sie steht vielmehr in der Tradition des Kampfes der marxistischen Linken gegen den Anarchismus Bakunins in der 1. Internationale, wie auch gegen die opportunistische Degeneration innerhalb der 2. und 3. Internationalen. Wir denken dabei vor allem an Hermann Gorters berühmten „Offenen Brief an den Genossen Lenin“, in dem die deutsch-holländische Linke mutig und prinzipienfest die Opferung revolutionärer Positionen auf dem Altar der unmittelbaren „Massenbeeinflussung“ durch Lenin und die Kommunistische Internationale Anfang der 20er Jahre geißelte.

Wir sind davon überzeugt, daß die Fähigkeit dieser Genossen, bedeutende Lehren aus dem Scheitern des Projektes eines revolutionären Anarchismus in Rußland zu ziehen, nicht zuletzt mit ihrer Offenheit gegenüber dem Erbe der Kommunistischen Linke, der marxistischen Opposition gegen die stalinistische Konterrevolution zusammenhängt.


Der Anarchismus - keine Alternative zum Stalinismus

So sehr die auf der Konferenz von Lwow vorgetragene Kritik zu begrüßen ist - sie geht nicht weit genug, weil es den Genossen noch nicht gelingt, die politischen und programmatischen Grundlagen, welche ihren bisherigen Bemühungen zugrunde lagen, infrage zu stellen - nämlich den Anarchismus selbst. Indem die stalinistische Konterrevolution 60 Jahre lang ihre erzreaktionäre staatskapitalistische Ideologie ungehindert als „Marxismus“ oder „Marxismus-Leninismus“ verkaufen konnte, entstand und besteht heute noch gerade bei jungen, kämpferischen, auf der Suche nach einer alternativen „linken“ Theorie und Tradition befindlichen Revolutionären eine beinahe allergische Abneigung gegenüber dem Marxismus. Kein Wunder also, wenn viele dieser suchenden Elemente sich vom Anarchismus angezogen fühlen, welcher angesichts der Verbrechen des Stalinismus unschuldig dazustehen scheint.

Diese Unschuld des Anarchismus ist tatsächlich nur Schein. Im spanischen Bürgerkrieg mobilisierte die anarchosyndikalistische CNT die Arbeiterklasse auf dem bürgerlichen, imperialistischen Schlachtfeld des Kampfes des demokratisch-kapitalistischen Staates auf der Seite der Sowjetunion gegen Franco in einem Kampf, der den Auftakt zum 2. imperialistischen Weltkrieg bildete. Dabei trat die CNT sogar der bürgerlichen Regierung bei, wo sie gemeinsam mit den Sozialdemokraten und den Stalinisten den Arbeiteraufstand von Mai 1937 in Barcelona niederschlugen. Allein die Genossen der Kommunistischen Linke, vor allem die Italienische Linke um die Zeitschrift Bilan, blieb dem Prinzip der Autonomie und des Internationalismus des proletarischen Klassenkampfes angesichts der konterrevolutionären Massaker in Spanien treu.

Wie aber war der Verrat des Anarchosyndikalismus damals in Spanien möglich? Weshalb werden die hehren Prinzipien der „Antistaatlichkeit“ seitdem immer wieder über Bord geworfen? Weshalb besteht die innere Tendenz des Anarchismus seitdem - die Genossen der KRAS haben es selbst anhand des jüngsten russischen Beispiels aufgezeigt - darin, sich in den Staatsapparat zu integrieren?


Die Unmöglichkeit permanenter Massenorgane außerhalb des Kampfes

Der Anarchismus selbst kann diese Fragen nicht beantworten, weil er auf das unerläßliche Instrument der proletarischen Analyse der Klassengesellschaft, den Marxismus, verzichtet.

Wir wollen in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Theorie von der Dekadenz des Kapitalismus hinweisen, welche die Kommunistische Linke nach der Niederlage der russischen und der Weltrevolution ausgearbeitet hat. Erst auf der Grundlage dieser Theorie können wir wirklich begreifen, weshalb in der Niedergangsphase des Kapitalismus seit dem 1. Weltkrieg die Arbeiterklasse keine dauerhaften Reformen mehr erringen kann. Damit wird der Reformismus, d.h. die permanenten Kampforganisationen sowie die politischen Massenparteien der Arbeiterklasse selbst bürgerlich. Sie werden in den Staat integriert. Sie werden selbst zu einem Teil des herrschenden Staatskapitalismus - nicht nur unter dem Stalinismus oder Faschismus, sondern auch im „demokratischen“ Staatskapitalismus.

Weil der Anarchismus diese entscheidende Änderung in den Bedingungen des Klassenkampfes nicht begreift - nicht begreifen kann - weil seine Ablehnung des Staates eine rein moralische, individuelle, ohnmächtige ist, ist er unter den Bedingungen des 20. Jahrhunderts dazu verdammt, selbst ein Teil dieses niedergehenden Staatsapparates zu werden. Dies ist im Falle des Anarchosyndikalismus besonders deutlich, weil er eine permanente, gewerkschaftliche Organisation des Klassenkampfes betreibt. Er begreift nicht, was Rosa Luxemburg bereits 1906 in ihrer Massenstreikbroschüre deutlich zu machen begann: daß die Kampforgane des modernen Proletariats im Kampf selbst entstehen und am Ende des offenen Kampfes wieder aufgelöst werden, damit sie nicht in die Hände der Bourgeoisie fallen. Und diese Organe - die von Vollversammlungen gewählten und kontrollierten Streikkomitees, die Vorläufer der Arbeiterräte - werden genau so wenig wie der Massenstreik selbst von den Revolutionären vorgefertigt: sie sind die Schöpfung der kämpfenden Arbeiterklasse selbst. Genau so wenig kann der Anarchismus begreifen, was die Marxisten der KAPD bereits Anfang der 20iger Jahre zu verstehen begannen: daß die Organisationen der Revolutionäre, welche im Gegensatz zu den Massenorganisationen des unmittelbaren Kampfes eine permanente Aufgabe der Verteidigung programmatischer Prinzipien erfüllen, in der Dekadenzphase des Kapitalismus keine Massenorganisationen mehr sein können - auch in der Revolution selbst nicht.

Somit gelingt es den Genossen noch nicht, ihre Ablehnung des anarchosyndikalistischen Projektes des Aufbaus revolutionärer Massengewerkschaften grundsätzlicher zu formulieren. Statt dessen begründen sie ihre Ablehnung dieses Projektes, das seit Jahrzehnten immer und überall mit einer Verwicklung im bürgerlichen Staatsapparat endet, ausschließlich mit der vorübergehenden mangelnden revolutionären Stimmung der Arbeitermassen.

„Wir sollten nicht versuchen, die heutige Massenbewegung umzuformen, sondern eine neue, völlig neue zu schaffen“. Wie die Kommunistische Linke aufgezeigt hat, ist es nicht die Aufgabe der Revolutionäre, neue Massenbewegungen anstelle der alten zu schaffen, sondern Organisationen der revolutionären Minderheiten zu schaffen, welche in der Lage sind, gegenüber den zukünftigen Klassenkämpfen zu intervenieren und die Ausdehnung, Vereinigung und Selbstorganisation des Kampfes durch die Arbeiter selbst zu fördern, zu verteidigen und ihm eine revolutionäre Richtung zu geben. Mit anderen Worten: der Aufbau permanenter revolutionärer Massenorganisationen wie z.B. anarcho-syndikalistische Gewerkschaften ist heute nicht nur deshalb unmöglich, weil die Arbeiterklasse noch nicht bereit ist, die Revolution zu machen, sondern vor allem deshalb, weil solche permanent bestehenden Organe den Bedürfnissen des Klassenkampfes nicht mehr entsprechen, sondern dazu verurteilt sind, Hindernisse auf dem Weg der Selbstorganisierung zu sein (siehe dazu die Gewerkschaftsbroschüre der IKS).


Die revolutionäre Debatte in Rußland: Ein Versprechen für die Zukunft

Der Aufbau einer revolutionären anarchistischen Bewegung in Rußland wie weltweit ist vor allem daran gescheitert, daß der Anarchismus selbst den revolutionären Erfordernissen des proletarischen Klassenkampfes in keinster Weise entspricht. Die Lwower Rede hingegen neigt dazu, dieses Scheitern einerseits und zurecht der kleinbürgerlichen Ungeduld, andererseits aber und zu unrecht den Unzulänglichkeiten des heutigen Klassenkampfes selbst anzulasten. Die Genossen sprechen in diesem Zusammenhang von einer Zeit der „sozialen Konterrevolution“. Es stimmt, daß das internationale Proletariat heute noch (seit 1989 mit dem angeblichen Scheitern des Kommunismus sogar verstärkt) unter den Nachwirkungen der stalinistischen Konterrevolution leidet. Dies trifft erst recht für die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion und des früheren Ostblocks zu. Der Weg zu einem möglichen zweiten Anlauf zur Weltrevolution wird sehr lang und sehr schwer sein. Wie recht also die Genossen haben, indem sie von den Revolutionären einen „langen Atem“ fordern. Aber die heutige Generation des Proletariats ist nicht niedergeschlagen. Solange die Kampfkraft und ein ausreichendes Klassenbewußtsein innerhalb der Arbeiterklasse vor allem der westlichen Industriestaaten bestehen bleibt, besteht eine historische revolutionäre Perspektive für das Proletariat der ganzen Welt. Wenn das russische Proletariat auch geschwächt ist und in einer besonders schwierigen Lage steckt: auch dort ist die Arbeiterklasse nicht geschlagen. Gerade in den letzten Monaten hat sich die Kampfkraft des russischen Proletariats zu zeigen begonnen: die Proteste der Bergarbeiter im ganzen Lande sowie von anderen Lohnabhängigen sogar in Moskau, im Zentrum der Macht, belegen dies. Auch wenn diese Kämpfe von den Gewerkschaften noch kontrolliert werden, sind sie ein deutliches Anzeichen dafür, daß die Arbeiterklasse nicht bereit ist, ihre Interessen der Logik des Kapitals unterzuordnen.

Auch die ehrliche, nach Selbstkritik, nach Klärung und nach theoretischer Tiefe drängende, neue Generation der Revolutionäre in Rußland - von dem die Lwower Rede des KRAS Genossen ein ermutigendes Zeichen gibt - zeugt von dem weiterbestehenden revolutionären Potential unserer Klasse. Wir begrüßen mit ganzem Herzen die Bemühungen dieser Genossen und engagieren weiterhin unsere Organisation, nach Kräften die internationale Debatte sowie die Aneignung des großen revolutionären Erbes unsere Klasse voranzutreiben.


Politische Strömungen und Verweise: 

  • Internationalistischer Anarchismus [7]

Theoretische Fragen: 

  • Internationalismus [8]

Weltrevolution Nr. 90

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1918 - Generalstreik in der Schweiz

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 Im November vor 80 Jahren brach in der Schweiz ein Generalstreik aus, der grösste landesweite Streik in der bisherigen Geschichte der schweizerischen Arbeiterbewegung. Für Revolutionäre sind solche Ereignisse ein Anlass, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen, die Stärken und Schwächen einer Bewegung zu analysieren, damit die Erfahrungen der früheren Generationen für die späteren fruchtbar gemacht werden können.

Das internationale Umfeld

Als die Arbeiterklasse in der Schweiz am 9. November 1918 in den Streik trat, geschah dies nicht isoliert, sondern in einem Zeitpunkt, als weltweit die Kampfbereitschaft massiv zunahm und in einigen Ländern Revolutionen im Gang waren. Der Generalstreik in der Schweiz war ein Ausdruck der weltrevolutionären Welle, die von 1917 bis 1923 dauerte. Ein Jahr zuvor hatte das Proletariat in Russland die Macht ergriffen. Seit einigen Tagen bildeten sich in Deutschland überall Arbeiter- und Soldatenräte. Der 9. November war der Tag, an dem der Kaiser in Berlin abdanken musste. Einige Monate später wurden in Bayern und Ungarn Räterepubliken ausgerufen. Die Bourgeoisie brach den Weltkrieg sofort ab und schloss sich eilig zusammen, um geeint gegen die proletarischen Bastionen vorzugehen.

Die Kämpfe in der Schweiz

1914 mit dem Beginn des Weltkrieges brach die Zweite Internationale zusammen. Bis auf wenige Ausnahmen schlossen die sozialdemokratischen Parteien Burgfrieden mit ihren jeweiligen nationalen Bourgeoisien. Auch die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) bekannte sich zur Landesverteidigungi [9] und erteilte dem Bundesrat (der Regierung) "alle ausserordentlichen Vollmachten zu Sicherung des Landes und zur Aufrechterhaltung der Neutralität".ii [9]

Früher als in anderen Ländern schwenkte aber die Mehrheit der SP in der Schweiz auf die Zimmerwald-Bewegung ein. Im September 1915 fand in Zimmerwald bei Bern die erste Internationale Sozialistische Konferenz statt, wo sich die verschiedenen sozialdemokratischen Kräfte, die sich gegen die Landesverteidigung stellten, auf ein Manifest gegen den Krieg einigten. Die SPS bezog aber nicht Stellung auf der konsequenten Linie der Zimmerwalder Linken um Lenin, Radek und Trotzki, sondern auf einer zentristischen Linie, die in Deutschland später von der USPD und in der Schweiz von der SP-Führung um Robert Grimm vertreten wurde. Während die Zimmerwalder Linke offen die Chauvinisten innerhalb der Sozialdemokratie denunzierte und zum revolutionären Kampf gegen den imperialistischen Krieg aufrief, blieben die Zentristen auf halbem Weg stehen, suchten die Versöhnung mit den rechten Sozialdemokraten und scheuten sich vor der offenen revolutionären Propaganda. Zur zweiten Internationalen Konferenz in Kiental 1916 sandte die SPS eine offizielle Delegation der Partei. Von nun an lehnte die sozialdemokratische Parlamentsfraktion Militärbudgets und Landesverteidigung ab.

Die Klassenwidersprüche verschärfen sich im Laufe des Krieges, der viel länger dauerte, als man zuerst allgemein angenommen hatte. 1917 kam es in der Schweiz zu den ersten Demonstrationsstreiks. Anfang 1918 bildeten die SPS und die Gewerkschaften zur Koordinierung des Kampfes das Oltener Aktionskomitee. Während Partei und Gewerkschaften 1913 den befristeten Generalstreik lediglich als letztes ausserparlamentarisches Kampfmittel in Aussicht genommen hatte, ermächtigte nun Ende Juli 1918 der Allgemeine Arbeiterkongress das Oltener Aktionskomitee, den allgemeinen (d.h. auch unbefristeten) Landesstreik zu beschliessen, falls der Bundesrat in verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Fragen (u.a. Versammlungsfreiheit, Zurückweisung von Deserteuren an der Grenze, 8-Stunden-Tag, Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln) keine Konzessionen macht.

In der Folge machte der Bundesrat einige Zugeständnisse, so dass das Oltener Aktionskomitee den Streik für nicht notwendig erachtete. Die Regierung bereitete sich aber ihrerseits mit der Einsetzung einer besonderen Kommission auf einen allfälligen zukünftigen Generalstreik vor.

Ende September 1918 brach in Zürich ein Bankangestelltenstreik aus, der sich schnell zu einem lokalen Generalstreik ausweitete und aufgrund der ansteigenden Kampfbereitschaft einen momentanen Sieg für das Proletariat bedeutete. Die Banken mussten in allen Punkten nachgeben: Die Löhne wurden verdoppelt, der Bankangestelltenverband als offizielle Vertretung anerkannt, und Massregelungen wegen der Teilnahme am Streik durften nicht ergriffen werden.iii [9]

Die Bourgeoisie war aufgeschreckt. Die Widersprüche spitzten sich weiter zu, da v.a. die Arbeiter durch die kriegsbedingte Lebensmittelknappheit immer tiefer ins Hungerelend gerieten. Gleichzeitig begannen die Zersetzung der Armeen der Zentralmächte und die Revolutionen in Deutschland, Österreich, Ungarn. Ein Aufruf in Zürich zu einer Demonstration aus Anlass des ersten Jahrestages der Oktoberrevolution bewegte die Armeeleitung zu einem Vorstoss: Sie verlangte vom Bundesrat die Einwilligung zur Entsendung zusätzlicher Truppen nach Zürich zur Vorbeugung gegen eine vermutete Revolution. Der Bundesrat stimmte zu, und der General bot Infanterie und Kavallerie zur Belagerung von Zürich auf. Der Truppenaufmarsch wurde vom Proletariat als so starke Provokation empfunden, dass das Aktionskomitee auf Druck der Arbeiter einen befristeten Proteststreik in 19 Städten proklamieren musste. Dieser Streik war sehr bescheiden konzipiert: Das vorgesehene Datum, der 9. November, war ein Samstag, wo ohnehin nur halbtags gearbeitet wurde. In Zürich war die Stimmung aber so heiss (nicht zuletzt durch das Verhalten der Militärs), dass die Arbeiterunion Zürich, in der die in der SPS und den Gewerkschaften organisierten Arbeiter zusammengeschlossen waren, die Fortsetzung des Generalstreiks für Zürich beschloss. Die Forderungen lauteten u.a.: Truppenrückzug, Freilassung der politischen Gefangenen, Anerkennung der Sowjetgesandtschaften. Das Oltener Aktionskomitee musste mitziehen. Zwischen 250'000 und 400'000 Arbeiter (von insgesamt (800'000 zur damaligen Zeit) schlossen sich dem Streik an; in der Schwerindustrie waren es mindestens 80%, die die Arbeit niederlegten. Der Kampf verlief auf Seiten der Arbeiterklasse sehr diszipliniert, die Armeeführung umgekehrt verfolgte die Strategie der Provokation. In mehreren Städten wurden Arbeiter durch Schüsse und Bajonette verletzt, in Grenchen sogar 3 erschossen.

Am 13. November stellte der Bundesrat dem Aktionskomitee ein Ultimatum zum Streikabbruch. Da der Bundesrat auf die Hauptforderung des Aktionskomitees nach einem Truppenabzug in Zürich nicht einging, stand die offene Schlacht bevor. Der Streik war aber in wichtigen Teilen des Landes, insbesondere in der französischen Schweiz bei weitem kein vollständiger. Die Streikbewegung weitete sich in diesen Tagen auch nicht mehr aus, sondern war zu einem Stillstand gekommen. Das Aktionskomitee beschloss nach dem Ultimatum den Streikabbruch, was ihm in weiten Teilen des kämpfenden Proletariats das Vertrauen kostete. In den grösseren Städten verlangten die in Gewerkschaften und SP organisierten Arbeiter eine Neubildung der zentralen Leitung. Und viele Arbeiter zerrissen wütend ihre Mitgliederausweise der Gewerkschaften und der Partei.


Das Kräfteverhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat

Zum 80. Jahrestag des Landesstreiks versucht die Bourgeoisie dem Proletariat ihre Version zu verkaufen. Dabei geht sie - wie immer - arbeitsteilig vor. Der auflagenstarke TagesAnzeiger hebt die "fortschrittlichen" reformistischen Forderungen der sozialdemokratischen Streikleitung hervor: Proporzwahl für den Nationalrat, Frauenstimmrecht und Sozialversicherungen - "was die Streikenden forderten, ist heute eine Selbstverständlichkeit"iv [9]. Damit versucht die Bourgeoisie von der revolutionären Dynamik der Kämpfe insbesondere im internationalen Umfeld abzulenken. Die Stalinisten innerhalb des Aufbaus umgekehrt sprechen zwar von Revolution, um sie aber mit der Kapitulation des Oltener Aktionskomitees gleich wieder zu begraben: ”Die bedingungslose Kapitulation der sozialdemokratischen Führung erschütterte die Vorstellung an die Erreichbarkeit einer revolutionären Veränderung zutiefst.”v [9] - Als ob die Revolution eine nationale und v.a. militärische Angelegenheit wäre.

In Tat und Wahrheit war das Proletariat im November 1918 sowohl weltweit als auch in der Schweiz noch lange nicht geschlagen. Die Revolutionen in Deutschland und Mitteleuropa hatten gerade erst begonnen. Die gewaltigen Streiks im Ruhrgebiet vom Frühjahr 1919, die ungarische Räterepublik, die Gründung der Dritten Internationalen, die Kämpfe in Italien standen noch bevor. Die lokalen Generalstreiks im Sommer 1919 in Basel und Zürich erfassten im Gegensatz zum Landesstreik vom November 1918 auch die Angestellten und Beamten, zogen also weitere Teile des Proletariats in den Kampf. In den Wochen und Monaten nach dem Landesstreik nahm nicht nur die Kampfbereitschaft, sondern insbesondere auch das Klassenbewusstsein im Proletariat zu. So schrieb z.B. Jules Humbert-Droz, der spätere Sekretär der Komintern, am 19. November 1918 in der französischsprachigen Zeitung Sentinelle: "Das Oltener Aktionskomitee hat vielleicht kapituliert, die Arbeiterklasse aber hat nicht kapituliert. Überall erhebt sich Kritik gegen das Aktionskomitee; das arbeitende Volk hätte trotz der Dragoner und Maschinengewehre weiterkämpfen wollen, es war zu weiteren Opfern bereit; es hält die Kapitulation für verfrüht und bereitet neue grosse Kämpfe vor. Begeistert durch die Welle der Solidarität, die es zum Aufstand getragen hat, ist es von einem neuen revolutionären Atem durchdrungen (...)"vi [9] Die Kritik am zentristischen Aktionskomitee, der Bruch von manchen Arbeitern mit ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft und mit der Sozialdemokratie, die bevorstehende Gründung der Kommunistischen Partei der Schweiz sind klare Boten einer Vertiefung des Klassenbewusstseins.


Die Rolle der Sozialdemokratie vor und während dem Generalstreik

Die Arbeiterklasse war im Landesstreik mit zwei Schwierigkeiten konfrontiert, die sie damals nicht überwinden konnte: Anders als in Deutschland bildeten sich keine Massenkampforgane, die die Leitung des Streiks in die Hand genommen hätten. Der Klasse fehlte eine der neu angebrochenen Zeit angemessene Massenstruktur (Räte, beschlussfähige Vollversammlungen, von den Arbeitern gewählte Streikkomitees). Stattdessen oblag die Streikleitung einem Aktionskomitee von Delegierten aus der Sozialdemokratischen Partei und den Gewerkschaften. Die Arbeiter hatten somit keinen direkten Einfluss auf die Entscheide der Streikleitung. Die Delegierten der SPS und der Gewerkschaften hatten ein Mandat dieser Organisationen und konnten nicht durch die Massen abgewählt werden, wie die Deputierten eines Arbeiterrates oder die Mitglieder eines direkt von den Streikversammlungen gewählten Komitees.

Die Zusammensetzung des Oltener Aktionskomitees war das zweite Problem: Die Sozialdemokratische Partei war zu diesem Zeitpunkt bereits degeneriert, in ihrer Mehrheit hat sie bürgerliche oder zumindest zentristische Positionen vertreten, die Gewerkschaften waren mit dem Übergang zum Staatskapitalismus zu Organen des bürgerlichen Staates gewordenvii [9]. Die Revolutionäre waren z.T. bereits aus der SPS ausgeschlossen wordenviii [9], z.T. leisteten sie noch Fraktionsarbeit als Minderheit in der SPSix [9]. Diese proletarischen Kräfte waren aber im Oltener Aktionskomitee überhaupt nicht mehr vertreten, richtigerweise traten sie aus, als es seinen bürgerlichen Charakter offenbarte.

An sich war der Streikabbruch nach dem Ultimatum des Bundesrates richtig: Das Proletariat wäre zu früh in eine Konfrontation getrieben worden, der es nicht gewachsen gewesen wäre. Da die sich der Streik nicht mehr ausweitete, die Bewegung zu einem Stillstand gekommen war, wäre das Proletariat in den Industriegebieten der Nord- und Nordostschweiz isoliert geblieben und durch die Armee (fast 100'000 Mann) massakriert worden.

Die Arbeiterklasse überstand den 6tätigen Generalstreik ohne grosse physische Verluste und moralisch unbeschadet. Das Problem des Streikabbruchs bestand aber darin, dass er von einem der Klasse fremden Organ beschlossen wurde, und nicht von der Klasse selber. Die Klasse verfügte damals in der Schweiz nicht über eine Massenstruktur, die ihren Willen zum Ausdruck gebracht hätte. Deshalb musste sie sich (subjektiv) durch den Entscheid des Oltener Aktionskomitees verraten fühlen, obwohl der Streikabbruch, objektiv betrachtet, richtig war.

Effektiv hatte die Sozialdemokratie die Arbeiterklasse verraten, und zwar seit Beginn des Weltkrieges mit ihrer Burgfriedenspolitik. Im Landesstreik verhielt sich die SPS nicht anders. In ihrer Mehrheit vertrat sie bürgerliche Positionen. Nach der Trennung von der linken Fraktion Ende 1920 war die Partei für das Proletariat definitiv verloren. Im November 1918 wurde aber der bürgerliche Charakter des Oltener Aktionskomitees und der Mehrheit der SPS für viele Arbeiter noch nicht schonungslos entlarvt, da es sich die Bourgeoisie leisten konnte, die Armee an die Front des Klassenkampfes zu schicken und nicht die Sozialdemokraten. Im Januar 1919 in Deutschland war es die sozialdemokratische Regierung von Ebert, Scheidemann und Noske, die auf die Arbeiter schoss. Diese letzte Karte - die Übergabe der Regierungsgeschäfte an die Linke - musste die Schweizer Bourgeoisie nicht verspielen. Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen hatte sich noch nicht so weit zugunsten des Proletariats verschoben.

Allem offenen oder versteckten Hohn der Bourgeoisie zum Trotz ist es aber falsch, den Generalstreik vom November 1918 als Niederlage der Arbeiterklasse zu bezeichnen. Im Gegenteil: Angeschlagen war einzig das Image des Oltener Aktionskomitees. Die Kampfkraft des Proletariats war ungebrochen. Das zeigen auch die relativ milden Strafen, die die Gerichte nach dem Streik gegen die Exponenten des Kampfes aussprachen. Es war kein Rachefeldzug einer siegessicheren Bourgeoisie, sondern ein eher schüchterner Versuch der Justiz, das Gesicht zu wahren, ohne neue Unruhen heraufzubeschwören. Die revolutionäre Welle von 1917 bis 1923 hatte gerade erst begonnen.   FH

i [9]Im Parlament gab es keine Gegenstimmen, hingegen enthielten sich zwei Sozialdemokraten, Charles Naine und Paul Graber, aus pazifistischen (und nicht aus revolutionären) Erwägungen der Stimme.

ii [9]Zum imperialistischen Charakter der Neutralitätsverteidigung vgl. Lenins Artikel Der Schutz der Neutralität, LW Bd. 23, S. 271

iii [9]Im dekadenten Kapitalismus können solche Errungenschaften des Proletariats nur von vorübergehender Dauer sein. Die Lohnerhöhungen wurden durch die Inflation wieder rückgängig gemacht. Die Bankangestelltengewerkschaft wurde in den Staatsapparat integriert, und die Banken banden missliebig gewordene Angestellte in der Beförderung zurück, wenn sie sie nicht schliesslich unter einem Vorwand doch entliessen.

iv [9]TA vom 3.8.98

v [9]Aufbau Nr. 10

vi [9]zit. nach Mémoires de Jules Humbert-Droz, Mon évolution du tolstoisme au communisme, S. 283.

vii [9]siehe dazu unsere Broschüre Die Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse

viii [9]u.a. Jakob Herzog

ix [9]u.a. Fritz Platten und Jules Humbert-Droz

Geographisch: 

  • Schweiz [10]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Welle 1917-1923 [11]

Marxismus und die Wahlen: Bekämpfung der bürgerlichen Demokratie

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 Lange vor dem Wahlgang am 27. September feierte die deutsche Bourgeoisie im voraus ihren bedeutendsten Sieg bei den diesjährigen Bundestagswahlen: die erwartete besonders hohe Wahlbeteiligung. Zugleich brachten die bürgerlichen Medien in Sondersendungen und Talk-Shows ihre Sorge um die immer noch bedeutende Minderheit der Nichtwähler zum Ausdruck. Und tatsächlich: Trotz der vom Wahlzirkus in Aussicht gestellten „Abwahl“ Kohls sowie dem seit 1989 ununterbrochen gefeierten „Sieg der Demokratie“ über den „Kommunismus“ (sprich Stalinismus) bleiben dennoch viele Wähler gerade aus der Arbeiterklasse den Wahlurnen fern.

Um auch diese „Wahlunwilligen“ für das scheindemokratische Ritual des Staates zu mobilisieren, werden verschiedene „radikale Alternativen“ aufgestellt, um auch den letzten „Bürger“ wenigstens zur „Protestwahl“ zugunsten einer PDS oder DVU zu bewegen. Denn für den Erhalt des Ausbeutersystems ist es weniger wichtig, wer gewählt wird - Hauptsache es wird gewählt. Die Parlamentswahlen gehören zu den wichtigsten Mitteln, um die zerstörerische Herrschaft einer winzigen Minderheit von Kapitalisten über den Rest der Menschheit zu legitimieren. Indem die Ausgebeuteten und Entrechteten, allen voran die Mitglieder der Arbeiterklasse, sich an den Wahlen beteiligen, verleihen sie dem totalitären kapitalistischen Staat den demokratischen Anstrich, den er braucht.


Trotzkisten und Anarchisten: Fallensteller

Freilich: nicht jeder, der am Wahltag Zuhause bleibt, tut dies aus Skepsis, gar Ablehnung gegenüber diesem Gesellschaftssystem, sondern oft aus Passivität und Depolitisierung. Gefährlich hingegen sind die Strömungen innerhalb der Arbeiterklasse, welche von der Wahlurne aus dem Gefühl heraus fernbleiben, daß die bürgerlichen Parteien „alle unter einer Decke stecken“, und daß die Angriffe der Herrschenden unabhängig vom Wahlausgang erfolgen. Am gefährlichsten für die bürgerliche „Ordnung“ sind die kleinen Minderheiten, politisch suchender Leute innerhalb der Arbeiterklasse, welche aus einer klassenkämpferischen Haltung heraus die Teilnahme an den Wahlen verweigern. Um dieser gefährlichen Einstellung in der Arbeiterklasse - die heute erst von Minderheiten vertreten wird - zu begegnen, verfügt der Kapitalismus über besonders radikale Laufburschen: die extreme Linke, die Trotzkisten und Anarchisten.

Die Trotzkisten übernehmen dabei die Aufgabe, den nach revolutionärer Orientierung suchenden politischen Minderheiten der Arbeiterklasse vorzugaukeln, die „kritische“ Teilnahme an den bürgerlichen Wahlen gehöre unerschütterlich zu den Prinzipien des revolutionären Marxismus. Sie verfälschen dabei die Geschichte, indem sie ihre niederträchtigen bürgerlichen Wahlmanöver als die Fortsetzung der revolutionären Traditionen der Arbeiterbewegung hinstellen. Wer sich gegenüber dieser sogenannten „Taktik“ aber sträubt, wird in die Arme der Anarchisten getrieben. Denn die Vertreter des Anarchismus wie z.B. der FAU beteiligen sich nicht an den Wahlen: aber nicht zugunsten einer proletarischen Politik, sondern weil sie die „Politik“ überhaupt, und somit auch die Klassenpolitik des Proletariats ablehnen.

Es handelt sich hierbei objektiv um eine politische Arbeitsteilung zwischen Trotzkisten und Anarchisten, um die Arbeiter vor die falsche Alternative entweder „kritische“ trotzkistische Wahlbeteiligung oder anarchistisch, entpolitisierende „Enthaltsamkeit“.


Die marxistische Haltung zu den Wahlen

Vor dem 1. Weltkrieg beteiligten sich die Marxisten, im Gegensatz zu den Anarchisten, an den bürgerlichen Wahlen. Sie beteiligten sich aber nicht etwa deshalb daran, weil der Parlamentarismus sowie die Wahlbeteiligung „ewige proletarische Wahrheiten“ wären, (wie der heutige Trotzkismus glauben machen will) sondern weil damals der Kapitalismus noch ein aufsteigendes, historisch fortschrittliches Gesellschaftsystem war, und deshalb die proletarische Revolution noch nicht möglich war. Möglich war damals dagegen der Kampf um dauerhafte Reformen innerhalb eines expandierenden Systems, sowie die Vorbereitung des Proletariats auf die künftige Revolution. Die marxistische Wahlbeteiligung war kein Selbstzweck, sondern diente diesem Ziele.

„Jeder Kommunist kennt heute die Gründe, weshalb diese Kampfmethoden während jener Zeit notwendig und nützlich waren“, schrieb Anton Pannekoek 1920 in Weltrevolution und kommunistische Taktik. „Wenn die Arbeiterklasse mit dem Kapitalismus emporkommt, ist sie noch nicht imstande und kann nicht einmal den Gedanken fassen, die Organe zu schaffen, durch die sie die Gesellschaft beherrschen und regeln könnte. Sie muss sich zuerst geistig zurechtfinden und den Kapitalismus und seine Klassenherrschaft begreifen lernen. Ihre Vorhut, die sozialdemokratische Partei, muss durch ihre Propaganda das Wesen der Regierung enthüllen und durch das Aufstellen der Klassenforderungen den Massen ihre Ziele zeigen. Dazu war es notwendig, dass ihre Wortführer in die Parlamente, die Zentren der Bourgeoisherrschaft, eindrangen, dort ihre Stimme erhoben und sich an den politischen Parteikämpfen beteiligten.“ (1)

Die stalinistischen und trotzkistischen Verfälscher der Geschichte tun so, als ob diese Bedingungen immer noch gelten würden. In der Einleitung zu den Leitsätzen des 2. Weltkongresses der Kommunistischen Internationalen, (übrigens von Trotzki selbst 1920 verfaßt) wurde allerdings das exakte Gegenteil behauptet: „Gegenwärtig kann das Parlament für die Kommunisten auf keinen Fall ein Schauplatz des Kampfes um Reformen, um Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse sein, wie das in gewissen Augenblicken der vergangenen Periode der Fall war. Der Schwerpunkt des politischen Lebens hat sich vollkommen aus dem Parlament verschoben, und zwar endgültig“. (...) Die unmittelbare historische Aufgabe der Arbeiterklasse besteht deshalb darin, diesen Apparat den Händen der Bourgeoisie zu entreißen, sie zu zerbrechen, zu vernichten, und an ihre Stelle neue, proletarische Machtorgane zu setzen.“ (2)

Während der Trotzkismus heute zur Wahl Schröders oder Gysis, ja zur Verteidigung der bürgerlichen Demokratie „gegen Rechts“ aufruft, rief die Kommunistische Internationale 1920 zur Vernichtung dieser Demokratie und ihres Parlaments auf, da sie nichts als Feigenblätter der Diktatur des Kapitals sind. Das ist der ganze Unterschied zwischen bürgerlicher und proletarischer Politik.

Die Anarchisten hingegen hielten damals, halten heute die Kriegserklärung der Kommunistischen Internationalen für eine Bankrotterklärung gegenüber der Parlaments- und Wahlbeteiligung der Marxisten vor dem 1. Weltkrieg. Der Anarchismus mit seiner moralischen, unhistorischen Herangehensweise ist unfähig zu begreifen, dass eine Politik, welche in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus richtig war, in der Dekadenzphase dieses Systems nach 1914 ihre Gültigkeit verliert. Wie die Leitsätze von 1920 feststellen: „Die Stellung der III. Internationale zum Parlamentarismus wird nicht durch eine neue Doktrin, sondern durch die Änderung der Rolle des Parlamentarismus selbst bestimmt. In der vergangenen Epoche hat das Parlament als Instrument des sich entwickelnden Kapitalismus in gewissem Sinne eine historisch fortschrittliche Arbeit geleistet. Aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen, unter dem zügellosen Imperialismus, ist das Parlament zu einem Werkzeug der Lüge, des Betruges, der Gewalttat und des entnervenden Geschwätzes geworden.“ (3)

Während Trotzkisten und Anarchisten mit a-historischen bürgerlichen Phrasen um sich werfen, arbeitete die Kommunistische Internationale also noch 1920 mit der revolutionären Methode des historischen Materialismus, mit der marxistischen Theorie. War das Parlament in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus ein wirkliches Machtinstrument und politisches Forum der herrschenden Klasse, brach mit dem 1. Weltkrieg das Zeitalter des Staatskapitalismus und des bürgerlichen Totalitarismus an. Während die wirklichen politischen Entscheidungen damit nicht mehr vom gesetzgebenden Parlament, sondern hinter den Kulissen von den ausführenden („exekutiven“) Staatsorganen getroffen werden, wurde dennoch die Hülle der bürgerlichen Demokratie mit ihrem parlamentarischen Herzstück als Attrappe, als Täuschung gegen die Arbeiterklasse stehengelassen. „Die Bourgeoisie stützt sich in erster Linie auf den Exekutivapparat des Staates, der ihr auch dazu dient, sich die Mehrheiten in den gewählten Institutionen zu sichern.“ (Thesen der kommunistischen wahlboykottierenden Fraktion der sozialistischen Partei Italiens - Mai 1920).


Bürgerliche Demokratie: Waffe des Kapitals

Als die Kommunistische Internationale im März 1919 gegründet wurde, auf dem Höhepunkt der revolutionären Nachkriegswelle, bildeten die Kommunisten in den meisten Ländern eine kleine Minderheit im Vergleich zu den Massenparteien und Gewerkschaften der im Weltkrieg auf die Seite des Imperialismus übergewechselten Sozialdemokratie. Anstatt deswegen zu zögern, den vollständigen Bruch mit der Sozialdemokratie und ihren politischen Positionen zu vollziehen, besannen sich die Kommunisten bei der Gründung der Internationale auf die Erfahrung der Bolschewiki während der russischen Revolution, welche Lenin bereits im Frühjahr 1917 in seinen „Aprilthesen“ so formulierte: „Es kommt nicht auf die Zahl an, sondern auf den richtigen Ausdruck der Ideen und der Politik des wirklich revolutionären Proletariats.“ Wie Lenin während des Weltkriegs stets wiederholte „Besser zu zweit bleiben, wie Liebknecht - und das heißt beim revolutionären Proletariat bleiben.“

Somit bildeten die von Lenin verfaßten Thesen über bürgerliche Demokratie und Diktatur des Proletariats - die eine glänzende Verwerfung der gerade von der Sozialdemokratie verbreiteten Illusionen über die bürgerliche Demokratie und den Parlamentarismus waren- das Hauptwerk der neugegründeten Internationalen. Und in den zwei wichtigsten Zentren der damaligen Revolution in Westeuropa, in Deutschland und Italien, eroberte rasch die Position, die die Wahlbeteiligung ablehnte, die Mehrheit unter den Kommunisten. Der Gründungsparteitag der KPD Ende 1918 lehnte mit großer Mehrheit die Teilnahme an den Parlamentswahlen ab, welche von der konterrevolutionären Sozialdemokratie einberufen wurden, um die revolutionären Arbeiterräte in Deutschland zu zerstören. Und tatsächlich: enthüllten gerade die revolutionären Kämpfe des Jahres 1919 in Europa, daß der bürgerliche Parlamentarismus seinen fortschrittlichen Charakter verloren hatte und endgültig konterrevolutionär geworden war. Neben der raschen Beendigung des Weltkriegs war es die Waffe der bürgerlichen Demokratie im allgemeinen, und der Parlamentswahlen im besonderen, welche entscheidend zur Niederlage der Revolution in Deutschland, Italien und im ehemalig österreichisch-ungarischen Reich führten.


Die Frage des Parlamentarismus auf dem 2. Kongress der Komintern 1920

Als diese Frage auf dem 2. Weltkongress der Komintern im Sommer 1920 debattiert wurde, und die Kongressmehrheit sich unter dem Eindruck der Niederlage der Revolution in Mitteleuropa und der noch ungebrochenen Stärke der Sozialdemokratie in Westeuropa für eine Teilnahme an den Parlamentswahlen aus „taktischen“ Erwägungen aussprach, bildete sich erstmals um diese Frage deutlich eine internationale Opposition der Linkskommunisten heraus. Zwar hatte das Konzept Lenins und Bukharins von einem „revolutionären Parlamentarismus“, der „von innen“ zur revolutionären Zerstörung der bürgerlichen Demokratie beitragen sollte, nichts gemein mit den rein bürgerlichen „Wahlkämpfen“ der heutigen Trotzkisten. Doch war diese Politik schon damals nicht nur eine Illusion (die bürgerliche Demokratie kann nur durch die proletarischen Massenkämpfe zerstört werden) sondern eine opportunistische Gefahr für die Internationale. Die kommunistische, die Wahlen boykottierende Fraktion der Sozialistischen Partei Italiens vertrat auf diesem Kongress die Position der Linkskommunisten. Der Bericht Bukharins zu dieser Frage wurde durch einen Gegenbericht Bordigas, dem späteren Begründer der Kommunistischen Partei in Italien, beantwortet. Die von Bordiga eingebrachten Thesen, die die Lehren aus den ersten Niederlagen der Revolution in Westeuropa zogen, erkannten, dass weder die Zerstörung der demokratischen Illusionen der Massen noch der vollständige Bruch mit den Sozialdemokratien - den zwei wichtigsten Vorbedingungen eines revolutionären Siegs - ohne Bekämpfung der Wahlen durch die Kommunisten möglich waren. Es ist unmöglich, erklärten die Thesen, die demokratischen Lügen der Bourgeoisie zu zerstören

‘ohne daß mit den traditionellen Methoden des Aufrufs an die Arbeiter zur Wahlbeteiligung Seite an Seite mit Mitgliedern der Bourgeoisie gebrochen wird, und ohne daß man aufhört, daß Delegierte des Proletariats auf dem gleichen parlamentarischen Boden handeln wie die Delegierten ihrer Ausbeuter.’ (7. These)

Die Thesen erkannten ebenfalls, dass die Bekämpfung der Wahlen nicht nur gegenüber den Massen, sondern für die revolutionäre Partei selbst lebenswichtig geworden war.

‘Wenn man den Parteien, die durch einen Mehrheitsbeschluß der III. Internationale beigetreten sind, die Fortsetzung der Wahlbeteiligung zusteht, wird der notwendige Absonderungsprozeß und die Trennung von sozialdemokratischen Elementen scheitern, ohne den die III. Internationale ihre historische Rolle nicht erfüllen könnte, und sie wäre keine disziplinierte und homogene Armee mehr der Weltrevolution.’ (11. These)


Der angebliche Anarchismus der Kommunistischen Linken

Bereits die Verteidigung der Klassenpartei durch die oben erwähnte These widerlegt die heute noch weiterverbreitete Lüge, derzufolge die Linkskommunisten in der Parlamentsfrage auf die Argumentationsweise der Anarchisten zurückgefallen seien (wie zuletzt von der trotzkistischen „Spartakist-Tendenz“ in Bezug auf die KAPD behauptet wird). Vielmehr riet Bordiga in seinem Schlußwort den anwesenden Anarchisten, nicht für die antiparlamentarischen Thesen zu stimmen, wenn sie nicht deren marxistische Begründung teilten.

In Wahrheit intervenierte aber nicht nur die italienische kommunistische Linke, sondern auch die besten Vertreter der deutsch-holländischen Linkskommunisten - obwohl auf dem 2. Kongress nicht anwesend - in dieser Debatte, um die Klassenpartei vor dem tödlichen Opportunismus zu verteidigen. So Pannekoek in seinem Text Weltrevolution und kommunistische Taktik, den er als Diskussionsbeitrag zum 2. Weltkongress schrieb.

„Aus der Vorhut, die die ganze Klasse zum revolutionären Handeln hinter sich sammelt, wird sie zu einer parlamentarischen Partei, mit derselben legalen Position wie die anderen (..) eine Neuauflage der alten Sozialdemokratie unter neuen radikalen Losungen. Während im inneren Wesen zwischen der revolutionären Arbeiterklasse und der kommunistischen Partei kein Unterschied besteht, kein Gegensatz denkbar ist, da die Partei gleichsam das zusammengefasste klarste Klassenbewußtsein des Proletariats und seine wachsende Einheit verkörpert, zerbricht der Parlamentarismus diese Einheit“. Für die deutsch-holländische Linke ist der Parlamentarismus eine Gefahr für den proletarischen Internationalismus selbst, und damit für die Internationale insgesamt geworden. „In der parlamentarischen Aktion ist das Proletariat national geteilt und ist ein wirklich internationales Auftreten nicht möglich; in den Massenaktionen gegen das internationale Kapital fallen die nationalen Trennungen fort und ist jede Bewegung, auf welche Länder sie sich ausbreiten oder beschränken mag, Teil eines gemeinsamen Weltkampfes.“ (4 Und während der Anarchismus die Ablehnung der Politik, und somit Gleichgültigkeit gegenüber den Wahlen predigte, fordert der Linkskommunismus dazu auf, die bürgerlichen Wahlen aktiv politisch zu bekämpfen, indem man zu den wichtigsten Wahlveranstaltungen der linkskapitalistischen Parteien hingeht, um dieses bürgerliche Spektakel zu entlarven.


Nicht taktisches Manövrieren, sondern selbständiger Klassenkampf !

Im niedergehenden Kapitalismus kann das Proletariat nur siegen, indem die Massen ihren Kampf selbst in der Hand nehmen mittels direkt gewählter und kontrollierter, im Kampf selbst geschaffener Organe: der Streikkomitees usw., später der Arbeiterräte in der Revolution. Die bürgerliche Demokratie hingegen ist darauf ausgerichtet, die Arbeiterklasse passiv und zersplittert zu halten - symbolisiert durch den einsamen „Akt“ der Stimmabgabe in der Wahlkabine. „Das Problem der Taktik ist, wie in der proletarischen Masse die traditionelle bürgerliche Denkweise auszurotten ist, die ihre Kraft lähmt (..) Der Parlamentarismus hat die unvermeidliche Tendenz, die eigene, zur Revolution notwendige Aktivität der Massen zu lähmen.“ (Pannekoek, ibid)

Die Linkskommunisten demolierten die „tak-tische“ Befürwortung eines „revolutionären Parlamentarismus“ durch Bukharin und Lenin, welche vor allem auf die Arbeit Karl Liebknechts im deutschen Reichstag verwiesen: „Das Beispiel des Genossen Liebknecht beweist eben die Richtigkeit unserer Taktik. Vor der Revolution (...) konnte er durch seine Proteste im Parlament eine gewaltige Kraft ausüben; in der Revolution aber nicht mehr. Sobald also die Arbeiter ihr Geschick in die eigene Hand genommen haben, müssen wir den Parlamentarismus fahren lassen.“ (Hermann Gorter: Offener Brief an den Genossen Lenin, 1920 - S.48)

„In Deutschland wurde neulich der Grund angegeben, die Kommunisten müssen ins Parlament gehen, um die Arbeiter von der Nutzlosigkeit des Parlaments zu überzeugen. Aber man geht doch nicht einen falschen Weg, um anderen zu zeigen, dass es falsch ist, sondern man geht lieber sofort den richtigen Weg.“ (Pannekoek, Weltrevolution S.137)

Bordiga schloß seine Rede auf den 2. Kominternkongress wie folgt: „Wenn die Kommunistische Internationale die Schaffung eines kommunistischen Parlamentarismus auf sich nehmen will, unterwerfen wir uns ihrer Bestimmung. Wir glauben nicht, dass dieser Plan gelingen wird; aber wir erklären, dass wir nichts unternehmen werden, um dieses Werk umzustoßen (...) so wünsche ich dem Genossen Bucharin, dass er uns ein weniger trauriges Bild des kommunistischen Parlamentarismus vorlegen kann, als das, mit welchem er diesmal seine Einleitung beginnen musste.’(Protokoll des II. Weltkongresses, S. 429f).

Bordiga sollte recht behalten. Der „revolutionäre Parlamentarismus“ der Kominterns beschleunigte eine opportunistische Anpassung der Internationalen an die sozialdemokratischen Illusionen der rückständigeren Teile der Arbeiterklasse: eine Anpassung, deren erste Schritte bereits auf dem 2. Weltkongress eingeleitet wurden. Dieser Opportunismus angesichts des Rückflusses der Weltrevolution führte bald, auf dem 3. und 4. Kongress, zu einer Wieder-Infragestellung des Bruchs der Kommunisten mit der Sozialdemokratie (Politik der „Einheitsfront“ und der „Arbeiterregierung“ mit den Sozialdemokraten; ja sogar zu einem organisatorischen Zusammenschluss mit Teilen der Sozialdemokratie). Diese Entwicklung schließlich ebnete auf dem Hintergrund der Niederlage der Weltrevolution den Sieg der stalinistischen Konterrevolution. War Anfang der 20er Jahre die Auseinandersetzung der Komintern über die Parlamentsfrage eine Debatte innerhalb des revolutionären Lagers, so verläuft heute zwischen dem marxistischen Antiparlamentarismus und den Manövern der Trotzkisten und Anarchisten ein Klassengraben. Kr.

(1) Veröffentlicht in Pannekoek/Gorter: Organisation und Taktik der proletarischen Revolution S. 136.

(2) in Dokumente des I. und II. Kongresses der Kommunistische Internationale S. 188.

Nationale Situationen: 

  • Wahlen in Deutschland [12]

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Der parlamentarische Zirkus [13]

Weltrevolution Nr. 91

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