1) Die weit verbreiteten Lügen, die, als die stalinistischen Regime Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre zusammenbrachen, vom ‘endgültigen Scheitern des Marxismus’ sprachen, sind nicht neu. Genau vor einem Jahrhundert mußte der linke Flügel der II. Internationale mit Rosa Luxemburg an seiner Spitze gegen die revisionistischen Auffassungen ankämpfen, die behaupteten, daß Marx sich vollkommen geirrt hatte, als er angekündigte, der Kapitalismus sei zum Scheitern verurteilt. In den nachfolgenden Jahrzehnten boten der 1. Weltkrieg und dann die große Depression der 30er Jahre nach dem kurzen Zeitraum des Wiederaufbaus der Bourgeoisie wenig Raum, um diese Botschaft zu verbreiten. Auf der anderen Seite ermöglichten die beiden Jahrzehnte ‘Wohlstand’ nach dem 2. Weltkrieg ein neues Aufblühen von ‘Theorien’, die ‘ein für allemal’ den Marxismus begruben und seine Vorhersage, daß der Kapitalismus zusammenbrechen werde. Diese Theorien waren auch in verschiedenen ‘radikalen’ Kreisen weit verbreitet. Mit dem Aufbrechen der offenen Krise Ende der 60er Jahre verstummten diese Lieder der Selbstbeweihräucherung dann, aber die langsame Entwicklung der Krise, die von Phasen des ‘Aufschwungs’ unterbrochen wurde, wie der des britischen und amerikanischen Kapitalismus zum gegenwärtigen Zeitpunkt, hat es der bürgerlichen Propaganda ermöglicht, gegenüber der großen Mehrheit von Arbeitern die Wirklichkeit und das Ausmaß der Sackgasse zu verbergen, in die die kapitalistische Produktionsform heute geraten ist. Deshalb ist es so wichtig für Revolutionäre, für Marxisten, ständig all die bürgerlichen Lügen über die Fähigkeit des Kapitalismus zu entblößen, derzufolge dieser ‘die Krise überwinden’ könne; insbesondere müssen all die ‘Argumente’ entlarvt werden, die diese ‘Fähigkeit’ des Kapitalismus angeblich unter Beweis stellen.
2) In Anbetracht der Unleugbarkeit der Krise fingen die ‘Experten’ Mitte der 70er Jahre an, alle möglichen Erklärungen aufzutischen, die die Bourgeoisie dank der rosigen Aussichten ihres Systems beruhigen sollten. Unfähig, sich ihren endgültigen Untergang vorzustellen, mußte die herrschende Klasse nicht nur ihre Ausgebeuteten mystifizieren, sondern sie brauchte diese Verschleierungen auch für sich selber, um die wachsenden Schwierigkeiten der Weltwirtschaft zu erklären, indem man auf einzelne Ursachen zeigte, und somit der Erklärung der wirklichen Ursachen aus dem Weg ging. Eine Erklärung nach der anderen wurde vorgeschoben:
- die ‘Ölkrise’, die dem Yom Kippur Krieg von 1973 folgte (diese Erklärung ‘vergißt’, daß die offene Krise 6 Jahre zuvor angefangen hatte, und daß die Ölpreise nur eine Verschlimmerung beschleunigten, die schon in den Rezessionen von 1967 und 71 aufgetreten war);
- die Exzesse der neo-keynesianischen Politik, die seit Kriegsende praktiziert worden war und zur galoppierenden Inflation geführt hatte. Die Schlußfolgerung lautete: wir brauchen ‘weniger Staat’;
- die Exzesse der ‘Reagonomics’ in den 80er Jahren, die eine bis dahin noch nie dagewesene Erhöhung der Arbeitslosigkeit in den Industriezentren mit sich brachte.
Im Grunde mußte sich die Bourgeoisie an der Idee festklammern, daß es einen Ausweg gab, und daß mit einem besseren Management die Weltwirtschaft wieder zu den Blütephasen des Nachkriegsbooms zurückkehren könnte. Es ging einfach darum, das verloren gegangene Geheimnis des ‘Wohlstands’ wieder zu finden.
3) Lange Zeit sollten die wirtschaftlichen Leistungen Deutschlands und Japans zum Zeitpunkt, als andere Länder schon im Dreck steckten, diese Fähigkeit des Kapitalismus, die Krise zu überwinden, verdeutlichen: ‘Wenn jedes Land so tugendhaft wäre wie die beiden Verlierer des 2. Weltkriegs, würde wieder alles in Ordnung kommen’ - so lautete das Glaubensbekenntnis vieler kapitalistischer Prediger. Heute gehören auch Japan und Deutschland zu den ‘Kranken’. Nachdem es sehr schwierig ist, zu den früheren alten fabelhaften Wachstumsraten zurückzukehren, ist Japan vor kurzem neben Brasilien und Mexiko in die Kategorie D des Indexes der wegen Anhäufung von Schulden von Staat, Firmen und Privathaushalten am meisten gefährdeten Staaten eingestuft worden (seine Gesamtverschuldung übersteigt die Produktion von zweieinhalb Jahren Wirtschaftstätigkeit). Was Deutschland betrifft, verzeichnet es heute die höchste Arbeitslosenrate in der EU und ist gegenwärtig nicht dazu in der Lage, die Maastrichter Kriterien zur Einführung der Einheitswährung zu erfüllen. Schließlich ist es offensichtlich geworden, daß die angebliche ‘Tugend’ dieser Länder in der Vergangenheit einfach die kopflose Flucht in die Verschuldung verdeckt, die den Kapitalismus schon seit Jahrzehnten geprägt hat. Tatsächlich sind die gegenwärtigen Schwierigkeiten dieser beiden Länder, die sich in den 70er und 80er Jahren in ‘bester Verfassung’ befanden, eine Verdeutlichung, daß es dem Kapitalismus unmöglich ist, endlos lange seine eigenen Gesetze auszuhebeln. Darauf hatte der Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg beruht; und dies hatte ihm bislang auch ermöglicht, einen ähnlichen Zusammenbruch wie den der 30er Jahre zu vermeiden: nämlich der systematische Einsatz des Kredits.
4) Zur Zeit, als sie die revisionistischen ‘Theorien’ entlarvte, war Rosa Luxemburg schon dazu gezwungen, deren Auffassung zu zerstören, derzufolge der Kredit es dem Kapitalismus ermöglichen würde, seine Krisen zu überwinden. Während der Kredit zweifelsohne ein Ansporn für die Entwicklung dieses Systems war, sowohl aus dem Blickwinkel der Zirkulation als auch der Konzentration des Kapitals, vermochte der Kredit nie einen wirklichen Markt als Boden der kapitalistischen Expansion zu ersetzen. Geld für die Zukunft zu borgen, erlaubt die Produktion und den Kauf von Gütern zu beschleunigen, aber früher oder später muß dieses Geld zurückbezahlt werden. Und diese Rückzahlung ist nur möglich, wenn ein Austausch auf dem Markt stattfindet - was aber nicht automatisch durch die Produktion geschieht, wie Marx systematisch gegen die bürgerlichen Ökonomen bewiesen hat. Schlußendlich vergrößert der Kredit - weit davon entfernt, die Krise des Kapitalismus zu überwinden, nur deren Ausmaß und ihre Schwere, wie Rosa Luxemburg in ihrer marxistischen Analyse herausstellte. Heute bleiben die Thesen der marxistischen Linken gegen die Revisionisten aus der Zeit der Jahrhundertwende grundlegend gültig. Der Kredit kann heute genausowenig einen zahlungsfähigen Markt schaffen. Aber in Anbetracht der endgültigen Sättigung der Märkte (wogegen im letzten Jahrhundert noch die Möglichkeit der Eroberung neuer Märkte bestand), ist der Kredit zu einer unabdingbaren Bedingung für das Aufsaugen von Gütern geworden und ersetzt somit den wirklichen Markt.
5) Diese Realität trat schon nach dem 2. Weltkrieg deutlich zum Vorschein, als der Marshall-Plan es den USA nicht nur ermöglichte, zur Bildung des amerikanischen Blocks beizutragen, sondern auch einen Absatzmarkt für ihre Industrie zu schaffen. Der Wiederaufbau der europäischen und japanischen Wirtschaft hatte diese in den 60er Jahren zu Rivalen der US-Wirtschaft werden lassen, womit die Rückkehr der offenen Krise des Weltkapitalismus eingeläutet wurde. Seitdem hat es die Weltwirtschaft vor allem mittels des Kredits, der Politik wachsender Verschuldung, geschafft, eine brutale Depression wie die der 30er Jahre zu vermeiden. So wurde die Rezession von 1974 dank der gigantischen Schulden, die die 3. Welt angehäuft hatte, bis Anfang der 80er Jahre herausgeschoben, womit die Schuldenkrise Anfang der 80er Jahre eingeleitet wurde, die mit dem Ausbruch einer neuen Rezession zusammenfiel, die sich als noch verheerender erweisen sollte als die von 1974. Diese neue weltweite Rezession wurde wiederum nur überwunden durch das schwindelerregende Handelsdefizit der USA, deren wachsenden Auslandsschulden mit denen der 3. Welt wetteiferten. Parallel dazu explodierten die Haushaltsdefizite der Industriezentren, die zwar eine gewisse Belebung der Nachfrage bewirkten, aber die Staaten in einen wirklichen Bankrott trieben (diese Staatsschulden liegen je nach Land zwischen 50 und 130% der Jahresproduktion). Darüber hinaus ist eine offene Rezession, die als negative Wachstumsrate der Produktion eines Landes definiert wird, keinesfalls der einzige Indikator des Ausmaßes der Krise. In nahezu allen Ländern ist das jährliche staatliche Haushaltsdefizit (das der Kommunen nicht mit einbezogen) höher als der Anstieg der Produktion. Das bedeutet, wenn der Haushalt ausgeglichen wäre (was der einzige Weg zur Stabilisierung der akkumulierten Staatsschulden wäre), würden all diese Länder in eine offene Rezession eintreten. Der größte Teil dieser Verschuldung wird natürlich nicht zurückbezahlt. Mit dieser Verschuldung verbunden sind periodische, immer stärker werdende Finanzkrachs, die für die Weltwirtschaft wahre Beben bedeuten (1980, 1989) und die mehr als je zuvor auf der Tagesordnung stehen.
6) Wenn wir diese Tatsachen in Erinnerung rufen, kann man die Realität hinter diesen Reden über die gegenwärtige ‘gesunde’ Wirtschaft in den USA und Großbritannien durchschauen, die als Gegenpol zu den schwachen Leistungen ihrer Konkurrenten dargestellt werden. Zunächst müssen wir die relative Beschränktheit dieser ‘Erfolge’ betonen. So ist der bedeutende Rückgang der Arbeitslosenrate in Großbritannien in einem großen Maße - selbst gemäß dem Eingeständnis der Bank von England - auf die Tatsache zurückzuführen, daß die Arbeitslosen aus der Statistik gestrichen wurden, die die Suche nach einem Job aufgegeben haben (die Kriterien für die Festlegung der Arbeitslosenzahl sind seit 1979 33 mal geändert worden). Diese Erfolge sind zu einem großen Teil auf die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder zurückzuführen, was wiederum sehr stark von der Schwäche ihrer Währungen abhängt. Das Pfund Sterling aus der europäischen Währungsschlange zu nehmen, hat sich bislang als guter Schachzug erwiesen. Mit anderen Worten: Dieser Erfolg fußt auf der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der anderen Länder. Diese Tatsache wurde zum Teil durch die weltweite Synchronisierung der Phasen von Rezession und ‘Aufschwung’ versteckt: Die relative Verbesserung findet nicht statt dank der Verbesserung der Lage der ‘Partner’, sondern grundsätzlich durch die Verschlechterung deren Lage, denn ‘Partner’ sind im wesentlichen Konkurrenten. Mit dem Verschwinden des amerikanischen Blocks nach dem Zusammenbruch seines russischen Rivalen Ende der 80er Jahre, ist die vorherige Abstimmung der Wirtschaftspolitik (z.B. durch die G7 Gipfel, was durchaus ein nicht zu vernachlässigender Faktor bei der Verlangsamung der Krise war) ersetzt worden durch eine zunehmend verzweifelte Tendenz des ‘Jeder für sich’. In solch einer Lage hat die führende Weltmacht das Privileg, ihre Diktate im Handelsbereich zugunsten ihrer eigenen Volkswirtschaft den anderen aufzuzwingen. Dies liefert zu einem beträchtlichen Ausmaß die Gründe für den gegenwärtigen ‘Erfolg’ des amerikanischen Kapitals.
Aber die gegenwärtigen Leistungen der britischen und amerikanischen Wirtschaft zeigen nicht nur keine mögliche Verbesserung der Weltwirtschaft insgesamt auf, sondern diese Entwicklung selber wird nicht lange anhalten. Als Teilnehmer am Weltmarkt, der seine völlige Sättigung nicht überwinden kann, wird die Wirtschaft dieser Länder unvermeidlich auf diese Sättigung stoßen. Vor allem ist es keinem dieser Länder gelungen, das Problem der allgemeinen Verschuldung zu überwinden (auch wenn die Haushaltsdefizite der USA in der letzten Zeit leicht zurückgegangen sind). Der beste Beweis dafür liegt in der Furcht der wichtigsten Wirtschaftsbehörden (wie des Chefs der US-Bundesbank), daß das gegenwärtige ‘Wachstum’ zu einer ‘Überhitzung’ der Wirtschaft und einer Rückkehr der Inflation führen wird. Tatsächlich verbirgt sich hinter dieser Furcht vor einer Überhitzung die Erkenntnis, daß das heutige ‘Wachstum’ sich auf ungeheure Schulden stützt, die unvermeidbar zu einem katastrophalen Ausschlag des Pendels führen werden. Die äußerst zerbrechliche Grundlage des gegenwärtigen Erfolgs der amerikanischen Wirtschaft wurde wieder durch die Panik an der Wall Street und anderen Börsenplätzen der Welt deutlich, als die Fed Ende März 97 eine geringfügige Erhöhung der Leitzinsen ankündigte.
7) Unter den Lügen, die von der herrschenden Klasse landauf landab verbreitet werden, um den Glauben an die Überlebensfähigkeit des Systems zu stärken, nehmen die südostasiatischen Länder, die ‘Drachen’ (Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur) und ‘Tiger’ (Thailand, Indonesien und Malaysia) einen besonderen Platz ein, denn deren Wachstumsraten (manchmal gar zweistellig) erregen den Neid der westlichen Bourgeoisie. Deren Beispiel sollen uns vor Augen halten, daß der Kapitalismus sowohl die rückständigen Länder entwickeln und den Rückfall in die Stagnation vermeiden kann. Aber das ‘Wirtschaftswunder’ der Mehrzahl dieser Länder (insbesondere Südkoreas und Taiwans) ist keineswegs zufällig. Es ist die Konsequenz einer dem Marshall-Plan ähnlichen Maßnahme, die von den USA während des Kalten Krieges mit dem Zweck entworfen wurde, das Vordrängen des russischen Blockes in dieser Region aufzuhalten (massive Kapitalspritzen gar bis zur Höhe von 15% des BSP, direktes Eingreifen in die Volkswirtschaft der Länder, insbesondere indem man sich auf den Militärapparat stützte, um die fast gar nicht vorhandene nationale Bourgeoisie zu ersetzen und den Widerstand des Finanzsektors zu überwinden usw.). Als solche können diese Beispiele keineswegs auf die ganze 3. Welt übertragen werden, denn der Großteil der 3. Welt rutscht weiter ab in eine unvorstellbare Katastrophe. Darüber hinaus haben die Schulden der meisten dieser Staaten - sowohl die Auslandsschulden als auch die Staatsverschuldung - so gewaltige Ausmaße erreicht, daß sie den gleichen Gefahren ausgesetzt sind wie alle anderen Staaten. Während die sehr niedrigen Arbeitskosten in diesen Ländern sehr attraktiv für viele westliche Unternehmen sind, liefert die Tatsache, daß sie jetzt auch zu Wirtschaftsrivalen der fortgeschrittenen Länder werden, sie auch dem Risiko aus, daß die Letztgenannten Handelsschranken gegen deren Exporte errichten. Obgleich sie bislang eine Ausnahme darstellten, wie ihr großer japanischer Nachbar auch, können diese Länder nicht endlos lange den Widersprüchen der Weltwirtschaft entfliehen, welche die anderen ‘Erfolgsgeschichten’ zu einem Schreckgespenst haben werden lassen wie im Falle Mexikos. Aus all diesen Gründen ergreifen die internationalen Experten und die Finanzinstitutionen - während sie gleichzeitig Lobesreden auf sie halten - jetzt schon Maßnahmen, um die Finanzrisiken, die diese Länder darstellen, einzuschränken. Und die Maßnahmen mit dem Ziel, die Arbeitskräfte zu mehr ‘Flexibilität’ zu zwingen, wie der Hintergrund der neulich in Korea stattgefundenen Streiks zeigt, beweisen, daß sich die nationale Bourgeoisie selber am deutlichsten darüber bewußt ist, daß das beste Stück Kuchen schon gegessen wurde. Wie die Zeitung ‘The Guardian’ am 16.10.96 schrieb: ‘Die Frage ist, welcher Tiger am ersten zusammenbrechen wird’.
8) Der Fall Chinas, das von einigen als die kommende Weltmacht des nächsten Jahrhunderts gepriesen wird, ist auch keine Ausnahme von der Regel. Die Bourgeoisie dieses Landes hat bislang einen erfolgreichen Übergang hin zu den klassischen Formen des Kapitalismus vollzogen, im Gegensatz zu Osteuropa, das, von einigen Ausnahmen abgesehen, total im Dreck steckt, womit dem ganzen Gerede über die ‘gewaltigen Aussichten’ dieser Länder nach dem Zusammenbruch des Stalinismus der Boden entzogen wird. China bleibt jedoch nach wie vor von einer gewaltigen Unterentwicklung geprägt, wobei der Großteil der Wirtschaft wie in allen stalinistischen Regimen unter dem Gewicht der Bürokratie und der Rüstungslasten erstickt. Die Behörden selber haben zugegeben, daß der staatliche Bereich überall defizitär arbeitet und daß unzähligen Arbeitern die Löhne noch nicht ausgezahlt wurden. Und auch wenn der private Bereich dynamischer ist, kann damit das Gewicht des Staatssektors nicht überwunden werden, und er bleibt ohnehin besonders abhängig von den Schwankungen des Weltmarktes. Schließlich kann die ‘eindrucksvolle Dynamik’ der chinesischen Wirtschaft die Tatsache nicht verdecken, daß selbst bei Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Wachstumsraten gegen Ende des Jahrhunderts ca. 250 Millionen Arbeitslose vorhanden sein werden.
9) Egal aus welchem Blickwinkel man schaut, solange man den Lobliedern der Anhänger der kapitalistischen Produktionsform widersteht und sich auf die Lehren des Marxismus verläßt, kann die Perspektive der Weltwirtschaft nur die einer wachsenden Katastrophe sein. Der sogenannte ‘Erfolg’ bestimmter Länder zum jetzigen Zeitpunkt (der angelsächsischen und südostasiatischen Länder) stellt keineswegs die Zukunftsperspektive des Kapitalismus insgesamt dar. Es handelt sich nur um eine optische Illusion, die die Katastrophe nicht mehr lange verbergen kann. Ebenso ist das ganze Gerede von ‘Globalisierung’, die angeblich einen Zeitraum des freien, expandierenden Handels öffnet, nichts anderes als ein Schutzschild, um die in diesem Maße nicht dagewesene Zuspitzung des Handelskrieges zu übertünchen. Auf diesem Hintergrund stellen Handelsblöcke wie die Europäische Union genauso eine Festung gegen die Konkurrenz anderer Länder dar. So wird die Weltwirtschaft, die gefährlich und unsicher auf einem Schuldenberg gratwandert, der nie zurückbezahlt werden wird, mehr und mehr den Erschütterungen des ‘Jeder für sich’ ausgesetzt sein, das ein ständiges Merkmal des Kapitalismus war, aber in der Phase des Zerfalls eine neue Stufe erreicht hat. Revolutionäre Marxisten können die genaue Form oder den Rhythmus des wachsenden Zusammenbruches der kapitalistischen Produktionsform nicht vorhersagen. Aber es gehört zu ihrer Aufgabe, zu verkünden und aufzuzeigen, daß das System in eine ausweglose Sackgasse geraten ist, und all die Lügen und Mythen des ‘Lichtes am Ende des Tunnels’ zu entblößen.
10) Mehr noch als in der Wirtschaft hat das dem Zerfall eigene Chaos Auswirkungen auf die politischen Beziehungen zwischen den Staaten. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des Ostblocks, der zur Auflösung der Allianzen führte, die aus dem 2. Weltkrieg hervorgegangen waren, schrieb die IKS:
- daß diese Lage die Bildung neuer Blöcke auf die Tagesordnung setzte, auch wenn dies noch nicht sofort möglich würde, wobei einer der Blöcke von den USA, der andere von Deutschland angeführt würde;
- daß die neue Lage sofort zu einer Reihe von offenen Zusammenstößen führen würde, die zuvor durch das Abkommen von Jalta in einem für die beiden Gendarmen der Welt ‘annehmbaren’ Rahmen gehalten werden konnten.
Die Tendenz zur Führung eines neuen Blocks um Deutschland hat nach der Wiedervereinigung dieses Landes anfänglich bedeutsame Schritte zurücklegen können. Aber dann hat die Tendenz des ‘Jeder für sich’ ziemlich schnell Überhand genommen im Verhältnis zur Tendenz der Bildung von festen Bündnissen, die als Grundlage zukünftiger imperialistischer Blöcke dienen könnten, wodurch wiederum die militärischen Zusammenstöße zugenommen haben. Das bedeutendste Beispiel war Jugoslawien, dessen Auseinanderbrechen durch antagonistische imperialistische Interessen der großen europäischen Staaten Deutschland, Großbritannien und Frankreich begünstigt wurde. Die Zusammenstöße im ehemaligen Jugoslawien haben einen Graben zwischen den beiden großen Verbündeten der europäischen Gemeinschaft, Deutschland und Frankreich aufgerissen, und zu einer spektakulären Annäherung zwischen Frankreich und Großbritannien sowie dem Ende der Allianz zwischen Großbritannien und den USA geführt, die im 20. Jahrhundert am stabilsten gewesen war und am längsten gedauert hatte. Seitdem ist diese Tendenz des ‘Jeder für sich’, des Chaos in den Beziehungen zwischen den Staaten mit seiner Reihe von zeitlich begrenzten und kurzweiligen Bündnissen nicht in Frage gestellt worden, sondern genau das Gegenteil ist eingetreten.
11) So sind in der letzten Zeit eine Reihe von wichtigen Änderungen der Bündnisse eingetreten, die sich zuvor gebildet hatten:
- tiefgreifende Aufweichung der Beziehungen zwischen Frankreich und Großbritannien, die besonders verdeutlicht wird durch die ausgebliebene Unterstützung der Forderung Frankreichs nach der Wiederwahl Boutros-Ghalis an der Spitze der UNO oder der Übernahme des Kommandopostens der Südflanke der NATO im Mittelmeer durch einen Europäer;
- der neuen Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland, deren Konkretisierung durch die Unterstützung Deutschlands der Forderungen Frankreichs zu erkennen war;
- die Konflikte zwischen den USA und Großbritannien wurden auf Eis gelegt, wobei Großbritannien unter anderem die Forderungen der USA bei diesen beiden Fragen unterstützte.
Eines der Merkmale dieser Entwicklung der Bündnisse hängt mit der Tatsache zusammen, daß nur die USA und Deutschland langfristig eine kohärente Politik entwickeln können. Dabei verteidigen die USA ihre Führungsrolle, Deutschland kämpft um die Ausdehnung seiner eigenen Führung in einem Teil der Welt. Die anderen Mächte müssen sich darauf beschränken, eine mehr punktuelle Politik zu verfolgen, die zum Großteil danach strebt, der von den beiden erstgenannten Mächten praktizierten Politik gegenzusteuern. Seitdem die Teilung der Welt in zwei Blöcke aufgehoben ist, wird die Autorität der ersten Großmacht der Welt ständig durch ihre ehemaligen Verbündeten herausgefordert.
12) Der spektakulärste Ausdruck dieser Führungskrise des Weltpolizisten ist der Bruch des historischen Bündnisses mit Großbritannien gewesen, den Großbritannien 1994 vollzogen hat. Auch die lange Machtlosigkeit der USA bis zum Sommer 1995 auf einem Hauptschauplatz der imperialistischen Zusammenstöße, im ehemalige Jugoslawien, hat dies verdeutlicht. Und im September 96 wurde dann nahezu einhellig die Bombardierung des Irak durch 44 Marschflugkörper verworfen, während es die USA 1990-91 noch geschafft hatten, von den gleichen Ländern für die Operation Wüstensturm Unterstützung zu erhalten. Insbesondere die entschlossene Ablehnung dieser Bombardierung durch Ägypten und Saudi-Arabien hebt sich deutlich ab von der totalen Unterstützung dieser Staaten der Region für Onkel Sam während des Golfkriegs. Als weitere Beispiele dieser Herausforderung der US-Führungsrolle wollen wir herausgreifen:
- den Proteststurm gegen das Helms-Burton-Gesetz, das die Verschärfung des Embargos gegen Kuba beabsichtigt; der kubanische Führer wurde anschließend mit großem diplomatischen Zeremoniell zum ersten Mal im Vatikan empfangen;
- die Regierungsübernahme der Rechten in Israel, die gegen den Willen der USA geschah; seitdem hat die rechte Regierung alles unternommen, um den Friedensprozeß mit den Palästinensern zu sabotieren, der einer der größten Erfolge der US-Diplomatie war;
- auf einer allgemeinen Ebene der Verlust der alleinigen Kontrolle in dieser entscheidenden Region, dem Nahen Osten. Die Aufwertung Frankreichs verdeutlicht dies, denn Frankreich hat sich als zweite Kraft bei der Lösung des Konfliktes zwischen Israel und dem Libanon Ende 1995 aufgedrängt. Der Erfolg Frankreichs in der Region wurde durch den herzlichen Empfang Chiracs durch Saudi-Arabien im Oktober 1996 bestätigt.
- die Einladung an mehrere europäische Staatschefs (unter ihnen Chirac, der mehrfach zur Unabhängigkeit von den USA aufgerufen hat) durch eine Reihe südamerikanischer Staaten, womit das Ende der grenzenlosen Kontrolle dieses Subkontinents durch die USA deutlich wird.
13) Wie der 12. Kongreß der Sektion der IKS in Frankreich schon vor einem Jahr feststellte, haben die USA in der letzten Zeit eine massive Gegenoffensive gestartet. Dies hat ein verstärktes Auftreten der USA im ehemaligen Jugoslawien vom Sommer 1995 ermöglicht. Dabei traten die USA im Rahmen des IFOR-Mandates auf, das die UNPROFOR ablösen sollte, welche jahrelang das Instrument des Übergewichtes des französisch-britischen Tandems gewesen war. Der größte Beweis des US-amerikanischen Erfolgs war die Unterzeichnung des Dayton-Abkommens zur Regelung des Bosnien-Konfliktes in den USA. Seitdem haben die USA ihre Offensive fortsetzen können. Vor allem haben sie dem Land, das sie am offensten herausgefordert hat, Frankreich, einen Schlag in dem Gebiet versetzen können, das Frankreich bislang als seinen ‘Hinterhof’ bezeichnen konnte - Afrika. Nach dem Zurückdrängen des französischen Einflusses in Ruanda entgleitet jetzt vor allem der Hauptstützpfeiler Frankreichs auf dem Kontinent, Zaire, seiner Kontrolle. Das Regime Mobutus zerfällt immer mehr unter den Auswirkungen der ‘Rebellion’ Kabilas, der massiv von Ruanda und Uganda, d.h. von den USA, unterstützt wird. Damit erhält Frankreich von den USA eine besonders harte Bestrafung. Die USA wollen somit exemplarisch gegenüber allen anderen Ländern handeln, die genauso wie Frankreich ständig die USA herausfordern möchten. Und diese Bestrafung soll die anderen Schläge ergänzen, die die USA in der letzten Zeit Frankreich nach der Ernennung des Nachfolgers von Boutros-Ghali und bei der Besetzung des NATO Oberbefehlshabers der Südflanke haben versetzen können.
14) Zum Großteil gerade weil die britische Bourgeoisie die Risiken erkannte hatte, die für sie entstehen, wenn sie die abenteuerliche Politik Frankreichs unterstützt (das sich immer wieder Ziele setzt, die seine wirklichen Möglichkeiten übersteigen), hat sie sich in der letzten Zeit gegenüber der französischen Bourgeoisie abgegrenzt. Diese Entwicklung wurde von den USA und Deutschland stark gefördert, denn sie konnten der von Frankreich und Großbritannien bei der Jugoslawienfrage eingegangenen Allianz nicht mit Wohlwollen begegnen. So hattten die amerikanischen Bombardierungen Iraks im September 96 den großen Vorteil, daß zwischen Frankreich und Großbritannien ein Keil getrieben wurde, da Frankreich Saddam Hussein nach besten Kräften unterstützt hatte, während Großbritannien genauso wie die USA auf den Umsturz dieses Regimes zielte. Deutschland hat ebenso alles unternommen, um die französisch-britische Solidarität bei Fragen, die Deutschland schaden, zu untergraben, wie bei der Frage der Europäischen Union und der Einheitswährung (im Dezember 96 fanden allein dazu drei deutsch-französische Gipfel statt). Auf dem Hintergrund dieses Rahmens muß man die jüngste Entwicklung der Bündnisse in der letzten Zeit einschätzen. Die Haltung Deutschlands und vor allem die der USA bestätigt das, was wir auf unserem letzten Kongreß sagten. ‘In solch einer Situation der Instabilität ist es für jedes Land einfacher, für Unruhe zu sorgen und dem Gegner Ärger zu bereiten, die Bündnisse zu untergraben, die es bedrohen, als selbst solide Bündnisse aufzubauen und für Stabilität im eigenen Herrschaftsgebiet zu sorgen.’ (Resolution zur internationalen Situation, Punkt 11, April 1995) Jedoch muß man auch die wichtigen Unterschiede sowohl hinsichtlich der Methode als auch hinsichtlich der Ergebnisse der Politik dieser beiden Mächte berücksichtigen.
15) Das Ergebnis der internationalen Politik Deutschlands begrenzt sich bei weitem nicht darauf, Frankreich von Großbritannien loszureißen und zu versuchen durchzusetzen, daß Frankreich das früher eingegangene Bündnis wieder erneuert. Dies konnte man anhand der militärischen Vereinbarungen in der letzten Zeit sowohl vor Ort in Bosnien feststellen (eine gemeinsame deutsch-französische Brigade wurde aufgestellt), als auch durch das Abkommen über militärische Zusammenarbeit (am 9. Dezember 96 wurde ein Abkommen über ein ‘gemeinsames Konzept im Bereich der Sicherheit und Verteidigung’ unterzeichnet). In Wirklichkeit können wir ein sehr starkes Vordrängen des deutschen Imperialismus beobachten, das sich konkret ausdrückt durch:
- die Tatsache, daß innerhalb der neuen Allianz zwischen Frankreich und Deutschland, Deutschland eine wesentlich günstigere Stellung gegenüber Frankreich einnimmt im Vergleich zur Zeit 1990-94 (Frankreich wurde zu einem guten Teil dazu gezwungen, sich wieder seiner alten Liebe zuzuwenden, nachdem sich Großbritannien von ihm abgewendet hat);
- eine Ausdehnung seines traditionellen Einflußgebietes in Richtung Osteuropa und insbesondere durch die Errichtung eines Bündnisses mit Polen;
- eine Verstärkung seines Einflusses in der Türkei (dessen neue, von dem Islamisten Erbakan geführte Regierung eher pro-deutsch eingestellt ist als die vorherige Regierung), und die ihm als Brückenkopf Richtung Kaukasus (wo sie nationalistische, gegen Rußland gerichtete Bewegungen unterstützt) und Iran dient, mit dem die Türkei eine Reihe wichtiger Abkommen unterzeichnet hat;
- die Entsendung von Kampfeinheiten außerhalb der Landesgrenzen, ein Novum seit dem 2. Weltkrieg, gerade in die besonders kritische Balkanregion mit der Stationierung von Kampfeinheiten in Bosnien im Rahmen des IFOR-Mandates (deshalb erklärte der deutsche Verteidigungsminister, daß ‘Deutschland in der neuen Gesellschaft eine wichtige Rolle spielen wird’).
Darüber hinaus hat Deutschland mit Frankreich an seiner Seite diplomatische Vorstöße gegenüber Rußland unternommen, dessen erster Kreditgeber es ist. Auch hat Rußland keine entscheidenden Vorteile aus seinem Bündnis mit den USA gezogen.
16) So richtet sich Deutschland in seiner Rolle als imperialistischer Hauptrivale der USA ein. Man muß jedoch hinzufügen, daß Deutschland es bislang geschafft hat, seine Bauern vorzuschieben, ohne sich der Repression des amerikanischen Mastodons aussetzen zu müssen. Insbesondere hat Deutschland es systematisch vermieden, die USA so offen herauszufordern, wie es Frankreich tut. Die Politik des deutschen Adlers (der es bislang vermocht hat, seine Krallen zu verstecken) erweist sich letztendlich wirksamer als die des gallischen Hahns. Dies ist die Folge sowohl der Beschränkungen, die ihm sein Verliererstatus nach dem 2. Weltkrieg weiter auferlegt, (obgleich seine gegenwärtige Politik darauf abzielt, diesen Status zu überwinden), als auch der Sicherheit der einzigen Macht, die eventuell die Möglichkeit besitzt, langfristig die Führung eines neuen imperialistischen Blocks zu übernehmen. Aber dies ist auch auf die Tatsache zurückzuführen, daß Deutschland bislang seine Positionen hat ausbauen können, ohne seine militärische Stärke direkt einzusetzen (obgleich es seinen Verbündeten Kroatien in dessen Krieg gegen Serbien umfangreich unterstützt hat). Aber der historische Schritt, den die Entsendung von Kampfverbänden nach Bosnien darstellt, hat nicht nur ein Tabu gebrochen, sondern zeigt die Richtung auf, die es mehr und mehr einschlagen muß, um seinen Rang zu verteidigen. So wird der deutsche Imperialismus langfristig nicht nur durch Stellvertreter (wie im Falle Kroatiens und in einem geringerem Maße im Kaukasus) seinen Beitrag zu den blutigen Konflikten und den Massakern leisten, in denen die Welt heute versinkt, sondern er wird vermehrt direkt daran beteiligt sein.
17) Hinsichtlich der internationalen Politik der USA ist der Aufmarsch von Truppen nicht nur seit langem Bestandteil ihrer Methoden, sondern er ist heute das Hauptinstrument der Verteidigung ihrer imperialistischen Interessen, wie die IKS seit 1990 aufgezeigt hat, selbst bevor der Golfkrieg schon ausgelöst war. Gegenüber einer Welt, die von der Dynamik des ‘Jeder für sich’ beherrscht wird, und wo insbesondere die früheren Vasallen des amerikanischen Gendarms danach streben, sich so weit möglich aus der erdrückenden Vorherrschaft dieses Gendarmen zu befreien, die sie wegen der Bedrohung durch den gegnerischen Block ertragen mußten, besteht für die USA das einzige Mittel zur Aufrechterhaltung ihrer Autorität darin, sich auf das Instrument zu stützen, bei dem sie gegenüber allen andern Staaten eine haushohe Überlegenheit besitzen: die militärische Gewalt. Aber aufgrund dieses Einsatzes geraten die USA selber in einen Widerspruch:
- einerseits, falls sie auf den Einsatz oder die Zurschaustellung ihrer militärischen Überlegenheit verzichten, kann das die anderen, sie herausfordernden Staaten nur ermuntern, noch weiter vorzudrängen bei dieser Herausforderung;
- andererseits, falls sie diese rohe Gewalt anwenden, und selbst und vor allem wenn sie es dank dieses Mittels schaffen, die imperialistischen Appetite ihrer Gegner vorübergehend zurückzudrängen, werden diese aber danach streben, die erstbeste Gelegenheit zu ergreifen, um sich zu revanchieren und wieder versuchen, aus der US-Vorherrschaft auszubrechen.
Wenn die USA diese militärische Überlegenheit als Trumpfkarte ins Spiel bringen, bewirken sie das Gegenteil - je nachdem ob die Welt in Blöcke geteilt ist wie vor 1989, oder wenn die Blöcke nicht mehr bestehen. Als die Blöcke noch bestanden, neigte das Zur-Schau-Stellen dieser Überlegenheit dazu, das Vertrauen der Vasallen gegenüber ihrem Führer zu verstärken, da er die Fähigkeit besaß, sie wirkungsvoll zu verteidigen; deshalb stellt diese Karte dann einen Faktor des Zusammenhaltes um die USA dar. Wenn die Blöcke nicht mehr bestehen, bewirken die Demonstrationen der Stärke der einzig übrig gebliebenen Supermacht im Gegenteil nur, daß die Dynamik des ‘Jeder für sich’ nur noch verstärkt wird, solange es keine Macht gibt, die mit ihr auf dieser Ebene konkurrieren kann. Deshalb kann man die Erfolge der gegenwärtigen Konteroffensive der USA keinesfalls als endgültig ansehen oder als Überwindung ihrer Führungskrise. Die rohe Gewalt, die Manöver zur Destabilisierung ihrer Konkurrenten (wie heute in Zaire) mit all den tragischen Folgen werden deshalb weiter von den USA zum Einsatz kommen, und sie werden im Gegenteil das blutige Chaos, in das der Kapitalismus versinkt, noch weiter verschärfen.
18) Bislang hat dieses Chaos den Fernen Osten und Südostasien noch relativ verschont. Aber man muß die Anhäufung der explosiven Zündsätze erkennen, die sich dort vollzieht:
- Intensivierung der Aufrüstung der beiden Hauptmächte China und Japan;
- das Bestreben Japans, sich so weit wie möglich aus der Kontrolle durch die USA, die eine Erbschaft des 2. Weltkriegs ist, zu entwinden;
- eine offenere Politik der Herausforderung durch China (China spielt gewissermaßen die gleiche Rolle wie Frankreich im Westen, während Japans Diplomatie viel mehr der Deutschlands ähnelt);
- die Gefahr der politischen Destabilisierung Chinas (insbesondere nach dem Tod Dengs);
- das Gären einer Reihe von ‘Reibungspunkten’ zwischen Staaten (Taiwan und China, die beiden koreanischen Staaten, Vietnam und China, Indien und Pakistan usw.).
Genausowenig wie sie im Bereich der Wirtschaft den Erschütterungen wird ausweichen können, kann diese Region den imperialistischen Erschütterungen ausweichen, die heute die Welt erfassen und zum weltweiten Chaos beitragen, in das heute die kapitalistische Gesellschaft versinkt.
19) Dieses generalisierte Chaos mit der Flut von blutigen Konflikten, Massakern, Hungersnöten und allgemeiner der Zerfall, der in alle Bereiche der Gesellschaft eindringt und sie langfristig zu zerstören droht, wird hauptsächlich durch die Tatsache verstärkt, daß die kapitalistische Wirtschaft in einer völlig ausweglosen Sackgasse steckt. Aber diese Sackgasse und die mit ihr verbundenen, immer heftiger werdenden ständigen Angriffe, die sie notwendigerweise gegen die allen gesellschaftlichen Reichtum produzierende Klasse, das Proletariat, führt, liefert somit auch die Bedingungen für ein Zurückschlagen seitens des Proletariats und die Perspektive der Entwicklung revolutionärer Kämpfe. Seit dem Ende der 60er Jahre hat das Weltproletariat bewiesen, daß es nicht bereit ist, die kapitalistischen Angriffe passiv hinzunehmen, und die Kämpfe, die es seit den ersten Erschütterungen der Krise geliefert hat, haben bewiesen, daß es die furchtbare Konterrevolution überwunden hat, welche sich nach der Welle von revolutionären Kämpfen von 1917-23 gegen es gerichtet hatte. Aber die Arbeiterklasse hat ihre Kämpfe nicht kontinuierlich weiter entwickelt, sondern sie stieß dabei jeweils auf Hindernisse, es gab Fortschritte und Rückflüsse. So gab es zwischen 1968 und 1989 drei aufeinanderfolgende Kampfeswellen (1968-74, 1978-81, 1983-89), während denen die Arbeitermassen trotz Niederlagen, Zögerungen, Rückschritten eine wachsende Erfahrung angehäuft haben, durch die sie immer mehr die gewerkschaftliche Umklammerung verworfen haben. Aber dieses schrittweise Voranschreiten der Arbeiterklasse hin zu einer Bewußtwerdung der Ziele und Mittel ihres Kampfes wurde brutal Ende der 80er Jahre unterbrochen.
‘Diese Kämpfe, die Ende der 60er Jahre mit großer Wucht ausgebrochen waren und die schrecklichste Konterrevolution, unter der die Arbeiterklasse zu leiden gehabt hatte, beendeten, sind in einen umfangreichen Rückfluß nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime, den damit verbundenen ideologischen Kampagnen und Ereignissen (Golfkrieg, Balkankrieg usw.) getreten. Der massive Rückfluß war auf zwei Ebenen zu spüren: auf der Ebene der Kampfbereitschaft und des Klassenbewußtseins, ohne daß dies jedoch gleichzeitig, wie die IKS schon damals hervorhob - den historischen Kurs zu Klassenzusammenstößen umgeschmissen hat’ (Resolution zur Internationalen Situation, Punkt 14, April 1995).
20) Vom Herbst 1992, d.h. von den großen Mobilisierungen der Arbeiter in Italien, an hat die Arbeiterklasse wieder zum Weg des Kampfes zurückgefunden. Aber auf diesem Weg stößt die Arbeiterklasse auf viele Fallen und Schwierigkeiten. Als die stalinistischen Regime im Herbst 1989 zusammenbrachen, kündigte die IKS bereits an, daß dieses Ereignis einen Rückfluss des Bewußtseins bewirken würde, während sie gleichzeitig präzisierte, daß ‘die reformistische Ideologie noch ein sehr großes Gewicht in den zukünftigen Kämpfen haben wird, wodurch der Spielraum der Gewerkschaften größer werden wird’ (Thesen über die wirtschaftliche und politische Krise in der UdSSR und in Osteuropa, Internationale Revue Nr. 12). In der Tat ist es in der letzten Zeit zu einer Verstärkung der Gewerkschaften gekommen, die auf eine geschickte Strategie aller Kräfte der Bourgeoisie zurückzuführen ist. Dies Strategie strebt zunächst danach, die Verwirrung auszunützen, welche in der Arbeiterklasse durch die Ereignisse von 1989-91 entstanden ist, um das Ansehen der Gewerkschaftsapparate so stark wie möglich wieder aufzumöbeln, deren Glaubwürdigkeit während der 80er Jahre in vielen Ländern angekratzt worden war. Am einleuchtendsten wurde diese politische Offensive der Bourgeoisie durch das Manöver der verschiedenen Teile der Bourgeoisie im Herbst 1995 in Frankreich vorgeführt. Dank einer klug ausgetüftelten Arbeitsteilung zwischen der Rechten an der Regierung, die auf besonders provokative Weise eine Reihe von Angriffen gegen den Lebensstandard der Arbeiterklasse einleitete, und den Gewerkschaften, die sich als die besten Verteidiger der Arbeiter aufspielten, wobei sie selber für proletarische Kampfmethoden eintraten - Ausdehnung über Branchengrenzen hinweg und Leitung der Bewegung durch Vollversammlungen - hat die gesamte bürgerliche Klasse dem gesamten Gewerkschaftsapparat zu neuem Ansehen wie seit langem nicht mehr verholfen. Wie sehr dieses Manöver international und systematisch geplant war, konnte man anhand des gewaltigen Medienrummels um die Streiks Ende 1995 erkennen, der in allen Ländern veranstaltet wurde, während es gegenüber den meisten Massenbewegungen in den 80er Jahren ein vollständiges Black-out gegeben hatte. Dies wurde weiterhin bestätigt durch das Manöver in Belgien, das zur gleichen Zeit stattfand und eine Wiederauflage des Manövers in Frankreich war. Die Streiks in Frankreich im Herbst 1995 wurden ebenfalls während des Manövers im Frühjahr 1996 in Deutschland in den Mittelpunkt gestellt, das seinen Höhepunkt fand in der Großdemonstration in Bonn im Juni 1996. Während die Gewerkschaften als Verhandlungsexperten und Spezialisten der Abstimmung mit den Unternehmen gehandelt wurden, sollte anhand dieses Manövers den Gewerkschaften ein viel kämpferisches Bild verliehen werden, damit sie zukünftig besser die sozialen Kämpfe kontrollieren können, die aufgrund der bislang noch nie so starken ökonomischen Angriffe gegen die Arbeiterklasse unvermeidlich entstehen werden. So bestätigte sich die Analyse der IKS, die wir auf unserem 11. Kongreß erstellt hatten: ‘Aber die gegenwärtigen Manöver der Gewerkschaften sind auch und vor allem ein vorbeugendes Mittel: sie müssen ihre Kontrolle über die Arbeiter ausdehnen, bevor diese ihre Kampfbereitschaft noch stärker entfalten, denn diese Kampfbereitschaft wird aufgrund der immer härteren Angriffe der Krise noch zunehmen’ (Resolution zur Internationalen Situation, Punkt 17).
Und das Ergebnis dieser Manöver verstärkte die Verwirrung, die die Ereignisse von 1989-91 hervorgerufen hatten, aufgrund derer wir auf dem 12. Kongreß unserer Sektion in Frankreich die Einschätzung entwickelten, daß ’in den wichtigsten Ländern des Kapitalismus die Arbeiterklasse auf eine Stufe zurückgeworfen wird, die mit den 70er Jahren hinsichtlich ihres Verhältnis zu den Gewerkschaften und den gewerkschaftlichen Kampfmethoden vergleichbar ist: eine Situation, in der die Arbeiterklasse global gesehen unter den Gewerkschaften kämpfte, ihren Anweisungen und Parolen folgte und sich ihnen schließlich unterwarf. So hat die Bourgeoisie es geschafft, die in den 80er Jahren erworbenen Lehren, die die Arbeiter nach den wiederholten Erfahrungen der Konfrontation mit den Gewerkschaften gewonnen hatten, vorübergehend auszulöschen’. (Resolution zur internationalen Situation, Pkt. 12).
21) Die politische Offensive der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse beschränkt sich bei weitem nicht auf die Verstärkung der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaftsapparate. Die herrschende Klasse nutzt die verschiedenen Ausdrücke des Zerfalls der Gesellschaft (ansteigender Fremdenhaß, Konflikte zwischen bürgerlichen Cliquen usw.) aus, um sie gegen die Arbeiterklasse einzusetzen. So wurden in verschiedenen Ländern Europas Kampagnen zur Ablenkung der Arbeiter eingeleitet, um ihre Wut und ihre Kampfbereitschaft auf eine Ebene zu lenken, die mit der Arbeiterklasse absolut nichts zu tun haben:
- Ausnutzung der Fremdenfeindlichkeit der Extremen Rechte (Le Pen in Frankreich, Haider in Österreich), um Kampagnen gegen die ‘faschistische Gefahr’ durchzuführen;
- in Spanien wurden Kampagnen gegen den ETA-Terrorismus gestartet, in denen die Arbeiter aufgerufen wurden, sich mit den Firmenchefs zu solidarisieren;
- Abrechnungen zwischen Teilen des Sicherheitsapparate (Polizei) und Justiz wurden ausgenutzt, um Kampagnen für einen ‘sauberen Staat & Justiz’ einzuleiten - dies geschah in Ländern wie Italien (Operation ‘saubere Hände’) und besonders in Belgien (Dutroux-Affäre).
Belgien war in der letzten Zeit eine Art ‘Labor’, um die ganze Bandbreite an Verschleierungen gegen die Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie auszutesten. Die Bourgeoisie hat dort:
- die Manöver der französischen Bourgeoisie vom Herbst 95 neu aufgelegt;
- dann ein ähnliches Manöver wie die deutsche Bourgeoisie vom Frühjahr 96 durchgeführt;
- vom Sommer 96 an die Dutroux-Affäre in den Vordergrund gestellt, die passenderweise zum ‘richtigen Zeitpunkt aufgedeckt’ wurde (obgleich der Justiz viele Tatsachen schon längst bekannt waren), um mittels eines bislang nie dagewesenen Medienrummels eine wahre Psychose in den Arbeiterfamilien hervorzurufen, während es gleichzeitig eine Reihe von Angriffen gegen die Arbeiter hagelte; dadurch sollte die Wut der Arbeiter auf das klassenneutrale Terrain einer ‘Justiz im Dienste des Volkes’ abgeleitet wurden, wie insbesondere beim ‘weißen Marsch’ am 20. Oktober;
- mit dem ‘bunten Marsch’ vom 2. Februar 97, der anläßlich der Betriebsschließung des Stahlwerkes von Forges de Clabecq veranstaltet wurde, wurde die den Klassengraben verschleiernde Kampagne einer ‘Justiz im Dienst des Volkes’ und einer ‘Wirtschaft im Dienst der Bürger’ erneut aufgelegt; eine weitere Verstärkung erfolgte durch die Medienaufmachung um die ‘kämpferischen Basis-Gewerkschaften’ und den in den Medien sehr wirksam auftretenden D’Orazio;
- eine neue Schicht demokratischer Lügen wurde dann nach der Ankündigung der Werksstilllegung Renaults in Vilvoorde (die Gerichte verurteilten diese Werksschließung) aufgetragen, während gleichzeitig die Trommel für ein ‘soziales Europa’ im Gegensatz zu einem ‘Europa der Kapitalisten’ gerührt wurde.
Die gewaltige internationale Medienaufmachung all dieser Manöver liefert erneut einen Beweis dafür, daß sie nicht nur zu internen Zwecken bestimmt waren, sondern Teil eines von der Bourgeoisie aller Länder abgestimmten Plans waren. Die herrschende Klasse ist sich dessen bewußt, daß ihre wachsenden Angriffe gegen die Arbeiterklasse große Widerstandskämpfe derselben hervorrufen werden; deshalb will sie zu einem Zeitpunkt vorbeugend handeln, wo die Kampfbereitschaft noch in einer frühen Entwicklungsstufe steckt und wo die Folgen des Zusammenbruchs der angeblich ‘sozialistischen’ Regime noch unter den Arbeitern zu spüren sind, um ‘das Pulver naß zu machen’ und die Bandbreite gewerkschaftlicher und demokratischer Illusionen so stark wie möglich auszudehnen.
22) Die unleugbare Verwirrung, in der heute die Arbeiterklasse steckt, hat der Bourgeoisie einen größeren Spielraum eröffnet, um ihre internen politischen Auseinandersetzungen auszutragen. Wie die IKS Anfang 1990 schrieb: ‘Deshalb muß man heute die Analyse der IKS aktualisieren, die wir zur Strategie der ‘Linken in der Opposition’ gemacht hatten. Seit Ende der 70er Jahre und während der 80er Jahre war es für die Bourgeoisie notwendig geworden, diese Karte aufgrund der allgemeinen Dynamik der Klasse hin zu immer mehr entschlossenen und bewußten Klassenkämpfen, zu einer deutlicheren Verwerfung der demokratischen, parlamentarischen und gewerkschaftlichen Verschleierungen, einzusetzen. Die in einigen Ländern (z.B. in Frankreich) aufgetretenen Schwierigkeiten, um diese Karte unter den besten Bedingungen zu spielen, ändert nichts an der Tatsache, daß sie die zentrale Achse der Strategie der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse war. Die rechten Regierungen in so wichtigen Ländern wie den USA, BRD und GB verdeutlichen dies. Dagegen zwingt der gegenwärtige Rückzug der Klasse die Bourgeoisie vorübergehend nicht mehr dazu, diese Strategie prioritär einzusetzen. Das heißt nicht, daß in diesen Ländern unbedingt die Linke wieder die Regierungsgeschäfte übernehmen wird. Wir haben mehrfach... aufgezeigt, daß solch eine Vorgehensweise nur in revolutionären Phasen oder im imperialistischen Krieg zwingend notwendig ist. Man darf dagegen nicht überrascht sein, wenn solch ein Ereignis eintritt, oder vermuten, daß es sich um einen ‘Unfall’ oder den Ausdruck einer ‘besonderen Schwäche’ der herrschenden Klasse des jeweiligen Landes handeln würde’ (Internationale Revue Nr. 12, S. 7, 10.2.1990).
Deshalb konnte die italienische Bourgeoisie zum Großteil aus internationalen politischen Gründen im Frühjahr 1996 eine Mitte-Links-Regierung einsetzen, in der die alte „Kommunistische“ Partei (PDS) dominiert und die eine Zeitlang von der extrem-linken Partei ‘Rifondazione Comunista’ unterstützt wurde. Deshalb darf der Sieg der Labour-Partei in Großbritannien im Mai 97 nicht als ein Faktor angesehen werden, der der Bourgeoisie dieses Landes Schwierigkeiten bereiten würde (die übrigens Sorge dafür getragen hat, die organische Verbindung zwischen Gewerkschaften und Labour Partei zu beenden, um es den Gewerkschaften zu ermöglichen, sich falls nötig, der Regierung entgegenzustellen). Es ist wichtig hervorzuheben, daß die herrschende Klasse nicht mehr die Themen aus den 70er Jahren auflegt, als die ‘Alternative der Linken’ mit ihren ‘Sozialprogrammen’ und Verstaatlichungen dazu dienten, den Schwung der Arbeiterkämpfe zu bremsen, der 1968 eingesetzt hatte, und Unzufriedenheit und Kampfbereitschaft in die Sackgasse der Wahlen gelenkt worden waren. Wenn Linksparteien (deren Wirtschaftsprogramm sich übrigens immer weniger von dem der Rechten unterscheidet) die Regierung übernehmen sollten, wird dies hauptsächlich auf die Schwierigkeiten der Rechten zurückzuführen sein, und nicht auf die Mobilisierung der Arbeiter, die durch die Entwicklung der Krise die Illusionen über einen ‘gesunden Kapitalismus’ verloren haben, während diese in den 70er Jahren noch bestanden.
23) Auf diesem Hintergrund muß man auch einen deutlichen Unterschied zwischen den ideologischen Kampagnen von heute und denen der 30er Jahre gegen die Arbeiterklasse herausheben. Bei diesen beiden Arten von Kampagnen gibt es einen gemeinsamen Punkt: Sie drehen sich alle um das Thema der ‘Verteidigung der Demokratie’. Aber die Kampagnen der 30er Jahre
- fanden auf einem Hintergrund der historischen Niederlage der Arbeiterklasse, des ungeteilten Sieges der Konterrevolution statt;
- verfolgten das Ziel des Einspannens der Arbeiter für den heraufziehenden Weltkrieg;
- stützten sich auf einen ‘Daseinsgrund’, die faschistischen Regime in Italien, Deutschland und Spanien, die tatsächlich vorhanden waren, wodurch diese Kampagnen dauerhaft, gezielt und massiv durchgeführt werden konnten.
Die gegenwärtigen Kampagnen dagegen
- finden auf dem Hintergrund statt, wo die Arbeiterklasse die Konterrevolution überwunden und keine entscheidende Niederlage eingesteckt hat, die den historischen Kurs hin zu Klassenzusammenstößen infragestellt;
- verfolgen das Ziel, den Kurs wachsender Kampfbereitschaft und wachsenden Bewußtseins in der Arbeiterklasse zu untergraben,
- verfügen nicht über eine einzige Zielscheibe, sondern müssen sehr zerstreute Themen in den Mittelpunkt stellen, die oft von besonderen Anlässen abhängig sind (Terrorismus, ‘faschistische Gefahr’, Netz von Kinderschändern, Korruption der Justiz, usw.), wodurch ihre Tragweite international und zeitlich begrenzt wird.
Während die Kampagnen Ende der 30er Jahre die Arbeitermassen dauerhaft um sich mobilisieren konnten, zeichnen sich die heutigen Kampagnen dadurch aus,
- daß sie es entweder schaffen, die Arbeiter massiv auf die Straße zu bringen (wie beim ‘weißen Marsch’ in Brüssel am 20. Oktober 1996), aber dies gelingt dann nur für eine kurze Dauer (deshalb hat die belgische Bourgeoisie danach sofort andere Manöver eingeleitet);
- daß sie ständig betrieben werden (wie bei der Kampagne gegen den ‘Front National’ in Frankreich), aber sie schaffen es nicht, dafür die Arbeiter einzuspannen, dienen somit hauptsächlich der Ablenkung.
Deswegen darf man jedoch die Gefahr, die von diesen Kampagnen ausgeht, nicht unterschätzen, denn die Auswirkungen des allgemeinen und wachsenden Zerfalls der bürgerlichen Gesellschaft können ihnen ständig neuen Nährstoff liefern. Nur ein entscheidender Fortschritt des Bewußtseins in der Arbeiterklasse wird es dieser ermöglichen, diese Art Verschleierungen zu enthüllen. Und dieser Fortschritt wird nur durch eine massive Entfaltung von Arbeiterkämpfen zustande kommen, die, wie sie es Mitte der 80er Jahre schon angefangen hatten zu tun, die wichtigsten Instrumente der Bourgeoisie in den Reihen der Arbeiter, die Gewerkschaften und den gewerkschaftlichen Kampf infragestellen.
24) Diese Infragestellung, mit der eine direkte Kontrolle der Kämpfe durch die Arbeiter und ihre Ausdehnung durch Vollversammlungen und gewählten und abwählbaren Streikkomitees einhergeht, muß notwendigerweise einen ganzen Prozeß der Konfrontation mit der Sabotagearbeit der Gewerkschaften durchlaufen. Diese Prozeß wird notwendigerweise in der Zukunft stattfinden, weil die Kampfbereitschaft als Reaktion auf die immer heftigeren Angriffe des Kapitalismus weiter ansteigt. Heute schon macht es die Entwicklung der Kampfbereitschaft der Bourgeoisie in Anbetracht der Gefahr eines Ausbrechens aus der gewerkschaftlichen Kontrolle unmöglich, die großen Manöver wie in Frankreich 1995-96 zu wiederholen, die auf eine umfangreiche Verstärkung der Gewerkschaften abzielten. Den Gewerkschaften ist es bislang jedoch gelungen, eine größere Entblößung zu vermeiden, auch wenn sie in der letzten Zeit angefangen haben, häufiger ihre ‘klassischen’ Methoden der Spaltung zwischen staatlichen und privat Beschäftigten (wie beispielsweise während der Demonstration am 11. Dezember 1996 in Spanien) und den Berufsegoismus einzusetzen. Das spektakulärste Beispiel dieser Taktik sind die Streiks, die nach der Ankündigung der Stilllegung des Renault-Werkes Vilvoorde ausgelöst wurden, als die Gewerkschaften aus verschiedenen Ländern mit Renault-Werken eine ‘europaweite’ Mobilisierung der Renault-Beschäftigten einleiteten. Aber die Tatsache, daß dieses lumpige Manöver der Gewerkschaften über die Bühne gehen konnte, ohne aufgedeckt zu werden, und daß sie es gar schafften, mit seiner Hilfe ihr Prestige noch ein wenig zu verbessern, wobei sie gleichzeitig weiter die Rolle eines ‘sozialen Europas’ verschleierten, beweist, daß wir heute in einer Schlüsselphase stecken zwischen der Verstärkung der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften und ihrer immer größeren Entblößung, wo sie immer mehr in Verruf geraten. Eines der Merkmale dieser Phase besteht darin, daß man angefangen hat, die Themen der ‘kämpferischen Gewerkschaften’ aufzutischen, denen zufolge die ‘Basis’ dazu in der Lage wäre, die Gewerkschaftsführung zu zwingen, sich zu radikalisieren (so das Beispiel von Forges de Clabecq, des Hafenarbeiterstreiks in Großbritannien oder der Bergarbeiter letzten März in Deutschland).
25) So muß die Arbeiterklasse noch einen langen Weg hin zu ihrer Befreiung zurücklegen, und die Bourgeoisie wird ihn systematisch durch alle möglichen Fallen untergraben, wie in der letzten Zeit deutlich wurde. Der Umfang der Manöver der Bourgeoisie beweist, daß sie sich der Gefahren bewußt ist, die die gegenwärtige Lage des Weltkapitalismus in sich birgt. Während Engels schrieb, daß die Arbeiterklasse ihren Kampf auf drei Ebenen führt, der ökonomischen, politischen und ideologischen, belegt die gegenwärtige Strategie der Bourgeoisie, die auch gegen die revolutionären Organisationen gerichtet ist (siehe die Kampagne gegen den angeblichen ‘Negationismus’ der Kommunistischen Linken), daß die Bourgeoisie sich dessen voll bewußt ist. Es ist die Aufgabe der Revolutionäre, die von der herrschenden Klasse und all ihren Organen, insbesondere den Gewerkschaften, aufgestellten Fallen nicht nur systematisch aufzuspüren und zu entblößen, sondern sie müssen auch gegen all die Verfälschungen während der letzten Zeit die wirkliche Perspektive der kommunistischen Revolution als Endziel der gegenwärtigen Kämpfe des Proletariats hervorheben. Nur wenn die kommunistische Minderheit ihre Rolle voll erfüllt, kann die Arbeiterklasse ihre Kräfte und ihr Bewußtsein zur Erreichung dieses Ziels entfalten.
Nichts macht eine herrschende Klasse rasender als eine Erhebung der Ausgebeuteten. Die Revolten der Sklaven im Römischen Reich, der Bauern unter dem Feudalismus sind immer mit einer unübertroffenen Grausamkeit niedergeschlagen worden. Doch der Aufstand der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus ist ein noch größerer Affront gegen die herrschende Klasse dieses Systems, da er auf seiner Fahne klar die Inschrift einer neuen Gesellschaft trägt, einer kommunistischen Gesellschaft, die tatsächlich einer historischen Möglichkeit und Notwendigkeit entspricht. Deshalb kann sich die Kapitalistenklasse nicht damit zufrieden geben, die revolutionären Versuche der Arbeiterklasse zu unterdrücken, sie im Blut zu ertränken, auch wenn die kapitalistische Konterrevolution bestimmt die blutigste in der ganzen Geschichte ist. Sie muß darüber hinaus die Idee ins Lächerliche ziehen, daß die Arbeiterklasse die Trägerin einer neuen gesellschaftlichen Ordnung ist, sie muß die totale Bedeutungslosigkeit der kommunistischen Perspektive propagieren. Zu diesem Zweck braucht sie ein ganzes Arsenal von Lügen und Verfälschungen parallel zum realen, gegenständlichen Waffenarsenal. Aus diesem Grund brauchte das Kapital auch während dem größten Teil des 20. Jahrhunderts die Aufrechterhaltung der größten Lüge der Geschichte: die Lüge, daß der Stalinismus Kommunismus sei.
Der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 und der UdSSR zwei Jahre später hat, obwohl er der Bourgeoisie das lebendige "Beispiel" dieser Lüge wegnahm, diese gewaltig verstärkt, indem die herrschende Klasse nun eine riesige Kampagne über den offensichtlichen Mißerfolg des Kommunismus, des Marxismus und sogar über das Veralten der Idee des Klassenkampfs selber startete. Die für das Bewußtsein des Weltproletariats zutiefst zerstörerischen Auswirkungen dieser Kampagne sind verschiedentlich in den Spalten dieser Internationalen Revue untersucht worden, so daß wir hier diesen Punkt nicht weiter entwickeln. Auch wenn der Einfluß dieser Kampagnen im Laufe der letzten Jahre abgenommen hat – v.a. wegen der Versprechungen der Bourgeoisie über die "Neue Weltordnung" des Friedens und des Wohlstands, die angeblich den Tod des Stalinismus ablösen sollten, sich aber nur als Unsinn entpuppt haben –, ist es wichtig zu unterstreichen, daß sie für den ideologischen Kontrollapparat der Bourgeoisie so zentral sind, daß diese keine Gelegenheit versäumt, ihr neues Leben und neuen Einfluß zu verleihen. Wir sind nun in das Jahr des 80. Jubiläums der Russischen Revolution eingetreten, und zweifellos werden wir neue Lügen über diesen Gegenstand hören. Und eines ist sicher: Der Haß und die Verachtung der Bourgeoisie für die proletarische Revolution, die 1917 in Rußland begonnen hat, ihre Anstrengungen, die Erinnerungen an sie in Form und Inhalt zu entstellen, werden v.a. die politischen Organisation zum Ziel haben, die den Geist der großen Aufstandsbewegung verkörpert hat, die bolschewistische Partei. Das darf uns nicht überraschen: Seit der Zeit des Bundes der Kommunisten und der I. Internationale war die Bourgeoisie immer bereit, der Mehrheit der armen Arbeiter "zu verzeihen", daß sie durch die Komplotte und Machenschaften der revolutionären Minderheiten übers Ohr gehauen worden waren, während sie diese unabänderlich als Verkörperung des Bösen sieht. Und für das Kapital war keine dieser Organisationen so schlimm wie die Bolschewiki; diese haben es geschafft, die einfachen Arbeiter länger und nachhaltiger "irrezuführen" als irgendeine andere revolutionäre Partei in der Geschichte.
Es ist hier nicht der Ort, um alle Bücher, Artikel und Dokumente zu behandeln, die in letzter Zeit dem Thema der Russischen Revolution gewidmet worden sind. Es genügt festzuhalten, daß diejenigen, die am meisten Publizität erhalten – z.B. "The Unknown Lenin: from the Soviet Archives" (Der unbekannte Lenin: aus den sowjetischen Archiven) und "Der wahre Lenin" des früheren Archivars des KGB Volkogonow, der behauptet, Zugang zu den unzugänglichsten Dossiers seit 1917 gehabt zu haben – ein sehr genau umschriebenes Ziel haben: zu zeigen, daß Lenin und die Bolschewiki eine Horde von fanatischen Machtgierigen waren, die alles daran gesetzt haben, die demokratischen Errungenschaften der Februarrevolution 1917 rückgängig zu machen und Rußland sowie die Welt in eines der schrecklichsten Experimente der Geschichte zu stürzen. Selbstverständlich "beweisen" diese Herren mit einer minutiösen und detaillierten Aufmerksamkeit, wie der stalinistische Terror nichts anderes war, als die Fortsetzung und Vollendung des leninistischen Terrors. Der Untertitel der deutschen Ausgabe der Arbeit von Volkogonow über Lenin, "Utopie und Terror", faßt die Methode der Bourgeoisie sehr gut zusammen: die Idee, daß die Revolution gerade deshalb im Terror untergegangen ist, weil sie versucht hat, ein utopisches Ideal zu erreichen, nämlich den Kommunismus, der wahrhaftig ein Gegensatz zur menschlichen Natur sei. Ein wichtiges Element in diesem antibolschewistischen Unterfangen ist die Idee, daß der Bolschewismus mit seinem ganzen Diskurs über den Marxismus und die Weltrevolution v.a. ein Ausdruck der Rückständigkeit Rußlands gewesen sei. Diese Leier ist alles andere als neu: Sie war ein Lieblingsthema des "Renegaten Kautsky" nach dem Oktoberaufstand. Aber sie hat später eine beträchtliche akademische Würde angenommen. Eine der besten Studien über die Anführer der Russischen Revolution – "Three who made a revolution" (Drei, die eine Revolution machten) von Betram Wolfe –, die in den 50er Jahren geschrieben wurde, baut diese Idee mit einem besonderen Augenmerk auf Lenin aus. Aus dieser Sicht schuldet der Standpunkt Lenins über die proletarische politische Organisation als einem zahlenmäßig "beschränkten", aus überzeugten Revolutionären zusammengesetzten Körper, mehr den konspiratorischen und geheimen Auffassungen der "Narodniki" und Bakunins als Marx. Solche Historiker stellen diese Auffassungen oft den "ausgeklügelteren", "europäischeren" und "demokratischeren" der Menschewiki gegenüber. Und selbstverständlich wird uns weiter erklärt, daß, da die Form der revolutionären Organisation eng an die Form der Revolution selber gebunden ist, die demokratische menschewistische Organisation uns ein demokratisches Rußland beschert hätte, während die diktatorische bolschewistische Form, ein diktatorisches Rußland zum Resultat hatte.
Es sind nicht nur die offiziellen Sprecher der Bourgeoisie, die solche Ideen kolportieren. Vielmehr werden diese Ideen, leicht anders verpackt, auch durch Anarchisten jeder Art verkauft, die hinsichtlich der Russischen Revolution Spezialisten der Methode sind: "Wir haben es euch schon immer gesagt". "Wir wußten von Anfang an, daß der Bolschewismus schlecht ist und mit Tränen enden würde – all diese Diskurse über die Partei, den Übergangsstaat und die Diktatur des Proletariats konnten nur dahin führen." Aber der Anarchismus hat die Gewohnheit, sich andauernd zu erneuern, und er kann auch viel subtiler auftreten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Argumentation, die eine parasitäre Sorte des Anarchismus, die sich (u.a.) "London Psychogeographical Association" nennt, in Umlauf setzt. Die LPA hat sich warmherzig dem Argument der IKS angeschlossen, wonach der Bakunismus mit seinem ganzen Gerede von Freiheit und Gleichheit, seiner Kritik des marxistischen "Autoritarismus" im Grunde genommen auf zutiefst hierarchischen und sogar esoterischen Sichtweisen beruhte, die eng verbunden waren mit der Freimaurerei. Doch für die LPA ist dies nur die Vorspeise. Im Hauptgang tischt sie auf, daß die bolschewistische Organisationsauffassung die wahre Fortsetzung des Bakunismus und somit der Freimaurerei sei. Der Kreis schließt sich: Die "Kommunisten" der LPA käuen die Reste der Professoren des Kalten Krieges wieder.
Was mit all diesen Verleumdungen des Bolschewismus ins Spiel gebracht wird, ist beträchtlich, und man kann darauf nicht im Rahmen eines einzigen Artikels antworten. Eine kritische Einschätzung der "leninistischen" Organisationsauffassung zu liefern z.B., das Vorurteil zu widerlegen, nach dem sie nichts anderes als eine neue Version des Narodnikitums oder des Bakunismus sei, würde allein eine ganze Artikelserie erfordern. Das Ziel des vorliegenden Artikels ist ein anderes. Es geht darum, eine spezielle Phase der Ereignisse der Russischen Revolution zu untersuchen: die Aprilthesen, die Lenin bei seiner Rückkehr nach Rußland 1917 verteidigte. Dies nicht nur deshalb, weil das fast auf den Monat genaue Jubiläum eine gute Gelegenheit dazu bietet, sondern v.a. darum, weil dieses kurze und präzise Dokument einen vorzüglichen Ausgangspunkt darstellt, um alle Lügen über die bolschewistische Partei zu widerlegen und um das wesentliche über sie nachzuweisen: Diese Partei war nicht das Produkt der russischen Barbarei, eines entstellten Anarchoterrorismus oder eines absoluten Machthungers der Anführer. Der Bolschewismus war v.a. das Produkt des Weltproletariats; unauflöslich verknüpft mit der gesamten marxistischen Tradition, war er nicht der Keim einer neuen Ausbeutungs- oder Unterdrückungsform, sondern die Avantgarde einer Bewegung, die dazu bestimmt war, jeder Ausbeutung und jede Unterdrückung zu beseitigen.
Gegen Ende Februar 1917 traten die Petrograder Arbeiter in Massenstreiks gegen die unerträglichen, durch den imperialistischen Krieg aufgezwungenen Lebensbedingungen. Die Losungen der Bewegung wurden schnell politisch, die Arbeiter verlangten die Beendigung des Krieges und den Umsturz der Autokratie. In wenigen Tagen weitete sich der Streik in andere Städte, große und kleine, aus, und als sich die Arbeiter bewaffneten und mit den Soldaten verbrüderten, wurde der Massenstreik zum Aufstand.
Die Arbeiter erinnerten sich an die Erfahrung von 1905 und zentralisierten den Kampf mit dem Mittel der Sowjets der Arbeiterdeputierten, die durch die Fabrikversammlungen gewählt und jederzeit abwählbar waren. Im Gegensatz zu 1905 begannen die Soldaten und Bauern dem Beispiel in breitem Maßstab zu folgen. Die herrschende Klasse erkannte, daß die Tage der Autokratie gezählt waren, und entledigte sich selbst des Zars; sie rief die Liberalen und die "linken" Parteien, v.a. die diejenigen Elemente, die einst proletarisch gewesen und mit der Unterstützung des Krieges ins bürgerliche Lager übergetreten waren, dazu auf, eine Provisorische Regierung mit dem offen erklärten Ziel zu bilden, Rußland hin zu einem parlamentarisch-demokratischen System zu führen. Effektiv entstand eine Situation der Doppelmacht, da die Arbeiter und Soldaten nur den Sowjets wirklich trauten und die bürgerliche Provisorische Regierung noch nicht in einer genügend starken Lage war, um sie zu ignorieren, geschweige denn, um sie zu beseitigen. Aber diese grundsätzliche Trennungslinie zwischen den Klassen wurde teilweise durch einen demokratischen Euphorienebel verwischt, der nach dem Februaraufstand über das Land fiel. Nachdem der Zar beseitigt worden war und sich das Volk einer nie erlebten Freiheit erfreute, schienen alle für die "Revolution" zu sein – inklusive die demokratischen Verbündeten Rußlands, die hofften, daß dies dem Land erlauben würde, effektiver an den Kriegsanstrengungen teilzunehmen. So stellte sich die Provisorische Regierung als den Hüter der Revolution dar; die Sowjets waren politisch beherrscht durch die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre, die alles daran setzten, um die Räte gegenüber dem neu eingerichteten bürgerlichen Regime zu entmachten. Kurz, die ganze Kraft des Massenstreiks und des Aufstands – die in Wirklichkeit ein Ausdruck einer allgemeineren revolutionären Bewegung war, die aufgrund des Krieges in allen wichtigen kapitalistischen Ländern brütete – wurde auf kapitalistische Bahnen umgeleitet.
Wo standen die Bolschewiki in dieser Situation, die so voller Gefahren und Versprechungen war? Sie befanden sich in einer vollständigen Verwirrung.
"Der erste Monat der Revolution war für den Bolschewismus eine Zeit der Fassungslosigkeit und Schwankungen. Im
‘Manifest’ des Zentralkomitees der Bolschewiki, verfaßt gleich nach dem Siege des Aufstands, hieß es, ‘die Arbeiter der Fabriken und Werkstätten wie auch die aufständischen Truppen müssen sofort ihre Vertreter in die revolutionäre Provisorische Regierung wählen’. (...) Sie handelten nicht wie Vertreter einer proletarischen Partei, die sich zum selbständigen Kampf um die Macht vorbereitet, sondern als linker Flügel der Demokratie, der, seine Prinzipien verkündend, die Absicht hat, während einer unbestimmt langen Zeit die Rolle der loyalen Opposition zu spielen."
Als Stalin und Kamenew im März 1917 die Führung der Partei übernahmen, standen sie noch weiter rechts. Stalin entwickelte eine Theorie über die sich ergänzenden Rollen der Provisorischen Regierung und der Sowjets. Schlimmer noch: Das offizielle Organ der Partei, die Prawda, nahm offen eine Position zur Verteidigung des Krieges ein: "Nicht das inhaltlose ‘Nieder mit dem Krieg’ ist unsere Losung. Unsere Losung ist – der Druck auf die Provisorische Regierung mit dem Ziele, sie zu zwingen ... mit einem Versuch hervorzutreten, alle kämpfenden Länder zur sofortigen Aufnahme von Friedensverhandlungen zu bewegen ... Bis dahin bleibt aber jeder auf seinem Kampfposten!"
Trotzki berichtet, wie zahlreiche Mitglieder der Partei zutiefst beunruhigt und sogar wütend auf das opportunistische Abgleiten der Partei reagierten. Aber sie waren programmatisch nicht ausgerüstet, um der Position der Führung entgegenzutreten, da sie auf der Perspektive zu fußen schien, die Lenin selbst entwickelt hatte und die während eines ganzen Jahrzehnts die offizielle Position der Partei dargestellt hatte: die Perspektive der "demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern". Das Wesen dieser Theorie bestand darin, daß die Revolution in Rußland, obwohl sie ökonomisch gesprochen bürgerlicher Natur sein werde, nicht von der russischen Bourgeoisie getragen werden könne, da diese zu schwach sei. Deshalb müsse die kapitalistische Modernisierung Rußlands durch das Proletariat und die ärmsten Schichten der Bauern wahrgenommen werden. Diese Position befindet sich zwischen derjenigen der Menschewiki – die vorgeben, orthodoxe Marxisten zu sein, und folglich vertreten, die Aufgabe des Proletariats bestehe darin, die Bourgeoisie in ihrem Kampf gegen den Absolutismus kritisch zu unterstützen, bis Rußland reif für den Sozialismus sei – und derjenigen von Trotzki, dessen Theorie der "permanenten Revolution", die er nach den Ereignissen von 1905 entwickelte, davon ausgeht, daß die Arbeiterklasse in der kommenden Revolution an die Macht getrieben und gezwungen sein würde, über die bürgerliche Etappe der Revolution hinauszugehen, bis zur sozialistischen Phase unter der einzigen Bedingung, daß die russische Revolution mit einer sozialistischen Revolution in den industrialisierten Ländern zusammenfällt oder sie hervorruft.
In Tat und Wahrheit ist die Theorie Lenins bestenfalls das Produkt einer Epoche, wo es immer offensichtlicher wird, daß die russische Bourgeoisie keine revolutionäre Kraft ist, aber wo auch noch nicht klar ist, daß die Zeit der internationalen sozialistischen Revolution angebrochen ist. Doch die Überlegenheit der These Trotzkis liegt gerade darin, daß sie von einem internationalen, statt einfach einem russischen Rahmen ausgeht; und Lenin selber hat sich trotz seiner zahlreichen und scharfen Divergenzen mit Trotzki nach den Ereignissen von 1905 verschiedentlich des Begriffs der permanenten Revolution bedient.
In der Praxis erwies sich die Idee der "demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern" als substanzlos; die "orthodoxen Leninisten", die diese Formel 1917 wieder aufgriffen, benützten sie als Feigenblatt für ihr ganz banales Abgleiten zum Menschewismus. Kamenew behauptete mit Nachdruck, daß man die Provisorische Regierung kritisch unterstützen müsse, da die bürgerlich demokratische Phase noch nicht abgeschlossen sei: Dies entsprach kaum noch der ursprünglichen Auffassung von Lenin, die die Tatsache unterstrich, daß die Bourgeoisie unweigerlich mit der Autokratie paktieren würde. Es gab sogar ernsthafte Versuche einer Wiedervereinigung zwischen den Menschewiki und den Bolschewiki.
Die politisch entwaffnete bolschewistische Partei zieht es so Richtung Kompromiß und Verrat. Die Zukunft der Revolution steht auf dem Spiel, als Lenin aus dem Exil zurückkommt.
In seiner Geschichte der Russischen Revolution gibt Trotzki uns eine genaue Beschreibung der Ankunft Lenins am 3. April 1917 im Finnländischen Bahnhof von Petrograd. Der Petrogrades Sowjet, der noch von Menschewiki und Sozialrevolutionären beherrscht ist, organisierte eine große Empfangsfeier und hieß Lenin mit Blumen willkommen. Im Namen des Sowjets empfängt Tschcheidse Lenin mit den folgenden Worten:
"Genosse Lenin, im Namen des Petersburger Sowjets und der gesamten Revolution begrüßen wir Sie in Rußland ... Aber wir sind der Ansicht, daß die Hauptaufgabe der revolutionären Demokratie jetzt in der Verteidigung unserer Revolution gegen alle Anschläge, von innen wie von außen, besteht ... Wir hoffen, daß Sie gemeinsam mit uns diese Ziele verfolgen werden."
Die Antwort von Lenin richtete sich nicht an die Führer des Empfangskomitees, sondern an die Hunderte von Arbeitern und Soldaten, die zum Bahnhof geströmt waren:
"Liebe Genossen, Soldaten, Matrosen und Arbeiter! Ich bin glücklich, in eurer Person die siegreiche Russische Revolution zu begrüßen, euch als die Avantgarde der proletarischen Weltarmee zu begrüßen ... Die Stunde ist nicht fern, wo auf den Ruf unseres Genossen Karl Liebknecht die Völker die Waffen gegen ihre Ausbeuter, die Kapitalisten, richten werden ... Die Russische Revolution, von euch vollbracht, hat eine neue Epoche eingeleitet. Es lebe die sozialistische Weltrevolution ..."
So geht der Spielverderber Lenin mit dem demokratischen Karneval von allem Anfang an um. In dieser Nacht arbeitete Lenin seinen Standpunkt zu einer zweistündigen Rede aus, die mehr noch all die Demokraten und sentimentalen Sozialisten vor den Kopf stoßen würde, die wollten, daß die Revolution nicht weitergehe als es diejenige des Februars getan hatte, die den Massenstreiks der Arbeiter applaudierten, als diese den Zaren verjagten und der Provisorischen Regierung erlaubten, die Macht zu ergreifen, die aber jede weitere Polarisierung zwischen den Klassen fürchteten. Am folgenden Tag legte Lenin in einer gemeinsamen Sitzung der Bolschewiki und der Menschewiki das vor, was später unter dem Namen der Aprilthesen bekannt wurde. Sie sind ziemlich kurz, so daß sie hier in voller Länge abgedruckt werden können:
"1. In unserer Stellung zum Krieg, der von seiten Rußlands auch unter der neuen Regierung Lwow und Co. – infolge des kapitalistischen Charakters dieser Regierung – unbedingt ein räuberischer, imperialistischer Krieg bleibt, sind auch die geringsten Zugeständnisse an die ‘revolutionäre Vaterlandsverteidigung’ unzulässig.
Einem revolutionären Krieg, der die Vaterlandsverteidigung wirklich rechtfertigen würde, kann das klassenbewußte Proletariat seine Zustimmung nur unter folgenden Bedingungen geben: a) Übergang der Macht in die Hände des Proletariats und der sich ihm anschließenden ärmsten Teile der Bauernschaft; b) Verzicht auf alle Annexionen in der Tat und nicht nur in Worten; c) tatsächlicher und völliger Bruch mit allen Interessen des Kapitals.
In Anbetracht dessen, daß breite Schichten der revolutionären Vaterlandsverteidiger aus der Masse es zweifellos ehrlich meinen und den Krieg anerkennen in dem Glauben, daß er nur aus Notwendigkeit und nicht um Eroberungen geführt werde, in Anbetracht dessen, daß sie von der Bourgeoisie betrogen sind, muß man sie besonders gründlich, beharrlich und geduldig über ihren Irrtum, über den untrennbaren Zusammenhang von Kapital und imperialistischem Krieg aufklären, muß man den Nachweis führen, daß es ohne den Sturz des Kapitals unmöglich ist, den Krieg durch einen wahrhaft demokratischen Frieden und nicht durch einen Gewaltfrieden zu beenden.
Organisierung der allerbreitesten Propaganda dieser Auffassung unter den Fronttruppen.
Verbrüderung.
2. Die Eigenart der gegenwärtigen Lage in Rußland besteht im Übergang von der ersten Etappe der Revolution, die infolge des ungenügend entwickelten Klassenbewußtseins und der ungenügenden Organisiertheit des Proletariats der Bourgeoisie die Macht gab, zur zweiten Etappe der Revolution, die die Macht in die Hände des Proletariats und der ärmsten Schichten der Bauernschaft legen muß.
Dieser Übergang ist gekennzeichnet einerseits durch ein Höchstmaß an Legalität (Rußland ist zur Zeit von allen kriegführenden Ländern das freieste Land der Welt), andererseits dadurch, daß gegen die Massen keine Gewalt angewandt wird, und schließlich durch die blinde Vertrauensseligkeit der Massen gegenüber der Regierung der Kapitalisten, der ärgsten Feinde des Friedens und des Sozialismus.
Diese Eigenart fordert von uns die Fähigkeit, uns den besonderen Bedingungen der Parteiarbeit unter den unerhört breiten, eben erst zum politischen Leben erwachten Massen des Proletariats anzupassen.
3. Keinerlei Unterstützung der Provisorischen Regierung, Aufdeckung der ganzen Verlogenheit aller ihrer Versprechungen, insbesondere hinsichtlich des Verzichts auf Annexionen, Entlarvung der Provisorischen Regierung statt der unzulässigen, Illusionen erweckenden ‘Forderung’, diese Regierung, die Regierung der Kapitalisten, solle aufhören, imperialistisch zu sein.
4. Anerkennung der Tatsache, daß unsere Partei in den meisten Sowjets der Arbeiterdeputierten in der Minderheit, vorläufig sogar in einer schwachen Minderheit ist gegenüber dem Block aller kleinbürgerlichen opportunistischen Elemente, die dem Einfluß der Bourgeoisie erlegen sind und diesen Einfluß in das Proletariat hineintragen – von den Volkssozialisten und Sozialrevolutionären bis zum Organisationskomitee (Tschcheidse, Zereteli usw.), Steklow usw. usf.
Aufklärung der Massen darüber, daß die Sowjets der Arbeiterdeputierten die einzig mögliche Form der revolutionären Regierung sind und daß daher unsere Aufgabe, solange sich diese Regierung von der Bourgeoisie beeinflussen läßt, nur in geduldiger, systematischer, beharrlicher, besonders den praktischen Bedürfnissen der Massen angepaßter Aufklärung über die Fehler ihrer Taktik bestehen kann.
Solange wir in der Minderheit sind, besteht unsere Arbeit in der Kritik und Klarstellung der Fehler, wobei wir gleichzeitig die Notwendigkeit der Übergangs der gesamten Staatsmacht an die Sowjets der Arbeiterdeputierten propagieren, damit die Massen sich durch die Erfahrung von ihren Irrtümern befreien.
5. Keine parlamentarische Republik – von den Sowjets der Arbeiterdeputierten zu dieser zurückzukehren wäre ein Schritt rückwärts –, sondern eine Republik der Sowjets der Arbeiter, Landarbeiter- und Bauerndeputierten im ganzen Land, von unten bis oben.
Abschaffung der Polizei, der Armee, der Beamtenschaft.
Entlohnung aller Beamten, die durchweg wählbar und jederzeit absetzbar sein müssen, nicht über den Durchschnittslohn eines guten Arbeiters hinaus.
6. Im Agrarprogramm Verlegung des Schwergewichts auf die Sowjets der Landarbeiterdeputierten.
Konfiskation aller Gutbesitzerländereien.
Nationalisierung des gesamten Bodens im Lande; die Verfügungsgewalt über den Boden liegt in den Händen der örtlichen Sowjets der Landarbeiter- und Bauerndeputierten. Bildung besonderer Sowjets von Deputierten der armen Bauern. Schaffung von Musterwirtschaften aus allen großen Gütern (im Umfang von etwa 100 bis 300 Desjatinen, je nach den örtlichen und sonstigen Verhältnissen und nach dem Ermessen der örtlichen Institutionen) unter Kontrolle der Landarbeiterdeputierten und für Rechnung der Gesellschaft.
7. Sofortige Verschmelzung aller Banken des Landes zu einer Nationalbank und Errichtung der Kontrolle über die Nationalbank durch den Sowjet der Arbeiterdeputierten.
8. Nicht ‘Einführung’ des Sozialismus als unsere unmittelbare Aufgabe, sondern augenblicklich nur Übergang zur Kontrolle über die gesellschaftliche Produktion und die Verteilung der Erzeugnisse durch den Sowjet der Arbeiterdeputierten.
9. Aufgaben der Partei:
a) sofortige Einberufung des Parteitags;
b) Änderung der Parteiprogramms, in der Hauptsache in folgenden Punkten:
1. Imperialismus und imperialistischer Krieg;
2. Stellung zum Staat und unsere Forderung eines ‘Kommunestaates’;
3. Berichtigung des veralteten Minimalprogramms;
c) Änderung des Namens der Partei.
10. Erneuerung der Internationale.
Initiative zur Gründung einer revolutionären Internationale, einer Internationale gegen die Sozialchauvinisten und gegen das ‘Zentrum’."
Zalewski, Mitglied des bolschewistischen Zentralkomitees, faßte die Reaktion auf die Thesen Lenins in der Partei und der Arbeiterbewegung folgendermaßen zusammen: "Die Thesen Lenins hatten die Wirkung einer explodierenden Bombe." Die anfängliche Reaktion war Ungläubigkeit, und ein Regen von Verdrehungen prasselte auf Lenin nieder: Er sei zu lange im Exil gewesen und habe so den Kontakt mit der Russischen Revolution verloren, seine Ansichten über die Perspektive der Revolution seien in den "Trotzkismus" abgeglitten und seine Position über die Machtergreifung durch die Sowjets stelle einen Schritt zurück zum Blanquismus, Abenteurertum und Anarchismus dar. Goldberg, ein früheres Mitglied des bolschewistischen Zentralkomitees, nun außerhalb der Partei, äußerte sich dazu folgendermaßen: "Während einigen Jahren war der Platz von Bakunin in der Russischen Revolution unbesetzt; nun ist er von Lenin eingenommen worden." Kamenew sah in den Auffassungen Lenins für die Bolschewiki gar eine Behinderung, als Massenpartei zu funktionieren, indem er ihre Rolle auf eine "Gruppe von kommunistischen Propagandisten reduziere".
Dies war nicht das erste Mal, daß sich die "alten Bolschewiki" im Namen des Leninismus an alten Formeln festklammerten. Schon 1905 stützte sich die anfängliche Reaktion der Bolschewiki gegenüber dem Auftauchen der Räte auf eine mechanische Interpretation von Lenins Kritik am Spontaneismus in "Was Tun?". Die Parteileitung hatte den Petrograder Sowjet sogar aufgefordert, sich der Partei zu unterwerfen oder sich aufzulösen. Lenin hatte als einer der Ersten die Bedeutung der Räte als Organ der proletarischen Macht verstanden und jene Auffassungen kategorisch verworfen. Er bestand darauf, sich nicht die Frage "Sowjet oder Partei" zu stellen, sondern "Sowjet und Partei", da sie beide eine sich gegenseitig ergänzende Rolle haben. Schon damals hatte Lenin diesen "Leninisten" eine Lehre über die marxistische Methode erteilt, indem er ihnen aufzeigte, daß der Marxismus das Gegenteil eines toten Dogmas ist, sondern eine wissenschaftliche und lebendige Theorie, welche dauernd im Laboratorium der sozialen Bewegung bestätigt wird. Die Aprilthesen sind ein Beispiel der Fähigkeit des Marxismus, überholte Auffassungen im Lichte des Klassenkampfes auszusondern, anzupassen, zu verbessern und zu bereichern: "Jetzt gilt es, sich die unbestreitbare Wahrheit zu eigen zu machen, daß der Marxist mit dem lebendigen Leben, mit den exakten Tatsachen der Wirklichkeit rechnen muß, statt sich an die Theorie von gestern zu klammern, die, wie jede Theorie, bestenfalls nur das Grundlegende, Allgemeine aufzeigt und die Kompliziertheit des Lebens nur annähernd erfaßt. ‘Grau, treuer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldener Baum.’" Und im selben Brief warnte Lenin, "es jenen ‘alten Bolschewiki’ gleichzutun, die schon mehrmals eine traurige Rolle in der Geschichte unserer Partei gespielt haben, indem sie sinnlos eine auswendig gelernte Formel wiederholt haben, anstatt die Eigenart der neuen, der lebendigen Wirklichkeit zu studieren."
Für Lenin bestand die "Demokratische Diktatur" in den Deputiertenräten der Arbeiter und Bauern und war somit zu einer veralteten Formel verkommen. Die wichtigste Aufgabe der Bolschewiki war nun das Vorwärtsstoßen der proletarischen Dynamik innerhalb dieser breiten sozialen Bewegung in Richtung eines Kommune-Staates in Rußland, als erster Meilenstein der sozialistischen Weltrevolution. Man kann sich über die Bemühungen Lenins, die Ehre der alten Formeln zu retten, streiten, aber das Wesentliche in seinen Bemühungen war die Fähigkeit, die Zukunft der Bewegung zu sehen und daraus mit veralteten Methoden zu brechen.
Die marxistische Methode ist nicht nur dialektisch und dynamisch, sie ist auch global, sie stellt jede Teilfrage in einen internationalen und historischen Rahmen. Und genau dies erlaubte Lenin, den wirklichen Sinn der Ereignisse zu erkennen. Seit 1914 hatten die Bolschewiki mit Lenin an der Spitze und im Bewußtsein der Dekadenz des Kapitalismus und der angebrochenen Etappe der proletarischen Weltrevolution, die konsequenteste internationalistische Haltung gegen den imperialistischen Krieg verteidigt. Dies war der Dreh- und Angelpunkt der Position der "Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Bürgerkrieg", die Lenin gegen alle Variationen des Chauvinismus und Pazifismus verteidigte. Sich immer eng an dieser Analyse orientierend, verfiel Lenin nie der Idee, daß die Beteiligung an der Macht der Provisorischen Regierung den imperialistischen Charakter des Krieges verändern würde, und er hielt sich in seinen Kritiken gegenüber denjenigen Bolschewiki, welche diesem Irrtum verfallen waren, nicht zurück: "Die "Prawda" fordert von der Regierung, sie solle auf Annexionen verzichten. Von einer Regierung der Kapitalisten verlangen, sie soll auf Annexionen verzichten – ist Unsinn, schreiender Hohn..."
Die Unnachgiebigkeit in der Verteidigung der internationalistischen Haltung gegenüber dem Krieg war eine Notwendigkeit, um das opportunistische Abgleiten der Partei zu verhindern. Es war aber auch Ausgangspunkt zur theoretischen Liquidierung der Formel der "Demokratischen Diktatur" und aller anderen menschewistischen Rechtfertigungen zur Unterstützung der Bourgeoisie. Das Argument, das rückständige Rußland sei für den Sozialismus noch nicht reif, beantwortete Lenin als wahrer Internationalist in der These Nr. 8: "Nicht die "Einführung" des Sozialismus als unsere unmittelbare Aufgabe, sondern augenblicklich nur Übergang zur Kontrolle über die gesellschaftliche Produktion und die Verteilung der Erzeugnisse durch den Sowjet der Arbeiterdeputierten."
Rußland alleine war für den Sozialismus nicht reif, doch der imperialistische Krieg hatte gezeigt, daß der Kapitalismus weltweit wahrlich mehr als nur reif war. Daher bei der Ankunft im Finnländischen Bahnhof auch der Appell Lenins an die Arbeiter, bei der Machtübernahme als eine Vorhut der internationalen proletarischen Armee zu handeln – daher auch der Aufruf zu einer neuen Internationale am Ende der Aprilthesen. Und für Lenin, wie für alle wahrhaften Internationalisten von damals, war die Weltrevolution nicht nur einfach ein heiliges Gelübde, sondern eine konkrete Perspektive, die sich aus der internationalen proletarischen Revolte gegen den Krieg entwickelte, aus den Streiks in England und Deutschland, den politischen Demonstrationen, den Meutereien und Verbrüderungen in den Armeen der wichtigsten Länder und der revolutionären Springflut in Rußland selbst. Diese Perspektive, zum damaligen Zeitpunkt noch embryonal, sollte sich nach dem Oktoberaufstand durch die Ausbreitung der revolutionären Welle auf Italien, Ungarn, Österreich und vor allem Deutschland voll und ganz bestätigen.
Die Verteidiger des "orthodoxen" Marxismus unterstellten Lenin blanquistische und anarchistische Auffassungen zur Frage der Machtergreifung und des Charakters des nachrevolutionären Staates. Blanquistisch, weil er angeblich für einen Staatsstreich durch eine Minderheit eintrete – entweder durch die alleine agierenden Bolschewiki oder das Industrieproletariat unter Ausschluß der bäuerlichen Mehrheit. Bakunistisch deshalb, weil die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie eine Konzession an die unpolitischen Vorurteile der Anarchisten und Anarchosyndikalisten sei.
In seinen "Briefen über die Taktik" verteidigte Lenin die Aprilthesen gegen die erste Anschuldigung: "Ich habe mich in meinen Thesen entschieden von jedem Überspringen der noch nicht überwundenen bäuerlichen oder überhaupt kleinbürgerlichen Bewegung, von jedem Spiel mit der "Machtergreifung" durch eine Arbeiterregierung, von jedem blanquistischen Abenteuer abgegrenzt, denn ich habe direkt auf die Erfahrungen der Pariser Kommune verwiesen. Diese Erfahrungen haben aber bekanntlich, wie Marx 1871 und Engels 1891 eingehend nachgewiesen haben, gezeigt, daß für Blanquismus kein Platz war, sie haben klar gezeigt, daß die direkte, unmittelbare, unbedingte Herrschaft der Mehrheit und die Aktivität der Massen nur in dem Maße gesichert waren, wie die Mehrheit selbst bewußt auftrat.
In Bezug auf die anarchistischen Positionen über den Staat unterstrich Lenin im April, wie er es in ausführlicher Art und Weise schon in "Staat und Revolution" gemacht hatte, daß die "orthodoxen" Marxisten mit Kautsky und Plechanov an der Spitze die wahren Lehren von Marx und Engels unter einem Haufen von parlamentarischen Verwünschungen begraben hatten. Die Erfahrung der Kommune hatte gezeigt, daß die Aufgabe des Proletariats in der Revolution nicht die Bemächtigung des alten Staates ist, sondern seine Zerstörung in Grund und Boden, und sie hatte gezeigt, daß das neue Instrument der proletarischen Macht, der Kommune-Staat, nicht auf den Prinzipien der parlamentarischen Repräsentation beruht, die nichts anderes als eine Fassade zur Verschleierung der Macht der Bourgeoise ist, sondern auf direkten Mandaten und der jederzeitigen Abwählbarkeit durch die bewaffneten und selbstorganisierten Massen. Durch die Bildung der Sowjets haben die Erfahrung von 1905 und die 1917 aufflammende Revolution diese Perspektive nicht nur bestätigt, sondern um vieles bereichert. Wenn die Pariser Kommune noch einen "volkstümlichen" Charakter hatte, in der alle ausgebeuteten Klassen der Gesellschaft gleich beteiligt waren, so hatten nun die Sowjets einen höherstehenden Charakter, da sie dem Proletariat erlaubten, sich eigenständig und klassenautonom innerhalb der ganzen Massenbewegung zu organisieren. In ihrer Gesamtheit stellten die Sowjets schließlich einen neuen Staat dar, mit einer anderen Qualität als der alte bürgerliche Staat, aber trotzdem noch einen Staat. Hier unterschied sich Lenin auf klarste Art und Weise vom Anarchismus: "...denn der Anarchismus ist die Verneinung der Notwendigkeit des Staates und der Staatsmacht für die Epoche des Übergangs von der Herrschaft der Bourgeoisie zur Herrschaft des Proletariates. Ich aber trete mit einer Bestimmtheit, die jede Möglichkeit eines Mißverständnisses ausschließt, für die Notwendigkeit des Staates in dieser Epoche ein, jedoch – in Übereinstimmung mit Marx und mit den Erfahrungen der Pariser Kommune – nicht des gewöhnlichen bürgerlich-parlamentarischen Staates, sondern eines Staates ohne stehendes Heer, ohne eine gegen das Volk gerichtete Polizei, ohne eine über das Volk gestellte Beamtenschaft.
Wenn Herr Plechanov in seinem "Jedinstwo" aus Leibeskräften über Anarchismus zetert, so ist das nur ein weiterer Beweis für seinen Bruch mit dem Marxismus."
Die Anschuldigung, Lenin habe einen blanquistischen Staatsstreich geplant, hängt eng mit dem Irrglauben zusammen, sein Ziel sei lediglich die Machtergreifung der eigenen Partei gewesen. Dies war denn auch eine der Hauptachsen der bürgerlichen Propaganda nach der Russischen Revolution. Es wurde behauptet, in Rußland handle es sich um nichts anderes als um einen bolschewistischen Staatsstreich. Wir wollen hier nicht auf alle Einzelheiten und Schattierungen dieser Verdrehungen eingehen. In seinem Buch "Die Geschichte der Russischen Revolution" lieferte schon Trotzki demgegenüber eine der treffendsten Antworten, indem er aufzeigte, daß es nicht die bolschewistische Partei, sondern die Sowjets waren, die im Oktober 1917 die Macht übernommen hatten. Eines der Hauptargumente all dieser Auffassungen ist jedoch immer wieder, die Positionen Lenins zur Partei als einer einheitlichen und stark zentralisierten Organisation führe unweigerlich zu einem Putsch einer Minderheit wie angeblich 1917, zum "Roten Terror" und schließlich zum Stalinismus.
Wie schon erwähnt, hat diese Auseinandersetzung ihre Wurzeln in der Spaltung zwischen Bolschewiki und Menschewiki, doch ist hier nicht der Platz, alle Einzelheiten dieser entscheidenden Epoche neu aufzurollen. Lenins Auffassungen über die revolutionäre Organisation wurden damals als jakobinerhaft, elitär, militaristisch oder gar terroristisch verunglimpft. Selbst herausragende Marxisten, unter ihnen Rosa Luxemburg und Trotzki, übten Lenin gegenüber solche Kritik. Wir streiten nicht ab, daß die damaligen Auffassungen Lenins über die Organisationsfragen Fehler enthielten, so zum Beispiel 1902 die Wiederaufnahme von Kautskys These, nach der das Bewußtsein von außen in die Arbeiterklasse hineingetragen werden müsse, oder seine Auffassungen zum Verhältnis zwischen Partei und Staat. Aber ganz im Gegenteil zu den Menschewiki von damals und ihren anarchistischen, sozialdemokratischen und rätistischen Nachfolgern, stellen für uns diese Fehler keinesfalls das Entscheidende dar, so wie auch die Fehler, die während der Pariser Kommune oder der Russischen Revolution begangen wurden, nicht der Kernpunkt für die Analyse darstellen. Das Entscheidende ist der Kampf, den Lenin in seinem ganzen Leben für den Aufbau der revolutionären Organisation geführt hat und dessen historische Bedeutung innerhalb der Arbeiterbewegung. Lenin legte gerade auch für die Revolutionäre von heute unersetzbare Grundlagen zum Verständnis der internen Funktionsweise der Organisation und ihrer Rolle, die sie innerhalb der Klasse einnimmt.
Die "engherzige" Organisationsauffassung der Bolschewiki, die Lenin der menschewistischen "Offenherzigkeit" gegenüberstellte, war nicht, wie viele oberflächliche Analysen behaupten, nur ein Produkt der Bedingungen, welche die zaristische Repression setzte. Gleich wie die Massenstreiks und revolutionären Erhebungen 1905 nicht das letzte Echo der bürgerlichen Revolutionen des neunzehnten Jahrhunderts waren, sondern die aufkommende Perspektive des Klassenkampfes im dekadenten Kapitalismus aufzeichneten, so waren auch die bolschewistischen Vorstellungen einer Partei aus entschlossenen Revolutionären mit einem klaren Programm und zentralisierter Funktionsweise ein weitsichtiges Begreifen der Rolle und Struktur der Partei unter den Bedingungen des dekadenten Kapitalismus, der Epoche der proletarischen Revolution. Die Menschewiki orientierten sich in ihren Organisationsauffassungen nicht, wie viele Anti-Bolschewiki behaupteten, an westlichen Organisationsmodellen, sondern vor allem an der überholten Vergangenheit sozialdemokratischer Massenparteien, welche die Klasse vereinigten und vor allem auf parlamentarischer Ebene repräsentierten. Und ganz im Gegensatz zu allen Anschuldigungen, nach denen die Bolschewiki in die archaischen, rückständigen Umstände Rußlands verwickelt gewesen seien, und deshalb zu einem konspirativen Organisationsmodell gegriffen hätten, waren es die Bolschewiki, die vorwärts blickten, vorwärts in eine turbulente revolutionäre Periode, welche nicht durch eine Partei organisiert, geplant oder einverleibt werden konnte. Eine Periode jedoch, welche die Rolle der Partei wie nie zuvor umrissen hat: "Verlassen wir nämlich das pedantische Schema eines künstlich von Partei und Gewerkschafts wegen kommandierten demonstrativen Massenstreiks der organisierten Minderheit und wenden wir uns dem lebendigen Bilde einer aus äußerster Zuspitzung der Klassengegensätze und der politischen Situation mit elementarer Kraft entstehenden wirklichen Volksbewegung zu, (...) so muß offenbar die Aufgabe der Sozialdemokratie nicht in der technischen Vorbereitung und Leitung des Massenstreiks, sondern vor allem in der politischen Führung der ganzen Bewegung bestehen."
Mit diesen Worten beschrieb Rosa Luxemburg in ihrer herausragenden Analyse die Bedeutung des Massenstreiks und die neuen Bedingungen des internationalen Klassenkampfes. Rosa Luxemburg, welche 1903, zur Zeit der Spaltung innerhalb der russischen Sozialdemokratie, noch eine der bissigsten Kritiken an Lenin geübt hatte, stimmte nun mit den grundlegenden Elementen der bolschewistischen Organisationsauffassung überein.
Mit größter Klarheit sind diese wichtigsten Eckpfeiler in den Aprilthesen umrissen, diese verwerfen jegliche Auffassung einer "Revolution von oben": "Solange wir in der Minderheit sind, besteht unsere Arbeit in der Kritik und Klarstellung der Fehler, wobei wir gleichzeitig die Notwendigkeit des Übergangs der gesamten Staatsmacht an die Sowjets der Arbeiterdeputierten propagieren, damit die Massen sich durch die Erfahrungen von ihren Irrtümern befreien." Diese Arbeit der "geduldigen, systematischen und beharrlichen Aufklärung" ist haargenau die Rolle einer politischen Führung in einer revolutionären Periode. Der Aufstand im Oktober 1917 wäre unmöglich gewesen ohne die vorangegangene Übernahme der revolutionären bolschewistischen Positionen durch die Sowjets. Doch bevor dies möglich war, stand der Sieg von Lenins Positionen innerhalb der bolschewistischen Partei auf der Tagesordnung, und dies bedingte einen langen und kompromißlosen Kampf, der mit Lenins Ankunft in Rußland begonnen hatte.
"Wir sind keine Scharlatane, wir stützen uns lediglich auf das Bewußtsein der Massen."
Diese Rolle genügte den "alten Bolschewiki", welche "handfestere" Pläne hatten, nicht. Sie wollten sich an der existierenden "bürgerlichen Revolution" beteiligen und erstrebten wie früher einen massiven Einfluß der bolschewistischen Partei in den Massen. Wie die Worte Kamenews zeigen, waren sie entsetzt über den Gedanken, daß die Partei mit ihren "reinen" Positionen in der Ecke verharren müsse, reduziert auf eine "Gruppe von propagandistischen Kommunisten".
Für Lenin war es keine Kunst, diese Positionen bloßzustellen, hatten doch die Chauvinisten nicht schon dieselben Argumente zu Beginn des Krieges gegenüber den Internationalisten ins Feld geführt und behauptet, sie würden den Kontakt mit den Massen aufrechterhalten, während sie die Bolschewiki und Spartakisten als marginale Sekten bezeichneten. Nun dieselben Argumente aus dem Munde eines bolschewistischen Genossen zu hören war verwirrend, doch dies stumpfte die Schärfe von Lenins Antwort keinesfalls ab: "Genosse Kamenew stellt die ‘Partei der Massen’ einer ‘Gruppe von Propagandisten’ entgegen. Aber die ‘Massen’ sind ja gerade jetzt dem Taumel der ‘revolutionären’ Vaterlandsverteidigung erlegen. Ist es in einem solchen Augenblick nicht auch für die Internationalisten geziemender, dem ‘Massen’taumel zu widerstehen, als bei den Massen ‘bleiben zu wollen’, d.h. Opfer der allgemeinen Seuche zu werden? Haben wir nicht in allen kriegführenden europäischen Ländern gesehen, wie die Chauvinisten sich damit zu rechtfertigen suchten, daß es ihr Wunsch sei, ‘bei den Massen zu bleiben’? Müssen wir es nicht verstehen, eine gewisse Zeit lang gegen den ‘Massen’taumel in der Minderheit zu sein? Ist es den nicht die Arbeit eben der Propagandisten gerade im gegenwärtigen Augenblick der Angelpunkt, um die proletarische Linie frei zu machen von dem kleinbürgerlichen ‘Massen’taumel der Vaterlandsverteidigung? Gerade das Ineinanderfliessen der Massen, der proletarischen wie der nichtproletarischen, ungeachtet der Klassenunterschiede innerhalb der Massen, war eine Voraussetzungen der Vaterlandsverteidigungspsychose. Es ist wahrlich wenig angebracht, verächtlich von einer ‘Gruppe von Propagandisten’ der proletarischen Linie zu reden."
Dieser Wille gegen den Strom zu schwimmen und in der Minderheit zu sein, um die Klassenprinzipien klar und präzise zu verteidigen, hatte nichts puritanisches oder sektiererisches an sich. Im Gegenteil basierte er auf einem Verständnis der wirklichen Bewegung innerhalb der Klasse und auf der Fähigkeit, den fortgeschrittensten Elementen des Proletariates eine Richtung und Orientierung zu geben.
Trotzki zeigte auf, wie Lenin auf dem Weg zur Eroberung der Partei für seine Positionen und die Verteidigung der "proletarischen Linie" innerhalb der gesamten Klasse die Unterstützung dieser Elemente suchte: "Gegen die alten Bolschewiki fand Lenin in einer anderen, bereits gestählten, aber frischeren und mehr in den Massen verbundenen Parteischicht eine Stütze. In der Februarrevolution hatten die bolschewistischen Arbeiter, wie wir wissen, eine entscheidende Rolle gespielt. Sie betrachteten es als selbstverständlich, daß jene Klasse die Macht übernehmen müsse, die den Sieg errungen hatte. Diese Arbeiter hatten stürmisch gegen den Kurs Kamenew-Stalin protestiert und der wyborger Bezirk sogar mit dem Ausschluß der "Führer" aus der Partei gedroht. Das gleiche war in der Provinz zu beobachten. Fast überall gab es linke Bolschewiki, die man des Maximalismus und sogar des Anarchismus beschuldigte. Den revolutionären Arbeitern mangelten nur die theoretischen Mittel, um ihre Positionen zu verteidigen. Doch waren sie bereit, den ersten Zuruf mit Widerhall zu beantworten."
Die Fähigkeit Lenins, die wirkliche Dynamik innerhalb der sozialen Bewegung zu erkennen, ist ein weiteres Beispiel der Bereicherung der marxistischen Methode. Später, in den Zwanzigerjahren, griff Lenin selbst auf das Argument "innerhalb der Massen" zu bleiben zurück, um die "Einheitsfront" und die organisatorische Vereinigung mit den zentristischen Organisationen zu rechtfertigen; Zeichen eines Verlustes über das Verständnis der marxistischen Methode und Abgleitens der Partei in den Opportunismus. Doch dies war das Resultat der Isolierung der Russischen Revolution und der Fusion der Bolschewiki mit dem Staat. Während der aufsteigenden Phase der Russischen Revolution war Lenin mit seinen Aprilthesen nie ein isolierter Prophet, nie ein Weltverbesserer unter den vulgären Massen, sondern die klarste Stimme der revolutionärsten Tendenz innerhalb des Proletariates. Eine Stimme, welche mit höchster Präzision den Weg aufzeigte der zum Oktoberaufstand führte. Amos.
Zu Beginn der Revolution hatte das Proletariat die Macht der Bourgeoisie abgegeben, eine Tatsache, die keinen Marxisten überraschen darf, "denn wir haben es stets gewußt und viele Male darauf hingewiesen, daß die Bourgeoisie sich nicht nur mittels der Gewalt hält, sondern auch infolge der mangelnden Bewußtheit der Massen, ihrer Unfähigkeit, vom Althergebrachten loszukommen, ihrer Verschüchterung, ihrer Unorganisiertheit." Somit war die Hauptaufgabe der Bolschewiki die Entwicklung des Klassenbewußtsein und die Organisierung der Arbeitermassen.
Ich haben in den Thesen mit größter Bestimmtheit den Kampf um den Einfluß innerhalb der Sowjets der Arbeiter-, Landarbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten in den Mittelpunkt gestellt. Um auch nicht den leisesten Zweifel in dieser Beziehung aufkommen zu lassen, habe ich in den Thesen zweimal die Notwendigkeit der geduldigen, beharrlichen, ‘den praktischen Bedürfnissen der Massen angepaßten’ ‘Aufklärungs’arbeit betont."
In den ersten beiden Teilen dieser Reihe haben wir Ursprung und Entwicklung der Allianz Bakunins und die Art und Weise aufgezeigt, wie die Bourgeoisie diese Sekte als eine Kampfmaschine gegen die Erste Internationale unterstützte und manipulierte. Wir haben gesehen, daß für Marx, Engels und all die gesunden proletarischen Elemente in der Internationalen die Verteidigung der Funktion der Klassenprinzipien der Arbeiter im Kampf gegen den organisierten Anarchismus absolute Priorität besaß. In diesem Artikel werden wir die Lehren aus dem Haager Kongreß ziehen, einem der wichtigsten Momente im Kampf des Marxismus gegen den politischen Parasitismus. Sozialistische Sekten, die keinen Platz mehr fanden in der zwar jungen, aber sich entwickelnden Arbeiterbewegung, begannen, ihre Hauptaktivität dafür zu verwenden, nicht die Bourgeoisie, sondern die revolutionären Organisationen selbst zu bekämpfen. All diese parasitären Elemente scharten sich, trotz ihrer eigenen Divergenzen, um Bakunin, der versuchte, die Internationale zu zerstören.
Der Haager Kongreß der Ersten Internationale 1872 ist einer der bekanntesten Kongresse in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Auf diesem Kongreß fand der historische „Showdown" zwischen Marxismus und Anarchismus statt. Dieser Kongreß stellte einen entscheidenden Schritt bei der Überwindung der sektiererischen Phase dar, die die frühen Tage der Arbeiterbewegung gekennzeichnet hatte. In Den Haag wurde der Grundstein zur Überwindung der Spaltung zwischen den sozialistischen Organisationen auf der einen und den Massenbewegungen des proletarischen Klassenkampfes auf der anderen Seite gelegt. Der Kongreß verurteilte strikt die kleinbürgerliche anarchistische „Ablehnung der Politik" ebenso wie ihre Zurückhaltung gegenüber den täglichen Verteidigungskämpfen der Klasse. Vor allem erklärte er, daß die Emanzipation des Proletariats seine Organisierung als autonome politische Klassenpartei erfordert, die in Opposition zu all den Parteien der besitzenden Klassen steht (Resolution über die Statuten, Haager Kongreß).
Es war kein Zufall, daß diese Fragen zu jenem Zeitpunkt behandelt wurden. Den Haag war der erste internationale Kongreß, der der Niederlage der Pariser Kommune 1871 folgte. Er fand statt angesichts einer internationalen Welle des reaktionären Terrors, der nach dieser Niederlage auf die Arbeiterklasse niederging. Die Pariser Kommune hat den politischen Charakter des proletarischen Klassenkampfes aufgezeigt. Sie hat der revolutionären Klasse die Notwendigkeit gezeigt, ihre Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat zu organisieren, ihre Fähigkeit, so zu verfahren, ihre historische Neigung, diesen Staat zu zerstören und ihn durch die Diktatur des Proletariats zu ersetzen, die Vorbedingung des Sozialismus. Die Ereignisse in Paris bewiesen der Arbeiterklasse, daß der Sozialismus nicht durch Experimente mit Kooperativen des proudhonistischen Typs, nicht durch Pakte mit der herrschenden Klasse, wie sie die Lassalleaner propagierten, oder durch die verwegene Aktion einer begrenzten Minderheit, die der Blanquismus befürwortete, errungen werden kann. Vor allem bewies die Pariser Kommune all den wahren proletarischen Revolutionären, daß die sozialistische Revolution keine Orgie von Anarchie und Zerstörung ist, sondern ein zentralisierter, organisierter Prozeß. Und daß der Aufstand der Arbeiter nicht zur sofortigen „Abschaffung" von Klassen, Staat und „Autorität" führt, sondern zwingend die Autorität der Diktatur des Proletariats erfordert. Mit anderen Worten, die Pariser Kommune bekräftigte vollkommen die Position des Marxismus und bewies die totale Falschheit der „Theorien" der Bakunisten.
In der Tat vergegenwärtigten sich zur Zeit des Haager Kongresses die besten Repräsentanten der Arbeiterklasse, daß das Gewicht der Proudhonisten, Blanquisten, Bakunisten und anderer Sektierer innerhalb der Führung des Aufstands die grundsätzliche politische Schwäche der Kommune gewesen war. Damit verknüpft war die Unfähigkeit der Internationalen, die Ereignisse in Paris in der zentralisierten und koordinierten Manier einer Klassenpartei zu beeinflussen
Daher wurde es nach dem Fall der Pariser Kommune zur absoluten Priorität der Arbeiterbewegung, den Ballast ihrer eigenen sektiererischen Vergangenheit abzuschütteln, den Einfluß des kleinbürgerlichen Sozialismus zu überwinden.
Dieser politische Rahmen erklärte die Tatsache, daß die zentrale Frage, die auf dem Haager Kongreß behandelt wurde, nicht die Pariser Kommune selbst war, sondern die Verteidigung der Statuten der Internationale gegen die Komplotte Bakunins und seiner Anhänger. Durch diese Tatsache verblüfft, schließen bürgerliche Historiker daraus, daß dieser Kongreß selbst Ausdruck des Sektierertums sei, da es die Internationale „vorzog", sich mit sich selbst zu befassen, statt mit den Resultaten eines Klassenkampfes von internationaler Bedeutung. Was die Bourgeoisie nicht begreifen kann, ist, daß die Verteidigung der politischen und organisatorischen Prinzipien des Proletariats, die Eliminierung kleinbürgerlicher Theorien und organisatorischer Verhaltensweisen aus ihren Reihen die notwendige Antwort der Revolutionäre auf die Pariser Kommune war.
So kamen die Delegierten nach Den Haag, nicht nur um die internationale Repression und Verleumdungen gegen die Assoziation abzuwehren, sondern auch und vor allem um die Angriffe gegen die Organisation von innen zurückzuschlagen. Diese inneren Angriffe wurden von Bakunin angeführt, der nun offen zur Abschaffung des organisierten Zentralismus, zur Nichtachtung der Statuten, zur Nichtzahlung der Mitgliedsbeiträge an den Generalrat und zur Ablehnung des politischen Kampfes aufrief. Vor allem widersetzte er sich allen Entscheidungen der Londoner Konferenz von 1871, die, indem sie die Lehren aus der Pariser Kommune zog, die Notwendigkeit für die Internationale verteidigte, die Rolle der Klassenpartei zu übernehmen. Auf organisatorischer Ebene rief diese Konferenz den Generalrat dazu auf, ohne Zögern seine Aufgabe der Zentralisierung anzunehmen, indem er die Einheit der Internationale zwischen den Kongressen verkörpert. Und sie verurteilte die Existenz von Geheimgesellschaften innerhalb der Internationalen, wobei sie die Vorbereitung eines Berichts über die skandalösen Aktivitäten von Bakunin und Netschajew in Rußland im Namen der Internationalen in Auftrag stellte.
Bakunins Arroganz bestand zum Teil im Versuch, der Aufdeckung seiner Aktivitäten gegen die Internationale unverfroren die Stirn zu bieten. Vor allem aber gründete sie sich auf eine strategische Kalkulation. Die Allianz kalkulierte damit, die Schwächung und Desorientierung großer Teile der Organisation nach der Niederlage der Pariser Kommune mit dem Ziel auszunutzen, die Internationale vor den Augen der gesamten Welt auf dem Haager Kongreß zu zertrümmern. Im Sonvilliers-Rundschreiben, das an alle Sektionen gesandt wurde, war Bakunins Angriff gegen die „Diktatur des Generalrats" enthalten, der geschickt darauf abzielte, alle kleinbürgerlichen Elemente zu sammeln, die sich durch die gründliche Proletarisierung der organisatorischen Methoden der Internationalen bedroht fühlten, welche von deren Zentralorganen befürwortet wurden. In der bürgerlichen Presse wurden lange Auszüge des Sonvilliers-Rundschreibens unter dem Titel „Das Monster Internationale enthüllt sich selbst" veröffentlicht. „In Frankreich, wo alles, was auf irgendeine Weise mit der Internationalen verbunden war, wütend verfolgt wurde, wurde es an die Häuser angeschlagen".
Allgemeiner ausgedrückt, war nicht nur die Pariser Kommune, sondern auch die Gründung der Internationalen selbst Ausdruck ein und desselben historischen Prozesses. Das Wesen dieses Prozesses bestand in der Reifung des Emanzipationskampfes des Proletariats. Mitte der 1860er hatte die Arbeiterbewegung begonnen, ihre eigenen „Kinderkrankheiten" zu überwinden. Die Lehren aus den Revolutionen von 1848 ziehend, akzeptierte das Proletariat nicht länger die Führung des radikalen Flügels der Bourgeoisie und kämpfte nun darum, seine eigene Klassenautonomie zu etablieren. Diese Autonomie erforderte jedoch, daß das Proletariat innerhalb seiner eigenen Organisationen die Vorherrschaft der Theorien und organisatorischen Konzepte des Kleinbürgertums, der Bohemiens und entwurzelten Elemente etc. überwand.
Daher mußte der Kampf zur Durchsetzung einer proletarischen Vorgehensweise innerhalb seiner Organisationen, der nach der Pariser Kommune eine neue Stufe erklimmen sollte, nicht nur nach außen geführt werden, gegen die Angriffe der Bourgeoisie, sondern auch innerhalb der Internationalen selbst. Innerhalb ihrer Reihen führten die kleinbürgerlichen und entwurzelten Elemente einen erbitterten Kampf gegen die Verhängung dieser proletarischen politischen und organisatorischen Prinzipien, da dies die Eliminierung ihres eigenen Einflusses über die Arbeiterorganisation bedeutete.
In diesem Sinn werden diese Sekten „..., im Anfange Hebel der Bewegung, ... ein Hindernis, sowie diese sie überholt; sie werden dann reaktionär" (Marx, Engels: Die angeblichen Spaltungen in der Internationale, MEW Bd. 18, S. 33/34).
Der Haager Kongreß setzte sich also selbst zum Ziel, die Sabotage der Reifung und Autonomie des Proletariats durch die Sektierer auszumerzen. Einen Monat vor dem Kongreß erklärte der Generalrat in einem Rundschreiben an alle Mitglieder der Internationalen, daß es höchste Zeit sei, ein für allemal die inneren Kämpfe zu beenden, die vom „Vorhandensein dieser parasitären Körperschaft" verursacht worden waren. Und er erklärte: „Indem die Allianz die Tätigkeit der Internationale gegen die Feinde der Arbeiterklasse lähmt, dient sie ausgezeichnet der Bourgeoisie und den Regierungen" (Engels: Der Generalrat an alle Mitglieder der IAA, MEW Bd. 18, S. 121).
Der Haager Kongreß enthüllte, daß die Sektierer, die nicht mehr Hebel der Bewegung, sondern zu Parasiten geworden waren, die auf Kosten der proletarischen Organisationen lebten, sich international organisiert hatten, um ihren Krieg gegen die Internationale zu koordinieren. Eher zogen sie es vor, die Arbeiterpartei zu zerstören, als zu akzeptieren, daß sich das Proletariat von ihrem Einfluß befreit. Es wurde enthüllt, daß der politische Parasitismus sich darauf vorbereitete, eine Allianz mit der Bourgeoisie zu bilden, um zu verhindern, auf dem berühmten „Müllhaufen der Geschichte" zu landen, wohin er gehört. Die Basis dieser Allianz war der gemeinsame Haß gegen das Proletariat, auch wenn dieser Haß nicht denselben Gründen entsprang. Eine der großen Errungenschaften von Den Haag war die Fähigkeit des Kongresses, das Wesen dieses politischen Parasitismus aufzuzeigen, der die Arbeit der Bourgeoisie ausübt und sich am Krieg der besitzenden Klassen gegen die kommunistischen Organisationen beteiligt.
Die schriftlichen Erklärungen, die von verschiedenen Sektionen nach Den Haag geschickt wurden, besonders aus Frankreich, wo die Assoziation heimlich arbeitete und viele Delegierte nicht den Kongreß besuchen konnten, zeigten die Stimmung innerhalb der Internationalen am Vorabend des Kongresses. Die Hauptpunkte, die behandelt werden sollten, waren die vorgeschlagene Ausweitung der Macht des Generalrates, die Orientierung zu einer politischen Klassenpartei und die Konfrontation mit Bakunins Allianz und den anderen eklatanten Verletzungen der Statuten.
Marx' Entscheidung, den Kongreß selbst zu besuchen, war nur eines von vielen Zeichen der Entschlossenheit innerhalb der Reihen der Organisation, die verschiedenen innerhalb der Assoziation entwickelten Komplotte, welche sich alle um Bakunins Allianz konzentrierten, aufzudecken und zu zerstören. Diese Allianz, eine verborgene Organisation in der Organisation, war eine Geheimgesellschaft, die entsprechend dem bürgerlichen Modell der Freimaurerei gegründet wurde. Die Delegierten waren sich völlig im klaren, daß hinter diesen sektiererischen Manövern um Bakunin die herrschende Klasse stand.
„Bürger, nie war ein Kongreß ernster und wichtiger als der, deren Tagung euch in Den Haag zusammengebracht hat. Was in der Tat diskutiert wird, wird nicht diese oder jene bedeutsame Frage der Gestalt, dieser oder jener banale Artikel der Statuten sein, sondern das eigentliche Leben der Assoziation.
Schmutzige Hände, besudelt mit republikanischem Blut, haben lange Zeit versucht, Zwietracht unter uns zu säen, wovon lediglich das kriminellste der Ungeheuer, Louis Bonaparte, profitieren würde; Intriganten, die mit Schande aus unserer Mitte ausgestoßen wurden - die Bakunins, Malons, Gaspard Blancs und Richards - versuchen, eine, wir wissen nicht wie geartete, Förderation zu gründen, bestimmt für ihre ehrgeizigen Projekte, die Assoziation zu zerschmettern. Also, Bürger, es ist dieser Keim der Zwietracht, grotesk in seiner Machart, aber gefährlich in seinen dreisten Manövern, der, koste es, was es wolle, zunichte gemacht werden muß. Sein Leben ist unvereinbar mit unserem, und wir können uns auf unsere unnachgiebige Energie stützen, um einen entscheidenden und brillanten Erfolg zu erringen. Seid ohne Mitleid, schlagt zu ohne Zögern, denn solltet ihr euch zurückziehen, solltet ihr euch schwächen lassen, würdet ihr nicht nur für die Katastrophe, die die Assoziation dann erleidet, verantwortlich sein, sondern auch und vor allem für die fürchterlichen Konsequenzen, die dies für die Sache des Proletariats bedeuten würde."
Entgegen der bakunistischen Forderung nach Autonomisierung der Sektionen und nach faktischer Abschaffung des Generalrats, dem Zentralorgan, das die Einheit der Internationalen repräsentierte, erklärten die Pariser Sektionen:
„Wenn ihr behauptet, daß der Rat eine nutzlose Körperschaft ist, daß die Förderationen es auch ohne ihn schaffen, indem sie untereinander korrespondieren (...), dann wird die Internationale Assoziation entstellt. Das Proletariat weicht zurück bis zur Periode der Korporationen (....) Also, wir Pariser erklären, daß wir nicht unser Blut in jeder Generation in Strömen vergossen haben für die Befriedigung engstirniger Interessen. Wir erklären, daß ihr überhaupt nichts über den Charakter und die Mission der Internationalen Assoziation begriffen habt" (Pariser Sektionen: M+D, S. 235).
(Ferré-Sektion, Paris: Minutes and Documents (M+D) of Hague Congress, S. 238; hier und im folgenden Übersetzung aus dem Englischen)Was die Infiltration proletarischer Organisationen durch den politischen Parasitismus konkret bedeuten kann, wird von der Tatsache veranschaulicht, daß von den sechs für den Kongreß (2. - 7. September 1872) veranschlagten Tagen volle zwei Tage der Kontrolle der Mandate gewidmet werden mußten. Mit anderen Worten, es war nicht immer klar, welche Delegierte wirklich ein Mandat und von wem besaßen. In einigen Fällen war es nicht einmal klar, ob Delegierte Mitglieder der Organisation waren, oder ob die Sektionen, die sie geschickt hatten, tatsächlich existierten.
So hatte Serrailler, der Korrespondent für Frankreich im Generalrat, niemals von Sektionen aus Marseilles gehört, die einem Mitglied der Allianz das Mandat verliehen hatten. Noch hatte er jemals Mitgliedsgebühren von ihnen erhalten.
„Darüber hinaus ist er in Kenntnis gesetzt worden, daß kürzlich Sektionen für den Zweck gegründet wurden, Delegierte zum Kongreß zu schicken"
Die Anhänger Bakunins, die sich auf dem Kongreß in der Minderheit befanden, versuchten umgekehrt, verschiedene Mandate anzufechten und verschwendeten dabei erneut Zeit.
Das Mitglied der Allianz, Alerini, beantragte, die Autoren der „Angeblichen Spaltungen" - d.h. den Generalrat - auszuschließen. Ihr Verbrechen: die Verteidigung der Statuten der Organisation. Die Allianz wollte ebenfalls die existierenden Stimmrechte verletzen, indem den Mitgliedern des Generalrates als Delegierte, die ein Mandat von den Sektionen besaßen, das Stimmrecht verboten werden sollte.
Ein anderer Gegner der Zentralorgane, Mottershead, „fragt, warum Barry, der kein Führer in England ist und kein Gewicht hat, nichtsdestotrotz von einer deutschen Sektion zum Kongreß delegiert wurde". Marx erklärte in seiner Entgegnung, daß „für die Glaubwürdigkeit Barrys spricht, daß er nicht einer der sogenannten Führer der englischen Arbeiter ist, da diese Männer von der Bourgeoisie und der Regierung bestochen sind. Barry ist nur deshalb angegriffen worden, weil er sich weigert, Werkzeug in den Händen von Hales zu sein" (M+D, S. 124). Hales und Mottershead unterstützten die anti-organisatorischen Tendenzen in Großbritannien.
Da sie keine Mehrheit hatte, versuchte die Allianz inmitten des Kongresses einen Putsch gegen die Statuten der Internationale - entsprechend ihrer Sichtweise, wonach Statuten immer nur für die anderen da waren, nicht jedoch für die bakunistische Elite.
Im Antrag Nr. 4 des Kongresses brachte die spanische Allianz vor, daß nur die Stimmen jener Delegierten auf dem Kongreß zählen dürfen, die ein „imperatives Mandat" von ihren Sektionen erhielten. Die Stimmen der anderen Delegierten sollten erst dann zählen, nachdem ihre Sektionen über die Anträge des Kongresses diskutiert und abgestimmt hatten. Das Ergebnis wäre gewesen, daß die angenommenen Resolutionen erst zwei Monate nach dem Kongreß in Kraft getreten wären.
Dieser Antrag zielte auf nichts geringeres als auf die Zerstörung des Kongresses als die höchste Instanz der Organisation ab.
Morage kündigte dann an, „daß die Delegierten aus Spanien genaue Anweisungen erhalten haben, sich der Abstimmung zu enthalten, bis die Abstimmung über die Zahl der Wahlmänner, die von jeder Sektion gestellt werden, durchgeführt wird".
Die Antwort von Lafargue wurde im Protokoll aufgezeichnet - „Lafargue stellt fest, daß, obwohl er Delegierter aus Spanien ist, keine solchen Anweisungen erhalten habe". Dies enthüllt das Wesen der Funktionsweise der Allianz. Delegierte verschiedener Sektionen, von denen einige behaupteten, ein „imperatives" Mandat von ihren Sektionen erhalten zu haben, gehorchten in Wirklichkeit den geheimen Anweisungen der Allianz, einer verborgenen alternativen Führung, die gegen den Generalrat und die Statuten opponierte.
Um ihre Strategie zu verstärken, fuhren die Mitglieder der Allianz fort, den Kongreß zu erpressen. Angesichts der Weigerung des Kongresses, seine eigenen Statuten zu brechen, um die spanischen Bakunisten zufriedenzustellen, kündigte die rechte Hand Bakunins, Guillaume, an, „daß von jetzt an die Jura-Förderation nicht mehr an der Abstimmung teilnehmen wird" (M+D, S. 143).
Doch damit nicht genug, es wurden auch noch Drohungen ausgestoßen, den Kongreß zu verlassen.
In seiner Entgegnung auf diese Erpressung „erklärt (der Vorsitzende), daß die Statuten nicht vom Generalrat oder von individuellen Personen gemacht worden sind, sondern von der IAA und ihren Kongressen, und daß daher jeder, der die Statuten angreift, die IAA und ihre Existenz angreift".
Engels hob hervor: „Es ist nicht unser Fehler, daß die Spanier sich in der traurigen Position befinden, außerstande zu sein abzustimmen, noch ist es der Fehler der spanischen Arbeiter, sondern der des spanischen Förderalrates, der durchsetzt ist mit Mitgliedern der Allianz" (M+D, S. 142/143).
Bei der Konfrontation mit der Sabotage durch die Allianz formulierte Engels die Entscheidung, der der Kongreß gegenüberstand.
„Wir müssen uns entscheiden, ob die IAA weiterhin auf demokratischer Basis geführt oder von einer Clique (Zwischenrufe und Proteste bei dem Wort 'Clique') beherrscht werden soll, die heimlich und unter Verletzung der Statuten organisiert ist"
„Ranvier protestiert gegen die Drohung von Splingard, Guillaume und anderer, die Halle zu verlassen, was nur beweist, daß SIE es sind und nicht wir, die IM VORAUS die Frage als zur Diskussion stehend angekündigt hatten; er wünscht sich, daß alle Polizeispitzel auf der Welt sich so verabschieden."
„Wenn Morago soviel über den möglichen Despotismus von Seiten des Generalrates spricht, dann muß er sich vergegenwärtigen, daß seine und seiner Genossen Art zu sprechen, höchst tyrannisch ist, seitdem sie uns mit der Drohung, mit uns zu brechen, zwingen wollen, daß wir uns ihnen ausliefern."
Der Kongreß antwortete auch in der Frage der imperativen Mandate, welche bedeuten, den Kongreß in eine simple Wahlurne zu verwandeln, wo die Delegationen vorgefaßte Stimmen repräsentieren. Es wäre billiger, den Kongreß erst gar nicht abzuhalten und die Stimmen mit der Post zu schicken. Der Kongreß wäre nicht mehr die höchste Instanz der Einheit der Organisation, die ihre Entscheidungen souverän, als eine Körperschaft trifft.
„Serrailler sagt, daß er nicht wie Guillaume und seine Genossen gebunden ist, die sich bereits im voraus über alles eine Meinung gemacht haben, seitdem sie die imperativen Mandate akzeptiert hatten, welche sie dazu zwingen, in bestimmter Weise abzustimmen oder sich zu enthalten."
Die wirkliche Funktion des „imperativen Mandats" in der Strategie der Allianz wurde in Engels Artikel „Die imperativen Mandate auf dem Haager Kongreß" enthüllt.(Engels: Die imperativen Mandate auf dem Haager Kongreß, MEW Bd. 18, S.175)
„Warum bestehen die Allianzisten, diese eingefleischten Feinde jeden Autoritätsprinzips, mit solcher Hartnäckigkeit auf der Autorität der imperativen Mandate? Weil es für eine Geheimgesellschaft wie die ihrige, die im Schoße einer öffentlichen Gesellschaft wie der Internationale besteht, nichts Bequemeres gibt wie das imperative Mandat. Die Mandate der Verbündeten werden alle identisch sein; die der Sektionen, die dem Einfluß der Allianz nicht unterworfen sind oder gegen sie rebellieren, werden einander widersprechen, so daß der Geheimgesellschaft oftmals die absolute Mehrheit und stets die relative Mehrheit gehören wird; währenddessen auf einem Kongreß ohne imperative Mandate der gesunde Verstand der unabhängigen Delegierten diese bald zu einer gemeinsamen Partei gegen die Partei der Geheimgesellschaft vereinen wird. Das imperative Mandat ist ein äußerst wirksames Mittel der Beherrschung, und eben aus diesem Grunde unterstützt die Allianz ungeachtet ihres ganzen Anarchismus dessen Autorität."
(Intervention von Lafargue, M+D, S. 153)(M+D, S. 129)(M+D, S. 122). (M+D, S. 124). Der Kongreß mußte darüber abstimmen, ob diese Sektionen existierten oder nicht !
Da die Finanzen als materielle Basis der politischen Arbeit für den Aufbau und die Verteidigung der revolutionären Organisation lebenswichtig sind, lag es auf der Hand, daß der Angriff gegen diese Finanzen eines der Hauptmittel zur Untergrabung der Internationalen durch den politischen Parasitismus war.
Vor dem Haager Kongreß wurden Versuche unternommen, die Zahlung der Mitgliedsbeiträge an den Generalrat, wie es die Statuten vorschrieben, zu boykottieren und zu sabotieren. Hinsichtlich der Politik jener, die in den US-Sektionen gegen den Generalrat revoltierten, erklärte Marx: „Die Weigerung, die Beiträge oder für Objekte zu zahlen, um die die Sektion vom Generalrat gebeten wurde, ist verbunden mit dem von der Jura-Förderation erteilten Rat, welcher besagt, daß, wenn sowohl Amerika als auch Europa sich weigerten, Beiträge zu zahlen, der Generalrat an seinen eigenen Kosten zugrundegehen würde" (M+D, S. 47).
Über die „rebellische" Zweite Sektion in New York: „Ranvier ist der Auffassung, daß die Statuten zu einem Spielzeug gemacht worden seien. Sektion Nr. 2 hat sich vom Förderationsrat getrennt, ist in Lethargie gefallen und hat in Anbetracht des Weltkongresses darum ersucht, auf ihm repräsentiert zu sein und gegen jene zu protestieren, die aktiv gewesen waren. Wie hat diese Sektion übrigens ihre Stellung mit dem Generalrat geregelt? Sie bezahlte ihre Beiträge nur bis zum 26. August. Dies überschreitet die Grenze zur Komödie und ist nicht zu tolerieren. Diese kleinen Klüngel, diese Sekten, diese Gruppen, die unabhängig voneinander und ohne gemeinsames Band sind, gleichen der Freimaurerei und können nicht in der Internationale geduldet werden." (M+D, S. 45)
Der Kongreß bestand richtigerweise darauf, daß nur Delegationen von Sektionen, die ihre Beiträge bezahlt hatten, am Kongreß teilnehmen durften.
Und wie „erklärte" Farga Pellicier das Ausbleiben der Beiträge der spanischen Allianzler? „Was die Beiträge angeht, erklärt er: Die Situation war schwierig, sie mußten gegen die Bourgeoisie kämpfen, und fast alle Arbeiter gehören Gewerkschaften an. Sie beabsichtigen, alle Arbeiter gegen das Kapital zu vereinen. Die Internationale macht große Fortschritte in Spanien, aber der Kampf ist kostspielig. Sie haben ihre Beiträge nicht bezahlt, aber sie werden wieder zahlen."
Mit anderen Worten, sie behielten das Geld der Organisation für sich selbst. Hier die Antwort des Schatzmeisters der Internationalen:
„Engels, Sekretär für Spanien, findet es befremdlich, daß die Delegierten mit Geld in ihren Taschen ankamen und immer noch nicht bezahlt haben. Auf der Londoner Konferenz haben alle Delegierte sofort bezahlt, und die Spanier sollten hier dasselbe machen, denn dies sei unerläßlich für die Gültigkeit ihrer Mandate"
Es überrascht kaum, daß die Allianz und ihre Anhänger daraufhin die Reduzierung der Mitgliedsbeiträge beantragten, um die Organisation zu schwächen. Der Kongreß beantragte ihre Erhöhung.
„Brismé ist für die Abschaffung der Beiträge, weil die Arbeiter an ihre Sektionen zu zahlen haben, an den förderalen Rat, und es ist eine große Last für sie, zehn Centimes pro Jahr dem Generalrat zu geben".
Darauf antwortete Frankel bei seiner Verteidigung der Organisation.
„Frankel ist Lohnarbeiter, und gerade er denkt, daß im Interesse der Internationale die Beiträge absolut erhöht werden müssen. Es gibt Förderationen, die erst in letzter Minute und so wenig wie möglich zahlen. Der Rat hat nicht einen Pfennig in der Kasse (...) Frankel ist der Auffassung, daß mit den Mitteln der Propaganda, die eine Erhöhung der Beiträge erlauben würde, die Spaltungen in der Internationale aufhören würden, und sie würden heute nicht existieren, wenn der Generalrat in der Lage gewesen wäre, seine Emissäre zu den verschiedenen Ländern zu schicken, wo diese Meinungsverschiedenheiten auftauchten"
(M+D, S. 95).In dieser Frage errang die Allianz einen Teilsieg: Die Beiträge blieben bei ihrer alten Höhe.
Schließlich wies der Kongreß entschieden die Verleumdungen der Allianz und der bürgerlichen Presse in dieser Frage zurück.
„Marx beobachtete, daß, obwohl die Mitglieder des Rates ihr eigenes Geld beisteuerten, um die Ausgaben der Internationale zu bezahlen, Verleumder jene Mitglieder beschuldigt haben, auf Kosten des Rates zu leben (...), von den Pfennigen der Arbeiter zu leben".
„Lafargue sagt, daß die Jura-Förderation eines der Sprachrohre jener Verleumdungen gewesen sei"
(M+D, S. 98, 169).(M+D, S.128). Zwei Seiten weiter lesen wir in den Protokollen: „Farga Pellicer erhebt sich schließlich und reicht dem Vorsitzenden die Kassenbücher und die Beiträge von der spanischen Förderation, außer für das letzte Vierteljahr", d.h. das Geld, das sie nicht zu haben vorgaben.„Der Generalrat (...) stellt eine der wichtigsten Fragen auf die Tagesordnung, die auf dem Kongreß in Den Haag diskutiert werden müssen, die Revision der Allgemeinen Statuten und Verordnungen"
Am letzten Tag des Kongresses wurde der Bericht der Kommission vorgestellt und diskutiert, der sich mit der Untersuchung der Allianz befaßte.
Cuno erklärte: „Es ist absolut unbestreitbar, daß es Intrigen innerhalb der Assoziation gegeben hat; Lügen, Verleumdungen und Verrat sind bewiesen worden, die Kommission hat eine übermenschliche Arbeit geleistet, hat heute 13 Stunden hintereinander getagt. Nun verdient sie eine Abstimmung des Vertrauens, indem die im Bericht hervorgestellten Forderungen akzeptiert werden".
Tatsächlich war die Arbeit der Untersuchungskommission während des Kongresses enorm. Ein Berg von Dokumenten ist geprüft worden. Eine Reihe von Zeugen wurde vorgeladen, Zeugnis abzulegen über verschiedene Gesichtspunkte der Frage. Engels las den Bericht des Generalrates über die Allianz vor. Bezeichnenderweise war eines der Dokumente, die der Generalrat der Kommission präsentierte, die „Allgemeinen Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation nach dem Genfer Kongreß von 1866". Diese Tatsache veranschaulicht, daß das Problem, das die Internationale bedrohte, nicht die Existenz von politischen Divergenzen war, die normalerweise im von den Statuten geschaffenen Rahmen behandelt werden konnten, sondern die systematischen Verletzungen der Statuten selbst. Das Trampeln auf die organisatorischen Klassenprinzipien des Proletariats bildet immer eine tödliche Gefahr für die Existenz und den Ruf kommunistischer Organisationen. Die Präsentation der geheimen Statuten der Allianz durch den Generalrat war Beweis genug, daß dies hier der Fall war.
Die vom Kongreß gewählte Kommission hat sich die Arbeit nicht leicht gemacht. Die Dokumentation ihrer Arbeit ist so lang wie alle anderen Dokumente des Kongresses zusammengenommen. Das längste dieser Dokumente, Utins Bericht, beauftragt von der Londoner Konferenz ein Jahr zuvor, enthält fast 100 Seiten. Schließlich stellte der Haager Kongreß die Veröffentlichung eines noch längeren Berichts in Auftrag, das berühmte Dokument „Die Allianz der Sozialistischen Demokratie und die Internationale Arbeiterassoziation". Revolutionäre Organisationen, die nichts vor dem Proletariat zu verbergen haben, haben stets gewollt, daß das Proletariat über solche Fragen informiert wird, soweit es die Sicherheit der Organisation zuläßt.
Die Kommission stellte ohne Zweifel fest, daß Bakunin mindestens dreimal die Allianz aufgelöst und wieder gegründet hatte, um die Internationale in die Irre zu führen, daß sie eine Geheimorganisation innerhalb der Internationalen war, die im Rücken der Organisation gegen die Statuten arbeitete, mit dem Ziel, jene Körperschaft zu übernehmen oder zu zerstören.
Die Kommission erkannte auch den irrationalen, esoterischen Charakter dieser Formation.
„Es wird aus der ganzen Organisation ersichtlich, daß es drei verschiedene Grade gibt, von denen wenige die anderen völlig beherrschten. Die ganze Angelegenheit scheint so abgehoben und exzentrisch zu sein, daß sich die ganze Kommission ständig vor Heiterkeit kugelte. Diese Art von Mystizismus wird allgemein als Verrücktheit angesehen. Die ganze Organisation manifestiert sich als ein einziger Absolutismus."
Die Arbeit der Kommission wurde durch verschiedene Faktoren behindert. Einer davon war die Abwesenheit von Bakunin selbst auf dem Kongreß. Nachdem er erst in seiner großmäuligen Art erklärt hatte, daß er zum Kongreß kommen würde, um seine Ehre zu verteidigen, zog er es vor, seine Verteidigung seinen Jüngern zu überlassen. Aber er gab ihnen eine Strategie auf den Weg, die darauf abzielte, die Untersuchungen zu sabotieren. Erstens weigerten sich seine Anhänger, im allgemeinen „aus Sicherheitsgründen", irgendetwas über die Allianz oder Geheimgesellschaften preiszugeben, als ob sich deren Aktivitäten gegen die Bourgeoisie und nicht gegen die Internationale richteten. Guillaume wiederholte, was er bereits auf dem Kongreß der Schweiz im April 1870 vertreten hatte: „Jedes Mitglied der Internationale hat voll und ganz das Recht, irgendeiner Geheimgesellschaft beizutreten, selbst den Freimaurern. Jede Untersuchung einer Geheimgesellschaft käme einfach einer Denunziation bei der Polizei gleich" (Nicolaevsky: Karl Marx, S.387).
Zweitens sah das imperative Mandat der Jura-Delegierten für den Kongreß vor, daß „die Jura-Delegierten alle persönlichen Fragen abstellen und Diskussionen auf diesem Feld nur dann abhalten, wenn sie dazu gezwungen werden, wobei sie dem Kongreß vorschlagen, die Vergangenheit der Vergessenheit zu überlassen und für die Zukunft Ehrengerichte zu wählen, die jederzeit zu entscheiden haben, wenn eine Anschuldigung gegen ein Mitglied der Internationale erhoben wird" (M+D, S. 325).
Dies ist ein Dokument des politischen Lavierens. Die Klärung der Rolle Bakunins als Anführer eines Komplotts gegen die Internationale wird abgetan als persönliche, nicht politische Frage. Untersuchungen sollen „für die Zukunft" aufgehoben werden und nehmen die Form einer permanenten Institution an, die irgendwelche Zänkereien in der Art bürgerlicher Gerichte regelt. Eine proletarische Untersuchungskommission oder ein Ehrengericht wird so völlig verwässert.
Drittens stellt sich die Allianz als „Opfer" der Organisation dar. Guillaume bestritt die „Macht des Generalrates, eine Inquisition über die Internationale zu errichten" (M+D, S. 84).
Er bekräftigte, daß „der ganze Prozeß ... die sogenannte Minderheit töten soll (...) Es ist das förderalistische Prinzip, das hier verdammt werden soll" (M+D, S. 172).
„Alerini ist der Meinung, daß die Kommission lediglich moralische Überzeugungen und keine materiellen Beweise hat; er war ein Mitglied der Allianz und stolz darauf (...) Aber ihr seid eine heilige Inquisition; wir fordern eine öffentliche Untersuchung und schlüssige, greifbare Beweise."
Der Kongreß ernannte einen Symphatisanten Bakunins, Splingard, zum Mitglied der Kommission. Dieser Splingard mußte zugeben, daß die Allianz als eine Geheimgesellschaft innerhalb der Internationalen existiert hat, obwohl er die Funktion der Kommission nicht begriff. Er sah seine Rolle als eine Art „Rechtsanwalt, der Bakunin verteidigt" (der eigentlich selbst alt genug sein sollte, sich selbst zu verteidigen), statt als Teil eines kollektiven Untersuchungsausschusses.
„Marx sagt, daß sich Splingard in der Kommission wie ein Anwalt der Allianz verhalten habe, nicht als ein unparteiischer Richter".
Marx und Lucain antworteten auf die andere Beschuldigung, daß es „keine Beweise" gebe.
Splingard „weiß sehr gut, daß Marx all jene Dokumente Engels gab. Der spanische Föderalrat besorgte selbst Beweise, und er (Marx) andere aus Rußland hinzu, nur könne er den Namen des Absenders nicht preisgeben; in dieser Angelegenheit hat die Kommission im allgemeinen ihr Ehrenwort gegeben, nicht irgendetwas, was davon handelt, insbesondere irgendwelche Namen, preiszugeben; ihre Entscheidung über diese Frage ist unumstößlich".
Lucain „fragt, ob sie warten müssen, bis die Allianz die Internationale zertrümmert und desorganisiert hat und dann die Beweise herausrückt. Wir werden uns jedoch weigern, so lange zu warten, wir greifen das Übel an, wo wir es sehen, weil das unsere Pflicht ist" (M+D, S. 171).
Außer der bakunistischen Minderheit unterstützte der Kongreß energisch die Schlußfolgerungen seiner Kommission. Tatsächlich forderte die Kommission lediglich drei Ausschlüsse, nämlich den von Bakunin, Guillaume und Schwitzguebel. Nur die beiden ersten wurden vom Kongreß akzeptiert.
Soweit zur Legende, wonach die Internationale eine unbequeme Minderheit durch Disziplinarmaßnahmen eliminieren wollte! Im Gegensatz zu dem, was Anarchisten und Rätekommunisten behaupten, haben proletarische Organisationen solche Maßnahmen nicht nötig; sie haben keine Angst vor, sondern ein starkes Interesse an einer totalen politischen Klärung durch die Debatte. Und sie schließen nur im außergewöhnlichen Falle einer schweren Disziplinlosigkeit und Untreue Mitglieder aus. Wie Johannard in Den Haag sagte, ist „der Ausschluß aus der IAA ... die schlimmste und unehrenhafteste Strafe, die einem Mann passieren kann; solch ein Mann könnte niemals wieder einer honorigen Gesellschaft angehören" (M+D, S. 171).
(S. 170) (M+D, S. 339)Wir wollen uns hier nicht mit der anderen dramatischen Entscheidung auf dem Kongreß befassen, den Umzug des Generalrates von London nach New York. Das Motiv hinter diesem Vorschlag war die Tatsache, daß, auch wenn die Bakunisten besiegt waren, der Generalrat in London in die Hände einer anderen Sekte fallen würde, der Blanquisten. Weil letztere sich weigerten, das internationale Zurückfluten des Klassenkampfes anzuerkennen, das von der Niederlage der Pariser Kommune verursacht worden war, riskierten sie in einer Reihe von sinnlosen Barrikadenkonfrontationen die Zerstörung der Arbeiterbewegung. In der Tat markierte die Niederlage in Paris den Anfang vom Ende der Ersten Internationalen (siehe Internationale Revue Nr. 18), wobei Marx und Engels zu jener Zeit hofften, den Generalrat später wieder zurückzuverlegen.
Stattdessen wollen wir diesen Artikel mit einer der großen historischen Errungenschaften des Haager Kongresses schließen. Diese Errungenschaft, die in der Nachwelt meist ignoriert oder völlig mißverstanden wurde (z.B. von Franz Mehring in seiner Biographie von Marx), war die Identifizierung der Rolle des politischen Parasitismus gegen die Arbeiterorganisationen.
Der Haager Kongreß zeigte auf, daß Bakunins Allianz nicht allein handelte, sondern das Koordinationszentrum einer von der Bourgeoisie unterstützten parasitären Opposition gegen die Arbeiterbewegung war.
Einer der Hauptverbündeten der Allianz war die Gruppe um Woodhull und West in Amerika, die man kaum „Anarchisten" nennen konnte.
„Wests Mandat wurde von Victoria Woodhull unterzeichnet, die schon seit Jahren Intrigen spinnt, um Präsident der USA zu werden, Präsidentin der Spiritualisten ist, die freie Liebe predigt, im Bankgeschäft tätig ist etc."
Die Verbindung dieser Elemente mit dem internationalen Parasitismus wurde von Sorge enthüllt.
„Sektion Nr. 12 nahm die Korrespondenz der Jura-Förderation und des Universal Federalist Council mit Vergnügen entgegen. Sektion Nr. 12 hat stets heimlich Intrigen ausgeführt und hartnäckig versucht, die oberste Führung der IAA zu erlangen, sie veröffentlichte selbst Entscheidungen des Generalrats, die nicht in ihrem Sinne waren, und interpretierte sie zu ihrem eigenen Vorteil. Später exkommunizierte sie die französischen Kommunisten und die deutschen Atheisten. Hier fordern wir Disziplin und Unterordnung nicht unter Personen, sondern unter das Prinzip, unter die Organisation; um Amerika zu besiegen, brauchen wir absolut die Iren, und sie werden nie auf unserer Seite sein, wenn wir nicht alle Verbindungen mit der Sektion Nr. 12 und den „freien Liebenden' abbrechen"
(S. 136).Diese internationale Koordination der Angriffe gegen die Internationale, mit den Bakunisten im Zentrum, wurde in der Diskussion noch klarer.
„Le Moussu liest aus dem Bulletin de la Fédération Jurassienne eine Reproduktion eines Briefes vor, der vom Spring Street Council als Antwort auf die Anordnung, die Sektion Nr. 12 zu suspendieren, an ihn adressiert war"
„Le Moussu lenkt die Aufmerksamkeit des Kongresses auf das Zusammentreffen der Angriffe auf den Generalrat und seine Mitglieder, der im Bulletin der Jura-Förderation unternommen wurde, mit jenen Angriffen, die von ihrer Schwesterförderation unternommen und von den Herren Vesinier und Landeck veröffentlicht wurden, wobei das Blatt der letztgenannten als ein Sprachrohr der Polizei entlarvt und seine Herausgeber als Polizeispitzel von der Flüchtlingsgesellschaft der Kommune in London ausgeschlossen wurden. Zweck dieser Fälschung ist es, die Kommune-Mitglieder im Generalrat als Abenteurer des bonapartistischen Regimes darzustellen, während die anderen Mitglieder, diese Wichte, die sich weiterhin einschmeicheln, Bismarckisten sind, als ob die wahren Bonapartisten und Bismarckisten nicht jene sind, die, wie all diese mittelmäßigen Schreiberlinge all der mannigfaltigen Förderationen, hinter den Bluthunden aller Regierungen folgen, um die wahren Verfechter des Proletariats zu beleidigen. Deshalb sage ich diesen schändlichen Beleidigern: Ihr seid würdige Handlanger der Bismarckschen, bonarpartistischen und thieristischen Politik"
und mit den Worten schließt: „zugunsten der Bildung einer neuen Assoziation, in der die Dissidenten Spaniens, der Schweiz und Londons vereinigt sind. Unzufrieden in Anbetracht der Autorität, die der Generalrat vom Kongreß erhält und statt ihre Klagen aufzuschieben, wie es die Statuten niedergelegt haben, haben diese Individuen also bis heute die Absicht, eine neue Gesellschaft zu bilden und offen mit der Internationalen zu brechen."(S. 50, 51).Über den Zusammenhang zwischen der Allianz und Landeck: „Dereure informiert den Kongreß darüber, daß eine knappe Stunde zuvor Alerini ihm erzählte, daß er (Alerini) ein enger Freund von Landeck war, der als Polizeispitzel in London bekannt war" (S. 472).
Der deutsche Parasitismus war in Gestalt der aus dem Deutschen Arbeiterbildungsverein ausgeschlossenen Lassalleaner über den oben erwähnten Universal Federalist Council in London, wo sie mit anderen Feinden der Arbeiterbewegung, wie den französischen radikalen Freimaurern und den italienischen Mazzinisten, kollaborierten, ebenfalls mit diesem internationalen parasitären Netzwerk verknüpft.
„Die bakunistische Partei in Deutschland war die Allgemeine Assoziation deutscher Arbeiter unter Schweitzer, und letzterer war endgültig als Polizeiagent demaskiert"
(Intervention von Hepner, S. 160).Der Kongreß zeigte auch die Kollaboration zwischen den Schweizer Bakunisten und den britischen Reformisten der British Federation unter Hales auf.
Tatsächlich bildete die Bourgeoisie, abseits der Infiltration und Manipulation degenerierter Sekten, die einst zur Arbeiterklasse gehörten, auch von sich aus Organisationen, um die Internationale zu bekämpfen. Die Philadelphier und die Mazzinisten, die in London angesiedelt waren, versuchten, den Generalrat direkt zu übernehmen, wurden aber besiegt, als ihre Mitglieder im September 1865 aus dem Unterkomitee des Generalrates entfernt wurden.
„Der prinzipielle Feind der Philadelphier, der Mann, der verhinderte, daß die Internationale zur Plattform ihrer Aktivitäten wurde, war Karl Marx"
Die zerstörerische Aktivität dieses Milieus wurde von den terroristischen Provokationen der Geheimgesellschaft von Felix Pyat, der „Republikanischen Revolutionären Kommune", fortgesetzt. Diese Gruppe, die aus der Internationalen ausgeschlossen und von ihr öffentlich verurteilt worden war, fuhr fort, im Namen der Internationalen zu wirken, wobei sie ständig den Generalrat angriff.
In Italien zum Beispiel bildete die Bourgeoisie eine gewisse Società Universale dei Razionalisti unter Stefanoni, um die Internationale in diesem Land zu bekämpfen. Ihre Zeitung veröffentlichte die Lügen von Vogt und den deutschen Lassalleanern gegen Marx und verteidigte inbrünstig Bakunins Allianz.
Das Ziel dieses Netzwerkes von Pseudorevolutionären war, „Mitglieder der Internationalen auf eine Weise zu verleumden, die den bürgerlichen Zeitungen, deren üble Inspiratoren sie sind, die Schamröte ins Gesicht treibt, das ist es, was sie Einheitsappell an die Arbeiter nennen" (Intervention von Duval, S. 99).
Daher stand die lebenswichtige Notwendigkeit, die Organisation gegen all diese Angriffe zu verteidigen, im Mittelpunkt der Interventionen von Marx auf diesem Kongreß, dessen Wachsamkeit und Entschlossenheit uns heute im Angesicht ähnlicher Angriffe leiten muß.
„Jeder, der besonders bei der Erwähnung der Polizeiabteilungen lächelt, muß wissen, daß solche Abteilungen in Frankreich, Österreich und anderswo gebildet wurden, und der Generalrat erhielt ein Gesuch aus Österreich, keine Sektion anzuerkennen, die nicht von Delegierten des Generalrats oder der dortigen Organisation gegründet wurde. Vesinier und seine Genossen, die kürzlich von den französischen Flüchtlingen ausgeschlossen wurden, sind natürlich für die Jura-Förderation (...) Individuen wie Vesinier, Landeck und andere gründen nach meiner Auffassung zunächst einen Förderalrat und dann eine Förderation und Sektionen; Agenten von Bismarck könnten dasselbe tun, daher muß der Generalrat das Recht haben, einen Förderalrat oder eine Förderation aufzulösen oder zu suspendieren (...) In Österreich bilden Raufbolde, Ultramontane, Radikale und Provokateure Sektionen, um die IAA zu diskreditieren; in Frankreich bildete ein Polizeikommissariat eine Sektion."
„Es gab den Fall einer Suspendierung eines Förderalrates in New York; es mag sein, daß in anderen Ländern Geheimgesellschaften Einfluß über Förderalräte erlangen wollen, sie müssen suspendiert werden. Was die Leichtigkeit angeht, mit der Vesinier, Landeck und ein deutscher Polizeiinformant ungehindert Förderationen bilden konnten, das darf nicht passieren. Monsieur Thiers macht sich selbst zum Lakaien aller Regierungen gegen die Internationale, und der Rat muß die Macht haben, alle zerstörerischen Elemente zu entfernen (...) Eure Ausdrücke der Besorgnis sind nur Tricks, weil ihr jenen Gesellschaften angehört, die im Geheimen handeln und höchst autoritär sind."
Im vierten und letzten Teil dieser Reihe werden wir uns mit Bakunin, dem politischen Abenteurer, befassen, wobei wir die Lehren aus der Geschichte der Arbeiterklasse ziehen werden.
Kr.
(S. 45 - 47)(S. 154 - 155) (Nicolaevsky: Geheimgesellschaften und die Erste Internationale, S. 52). Die von Nicolaewsky behauptete direkte Verbindung zwischen diesem Milieu und den Bakunisten ist mehr als wahrscheinlich, betrachtet man ihre offene Identifikation mit den Methoden und Organisationen der Freimaurerei. Die Gruppe „richtete den notorischen Appell an die englisch sprechenden Bürger der Vereinigten Staaten, der alle Arten von Unsinn der IAA zuschrieb und auf dessen Basis viele ähnliche Sektionen gegründet wurden. Unter anderem erwähnte der Appell die persönliche Freiheit, die gesellschaftliche Freiheit (freie Liebe), die Art der Kleidung, das Wahlrecht für Frauen, eine Weltsprache etc. (...) Sie stellte die Frauenfrage vor der Arbeiterfrage und weigerte sich anzuerkennen, daß die IAA eine Arbeiterorganisation ist." (Intervention von Marx, S. 133)(Resolution des Generalrates über die Tagesordnung des Haager Kongresses, M+D, S. 23 - 24).
Was die Funktion anging, galt das Hauptanliegen folgender Veränderung der allgemeinen Statuten:
„Art. 2 - Der Generalrat ist gehalten, die Kongreßbeschlüsse auszuführen und darauf zu achten, daß die Grundsätze, Statuten und Verwaltungsverordnungen der Internationale in jedem Lande strikt eingehalten werden.
Art. 6 - Der Generalrat hat ebenfalls das Recht, Zweiggesellschaften, Sektionen, Förderalräte oder Förderalkomitees oder Förderationen der Internationale bis zum nächsten Kongreß zu suspendieren".
Im Gegensatz dazu trachteten die Feinde der Entwicklung der Internationalen danach, ihre zentralisierte Einheit zu zerstören. Die Vortäuschung, daß diese Opposition motiviert wurde von einer „prinzipiellen Opposition zur Zentralisation" (Übersetzung aus dem Englischen), wurde, sofern es die Allianz anging, durch deren eigene Geheimstatuten widerlegt, in denen die „Zentralisierung" in die persönliche Diktatur eines Mannes, „Citizen B" (Bakunin), umgewandelt wurde. Hinter der bakunistischen Zuneigung zum Förderalismus verbarg sich das Verständnis, daß die Zentralisierung eines der Hauptmittel war, mit denen sich die Internationale ihrer Zerstörung erwehrte, indem sie verhinderte, in kleine Stücke zerteilt zu werden. Zum Zwecke dieser „heiligen Zerstörung" mobilisierten die Bakunisten die förderalen Vorurteile der kleinbürgerlichen Elemente innerhalb der Organisation.
„Brismé will, daß die Statuten zuerst diskutiert werden, da es möglich ist, daß es keinen Generalrat mehr geben könnte und folglich auch keine Machtbefugnisse dafür benötigt würden. Die Belgier wollen keine Ausweitung der Machtbefugnisse des Generalrates, im Gegenteil, sie kamen hierher, um ihm die Krone wegzunehmen, die er an sich gerissen hatte"
(M+D, S. 141).Sauva, USA: „Seine Mandatgeber wollen, daß der Rat erhalten bleibt, aber an erster Stelle wollen sie, daß er keine Rechte hat und daß dieser Souverän nicht das Recht haben sollte, seinen Dienern Weisungen zu erteilen (Gelächter)".
Der Kongreß wies diese Versuche zurück, die Einheit der Organisation zu zerstören, indem er die Stärkung des Generalrates annahm und somit ein Signal gab, dem Marxisten bis heute gefolgt sind. Wie Hepner während der Debatte erklärte: „Gestern abend wurden zwei große Ideen erwähnt: Zentralisation und Förderation. Das letztere drückt sich selbst im Abstentionismus aus, aber diese Enthaltung von allen politischen Aktivitäten führt ins Polizeirevier".
Und Marx: „Sauva hat seit London seine Meinung geändert. Bezüglich der Autorität war er in London für die Autorität des Generalrates (...), hier hat er das Gegenteil vertreten" (M+D, S. 89).(M+D, S. 73).
Gegen das Aufrühren kleinbürgerlicher Ängste vor einer „Diktatur" durch die Bakunisten argumentierte Marx:
„Aber gleich ob wir dem Generalrat die Rechte eines Negerfürsten oder die des russischen Zaren gewähren, seine Macht ist illusorisch, sobald der Generalrat aufhört, den Willen der Mehrheit der IAA auszudrücken. Der Generalrat hat keine Armee, kein Budget, er ist nur eine moralische Kraft, und er wird immer machtlos sein, wenn er nicht die Unterstützung der gesamten Assoziation hat"
(M+D, S. 154).Der Kongreß stellte auch eine Verbindung zwischen der anderen großen Änderung in den Statuten, die er annahm, nämlich jene von der Notwendigkeit einer politischen Klassenpartei und der Frage der proletarischen Prinzipien der Funktionsweise her. Diese Verbindung ist der Kampf gegen den „Anti-Autoritarismus" als eine Waffe sowohl gegen die Partei als auch gegen die Parteidisziplin.
„Hier haben wir gegen die Autorität gesprochen: Wir sind auch gegen Exzesse jeder Art, aber eine gewisse Autorität, ein gewisses Prestige wird immer notwendig sein, um einen Zusammenhalt in der Partei zu schaffen. Es ist logisch, daß solche Anti-Autoritären auch die Förderalräte, die Förderationen, die Komitees und selbst die Sektionen abschaffen müssen, denn Autorität wird in einem größeren oder kleineren Umfang von ihnen allen ausgeübt. Sie müssen überall eine absolute Anarchie etablieren, das heißt, sie müssen die militante Internationale in eine kleinbürgerliche Partei mit Schlips und Kragen wenden. Wie kann man nach der Kommune etwas gegen Autorität einwenden? Wir deutschen Arbeiter zumindest sind davon überzeugt, daß die Kommune größtenteils deshalb fiel, weil sie nicht genug Autorität ausübte!"
(M+D, S. 161).„Marx sagt, daß es in der Diskussion über die Machtbefugnisse des Rates nicht um uns geht, sondern um die Institution. Marx hat angeführt, daß er eher für die Abschaffung des Rates stimmen würde, als für einen Rat, der lediglich ein Briefkasten sein würde"
(Resolutionen über die Verwaltungsverordnungen, MEW Bd. 18, S. 150)Die Lehren aus diesem Kampf gegen den Parasitismus auf dem Haager Kongreß sind heute besonders relevant. Aufgrund des Bruchs in der organischen Kontinuität mit der vergangenen Arbeiterbewegung gibt es viele Parallelen in der Entwicklung des revolutionären Milieus nach 1968 und jener des Beginns der Arbeiterbewegung. Insbesondere gibt es eine starke Parallele, um nicht zu sagen: Identität, zwischen der Rolle des politischen Parasitismus zu Bakunins Zeiten und heute.
In diesem 3. Teil[i] [4] wollen wir eine der schwierigsten Fragen des Arbeiterkampfes aufgreifen: die Bedingungen und der Zeitpunkt des Aufstands. Auch wenn die Erfahrung in Deutschland negativ ausging, liefert sie dennoch eine Reihe von wertvollen Lehren für die zukünftigen revolutionären Kämpfe.
Im November 1918 hatte die Arbeiterklasse durch ihre Erhebung die Bourgeoisie in Deutschland gezwungen, den Krieg zu beenden. Um eine weitere Radikalisierung der Arbeiterklasse, um eine Wiederholung der Ereignisse in Rußland zu verhindern, hatte die Kapitalistenklasse die SPD[ii] [4] als Speerspitze gegen die Arbeiterklasse in die Schlacht geschickt. Mit ausgefuchster politischer Sabotage versuchte die SPD mit Hilfe der Gewerkschaften, die Schlagkraft der Arbeiterräte zu untergraben.
Aber die herrschende Klasse setzte von Anfang an auch auf die Notwendigkeit einer militärischen Niederschlagung der Bewegung.
In Anbetracht der explosiven Entwicklung, als es überall zu Meutereien der Soldaten und deren Überlaufen auf die Seite der aufständischen Arbeiter kam, war es für die Bourgeoisie nicht möglich, unmittelbar an Repression zu denken. Die Bourgeoisie mußte zuerst politisch gegen die Arbeiterklasse vorgehen, um dann militärisch einen Sieg zu erringen. Welche politische Sabotage sie betrieb, haben wir in der letzten Internationalen Revue Nr. 18 näher hervorgehoben. Wir wollen uns hier mit der Aufstandsfrage befassen.* * *
Die Vorbereitungen für ein militärisches Vorgehen wurden jedoch vom ersten Tag an getroffen. Nicht die ‘rechten’ Parteien leiteten diese militärische Repression in den Weg, sondern die SPD, die sich noch als die ‘große Partei des Proletariats’ darstellte, und dies in engster Absprache mit den Militärs. Es waren die vielgepriesenen Demokraten, die als letztes Bollwerk zur Verteidigung des Kapitalismus auftraten. Sie sollten sich als der wirksamste Schutzwall des Kapitals herausstellen. Die SPD fing an, systematisch Freikorps aufzubauen, da reguläre Truppenteile unter dem ‘Infekt der Arbeiterkämpfe’ immer mehr der bürgerlichen Regierung die Gefolgschaft versagten. Freiwilligenverbände, die mit Sonderprämien geheuert wurden, sollten als militärische Handlanger dienen.
Gerade ein Monat nach dem Beginn der Kämpfe gab die SPD in Absprache mit dem Militär Order, daß Soldaten am 6. Dezember in die Räume der Redaktion der „Roten Fahne“ eindringen. K. Liebknecht und Rosa Luxemburg sowie andere Spartakisten aber auch Mitglieder des Vollzugsrats sollten verhaftet werden. Gleichzeitig attackierten regierungstreue Truppen demonstrierende entlassene und desertierte Soldaten, 14 Demonstranten wurden getötet. Als Reaktion traten am 7. Dezember mehrere Betriebe in Streik, es wurden überall Vollversammlungen in den Betrieben abgehalten. Am 8. Dezember gab es zum ersten Mal eine bewaffnete Demonstration von Arbeitern und Soldaten mit mehr als 150’000 Teilnehmern. In Städten des Ruhrgebietes wie Mülheim verhafteten Arbeiter und Soldaten Industrielle.
Aber gegenüber dieser militärischen Provokation riefen die Revolutionäre nicht zum Aufstand auf, sondern drängten auf eine massive Mobilisierung der Arbeiter. Die Spartakisten schätzten das Kräfteverhältnis so ein, daß die Bedingungen für den Sturz der bürgerlichen Regierung noch nicht vorhanden waren, daß die Arbeiterklasse dazu noch nicht ausreichend Kraft entwickelt hatte.[iii] [4]
Der Reichsrätekongresses Mitte Dezember 1918 (16. - 21. Dezember) verdeutlichte dies; die Bourgeoisie hatte sofort gemerkt, daß sie einen Punktesieg errungen hatte. Auf dem Reichsrätekongreß hatten die Delegierten unter dem Einfluß der SPD beschlossen, ihre Entscheidungen einer zu wählenden Nationalversammlung zu unterwerfen. Gleichzeitig wurde ein ‘Zentralrat’ gewählt, der ausschließlich aus SPD-Mitgliedern bestand und vorgab, im Namen der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands sprechen zu können. Nach diesem Kongreß spürte die Bourgeoisie, daß sie die politische Schwächung der Arbeiterklasse unmittelbar auch militärisch ausnutzen konnte. Am 24. Dezember zettelte sie die nächste militärische Provokation an. Freikorps und regierungstreue Truppen griffen revolutionäre Matrosen an. 11 Matrosen und mehrere Soldaten starben. Wieder große Empörung unter den Arbeitern. Arbeiter der Daimler-Motoren-Gesellschaft und vieler Berliner Betriebe forderten die Bildung einer Roten Garde. Auch hier wieder machtvolle Demonstrationen am 25. Dezember zur Abwehr dieses Angriffes. Die Regierung mußte einen Rückzieher machen. Nach soviel Diskreditierung mußte auch die USPD[iv] [4], die bis dahin noch mit der SPD im Rat der Volksbeauftragten gesessen hatte, am 29. Dezember aus der Regierung austreten.
Die Bourgeoisie gab jedoch nicht nach. Sie strebte weiter danach, das immer noch bewaffnete Proletariat in Berlin zu entwaffnen und einen entscheidenden Schlag gegen die Arbeiterklasse in Berlin zu führen.
Um die Bevölkerung gegen die Arbeiterklasse anzuheizen, machte sich die SPD zum Sprachrohr einer gewaltigen Meuchelmordkampagne gegen die Arbeiterklasse und gegen die Spartakisten insbesondere:
„Wollt ihr Frieden? Dann sorgt Mann für Mann dafür, daß die Gewaltherrschaft der Spartakus-Leute ein Ende nimmt! Wollt ihr Freiheit? Dann macht die bewaffneten Tagediebe Liebknechts unschädlich! Wollt ihr hungern? Dann hört auf Liebknecht! Wollt ihr Sklaven der Entente werden? Liebknecht vermittelt es! Nieder mit der Diktatur der Anarchisten des Spartakus! Der rohen Gewalt dieser Verbrecherbande kann nur mit Gewalt begegnet werden!“ (Flugblatt des Bürgerrates von Groß-Berlin vom 29.12.1918) „Das schändliche Treiben Liebknechts und Rosa Luxemburgs beschmutzt die Revolution und gefährdet alle Errungenschaften. Keine Minute länger dürfen die Massen ruhig zusehen, wie diese Gewalttäter und ihr Anhang die Tätigkeit der republikanischen Behörden lahmlegen.... Mit Lüge, Verleumdung und Gewalt wollen sie alles niederreißen und niederschlagen, was sich ihnen entgegenzustellen wagt (...) Wir haben die Revolution gemacht, um den Krieg zu beenden! Spartakus will eine neue Revolution, um einen neuen Krieg anzufangen.“ (SPD-Flugblatt Januar 1919)Die Spartakisten waren Ende Dezember aus der USPD ausgetreten und hatten sich am 31.12./1.1. mit den Genossen der IKD[v] [4] zur KPD zusammengeschlossen. Damit hatte die Arbeiterklasse eine inmitten der Kämpfe geborene Kommunistische Partei an ihrer Seite, die sofort zur Zielscheibe der Angriffe der SPD, des Hauptverteidigers des Kapitals, wurde.
Die KPD erkannte, daß die Aktivität der breitesten Arbeitermassen erforderlich war, um dieser Taktik des Kapitals gegenüberzutreten. „Nach der ersten Phase der Revolution, der des vorwiegend politischen Kampfes, kommt eine Phase des verstärkten, gesteigerten, in der Hauptsache ökonomischen Kampfes“ (Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD). Die SPD-Regierung wird mit den „emporlodernden Flammen des ökonomischen Klassenkampfes nicht fertig werden“ (ebenda). Deshalb sollte das Kapital mit der SPD an seiner Spitze versuchen, eine weitere Verschärfung der Kämpfe dadurch zu verhindern, indem militärische Aufstände der Arbeiter angezettelt werden sollten. Durch eine frühzeitige Schwächung der Arbeiter in einer militärischen Niederschlagung - insbesondere in Berlin - sollte so schnell ein Zentrum der Arbeiterklasse getroffen werden, um dann schrittweise gegen den Rest der Klasse vorzugehen.
Ende Dezember hatte die Bourgeoisie die in Berlin stationierten Truppen neu organisiert. Mehr als 10’000 Mann starke Stoßtruppen standen ihr jetzt um Berlin zur Verfügung. Insgesamt hatte sie über 80’000 Soldaten um Berlin zusammengezogen. Anfang Januar wollte die Bourgeoisie erneut gegen die Arbeiter militärisch losschlagen. Am 4. Januar wurde der Polizeipräsident von Berlin, der im November von den Arbeitern ernannt worden war, Eichhorn, von der bürgerlichen Regierung entlassen. Dies sollte sofort als Herausforderung der revolutionären Arbeiterschaft empfunden werden. Am Abend des 4. Januar versammelten sich die revolutionären Obleute[vi] [4] zu einer Sitzung, an der auch Liebknecht und Pieck im Namen der frisch gegründeten KPD teilnahmen. Es wurde ein ‘provisorischer Revolutions-Ausschuß’ gegründet, der sich auf den Kreis der Obleute stützte. Gleichzeitig gab es weiterhin den ‘Vollzugsrat’, der in der Zwischenzeit um einen ‘Zentralrat’ ergänzt worden war, und die beide unter der Vorherrschaft der SPD standen.
Für Sonntag, den 5. Januar, rief der revolutionäre Aktionsausschuß zu einer Protestkundgebung auf. Ca. 150’000 Menschen versammelten sich nach einer Demonstration vor dem Polizeipräsidium. Am Abend des 5. Januar besetzten einige Demonstranten - vermutlich aufgewiegelt durch Provokateure, jedenfalls ohne das Wissen und die Zustimmung des Aktionsausschusses - die Gebäude der SPD-Zeitung Vorwärts und anderer Verlage.
Aber die Bedingungen für einen Sturz der Regierung waren nicht vorhanden. So schrieb die KPD Anfang Januar 1919 in einem Flugblatt: „Würden die Berliner Arbeiter heute die Nationalversammlung auseinanderjagen, würden sie die Scheidemann-Ebert ins Gefängnis werfen, während die Arbeiter des Ruhrgebietes, Oberschlesiens, die Landarbeiter Ostelbiens ruhig bleiben, so würden die Kapitalisten morgen Berlin durch Aushungerung unterwerfen können. Der Angriff der Arbeiterklasse auf das Bürgertum, der Kampf um die Macht der Arbeiter- und Soldatenräte müssen das Werk des gesamten arbeitenden Volkes im ganzen Reiche werden. Nur wenn der Kampf der Arbeiter in Stadt und Land überall jeden Tag sich verschärft, zunimmt, wenn er zum reißenden Strome wird, der ganz Deutschland durchbraust, die Welle der Ausbeutung und Unterdrückung hinwegschwemmt, nur dann wird die Regierung des Kapitalismus, wird die Nationalversammlung gesprengt und auf ihren Ruinen die Regierung der Arbeiterklasse errichtet werden, die im weiteren Kampf gegen die Bourgeoisie das Proletariat zum vollen Siege führen wird. Deswegen darf unser Kampf gegen die Nationalversammlung weder in passiver Abstinenz, in einfacher Stimmenthaltung, noch in bloßer Störung der Wahlen, noch in dem bloßen Versuch der Auseinanderjagung der Nationalversammlung bestehen, es gilt, in diesem Kampfe Machtpositionen zu erobern. ... Arbeiter und Arbeiterinnen, Soldaten und Matrosen! Ruft überall Versammlungen ein und klärt die Volksmassen über den Schwindel der Nationalversammlung auf... In jeder Werkstatt, in jedem Truppenteil. seht Euch in jeder Stadt Euren Arbeiter- und Soldatenrat an, prüft, ob er wirklich gewählt worden ist, ob in ihm Vertreter des kapitalistischen Systems, Verräter der Arbeiterklasse, wie die Scheidemänner, oder haltlos hin- und herschwankende Gestalten, wie die Unabhängigen, sitzen. Dann klärt die Arbeiter auf, und setzt die Wahl von Kommunisten durch... Wo ihr die Mehrheit in den Arbeiterräten habt, da sorgt, daß diese Arbeiterräte mit ebensolchen Arbeiterräten in der Provinz in Verbindung treten... .. Verschleißt euch nicht in Euren Versammlungssälen, geht hinaus... klärt die anderen Arbeiter auf...Wenn dieses Programm verwirklicht wird... wird Deutschland als Räterepublik zusammen mit der Räterepublik der russischen Arbeiter die Arbeiter Englands, Frankreichs, Italiens unter die Fahne der Revolution ziehen.“ (aus einem Flugblatt der KPD, Anfang Januar 1919 verteilt). Aus dieser Einschätzung geht hervor, daß sich die KPD darüber im klaren war, daß der Umsturz der Kapitalistenklasse noch nicht unmittelbar möglich war. Der Aufstand stand noch nicht auf der Tagesordnung.
Nach der riesigen Massendemonstration vom 5. Januar gab es am gleichen Abend erneut eine Sitzung der Obleute mit Beteiligung von Delegierten der USPD; KPD, und Vertretern der Garnisonstruppen. Unter dem Eindruck der machtvollen Demonstration versuchte man die Stimmung auszuloten. Von einer kampfbereiten Stimmung wurde bei den Truppen berichtet. Die Anwesenden wählten einen Aktionsausschuß aus 33 Mitgliedern, an dessen Spitze als Vorsitzender Ledebour (USPD), Scholze für die revolutionären Obleute, und Liebknecht für die KPD traten. Für den darauffolgenden 6. Januar beschloß man den Generalstreik und eine erneute Demonstration.
Der Aktionsausschuß verteilte ein Flugblatt mit der Parole: ‘Auf zum Kampf um die Macht des revolutionären Proletariats’, Nieder mit der Regierung Ebert-Scheidemann’.
Soldaten kamen und erklärten dem Aktionsausschuß ihre Solidarität. Eine Soldatendelegation versicherte, sie werde sich auf die Seite der revolutionären Arbeiterschaft stellen, wenn man die vorhandene Ebert-Scheidemann-Regierung für abgesetzt erkläre. Liebknecht für die KPD und Scholz für die revolutionären Obleute unterschrieben daraufhin ein Dekret, die Regierung sei abgesetzt, der Revolutionsausschuß habe die Regierungsgeschäfte übernommen. Am 6. Januar demonstrierten - ca. 500.000 auf der Straße, in allen Stadtteilen fanden Demonstrationen und Versammlungen statt, die Arbeiter der Großbetriebe forderten Waffen. Die KPD forderte die Bewaffnung der Arbeiter und die Entwaffnung der Konterrevolutionäre.
Während jedoch diese Parole „Nieder mit der Regierung“ vom Aktionsausschuß ausgegeben worden war, unternahm der Ausschuß selber keine ernsthaften Versuche, um diese Ausrichtung umzusetzen. In den Betrieben wurden keine Kampftruppen aufgestellt, es wurde nicht versucht, die Staatsgeschäfte in die Hand zu nehmen, die alte Regierung zu lähmen. Der Aktionsausschuß besaß nicht nur keinen Aktionsplan, er wurde gar am 6. Januar von Marinesoldaten aufgefordert, ein Gebäude, wo er tagte, zu verlassen - was er tat!
Die demonstrierenden Arbeitermassen warteten in den Straßen auf Anweisungen, während die Führer ratlos tagten. Während die Führung des Proletariats wankte und schwankte, abwartete, zögerte, selbst keinen Plan hatte, erholte sich die SPD-geführte Regierung schnell vom Schock des ersten Widerstands der Arbeiterklasse. Sobald sich die Schwäche der Revolutionäre und der Mangel an Führung offenbarte, straffte sich auf der Gegenseite die Entschlossenheit und von allen Seiten wuchsen ihr jetzt Hilfskräfte zu. Die SPD rief zu Streiks und Demos zur Unterstützung der Regierung auf. Es war die Partei der ‘Demokratie’, die die gewaltigste Hetze gegen die Kommunisten startete: „Wo Spartakus herrscht, ist jede persönliche Freiheit und Sicherheit aufgehoben. Dem deutschen Volke und insbesondere der deutschen Arbeiterschaft drohen die schlimmsten Gefahren. Wir wollen uns nicht länger von Irrsinnigen und Verbrechern terrorisieren lassen. Es muß endlich Ordnung in Berlin geschaffen und der ruhige Aufbau des neuen revolutionären Deutschland gesichert werden. Wir fordern euch auf, zum Protest gegen die Gewalttaten der Spartakusbanden die Arbeit einzustellen und sofort vor dem Haus der Reichsregierung zu erscheinen.
Arbeiter, Soldaten, Genossen!... Ihr müßt jetzt bereit sein, Euch mit Eurer ganzen Person für die revolutionäre Ordnung einzusetzen. Zu diesem Zweck fordern wir Euch auf, eine freiwillige republikanische Schutzwehr zu bilden. Bringt Eure Partei- und gewerkschaftliche Legitimation mit. Nähere Anweisungen werden Euch gegeben. Wir dürfen nicht eher ruhen, als bis die Ordnung in Berlin wieder hergestellt und dem ganzen Volke der Genuß der revolutionären Errungenschaften gesichert ist. Nieder mit den Mördern und Verbrechern. Hoch die sozialistische Republik - Vorstand der SPD, 6. Januar 1919.“ Die Arbeitsstelle Berliner Studenten schrieb: „Ihr bürgerlichen kommt heraus aus Euren Häusern und stellt Euch Schulter an Schulter mit den Mehrheitssozialisten! Höchste Eile tut not!“ (Flugblatt vom 7./8. Januar). „Die Reichsregierung hat mir die Führung der republikanischen Soldaten übertragen. Ein Arbeiter steht also an der Spitze der Macht der sozialistischen Republik. Ihr kennt mich und meine Vergangenheit in der Partei. Ich bürge Euch dafür, daß kein unnützes Blut vergossen wird. Ich will säubern, nicht vernichten. Die Einigkeit der Arbeiterklasse muß gegen Spartakus stehen, wenn Demokratie und Sozialismus nicht untergehen sollen.“ (Noske 11. Januar 1919). Der Zentralrat, der vom Reichskongreß „ernannt“ worden war und vor allem von der SPD beherrscht wurde, erklärte: „..eine kleine Minderheit ist bestrebt, eine brutale Gewaltherrschaft zu errichten. Das verbrecherische, alle Errungenschaften der Revolution gefährdende Treiben bewaffneter Banden hat uns genötigt, der Reichsleitung (Reichsregierung) außerordentliche Vollmachten zu erteilen, damit in Berlin endlich einmal die Ordnung ...wiederhergestellt werden kann. Alle Meinungsverschiedenheiten im einzelnen müssen jetzt zurückgestellt werden hinter dem Ziel... das ganze werktätige Volk vor neuem furchtbaren Unglück zu bewahren. Es ist die Pflicht aller Arbeiter- und Soldatenräte, uns und die Reichsleitung (die Regierung) dabei mit allen Mitteln zu unterstützen... - Der Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik“ (Extrablatt Vorwärts, 6. Januar 1919). Im Namen der Revolution und der Interessen der Arbeiterklasse trat die SPD (mit ihren Komplizen) nun auf und bereitete sich darauf vor, die Revolutionäre zu massakrieren. Mit der spitzfindigsten Doppelzüngigkeit rief sie die Arbeiterräte dazu auf, sich hinter die Regierung zu stellen, um nun gegen die ‘bewaffneten Banden’ vorzugehen. Die SPD selbst stellte eine militärische Abteilung auf, die in Kasernen Waffen erhielt, und man ernannte Noske zum Chef der Repressionstruppen. „Einer muß der Bluthund werden, ich scheue die Verantwortung nicht“.Schon am 6. Januar kam es zu vereinzelten Gefechten, während die Regierung um Berlin immer mehr Truppen zusammenzog, tagte am Abend des 6. Januar der Berliner Vollzugsrat. Der Berliner Vollzugsrat, von SPD und USPD beherrscht, schlug dem revolutionären Aktionsausschuß Verhandlungen zwischen den revolutionären Obleuten und der SPD-Regierung vor, zu deren Sturz der Aktionsausschuß gerade erst aufgerufen hatte. D.h. anstatt an der Spitze der Bewegung gegen die Regierung zu stehen, setzte sich der Vollzugsrat zwischen zwei Stühle. Der Vollzugsrat wollte als ‘versöhnende Kraft’ auftreten, indem das Unversöhnliche versöhnt wurde. Dieser Schritt des Vollzugsrates brachte die bis dahin abwartenden und zögernden Soldaten ganz ins Schwanken. Die Matrosen erklärten, sie wollten sich nunmehr ‘neutral’ verhalten. Jedes Schwanken kann schnell zu einem Vertrauensverlust in die Fähigkeit der Arbeiterklasse selbst, vor allem aber zu Mißtrauen gegenüber den politischen Organisationen der Arbeiterklasse führen. Die SPD schaffte es so, die Arbeiterklasse zutiefst zu schwächen. Gleichzeitig setzte sie Provokateure ein (wie sich später herausstellte), die die Arbeiter zu Zusammenstößen trieb. So wurden am 7. Januar verschiedene Zeitungsredaktionen besetzt.
Die Leitung der KPD hatte gegenüber den Unternehmungen in Berlin und dem von den revolutionäre Obleuten gefaßten Beschluß auf Eroberung der politischen Gewalt eine klare Position: Ausgehend von der Einschätzung der Lage auf dem Gründungsparteitag der KPD, hielt die KPD den Zeitpunkt für einen Aufstand für verfrüht.
Am 8. Januar schrieb die ‘Rote Fahne’: „Heute gilt es also, die Arbeiter- und Soldatenräte neu zu wählen, den Vollzugsrat neu zu besetzen unter der Losung: Hinaus mit den Ebert und Anhängern! Heute gilt es, die Erfahrungen der letzten 8 Wochen in den A- und S-Räten zum Ausdruck zu bringen, solche A- und S-Räte zu wählen, die der Auffassung, den Zielen und Bestrebungen der Massen entsprechen. Es gilt mit einem Wort, die Ebert-Scheidemann vor allem in den Fundamenten der Revolution, in den A- und S-Räten zu schlagen. Dann, aber erst dann werden die Berliner Massen und ebenso die Massen im ganze Reiche in den A- und S-Räten revolutionäre Organe haben, die ihnen in allen entscheidenden Momenten wirkliche Führer, wirkliche Zentren der Aktion, der Kämpfe und Siege abgeben werden“ (Rote Fahne, 8. Januar). Die Spartakisten drängten somit die Arbeiterklasse zu einer Intensivierung des Druckes vor allem in den Arbeiterräten, indem die Kämpfe auf ihrem eigenen Boden in den Fabriken geführt werden sollten und indem Ebert, Scheidemann & Co. davongejagt werden. Indem der Druck in den Räten erhöht würde, könnte die Bewegung einen neuen Anschub erhalten, um die Schlacht um die Machtergreifung anzutreten.
Am 8. Januar übten Rosa Luxemburg und Leo Jogiches scharfe Kritik am Aufruf zum unmittelbaren Sturz der Regierung, der vom Revolutionsausschuß aufgestellt wurde, aber auch und vor allem daran, daß dieser wegen seiner zögernden und kapitulantenhaften Haltung unfähig war, die Bewegung der Klasse zu leiten. Insbesondere warfen sie K. Liebknecht vor, auf eigene Faust zu handeln, sich durch seinen Enthusiasmus und seine Ungeduld hinreißen zu lassen, anstatt sich an die Beschlüsse der Partei zu halten und sich auf das Programm und die Einschätzung der Partei zu stützen und daran zu halten.
Diese Situation zeigte, daß es weder an einem Programm noch an politischen Analysen der Lage mangelte, sondern an der Fähigkeit der Partei, als Organisation ihre politische Führungsrolle der Arbeiterklasse zu übernehmen. Die erst wenige Tage alte KPD hatte nicht den Einfluß und noch weniger die Solidität und den organisatorischen Zusammenhalt, den insbesondere die Bolschewistische Partei 1917 in Rußland hatte. Diese Unreife der KPD war der Grund für die Zerstreuung in ihren Reihen, die später eine schwere und dramatische Bürde darstellen sollte.
In der Nacht vom 8. auf den 9. Januar überfielen Regierungstruppen Arbeiter. Der Aktionsausschuß, der das Kräfteverhältnis noch immer nicht richtig einschätzte, drängte auf ein Losschlagen gegen die Regierung, obwohl diese selbst im Aufwind war: „Auf zum Generalstreik, auf zu den Waffen... Es gibt keine Wahl! Es muß gekämpft werden bis aufs Letzte“. Dem Aufruf folgten viele Arbeiter, warteten jedoch erneut vergeblich auf präzise Anweisungen des Ausschusses, was konkret zu tun sei. Nichts geschah, um die Massen zu organisieren, die Verbrüderung der revolutionären Arbeiter mit den Truppen herbeizuführen... Die Regierungstruppen marschierten unterdessen in Berlin ein und lieferten den bewaffneten Arbeitern tagelang heftige Straßenkämpfe. Bei immer wieder aufflammenden Zusammenstößen in verschiedenen Stadtteilen Berlins wurden unzählige Arbeiter erschossen und verletzt. Die Kämpfe dauerten nahezu eine Woche. Am 13. Januar wurde von der USPD-Führung der Generalstreik als beendet erklärt. Am 15. Januar wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von den Schergen des sozialdemokratisch geführten Regimes ermordet! Die Kampagne ‘Tötet Liebknecht’ war ‘erfolgreich’ abgeschlossen. Die KPD war ihrer besten Führer beraubt!
Während die frisch gegründete KPD das Kräfteverhältnis für richtig eingeschätzt hatte und vor einem Aufstand gewarnt hatte, hatte der von den revolutionären Obleuten dominierte Aktionsausschuß die Lage falsch eingeschätzt. Es ist deshalb eine Geschichtsverfälschung von einer sog. ‘Spartakuswoche’ zu reden. Die Spartakisten hatten sich gegen überstürzte Schritte ausgesprochen. Der Bruch der Parteidisziplin durch Liebknecht und Pieck darf nicht das Bild entstehen lassen, der Spartakusbund hätte diese Kämpfe angezettelt. Es war das überstürzte, vor Ungeduld brennende und letztendlich kopflose Verhalten der revolutionären Obleute, die für das Fiasko verantwortlich sind. Die KPD besaß zu dem Zeitpunkt nicht die Kraft, die Bewegung zurückzuhalten - so wie es im Juli 1917 die Bolschewiki geschafft hatten. Der spätere Polizeichef gab dies zu: „Ein Erfolg der Spartakusleute war von vornherein ausgeschlossen, da wir sie durch unsere Vorbereitungen zum früheren Zuschlagen genötigt haben. Ihre Karten wurden früher aufgedeckt, als sie es wünschten, und wir waren daher in der Lage, ihnen entgegenzutreten“ (Polizeipräsident Ernst (SPD), der den alten abgelöst hatte). Die Bourgeoisie verspürte jedoch sofort, daß nach ihrem militärischen Erfolg sie diesen weiter ausbauen mußte. In einer Welle blutiger Repression wurden tausende Berliner Arbeiter, Kommunisten ermordet, mißhandelt und gefangengenommen. Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war keine Ausnahme, sondern die wilde Entschlossenheit der Bourgeoisie, ihre Todfeinde, die Revolutionäre, auszulöschen. Am 19. Januar triumphierte dann die Demokratie - die Wahlen zur Nationalversammlung fanden statt. Die Regierung hatte unter dem Druck der Arbeiterkämpfe ihren Sitz nach Weimar verlegt. Die deutsche Demokratie, die Weimarer Republik, wurde nach und erst dank dem Massaker an der Arbeiterklasse geboren.Der Aufstand - nur eine Frage der Partei? Hinsichtlich der Frage des Aufstands stützte sich die KPD klar auf die Positionen des Marxismus und insbesondere auf die Aussagen von F. Engels nach der Erfahrung von 1848: „Nun ist der Aufstand eine Kunst. Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Wert sich jeden Tag ändern können; die Kräfte des Gegners haben alle Vorteile der Organisation, der Disziplin und der hergebrachten Autorität auf ihrer Seite; kann man ihnen nicht mit starker Überlegenheit entgegentreten, so ist man geschlagen und vernichtet. Zweitens, hat man einmal den Weg des Aufstands beschritten, so handle man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jedes bewaffneten Aufstands; er ist verloren, noch bevor er sich mit dem Feinde gemessen hat. Überrasche deinen Gegner, solange seine Kräfte zerstreut sind, sorge täglich für neue, wenn auch noch so kleine Erfolge; erhalte dir das moralische Übergewicht, das der Anfangserfolg der Erhebung dir verschafft hat; ziehe so die schwankenden Elemente auf deine Seite, die immer dem stärksten Antrieb folgen und sich immer auf die sichere Seite schlagen; zwinge deine Feinde zum Rückzug, noch ehe sie ihre Kräfte gegen dich sammeln können...’ (Engels in ‘Revolution und Konterrevolution in Deutschland’, 1848, geschrieben 1851, in MEW Bd 8, S. S. 95). Die Spartakisten hatten die gleiche Herangehensweise gegenüber der Aufstandsfrage wie Lenin im April 1917. „Um erfolgreich zu sein, darf sich der Aufstand nicht auf eine Verschwörung, nicht auf eine Partei stützen, er muß sich auf die fortgeschrittenste Klasse stützen. Dies zum ersten. Der Aufstand muß sich auf den revolutionären Aufschwung des Volkes stützen. Dies zum zweiten. Der Aufstand muß sich auf einen solchen Wendepunkt in der Geschichte der anwachsenden Revolution stützen, wo die Aktivität der vordersten Reihen des Volkes am größten ist, wo die Schwankungen in den Reihen der Feinde und in den Reihen der schwachen, halben, unentschlossenen Freunde der Revolution am stärksten ist. Dies zum dritten. Durch diese drei Bedingungen eben unterscheidet sich der Marxismus in der Behandlung der Frage des Aufstands vom Blanquismus“ (Lenin, Marxismus und Aufstand, Brief an das ZK der SDAPR, geschrieben 13. Sep. 1917, in Werke Bd. 26, S. 4). Wie stand es im Januar 1919 konkret um die von Lenin genannten Kriterien?Der Aufstand stützt sich auf den revolutionären Aufschwung der Klasse Die Analyse der KPD auf ihrem Gründungskongreß war: Die Klasse ist noch nicht reif für den Aufstand. Nach der anfänglich von Soldaten dominierten Bewegung hätte jetzt ein neuer Schub aus den Betrieben, neuer Druck aus den Versammlungen und Demonstrationen der Arbeiter kommen müssen. Dies hätte der Bewegung Auftrieb und mehr Selbstvertrauen geben müssen. Wenn der Aufstand kein Putschversuch seitens einiger verzweifelter und ungeduldiger Elemente sein sollte, sondern sich auf den ‘revolutionären Aufschwung der Arbeiterklasse’ stützen mußte, wäre diese Intensivierung des Kampfes notwendig gewesen. Zudem hatten die Arbeiterräte im Januar noch lange nicht die Zügel in der Hand, war die Doppelmacht durch die Arbeiterräte aufs heftigste von der SPD sabotiert worden. Wie im letzten Artikel dargestellt, war der Reichsrätekongreß Mitte Dezember ein Sieg der Bourgeoisie gewesen, und es war noch zu keiner Neubelebung der Arbeiterräte gekommen. Die Einschätzung des Kräfteverhältnisses, der Dynamik der Entwicklung, die die KPD hatte, war realistisch. Manche meinen, die Partei solle die Macht ergreifen. Aber dann soll man erklären, wie eine noch so starke Partei das machen kann, wenn große Teile der Arbeiterklasse ihr Bewußtsein noch nicht ausreichend entwickelt haben, noch zögerlich sind und schwanken, wenn die Arbeiterklasse noch nicht einmal ausreichend starke Arbeiterräte gebildet hat, die sich dem bürgerlichen Regime entgegenstellen können. Aus unserer Sicht steckt dahinter ein grundsätzliches Verkennen der fundamentalsten Charakteristiken einer proletarischen Revolution und des Aufstandes, der, wie Lenin an erster Stelle hervorhob, ‘keine Verschwörung der Partei sein kann, sondern sich auf die fortgeschrittenste Klasse stützen muß’. Es sei denn, man hat eine blanquistische, putschistische Auffassung? Selbst im Oktober 1917 bestanden die Bolschewiki nachdrücklich darauf, daß nicht die Bolschewistische Partei die Macht ergreift, sondern der Petrograder Sowjet. Der Aufstand ist keine Frage der ‘Deklaration von Oben’, der dann die Massen folgen müssen, sondern die Massen selber müssen vorher genügend Eigeninitiative und Kontrolle über ihre Kämpfe entwickelt haben, daß sie im Moment des Aufstands tatsächlich den Anweisungen und Orientierungen der Räte und der Partei bewußt folgen. Deshalb ist ein proletarischer Aufstand kein Putsch oder ein Handstreich - wie die bürgerlicher Ideologen es sich nur vorstellen können, sondern das Werk der Arbeiterklasse selbst. Denn, damit das Proletariat das Joch des Kapitalismus abschüttelt, reichen nicht allein der Wille und die Entschlossenheit der Revolutionäre, d.h. des klarsten und entschlossensten Teils der Klasse. „...das aufständische Proletariat kann nur auf seine zahlenmäßige Stärke, seine Geschlossenheit, seine Kader, seinen Stab rechnen“ (Trotzki, Geschichte der russischen Revolution, Die Kunst des Aufstands, S. 833). Dieser Reifegrad war aber in der Klasse im Januar in Deutschland noch nicht erreicht.Die zentrale Rolle der Kommunisten Die Kommunisten erkannten deshalb im Januar ihre Aufgabe, die Arbeiterklasse durch unermüdliche ‘Aufklärungsarbeit’ weiter voranzudrängen. Nichts anderes als das hatte Lenin in seinen Aprilthesen im April 1917 betont: „Es scheint, als sei das ‘bloß’ propagandistische Arbeit. In Wirklichkeit ist es im höchsten Grade praktische revolutionäre Arbeit, denn man kann eine Revolution nicht vorwärtstreiben, die zum Stillstand gekommen, die in Redensarten versandet ist, die ‘auf der Stelle tritt’ nicht etwa äußerer Hindernisse wegen, nicht weil die Bourgeoisie Gewalt gegen sie anwendet, sondern weil die Massen in blinder Vertrauensseligkeit befangen sind. Nur durch den Kampf gegen diese blinde Vertrauensseligkeit ... können wir uns von der grassierenden revolutionären Phrase befreien und wirklich sowohl das Bewußtsein des Proletariats als auch das Bewußtsein der Massen sowie ihre kühne, entschlossene Initiative ...vorantreiben.“ (Lenin, Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution“, Bd 24, S. 47)Wenn der Siedepunkt dann erreicht ist, muß gerade die Partei ‘den Moment für das Angriffssignal richtig erfassen’ (Trotzki) können, um die Klasse zum richtigen Zeitpunkt zum Aufstand zu drängen. Die Klasse muß ‘über sich eine weitblickende, feste und sichere Leitung (in Form der Partei) fühlen’. (Trotzki).
Im Gegensatz zu den Bolschewiki im Juli 1917 hatte die KPD im Januar 1919 noch längst nicht soviel Gewicht, daß sie den Lauf der Kämpfe entscheidend hätte mitbestimmen können. Es reicht nicht, daß die Partei eine richtige Position hat, sie muß auch ein entsprechendes Gewicht in der Klasse haben. Und weder die verfrühte Aufstandsbewegung in Berlin noch weniger die darauf folgende blutige Niederlage ermöglichten es, dieses Gewicht aufzubauen. Die Bourgeoisie dagegen schaffte es, die revolutionäre Vorhut zu schwächen, indem ihre besten Militanten umgebracht wurden und ihr Hauptinterventionsinstrument in der Klasse, ‘Die Rote Fahne’ zum Schweigen gebracht wurde. In einer Zeit, als die breitest mögliche Intervention der KPD erforderlich war, stand die KPD wochenlang ohne Presse da. Das Drama der zersplitterten Kämpfe International traten in diesen Wochen die Arbeiter in mehreren Ländern dem Kapital entgegen. Während in Rußland die Offensive der konterrevolutionären Weißen Truppen gegen die Arbeitermacht sich verstärkte, hatte das Kriegsende gleichzeitig zu einer Beruhigung in den ‘Siegerländern’ an der Klassenfront geführt. In England und Frankreich gab es zwar auch eine Reihe von Streiks, aber die Kämpfe schlugen nicht die radikale Richtung ein wie in Deutschland und Rußland. Die Arbeiter in Deutschland und in Mitteleuropa schlugen sich relativ abgeschnitten vom Rest der Klasse in den anderen Industriezentren. Im März errichteten die Arbeiter in Ungarn eine Räterepublik, die nach wenigen Wochen von konterrevolutionären Truppen niedergemetzelt wurde.Nachdem sie den Arbeiteraufstand in Berlin niedergeschlagen hatte, betrieb die Bourgeoisie eine Politik des Versuchs der Auflösung der Soldatenräte; sie wollte eine Bürgerkriegsarmee aufstellen. Darüber hinaus strebte sie die systematische Entwaffnung der Arbeiterklasse an. Aber die Kampfbereitschaft der Arbeiter flammte immer noch an vielen Orten auf. Die Schwerpunkte einer Reihe von Kämpfen sollten in den nächsten Monaten zerstreut in ganz Deutschland liegen, wobei es in nahezu jeder großen Stadt zu heftigen Zusammenstößen zwischen Kapital und Arbeit kam, die aber isoliert voneinander blieben. Bremen im Januar ... Am 10. Januar rief in Bremen der Arbeiter- und Soldatenrat aus Solidarität mit den Berliner Arbeitern die Republik aus. Er verkündete die Entfernung der SPD-Mitglieder aus dem Arbeiterrat, Bewaffnung der Arbeiter, Entwaffnung der bürgerlichen Elemente. Der Arbeiter- und Soldatenrat ernannte eine Räteregierung, die ihm gegenüber rechenschaftspflichtig war. Am 4. Februar hatte die Reichsregierung ausreichend Truppen vor Bremen versammelt, um die isoliert gebliebene Stadt mit ihrem Arbeiter- und Soldatenrat anzugreifen. Am gleichen Tag noch fiel Bremen in die Hände der Bluthunde. Das Ruhrgebiet im Februar ... Auch im Ruhrgebiet, der größten Konzentration von Arbeitern, flammte die Kampfbereitschaft nach Beendigung des Krieges weiter auf. Noch vor dem Krieg hatte es 1912 eine längere Streikwelle gegeben, dann reagierten die Arbeiter im Juli 1916, im Januar 1917, Januar 1918, August 1918 mit großen Streiks gegen den Krieg. Im November 1918 befanden sich die dort entstandenen Arbeiter- und Soldatenräte meist noch unter dem Einfluß der SPD. Vor allem ab Januar und Februar 1919 brachen viele wilde Streiks aus. Streikende Belegschaften zogen zu Nachbarzechen und bewogen sie zum Anschluß. Da kam es oft zu gewalttätigen Zusammenstößen mit Arbeiterräten, die in dieser Phase noch von der SPD beherrscht wurden. Die KPD trat für folgende Orientierung ein: „Die Machtergreifung durch das Proletariat und die Durchführung des Sozialismus hat zur Voraussetzung, daß die überwiegende Mehrheit des Proletariats sich zum Willen hindurchringt, die Diktatur zu ergreifen. Wir glauben nicht, daß dieser Augenblick schon gekommen ist. Wir glauben, daß die Entwicklung der nächsten Wochen und Monate erst das Proletariat als Gesamtheit zu der Auffassung wird heranreifen lassen, daß nur in seiner Diktatur sein Heil liegt. Die Regierung Ebert-Scheidemann lauert auf die Gelegenheit, diese Entwicklung im Blut zu ersticken. Wie in Berlin, wie in Bremen wird sie versuchen, Revolutionsherde einzeln zu ersticken, um so der allgemeinen Revolution zu entgehen. Das Proletariat hat die Pflicht, diese Provokationen zuschaden zu machen, indem es vermeidet, in bewaffneten Aufständen den Henkern Opfer freiwillig anzubieten. Es gilt vielmehr, bis zu dem Augenblick der Machtergreifung die revolutionäre Energie der Masse in Demonstrationen, in Versammlungen, in Propaganda, Agitation und Organisation aufs höchste zu steigern, die Massen in immer größerem Umfang zu gewinnen und die Geister bereit zu machen für die kommende Stunde. Vor allem ist überall auf die Neuwahl der Arbeiterräte zu dringen unter der Parole: Heraus mit den Ebert-Scheidemännern aus den Arbeiterräten! Heraus mit den Henkern!“ (Aufruf der Zentrale der KPD vom 3. Februar 1919 zur Neuwahl der Arbeiterräte) Am 6. Februar tagten die Delegierten von 109 Arbeiter- und Soldatenräten des Ruhrgebiets und forderten die Sozialisierung der Produktionsanlagen. Hinter der Sozialisierungsforderung stand die wachsende Erkenntnis der Arbeiter, daß die Kontrolle über die Produktionsmitteln nicht in den Händen des Kapitals bleiben durfte. Solange jedoch die Arbeiter noch nicht die politische Macht in den Händen halten, noch nicht die bürgerliche Regierung gestürzt ist, kann sich diese Forderung als Bumerang erweisen. Denn wenn es vorher keinen politischen Sturz der Bourgeoisie gegeben hat, dann sind alle Sozialisierungsmaßnahmen ohne politische Macht in den Händen der Arbeiter nicht nur Sand in den Augen, sondern auch ein Mittel, um den Kampf abzuwürgen. So versprach die SPD ein Sozialisierungsgesetz, mit dem eine staatliche Scheinkontrolle unter ‘Mitwirkung der Arbeiterschaft’ angeboten werden sollte. „Die AR werden als wirtschaftliche Interessensvertretung grundsätzlich anerkannt und in der Verfassung verankert. Wahl und Aufgaben werden durch ein sofort zu veranlassendes besonderes Gesetz geregelt.“ (Gesetzestext). Gleichzeitig sollten die Arbeiterräte in Betriebsräte umgewandelt werden. Ihre Funktion sollte nunmehr sein: kontrollierend und mitbestimmend im Wirtschaftsprozeß mitzuwirken. Das Ziel dieses Vorgehens war: Abstumpfung der Arbeiterräte, ihre Integration in den Staat. Sie sollten nicht mehr als Organ der Doppelmacht gegen den kapitalistischen Staat wirken, sondern der Regelung der kapitalistischen Produktion dienen. Diese Mystifizierung läßt den Glauben aufkommen, man könne jetzt sofort ‘in seiner Fabrik’ mit der Umwälzung der Produktion beginnen, die Arbeiter werden leicht auf die lokalen, fabrikspezifischen Bedingungen fixiert - anstatt in dieser Phase für die internationale Ausdehnung und Vereinigung der Kämpfe einzutreten.. Diese Taktik, die zum ersten Mal von der deutschen Bourgeoisie ansatzweise eingesetzt wurde, äußerte sich dann in Betriebsbesetzungen. In den Kämpfen in Italien 1919/1920 sollte sie von der Bourgeoisie dort mit großen Erfolg eingebracht werden. Ab dem 10. Februar waren die Truppen, die vorher in Berlin und Bremen ihr Blutbad angerichtet hatten, im Anmarsch aufs Ruhrgebiet. Die Arbeiter- und Soldatenräte des gesamten Industriegebietes beschlossen, den Generalstreik und den bewaffneten Kampf gegen die Freiwilligenkorps aufzunehmen. Überall erscholl der Ruf ‘Heraus aus den Betrieben’. Es gab eine Unmenge von militärischen Zusammenstößen. Und wieder das gleiche Bild: Die SPD rief zur Beendigung der Streiks auf. Wieder bildete sie militärische Abteilungen zum Kampf gegen streikende Arbeiter. Die Rage der Arbeiter war oft so groß, daß SPD-Gebäude angegriffen wurden. So am 22. Februar in Mülheim-Ruhr. Dort beschossen Kommunisten eine SPD-Versammlung mit Maschinengewehrfeuer. In Gelsenkirchen, Dortmund, Bochum, Duisburg, Oberhausen, Wuppertal, Mülheim-Ruhr und Düsseldorf standen bewaffnete Arbeiter und Soldaten in größerer Anzahl. Aber auch hier fehlte es wie zuvor schon in Berlin an Leitung und Organisation. Während der gesamte Staatsapparat mit der SPD an der Spitze zentralisiert gegen die Arbeiter vorgehen konnte, gab es keine einheitliche, die Kraft der Arbeiter steuernde Leitung. Bis zum 20. Februar streikten über einen Monat lang ca. 150’000 Arbeiter. Am 25. Februar wurde die Wiederaufnahme der Arbeit beschlossen, der bewaffnete Kampf eingestellt. Wieder konnte die Bourgeoisie ihre Repression ungehindert ausüben. Freikorps besetzten im Ruhrgebiet eine Stadt nach der anderen. Dennoch kam es Anfang April wieder zu einem Generalstreik. Am 1. April streikten 150’000, am 10. April 300’000 und Ende April war die Zahl der Streikenden wieder gefallen auf 130’000. Ab Mitte April erneut Repression und Jagd auf Kommunisten. Gleichzeitig standen in Württemberg, Braunschweig, Berlin, Frankfurt, Danzig, Mitteldeutschland große Massen im Streik. Das Ruhrgebiet war für die Bourgeoisie eine Priorität, es mußte zur Ruhe gebracht werden. Mitteldeutschland im Februar und März .. Als Ende Februar die Bewegung im Ruhrgebiet abgeflacht war, die Truppen dort die Oberhand gewonnen hatten, tauchte auch das Proletariat in Mitteldeutschland wieder auf der Bühne auf. Während die Bewegung sich im Ruhrgebiet auf Kohle und Stahl beschränkt hatte, erfaßte sie in Mitteldeutschland die ganze Industrie-Arbeiterschaft und den Transportbereich. In nahezu allen Städten und größeren Betrieben beteiligten sich die Arbeiter an der Bewegung. Am 24. Februar wurde ein Generalstreik ausgerufen, d.h. 3 Tage nach Ende der Bewegung im Ruhrgebiet. Sofort erließen die Arbeiter- und Soldatenräte einen Aufruf an Berlin, daß es sich anschließen sollte. Auch hier lag der KPD nichts an einer überstürzten Aktion: „solange die Revolution noch nicht ihre zentralen Aktionsorgane hat, müssen wir die an Tausende Punkte ansetzende lokale Aktion der Räteorganisation entgegensetzen“ (Flugblatt der Zentrale der KPD). Verstärkung des Drucks aus den Betrieben! Intensivierung der ökonomische Kämpfe und Erneuerung der Räte! Weitergehende Forderungen nach dem Sturz der Regierung wurden nicht erhoben. Auch hier schaffte es die Bourgeoisie jedoch mit einem Abkommen über die angestrebte Sozialisierung der Bewegung die Spitze zu brechen. Am 6./7. März wurde die Arbeit wieder aufgenommen. Bei allen militärischen Unternehmungen... ist rechtzeitig Fühlung mit den regierungstreuen führenden SPDlern zu nehmen“ Wieder Berlin im März ... Nachdem die Bewegung im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland ihrem Ende zuneigte, trat am 3. März das Proletariat in Berlin in einen Generalstreik. Die Orientierung war: Verstärkung der Arbeiter- und Soldatenräte, Freilassung aller politischer Gefangenen, Bildung einer revolutionären Arbeiterwehr, Kontaktaufnahme mit Rußland. Die rapide Verschlechterung der Lage der Bevölkerung nach dem Krieg, explodierende Preise, aufkommende Massenarbeitslosigkeit nach der Demobilisierung trieben die Arbeiter zu verstärkten Abwehrkämpfen. Auch in Berlin traten die Kommunisten dafür ein, durch eine Neuwahl in den Arbeiterräten eine größere Druckwelle gegen die Regierung nach den Wahlen zur bürgerlichen Nationalversammlung aufzubauen. Die Bezirksleitung Groß-Berlin der KPD schrieb: „Glaubt ihr, eure revolutionären Ziele mit dem Stimmzettel zu erreichen? .... Wollt ihr die Revolution weitertreiben, dann setzt eure ganze Kraft ein für die Arbeit in den A.- und S.-Räten. Sorgt dafür, daß sie ein wirkliches Instrument der Revolution werden. Sorgt für Neuwahlen zu den Arbeiter- und Soldatenräten.“ Die SPD stemmte sich jedoch gegen Neuwahlen zu den Arbeiterräten und zum Vollzugsrat. Auch hier wieder Sabotage der Kämpfe mit politischen und - wie wir sehen werden- mit militärischen Mitteln. Als die Berliner Arbeiter Anfang März in den Streik traten, übernahm der Vollzugsrat die Leitung des Streiks. Wieder wurde der Vollzugsrat aus Delegierten der SPD und USPD zusammengesetzt. Die KPD wollte nicht mit der SPD in einer Streikleitung sitzen. ‘Die Vertreter dieser Politik in die Streikleitung zu übernehmen, bedeutet den Verrat an dem Generalstreik und an der Revolution.’ Wie es heute immer wieder die Sozialdemokraten und Stalinisten und andere Vertreter der extremen Linken tun, schaffte es die SPD, sich dank der Leichtgläubigkeit der Arbeiter aber auch durch alle möglichen Tricks und Täuschungsmanöver in die Streikleitung einzuschleichen. Die KPD ließ sich nicht von einer Bloßstellung dieser Henker der Arbeiterklasse abbringen. Die Regierung verbot die Veröffentlichung der ‘Roten Fahne’, während die SPD ihre Zeitung ‘Vorwärts’ weiter drucken lassen konnte. Die Konterrevolutionäre konnten ungehindert sprechen, die Revolutionäre sollten zum Schweigen verurteilt werden! Aus Vorsicht vor Angriffen konterrevolutionären Truppen im Streik, bei Demonstrationen warnte die „Rote Fahne“: „Laßt die Arbeit ruhen! Bleibt vorläufig in den Betrieben. Versammelt Euch in den Betrieben. Klärt die Zaghaften und Zurückgebliebenen auf! Laßt euch nicht in unnütze Schießereien ein, auf die der Noske nur lauert, um neues Blut zu vergießen!“
Frühzeitig jedoch schon initiierte die Bourgeoisie Plünderungen, die als offizielle Rechtfertigung für den Einsatz des Militärs dienten. Noske-Soldaten zerstörten als allererstes die Redaktionsräume der „Roten Fahne“. Führende KPD-Mitglieder wurden wieder in Haft genommen, Leo Jogiches erschossen. Gerade weil die ‘Rote Fahne’ die Arbeiterklasse vor den Provokationen der Bourgeoisie gewarnt hatte, wurde die ‘Rote Fahne’ zur sofortigen Zielscheibe der konterrevolutionären Truppen.
Die Repression in Berlin begann am 4. März. Ca. 1.200 Arbeiter wurden erschossen, wochenlang wurden Leichen in der Spree ans Ufer gespült. Wer ein Bild von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht besaß, wurde verhaftet. Wir betonen erneut: Nicht Faschisten zeichneten für diese blutrünstige Repression verantwortlich, sondern die SPD! Als am 6. März der Generalstreik in Mitteldeutschland abgebrochen wurde, wurde er auch in Berlin am 8. März beendet. In Sachsen, Baden, Bayern, überall gab es zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig Generalstreiks, aber der Funken zwischen diesen Bewegungen sprang nicht über. Die bayrische Räterepublik im April Aber auch in Bayern erhob die Arbeiterklasse die Stirn. Am 7. April versuchten SPD und USPD die ‘Gunst der Massen durch eine pseudo-revolutionäre Aktion zu gewinnen’ (Léviné). Wie im Januar in Berlin hatte die KPD erkannt, daß überhaupt kein für die Arbeiter günstiges Kräfteverhältnis vorhanden war. Sie stellte sich gegen die Ausrufung der Bayrischen Republik! Aber die Kommunisten in Bayern riefen die Arbeiter dazu auf, einen „wirklich revolutionären Rat“ zu wählen zur Erkämpfung und Durchführung der wirklichen kommunistischen Räterepublik. Léviné trat am 13. April an die Spitze einer neuen Räteregierung, die auf ökonomischer, politischer und militärischer Ebene energische Maßnahmen gegen die Bourgeoisie ergriff. Trotzdem war diese Bildung eines ‘revolutionären Aktionsausschusses’ ein schwerwiegender Fehler der Revolutionäre in Bayern und widersprach dem Beschluß der Partei. Vom Rest Deutschlands vollkommen abgeschnitten, wurde von der Bourgeoisie eine umfassende Konteroffensive gegen die Bayrische Republik gestartet. Die Lebensmittelzufuhren nach München wurden abgebrochen, Truppen von über 100’000 Mann wurden um München zusammengezogen. Am 27. April wurde der Vollzugsrat in München gestürzt. Wieder schlug der blutige Arm der Repression zu. Tausende Arbeiter wurden in den Kämpfen standrechtlich erschossen und anderswie umgebracht. Erneut setzte eine Kommunistenjagd ein, und Léviné wurde zum Tode verurteilt. * * * Gerade die heutigen Generationen von Arbeitern können sich kaum vorstellen, was eine mächtige Welle von Arbeiterkämpfen - nahezu gleichzeitig - in den größten Arbeiterkonzentrationen bedeutet, welch riesiger Druck dadurch auf das Kapital entsteht..... Die Arbeiterklasse in den Hochburgen des Kapitalismus hatte bewiesen, daß sie gegenüber einer der erfahrensten Bourgeoisien ein Kräfteverhältnis aufbauen konnte, das zum Sturz des Kapitals hätte führen können. Diese Erfahrung zeigt, daß die revolutionäre Bewegung nicht auf die Arbeiterklasse im angeblich rückständigen Rußland reduziert war, sondern die Arbeiterklasse in höchst entwickelten Industrieländern sich daran massiv beteiligte.Eine Welle revolutionärer Kraft kam in diesen Monaten zerstreut, zersprengt zur Entfaltung. Diese Kraft, die zusammengefaßt und vereinigt ausgereicht hätte zum Sturz der Regierung. Aber diese gewaltige Kraft ging verloren, die Regierung konnte sie stückweise zerschlagen und vernichten, die Berliner Januaraktion hatte der Revolution den Kopf abgeschlagen und das Rückgrat gebrochen, Richard Müller, ein Führer der revolutionären Obleute, die sich über lange Zeit durch ihre großen Schwankungen und Zögerungen auszeichneten, kann nicht umhin festzustellen: „Wenn es nicht zur Niederschlagung der Kämpfe im Januar in Berlin gekommen wäre, dann hätte die Bewegung woanders im Frühjahr weiter Auftrieb erhalten können, und die Frage der Macht wäre näher in Reichweite gerückt, aber die militärische Provokation hatte der Bewegung gewissermaßen schon den Wind aus den Segeln genommen. Die Januaraktion hat Argumente geliefert für die Hetze, für einen Lügenfeldzug, für die Schaffung einer Atmosphäre des Bürgerkrieges ...“ Ohne diese Niederlage hätte das Berliner Proletariat die Kämpfenden in den anderen Teilen Deutschlands unterstützen können. Aber diese Schwächung dieses zentralen Teils der Revolution ermöglichte es den Kräften des Kapitals in eine Offensive einzutreten und überall die Arbeiter in verfrühte und zerstreute militärische Auseinandersetzungen zu locken. Die Arbeiter wiederum schafften es nicht, selbst eine breite, vereinte und zentralisierte Bewegung auf die Beine zustellen, eine Doppelmacht im ganzen Lande aufzubauen, die eine Zentralisierung durch die Verstärkung der Räte ermöglicht hätte.
Nur der Aufbau solch eines Kräfteverhältnisses ermöglicht es, einen Anlauf zum Aufstand zu machen, der die größte Überzeugung und die Koordination aller Handlungen erfordert. Und diese Dynamik kann sich nicht ohne die klare und entschlossene Intervention einer politischen Partei innerhalb der Bewegung entfalten. Nur so kann die Arbeiterklasse siegreich diesen historischen Kampf gewinnen.
Die Niederlage der Revolution in Deutschland in den ersten Monaten des Jahres 1919 war nicht nur auf die Geschicklichkeit der deutschen Bourgeoisie zurückzuführen. Sie war nur möglich dank des gemeinsamen Vorgehens der internationalen Kapitalistenklasse. Während die Arbeiterklasse in Deutschland dem Kapital zersplitterte Kämpfe lieferte, standen die Arbeiter in Ungarn im März dem Kapital in revolutionären Auseinandersetzungen gegenüber. Am 21. März 1919 wurde in Ungarn die Räterepublik ausgerufen - die jedoch im Sommer von konterrevolutionären Truppen niedergemetzelt wurde. Sicher stand die internationale Kapitalistenklasse geschlossen hinter dem Kapital in Deutschland. Während sie sich zuvor 4 Jahre im Krieg auf das heftigste bekämpft hatte, trat sie nun vereint der Arbeiterklasse gegenüber. Lenin meinte, daß sich die Ententemächte „mit den deutschen Paktierern auf jede Weise verständigten, um die deutsche Revolution zu erwürgen“ (Lenin, 9. Parteitag der KPR, Werke Bd. 30, S. 441). Das Proletariat tritt seitdem in keinem Teil der Welt einer gespaltenen Kapitalistenklasse gegenüber, sondern jedesmal, wenn sich die Arbeiterklasse anfängt zusammenzuschließen, steht die Front des Kapitals schon geschlossen!
Wenn die Arbeiterklasse in Deutschland es geschafft hätte, die Macht zu ergreifen, wäre der kapitalistische Staudamm auch international gebrochen, die Revolutionäre in Rußland nicht isoliert geblieben.
Als die 3. Internationale im März 1919 in Moskau gegründet
wurde, d.h. zu einem Zeitpunkt, als in Deutschland die Kämpfe voll entflammt
waren, schien diese Perspektive den Kommunisten in greifbare Nähe gerückt. Aber
die Niederlage der Arbeiter in Deutschland sollte den Niedergang der
internationalen revolutionären Welle und insbesondere der russischen Revolution
einläuten. Es war die Bourgeoisie mit der SPD an ihrer Spitze, die durch ihre
konterrevolutionären Aktionen die Revolution in Rußland entscheidend isolierte,
ihre Entartung möglich mache und so zum Geburtshelfer des Stalinismus
wurde. DV.
[ii] [4] Die SPD war die größte Arbeiterpartei vor 1914; im August 1914 verriet die Führung der SPD - mit der Reichstagsfraktion und den Gewerkschaftsführern an der Spitze - alle internationalistischen Prinzipien der Partei. Die Führung schloß sich voll dem Lager des nationalen Kapitals als Rekrutierungskraft für das imperialistische Abschlachten an. [iii] Zu welchem unverantwortlichen Verhalten man sich hinreißen lassen kann, wenn man keine klare Analyse hat, zeigte 1980 die CWO. Sie forderte zur Zeit der Massenkämpfe in Polen: ‘Revolution Now’! [iv] [4] Die „Unabhängige Sozialistische Partei Deutschlands“ war eine zentristische Abspaltung von der SPD, welche deren offensichtlichsten bürgerlichen Auffassungen zwar verwarf, jedoch unfähig war, eine klare internationalistische, kommunistische Haltung einzunehmen. 1917 war der Spartakusbund der USPD mit der Absicht beigetreten, so seinen Einfluss in der Arbeiterklasse, welche durch die Politik der SPD zunehmend angewidert war, zu verstärken.
[v] [4] „Internationale Kommunisten Deutschlands“. Vor dem 23. November 1918, als sie in Bremen beschlossen, das Wort Sozialisten durch Kommunisten zu ersetzen, auch bekannt als „Internationale Sozialisten Deutschlands“. Diese Gruppe war kleiner als der Spartakusbund und besaß auch weniger Einfluss, teilte jedoch deren revolutionäre internationalistische Positionen. Die IKD waren Mitglied der Zimmerwalder Linken und stand der Internationalen Kommunistischen Linken sehr nahe, vor allem der Holländischen Linken (Pannekoek und Gorter gehörten vor dem Krieg zu ihren Theoretikern) und der Russischen Linken (Radek war einer ihrer Genossen). Ihre Ablehnung der Gewerkschaften und des Parlamentarismus stand am Gründungsparteitag der KPD gegenüber der Position von Rosa Luxemburg in der Mehrheit.
[vi] [4] Die Revolutionären Obleute waren ursprünglich zum grössten Teil in Betrieben gewählte Gewerkschaftsdelegierte, welche mit den sozialchauvinistischen Gewerkschaftsführungen gebrochen hatten. Sie waren ein direktes Produkt des Widerstandes der Arbeiterklasse gegen den Krieg und gegen den Verrat der Gewerkschaften und sog. “sozialistischen“ Parteien. Leider führte ihr Kampf gegen die Gewerkschaftsführungen zu einem generellen Misstraunen gegenüber zentralisiertem Handeln, und sie entwickelten lokalistische und auf Betriebe reduzierte Standpunkte. Sie waren in politischen Fragen oft sehr schwankend und neigten zu Auffassungen der USPD. <p <div
Kein anderes Ereignis hat die weltweite Zuspitzung der imperialistischen Spannungen dramatischer verdeutlicht als die Entsendung von 3.000 deutschen Kampftruppen nach Bosnien. Unter dem Deckmantel der Aufrechterhaltung des ‘Friedensabkommens’ für Bosnien, das von den USA in Dayton diktiert wurde, wird die Bundeswehr genauso wie die Armeen der Rivalen Frankreich, Großbritannien und der USA in das Krisengebiet geschickt, um die imperialistischen Interessen der jeweiligen nationalen Bourgeoisie zu verteidigen.
Kein anderes Ereignis bestätigt so deutlich den Aufstieg des deutschen Imperialismus seit der Wiedervereinigung. Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg schickt die deutsche Bourgeoisie bewaffnete Streitkräfte ins Ausland mit dem Mandat bewaffneter Einsätze. Dadurch wirft sie demonstrativ die Fesseln von sich, die ihr nach der Niederlage in den beiden Weltkriegen auferlegt worden waren. Mehr als ein halbes Jahrhundert lang war die deutsche Bourgeoisie der beiden deutschen Staaten, die nach 1945 entstanden waren, nicht berechtigt, im Ausland militärische Interventionen zugunsten ihrer eigenen imperialistischen Interessen durchzuführen. Eine Ausnahme von diesem allgemeinen Gesetz, die von der NATO im Westen und vom Warschauer Pakt im Osten zugelassen würde, konnte nicht in Bonn oder Ostberlin entschieden werden, sondern in Washington oder in Moskau. Tatsächlich war die einzige Beteiligung deutscher Truppen bei militärischen Kampfeinsätzen im Ausland seit 1945 die Ostdeutschlands bei der Besetzung der Tschechoslowakei durch die UdSSR und die Warschau-Pakt-Staaten 1968.
Heute ist Deutschland wiedervereinigt und wieder als führende europäische Macht in Erscheinung getreten. In einer Welt, die nicht nur von militärischen Spannungen, sondern durch ein globales Chaos und den Kampf des jeder gegen jeden erschüttert wird, braucht der deutsche Imperialismus nicht mehr die Zustimmung anderer Staaten zur militärischen Abstützung seiner eigenen Außenpolitik. Heute kann die deutsche Regierung ihre militärische Präsenz auf dem Balkan erzwingen, egal ob die anderen Staaten dies mögen oder nicht. Diese wachsende Stärke verdeutlicht vor allem den Niedergang der Hegemonie der einzig übrig gebliebenen Supermacht - der USA. Da die Fähigkeit der USA, der Bonner Regierung Vorschriften zu machen über das, was zu tun sei und was nicht, Dreh- und Angelpunkt ihrer Vorherrschaft über zwei Drittel der Erde nach 1945 war, bringt die Präsenz der Bundeswehr in Bosnien heute der Welt zum Ausdruck, wie stark diese US-Vorherrschaft schon untergraben wurde.
Aber die Beteiligung Bonns an der IFOR 2 Mission der NATO in Bosnien, wo es zusammen mit Frankreich eine der drei Kontrollzonen überwacht, ist eine Herausforderung für die USA und die europäischen Mächte nicht nur auf globaler historischer Ebene. Es handelt sich nämlich auch um einen unabdingbaren Schachzug bei der konkreten Verteidigung der entscheidenden deutschen imperialistischen Interessen in der Region selber. Das herausragendste Interesse Deutschland ist der langfristige Zugang zu einem Marinestützpunkt am Mittelmeer mittels der Häfen des alten historischen Verbündeten Kroatien. Es war die Kohl-Regierung, die die Auflösung Jugoslawiens in Gang setzte, und damit auch die ganze Kette blutiger Reaktionen in diesem Land, indem Bonn aggressiv die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens Anfang der 90er Jahre unterstützte. Obgleich Bonn nicht zuletzt durch massive Waffenlieferungen an Kroatien dazu in der Lage war, dieses Ziel durchzusetzen, blieb ein Drittel des Territoriums seines kroatischen Verbündeten von serbischen Kräften besetzt, wodurch praktisch der Norden von den strategisch wichtigen dalmatinischen Häfen im Süden abgeschnitten gewesen war. Am Anfang des Balkankrieges konnte Deutschland noch Punktgewinne erzielen, indem es Kroatien aus dem Hinterhalt unterstützte, ohne selbst Truppen entsenden zu müssen. Aber als der Krieg im benachbarten Bosnien ausgelöst wurde, gingen die europäischen Hauptrivalen Deutschlands, insbesondere Großbritannien und Frankreich unter dem Deckmantel der UNO und schließlich vor allem die USA unter dem Schutzschild der NATO dazu über, ihre Interessen in der Region durch ihre militärische Präsenz direkt zu verteidigen. Diese Präsenz konnte um so wirksamer sein, als Deutschland militärisch und politisch noch nicht dazu in der Lage war nachzuziehen. Vor allem das militärische Engagement der USA bewirkte, daß die Position Deutschlands während der letzten beiden Jahre geschwächt wurde. Die militärischen Siege Kroatiens gegen die pro-britischen und pro-französischen Serben in der Krajina und in Bosnien, welche die Spaltung dieses Landes überwanden und die Wiederherstellung der Verbindung zwischen den dalmatinischen Häfen und der Hauptstadt Zagreb ermöglichten, waren möglich nicht dank der Unterstützung durch Deutschland, sondern durch die USA. Somit verdeutlichte das Daytoner Abkommen, das die USA dank ihrer Militärschläge in Bosnien aufzwingen konnten, die unaufschiebbare Notwendigkeit für Deutschland, seine Interessen in der Region durch eigene bewaffnete Truppen zu verteidigen. Die erste Stationierung von deutschen Sanitäts- und logistischen Einheiten in Kroatien im letzten Jahr, die noch außerhalb der Kampfzone und ohne einen Kampfauftrag erfolgte, war ein erster Schritt zur gegenwärtigen ‘friedenstiftenden’ Einheit in Bosnien selber. Bei ihrer Ankunft in Bosnien wurden diese Einheiten, die schwer bewaffnet und mit einem Kampfauftrag versehen sind, offen von den bosnischen Kroaten als Verbündete begrüßt, und die bosnischen Kroaten nahmen sofort eine aggressivere Haltung gegenüber den moslemischen Bosniern ein, womit den französischen und spanischen Truppen in der geteilten Stadt Mostar das Leben noch schwerer gemacht wurde. Und die kroatische Regierung in Zagreb belohnte die Ankunft der Bundeswehr mit der Entscheidung, die alten Boeing-Flugzeuge der Croatian Airline durch neue Airbusse zu ersetzen, deren Hauptteil in Deutschland produziert wird. Bei der Rechtfertigung dieser Entscheidung sagte der kroatische Außenminister: „Wir schulden unsere nationale Unabhängigkeit Amerika, aber unsere Zukunft liegt in Europa, und sie stützt sich auf die Grundlage unserer Freundschaft mit der deutschen und bayrischen Regierung.“ Tatsächlich hatte die kroatische Bourgeoisie schon seit langem ungeduldig auf die Ankunft der deutschen Truppen gewartet, um die Führungsrolle der USA abzuschütteln. Washington hat Kroatien sehr viel für seine Unterstützung zahlen lassen. Es waren die USA, die lange vor der Endphase des Krieges in Bosnien, vor Dayton, Bosnien und vor allem die kroatischn Kräfte daran gehindert haben, Banja Luca einzunehmen. Somit haben die USA Kroatien daran gehindert, die Serben in den Osten Bosniens zu verdrängen. Und vor allem waren es die USA, die die bosnischen Kroaten dazu zwangen, sich mit den Muslimen zu verbünden, was aber im Widerspruch zu all den kroatischen Kriegszielen in Bosnien steht. Aus der Sicht der kroatischen Bourgeoisie sind ihre Hauptfeinde nicht die Serben, sondern die Moslems, und ihr Ziel ist die Aufteilung Bosniens zwischen Kroaten und Serben auf Kosten der muslimischen Bourgeoisie. Aber die kroatischen Interessen in Bosnien stimmen vollkommen mit denen Deutschlands überein: die Sicherung des Zugangs zu den dalmatinischen Häfen. Trotz ihrer taktischen Zusammenarbeit mit den USA gegen Serbien während der letzten beiden Jahre, stehen diese gemeinsamen Interessen Bonns und Zagrebs den Interessen nicht nur der pro-serbischen europäischen Mächte und Rußlands, sondern auch der USA selbst entgegen.
Gegenwärtig kann man eine deutsche Gegenoffensive im ehemaligen Jugoslawien und auf dem Balkan beobachten, die darauf abzielt, die deutschen Punktverluste durch das Dayton-Abkommen wieder auszugleichen. Ebenso will man die amerikanischen Schwierigkeiten im Nahen Osten ausnutzen, um den deutschen Einfluß in Südosteuropa und Zentralasien auszudehnen. Die Entsendung deutscher Truppen nach Bosnien, die weit davon entfernt ist, ein isoliertes ‘friedenserhaltendes’ Ereignis zu sein, ist Teil einer extrem aggressiven imperialistischen Ausdehnung Richtung Mittelmeer, Naher Osten und Kaukasus. Dreh- und Angelpunkt dieser Politik ist die Zusammenarbeit mit der Türkei. Die Niederlage des russischen Imperialismus in Tschetschenien und die Schwächung seiner Position im ganzen Kaukasus hat auch mit dieser deutsch-türkischen Zusammenarbeit zu tun. Heute unterstützt Deutschland die Annäherungspolitik der Regierung Erbakans in Ankara an den Iran, einem anderen traditionellen deutschen Verbündeten. Auch hat Deutschland klar Stellung zugunsten der Türkei in deren Konflikt mit Griechenland bezogen. Außenminister Kinkel erklärte gegenüber der Presse am 7. Dezember 96 in Bonn: „Die Türkei ist für Deutschland das Schlüsselland für unsere Beziehungen zur gesamten islamischen Welt [....]. Wie kann man es der Türkei verübeln, wenn sie sich mehr zu ihren islamischen Nachbarn orientiert, da die Türkei bislang aus der Europäischen Union noch keinen Pfennig gewonnen hat aufgrund der Blockadepolitik.“ Als Reaktion auf dieses deutsch-türkische Zusammengehen hat Rußland den griechischen Zyprioten die Lieferung von Raketen versprochen, ohne auf einen starken Widerstand aus Washington zu stoßen. In diesem Gebiet, wo Europa und Asien zusammentreffen, vollzieht sich eine gewaltige Zusammenballung von Waffen und Spannungen.
Gleichzeitig destabilisieren die Großmächte und besonders Deutschland die Innenpolitik aller Länder auf dem Balkan. In der Türkei unterstützt Bonn den ‘islamischen’ Ministerpräsidenten Erbakan bei dessen bitterem Machtkampf mit dem pro-amerikanischen Flügel des Militärs, ungeachtet der Gefahr eines Militärputsches oder eines Bürgerkrieges. Neulich beschuldigte ein deutsches Gericht offiziell die Familie der Rivalin Erbakans, der Außenministerin Tansu Ciller, eine Schlüsselrolle im internationalen Drogenhandel zu spielen. In Serbien hat Deutschland neben den USA die serbische ‘demokratische’ Opposition unterstützt, d.h. auch die zutiefst deutschfeindlichen Draskovic und Djinic, einfach weil man das Regime Milosevics destabilisieren will. In Bulgarien, Mazedonien und Albanien beteiligen sich Deutschland und die anderen Großmächte an den oft blutigen Machtkämpfen. Aber das spektakulärste Beispiel dieser Destabilisierungspolitik ist Österreich, das sich bislang immer als ‘Insel der Seligen’ bezeichnete. Österreich war das einzige Land, das zum gleichen Zeitpunkt die Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens anerkannte wie Bonn. Die meisten Fraktionen der österreichischen Bourgeoisie sind mehr oder weniger pro-deutsch. Da Österreich für Deutschland das Tor zum Balkan ist, hat Bonn versucht, Österreich in eine quasi-deutsche Kolonie zu verwandeln, indem es Banken und Betriebe aufkaufte, die österreichische Armee dazu drängte, deutsche Rüstungsgüter zu kaufen und den österreichischen christlich-demokratischen Außenminister Schüssel unterstützte, der angeblich Helmut Kohl vor jeder wichtigen außenpolitischen Entscheidung konsultiert. Dies hat eine Reihe von Koalitionskrisen in Wien sowie Widerstand unter den Sozialdemokraten hervorgerufen, die die klassische Partei der österreichischen Bourgeoisie sind. All dies hat zur Ablösung des ‘Versöhnlers’ Vranitzky durch einen neuen Bundeskanzler, Viktor Klima, geführt, der ein offenerer Gegner einer ‘Übernahme’ durch Deutschland ist.
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 tauchten viele der strategischen Kräfteparallelogramme zwischen den Westmächten, die vor und während der beiden Weltkriege bestanden hatten, wieder auf. Das wiedererwachte ‘historische’ Ziel des modernen deutschen Imperialismus schließt die Beherrschung Österreichs und Ungarns als der Pforten zum Balkan und der Türkei als der Pforte nach Asien und dem Mittleren Osten ein, aber auch die Zerstückelung Jugoslawiens und die Unterstützung Kroatiens, damit Deutschland einen Zugang zum Mittelmeer findet. Schon vor und während des 1. Weltkriegs formulierten die berühmten Geostrategen des ‘Alldeutschen Vereins’ die Richtlinien der Außenpolitik, die auch heute nach dem Zusammenbruch der Weltordnung nach 1945 die Außenpolitik wiederum bestimmen. Ernst Jaeckh schrieb 1916: „Deutschland hat ringsum fertige Völker - längst fertige und allmählich feindliche. Im Westen Frankreich: in Revanchefeindschaft verbleibend; im Osten Rußland: in Orientfeindschaft verfallend; im Norden England: in Weltfeindschaft sich steigernd [....]. Nur südostwärts - hinter dem österreichisch-ungarischen Bundesgenossen, für den bereits Bismarck sich entschieden hat gegen Rußland - öffnet sich ein Weg zu Völkern, die noch nicht fertig sind in ihrer Staatenbildung, auch noch nicht feindlich gegen uns [....] durch den nahen Weltteil Mitteleuropa ans Mittelmeer heran und zum Indischen Ozean hin. Der Landweg über Mitteleuropa wird so der Umweg zur Übersee [....]. Und Jaeckh fügte hinzu, daß „Deutschland und die Türkei die Ecksteine sind, Österreich-Ungarn und Bulgarien den Zusammenschluß herstellen.“ Im gleichen Jahr schrieb Friedrich Naumann, ein anderer berühmter Theoretiker des deutschen Imperialismus: „Auf die Sicherheit dieses Weges muß insbesondere Deutschland alles Gewicht legen, weil seine Zusammenhänge mit der Türkei an das Vorhandensein dieser Linie gebunden sind. Wir haben ja im Kriege erlebt, welcher Schaden dadurch hätte entstehen können, daß die Serben ein Stück dieses Weges besaßen. Um dieses Weges willen erfolgte der Donauübergang der Armee Makkensen. Alles, was an der Balkanbahn liegt, liegt an der für uns notwendigen Linie Hamburg-Suez, die wir uns von niemandem dürfen sperren lassen. Was ist Bagdadbahn, was anatolische Bahn für uns, wenn wir sie nicht ohne Englische Erlaubnis erreichen können?“ (Naumann, Bulgarien und Mitteleuropa, 1916). In diesem Sinne wiederholte Paul Rohrbach, den Rosa Luxemburg als „ganz offen und ehrlich [....] halboffiziösen Wortführer des deutschen Imperialismus“ bezeichnet hat, die „notwendige Beseitigung des serbischen Riegels zwischen Mitteleuropa und dem Orient.“ (Rohrbach, England und Rußland, unsere Gegner)[i] [7]
Der Balkan war schon der Ausgangspunkt des Ersten und eines der Hauptschlachtfelder des Zweiten Weltkriegs, auch heute wieder wird diese Region durch den Aufstieg des deutschen Imperialismus und die Bestrebungen der großen Rivalen, dem entgegenzutreten, in die Barbarei gestürzt.
Obgleich die Vereinigten Staaten und Deutschland mittels ihrer bosnischen und kroatischen Schachfiguren im ehemaligen Jugoslawien kürzlich eine taktische Allianz mit dem Ziel des Zurückdrängens Serbiens eingegangen sind, und obgleich Washington und Bonn zusammengearbeitet haben, um die Entwicklung des Chaos in Rußland zu begrenzen, sind sie zu den Hauptrivalen im Kampf um die Vorherrschaft in Osteuropa geworden. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR hat der russische Imperialismus gar die letzten Reste seines vorherigen Einflusses über die früheren Warschauer Pakt Staaten verloren. Obgleich die Osterweiterung der NATO und der Europäischen Union von den westlichen bürgerlichen Medien mit der Notwendigkeit begründet werden, Osteuropa vor einer möglichen russischen Aggression zu schützen, sind sie in Wirklichkeit Teil eines Wettrennens zwischen Deutschland mittels der EU und der USA mittels der NATO, um die imperialistische Vorherrschaft Moskaus durch ihre jeweils eigene zu ersetzen. In der ersten Hälfte der 90er Jahre war Deutschland dazu in der Lage, einen mehr oder weniger starken Einfluß in allen ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten mit Ausnahme der Tschechischen Republik aufzubauen. Im Mittelpunkt der deutschen Ausdehnung steht das Bündnis mit Polen, das eine starke militärische Komponente trägt. Unter dem Vorwand, Hilfe zu leisten bei der Absicherung der polnischen Ostgrenze gegen das Eindringen von illegalen Einwanderern nach Deutschland, hat Deutschland angefangen, große Teile des polnischen Militärapparates auszurüsten und zu finanzieren. So hat die polnische Regierung die Entsendung von deutschen Truppen nach Bosnien aufs wärmste begrüßt; auch hat sie versprochen, sich in Zukunft mit der Bundeswehr an Auslandseinsätzen zu beteiligen. Die Tatsache, daß ein Land wie Polen sich mit dem Wirtschaftsriesen Deutschland verbündet anstatt mit der US-amerikanischen militärischen Supermacht, zeigt, wie wenig Warschau eine militärische Invasion Rußlands fürchtet. In Wirklichkeit hofft die polnische Bourgeoisie, die weniger an ihre Verteidigung denkt, vielmehr darauf, Nutzen zu ziehen aus der deutschen Expansion nach Osten, die auf Kosten Rußlands stattfindet.
Gerade weil die USA gegenüber Deutschland in den letzten Jahren in Osteuropa soviel Terrain verloren haben, drängen diese jetzt so ungeduldig darauf, die NATO-Osterweiterung durchzuführen. Aber indem dies angestrebt wird, werden die russisch-amerikanischen Beziehungen untergraben, die ja so wichtig sind für Washington, gerade weil der erschöpfte russische Bär als einziges anderes Land noch über ein so gigantisches atomares Waffenarsenal verfügt. Gegenwärtig unternimmt die deutsche Diplomatie alles, um den Bruch zwischen den USA und Rußland zu vertiefen, indem Moskau eine Reihe von Konzessionen auf Kosten von Washington angeboten werden. Eine dieser Konzessionen war, daß keine NATO-Truppen (d.h. US-Truppen) oder Atomwaffen auf dem Gebiet der neuen NATO-Mitgliedsstaaten stationiert werden sollen. Der deutsche Verteidigungsminister Rühe schlug sogar vor, das Gebiet der ehemaligen DDR in diese Kategorie Länder einzubeziehen. Das hieße, man würde zum ersten Mal seit 1945 eine ‘no-go area’ für amerikanische Truppen in der Bundesrepublik Deutschland schaffen. Dies ist ein möglicher erster Schritt für einen eventuellen späteren Abzug der US-Truppen überhaupt. Deshalb die Wut des politischen Establishments in Washington, das angefangen hat, Berichte über die Menschenrechtslage zu veröffentlichen, wo Deutschland auf die gleiche Stufe gestellt wird wie der Iran oder Nordkorea wegen seiner Behandlung der amerikanischen Scientology-Sekte.
Der Aufstieg Deutschlands zur führenden europäischen Macht steht erst an seinem Anfang. Aber jetzt schon profitiert der deutsche Imperialismus von der globalen Infragestellung der amerikanischen Führungsrolle, nachdem es nach dem Auseinanderbrechen der UdSSR keinen gemeinsamen Feind mehr gibt. Und obgleich Deutschland noch immer zu schwach ist im Vergleich zu den USA, um einen eigenen imperialistischen Block zu errichten, bedroht sein Aufstieg jetzt schon ernsthaft die europäischen Rivalen, Frankreich eingeschlossen. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks strebte Frankreich anfänglich ein Bündnis mit Deutschland gegen Amerika an. Aber die Stärkung seines östlichen Nachbarn und vor allem Bonns Drang zum Mittelmeer im Balkankrieg bewogen Frankreich dazu, sich von Deutschland wegzubewegen und enger an Großbritannien anzulehnen, dies umso mehr, als dieses sich aus seinem ewigen Bündnis mit den USA löste[ii] [8]. In den letzten Monaten dagegen haben sich Bonn und Paris wiederum angenähert. Das auffallendste Beispiel: ihre militärische Zusammenarbeit in Bosnien. Handelt es sich um eine Erneuerung des deutsch-französischen Bündnisses?
Es gibt mehrere Gründe für das neulich einsetzende Auseinanderrücken von Paris und London; einer der Gründe ist die Bestrafung, die die USA insbesondere Großbritannien auferlegt haben. Aber aus französischer Sicht hat das Bündnis mit Großbritannien eines der Hauptziele bislang verfehlt: den Aufstieg Deutschlands zu verhindern. Deutsche Truppen auf dem Balkan und die deutsche Entente mit Polen, das traditionell ein Verbündeter Frankreichs ist, sind die besten Beweise. Als eine Reaktion darauf verbündet sich Frankreich nicht erneut mit Deutschland, sondern es ändert seine Taktik im Kampf gegen Deutschland. Die neue Taktik, den Feind zu umarmen, um ihn an seiner Stärkung zu hindern, wird in Bosnien deutlich, wo die deutschen Truppen, wenn sie schon nicht am Auftauchen gehindert werden können, zumindest unter französischer Führung handeln sollen. Diese Taktik mag eine Zeit funktionieren, da Deutschland noch nicht dazu in der Lage ist, eine unabhängigere militärische Rolle zu spielen. Aber langfristig ist auch diese zum Scheitern verurteilt.
Diese ganze Entwicklung verdeutlicht die blutige Logik des Militarismus in diesem Jahrhundert, in der dekadenten Phase des Kapitalismus. Durch den Zusammenbruch des Ostblocks wurde Deutschland dank seiner ökonomischen und politischen Stärke und seiner geographischen Stellung nahezu über Nacht zur führenden europäischen Macht. Aber auch solch eine Macht kann ihre Interessen nur wirksam verteidigen, wenn sie sie militärisch durchsetzen kann. Da der Kapitalismus nicht mehr ausreichend Märkte für eine wirkliche Expansion des Systems erobern kann, kann jede imperialistische Macht sich nur durchsetzen auf Kosten der anderen. Diese Situation hat schon zu zwei Weltkriegen in diesem Jahrhundert geführt - deshalb ist es der Einsatz nackter Gewalt, der letzten Endes über den Rang eines bürgerlichen Staates entscheidet. Die Ereignisse in Jugoslawien haben diese Lehre erneut verdeutlicht. Solange Deutschland keine Truppen im ehemaligen Jugoslawien stationiert hat, wird Deutschland dort trotz aller anderen Stärken den Kürzeren ziehen. Dieser Zwang, der aus dem niedergehenden System entsteht, bringt heute die weltweite Verschärfung der militärischen Spannungen hervor; er ist es, der dem deutschen Staat wie allen anderen diesen militaristischen Kurs aufzwingt.
Aber weil dieser blutige Kurs der Arbeiterklasse Verarmung und Leiden auferlegt, und damit Licht auf die Wirklichkeit dieses Systems werfen wird, wird er langfristig den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat anheizen. Auf historischer Ebene kann die Entfaltung der deutschen imperialistischen Ausdehnung ein wichtiger Faktor bei der Rückkehr des deutschen Proletariats an die Spitze des revolutionären Klassenkampfes des internationalen Proletariats werden.
DK.
[i] [9] Alle Zitate der Geostrategen des ‘Alldeutschen Vereins’ sind entnommen aus der Dokumentation ‘Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945’
[ii] [10] Über den historischen Bruch des Bündnisses von Großbritannien mit den USA siehe insbesondere die „Resolution über die internationale Lage“ in der Internationalen Revue Nr. 18
Mit dem folgenden Artikel über den Kampf des Marxismus gegen die Freimaurerei stellt sich die IKS fest in die besten Traditionen des Marxismus und der Arbeiterbewegung. Im Gegensatz zu der politischen Gleichgültigkeit der Anarchisten haben die Marxisten stets darauf bestanden, daß das Proletariat die wesentlichen Merkmale der Funktionsweise seines Klassenfeindes begreifen muß, um seine revolutionäre Aufgabe zu erfüllen. Wie alle ausbeutenden Klassen gebrauchen diese Feinde des Proletariats die Irreführung und Heimlichkeit sowohl gegeneinander als auch gegen die Arbeiterklasse. Daher enthüllten Marx und Engels in einer Reihe wichtiger Schriften der Arbeiterklasse die geheimen Strukturen und Aktivitäten der herrschenden Klasse.
In seinen „Enthüllungen über die Diplomatie des 18. Jahrhunderts", die auf ein erschöpfendes Studium von diplomatischen Schriftstücken im Britischen Museum basieren, enthüllte Marx die heimliche Zusammenarbeit zwischen dem britischen und dem russischen Kabinett seit den Zeiten von Peter dem Großen. In seinen Schriften gegen Lord Palmerston deckte Marx auf, daß die Fortsetzung dieses geheimen Bündnisses sich im wesentlichen direkt gegen revolutionäre Bewegungen in ganz Europa richtete. Tatsächlich war während der ersten sechzig Jahre des 19. Jahrhunderts die russische Diplomatie, die Bastion der Konterrevolution zu jener Zeit, in „alle Verschwörungen und Aufstände" verstrickt, einschließlich der aufständischen Geheimgesellschaften wie die der Carbonari, um sie für die eigenen Zwecke zu manipulieren (Engels: „Die Aussenpolitik des zaristischen Russland").
In seinem Pamphlet gegen Herrn Vogt legte Marx die Wege offen, auf denen Bismarck, Palmerston und der Zar die Agenten des Bonapartismus unter Louis Napoleon in Frankreich bei der Infiltrierung und Verunglimpfung der Arbeiterbewegung unterstützten. Die herausragenden Momente in der Auseinandersetzung der Arbeiterbewegung mit diesen verborgenen Manövern waren der Kampf der Marxisten gegen Bakunin in der Ersten Internationale und der „Eisenacher" gegen die Benutzung des Lassalleanismus durch Bismarck.
Mit ihrer Bekämpfung der bürgerlichen Faszination für das Verborgene und Mysteriöse zeigten Marx und Engels, daß das Proletariat der Feind jeder Art von Politik der Geheimniskrämerei und Verschleierung ist. Im Gegensatz zum britischen Tory Urquhart, dessen über 50 Jahre dauernder Kampf gegen die russische Geheimdiplomatie zu einer „geheimen esoterischen Doktrin" einer „allmächtigen" russischen Diplomatie als des „alleinigen aktiven Faktors der modernen Geschichte" (Engels) entartete, basierte die Arbeit der beiden Gründer des Marxismus immer auf einer wissenschaftlichen, historisch-materialistischen Herangehensweise. Diese Methode enthüllte den verborgenen „jesuitischen Orden" der russischen und westlichen Diplomatie und die Geheimgesellschaften der ausbeutenden Klassen als das Produkt des Absolutismus und der Aufklärung im 18. Jahrhundert, wo die Krone den niedergehenden Adel und die aufstrebende Bourgeoisie zur Zusammenarbeit zwang. Diese „aristokratisch-bürgerliche Internationale der Aufklärung", auf die sich Engels' Artikel über die zaristische Außenpolitik bezog, sorgte auch für eine gesellschaftliche Basis der Freimaurerei, welche in England entstand, dem klassischen Land des Kompromisses zwischen Aristokratie und Bourgeoisie. Auch wenn das bürgerliche Merkmal der Freimaurerei viele bürgerliche Revolutionäre im 18. und frühen 19. Jahrhundert besonders in Frankreich und den Vereinigten Staaten fesselte, sollte ihr zutiefst reaktionärer Charakter sie bald zu einer Waffe vor allem gegen die Arbeiterklasse machen. Dies war der Fall nach der Erhebung der sozialistischen Arbeiterbewegung, die die Bourgeoisie dazu veranlaßte, den materialistischen Atheismus ihrer revolutionären Jugend zu beseitigen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die europäische Freimaurerei, die bis dahin vor allem der Zeitvertreib einer gelangweilten Aristokratie war, welche ihre gesellschaftliche Funktion verloren hatte, in wachsendem Maße zur Bastion einer neuen anti-materialistischen „Religiosität" der Bourgeoisie, die sich im wesentlichen gegen die Arbeiterbewegung richtete. Innerhalb der freimaurerischen Bewegung wurde eine ganze Reihe antimarxistischer Ideologien entwickelt, die später gemeinsames Eigentum der konterrevolutionären Bewegungen des 20.Jahrhunderts werden sollten. Nach einer dieser Ideologien war der Marxismus selbst eine Kreation der „Illuminaten" der deutschen Freimaurerei, gegen die sich die „wahren" Freimaurer zur Wehr setzen mußten. Bakunin, selbst ein aktiver Freimaurer, war einer der Väter einer weiteren Behauptung, wonach der Marxismus eine jüdische Verschwörung sei: „Die gesamte jüdische Welt, umfasst eine einzige ausbeutende Sekte, eine Art blutsaugender Leute, organisierte, zerstörerische Parasiten, nicht nur die Grenzen der Staaten, sondern auch die politischen Auffassungen überschreitend. Diese Welt steht nun zum grössten Teile Marx, aber zum anderen auch Rothschild zur Verfügung. (...) Dies scheint fremd zu sein. Was kann der Sozialismus mit einer führenden Bank gemein haben? Der autoritäre Sozialismus, der marxistische Kommunismus benötigt einen starken Staat. Wo sich der staatliche Zentralismus befindet, gibt es zwangsläufig auch eine zentrale Bank, und wo eine solche Bank existiert, wird die parasitäre jüdische Welt, die mit der Arbeit des Volkes spekuliert, zu finden sein" (Bakunin, zitiert nach R. Huch: Bakunin und die Anarchie).
Im Gegensatz zur Wachsamkeit der Ersten, Zweiten und Dritten Internationale gegenüber diesen Fragen, begnügt sich ein großer Teil des heutigen revolutionären Milieus damit, diese Gefahr zu ignorieren oder die angeblich „machiavellistische" Sichtweise der Geschichte durch die IKS zu verhöhnen. Diese Unterschätzung, die mit einer krassen Ignoranz gegenüber einem wichtigen Teil der Geschichte der Arbeiterbewegung einhergeht, ist das Ergebnis einer 50jährigen Konterrevolution, die das Weiterreichen der organisatorischen Erfahrung der Marxisten von einer Generation zur anderen unterbunden hatte.
Diese Schwäche ist um so gefährlicher, als das Unwesen mystischer Sekten und Ideologien in diesem Jahrhundert Dimensionen erreicht hat, die weit über die Frage der Freimaurerei hinausgehen, vor der man in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus gestanden hatte. So hatte die Mehrheit der antikommunistischen Geheimgesellschaften, die zwischen 1918 und 1923 gebildet wurden, ihren Ursprung nicht in der Freimaurerei, sondern wurde direkt von der Armee, unter der Kontrolle demobilisierter Offiziere, gebildet. Als direkte Instrumente des kapitalistischen Staates gegen die kommunistische Revolution wurden sie aufgelöst, sobald das Proletariat besiegt worden war. Auch nach dem Ende der Konterrevolution in den 60er Jahren dieses Jahrhunderts war die klassische Freimaurerei nur ein Aspekt in einem ganzen Apparat religiöser, esoterischer und rassistischer Sekten und Ideologien, die vom Staat gegen das Proletariat entwickelt wurden. Heute, im Schatten des kapitalistischen Zerfalls, bilden solche antimarxistischen Sekten und Ideologien, indem sie dem Materialismus und der Auffassung vom historischen Fortschritt den Krieg erklären und mit einem erheblichen Einfluß in den Industrieländern ausgestattet sind, eine zusätzliche Waffe der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse.
Schon die Erste Internationale war das Ziel wütender Angriffe durch den Okkultismus. Die Anhänger der Carbonaris, des katholischen Mystizismus und der Mazzinisten waren erklärte Gegner der Internationalen. In New York versuchten die okkultistischen Anhänger von Virginia Woodhull, Feminismus, „freie Liebe" und „parapsychologische Experimente" in die amerikanische Sektion der Internationalen einzuführen. In Großbritannien und Frankreich organisierten linke Freimaurerlogen, unterstützt von bonapartistischen Agenten, eine Reihe von Provokationen, die darauf abzielten, die Internationale zu diskreditieren und die Verhaftung ihrer Mitglieder zu rechtfertigen, was den Generalrat dazu zwang, Pyat und seine Anhänger auszuschließen und öffentlich zu denunzieren. Am gefährlichsten von allen war Bakunins Allianz, eine Geheimorganisation innerhalb der Internationalen, die mit ihren verschiedenen Graden der „Einweihung" der Mitglieder in ihre „Geheimnisse" und ihre Manipulationsmethoden (Bakunins „revolutionärer Katechismus") exakt das Vorbild der Freimaurerei kopierte (mehr über den Kampf gegen den Bakunismus in der Ersten Internationalen siehe Internationale Revue Nr. 17 und 18).
Marx' und Engels' enormer persönlicher Einsatz bei der Begegnung dieser Angriffe, bei der Entlarvung von Pyat und seiner bonapartistischen Helfer, bei der Bekämpfung von Mazzini, beim Ausschluß der amerikanischen Sektion Woodhulls und vor allem bei der Enthüllung des Komplotts der Allianz Bakunins gegen die Internationale ist allgemein bekannt. Ihre völlige Klarheit über die okkultistische Bedrohung wird von der Resolution über die Notwendigkeit, die Geheimgesellschaften zu bekämpfen, dokumentiert, die von Marx selbst vorgeschlagen und vom Generalrat angenommen wurde.
Auf der Londoner Konferenz der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) im September 1871 bestand Marx darauf, daß „dieser Organisationstyp im Widerspruch zu der Entwicklung der proletarischen Bewegung (steht), weil diese Gesellschaften, statt die Arbeiter zu erziehen, sie autoritären und mystischen Gesetzen unterwerfen, die ihre Selbständigkeit behindern und ihr Bewußtsein in eine falsche Richtung lenken." (Marx-Engels-Werke (MEW), Bd. 17, S. 655)
Die Bourgeoisie versuchte auch, das Proletariat durch Zeitungsmeldungen zu diskreditieren, daß sowohl die Internationale als auch die Pariser Kommune von einer geheimen, freimaurerähnlichen Führung „organisiert" sei. In einem Interview mit der Zeitung The New York World, die andeutete, daß die Arbeiter die Instrumente einer „Konklave" von „kühnen Verschwörern" innerhalb der Pariser Kommune gewesen seien, erklärte Marx: „Mein lieber Herr, es gibt gar kein Geheimnis zu lüften (...), es sei denn das Geheimnis der menschlichen Dummheit bei jenen, die beharrlich die Tatsache ignorieren, daß unsere Assoziation in der Öffentlichkeit wirkt und daß ausführliche Berichte über ihre Tätigkeit veröffentlicht werden für alle, die sie lesen wollen." Die Pariser Kommune könnte, nach der Logik von The World, „genauso eine Verschwörung der Freimaurer gewesen sein, denn ihr individueller Anteil war keineswegs gering. Ich wäre wirklich nicht erstaunt, wenn der Papst ihnen den ganzen Aufstand in die Schuhe schieben würde. Doch versuchen wir, eine andere Erklärung zu finden. Der Aufstand in Paris ist von den Pariser Arbeitern gemacht worden." (MEW, Bd. 17, S. 639)
Nach der Niederlage der Pariser Kommune und dem Tod der Internationalen unterstützten Marx und Engels den Kampf darum, Arbeiterorganisationen in Ländern wie Italien, Spanien oder den USA (z.B. die Knights of Labour) aus den Klauen der Freimaurer zu befreien. Die 1889 gegründete Zweite Internationale war zunächst weniger verwundbar durch okkultistische Infiltration als ihre Vorgängerin, da sie die Anarchisten ausschloß. Der Spielraum des Programms der Ersten Internationalen „hatte deklassierten Elemente erlaubt, sich einzuschleichen und im Herzen geheime Organisationen zu etablieren, deren Anstrengungen sich nicht gegen die Bourgeoisie und die Regierung, sondern gegen die Internationale selbst richteten „ (Bericht auf dem Haager Kongreß über die Allianz, 1872).
Da die Zweite Internationale auf dieser Ebene weniger offen war, begann der esoterische Angriff nicht mit der organisatorischen Infiltration, sondern mit einer ideologischen Attacke gegen den Marxismus. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts rühmten sich die deutsche und österreichische Freimaurerei ihrer Erfolge bei der Befreiung der Universitäten und der Wissenschaftskreise von der „Plage des Materialismus". Zusammen mit der Entwicklung reformistischer Illusionen und des Opportunismus in der Arbeiterbewegung zur Jahrhundertwende waren es diese zentraleuropäischen Wissenschaftler, die den Bernsteinianismus dazu veranlaßten, die „Entdeckung" der „Überwindung des Marxismus" durch den Idealismus und neokantianischen Agnostizismus zu übernehmen. Im Zusammenhang mit der Niederlage der revolutionären proletarischen Bewegung in Rußland nach 1905 drang die Krankheit der „Gottesschöpfung" selbst in die Reihen des Bolschewismus ein, wo sie jedoch schnell niedergerungen wurde. Innerhalb der Internationalen in ihrer Gesamtheit gelang der marxistischen Linken eine heldenhafte und brillante Verteidigung des wissenschaftlichen Sozialismus, ohne jedoch in der Lage zu sein, das Fortschreiten des Idealismus aufzuhalten, so daß nun die Freimaurerei begann, Anhänger innerhalb der Arbeiterparteien für sich zu gewinnen. Jaurès, der berühmte französische Arbeiterführer, verteidigte offen die Ideologie der Freimaurerei gegen das, was er „verarmte ökonomische und materialistische Interpretation des menschlichen Denkvermögens" eines Franz Mehring nannte. Gleichzeitig eröffnete die Entwicklung des Anarchosyndikalismus als Reaktion auf den Reformismus ein neues Feld für die Verbreitung reaktionärer, oft mystischer Ideen auf der Grundlage von Philosophen wie Bergson, Nietzsche (der sich selbst als „Philosoph der Esoterik" beschrieb) oder Sorel. Dies beeinflußte umgekehrt halb-anarchistische Elemente innerhalb der Internationalen wie Hervé in Frankreich oder Mussolini in Italien, die mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu den rechtsextremen bürgerlichen Organisationen überliefen. Die Marxisten, die vergeblich versuchten, den Kampf gegen die Freimaurerei in der französischen Partei zu erzwingen oder Parteimitgliedern in Deutschland zu verbieten, eine „zweite Loyalität" gegenüber anderen Organisationen auszuüben, waren in der Periode vor 1914 nicht stark genug, um organisatorische Maßnahmen zu erwirken, wie dies Marx und Engels getan hatten.
Entschlossen, die organisatorischen Schwächen der Zweiten Internationalen zu überwinden, die ihren Zusammenbruch 1914 erleichtert hatten, kämpfte die Komintern für die vollständige Eliminierung „esoterischer" Elemente aus ihren Reihen. 1922 bekräftigte der 4. Kongreß der Kommunistischen Internationalen erneut in seiner „Resolution über die französische Frage" die Klassenprinzipien mit folgenden Worten, die eine Antwort auf die Infiltration der französischen Kommunistischen Partei durch Elemente darstellten, die der Freimaurerei angehörten und die Partei seit ihrer Gründung auf dem Kongreß von Tours infiziert hatten:
„Die Unvereinbarkeit zwischen Freimaurerei und Sozialismus war in den meisten Parteien der Zweiten Internationalen offensichtlich und klar (...) Wenn der 2. Kongress der Kommunistsichen Internationalen in seinen Aufnahmebedingungen keinen speziellen Punkt über die Unvereinbarkeit von Sozialismus und Freimaurerei formulierte, dann nur deshalb, weil dieses Prinzip vom Kongress einstimmig in einer separaten Resolution angenommen wurde.
Die auf dem 4. Kongress der Kommunistischen Internationalen unerwartet aufgedeckte Tatsache, dass eine beträchtliche Zahl französischer Kommunisten Freimaurerlogen angehörten, war in den Augen der Kommunistischen Internationalen der klarste und zugleich schmerzhafteste Beweis, dass die französische Partei nicht nur das psychologische Erbgut der Epoche des Reformismus, Parlamentarismus und Patriotismus bewahrt hatte, sondern auch Verbindungen, welche einen konkreten Charakter hatten und für die Führungsrolle der Partei durch ihre geheimen, politischen und karrieristischen Organisationen der radikalen Bourgeoisie eine Gefahr darstellten. Die Internationale betrachtete es als unumgänglich, all diesen kompromisslerischen und demoralisierenden Verbindungen zwischen der Führung der Kommunistischen Partei und den politischen Organisationen der Bourgeoisie nun ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Die Ehre des Proletariates in Frankreich forderte die Säuberung all seiner Organisationen von Elementen, welche zu beiden Lagern im Klassenkampf gehören wollten.
Der Kongress forderte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Frankreichs auf, bis zum 1. Januar 1923 alle Verbindungen der Partei, sei es in Form von Einzelpersonen oder Gruppen, zur Freimaurerei aufzulösen. Diejenigen, welche nicht vor dem 1. Januar ihrer Organisation und auch öffentlich durch die Parteipresse ihren vollständigen Bruch mit der Freimaurerei erklärt hätten, würden automatisch ausgeschlossen, ohne das Recht je wieder aufgenommen zu werden. Jeder der seine Mitgliedschaft in Freimaurergruppen verstecke, werde als Agent des Feindes betrachtet, der die Partei unterwandert hat, und vor dem Proletariat in Schmach gestellt."
Ähnliches konnte auch der KPD-Delegierte auf dem 3. Kongreß der italienischen KP, der zu den Thesen über die kommunistische Taktik referierte die von Bordiga und Terracini eingereicht worden waren, berichten: „Die offenkundige Unvereinbarkeit, gleichzeitig der kommunisitischen Partei und einer anderen Partei anzugehören, erstreckt sich außer auf die politischen Parteien auch auf jene Bewegungen, die trotz ihres politischen Charakters, nicht die Bezeichnung und die Organisation einer Partei haben, und auf alle Vereinigungen, die der Aufnahme ihrer Mitglieder politische Leitsätze zugrunde legen; unter diesen vor allem das Freimaurertum." („Die italienischen Thesen" von Paul Böttcher in Die Internationale, 1922, Hervorhebung im Original).
Der Eintritt des Kapitalismus in seine dekadente Phase seit dem I. Weltkrieg hat zu einer gigantischen Entwicklung des Staatskapitalismus geführt, insbesondere des Militär- und Repressionsapparates (Spionage, Geheimpolizei, etc.). Hieß dies, daß die Bourgeoisie das Verschwinden ihrer „traditionellen" Geheimgesellschaften nun für angebracht hielt? Dies ist nur teilweise der Fall. Wo der dekadente staatskapitalistische Totalitarismus, wie in Hitlers Deutschland, Mussolinis Italien oder Stalins Rußland, eine brutale und unverhüllte Form angenommen hatte, waren freimaurerische oder andere „Logen" oder Geheimgruppen stets verboten.
Doch auch diese brutal offene Form des Staatskapitalismus kam nicht vollständig aus ohne einen heimlichen oder illegalen, offiziell nicht existierenden Apparat. Staatskapitalistischer Totalitarismus beinhaltet die diktatorische Kontrolle des bürgerlichen Staates nicht nur über die gesamte Ökonomie, sondern auch über jeden Lebensbereich. So war in den stalinistischen Regimes die „Mafia" ein unerläßlicher Teil des Staates, da sie den einzigen Teil des Verteilungsapparates kontrollierte, der wirklich funktionierte, der offiziell jedoch für nicht existent gehalten wurde: der Schwarzmarkt. Auch in westlichen Ländern ist die organisierte Kriminalität ein nicht minder unerläßlicher Teil des staatskapitalistischen Regimes.
Aber in der sogenannten „demokratischen" Form des Staatskapitalismus weitet sich der inoffizielle genauso wie der offizielle Repressions- und Infiltrationsapparat gewaltig aus. Hinter dem absoluten Schwindel der Demokratie setzt der Staat auf einer nicht weniger totalitären Weise als unter den Nazis oder den Stalinisten seine Politik gegenüber den Mitgliedern seiner eigenen Klasse durch und bekämpft die Organisationen seiner imperialistischen Rivalen sowie seines proletarischen Klassenfeindes. Seine offizielle politische Polizei und sein Spionageapparat sind genauso allgegenwärtig wie in anderen Staaten. Da jedoch die Ideologie der Demokratie diesem Apparat nicht erlaubt, so offen wie die Gestapo oder die GPU in Rußland zu agieren, belebte die westliche Bourgeoisie ihre alten Traditionen der Freimaurerei und der „Politmafia" wieder, aber diesmal unter direkter Staatskontrolle. Was die westliche Bourgeoisie legal und offen nicht tun konnte, das tat sie illegal und im geheimen.
So kehrte mit der Invasion der US-Armee in Mussolinis Italien nicht nur die Mafia zurück.
„Im Gefolge der nach Norden vorstoßenden motorisierten amerikanischen Verbände schossen auf der Apenninenhalbinsel Freimaurerlogen wie Pilze nach dem Regen aus der Erde. Das war nicht nur eine Auswirkung davon, daß die Logen unter Mussolini verboten waren und ihre Mitglieder verfolgt wurden. Ihren Anteil an dieser Entwicklung hatten die mächtigen Freimaurervereinigungen der USA, die ihre italienischen Brüder sofort unter ihre Fittiche nahmen."
Hier befindet sich der Ursprung einer der berühmtesten unter den vielen illegalen Organisationen des westlichen, amerikanisch geführten imperialistischen Blocks, die „P2-Loge" in Italien. Diese inoffiziellen Strukturen koordinierten den Kampf der verschiedenen nationalen Bourgeoisien des amerikanischen Blocks gegen den Einfluß des rivalisierenden sowjetischen Blocks. Die Mitglieder solcher Logen umfaßten auch Führer des „linken Flügels" des kapitalistischen Staates: stalinistische und linksextreme Parteien, Gewerkschaften.
Durch eine Reihe von Skandalen und Enthüllungen (die in einem Zusammenhang stehen mit der Auflösung des westlichen Blocks nach 1989) wissen wir eine ganze Menge über das Treiben solcher Gruppen gegen den imperialistischen Feind. Aber um so mehr wird die Tatsache von der Bourgeoisie unter Verschluß gehalten, daß in der Dekadenz die alten Traditionen der Infiltration von Arbeiterorganisationen durch Freimaurer ebenfalls Teil des Repertoires des demokratisch-totalitären Staates geworden sind. Dies war der Fall, wann immer das Proletariat die Bourgeoisie ernsthaft bedrohte: vor allem während der revolutionären Welle 1917–23, aber auch seit 1968, mit dem Wiedererwachen der Arbeiterkämpfe.
Im Namen der Internationalen entlarvte Trotzki die Existenz von Verbindungen zwischen „Freimaurerei und den Parteiinstitutionen, der Publikationskommission der Zeitung, dem Zentralkomitee, dem Förderativkomitee" in Frankreich. „Die Liga für Menschenrechte und die Freimaurerei sind Kampfmaschinen der Bourgeoisie, die das Bewußtsein der Repräsentanten des französischen Proletariats ablenken. Wir erklären diesen Methoden den gnadenlosen Krieg, da sie eine geheime und heimtückische Waffe des bürgerlichen Arsenals bilden (...) Wir müssen die Partei von diesen Elementen befreien." (La Voix de L'Internationale: „Le Mouvement Communiste en France; Übersetzung aus dem Französischen)
Wie Lenin hervorhob, wurde die proletarische Revolution in Westeuropa Ende des I. Weltkrieges mit einer weitaus mächtigeren und intelligenteren Bourgeoisie als in Rußland konfrontiert. Wie in Rußland spielte die westliche Bourgeoisie angesichts der Revolution sofort die demokratische Karte, indem sie linksbürgerliche, ehemalige Arbeiterparteien an die Macht brachte, Wahlen und Pläne für eine „industrielle Demokratie" und für die „Integration" der Arbeiterräte in Verfassung und Staat ankündigte.
Aber anders als in Rußland nach dem Februar 1917 begann die westliche Bourgeoisie unmittelbar, einen gigantischen, illegalen konterrevolutionären Apparat aufzubauen.
Zu diesem Zweck machte sie Gebrauch von der politischen und organisatorischen Erfahrung der Freimaurerlogen und rechter völkischer Orden, die sich vor dem Weltkrieg darauf spezialisiert hatten, die sozialistische Bewegung zu bekämpfen, und die ihre Integration in den Staat vervollständigt hatten. Zwei solcher Vorkriegsorganisationen waren der „Germanische Orden" und die „Hammerliga", die 1912 als Antwort auf den näherrückenden Krieg und auf den Wahlsieg der Sozialistischen Partei gegründet wurden und in ihrem Papier „Die Organisierung der Konterrevolution" als ihr Ziel erklärten: „Die heilige Blutrache soll die revolutionären Führer schon zu Beginn des Aufstandes liquidieren und ohne Zögern den Kampf gegen die kriminellen Massen mit ihren eigenen Waffen aufnehmen."
Victor Serge weist auf die Geheimdienste der Action Francaise und der Cahiers de l'Antifrance hin, die die vordersten Reihen der Bewegung in Frankreich bereits während des Krieges ausspionierten; auf die Spionage und die Provokateursdienste der faschistischen Partei in Italien; auf die privaten Detektivagenturen in den USA, welche „die Kapitalisten mit diskreten Spitzeln, Provokationsexperten, Scharfschützen, Wachschutz, Aufsehern und auch mit total korrupten Gewerkschaftsaktivisten versorgten" und „schätzungsweise 135.000 Menschen beschäftigten". „In Deutschland haben sich seit der offiziellen Entwaffnung des Landes die wesentlichen Kräfte der Reaktion in äußerst geheimen Organisationen konzentriert. Die Reaktion hat begriffen, daß selbst in vom Staat unterstützten Parteien die Klandestinität ein wertvoller Aktivposten ist. All diese Organisationen übernahmen natürlich die Funktionen einer faktischen Geheimpolizei gegen das Proletariat." (Übersetzung aus dem Englischen).
Um den Mythos der Demokratie zu bewahren, waren die konterrevolutionären Organisationen in Deutschland und anderen Ländern offiziell kein Teil des Staates, sondern privat finanziert, oft für illegal erklärt, und sie stellten sich selbst als Feinde der Demokratie dar. Mit ihren Attentaten gegen „demokratische" bürgerliche Führer wie Rathenau und Erzberger und ihren rechten Putschversuchen (dem Kapp-Putsch 1920, dem Hitler-Putsch 1923) spielten sie eine wichtige Rolle dabei, das Proletariat auf das Terrain der Verteidigung der konterrevolutionären Weimarer „Demokratie" zu locken.
Am Beispiel Deutschlands, dem Hauptzentrum der revolutionären Welle 1917–23 außer Rußland, können wir am besten das riesige Ausmaß der konterrevolutionären Aktionen einer Bourgeoisie begreifen, die sich in ihrer Herrschaft bedroht fühlt. Ein gigantisches Netz zur Verteidigung des bürgerlichen Staates wurde errichtet. Dieses Netz gebrauchte Provokationen, Infiltrationen und politischen Mord, um die konterrevolutionäre Politik der SPD und der Gewerkschaften genauso wie die Reichswehr und die privat finanzierten inoffiziellen „Weißen Garden" der Freikorps zu ergänzen. Noch berühmter ist freilich die NSDAP, die 1919 in München gegen die Revolution als „Deutsche Arbeiterpartei" gegründet wurde. Hitler, Göring, Röhm und andere Nazis begannen ihre politische Karriere als Informanten und Agenten gegen die bayrischen Arbeiterräte.
Diese illegalen Koordinationszentren der Konterrevolution waren in Wahrheit Teil des Staates. Wann immer ihre Attentatsspezialisten, wie die Mörder von Liebknecht, Luxemburg und Hunderten anderer kommunistischer Führer, vor Gericht gestellt wurden, wurden sie für nicht schuldig befunden, erhielten Bewährungsstrafen, oder es wurde ihnen die Flucht ermöglicht. Wann immer ihre geheimen Waffenlager von der Polizei entdeckt wurden, intervenierte die Armee, um die Waffen zurückzufordern, die ihr angeblich gestohlen wurden.
In den Nachwehen des Kapp-Putsches war die Organisation Escherich („Orgesch") die größte und gefährlichste antiproletarische illegale Organisation, deren erklärtes Ziel die „Liqiudierung des Bolschewismus" war. Sie „verfügte fast über eine Million bewaffneter Mitglieder, welche unzählige Waffenverstecke hatten und mit geheimpolizeilichen Methoden arbeitete. Orgesch verfügte zudem über ein Netz von Spionen." Der „Teno", angeblich ein technischer Hilfsdienst im Falle öffentlicher Katastrophen, war in Wahrheit eine bewaffnete Truppe, 170.000 Mann stark, hauptsächlich als Streikbrecher benutzt. Die Anti-Bolschewistische Liga, von Industriellen am 1. Dezember 1918 gegründet, richtete ihre Propaganda hauptsächlich an Arbeiter. „Sie verfolgte aufmerksam die Aktivitäten der KPD und versuchte sie mit ihren Informanten zu unterwandern. Dazu unterhielt sie unter dem Deckmantel einer „4. Abteilung" ein Netz von Spionen und hatte Verbindungen zur politischen Polizei und der Armeeführung".
In München stellte die Thule-Gesellschaft, in der Vorkriegszeit mit dem oben erwähnten Germanischen Orden verbunden, die Weiße Armee der bayrischen Bourgeoisie, das Freikorps Oberland, und koordinierte den Kampf gegen die Räterepublik von 1919, einschließlich die Ermordung des USPD-Führers Eisner, um eine vorzeitige Erhebung zu provozieren. „Ihre 2. Abteilung war ein Geheimdienst, welcher eine ausgedehnte Infiltrations-, Spionage- und Sabotagearbeit verrichtete. Laut Schottendorff verfügte jedes Mitglied dieses Verbandes schnell und unter anderem Namen über einen Mitgliederausweis des Spartakusbundes. Diese Informanten sassen auch in den Komitees der Räteregierung und der Roten Armee und rapportierten der Zentrale der Thule-Gesellschaft über die Pläne des Feindes."
Die Hauptwaffe der Bourgeoisie gegen die proletarische Revolution ist nicht Repression und Subversion, sondern die Präsenz der Ideologie und des organisatorischen Einflusses der „linken" Organe der Bourgeoisie in den Reihen des Proletariats. Dies war im wesentlichen der Job der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften. Aber die Bedeutung der Hilfe, die die Infiltration und Provokation zu den Bemühungen der Linken des Kapitals gegen den Arbeiterkampf beitragen kann, wird am Beispiel des „Nationalbolschewismus" während der deutschen Revolution unterstrichen. Unter dem Einfluß eines scheinbaren Antikapitalismus, extremen Nationalismus, Antisemitismus und „Anti-Liberalismus" der illegalen Geheimorganisationen der Bourgeoisie, mit denen sie Geheimtreffen abhielt, entwickelte die sogenannte Hamburger „Linke" um Laufenberg und Wolffheim eine konterrevolutionäre Vision des „Linkskommunismus", die 1919 entscheidend zur Spaltung der jungen KPD und zur Diskreditierung der KAPD in den 20er Jahren beitrug.
Bereits 1919 begann die parteiinterne Aufdeckung der bürgerlichen Infiltration der Hamburger Sektion der KPD, einschließlich der 20 Polizeiagenten, die in direkter Verbindung mit der GKSD standen, einem konterrevolutionären Regiment in Berlin. „Sie versuchten wiederholt, die Arbeiter in Hamburg zu bewaffneten Angriffen gegen die Gefängnisse oder anderen abenteurerischen Aktionen zu verführen."
Der Organisator dieser Wühlarbeit gegen die Kommunisten in Hamburg, Von Killinger, war ein Führer der „Organisation Consul", einer geheimen Terror- und Mordorganisation, finanziert von den Junkern und darauf abgerichtet, den Kampf all der anderen rechten Gruppen gegen den Kommunismus zu infiltrieren und zu vereinen.
Im ersten Teil dieses Artikels sahen wir, wie die Kommunistische Internationale die Lehren aus dem Zusammenbruch der 2. Internationalen auf der organisatorischen Ebene zog, indem sie einen weitaus rigoroseren Kampf gegen die Freimaurerei und Geheimgesellschaften führte. Wie wir gesehen haben, hat der Zweite Weltkongreß 1920 einen Antrag der italienischen Partei gegen die Freimaurerei angenommen, der offiziell zwar nicht Teil der „21 Mitgliedsbedingungen" der Komintern, inoffiziell jedoch als „22. Bedingung" bekannt war.
Tatsächlich verpflichteten die berühmten 21 Bedingungen vom August 1920 alle Sektionen der Internationalen dazu, klandestine Strukturen zu organisieren, die Organisation gegen Infiltration zu schützen, die Aktivitäten des illegalen konterrevolutionären Apparates der Bourgeoisie zu untersuchen und die international zentralisierte Arbeit gegen die kapitalistische Repression zu unterstützen.
Der Dritte Weltkongreß im Juni 1921 nahm Prinzipien an, die einen besseren Schutz der Internationalen vor Spionen und Agents provocateurs und eine systematische Beobachtung der Aktivitäten der offiziellen und geheimen antiproletarischen Polizei und des paramilitärischen Apparates, der Freimaurer, etc. zum Ziel hatten. Ein spezielles Komitee, das OMS, wurde gebildet, um diese Aktivitäten international zu koordinieren.
Die KPD zum Beispiel veröffentlichte regelmäßig Listen mit Provokateuren und Polizeispionen, die sie aus ihren Reihen ausgeschlossen hatte, vervollständigt mit ihren Photos und einer Beschreibung ihrer Methoden. „Zwischen August 1921 und August 1922 deckte die Informationsabteilung 124 Informanten, Aufwiegler und Betrüger auf. Sie waren von der Geheimpolizei und rechten Organisationen in die KPD geschickt worden oder hatten versucht die KPD zu ihren eigenen Nutzen finanziell zu betrügen"
Flugblätter wurden zu dieser Frage bereitet. Die KPD fand sogar heraus, wer Liebknecht und Luxemburg ermordet hatte, und veröffentlichte die Photos der Täter, wobei sie um die Hilfe der Bevölkerung bat, um sie zur Strecke zu bringen. Eine spezielle Organisation wurde etabliert, um die Partei gegen die Geheimgesellschaften und paramilitärischen Organisationen der Bourgeoisie zu schützen. Diese Arbeit schloß spektakuläre Aktionen mit ein. So suchten 1921 als Polizisten verkleidete KPD-Mitglieder die Räumlichkeiten eines russischen weißgardistischen Offiziers in Berlin auf und konfiszierten Papiere von ihm. Es wurden verdeckte Aktionen gegen Geheimoffiziere der kriminellen „Organisation Consul" unternommen. Vor allem versorgte die Komintern alle Arbeiterorganisationen regelmäßig mit konkreten Warnungen und Informationen über die Versuche des okkulten Armes der Bourgeoisie, sie zu zerstören.
Nach der Niederlage der kommunistischen Revolution 1923 wurden die Elemente des geheimen antiproletarischen Netzes der Bourgeoisie entweder aufgelöst oder mit anderen Aufgaben durch den Staat betraut. In Deutschland wurden viele dieser Elemente später in die Nazibewegung integriert.
Als jedoch die massiven Arbeiterkämpfe im Frankreich von 1968 der Konterrevolution ein Ende bereiteten und eine Periode zunehmenden Klassenkampfes eröffneten, begann die Bourgeoisie, ihren verborgenen antiproletarischen Apparat wiederzubeleben. Im Mai 1968 in Frankreich begrüßte der freimaurerische Grand Orient begeistert die „grossartige Bewegung der Studenten und Arbeiter" und sandte Nahrungsmittel und Medikamente an die besetzte Sorbonne.
Diese „Begrüßung" war ein bloßes Lippenbekenntnis. Bereits unmittelbar nach 1968 benutzte die Bourgeoisie in Frankreich ihre „Neu-Templer"-, „Rosenkreuzer-" und „Martins"-Orden, um linke und andere Gruppen in Zusammenarbeit mit den SAC-Diensten zu infiltrieren. Zum Beispiel begann Luc Jeuret, der Guru der „Sonnentempler", seine Karriere mit der Infiltration maoistischer Gruppen (L'Ordre du Temple Solaire, S.145f.).
In der Tat sah man in den folgenden Jahren Organisationen eines Typs erscheinen, der in den 20ern schon einmal gegen die proletarische Revolution benutzt worden war. Unter den Rechtsextremen hat die Front Européen de Libération die „nationalbolschewistische" Tradition wiederbelebt. In Deutschland hat sich die Sozialrevolutionäre Arbeiterfront, die dem Motto folgt: „Die Grenze verläuft nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen oben und unten", darauf spezialisiert, verschiedene „linke" Bewegungen zu infiltrieren. Die Thule-Gesellschaft wurde ebenfalls als konterrevolutionäre Geheimgesellschaft wiedergegründet.
Zu den modernen privaten politischen Geheimdiensten der Rechten gehört die World Anti-Communist League, genauso wie die National Caucus of Labour und die Europäische Arbeiterpartei, dessen Führer la Rouche von einem Mitglied des US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsrates als jemand beschrieben wurde, der im Besitz „der besten Geheimpolizei der Welt sei".
Die linksextremen Versionen solcher konterrevolutionärer Organisationen sind nicht weniger aktiv. In Frankreich haben sich zum Beispiel neue Sekten in der Tradition des „Martinismus" etabliert, eine Variante der Freimaurerei, die sich historisch auf die Infiltration und Subversion von Arbeiterorganisationen spezialisiert hat. Solche Gruppen verfechten die Idee, daß der Kommunismus am besten durch die Manipulationen einer aufgeklärten Minderheit erreicht werden könne. Wie andere Sekten haben sie sich auf die Kunst der Manipulation von Menschen spezialisiert.
Allgemeiner gesagt, ist die Entwicklung von okkulten Sekten und esoterischen Gruppierungen in den vergangenen Jahren nicht nur ein Ausdruck der kleinbürgerlichen Hoffnungslosigkeit und Hysterie gegenüber der historischen Situation, sie werden vom Staat auch ermutigt und organisiert. Die Rolle dieser Sekten in interimperialistischen Rivalitäten ist bekannt (z.B. der Gebrauch von Scientology durch die US-Bourgeoisie gegen Deutschland). Aber diese ganze „esoterische" Bewegung ist, insbesondere nach 1989 mit dem angeblichen „Tod des Kommunismus", gleichermaßen auch Teil des bürgerlichen ideologischen Angriffs gegen den Marxismus. Historisch war es das Angesicht einer aufstrebenden sozialistischen Bewegung, das die europäische Bourgeoisie dazu veranlaßte, sich mit der mystischen Ideologie der Freimaurerei zu identifizieren, besonders nach den 1848er Revolutionen. Heute ist der zügellose Haß der Esoterik gegen Materialismus und Marxismus genauso wie gegen die proletarischen Massen, die als „materialistisch" und „dumm" angesehen werden, nichts anderes als der konzentrierte Haß der Bourgeoisie und von Teilen des Kleinbürgertums gegen das unbesiegte Proletariat. Selbst unfähig, irgendeine historische Alternative anzubieten, stellt sich die Bourgeoisie dem Marxismus mit der Lüge entgegen, daß der Stalinismus kommunistisch gewesen sei, aber auch mit der mystischen Vision, wonach die Welt nur „gerettet" werden könne, wenn Bewußtsein und Rationalität durch das Ritual, die Intuition und durch Hokuspokus ersetzt würden.
Angesichts des heutigen Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft ist es die Aufgabe der Revolutionäre, die Lehren aus den Erfahrungen der Arbeiterklasse gegen das zu ziehen, was Lenin „den Mystizismus, die Kloake konterrevolutionärer Methoden" nannte. Und es ist unsere Aufgabe, uns die Wachsamkeit der vergangenen Arbeiterbewegung gegenüber den Manipulationen und der Infiltration des okkulten Apparates der Bourgeoisie wieder anzueignen. Sie sollen „die beschämendste Schmach erhalten indem man sie an die Öffentlichkeit zerrt" ,wie Marx es ausdrückte als er diese Art bürgerlicher Ideologie blosstellte. Gleich wie die Religion, von Marx im letzten Jahrhundert als „Opium für das Volk" bezeichnet, sind die ideologischen Themen der modernen Freimaurerei ein Gift in der Hand des bürgerlichen Staates um das Bewusstsein in der Arbeiterklasse zu zerstören.
Die Tatsache, dass die Arbeiterbewegung in der Vergangenheit einen permanenten Kampf gegen den Okkultismus geführt hat, ist heute wenig bekannt. In Wirklichkeit waren die Ideologie und die geheimen Infiltrationsmethoden der Freimaurerei die Speerspitze der Versuche der Bourgeoisie, die kommunistischen Organisationen von innen zu bekämpfen. Wenn die IKS wie viele andere revolutionäre Organisationen in der Vergangenheit das Eindringen dieser Ideologien erfahren hat, so ist es unsere Pflicht und unsere Verantwortung dem gesamten revolutionären Milieu unsere Erfahrungen zur Verteidigung des Marxismus weiterzugeben. Zur Wiederaneignung der Wachsamkeit aufzurufen, mit welcher die Arbeiterbewegung in der Vergangenheit dieser Politik der Unterwanderung und Manipulation durch den okkulten Apparat der Bourgeoisie bekämpft hat.
Kr.
In den ersten drei Teilen dieser Artikelserie haben wir gesehen, wie der Bakunismus, unterstützt und manipuliert von den herrschenden Klassen und von einem ganzen Netzwerk politischer Parasiten, einen versteckten Kampf gegen die Erste Internationale führte. Insbesondere richtete sich dieser Kampf gegen die Etablierung wahrhaft proletarischer Prinzipien und Regeln für die Funktionsweise innerhalb der Internationalen. Während die Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation mit ihrer Verteidigung einer einheitlichen, kollektiven, zentralisierten, transparenten und disziplinierten Funktionsweise einen qualitativen Sprung gegenüber der vorherigen sektiererischen, hierarchischen und konspirativen Phase der Arbeiterbewegung darstellte, mobilisierte Bakunins Allianz all die nicht-proletarischen Elemente, die diesen Schritt vorwärts nicht akzeptieren wollten. Mit der Niederlage der Pariser Kommune und dem internationalen Rückfluß des Klassenkampfes nach 1871 verdoppelte die Bourgeoisie ihre Anstrengungen, um die Internationale zu zerstören und vor allem die marxistische Vision einer Arbeiterpartei und ihrer Organisationsprinzipien, die sich in wachsendem Maße etabliert hatte, zu diskreditieren. So blies die Internationale vor ihrer Auflösung, auf dem Haager Kongreß von 1872, zur offenen und entscheidenden Konfrontation mit dem Bakunismus. Sich vergegenwärtigend, daß eine Internationale angesichts solch einer wichtigen Niederlage des Weltproletariats nicht weiter existieren kann, war die Hauptsorge der Marxisten auf dem Haager Kongreß, daß die politischen und organisatorischen Prinzipien, die sie gegen den Bakunismus verteidigt hatten, an die zukünftigen Generationen von Revolutionären weitergereicht werden und als Basis für künftige Internationalen dienen. Daher wurden die Enthüllungen des Haager Kongresses über Bakunins Verschwörung innerhalb der Internationalen und gegen sie veröffentlicht und der gesamten Arbeiterklasse verfügbar gemacht.
Die vielleicht wichtigste Lehre aus dem Kampf gegen Bakunins Allianz, die die Erste Internationale an uns weitergereicht hat, ist die der Gefahr, die deklassierte Elemente im allgemeinen und politisches Abenteurertum im besonderen für kommunistische Organisationen darstellen. Gleichzeitig ist es gerade diese Lehre, die von vielen Gruppen des gegenwärtigen revolutionären Milieus am meisten ignoriert oder unterschätzt wird. Daher ist der letzte Teil unserer Serie über den Kampf gegen den Bakunismus dieser Frage gewidmet.
Warum entschied sich die Erste Internationale nicht dafür, ihren Kampf gegen den Bakunismus als eine rein interne Angelegenheit zu behandeln, ohne Belang für alle außerhalb der Organisation? Warum bestand sie so sehr darauf, daß die Lehre dieses Kampfes an die Zukunft weitergereicht wurde? Grundlage der marxistischen Organisationsauffassung ist die Überzeugung, daß revolutionäre kommunistische Organisationen ein Produkt des Proletariats sind. Historisch gesprochen, haben sie ein Mandat von der Arbeiterklasse erhalten. Als solche sind sie dazu verpflichtet, gegenüber der Klasse als Ganzes, insbesondere aber gegenüber anderen politischen Organisationen und Ausdrücken der Klasse, dem proletarischen Milieu, Rechenschaft über ihre Handlungen abzulegen. Dieses Mandat gilt nicht nur in der Gegenwart, sondern auch gegenüber der Geschichte an sich. Gleichzeitig sind die künftigen Generationen von Revolutionären, die das von der Geschichte an sie weitergereichte Mandat akzeptieren, dazu verpflichtet, von den Kämpfen ihrer Vorgänger zu lernen und sich ein Urteil darüber zu bilden.
Deshalb war der letzte große Kampf der Ersten Internationalen dazu bestimmt, dem Weltproletariat und der Geschichte gegenüber das von Bakunin und seinen Anhängern gegen die Arbeiterpartei angezettelte Komplott zu enthüllen. Und deshalb ist es die Verantwortung der marxistischen Organisationen von heute, die Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, um für den Kampf gegen den heutigen Bakunismus, gegen das heutige politische Abenteurertum gewappnet zu sein.
Nachdem sie die historische Gefahr begriffen hat, die die von der Ersten Internationalen gezogenen Lehren für ihre eigenen Klasseninteressen darstellen, unternahm die Bourgeoisie in Erwiderung auf die Enthüllungen des Haager Kongresses alles, um diese Bemühungen zu diskreditieren. Die bürgerliche Presse und bürgerliche Politiker erklärten, daß der Kampf gegen den Bakunismus nicht ein Kampf ums Prinzip, sondern ein schmutziger Machtkampf innerhalb der Internationalen gewesen sei. Demnach ging es Marx nur darum, seinen Rivalen Bakunin durch eine Lügenkampagne auszuschalten. Mit anderen Worten, die Bourgeoisie versuchte die Arbeiterklasse davon zu überzeugen, daß ihre Organisationen auf genau dieselbe Weise funktionierten und somit nicht besser seien als jene der Ausbeuter. Die Tatsache, daß die große Mehrheit der Internationalen Marx unterstützte, wurde dem ''Triumph des Autoritätsglaubens'' in ihren Reihen und der angeblichen Neigung ihrer Mitglieder zugeschrieben, überall Feinde der Assoziation lauern zu sehen. Die Bakunisten und die Lassalleaner verbreiteten Gerüchte, wonach Marx selbst ein Agent Bismarcks gewesen sei.
Wie wir wissen, sind dies exakt dieselben Beschuldigungen, die heute von der Bourgeoisie, durch den politischen Parasitismus, gegen die IKS erhoben werden.
Solche Verunglimpfungen seitens der Bourgeoisie, verbreitet vom politischen Parasitismus, sind eine unvermeidliche Begleiterscheinung jedes proletarischen Organisationskampfes. Weitaus ernster und gefährlich ist es, wenn solche Verunglimpfungen ein gewisses Echo innerhalb des revolutionären Lagers selbst erzeugen. Dies war bei Franz Mehrings Biographie von Marx der Fall. In diesem Buch erklärte Mehring, der dem erklärten linken Flügel der Zweiten Internationalen angehörte, daß die Broschüre des Haager Kongresses über die Allianz ''unentschuldbar'' und ''der Internationalen unwürdig'' gewesen sei. In seinem Buch verteidigte Mehring nicht nur Bakunin, sondern auch Lassalle und Schweitzer gegen die von Marx und den Marxisten erhobenen Anschuldigungen. Die von Mehring gegen Marx erhobene Hauptbeschuldigung war, daß er in seinen Schriften gegen Bakunin die marxistische Methode verworfen habe. Während Marx in all seinen anderen Werken immer von einer materialistischen Klassenanalyse der Ereignisse ausging, versuchte er in seiner Analyse der Allianz Bakunins, so Mehring, das Problem mit der Persönlichkeit und den Handlungen einer kleinen Zahl von Individuen, den Führern der Allianz, zu erklären. Mit anderen Worten, er beschuldigte Marx, anstelle einer Klassenanalyse einer personalisierten, verschwörerischen Sichtweise zu verfallen. Gefangen in dieser Sichtweise, war Marx, so Mehring weiter, gezwungen, die Fehler und Sabotage von Bakunin, aber auch der Führer des Lassalleanismus in Deutschland stark überzubetonen.
Tatsächlich erklärte Mehring, nachdem er sich ''aus Prinzip'' weigerte, das Material zu untersuchen, welches Marx und Engels über Bakunin präsentierten:
''Was ihren sonstigen polemischen Schriften den eigentümlichen Reiz und den dauernden Wert verleiht, die positive Seite der neuen Erkenntnis, die durch die negative Kritik entbunden wird, das fehlt dieser Schrift vollständig.''
Auch hier wird dieselbe Kritik heute innerhalb des revolutionären Milieus gegenüber der IKS erhoben. Mit unserer Antwort auf diese Kritik werden wir jetzt demonstrieren, daß die Position von Marx gegen Bakunin doch auf einer materialistischen Klassenanalyse basierte. Es handelte sich dabei um die Analyse des politischen Abenteurertums und der Rolle der Deklassierten. Es ist diese ungeheuer wichtige ''neue Erkenntnis von dauerndem Wert'', welche Mehring und mit ihm die Mehrheit der gegenwärtigen revolutionären Gruppen vollkommen übersehen oder mißverstanden haben.
(Mehring: Karl Marx, Geschichte seines Lebens, S. 500)Im Gegensatz zu dem, was Mehring glaubte, schuf die Erste Internationale in der Tat eine Klassenanalyse der Ursprünge und der sozialen Grundlage von Bakunins Allianz.
''Ihre Gründer und die Vertreter der Arbeiterorganisationen beider Welten, die auf den internationalen Kongressen die Allgemeinen Statuten der Assoziation sanktionierten, vergaßen, daß gerade die Weite ihres Programms selbst den Deklassierten erlauben würde, sich einzuschleichen und im Schoße der Assoziation geheime Organisationen zu bilden, deren Tätigkeit sich nicht gegen die Bourgeoisie und die bestehenden Regierungen, sondern sich gegen die Internationale selbst richten würde. Dies war der Fall mit der Allianz der Sozialistischen Demokratie''
Die Schlußfolgerung desselben Dokuments faßt die Hauptaspekte des politischen Programms Bakunins in vier Punkten zusammen, von denen zwei erneut die entscheidende Rolle der Deklassierten unterstreichen.
''1. Alle Scheußlichkeiten, in denen sich nun einmal, wie durch Schicksalsschluß, das Leben der Deklassierten der höheren gesellschaftlichen Schichten bewegt, werden als ebenso viele ultrarevolutionäre Tugenden gepriesen".
''4. An die Stelle des ökonomischen und politischen Kampfes der Arbeiter um ihre Emanzipation treten die allzerstörenden Taten des Zuchthausgesindels, als der höchsten Verkörperung der Revolution. Mit einem Worte, man muß das bei den 'Revolutionen nach dem klassischen Muster des Westens' von den Arbeitern selbst niedergehaltene Lumpentum loslassen und so aus eigenem Antrieb den Reaktionen eine wohldisziplinierte Bande von Agents provocateurs zur Verfügung stellen" (ebenda, S. 440).
''Die vom Haager Kongreß gegen die Allianz gefaßten Beschlüsse waren daher reine Handlungen der Pflicht, er konnte nicht die Internationale, diese große Schöpfung des Proletariats, in den Fallstricken des Auswurfs der Ausbeuterklassen sich verfangen lassen" (ebenda, S. 441).
Mit anderen Worten, die soziale Basis der Allianz bestand aus dem Gesindel der herrschenden Klassen, den Deklassierten, die das Gesindel der Arbeiterklasse, das Lumpenproletariat, für seine Intrigen gegen kommunistische Organisationen zu mobilisieren versuchte.
Bakunin war selbst die Verkörperung des deklassierten Aristokraten.
''.... nachdem er sich in seiner Jugend all die Unarten des kaiserlichen Offiziers der Vergangenheit (er war Offizier) angeeignet hat, wendete er all die schlechten Instinkte seiner tartarischen und adligen Herkunft auf die Revolution an. Diese Art eines tartarischen Adligen ist gut bekannt. Es war ein wahres Austoben übler Leidenschaften: ihre Diener schlagend, prügelnd und quälend, Frauen vergewaltigend, von einem Tag zum nächsten betrunken, mit barbarischer Raffinesse all die Formen der jämmerlichsten Erniedrigung der menschlichen Natur und Würde ausheckend - so war das aufregende und revolutionäre Leben jener Adligen. Nun, wendete der Tartar Horostratus nicht, aus Mangel an feudalen Sklaven, all seine niederen Instinkte, all die üblen Leidenschaften seiner Brüder auf die Revolution an''
Genau diese Anziehungskraft zwischen dem Abschaum der höheren und der niederen Klassen erklärt die Faszination des kriminellen Milieus und des Lumpenproletariats auf Bakunin, dem deklassierten Aristokraten.. Der ''Theoretiker'' Bakunin brauchte die kriminellen Energien der Unterwelt, des Lumpenproletariats, um sein Programm auszuführen. Diese Rolle wurde in Rußland von Netschajew übernommen, der in die Praxis umsetzte, was Bakunin predigte, indem er die Mitglieder seines Komitees erpreßte und jene, die letzteres zu verlassen versuchten, hinrichtete. Bakunin zögerte nicht, diese Allianz des deklassierten ''erhabenen Menschen'' und des Kriminellen zu theoretisieren.
''Das Räubertum ist eine der ehrenvollsten Formen des russischen Volkslebens. Der Räuber ist der Held, der Schirmer und Rächer des Volkes, der unversöhnliche Feind des Staates und jeder vom Staat gegründeten gesellschaftlichen und bürgerlichen Ordnung, der Kämpfer auf Tod und Leben gegen diese ganze Zivilisation der Beamten, Edelleute, Priester und der Krone.... Wer das Räubertum nicht versteht, hat nie von der russischen Volksgeschichte das Geringste verstanden. Wem das Räubertum nicht sympathisch ist, der kann auch nicht mit dem Volksleben sympathisieren und hat kein Herz für die hundertjährigen und unermeßlichen, langanhaltenden Leiden des Volkes; er gehört ins Lager der Feinde, der Parteigänger des Staats" (Ein Komplott gegen die IAA, MEW, Bd. 18, S. 401)
(Bericht von Utin an den Haager Kongreß, Minutes and Documents, S. 448)Der Bericht ist unterzeichnet von den Mitgliedern der Kongreßkommission, die die Allianz untersuchte: Dupont, Engels, Fränkel, Le Moussu, Marx, Seraillier.Und die Schlußfolgerung fügt hinzu:(''Ein Komplott gegen die Internationale Arbeiter-Assoziation, veröffentlicht im Auftrag des Haager Kongreß, Einleitung''; in MEW Bd. 18, S. 331)Das Hauptmotiv solch deklassierter Elemente, in die Politik einzusteigen, ist nicht ihre Identifizierung mit der Sache der Arbeiterklasse oder Begeisterung für ihr Ziel, den Kommunismus, sondern ein glühender Haß und Rachegelüste der Entwurzelten gegen die Gesellschaft. In seinem ''Revolutionären Katechismus'' erklärt Bakunin:
''Er ist kein Revolutionär, wenn er noch an irgend etwas in dieser Welt hängt. Er darf nicht zurückbeben, wo es sich darum handelt, irgend jener alten Welt angehöriges Band zu zerreißen, irgendeine Einrichtung oder irgendeinen Menschen zu vernichten. Er muß alles und alle gleichmäßig hassen"
''Indem wir keine andere Tätigkeit als die der Zerstörung zulassen, erkennen wir an, daß die Form, in der sich diese Tätigkeit äußern muß, eine höchst mannigfaltige sein kann: Gift, Dolch, Strick etc. Die Revolution heiligt alles ohne Unterschied.''
Überflüssig zu sagen, daß solch eine Mentalität, solch ein soziales Milieu eine wahre Brutstätte für politische Provokationen ist. Auch wenn die Provokateure, Polizeispitzel und politischen Abenteurer, diese gefährlichsten Feinde der proletarischen Organisationen, von den herrschenden Klassen beschäftigt werden, so sind sie dennoch spontan durch den Prozeß der Deklassierung produziert worden, der vor allem im Kapitalismus vonstatten geht. Ein paar kurze Auszüge aus Bakunins ''Revolutionärem Katechismus'' reichen aus, um diesen Punkt zu veranschaulichen.
§ 10 rät dem ''wahren Militanten'', seine Genossen auszubeuten.
''Jeder Revolutionsgenosse sollte mehrere Revolutionäre zweiter oder dritter Ordnung, d.h. solche, die noch nicht vollständig eingeweiht sind, in seiner Hand haben. Er muß dieselben als einen seiner Verfügung anvertrauten Teil des allgemeinen revolutionären Kapitals betrachten. Er muß ökonomisch mit seinem Kapitalanteil wirtschaften und möglichst großen Nutzen aus demselben herausschlagen" (ebenda, S. 428).
§ 18 stellt vor, wie man von den Reichen lebt.
''Man muß sie auf alle mögliche Art ausbeuten, man muß sie umgarnen und verwirren, und, indem man sich zum Herrn ihrer schmutzigen Geheimnisse macht, sie zu unseren Sklaven machen. Auf diese Weise werden ihre Macht, ihre Verbindungen, ihr Einfluß und ihr Reichtum zu einem unerschöpflichen Schatze und zu einer kostbaren Hülfe bei mannigfaltigen Unternehmungen." (ebenda, S. 430).
§ 19 schlägt die Infiltration der Liberalen und anderer Parteien vor.
''Mit diesen kann man nach ihrem eigenen Programm konspirieren, indem man tut, als ob man ihnen blindlings folge. Man muß sie in unsere Hand bringen, sich ihrer Geheimnisse bemächtigen, sie vollständig kompromittieren, so daß ihnen der Rückzug unmöglich wird, und sich ihrer zur Herbeiführung von Unruhen im Staate bedienen" (S. 430).
§ 20 spricht sicherlich für sich.
''Die fünfte Kategorie bilden die Doktrinäre, Verschwörer, Revolutionäre, all diejenigen, welche in Versammlungen oder auf dem Papier Geschwätz machen. Man muß sie unaufhörlich zu praktischen und gefahrvollen Kundgebungen treiben und fortreißen, deren Erfolg sein wird, daß der größte Teil von ihnen verschwindet, während einige darunter sich zu echten Revolutionären entwickeln."
§ 21: ''Die sechste Kategorie ist von großer Bedeutung - es sind die Frauen, die in drei Klassen einzuteilen sind: Zur ersten gehören die oberflächlichen Frauen, ohne Geist und Herz, deren man sich in derselben Weise bedienen muß, wie der Männer der dritten und vierten Kategorie. Zur zweiten Klasse gehören die leidenschaftlichen, hingebenden und befähigten Frauen, die jedoch nicht zu uns gehören, weil sie noch nicht zum praktischen und phrasenlosen revolutionären Verständnis emporgedrungen sind; man muß sie benutzen wie die Männer der fünften Kategorie. Endlich kommen die Frauen, die ganz und gar zu uns gehören, das heißt, die vollständig eingeweiht sind und unser gesamtes Programm angenommen haben. Sie müssen wir als den kostbarsten unserer Schätze betrachten, ohne dessen Beistand wir nichts auszurichten vermögen." (S. 430)
Was ins Auge sticht, ist die Ähnlichkeit zwischen den Methoden, die von Bakunin und jenen entwickelt wurden, die in den heutigen religiösen Sekten heimisch sind, welche, obgleich vom Staat dominiert, üblicherweise um deklassierte Abenteurer herum gegründet sind. Wie wir in den vorherigen Artikeln gesehen haben, entsprach das Bakuninsche Organisationsmodell dem der Freimaurerei, dem Vorläufer des modernen Phänomens religiöser Sekten.
(Bakunin: Die Prinzipien der Revolution, in Komplott, MEW, Bd. 18, S. 403)(in Komplott, MEW Bd. 18, S. 429). Der deklassierte Pseudo-Revolutionär, der bar jeder Bande der Loyalität zu irgendeiner Gesellschaftsklasse ist und an keine gesellschaftliche Perspektive außer sein eigenes Fortkommen glaubt, wird nicht von dem Ziel einer künftigen, fortschrittlicheren Gesellschaftsform angetrieben, sondern von einem nihilistischen Zerstörungszwang.Die Aktivitäten deklassierter politischer Abenteurer sind für die Arbeiterbewegung besonders gefährlich. Proletarische revolutionäre Organisationen können nur auf der Grundlage eines tiefen gegenseitigen Vertrauens unter den Militanten und den Gruppen des kommunistischen Milieus angemessen existieren und funktionieren. Der Erfolg des politischen Parasitismus im allgemeinen und des Abenteurertums im besonderen hängt genau im Gegensatz dazu von der Fähigkeit ab, das gegenseitige Vertrauen zu untergraben, indem die politischen Verhaltensregeln zerstört werden, worauf es basiert.
In einem Brief an Netschajew, datiert vom Juni 1870, enthüllt Bakunin offen seine Absichten gegenüber der Internationalen. ''Die Gesellschaften, deren Ziele den unsrigen nahestehen, müssen wohl oder übel dahin gebracht werden, sich mit ihr zu vereinigen, oder ihr zumindest untergeordnet sein, ohne daß sie es ahnen, und wobei man aus ihrer Mitte alle unzuverlässigen Elemente entfernt; die feindlichen und eigentlich unheilvollen Gesellschaften müssen zerstört werden; schließlich muß die Regierung endgültig beseitigt werden. Nur durch die Verbreitung der Wahrheit allein wird dies alles nicht erreicht werden; ohne die List, die Gerissenheit, die Lüge wird man nicht auskommen". (S. 84). Einer dieser klassischen ''Tricks'' besteht darin, die Arbeiterorganisationen zu beschuldigen, sich der gleichen Methoden wie die Abenteurer selbst zu bedienen. So behauptet Bakunin in seinem ''Brief an die Brüder in Spanien'', daß die Resolution der Londoner Konferenz von 1872 gegen Geheimgesellschaften, die insbesondere gegen die Allianz gerichtet war, von der Internationalen nur angenommen worden sei, ''um den Weg für ihre eigene Verschwörung freizumachen, für die Geheimgesellschaft, die seit 1848, gegründet von Marx, Engels und dem verstorbenen Wolff, unter der Führung von Marx existiert hat, und die nichts anderes ist als die fast ausschließlich deutsche Gesellschaft der autoritären Kommunisten (...) Man muß feststellen, daß der Kampf, der inmitten der Internationalen ausgebrochen ist, nichts anderes ist als ein Kampf zwischen zwei Geheimgesellschaften.'' In der deutschsprachigen Ausgabe gibt es eine Fußnote vom anarchistischen Historiker Max Nettlau, einem glühenden Verehrer Bakunins, in der dieser einräumt, daß diese Anschuldigungen gegen Marx völlig haltlos sind (Bakunin: Gott und der Staat...., S.216-218) Siehe auch Bakunins antisemitische Rapports personnels avec Marx, in denen der Marxismus als Teil einer jüdischen, eng mit der Rothschild-Familie verknüpften Verschwörung dargestellt wird, und auf die wir in unserem Artikel ''Marxismus gegen Freimaurerei'' (Internationale Revue Nr. 19) hingewiesen haben.
Die von Bakunin angewandten Methoden waren jene des deklassierten Pöbels. Aber welchem Ziel dienten sie?
Das einzige politische Interesse Bakunins galt - Bakunin. Er trat der Arbeiterbewegung bei, um sein eigenes persönliches Vorhaben zu verfolgen.
Die Internationale war sich darüber völlig im klaren. Der erste Haupttext des Generalrats über die Allianz, das interne Rundschreiben über die Angeblichen Spaltungen in der Internationalen erklärte bereits, daß es Bakunins Ziel sei, ''den Generalrat durch seine eigene persönliche Diktatur zu ersetzen''. Der Bericht des Kongresses über die Allianz entwickelt dieses Thema weiter.
''Die Internationale war schon fest gegründet, als Bakunin sich in den Kopf setzte, eine Rolle als Emanzipator des Proletariats zu spielen (...) Um sich als Haupt der Internationalen zur Geltung zu bringen, mußte er als Haupt einer anderen Armee dastehen, deren absolute Ergebenheit gegen seine Person ihm durch eine geheime Organisation gesichert war. Hatte er seine Gesellschaft einmal offen in die Internationale eingepflanzt, dann rechnete er darauf, jene in alle Sektionen zu verzweigen und sich hierdurch deren absolute Leitung zu verschaffen" (Ein Komplott, Bd. 18, S. 337).
''... ein schlimmes Ding ist, seine Tätigkeit in einem fremden Lande auszuüben. Ich habe dies nur zu sehr erprobt in den Revolutionsjahren; weder in Frankreich noch in Deutschland habe ich Wurzeln schlagen können. Und so widme ich auch ferner der fortschrittlichen Bewegung der gesamten Welt meine glühende Sympathie; um jedoch den Rest meines Lebens nicht zu vergeuden, muß ich von jetzt an meine direkte Tätigkeit auf Rußland, Polen und die Slawen beschränken.
(Bakunin: An die russischen, polnischen und alle slawischen Freunde, MEW, Bd. 18, S. 445)Hier wird deutlich, daß Bakunins Motiv für seinen Richtungswechsel nicht das Gute der Sache war, sondern das Problem, ''einen sicheren Halt zu gewinnen'': das erste Kennzeichen eines politischen Abenteurers.
Dieses persönliche Vorhaben existierte, lange bevor Bakunin an einen Eintritt in die Internationale dachte. Als Bakunin aus Sibirien flüchtete und 1861 nach London kam, zog er eine negative Bilanz seines ersten Versuches, sich während der Revolutionen von 1848-49 in den westeuropäischen revolutionären Zirkeln zu etablieren.Folgender Text ist auch bekannt als Bakunins Panslawisches Manifest.
''Man sagt, daß der Kaiser Nikolaus selbst kurz vor seinem Tode, als er sich anschickte, Österreich den Krieg zu erklären, alle österreichischen und türkischen Slawen, die Ungarn und die Italiener zum allgemeinen Aufstand aufrief. Er selbst hatte den orientalischen Krieg gegen sich heraufbeschworen und, um sich zu verteidigen, hätte er sich fast aus einem despotischen Kaiser in einen revolutionären verwandeln mögen''
In seinem Pamphlet 'Die Angelegenheit des Volkes' von 1862 erklärte Bakunin zur Rolle des zeitgenössischen Zaren Alexander II., daß ''er es ist, er allein, der in Rußland, ohne ein Tropfen Bluts zu vergießen, die bedeutendste und wohltätigste Revolution durchführen könnte. Er kann es noch jetzt (...) Die Bewegung des nach tausendjährigem Schlafe erwachten Volkes aufzuhalten, ist unmöglich. Aber stellte sich der Zar kühn und entschlossen an die Spitze der Bewegung, dann hätte seine Macht für das Wohl und den Ruhm Rußlands keine Grenzen" (ebenda, S. 449). In diesem Stil fortfahrend, ruft Bakunin den Zaren dazu auf, in Westeuropa einzufallen.
''Es ist Zeit, daß die Deutschen nach Deutschland abziehen. Wenn der Zar begriffen hätte, daß er von nun an sich nicht mehr das Haupt einer Zwangs-Zentralisation, sondern das einer freien Föderation freier Völker sein müßte, gestützt auf eine feste und neugekräftigte Macht, im Bündnis mit Polen und der Ukraine, daß er alle sosehr verabscheuten deutschen Bündnisse lösen und kühn das panslawistische Banner erheben müßte - er würde der Heiland der slawischen Welt."
''Der Pan-Slawismus ist eine Erfindung des Petersburger Kabinetts und hat keinen anderen Zweck als den, die europäischen Grenzen Rußlands nach Westen und Süden vorzuschieben. Da man aber nicht wagt, den österreichischen, preußischen und türkischen Slawen ihren Beruf anzukündigen, im großen russischen Reich aufzugehen, stellt man ihnen Rußland als die Macht dar, welche sie vom fremden Joch befreien und in einer großen freien Föderation vereinigen wird.''
Was jedoch, abgesehen von seinem wohlbekannten Haß gegen Deutsche, veranlaßte ihn, so offen die Hauptbastion der Konterrevolution in ganz Europa, die Moskowiter Autokratie, zu unterstützten? In Wahrheit versuchte Bakunin, die Unterstützung des Zaren für seine eigenen politischen Ambitionen in Westeuropa zu erlangen. Das radikale politische Milieu im Westen war durchsetzt mit zaristischen Agenten, Gruppen und Zeitungen, die den Pan-Slawismus und andere pseudorevolutionäre Themen in den Vordergrund rückten. Der russische Hof hatte seine Agenten und Sympathisanten in den einflußreichsten Positionen, wie das Beispiel von Lord Palmerston, Großbritanniens mächtigstem Politiker seinerzeit, veranschaulicht. Natürlich wäre Moskaus Protektion für die Verwirklichung von Bakunins persönlichen Ambitionen von unschätzbarem Wert gewesen.
Bakunin hoffte, den Zar dazu zu überreden, seiner Innenpolitik durch die Einberufung einer Nationalversammlung einen revolutionär-demokratischen Anstrich zu verleihen, was es Bakunin erlauben würde, die polnischen und anderen radikalen und Emigrantenbewegungen im Westen als Rußlands ultralinkes trojanisches Pferd in Westeuropa zu organisieren.
''Leider hielt es der Zar nicht für angemessen, die Nationalversammlung einzuberufen, für welche Bakunin in dieser Broschüre bereits seine Kandidatur aufstellte. Er hatte also dieses sein Wahlmanifest und seine Kniebeugungen vor Romanow weggeworfen. Schmählich in seinem unschuldsvollen Vertrauen getäuscht, blieb ihm nichts weiter übrig, als sich kopfüber in die pan-destruktive Anarchie zu stürzen.''
Vom Zarismus enttäuscht, aber unbeirrt auf der Jagd nach der persönlichen Führung über die revolutionäre Bewegung Europas, strebte Bakunin Mitte der 1860er Jahre in Italien zur Freimaurerei hin, indem er selbst etliche Geheimgesellschaften gründete (siehe Internationale Revue Nr. 18). Mittels dieser Methoden infiltrierte Bakunin zunächst die bürgerliche Liga für Frieden und Freiheit, die er ''auf einer Stufe'' mit der Internationalen zu vereinen suchte (siehe Internationale Revue Nr. 19). Als auch dies mißlang, infiltrierte er die Internationale und versuchte, sie über seine geheime Allianz zu übernehmen. Für dieses Vorhaben, die Zerstörung der weltweiten politischen Organisation der Arbeiterklasse, fand Bakunin schließlich die großherzige Unterstützung der herrschenden Klassen.
''Die ganze liberale und Polizeipresse hat offen ihre Partei ergriffen; sie sind in ihren persönlichen Schmähungen gegen den Generalrat und ihren matten Angriffen gegen die Internationale von den Weltverbessern aller Länder unterstützt worden.''
(ebenda, S. 360)(ebenda, S. 454)(ebenda, S. 446)(ebenda, S. 452). Die Internationale kommentierte dies folgendermaßen.(Komplott, Bd. 18, S. 446).Auch wenn er nach ihrer Unterstützung trachtete, war Bakunin nicht einfach nur ein Agent des Zarismus, der Freimaurerei, der Friedensliga oder der westlichen Polizeipresse. Als ein wahrhaft Deklassierter hatte Bakunin gegenüber den herrschenden Klassen nicht mehr Sinn für Loyalität als gegenüber den ausgebeuteten Klassen der Gesellschaft. Im Gegenteil, sein Ziel war es, die Arbeiter- und die herrschenden Klassen gleichermaßen zu täuschen und zu manipulieren, um seine persönlichen Ambitionen zu verwirklichen und an der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit Revanche zu nehmen. Daher benutzten die herrschenden Klassen, wohl wissend um diese Tatsache, Bakunin, wann immer es angebracht war, aber vertrauten ihm niemals und überließen ihn mit größtem Vergnügen seinem Schicksal, sobald sein Nutzen ausgedient hatte. Sobald Bakunin öffentlich von der Internationalen entlarvt worden war, war seine politische Karriere beendet.
Bakunin verspürte einen echten, glühenden Haß gegen die herrschenden feudalen und kapitalistischen Klassen. Da er jedoch die Arbeiterklasse noch mehr haßte und sie im allgemeinen verachtete, sah er die Revolution oder einen gesellschaftlichen Wechsel als Aufgabe einer kleinen, aber entschlossenen Elite von skrupellosen Deklassierten unter seiner persönlichen Führung an. Diese Vision einer gesellschaftlichen Umwandlung war notwendigerweise eine phantastische, mystische Absurdität, denn sie stammte nicht aus irgendeiner Klasse, die in der gesellschaftlichen Realität solide verankert ist, sondern aus der rachsüchtigen Phantasie eines Außenseiters.
Vor allen Dingen glaubte Bakunin wie alle politischen Abenteurer an einen Wandel der Gesellschaft nicht durch Klassenkampf, sondern mittels der manipulierbaren Fertigkeiten einer revolutionären Bruderschaft.
''Die wahre Revolution braucht keine Individuen, die sich an die Spitze der Masse stellen und sie kommandieren, sondern Männer, die, unsichtbar in ihrer Mitte verborgen, die unsichtbare Verbindung einer Masse mit der andern ausmachen und so der Bewegung unsichtbar eine und dieselbe Richtung, einen und denselben Geist und Charakter geben. Die vorbereitende geheime Organisation hat nur diesen Sinn, und einzig und allein hierzu ist sie notwendig"
Daher bestand das politische Vorhaben der Allianz darin, nicht nur die Internationale, sondern auch die Organisationen der herrschenden Klasse zu infiltrieren und zu übernehmen.
So teilt uns § 14 des revolutionären Katechismus Bakunins mit: ''Ein Revolutionär muß sich überall Eingang verschaffen, in der höheren Gesellschaft wie beim Mittelstand, im Kaufmannsladen, in der Kirche, im aristokratischen Palast, in der bürokratischen, militärischen und literarischen Welt, in der dritten Sektion (geheime Polizei) und selbst im kaiserlichen Palast.'' (ebenda, S. 429)
Die Geheimstatuten der Allianz erklären:
''Alle internationalen Brüder kennen einander. Kein politisches Geheimnis darf je unter ihnen existieren. Niemand kann irgendeiner geheimen Gesellschaft angehören ohne positive Zustimmung seines Komitees oder im Notfall, wenn dieses es verlangt, ohne die des Zentralkomitees; und er kann ihr nur unter der Bedingung angehören, daß er diesen Komitees alle Geheimnisse aufdeckt, welche sie direkt oder indirekt interessieren könnten."
Der Bericht der Kommission des Haager Kongresses kommentiert diese Passage wie folgt:
''Die Pietris und Stiebers verwenden nur untergeordnete und verlorene Leute als Spione, die Allianz aber, indem sie ihre falschen Brüder in die Geheimgesellschaften schickt, um deren Geheimnisse zu verraten, überträgt die Rolle des Spions denselben Männern, welche nach ihrem Plan die Leitung der 'allgemeinen Revolution' übernehmen sollen.''
(ebenda, S.338) (MEW Bd. 18, Ein Komplott gegen die IAA, S.456)(ebenda, S. 402). Solch eine Vision war nicht neu, sondern wurde bereits seit den Zeiten der Französischen Revolution innerhalb der ''Illuminaten'', einer Verzweigung der Freimaurerei, kultiviert, die sich später darauf spezialisierten, die Arbeiterbewegung zu infiltrieren. Bakunin teilte dieselbe abenteuerliche Idee einer politischen und vor allem total anarchischen persönlichen ''Befreiung'' durch eine machiavellistische Politik der Infiltration, in der die verschiedenen Gesellschaftsklassen gegeneinander ausgespielt werden.In ihrer gesamten Geschichte ist die Arbeiterbewegung von kleinbürgerlichen Reformisten und Opportunisten und manchmal von schamlosen Karrieristen heimgesucht worden, die nicht an die Bedeutung und Zukunft der Arbeiterbewegung glaubten und sich nicht um sie scherten. Im Gegensatz dazu ist der politische Abenteurer überzeugt davon, daß die Arbeiterbewegung von historischer Bedeutung ist. In diesem Punkt stimmt der Abenteurer mit dem Marxisten überein. Genau aus diesem Grund treten die Abenteurer der Arbeiterbewegung bei. Ein Abenteurer wird weder von der grauen Langeweile des Reformismus noch von der Mittelmäßigkeit eines guten Jobs angezogen. Im Gegenteil, er ist entschlossen, eine historische Rolle zu spielen. Diese große Ambition unterscheidet den Abenteurer vom kleinbürgerlichen Karrieristen und Opportunisten.
Während Revolutionäre in die Arbeiterbewegung eintreten, um ihr zu helfen, ihre historische Mission zu erfüllen, tritt der Abenteurer ihr bei, um die Arbeiterbewegung dazu zu bringen, seiner eigenen ''historischen'' Mission zu dienen. Dies ist es, was den Abenteurer deutlich vom proletarischen Revolutionär unterscheidet. Der Abenteurer ist nicht revolutionärer als der Karrierist oder der kleinbürgerliche Reformer. Der Unterschied besteht nur darin, daß der Abenteurer einen Blick für die historische Bedeutung der Arbeiterbewegung hat. Er verhält sich jedoch ihr gegenüber auf eine völlig parasitäre Weise.
Der Abenteurer ist im allgemeinen ein Deklassierter. Es gibt viele solche Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft, Menschen, die mit großen Zielen und einer immensen Portion Überschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten ausgestattet sind, aber völlig unfähig sind, ihre hochfliegenden Ambitionen innerhalb der herrschenden Klasse zu verwirklichen. Voller Bitterkeit und Zynismus gleiten solche Menschen häufig ins Lumpenproletariat ab, indem sie die Existenz von Bohemiens oder Kriminellen fristen. Andere geben für den Staat eine ideale Arbeitskraft als Informanten und Agents provocateurs ab. Aber in dieser Masse gibt es ein paar Ausnahmen, Individuen mit der politischen Gabe zu erkennen, daß die Arbeiterbewegung ihnen eine zweite Chance gibt. Sie können sie als Sprungbrett zu Ruhm und Ehren benutzen, um so an der herrschenden Klasse Rache zu nehmen, die in Wahrheit das Objekt ihrer Bemühungen und Ambitionen ist. Solche Menschen sind voller Groll wegen des Versagens der Gesellschaft insgesamt, ihr angebliches Genie zu erkennen. Gleichzeitig sind sie nicht vom Marxismus oder von der Arbeiterbewegung fasziniert, sondern von der Macht der herrschenden Klasse und ihren Manipulationsmethoden.
Das Verhalten des Abenteurers ist bestimmt durch die Tatsache, daß er nicht das Ziel der Bewegung, der er beigetreten ist, teilt. Sein wirkliches, persönliches Vorhaben muß er folglich vor der Bewegung verbergen. Nur seinen engsten Jüngern ist es vergönnt, eine Ahnung von seinem wirklichen Verhalten gegenüber der Bewegung zu haben.
Wie wir im Falle Bakunins gesehen haben, gibt es eine den politischen Abenteurern innewohnende Tendenz, insgeheim mit der herrschenden Klasse zu kollaborieren. Tatsächlich gehören solche Kollaborationen zum eigentlichen Wesen des Abenteurertums. Wie sonst sollte der Abenteurer seine ''historische Rolle'' erlangen können? Wie sonst könnte er sich selbst gegenüber der Klasse beweisen, von der er sich abgelehnt oder ignoriert fühlt? In der Tat kann nur die Bourgeoisie die Bewunderung und Aufmerksamkeit schenken, nach der der Abenteurer dürstet und die die Arbeiter ihm nicht zu geben gedenken.
Einige der bekanntesten Abenteurer in der Arbeiterbewegung, wie Malinowski, waren auch Polizeiagenten. Aber im allgemeinen arbeiteten Abenteurer nicht direkt für den Staat, sondern für sich selbst. Als die Bolschewiki die Akten der politischen Polizei Rußlands, der Okrana, öffneten, fanden sie Beweise dafür, daß Malinowski ein Polizeiagent war. Hinsichtlich Bakunin wurden jedoch keine solchen Beweise gefunden. Marx und Engels beschuldigten weder Bakunin noch Lassalle, bezahlte Agenten zu sein. Und bis heute gibt es keinen Beweis dafür, daß sie es waren.
Aber wie schon Marx und Engels aufzeigten: Die Gefahr, die vom politischen Abenteurer für proletarische Organisationen ausgeht, ist nicht geringer, sondern größer als die eines gemeinen Polizeispitzels. So wurden innerhalb der Internationalen entlarvte Agenten ohne irgendwelche Störungen für die Arbeit schnell ausgeschlossen und denunziert, während die Enthüllung der Aktivitäten Bakunins einige Jahre kostete und die eigentliche Existenz der Organisation bedrohte. Es ist für Kommunisten nicht schwer zu begreifen, daß ein Polizeiinformant ihr Feind ist. Der Abenteurer dagegen wird, falls er auf eigene Rechnung gearbeitet hat, stets vom kleinbürgerlichen Sentimentalismus verteidigt werden, wie im traurigen Fall Mehrings.
Die Geschichte zeigt, wie gefährlich solche Sentimentalitäten sind. Während solche Leute wie Bakunin, Lassalle, oder die ''Nationalbolschewisten'' um Laufenberg und Wolfheim Ende des I. Weltkrieges in Hamburg geheime Abmachungen mit der herrschenden Klasse gegen die Arbeiterbewegung trafen, traten viele andere ''große'' Abenteurer wie Parvus, Mussolini, Pilsudski, Stalin und andere zur Bourgeoisie über.
Lange vor der Gründung der ersten Internationalen hatte die marxistische Bewegung eine umfangreiche Analyse des Abenteurertums als Phänomen der herrschenden Klasse entwickelt. Diese Analyse wurden vor allem in Bezug auf Louis Bonaparte, dem ''Kaiser'' Frankreichs in den 1850/60er Jahren, angefertigt. In der Auseinandersetzung mit Bakunin entwickelte der Marxismus alle wesentlichen Elemente solch eines Phänomens innerhalb der Arbeiterbewegung, ohne jedoch diese Terminologie zu verwenden. In der deutschen Arbeiterbewegung wurde das Konzept des Abenteurertums im Kampf gegen den lassalleanischen Führer Schweitzer entwickelt, der in Zusammenarbeit mit Bismarck daran arbeitete, die Spaltung innerhalb der Arbeiterpartei aufrechtzuerhalten. In den 1880er Jahren denunzierten Engels und andere Marxisten das politische Abenteurertum der Führung der sozialdemokratischen Föderation in Großbritannien und verglichen ihr Verhalten mit dem der Bakunisten. In jener Zeit eignete sich die Arbeiterbewegung insgesamt dieses Konzept an trotz der Existenz eines opportunistischen Widerstandes. In der trotzkistischen Bewegung vor dem II. Weltkrieg blieb es noch immer ein wichtiges Werkzeug zur Verteidigung der Organisation, indem es richtigerweise im Falle Moliniers und anderer angewandt wurde.
Heute, in der Phase des Zerfalls des Kapitalismus, unter der unaufhörlichen Beschleunigung des Prozesses der Deklassierung und Verlumpung sowie angesichts der Offensive der Bourgeoisie gegen das revolutionäre Milieu, besonders mittels des Parasitismus, ist es eine Frage von Tod oder Leben, die marxistische Auffassung vom Abenteurertum wiederherzustellen, zu vertreten und den Kampf gegen es zu erneuern. Kr.
Wir haben in den drei vorausgegangenen Artikeln aufgezeigt, dass die deutsche Arbeiterklasse das Kapital durch ihre Kämpfe zwang, den I. Weltkrieg zu beenden. Das Kapital unternahm alles, um eine weitere Ausdehnung der revolutionären Kämpfe zu verhindern, die deutsche Arbeiterklasse von der russischen zu isolieren und eine weitere Radikalisierung der Kämpfe zu sabotieren. Wir wollen in diesem Artikel rekapitulieren, wie sich die Revolutionäre in Deutschland in ihrer Reaktion auf den Verrat durch die Sozialdemokratie zur Frage des Aufbaus einer politischen Organisation verhielten.
Die Auslösung des I. Weltkrieges war nur möglich, weil sich ein Großteil der Parteien der II. Internationale den Interessen des nationalen Kapitals unterworfen hatte. Neben den Gewerkschaften, die, ohne zu zögern, einen Burgfrieden mit dem Kapital schlossen, war vor allem die Zustimmung der SPD-Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten die Voraussetzung dafür, dass die deutsche Bourgeoisie den Krieg anzetteln konnte. Die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD-Fraktion war keine Überraschung, sondern lediglich der krönende Abschluss eines Prozesses der opportunistischen Versumpfung der SPD. Schon in der Vorkriegszeit hatte der linke Flügel der SPD aufs Heftigste gegen diese Versumpfung angekämpft. Vom ersten Kriegstag an sammelten sich die Internationalisten unter dem Banner einer Gruppe, die sich kurze Zeit darauf „Spartakisten“ nannte. Sie bezeichneten es als ihre vorrangige Pflicht, den Internationalismus der Arbeiterklasse gegen den Verrat durch die SPD-Führung zu verteidigen. Und das hieß nicht nur, ihre Stellung gegen den Krieg zu propagieren, sondern auch und vor allem die Organisation der deutschen Arbeiterklasse, die SPD, gegen den Verrat ihrer Führung zu verteidigen. Nach dem Verrat der Parteiführung herrschte unter den Internationalisten Einstimmigkeit darüber, die Partei nicht kampflos den Verrätern zu überlassen. Alle arbeiteten darauf hin, die Partei zurückzuerobern. Niemand wollte freiwillig austreten, sondern konsequent die Fraktionsarbeit innerhalb der Partei fortsetzen, mit dem Ziel, die sozialpatriotische Parteiführung hinauszuwerfen.
Hochburg der Verräter waren die Gewerkschaften, die unwiderruflich in den Staat integriert worden waren. Hier gab es nichts wiederzuerobern. Die SPD dagegen war zwar ein Hort des Verrates, aber eben auch ein Ort des Widerstandes. Die Reichstagsfraktion selbst war von dieser Spaltung in Verräter und Internationalisten deutlich geprägt. Im Reichstag war bald deutlich eine Stimme gegen den Krieg zu hören, wenn auch nach einigem Zögern und unter großen Schwierigkeiten. Doch es war vor allem die Parteibasis, die den größten Widerstand gegen den Verrat entfaltete.
„Wir klagen die Reichstagsfraktion an, die bisherigen Parteigrundsätze und damit zugleich den Gedanken des Klassenkampfes verraten zu haben. Die Fraktion hat sich dadurch selbst außerhalb der Partei gestellt;; sie hat aufgehört, als die berechtigte Vertreterin der deutschen Sozialdemokratie betrachtet zu werden (...)!“ (Flugblatt der Opposition, ziziert nach R. Müller, „Vom Kaiserreich zur Republik“)
Konsens war, dass man den Verrätern nicht freiwillig die Organisation überlassen wollte. „Das bedeutet nicht, dass die sofortige Abspaltung von den Opportunisten in allen Ländern wünschenswert oder auch nur möglich wäre; das bedeutet, dass die Spaltung historisch herangereift, dass sie unvermeidlich geworden ist und einen Fortschritt darstellt, eine Notwendigkeit für den revolutionären Kampf des Proletariats, dass die geschichtliche Wendung vom ‚friedlichen‘ Kapitalismus zum Imperialismus zu einer solchen Spaltung treibt.“ (Lenin, „Der Opportunismus und der Zusammenbruch der Zweiten Internationale“)
Wir haben in einem früheren Artikel darauf hingewiesen, dass die Spartakisten und die Linksradikalen Bremens und anderer Städte beabsichtigten, ein Kräfteverhältnis zu entwickeln, das den sozialpatriotischen SPD-Vorstand in die Minderheit drängen würde. Doch wie sollte der organisatorische Bruch mit den Verrätern vollzogen werden? Es war klar, dass nicht beide, Internationalisten und Sozialpatrioten, auf Dauer in der gleichen Partei verbleiben konnten. Einer von beiden musste gehen. Tatsache war, dass der Vorstand durch den Widerstand der Spartakisten immer mehr in Bedrängnis geriet und die Partei immer unwilliger den Verrätern folgte. Dadurch waren die Sozialpatrioten im Vorstand gezwungen, die Flucht nach vorn anzutreten und gegen die Internationalisten in der Partei offensiv vorzugehen. Wie sollte man auf diese Offensive reagieren? Beim ersten Gegenangriff des Vorstandes die Tür zuschlagen, das Weite suchen und eine neue Organisation außerhalb der SPD aufbauen?
Nachdem die Sozialpatrioten begonnen hatten, die revolutionären Linken aus der SPD hinauszudrängen, zunächst aus der Parlamentsfraktion, dann aus der Partei selbst (so wurde Liebknecht bereits im Januar 1916 ausgeschlossen und im Frühjahr 1916 auch die Abgeordneten, die gegen die Kriegskredite gestimmt hatten, aus der Fraktion geworfen), stand die Frage im Raum: Bis zu welchem Punkt sollte um die alte Organisation gekämpft werden?
Hier schieden sich die Geister innerhalb der Linken. Die Haltung Rosa Luxemburgs war eindeutig:
„Aus kleinen Sekten und Konventikeln kann man ‚austreten‘, wenn sie einem nicht mehr passen, um neue Sekten und Konventikel zu gründen. Es ist nichts als unreife Phantasie, die gesamte Masse der Proletarier aus diesem schwersten und gefährlichsten Joch der Bourgeoisie durch einfachen ‚Austritt‘ befreien zu wollen und ihr auf diesem Wege mit tapferem Beispiel voranzugehen. Das Hinwerfen des Mitgliedsbuchs als Befreiungsillusion ist nur die auf den Kopf gestellte Verhimmelung des Parteibuchs als Machtillusion, beides nur die verschiedenen Pole des Organisationskretinismus (...) Der Zerfall der deutschen Sozialdemokratie ist ein geschichtlicher Prozess größter Dimensionen, eine Generalauseinandersetzung zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie, und von diesem Schlachtfeld drückt man sich nicht vor Ekel auf die Seite (...) Diesen Riesenkampf gilt es auszufechten bis zum Äußersten. An der tödlichen Schlinge der offiziellen deutschen Sozialdemokratie und der offiziellen freien Gewerkschaften, die die herrschende Klasse um den Hals der verirrten und verratenen Massen gelegt hat, gilt es zu zerren mit vereinten Kräften, bis sie zerreißt (...) Die Liquidierung des ‚Haufens organisierter Verwesung‘, der sich heute deutsche Sozialdemokratie nennt, ist nicht als Privatangelegenheit in den Entschluss einzelner oder vereinzelter Gruppen gegeben (...) sie muss als große öffentliche Machtfrage unter Aufbietung aller Kräfte ausgefochten werden“ (Der Kampf, Duisburg, 6. Januar 1917).
„Nicht Spaltung oder Einheit, nicht neue Partei oder alte Partei heißt die Parole, sondern Zurückeroberung der Parteien von unten durch Rebellion der Massen, die die Organisationen und ihre Mittel in eigene Hände nehmen müssen, nicht durch Worte, sondern durch Taten der Rebellion (...) Der Entscheidungskampf um die Partei hat begonnen.“ (Spartakusbriefe, 30. Juni 1914)
Während Rosa Luxemburg auf einem möglichst langen Verbleiben in der SPD beharrte und am stärksten von der Notwendigkeit einer Fraktionsarbeit innerhalb der SPD überzeugt war, bestanden die Bremer Linken schon früh auf die Notwendigkeit einer eigenständigen Organisation. Allerdings war dieser Streitpunkt noch Anfang 1917 überhaupt nicht aktuell. Selbst Karl Radek, ein prominenter Vertreter der Bremer Linken, sagte:
„Die Propaganda der Spaltung bedeutet keinesfalls, dass wir jetzt aus der Partei austreten sollen. Umgekehrt: unsere Bemühungen müssen darauf gerichtet sein, alle möglichen Organisationen und Organe der Partei in die Hände zu bekommen. Sie wurden in einem halben Jahrhundert des Kampfes für den Kampf geschaffen und gehören uns auf Grund des historischen Rechts. Wir haben alles zu tun, um die Sozialimperialisten zu nötigen, für ihre neuen bürgerlichen Zwecke sich neue Organisationen zu schaffen. Unseres Pflicht ist es, solange wie möglich auf den Posten auszuharren, denn je länger das geschieht, desto größer wird der Teil der Arbeiter sein, der mit uns geht, falls die Sozialimperialisten, die natürlich unsere Taktik ausgezeichnet verstehen, auch wenn wir sie hier verschweigen würden, uns ausschlössen (...) Ein Gebot der Stunde ist es, dass sich auf dem Boden der Opposition stehende lokale Parteiorganisationen zusammenschließen und eine provisorische Leitung der entschiedenen Opposition einsetzen.“ (Karl Radek, Ende 1916)
Es ist daher falsch zu behaupten, die Bremer Linken hätten im August 1914 sofort die organisatorische Trennung angestrebt. Erst Ende 1916, als das Kräfteverhältnis in der SPD zu kippen begann, traten sie dafür ein. Auch die Dresdner und Hamburger Linken plädierten ab 1916 für Eigenständigkeit, obwohl sie selbst keine festen Organisationsvorstellungen hatten.
Die Bilanz der ersten beiden Kriegsjahre zeigte, dass die Revolutionäre sich keinen Maulkorb haben anlegen lassen und keine der oppositionellen Gruppen ihre Selbständigkeit aufgegeben hat. Hätten sie bereits im August 1914 die SPD den Verrätern überlassen, so hätte dies bedeutet, die eigenen Prinzipien über Bord zu werfen. Noch wirkte der Schock in den Reihen der SPD über den Verrat der Parteiführung im August 1914, noch steckte der Stachel des Nationalismus zu tief in der Arbeiterklasse, als dass es realistisch gewesen wäre, eine neue Partei zu gründen. Und auch 1915, als der Druck der Arbeiter langsam zunahm und sich immer mehr Widerstand regte, bestand kein Anlass für den Aufbau einer neuen eigenständigen Organisation außerhalb der SPD. Solange noch kein günstiges Kräfteverhältnis herrschte, solange noch nicht genügend Kampfbereitschaft in den Reihen der Arbeiter bestand und sich die Revolutionäre in solch einer kleinen Minderheit befanden – kurz: solange die Bedingungen für die Gründung einer eigenen Partei noch nicht vorhanden waren, war die Arbeit als Fraktion innerhalb der SPD notwendig.
Im September 1916 berief der Parteivorstand eine Reichskonferenz der SPD ein. Obwohl er den Delegiertenschlüssel manipuliert hatte, bekam der Vorstand die Opposition nicht in den Griff. Diese beschloss, ihre Mitgliedsbeiträge an den Vorstand zu sperren. Darauf reagierte der Vorstand mit dem Parteiausschluss der Zahlungsverweigerer, wobei die Bremer Linken zu den Ersten gehörten.
Angesichts einer sich rasant zuspitzenden Situation, in der die Ablehnung gegen den Parteivorstand immer größer wurde und die Arbeiter immer häufiger Widerstand gegen den Krieg leisteten, teilten die Spartakisten nicht die Politik des „scheibchenweisen“ Austretens aus der SPD, wie sie von einem Teil der Bremer Genossen mit ihrer Taktik der Beitragssperre praktiziert wurde. „Eine solche Spaltung aber würde unter den gegebenen Umständen nicht etwa den Hinauswurf der Mehrheitspolitiker und der Scheidemänner aus der Partei bedeuten, was wir anstreben, sondern muss notwendig zur Absplitterung von kleinen Kränzchen der besten Genossen der Partei führen und die Genossen zur vollständigen Ohnmacht verurteilen. Diese Taktik halten wir für schädlich, ja für verhängnisvoll.“ (Leo Jogiches, 30. September 1916) Die Spartakisten traten für ein einheitliches, nicht getrenntes Vorgehen gegen die Sozialpatrioten ein. Gleichzeitig betonten sie die Bedingungen für das weitere Verbleiben in der SPD:
„Die Zugehörigkeit zur gegenwärtigen SPD darf von der Opposition nur solange aufrechterhalten werden, als diese ihre selbständige politische Aktion nicht hemmt noch beeinträchtigt. Die Opposition verbleibt in der Partei, nur um die Politik der Mehrheit auf Schritt und Tritt zu bekämpfen und zu durchkreuzen, die Massen von der unter dem Deckmantel der Sozialdemokratie betriebenen imperialistischen Politik zu schützen und die Partei als Rekrutierungsfeld für den proletarischen antiimperialistischen Klassenkampf zu benutzen.“
E. Meyer erklärte: „Wir bleiben in der Partei nur so lange, als wir den Klassenkampf gegen den Parteivorstand führen können. In dem Augenblick, wo wir darin gehemmt werden, wollen wir in der Partei nicht bleiben. Umgekehrt treten wir auch nicht für eine Spaltung ein.“ (Wohlgemut, S. 167)
Der Spartakusgruppe wollte innerhalb der SPD ein Sammelbecken der gesamten Opposition bilden. Dies war die von der Zimmerwalder Konferenz vorgegebene Marschrichtung gewesen. Wie Lenin richtig einschätze, „fehlt der deutschen Opposition noch sehr an festem Boden. Sie ist noch zersplittert, zerfällt in selbständige Strömungen, denen vorerst ein gemeinsamer Boden fehlt, der notwendig ist zur Aktionsfähigkeit (...) Wir betrachten es nun als unsere Aufgabe, solange es geht, die zersplitterten Kräfte zu einem aktionsfähigen Organismus zusammenzuschweißen.“ (Wohlgemut, S. 118)
Solange die Spartakisten den Status einer unabhängigen Gruppe in der SPD einnahmen, verliehen sie sich keine getrennte Organisationsform. Den Organisationsprinzipien der Arbeiterbewegung zufolge war die spartakistische Fraktion eine politische Strömung innerhalb der SPD, die gegen den Niedergang, gegen den Verrat der Partei ankämpfte. Solange sie nicht aus der Partei ausgeschlossen wurde, nahm die Fraktion keine separate Existenz an.
Die anderen Gruppierungen der Linken, allen voran der Flügel um Borchardt (Lichtstrahlen) und die Hamburger Linken, sprachen sich zu dieser Zeit bereits eindeutig für den Aufbau einer eigenständigen Organisation außerhalb der SPD aus.
Ein Teil dieser Gruppierungen, in erster Linie die Hamburger und Dresdner, ging sogar so weit, den Verrat der sozialpatriotischen Führung als Vorwand zu benutzen, um die Notwendigkeit der Partei an sich in Frage zu stellen. Aus Furcht vor einer weiteren Bürokratisierung fingen sie an, an der Notwendigkeit politischer Organisationen zu zweifeln. Anfangs drückte sich dies durch ein generelles Misstrauen gegenüber der Zentralisierung dieser Organisationen und durch das Beharren auf den Föderalismus aus. In dieser Phase äußerte sich dies aber durch die offene Flucht vor dem Kampf mit den Sozialpatrioten um die Partei. Es war die Geburtsstunde des späteren Rätekommunismus, der in den folgenden Jahren noch größeren Auftrieb erfahren sollte.
Das Prinzip der konsequenten Fraktionsarbeit, der Fortsetzung des Widerstands innerhalb der SPD, so wie es vor allem von den Spartakisten in Deutschland praktiziert wurde, sollte als Beispiel für die Genossen der Italienischen Linken dienen, die keine zehn Jahre später gegen die Degeneration der Komintern kämpften. Dagegen sollte dieses Prinzip, das von Rosa Luxemburg und den meisten Spartakisten verfochten wurde, später von jenen Genossen in der KPD vergessen werden, die, sobald die ersten Divergenzen auftauchten (und dabei handelte es nicht einmal um einen Verrat, wie ihn die Sozialpatrioten der SPD begangen hatten), die KPD Hals über Kopf verließen.
Die internationale Arbeiterbewegung teilte sich in den ersten beiden Kriegsjahren in drei Hauptströmungen auf. Lenin unterteilte in „Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution“, April 1917, diese drei Strömungen in:
· die Sozialchauvinisten, d.h. Sozialisten in Worten, Chauvinisten in der Tat; die für die „Verteidigung des Vaterlandes“ eintraten und ins Lager der Bourgeoisie übergelaufen waren;
· die Internationalisten (denen die „Zimmerwalder Linke“ am nächsten kommt), die für den rückhaltlosen Kampf gegen die imperialistische Regierung und für den völligen Bruch mit dem Sozialchauvinismus eintraten;
· eine dritte Strömung, die Lenin als sog. „Zentrum“ bezeichnete und die zwischen den Sozialchauvinisten und den Internationalisten hin und her lavierte.
Die Zentristen waren für den Frieden mit den Sozialpatrioten, für die „Einheit der Arbeiterklasse“ und gegen die Spaltung. Die Zentristen waren von der Revolution gegen die eigene Regierung nicht überzeugt, taten nichts für ihre propagandistische Verbreitung, scheuten den konsequenten revolutionären Kampf und erfanden die plattesten, aber „erzmarxistisch“ klingenden Ausflüchte. Die zentristische Strömung besaß keine programmatische Klarheit, sondern war inkonsequent und inkohärent, zu allen möglichen Konzessionen bereit. Sie mied jede programmatische Festlegung, suchte sich jeder neuen Lage anzupassen. Der Zentrismus war der Ort, an dem kleinbürgerliche und revolutionäre Einflüsse zusammenprallten. Diese Strömung befand sich auf der Zimmerwalder Konferenz im September 1915 in der Mehrheit.
Die zentristische Strömung selbst war aus einem rechten und einem linken Flügel zusammengesetzt. Der rechte Flügel lehnte sich stärker an die Sozialpatrioten an, während der linke Flügel sich gegenüber den Interventionen der Revolutionäre offener zeigte.
In Deutschland stand Kautsky an der Spitze dieser zentristischen Strömung, die sich im März 1916 unter dem Namen „Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft“ (SAG) zusammengeschlossen hatte und vor allem in der Reichstagsfraktion einen starken Einfluss ausübte. So waren Haase und Ledebour führende zentristische Reichstagsabgeordnete. Es gab also nicht nur Verräter auf der einen und Revolutionäre auf der anderen Seite, sondern eine zwischen beiden befindliche zentristische Strömung, die lange Zeit die Mehrheit der Arbeiter hinter sich wusste.
„Wer den realen Boden der Anerkennung der Existenz dieser drei Strömungen, ihrer Analyse und des konsequenten Kampfes für die wirkliche internationalistische Strömung verlässt, der verurteilt sich selbst zur Ohnmacht, zur Hilflosigkeit und zu Fehlern.“ (Lenin, Die Aufgaben des Proletariats in unserer Revolution, Ges. Werke Bd. 24, S. 60)
Während die Sozialpatrioten die Arbeiterklasse mit dem Nationalismus zu vergiften trachteten und die Spartakisten erbittert dagegenhielten, schwankten die Zentristen zwischen beiden Polen hin und her. Wie sollten sich die Spartakisten ihnen gegenüber verhalten?
Der Flügel um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht betonte, dass „man politisch auf die Zentristen einknüppeln muss“, dass sie das Objekt der revolutionären Intervention sein müssen. Als im Winter 1916 eine Konferenz der Kriegsgegner einberufen werden sollte, schrieb Rosa Luxemburg:
„Unsere Taktik auf dieser Konferenz müsste dahin gehen, nicht etwa die ganze Opposition unter einen Hut zu bringen, sondern umgekehrt aus diesem Brei den kleinen, festen und aktionsfähigen Kern herauszuschälen, den wir um unsere Plattform gruppieren können. Mit organisatorischer Zusammenfasung hingegen ist große Vorsicht geboten. Denn alle Zusammenschlüsse der ‚Linken‘ führen nach meiner bitteren langjährigen Parteierfahrung nur dazu, den paar aktionsfähigen Leuten die Hände zu binden.“
Ein organisatorischer Zusammenschluss mit den Zentristen innerhalb der SPD war für Rosa Luxemburg ausgeschlossen. „Genossen, Genossinnen! Lasst euch nicht durch die alte Phrase von der Einigkeit, die die Kraft bilde, einfangen. Jawohl, Einigkeit macht stark, aber Einigkeit der festen, inneren Überzeugung, nicht äußere mechanische Zusammenkoppelung von Elementen, die innerlich auseinanderstreben. Nicht in der Zahl liegt ihre Kraft, sondern in dem Geiste, in der Klarheit, in der Tatkraft, die uns beseelt.“ (R. Luxemburg, Ges. Werke, Bd. 4, S. 179, Frühjahr 1916)
Auch Karl Liebknecht hatte im Februar 1916 festgestellt: „Nicht Einheit, sondern Klarheit über alles. Durch unerbittliche Aufdeckung und Austragung der Differenzen zur prinzipiellen und taktischen Einmütigkeit und damit zur Aktionsfähigkeit und damit zur Einheit, so geht der Weg. Nicht den Beginn des Gärungsprozesses (...), erst seinen Abschluss darf die ‚Einheit‘ bilden.“ (Spartakusbriefe, S. 112)
Eckpfeiler in der Vorgehensweise Rosa Luxemburgs und der anderen Spartakisten war das Festhalten an der Notwendigkeit programmatischer Klarheit. Ihr Bestehen auf ein programmatisch solides und politisch klares Vorgehen auch um den Preis, dabei eine kleine Minderheit zu bleiben, war kein Sektierertum, sondern die Fortsetzung der alten marxistischen Methode. Mit dieser programmatischen Stringenz und Strenge stand Rosa Luxemburg gewiss nicht allein auf weiter Flur; die gleiche Methode wandten später auch Genossen der Italienischen Linken an, als sie bei der Analyse der Bilanz der Russischen Revolution und auch in den 30er Jahren vor der Neigung warnten, programmatische und politische Zugeständnisse zu machen, um an numerischer Stärke dazuzugewinnen. Möglicherweise ahnte Rosa Luxemburg bereits in den Kriegsjahren die Folgen der neuen Periode, der kapitalistischen Dekadenz. Denn in der Niedergangsphase des Kapitalismus ist die Voraussetzung für die Existenz proletarischer Massenparteien verschwunden. An ihre Stelle treten zahlenmäßig kleine, dafür programmatisch solide Parteien. Diese programmatische Fixierung war daher ein zuverlässiger Kompass für die Haltung der Revolutionäre gegenüber dem Zentrismus, der per Definition unschlüssig hin und her schwankt und dabei jede politische und programmatische Klärung scheut.
Als sich im März 1916 die Zentristen nach ihrem Rauswurf aus der SPD anschickten, eine eigene Organisation zu gründen, erkannten die Spartakisten es als notwendig an, sich einzumischen. Sie übernahmen ihre Verantwortung als Revolutionäre gegenüber der Klasse.
Vor dem Hintergrund der sich anbahnenden revolutionären Entwicklung in Russland und der wachsenden Radikalisierung auch der deutschen Arbeiter ging es darum, die besten Elemente, die noch unter zentristischem Einfluss standen, vorwärts zu einer weiteren Klärung zu treiben. Denn die zentristischen Strömungen wie die SAG und eine Vielzahl jener Parteien, die im März 1919 die Kommunistische Internationale gründeten, waren alles andere als homogen; sie waren bar jeder Kohärenz und Stabilität. Da die zentristische Bewegung ein Ausdruck der Unreife des Klassenkampfes war, neigte sie bei zunehmendem Klassenkampf zu einer Klärung offener Fragen und machte sich damit selbst den Garaus, indem sie auseinanderbrach und verschwand. Dazu war neben der Dynamik des Klassenkampfes auch ein programmatisch-organisatorischer Bezugspunkt erforderlich, der in der Lage war, einen Pol der Klarheit gegenüber den Zentristen darzustellen. Ohne die Existenz und Intervention einer revolutionären Organisation, die jene offenen, aufnahmefähigen Elemente, die sich im Dickicht des Zentrismus verfangen haben, hinaushilft, ist eine Fortentwicklung dieser Elemente und ihre Loslösung vom Zentrismus nicht möglich.
Lenin fasste diese Aufgabe folgendermaßen zusammen: „Der größte Mangel des gesamten revolutionären Marxismus in Deutschland ist das Fehlen einer festgefügten illegalen Organisation, die systematisch ihre Linie verfolgt und die Massen im Geiste der neuen Aufgaben erzieht: eine solche Organisation müsste sowohl dem Opportunismus als auch dem Kautskyanertum gegenüber eine eindeutige Stellung einnehmen.“ (Ges. Werke Bd. 22, S. 312, Juli 1916)
Wie sollte nun die Arbeit als revolutionärer Bezugspunkt ausgeübt werden? Im Februar schlugen die Zentristen die Gründung einer gemeinsamen Organisation der Opposition am 6. bis 8. April 1917 mit dem Namen USPD vor. Unter den revolutionären Internationalisten kam es darüber zu tiefen Zerwürfnissen.
Die Bremer Linken lehnten eine Beteiligung der revolutionären Linken an dieser Organisation ab. Radek meinte: „Nur ein organisierter klarer Kern kann auf die radikalen Zentrumsarbeiter Einfluss ausüben. Bis jetzt, solange wir auf dem Boden der alten Partei wirkten, konnte man mit der losen Verbindung einzelner Linksradikaler auskommen. Jetzt (...) kann nur eine linksradikale Partei mit klarem Programm und eigenen Organen die zerstreuten Kräfte sammeln, zusammenhalten und vergrößern. (Wir können unsere Aufgabe nur erfüllen) durch die Organisation der Linksradikalen in einer eigenen Partei.“ (Unter eigenem Banner, S. 414)
Die Spartakisten waren nicht einmal untereinander einer Meinung. Auf einer Vorkonferenz der Spartakusgruppe sprach sich eine Vielzahl von Delegierten gegen die Beteiligung an der USPD aus. Aber offenbar konnte sich dieser Standpunkt nicht durchsetzen, denn am Ende beteiligten sich die Spartakisten an eben jener USPD.
„Wir wollen die besten Elemente herausholen und sie zu unserer Seite rüberziehen (...) Die A.G. beherbergt in sich nämlich (...) eine ganze Menge Arbeiterelemente, die geistig und politisch zu uns gehören und nur durch Mangel an Berührung mit uns oder aus Unkenntnis der tatsächlichen Beziehungen innerhalb der Opposition und anderen zufälligen Ursachen der A.G. folgen (...)“ (Leo Jogiches, 25. Dezember 1916)
„Es gilt ebenso, die neue Partei, die größere Massen in sich vereinigen wird, als Rekrutierungsfeld für unsere Ansichten, für die entschiedene Richtung in der Opposition auszunutzen; es gilt ferner, der A.G. den geistigen und politischen Einfluss auf die Massen innerhalb der Partei selbst streitig zu machen; es gilt schließlich, die Partei als ganzes durch rücksichtslose Kritik, durch unsere Tätigkeit in den Organisationen selbst wie auch durch unsere selbständigen Aktionen vorwärtszutreiben, eventuell auch ihrer schädlichen Einwirkung auf die Klasse entgegenzuwirken." (Spartakus im Kriege, S. 184)
Es gab viele Argumente für und gegen eine Beteiligung. Die Frage lautete: Ist es besser, außerhalb oder innerhalb der USPD zu wirken? Sicherlich gab es keine Frage darüber, dass die Spartakisten gegenüber der USPD intervenieren mussten, um ihre besten Elemente für sich zu gewinnen, doch konnte dies nicht die Frage beantworten, ob dies „von außen“ oder „von innen“ zu geschehen hat.
Diese Frage war nur deshalb so schwierig, weil die Spartakisten die USPD zu Recht als eine zentristische Bewegung ansahen, die der Arbeiterklasse angehörte und nicht eine Partei der Bourgeoisie war.
Selbst Radek und die Bremer Linksradikalen erkannten die Notwendigkeit einer Intervention gegenüber dieser Strömung: „Um die Unentschiedenen ringen, indem wir – ohne nach rechts und links zu schauen – unseren Weg gehen. Wir wollen versuchen, sie zu uns zu ziehen. Sollten sie aber (...) uns jetzt schon nicht folgen können, sollte ihre Orientierung später eintreten, als die Notwendigkeiten der Politik uns organisatorische Selbständigkeit zum Gebot machen werden, nun, dann ist dagegen nichts zu machen. Dann werden wir unseren Weg gehen müssen (...) (Die USPD war eine) Partei, die über kurz oder lang zwischen den Mühlsteinen der entschiedenen Rechten und Linken zerrieben werden würde.“ (Einheit oder Spaltung)
Welche Bedeutung die zentristische USPD besaß und wie groß ihr Einfluss in den Arbeitermassen war, können wir nur verstehen, wenn wir uns die damals wachsende Gärung in der Arbeiterklasse gewärtigen. Nach der Februarrevolution in Russland setzte im Frühjahr 1917 auch in Deutschland eine Streikwelle ein, zunächst in Norddeutschland und im März im Ruhrgebiet, im April dann in Berlin, wo Massenstreiks mit mehr als 300.000 Teilnehmern stattfanden. Im Sommer gab es eine Protest- und Streikbewegung in Halle, Braunschweig, Magdeburg, Kiel, Wuppertal, Hamburg, Nürnberg; im Juni fanden erste Meutereien in der Flotte statt, und schließlich im Januar 1918 eine weitere Streikwelle an. Nur brutale Repression vermochte diese Streiks zu beenden.
Die Frage des Verhältnisses zur USPD bewirkte schließlich eine vorübergehende Spaltung der Linken: auf der einen Seite die Bremer Linksradikalen und andere Teile der revolutionären Linken, die auf eine schnelle Parteigründung drängten, auf der anderen Seite die Spartakisten, die mehrheitlich als Fraktion der USPD beitraten.
Dv.
Die Juli-Tage von 1917 sind einer der wichtigsten Momente nicht nur in der Russischen Revolution, sondern in der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung. Im Verlauf von drei Tagen, vom 3. Juli bis zum 5. Juli, öffnete eine der mächtigsten Konfrontationen, die jemals zwischen Bourgeoisie und Proletariat stattgefunden hatten, den Weg zur Machtergreifung vier Monate später im Oktober 1917, auch wenn sie mit einer Niederlage für die Arbeiterklasse endete. Am 3. Juli erhoben sich die Arbeiter und Soldaten Petrograds massiv und spontan und riefen nach einer Übertragung aller Macht an die Arbeiterräte. Am 4. Juli belagerte eine bewaffnete Demonstration von einer halben Million Teilnehmern die Führung des Sowjets, um ihn dazu zu drängen, die Macht zu übernehmen, löste sich aber nach einem Appell der Bolschewiki am Abend wieder friedlich auf. Am 5.Juli nahmen konterrevolutionäre Truppen die russische Hauptstadt ein und begannen, die Bolschewiki zu verfolgen und die fortschrittlichsten Arbeiter zu unterdrücken. Aber durch die Vermeidung eines verfrühten Machtkampfes hielt das Proletariat seine revolutionären Kräfte intakt. Infolgedessen war die Arbeiterklasse imstande, alle Lehren aus diesen Ereignissen zu ziehen und vor allem den konterrevolutionären Charakter der bürgerlichen Demokratie und des neuen linken Flügels des Kapitals zu begreifen: der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre, die die Sache der Arbeiter und armen Bauern verrieten und zur Konterrevolution übergegangen waren. Zu keinem anderen Zeitpunkt in der Russischen Revolution war die Gefahr einer entscheidenden Niederlage des Proletariats so akut wie während jener dramatischen 72 Stunden. Zu keinem anderen Zeitpunkt erwies sich das tiefe Vertrauen der führenden Teile des Proletariats in seine Klassenpartei, seine kommunistische Avantgarde, als wichtiger.
80 Jahre später ist, angesichts der bürgerlichen Lügen über den „Tod des Kommunismus" und insbesondere ihrer Verunglimpfung der Russischen Revolution und der Bolschewiki, die Verteidigung der wahren Lehren der Juli-Tage und der gesamten proletarischen Revolution eine der Hauptpflichten der Revolutionäre. Folgt man den Lügen der Bourgeoisie, so war die Russische Revolution ein „Volks"kampf für die bürgerliche parlamentarische Republik gewesen, dem „freiesten Land in der Welt", bevor die Bolschewiki, indem sie das „demagogische" Schlagwort „Alle Macht den Räten" „erfanden", der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung durch einen „Putsch" ihre „barbarische Diktatur" aufzwangen. Doch wird selbst ein noch so kurzer objektiver Blick auf die Ereignisse vom Juli 1917 sonnenklar zeigen, daß die Bolschewiki sich auf der Seite der Arbeiterklasse befanden, daß es die bürgerliche Demokratie war, die sich auf der Seite der Barbarei, des Putschismus und der Diktatur einer dünnen Minderheit über die arbeitenden Menschen befand.
Die Juli-Tage von 1917 waren von Anbeginn eine Provokation der Bourgeoisie mit dem Ziel der Enthauptung des Proletariats durch die Niederschlagung der Revolution in Petrograd und die Eliminierung der bolschewistischen Partei, ehe der revolutionäre Prozeß in Rußland in seiner Gesamtheit reif für die Machtergreifung durch die Arbeiter war.
Die revolutionäre Erhebung vom Februar 1917, die zur Ersetzung des Zaren durch eine „bürgerlich-demokratische" Provisorische Regierung und zur Etablierung der Arbeiterräte (Sowjets) als rivalisierendes, proletarisches Machtzentrum führte, war zuallererst das Produkt des Kampfes der Arbeiter gegen den 1914 begonnenen imperialistischen Weltkrieg. Doch die Provisorische Regierung schwor sich genauso wie die Mehrheitsparteien in den Sowjets, die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre, gegen den Willen des Proletariats auf die Fortsetzung des Krieges und auf das imperialistische Raubprogramm des russischen Kapitalismus ein. Auf diese Weise wurde nicht nur in Rußland, sondern auch in allen anderen Ländern, aus denen sich die Entente - die Koalition gegen Deutschland - zusammensetzte, dem Krieg, dem größten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit, eine neue pseudorevolutionäre Legitimität verliehen. Zwischen Februar und Juli 1917 wurden etliche Millionen Soldaten, unter ihnen die Blüte der internationalen Arbeiterklasse, getötet oder verwundet, um eine Frage zu klären: Welcher der kapitalistischen und imperialistischen Hauptgangster soll die Welt beherrschen? Nachdem viele russische Arbeiter anfangs auf die Lügen der neuen Führer, aus dem Munde angeblicher „Demokraten" und „Sozialisten", hereinfielen, wonach es notwendig sei, den Krieg fortzusetzen, „um einen gerechten Frieden ohne Annexionen ein für allemal zu erreichen", nahm das Proletariat ab Juni 1917 den revolutionären Kampf gegen das imperialistische Gemetzel mit verdoppelten Kräften wieder auf. Während der gigantischen Demonstration am 18. Juni in Petrograd errangen die internationalistischen Parolen der Bolschewiki zum ersten Mal die Oberhand. Zu Beginn des Juli endete die größte und blutigste Militäroffensive Rußlands seit dem „Triumph der Demokratie" in einem Fiasko; die deutsche Armee durchbrach die Front an mehreren Stellen. Dies war der kritischste Moment für den russischen Militarismus seit Beginn des „Großen Krieges". Aber auch wenn die Neuigkeiten vom Scheitern der Offensive die Hauptstadt bereits erreicht und die revolutionäre Flamme angefacht hatten, so war der Rest des gigantischen Landes noch nicht von ihnen erfaßt. Aus dieser verzweifelten Situation heraus wurde die Idee geboren, eine vorzeitige Revolte in Petrograd zu provozieren, um die dortigen Arbeiter und Bolschewiki zu vernichten und dann den Zusammenbruch der militärischen Offensive einer „Dolchstoßlegende" zuzuschreiben, wonach die Hauptstadt der Front in den Rücken gefallen sein soll.
Die objektive Situation war für solch einen Plan nicht ungünstig. Obgleich die Hauptbereiche der Arbeiter in Petrograd bereits zu den Bolschewiki übergegangen waren, befanden sich die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre in den Sowjets der Provinzen immer noch in der Mehrheit. Es herrschten in der Arbeiterklasse insgesamt, selbst in Petrograd, immer noch große Illusionen über die Fähigkeit der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre, auf irgendeine Weise der Sache der Revolution zu dienen. Trotz der Radikalisierung der Soldaten, zumeist Bauern in Uniform, verhielt sich eine beträchtliche Anzahl von wichtigen Regimentern immer noch loyal zur Provisorischen Regierung. Die Kräfte der Konterrevolution waren, nach einer Phase der Desorientierung nach der „Februarrevolution", nun voll wiederhergestellt.. Und die Bourgeoisie hatte noch einen Trumpf in ihrem Ärmel: gefälschte Dokumente und Zeugenaussagen, die vorgaben, beweisen zu können, daß Lenin und die Bolschewiki bezahlte Agenten des deutschen Kaisers seien.
Dieser Plan stellte vor allem für die bolschewistische Partei eine Falle, ein Dilemma dar. Wenn sich die Partei an die Spitze eines zu frühen Aufstandes in der Hauptstadt stellte, würde sie sich selbst in den Augen des russischen Proletariats unglaubwürdig machen, indem sie als Repräsentantin einer unverantwortlichen, abenteuerlichen Politik und den rückständigen Bereichen sogar als Helfer des deutschen Imperialismus erschiene. Wenn sie jedoch die Massenbewegung verleugnete, würde sie sich auf gefährliche Weise von der Klasse isolieren, indem sie die Arbeiter ihrem Schicksal überließe. Die Bourgeoisie hoffte darauf, daß, wie auch die Partei entschied, es ihr zum Verhängnis werden würde.
Waren die antibolschewistischen Kräfte jene mutigen Demokraten und Verteidiger der „Völkerfreiheit", als die sie von der bürgerlichen Propaganda dargestellt wurden? Angeführt wurden sie von den Kadetten, der Partei der Großindustrie und der großen Gutsherren; vom Offizierskomitee, das 100’000 Kommandierende repräsentierte und einen Militärputsch vorbereitete; vom Sowjet der konterrevolutionären Truppen Kossacks; von der Geheimpolizei und vom Mob der antisemitischen „Schwarzhundertschaften". 'Diese Kreise zetteln Pogrome an, schießen auf Demonstranten usw.' wie Lenin schrieb.
Die Juli-Provokation war jedoch ein Schlag gegen die heranreifende Weltrevolution, der nicht nur von der russischen, sondern auch von der Weltbourgeoisie in Gestalt der Regierungen der russischen Kriegsverbündeten ausgeführt worden war. Wir erkennen in diesem heimtückischen Versuch, eine unreife Revolution früh im Blut zu ertränken, die Handschrift der alten demokratischen Bourgeoisie: die französische Bourgeoisie mit ihrer langen und blutigen Tradition solcher Provokationen (1791, 1848, 1870) und die britische Bourgeoisie mit ihrer unvergleichlichen politischen Erfahrung und Intelligenz. In der Tat waren die westlichen Verbündeten Rußlands angesichts der wachsenden Schwierigkeiten der russischen Bourgeoisie, die Revolution wirksam zu bekämpfen und die Kriegsanstrengungen aufrechtzuerhalten, bereits zur Hauptkraft nicht nur bei der Finanzierung der russischen Front, sondern auch bei der Beratung und Unterstützung der Konterrevolution geworden. Das provisorische Komitee der Staatsduma (des Parlamentes) „bot legale Deckung für konterrevolutionäre Arbeit, die von Banken und Gesandtschaften der Entente weitestgehend finanziert wurde", wie Trotzki erinnerte. „Petrograd wimmelte von geheimen und halbgeheimen Offiziersorganisationen, die hohe Gönnerschaft und freigiebige Unterstützung genossen. In einer Geheiminformation, die der Menschewik Liber fast einen Monat vor den Julitagen erteilte, war erwähnt, daß Verschwörer-Offiziere einen besonderen Eingang zu Buchanan hatten. Konnten denn die Ententediplomaten etwa nicht besorgt sein um die schnellste Schaffung einer starken Macht?". Es waren nicht die Bolschewiki, sondern die Bourgeoisie, die sich mit fremden Regierungen gegen das russische Proletariat verbündete.
Zu Beginn des Juli reichten drei von der Bourgeoisie arrangierte Zwischenfälle aus, um eine Revolte in der Hauptstadt auszulösen.
1. Die Partei der Kadetten zog ihre vier Minister aus der Provisorischen Regierung zurück. Da die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre bis dahin ihre Weigerung gegenüber „Alle Macht den Räten" mit der Notwendigkeit gerechtfertigt hatten, außerhalb der Arbeiterräte mit den Kadetten als Repräsentanten der „demokratischen Bourgeoisie" zusammenzuarbeiten, zog diese Brüskierung der Koalition nach sich, daß unter Arbeitern und Soldaten erneut die Forderung nach sofortiger Sowjetmacht laut wurde. „Anzunehmen, die Kadetten hätten jene Wirkung, die ihr Akt offener Sabotage gegen die Sowjets hervorrufen würde, nicht vorauszusehen vermocht, hieße Miljukow entschieden unterschätzen. Der Führer des Liberalismus war sichtlich bestrebt, die Versöhnler in eine zugespitzte Situation hineinzutreiben, aus der nur das Bajonett einen Ausweg schaffen könnte: in jenen Tagen glaubte er fest, ein kühner Aderlaß würde die Lage retten".
2. Die Demütigung der Provisorischen Regierung durch die Entente, die darauf abzielte, sie dazu zu zwingen, die Revolution mit Waffen zu konfrontieren oder von ihnen fallen gelassen zu werden.
„Hinter den Kulissen konzentrierten sich die Fäden in den Händen der Gesandtschaften und Regierungen der Entente. Zu der in London tagenden Interalliierten Konferenz hatten die westlichen Freunde 'vergessen', den russischen Gesandten einzuladen. (...) Die Verhöhnung des Gesandten der Provisorischen Regierung und der demonstrative Austritt der Kadetten aus dem Ministerium - beide Ereignisse geschahen am 2. Juli - verfolgten das gleiche Ziel: die Versöhnler niederzuducken."
Immer noch im Beitrittsprozeß zur Bourgeoisie begriffen, unerfahren in ihrer Rolle, voller Zweifel und kleinbürgerlicher Unschlüssigkeiten und immer noch mit einer kleinen proletarisch-internationalistischen Opposition in ihren Reihen, wurden die Parteien der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre nicht in das konterrevolutionäre Komplott eingeweiht, sondern in die Rolle manövriert, die ihnen die bürgerlichen Führer zugedacht hatten.
3. Die Drohung, kampfstarke revolutionäre Regimenter sofort von der Hauptstadt an die Front zu schicken. Tatsächlich wurde die Explosion des Klassenkampfes infolge dieser Provokationen nicht von den Arbeitern, sondern von den Soldaten initiiert, und politisch nicht von den Bolschewiki, sondern von den Anarchisten angestiftet.
„Die Soldaten waren überhaupt ungeduldiger als die Arbeiter: sowohl, weil ihnen unmittelbare Entsendung an die Front drohte, als auch, weil sie Erwägungen politischer Strategie viel schwerer zugänglich waren. Außerdem hatte jeder in der Hand seine Flinte, und nach dem Februar neigte der Soldat dazu, deren selbständige Macht zu überschätzen."
Die Soldaten versuchten sofort, die Arbeiter für ihre Aktion zu gewinnen. In den Putilow-Werken, der größten Arbeiterkonzentration Rußlands, gelang ihnen der entscheidender Durchbruch. „Etwa zehntausend Arbeiter versammelten sich vor dem Kontor. Unter Beifallsrufen berichteten die Maschinengewehrschützen, sie hätten den Befehl erhalten, am 4. Juli zur Front zu gehen, seien aber entschlossen, 'nicht an die deutsche Front zu fahren gegen das deutsche Proletariat, sondern gegen die eigenen Ministerkapitalisten'. Die Stimmung stieg. 'Gehen wir, gehen wir!' schrien die Arbeiter."
Innerhalb von Stunden erhob sich das Proletariat der ganzen Stadt, bewaffnete sich selbst und sammelte sich um den Schlachtruf „Alle Macht den Räten", den Schlachtruf der Massen.
Am Nachmittag des 3. Juli kamen Delegierte der Maschinengewehrregimenter an, um die Unterstützung der Stadtkonferenz der Bolschewiki zu erhalten, und mußten schockiert zur Kenntnis nehmen, daß die Partei sich gegen die Aktion aussprach. Die von der Partei geäußerten Argumente - daß die Bourgeoisie Petrograd provozieren wolle, um sie so für das Fiasko an der Front verantwortlich zu machen, daß der Zeitpunkt für einen bewaffneten Aufstand nicht reif sei und daß der beste Zeitpunkt für eine direkte Hauptaktion der sei, wenn der Zusammenbruch an der Front allen bekannt sei - zeigen, daß die Bolschewiki sofort die Bedeutung und Gefahr der Ereignisse begriffen haben. Tatsächlich hatten die Bolschewiki bereits seit der Demonstration vom 18. Juni öffentlich vor einer verfrühten Aktion gewarnt.
Bürgerliche Historiker haben die bemerkenswerte politische Intelligenz der Partei zu diesem Zeitpunkt anerkannt. In der Tat war die bolschewistische Partei von der Überzeugung durchdrungen, daß es unumgänglich ist, die Natur, Strategie und die Taktiken des Klassenfeindes zu studieren, um in der Lage zu sein, jederzeit richtig zu antworten und zu intervenieren. Sie war durchtränkt vom marxistischen Verständnis, daß die revolutionäre Machtergreifung eine Form der Kunst oder der Wissenschaft ist, wo eine Erhebung zum ungeeigneten Zeitpunkt oder das Versagen, die Macht im richtigen Moment zu ergreifen, gleichermaßen fatal sind.
Aber so korrekt die Analyse der Partei auch war, es dabei zu belassen hätte bedeutet, in die Falle der Bourgeoisie zu tappen. Der erste entscheidende Wendepunkt in den Juli-Tagen kam in derselben Nacht, als das Zentralkomitee und das Petrograder Parteikomitee entschieden, die Bewegung zu legitimieren und sich selbst an ihre Spitze zu stellen, um wenigstens ihren „friedlichen und organisierten Charakter" zu wahren. Im Gegensatz zu den spontanen und chaotischen Ereignissen in den Tagen zuvor, verrieten die gigantischen Demonstrationen am 4. Juli die „ordnende Hand der Partei". Die Bolschewiki wußten, daß das Ziel, das die Massen sich selbst gestellt hatten, nämlich die Führung der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre dazu zu zwingen, im Namen der Arbeiterräte die Macht zu übernehmen, unmöglich war. Die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre, die heute von der Bourgeoisie als die wirklichen Verteidiger der Sowjetdemokratie dargestellt werden, waren bereits dabei, sich in die Konterrevolution einzugliedern und warteten auf eine Gelegenheit, sich die Arbeiterräte vorzuknöpfen. Das Dilemma der Situation, das noch immer nicht ausreichende Bewußtsein der Massen des Proletariats, wurde in der berühmten Geschichte jenes aufgebrachten Arbeiters deutlich, der mit seiner Faust einem der „revolutionären" Minister einen Schlag ans Kinn versetzte und dabei brüllte: „Übernimm die Macht, Hurensohn, wenn wir sie dir geben." In Wahrheit spielten die Minister auf Zeit, bis loyal zur Regierung stehende Regimenter eintrafen.
Mittlerweile hatten die Arbeiter selbst die Schwierigkeiten realisiert, alle Macht den Sowjets zu übergeben, solange die Verräter und Kompromißler einen bestimmenden Einfluß in ihnen hatten. Weil die Klasse noch nicht die Methode gefunden hatte, um die Sowjets von innen umzuwandeln, versuchte sie vergeblich, ihnen ihren bewaffneten Willen von außen aufzuzwingen. Der zweite entscheidende Wendepunkt kam, am Ende eines Tages voller Massendemonstrationen, mit der Ansprache der bolschewistischen Sprecher an Zehntausende von Arbeitern der Putilow- und anderer Werke, die von Sinowjew mit einem Scherz zur Auflockerung der Spannung begann und die mit dem Appell, friedlich nach Hause zurückzukehren, endete - ein Appell, dem die Arbeiter folgten. Die Zeit der Revolution war noch nicht gekommen, aber sie würde kommen. Nie wurde die Wahrheit von Lenins altem Spruch dramatischer bewiesen: Geduld und Humor sind zwei unersetzliche Eigenschaften der Revolutionäre.
Die Fähigkeit der Bolschewiki, das Proletariat um die Falle der Bourgeoisie zu führen, wurde nicht nur durch ihre politische Intelligenz ermöglicht. Entscheidend war das tiefe Vertrauen der Partei in das Proletariat und in den Marxismus, was ihr erlaubte, sich vollkommen auf den Boden der Kraft und der Methode zu stellen, welche die Zukunft der Menschheit darstellen, und auf diese Weise die Ungeduld des Kleinbürgertums zu vermeiden. Ebenfalls entscheidend war das tiefe Vertrauen, das das russische Proletariat seiner Klassenpartei entgegenbrachte, was der Partei erlaubte, mit der Klasse zu bleiben und sie sogar zu führen, auch wenn beide Seiten wußten, daß sie weder ihre unmittelbaren Ziele noch ihre Illusionen teilte. Die Bourgeoisie scheiterte in ihrem Vorhaben, einen Keil zwischen Partei und Klasse zu treiben, einen Keil, der die sichere Niederlage der Russischen Revolution bedeutet hätte.
„Es war unbedingte Pflicht der proletarischen Partei, bei den Massen zu bleiben und sich zu bemühen, den berechtigten Aktionen dieser Massen einen möglichst friedlichen und organisierten Charakter zu verleihen, nicht abseits zu stehen, nicht wie Pilatus die Hände in Unschuld zu waschen aus dem pedantischen Grunde, daß die Masse nicht bis zum letzten Mann organisiert sei und daß in ihrer Bewegung Exzesse vorkämen!"
Früh am Morgen des 5. Juli erreichten Regierungstruppen die Hauptstadt. Das Werk der Treibjagd auf die Bolschewiki, des Entzuges ihrer geringen Publikationsquellen, der Entwaffnung und Terrorisierung der Arbeiter, der Anzettelung von Judenpogromen begann. Die Retter der Zivilisation vor der „bolschewistischen Barbarei" nahmen dabei hauptsächlich zu zwei Provokationen Zuflucht, um Truppen gegen die Arbeiter zu mobilisieren.
1. Die Lügenkampagane, wonach die Bolschewiki deutsche Agenten gewesen seien. „Die Soldaten saßen düster in den Kasernen, warteten. Erst in der zweiten Hälfte des 4. Juli entdeckten die Vorgesetzten ein stark wirkendes Mittel: man zeigte den Preobraschenskern Dokumente, die klar wie zwei mal zwei nachwiesen, daß Lenin - ein deutscher Spion sei. Das wirkte. Die Kunde lieft durch die Regimenter (...) In der Stimmung der neutralen Bataillone vollzog sich ein Umschwung." Insbesondere ein politischer Parasit namens Alexinski, ein abtrünniger Bolschewik, der einst mitgeholfen hatte, eine „ultralinke" Opposition gegen Lenin zu bilden, aber, nachdem er mit seinen Ambitionen gescheitert war, zu einem erklärten Feind der Arbeiterparteien geworden war, war ein Instrument in dieser Kampagne. Infolgedessen waren Lenin und andere bolschewistische Führer gezwungen, sich zu verstecken, während Trotzki und andere inhaftiert wurden. „Die Internationalisten hinter Schloß und Riegel halten - das ist es, was die Herren Kerenski und Co. brauchen", wie Lenin erklärte.
Die Bourgeoisie hat sich nicht verändert. 80 Jahre danach führt sie eine ähnliche Kampagne mit derselben „Logik" gegen die Linkskommunisten. Damals: da die Bolschewiki sich weigerten, die Entente zu unterstützen, mußten sie für die deutsche Seite sein! Heute: da sich die Linkskommunisten weigerten, das „antifaschistische" imperialistische Lager im II. Weltkrieg zu unterstützen, müssen sie und ihre heutigen Nachfolger für die Nazis sein! „Demokratische" staatliche Kampagnen bereiten die künftigen Pogrome vor.
Revolutionäre von heute, die oft die Bedeutung solcher Kampagnen gegen sie unterschätzen, haben noch viel aus dem Beispiel der Bolschewiki nach den Juli-Tagen zu lernen, die Himmel und Erde in Bewegung gesetzt hatten, um ihren Ruf innerhalb der Arbeiterklasse zu verteidigen. Später nannte Trotzki den Juli 1917 „den Monat der größten Verleumdungen in der Geschichte der Menschheit", aber selbst dies verblaßt gegenüber der gegenwärtigen Verleumdung, wonach Kommunismus gleich Stalinismus sei.
Die staatliche Ermutigung nicht-proletarischer und anti-proletarischer Elemente, die sich gern als Revolutionäre darstellen, ist ein anderer Weg, den Ruf der Revolutionäre anzugreifen, so alt wie die Methode der öffentlichen Verunglimpfung und normalerweise in Kombination mit ihr benutzt.
„Provokation hat zweifellos eine gewisse Rolle gespielt bei den Ereignissen an der Front, wie auch in den Straßen Petrograds. Nach der Februarumwälzung hatte die Regierung in die aktive Armee eine große Anzahl ehemaliger Gendarmen und Schutzleute geworfen. Keiner von ihnen wollte natürlich Krieg führen. Sie fürchteten die russischen Soldaten mehr als die Deutschen. Um ihre Vergangenheit vergessen zu machen, imitierten sie die radikalsten Stimmungen der Armee, hetzten Soldaten gegen Offiziere auf, schrien am lautesten gegen Disziplin und Offensive und gaben sich nicht selten direkt für Bolschewiki aus. Indem sie die natürlichen Verbindungen von Komplizen zueinander unterhielten, bildeten sie einen eigenartigen Orden der Feigheit und Niedertracht. Durch sie drangen in die Truppen und verbreiteten sich schnell die phantastischsten Gerüchte, in denen Ultrarevolutionarismus sich mit Schwarzhunderttum vermengte. In kritischen Stunden gaben diese Subjekte als erste Paniksignale. Auf die zersetzende Arbeit der Polizisten und Gendarmen verwies die Presse mehr als einmal. Nicht weniger häufig sind solcher Art Hinweise in den Geheimdokumenten der Armee selbst. Doch das höhere Kommando verharrte in Schweigen und zog es vor, die Schwarzhundert-Provokateure mit den Bolschewiki zu identifizieren."
2. Erst feuerten Heckenschützen auf die in der Hauptstadt ankommenden Truppen, dann wurde verbreitet, die Bolschewiki steckten hinter diesen Schießereien.
„Der berechnete Wahnwitz dieser Schießerei erregte die Arbeiter tief. Es war klar, daß erfahrene Provokateure die Soldaten mit Blei empfingen, zwecks antibolschewistischer Impfung. Die Arbeiter boten alles auf, dies den ankommenden Soldaten zu erklären, doch man ließ sie an diese nicht heran: zum erstenmal seit den Februartagen stellte sich zwischen Arbeiter und Soldat der Junker oder Offizier."
Dazu gezwungen, nach den Juli-Tagen in der Halb-Illegalität zu arbeiten, mußten die Bolschewiki auch gegen demokratische Illusionen jener in ihren Reihen kämpfen, die wünschten, daß ihre Führer sich dem Prozeß vor einem konterrevolutionären Gericht stellen, um auf die Beschuldigung zu antworten, sie seien deutsche Agenten. Als er diese andere Falle, die gegen die Partei aufgestellt war, erkannte, schrieb Lenin:
„ Tätig ist eine Militärdiktatur. Da ist es lächerlich, von einem 'Gericht' auch nur zu sprechen. Es handelt sich gar nicht um ein 'Gericht', sondern um eine Episode des Bürerkriegs."
Daß die Partei die Periode der Repression überlebte, die den Juli-Tagen folgte, lag nicht zuletzt an ihrer Tradition einer ständigen Wachsamkeit bei der Verteidigung der Organisation gegen alle Versuche des Staates, sie zu zerstören. Es sollte zum Beispiel erwähnt werden, daß der Polizeispitzel Malinowski, dem es vor dem Krieg gelang, Mitglied des Zentralkomitees der Partei zu werden, direkt verantwortlich für die Sicherheit der Organisation, verantwortlicher Mann für das Untertauchen Lenins, Sinowjews etc. geworden wäre, wäre er nicht schon vorher durch die Wachsamkeit der Organisation enttarnt worden (trotz der Blindheit Lenins selbst!). Ohne solche Wachsamkeit wäre das Resultat höchstwahrscheinlich die Liquidierung der erfahrensten Parteiführer gewesen. Im Januar/Februar 1919, als Luxemburg, Liebknecht, Jogiches und andere erfahrene Führer der jungen KPD ermordet wurden, schien es, daß die Behörden einen Fingerzeig von einem „hochrangigen" Polizeispitzel innerhalb der Partei erhalten hatten.
Die Juli-Tage enthüllten einmal mehr die gigantische revolutionäre Energie des Proletariats, seinen Kampf gegen den Schwindel der bürgerlichen Demokratie und die Tatsache, daß die Arbeiterklasse allein ein Faktor gegen den imperialistischen Krieg im Angesicht der kapitalistischen Dekadenz ist. Nicht „Demokratie oder Diktatur", sondern die Diktatur des Proletariats oder die Diktatur der Bourgeoisie, Sozialismus oder Barbarei, das ist die Frage, der die Menschheit gegenübersteht, und die die Juli-Tage aufstellte, ohne selbst schon imstande zu sein, darauf zu antworten. Aber was die Juli-Tage vor allem veranschaulichten, das ist die nicht ersetzbare Rolle der proletarischen Klassenpartei. Kein Wunder, daß die Bourgeoisie heute den 80. Jahrestag der Russischen Revolution mit neuen Manövern und Verleumdungen gegen das zeitgenössische revolutionäre Milieu „feiert".
Der Juli 1917 zeigte auch, daß die Überwindung der Illusionen über die abtrünnigen Arbeiterparteien, der Linken des Kapitals, lebenswichtig ist, wenn das Proletariat die Macht übernehmen soll. Dies war die hauptsächliche Illusion der Klasse während der Juli-Tage. Aber diese Erfahrung selbst war entscheidend. Die Juli-Tage klärten endgültig nicht nur für die Arbeiterklasse und die Bolschewiki, sondern selbst für die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre, daß die Organisationen der letztgenannten unwiderruflich zur Konterrevolution übergetreten waren. Wie Lenin Anfang September schrieb:
„In Petrograd war man damals nicht einmal physisch in der Lage, die Macht zu ergreifen, und hätte man sie physisch ergriffen, so hätte man sie politisch nicht halten können, da Zereteli und Co. damals noch nicht bis zur Unterstützung des Henkertums hinabgesunken waren. Darum wäre damals, am 3. bis 5. Juli 1917 in Petrograd, die Losung der Machtergreifung falsch gewesen. Damals fehlte sogar bei den Bolschewiki noch die bewußte Entschlossenheit - das konnte auch nicht anders sein -, Zereteli und Co. als Konterrevolutionäre zu behandeln. Damals konnten weder die Soldaten noch die Arbeiter die Erfahrung besitzen, die ihnen der Monat Juli gebracht hat." 15
Bereits Mitte Juli hatte Lenin diese Lehre klar gezogen:
„Nach dem 4. Juli hat sich die konterrevolutionäre Bourgeoisie, Hand in Hand mit den Monarchisten und Schwarzhunderten, die kleinbürgerlichen Sozialrevolutionäre und Menschewiki einverleibt, nachdem sie diese zum Teil eingeschüchtert hatte, und sie hat die wirkliche Staatsmacht in die Hände der Cavaignac gelegt, in die Hände einer Militärclique, die die Gehorsamsverweigerer an der Front erschießt und die Bolschewiki in Petrograd niederschlägt."16
Die Schlüssellehre des Juli war jedoch die politische Führung der Partei. Die Bourgeoisie hat häufig die Taktik verwendet, vorzeitige Konfrontationen zu provozieren. Ob 1848 und 1870 in Frankreich oder 1919 und 1921 in Deutschland, in jedem Fall war das Ergebnis die blutige Repression gegen das Proletariats gewesen. Wenn die Russische Revolution das einzige größere Beispiel ist, wo die Arbeiterklasse in der Lage war, solch eine Falle und eine blutige Niederlage zu vermeiden, dann vor allen Dingen deshalb, weil die bolschewistische Klassenpartei imstande war, ihre entscheidende Rolle als Avantgarde zu erfüllen. Indem sie die Klasse von solch einer Niederlage fernhielten, bewahrten die Bolschewiki die tiefen revolutionären Lehren aus Engels' berühmter Einführung zu Marxens „Der Klassenkampf in Frankreich" von 1895 vor ihrer Pervertierung durch den Opportunismus, besonders seine Warnung:
„Und da ist nur ein Mittel, wodurch das stetige Anschwellen der sozialistischen Streitkräfte in Deutschland momentan aufgehalten und selbst für einige Zeit zurückgeworfen werden könnte: ein Zusammenstoß auf großem Maßstab mit dem Militär, ein Aderlaß wie 1871 in Paris." 17
Trotzki faßt die Bilanz der Handlungsweise der Partei wie folgt zusammen:
„ Hätte die bolschewistische Partei sich auf der Einschätzung der Julibewegung als einer 'verfrühten' versteift, den Massen den Rücken gekehrt, der h albe Aufstand wäre unvermeidlich unter die zersplitterte und uneinige Leitung von Anarchisten, Abenteurern, zufälligen Exponenten der Massenempörung geraten und in fruchtlosen Konvulsionen verblutet. Aber auch umgekehrt: Hätte die Partei, sich an die Spitze der Maschinengewehrschützen und der Putilower stellend, auf ihre Gesamteinschätzung der Lage verzichtet und den Weg entscheidender Kämpfe beschritten, der Aufstand hätte zweifellos kühnen Schwung genommen, und die Arbeiter und Soldaten würden unter der Leitung der Bolschewiki die Macht erobert haben, aber nur, um den Zusammenbruch der Revolution vorzubereiten. Die Frage der Macht im nationalen Maßstab wäre, im Gegensatz zum Februar, durch einen Sieg in Petrograd nicht entschieden worden. Die Provinz hätte mit der Hauptstadt nicht Schritt gehalten. Die Front die Umwälzung nicht begriffen und nicht akzeptiert. Eisenbahn und Telegraph hätten den Versöhnlern gegen die Bolschewiki gedient. Kerenski und das Hauptquartier eine Regierung der Front und Provinz gebildet. Petrograd wäre blockiert worden. In seinen Mauern hätte Zersetzung Platz gegriffen. Der Regierung wäre es unmöglich gewesen, größere Soldatenmassen gegen Petrograd zu werfen. Der Aufständ hätte unter solchen Bedingungen mit einer Tragödie der Petrograder Kommune geendet.
An der Juli-Kreuzung der historischen Wege hat nur die Einmischung der Partei der Bolschewiki beide Varianten der schicksalvollen Gefahr verhindert: sowohl die im Geiste der Junitage von 1848 wie die im Geiste der Pariser Kommune von 1871. Dank der Tatsache, daß die Partei sich kühn an die Spitze der Bewegung stellte, erhielt sie die Möglichkeit, die Massen in dem Moment anzuhalten, wo die Demonstration sich in ein bewaffnetes Kräftemessen zu verwandeln begann. Der Schlag, der im Juli den Massen und der Partei zugefügt wurde, war sehr empfindlich. Aber es war kein entscheidender Schlag (...). Die Arbeiterklasse ging aus der Prüfung weder enthauptet noch verblutet hervor. Sie hatte ihre Kampfkader unversehrt erhalten, und diese Kader hatten vieles gelernt." 18
Die Geschichte gab Lenin recht, als er schrieb:
„Eine neue Phase beginnt. Der Sieg der Konterrevolution löst bei den Massen Enttäuschung über die Parteien der Sozialrevolutionäre und Menschewiki aus und macht den Weg frei für den Übergang der Massen zur Politik der Unterstützung des revolutionären Proletariats." 19
Kr.
Das laufende Jahr erinnert uns daran, daß die Geschichte nicht eine Angelegenheit der Universitätsprofessoren ist, sondern eine Frage der gesellschaftlichen Klassen, eine politische Frage, die für das Proletariat lebenswichtig ist. Das Hauptziel, das sich die Bourgeoisie 1997 gesetzt hat, ist, der Arbeiterklasse die verfälschte bürgerliche Version der Geschichte des 20. Jahrhunderts aufzuzwingen. Zu diesem Zweck richtet die Bourgeoisie ihre Scheinwerfer auf den Holocaust des 2. Weltkrieges und auf die Oktoberrevolution, um zu versuchen, die beiden Ereignisse miteinander zu verbinden. Diese beiden Momente, die für die beiden antagonistischen Kräfte stehen, deren Konflikt zu einem Großteil die Entwicklung dieses Jahrhunderts bestimmt hat, die Barbarei des dekadenten Kapitalismus und der fortschrittliche revolutionäre Kampf des Proletariates, werden in der bürgerlichen Propaganda dargestellt als die gemeinsame Frucht “totalitärer Ideologien” und werden “gemeinsam verantwortlich” gemacht für den Krieg, den Militarismus und den Terror der vergangenen 80 Jahre. In diesem Sommer war es die Nazigoldaffäre, die einerseits auf die gegenwärtigen Rivalen der USA und auf diejenigen abzielt, die ihre Autorität in Frage stellen (wie die Schweiz), und andererseits auf ideologischer Ebene dem Weltproletariat gilt (militaristische Propaganda, bürgerlich-demokratischer Antifaschismus), im Herbst nun schlachtet die Bourgeoisie den 80. Jahrestag der Russischen Revolution aus, um die folgende Botschaft zu vermitteln: So wie der Nationalsozialismus nach Auschwitz geführt hat, führt der Sozialismus von Marx, der die Arbeiterrevolution von 1917 inspiriert hat, ebenso unvermeidlich zum Gulag, zum gewaltigen Terror unter Stalin und zum Kalten Krieg nach 1945.
Mit diesem Angriff gegen die Oktoberrevolution zielen unsere Ausbeuter darauf ab, den gegenwärtigen Rückfluß des proletarischen Bewußtseins zu verstärken, den sie nach 1989 durch den intensiven Gebrauch der gewaltigen Lüge ausgelöst haben, wonach der Sturz der stalinistischen konterrevolutionären Regime gleichzusetzen sei mit dem “Ende des Marxismus” und dem “Bankrott des Kommunismus”. Aber heute will die Bourgeoisie noch einen Schritt weiter gehen bei der Verunglimpfung der proletarischen Revolution und der marxistischen Avantgarde, indem sie nicht nur mit dem Stalinismus, sondern auch mit dem Faschismus gleichgesetzt werden. So hat Anfang 1997 in einem so zentralen Land wie Frankreich zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert eine Medienkampagne begonnen, direkt die internationalistische kommunistische Linke anzugreifen. Sie hat versucht, dieser zu unterstellen, daß sie mit dem Faschismus kollaboriert habe; zu diesem Zweck entstellte sie die internationalistische Position, die während dem 2. Weltkrieg gegen jedes imperialistische Lager Stellung bezogen hatte. Da die Bourgeoisie heute mit dem Bankrott des Kapitalismus des verfaulenden Systems konfrontiert ist, will sie das Programm selber, das geschichtliche Gedächtnis und das Bewußtsein des Proletariats auslöschen. Und vor allem will sie die Erinnerung an den proletarischen Oktober, die erste Machtergreifung durch eine ausgebeutete Klasse in der Geschichte der Menschheit, zerstören.
Wie schon nach dem Fall der Berliner Mauer ist auch die gegenwärtige Kampagne der Bourgeoisie nicht einfach eine pauschale Verurteilung von allem, was die Russische Revolution darstellte. Im Gegenteil, gewisse Historiker im Solde des Kapitals sind voll der heuchlerischen Lobreden über “die Initiativen” und sogar “den revolutionären Elan” der Arbeiter und ihrer Massenkampforgane, der Arbeiterräte. Sie geben sich voll Verständnis für die Verzweiflung der Arbeiter, der Soldaten und der Bauern, die mit den Prüfungen des “Großen Krieges” konfrontiert waren. Vor allem aber stellen sie sich dar als die Verteidiger der “wirklichen Russischen Revolution” gegen die angebliche Zerstörung durch die Bolschewiki. Mit anderen Worten: Die Angriffe der Bourgeoisie gegen die Russische Revolution wird vor allem über den angeblichen Gegensatz zwischen Februar und Oktober 1917 geführt, über den angeblichen Gegensatz zwischen dem Anfang des Kampfes und dem Ende und Ziel der Machtergreifung, das das Wesen jeder großen Revolution ist.
Auf der einen Seite erinnert die Bourgeoisie an den explosiven und spontanen Massencharakter der Kämpfe, die im Februar 1917 ausgebrochen sind, d.h. an die Massenstreiks, die Millionen von Leuten, die die Straße besetzten, die Explosionen von öffentlicher Euphorie bis hin zur Tatsache, daß Lenin selber das Rußland dieser Zeit zum freisten Land auf der Welt erklärte; dem stellt die Bourgeoisie andererseits die Oktoberereignisse entgegen, in denen es wenig Spontaneität gab, die zum voraus geplant gewesen waren, ohne einen Streik, ohne Strassendemonstrationen oder Massenversammlung während des Aufstandes, wo die Macht ergriffen wurde dank der Aktion von einigen Tausend bewaffneten Männern in der Hauptstadt unter dem Kommando eines revolutionären Komitees, das direkt von der bolschewistischen Partei inspiriert war. So erklärt die Bourgeoisie: Ist das nicht genug Beweis dafür, daß der Oktober nichts anderes als ein bolschewistischer Putsch war? Ein Putsch gegen die Mehrheit der Bevölkerung, gegen die Arbeiterklasse, gegen die Geschichte, gegen die menschliche Natur selbst? Und all dies, so erklärt man uns, sei die Folge einer “verrückten marxistischen Utopie”, die nur durch den Terror überleben konnte und direkt zum Stalinismus führen mußte. Nach den Aussagen der herrschenden Klasse wollte das Proletariat 1917 nicht anderes als das, was das Februarregime ihm versprach: eine “parlamentarische Demokratie” mit der Verpflichtung, die “Menschenrechte zu achten”, und eine Regierung, die - auch wenn sie den Krieg fortsetzte - erklärt hatte, “für” einen sofortigen Frieden “ohne Annexionen” zu sein. Mit anderen Worten: Die Bourgeoisie erzählt uns, daß das russische Proletariat sich für die gleich elenden Bedingungen geschlagen hat, die das moderne Proletariat heute erleidet! Wenn das Februarregime nicht im Oktober gestürzt worden wäre, so versichert sie uns, wäre Rußland heute ein ebenso mächtiges und “wohlhabendes” Land wie die Vereinigten Staaten, und die Entwicklung des “Kapitalismus des 20. Jahrhunderts wäre friedlich gewesen”.
Diese heuchlerische Verteidigung des “spontanen” Charakters der Februarereignisse drückt in Tat und Wahrheit den Haß und die Angst aus, die die Oktoberrevolution bei den Ausbeutern aller Länder hervorrufen. Die Spontaneität des Massenstreiks, der Zusammenschluß des gesamten Proletariats auf den Straßen und in den Vollversammlungen, die Bildung der Arbeiterräte im Feuer des Kampfes sind wesentliche Momente des Befreiungskampfes der Arbeiterklasse. “Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Spontaneität einer Bewegung ein Zeichen dafür ist, daß sie tiefe und feste Wurzeln in der Masse hat und nicht auszumerzen ist”, stellte Lenin fest1 [15]. Aber solange die Bourgeoisie die herrschende Klasse bleibt, solange die politischen und repressiven Waffen des kapitalistischen Staates unversehrt bleiben, ist es ihr immer möglich, diejenigen ihres Klassenfeindes zu blockieren, zu neutralisieren und aufzulösen. Die Arbeiterräte, diese mächtigen Werkzeuge des Arbeiterkampfes, die mehr oder weniger spontan auftauchen, sind trotz allem nicht der einzige und auch nicht unbedingt der höchste Ausdruck der proletarischen Revolution. Sie beherrschen die ersten Etappen des revolutionären Prozesses. Die konterrevolutionäre Bourgeoisie preist die Arbeiterräte gerade mit der Absicht, den Beginn der Revolution als ihren Kulminationspunkt, als ihr Ziel darzustellen, weil sie weiß, daß es einfacher ist, eine Revolution zu zerschlagen, die auf halbem Weg stehenbleibt.
Aber die Russische Revolution ist nicht auf halbem Weg stehengeblieben. Da sie bis zum Ziel fortschritt, da sie vollendete, was sie im Februar 1917 begonnen hatte, stellte sie die Bestätigung für die Fähigkeit der Arbeiterklasse dar, geduldig, bewußt, kollektiv, also nicht nur “spontan”, sondern reiflich überlegt, geplant, strategisch die Waffen zu schmieden, die sie braucht zur Eroberung der Macht: ihre marxistische Klassenpartei, ihre Arbeiterräte, zusammengeschweißt durch ein Klassenprogramm und einen wirklichen Willen, die Gesellschaft anzuführen, ebenso wie die spezifischen Werkzeuge und die Strategie des proletarischen Aufstands. Es ist die Einheit von politischem Massenkampf und militärischer Machtergreifung, von Spontaneität und Planung, von Arbeiterräten und Klassenpartei, von der Aktion von Millionen von Arbeitern und derjenigen kühner Minderheiten der Vorhut der Klasse, die das Wesen der proletarischen Revolution ausmachen. Es ist diese Einheit, die die Bourgeoisie heute mit ihren Verleumdungen gegen den Bolschewismus und den Oktoberaufstand zerstören will.
Die Zerstörung des bürgerlichen Staates, der Sturz der Herrschaft der bürgerlichen Klasse, der Anfang der Weltrevolution - dies war die gigantische Verwirklichung des Oktobers 1917, d.h. das wichtigste, das bewußteste und das kühnste Kapitel der Geschichte der Menschheit bis zum heutigen Tag. Der Oktober zerschmetterte Jahrhunderte der durch die Klassengesellschaft produzierten Knechtschaft und bewies, daß mit dem Proletariat zum ersten Mal in der Geschichte ein Klasse existiert, die sowohl ausgebeutet als auch revolutionär ist. Eine Klasse, die fähig ist, die Gesellschaft zu führen, die Klassenherrschaft abzuschaffen, die Menschheit von ihrer “vorgeschichtlichen” Fesselung an blinde gesellschaftliche Kräfte zu befreien. Das ist der eigentliche Grund, weshalb die herrschende Klasse zur Zeit - und heute mehr als je zuvor - kübelweise Lügen und Verunglimpfungen über den Roten Oktober kippt, über das “am meisten gehaßte” Ereignis der modernen Geschichte, das aber gleichzeitig den Stolz der bewußten proletarischen Klasse darstellt. Wir wollen beweisen, daß der Oktoberaufstand, den die Schreiberlinge, die Prostituierten des Kapitals, einen “Putsch” nennen, der Kulminationspunkt nicht nur der Russischen Revolution, sondern des gesamten Kampfes unserer Klasse bis heute gewesen ist. Wie Lenin 1917 schrieb: “Daß die Bourgeoisie uns mit einem solch abgrundtiefen Haß angreift, ist eine der deutlichsten Illustrationen der Wahrheit, das wir den Menschen die richtigen Wege und Mittel zeigen, um die bürgerliche Herrschaft zu stürzen.”2 [15]
Am 10. Oktober 1917 schlug Lenin, der am meisten verfolgte Mann im Land, der durch die Polizei in allen Ecken Rußlands gesucht wurde und auf der in Petrograd abgehaltenen Versammlung des Zentralkomitees der bolschewistischen Partei verkleidet mit einer Perücke und einer Brille teilnahm, folgende Resolution vor, die er auf eine Seite eines Schulheftes geschrieben hatte: “Das Zentralkomitee stellt fest, daß sowohl die internationale Lage der russischen Revolution (der Aufstand in der deutschen Flotte als höchster Ausdruck des Heranreifens der sozialistischen Weltrevolution in ganz Europa, ferner die Gefahr eines Friedens der Imperialisten mit dem Ziel, die Revolution in Rußland zu erdrosseln) als auch die militärische Lage (der nicht zu bezweifelnde Entschluß der russischen Bourgeoisie sowie Kerenskis und Co., Petrograd den Deutschen auszuliefern) und die Eroberung der Mehrheit in den Sowjets durch die proletarische Partei - daß all dies im Zusammenhang mit dem Bauernaufstand und mit der Tatsache, daß sich das Vertrauen des Volkes unserer Partei zugewandt hat (die Wahlen in Moskau), und endlich die offenkundige Vorbereitung eines zweiten Kornilowputsches (Abtransport von Truppen aus Petrograd, Zusammenziehung von Kosaken bei Petrograd, Umzingelung von Minsk durch Kosaken usw.) - daß all dies den bewaffneten Aufstand auf die Tagesordnung setzt.
Das Zentralkomitee stellt somit fest, daß der bewaffnete Aufstand unumgänglich und völlig herangereift ist, und fordert alle Parteiorganisationen auf, sich hiervon leiten zu lassen und von diesem Gesichtspunkt aus alle praktischen Fragen zu behandeln und zu entscheiden (Sowjetkongress des Nordgebiets, Abtransport von Truppen aus Petrograd, die Aktionen der Moskauer und der Minsker usw.).”3 [15]
Genau vier Monate zuvor hatte die bolschewistische Partei den kämpferischen Elan der Arbeiter Petrograds bewußt und wohlüberlegt gebremst. Diese waren durch die herrschende Klasse provoziert worden mit der Absicht, eine verfrühte und isolierte Konfrontation mit dem Staat herbeizuführen. Eine solche Situation hätte mit Sicherheit zur Enthauptung des russischen Proletariats in der Hauptstadt und zur Dezimierung seiner Klassenpartei geführt (vgl. “Die Julitage” in der vorliegenden Ausgabe der Internationalen Revue). Die Partei, die inzwischen die internen Hemmungen überwunden hatte, engagierte sich entschlossen, wie Lenin es in seinem berühmten Artikel “Die Krise ist herangereift” geschrieben hatte, dafür, “alle Kräfte zu mobilisieren, um die Arbeiter von der Unvermeidlichkeit des Entscheidungskampfes und der Notwendigkeit zu überzeugen, die Regierung Kerenski zu stürzen”. Am 29. September erklärte er: “Die Krise ist herangereift. (...) Es geht um die Ehre der bolschewistischen Partei. Die ganze Zukunft der internationalen Arbeiterbewegung für den Sozialismus steht auf dem Spiel.”
Die Erklärung für diese neue, im Vergleich zum Juli ganz andere Haltung der Partei ist in der weiter oben zitierten Resolution enthalten, es ist nämlich die Kühnheit und leuchtende Klarheit des Marxismus. Der Ausgangspunkt war wie immer für den Marxismus die Analyse der internationalen Lage, die Einschätzung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen und der Bedürfnisse des Weltproletariats. Die Resolution unterstrich, daß das russischen Proletariat im Unterschied zum Juli 1917 nicht mehr allein war, daß vielmehr die Weltrevolution in den zentralen Ländern des Kapitalismus begonnen hatte. “Das Heranreifen der Weltrevolution ist unbestreitbar. Der Ausbruch der Empörung der tschechischen Arbeiter wurde mit unglaublicher Brutalität niedergeschlagen, was davon zeugt, daß die Regierung äußerst erschreckt ist. Auch in Italien ist es zu einer Massenerhebung in Turin gekommen. Am wichtigsten aber ist der Aufstand in der deutschen Flotte”4 [15] Es ist das Verdienst der russischen Arbeiterklasse, nicht nur die Gelegenheit ergriffen zu haben, die internationale Isolation zu durchbrechen, die bis zu diesem Zeitpunkt durch den Weltkrieg aufgezwungen worden war, sondern darüber hinaus die Flammen des Aufstandes zurück nach Westeuropa getragen zu haben, indem es die Weltrevolution begann.
Gegen die Minderheit in der eigenen Partei, die noch der pseudomarxistischen, konterrevolutionären Argumentation der Menschewiki nachbetete, nach der die Revolution in einem fortgeschritteneren Land beginnen müsse, zeigte Lenin auf, daß die Bedingungen in Deutschland in Tat und Wahrheit viel schwieriger als in Rußland waren und daß die wirkliche Bedeutung des Aufstandes in Rußland darin lag, daß er der revolutionären Erhebung in Deutschland Hilfe leisten würde: ”Die Deutschen haben unter verteufelt schwierigen Verhältnissen, mit nur einem Liebknecht (der dazu noch im Zuchthaus sitzt), ohne Zeitungen, ohne Versammlungsfreiheit, ohne Sowjets, angesichts einer ungeheuren Feindseligkeit aller Bevölkerungsklassen bis zum letzten begüterten Bauern gegen die Idee des Internationalismus, angesichts der ausgezeichneten Organisation der imperialistischen Groß-, Mittel- und Kleinbourgeoisie, die Deutschen, d.h. die deutschen revolutionären Internationalisten, die Arbeiter im Matrosenkittel, haben einen Aufstand in der Flotte begonnen - bei einer Chance von vielleicht eins zu hundert. Wir aber, die wir Dutzende von Zeitungen, die wir Versammlungsfreiheit haben, über die Mehrheit in den Sowjets verfügen, wir, die wir im Vergleich zu den proletarischen Internationalisten in der ganzen Welt die besten Bedingungen haben, wir werden darauf verzichten, die deutschen Revolutionäre zu unterstützen. Wir werden argumentieren wie die Scheidemänner und die Renaudel: Das Vernünftigste ist, keinen Aufstand zu machen, denn wenn man uns niederknallt, so verliert die Welt in uns so prächtige, so vernünftige, so ideale Internationalisten!! Beweisen wir, daß wir vernünftig sind. Nehmen wir eine Sympathieresolution für die deutschen Aufständischen an und lehnen wir den Aufstand in Rußland ab. Das wird dann ein echter, vernünftiger Internationalismus sein.”5 [15]
Der Standpunkt Lenins und die internationalistische Methode, die das genaue Gegenteil der bürgerlich-nationalistischen Sichtweise des Stalinismus war, die sich im Gefolge der anschließenden Konterrevolution entwickelte, war nicht nur bei den Bolschewiki dieser Phase vorhanden, sondern bei allen fortgeschrittenen Arbeitern Rußlands dank der marxistischen politischen Erziehung. So strahlten die Matrosen der baltischen Flotte zu Beginn des Oktobers über die Radiostationen ihrer Schiffe folgenden Appell in alle Ecken der Welt aus: “In den Stunden, da die Wogen der Baltischen See rot gefärbt sind vom Blut unserer Brüder, erheben wir unsere Stimme. Unterdrückte aller Welt hebt das Banner der Revolte!” Doch die Einschätzung des weltweiten Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen durch die Bolschewiki beschränkte sich nicht darauf, den Zustand des internationalen Proletariats zu untersuchen, sondern drückte auch eine klare Sichtweise der gesamten Lage der feindlichen Klasse aus. Die Bolschewiki, die ein tiefes Wissen über die Geschichte der Arbeiterbewegung hatten und das Beispiel der Pariser Kommune von 1871 kannten, wußten genau, daß die imperialistische Bourgeoisie sogar mitten im Weltkrieg ihre Kräfte gemeinsam gegen die Revolution einsetzen würde.
“Beweist nicht die völlige Untätigkeit der englischen Flotte im Allgemeinen und auch der englischen Unterseeboote bei der Besetzung Oesels durch die Deutschen, im Zusammenhang mit der Absicht der Regierung, ihren Sitz von Petrograd nach Moskau zu verlegen, daß zwischen den russischen und englischen Imperialisten, zwischen Kerenski und den englisch-französischen Kapitalisten eine Verschwörung zustande gekommen ist mit dem Ziel, Petrograd an die Deutschen auszuliefern und die russische Revolution auf diesem Wege zu erdrosseln?” fragt Lenin und fügt hinzu: ”Die Resolution der Soldatensektion des Petrograder Sowjets gegen die Übersiedlung der Regierung aus Petrograd hat gezeigt, daß auch unter den Soldaten die Überzeugung von der Verschwörung Kerenskis heranreift.”6 [15] Im August war des revolutionäre Riga durch Kerenski und Kornilow bereits den Klauen des Kaisers Wilhelm II. ausgeliefert worden. Die ersten Gerüchte eines möglichen Separatfriedens zwischen Großbritannien und Deutschland gegen die Russische Revolution beunruhigten Lenin. Das Ziel der Bolschewiki war nicht der “Frieden”, sondern die Revolution, denn sie wußten als wirkliche Marxisten, daß ein kapitalistischer Waffenstillstand nur eine Feuerpause zwischen zwei Weltkriegen sein konnte. Es war diese durchdringende, kommunistische Sicht des unausweichlichen Untergangs in der Barbarei, den der dekadente, historisch bankrotte Kapitalismus der Menschheit vorbehielt, diese Sicht, die den Bolschewismus zu einem Wettlauf gegen die Zeit drängte, um mit den proletarischen, revolutionären Mitteln den Krieg zu beenden. Gleichzeitig begannen die Kapitalisten überall, systematisch die Produktion zu sabotieren, um die Revolution in Mißkredit zu bringen. Allerdings trugen diese Ereignisse schließlich auch dazu bei, den patriotischen Mythos der “nationalen Verteidigung”, wonach die Bourgeoisie und das Proletariat einer Nation ein gemeinsames Interesse daran hätten, den fremden “Aggressor” zurückzudrängen, in den Augen der Arbeiter zu zerstören. Dies erklärt auch, weshalb im Oktober die Sorge der Arbeiter nicht mehr darin bestand, Massenstreiks auszulösen, sondern die Produktion angesichts der Demontage ihrer “eigenen” Fabriken durch die Bourgeoisie in Gang zu halten. Unter den Faktoren, die für das Voranschreiten der Arbeiterklasse zum Aufstand entscheidend waren, gab es einerseits die Bedrohung der Revolution durch die neuen konterrevolutionären Angriffe, andererseits aber auch die entschlossene Unterstützung der Arbeiter v.a. in den wichtigsten Sowjets für die Bolschewiki. Diese beiden Faktoren waren das direkte Ergebnis der größten Massenkonfrontation zwischen Bourgeoisie und Proletariat von Juli bis Oktober 1917: des Kornilow-Putsches im August. Unter der Führung der Bolschewiki stoppte das Proletariat den Vormarsch von Kornilow auf die Hauptstadt, indem hauptsächlich die Truppen zersetzt, das Transportsystem und die Logistik dank den Arbeitern bei der Eisenbahn, der Post und anderen Sektoren lahmgelegt wurden. Im Laufe dieser Aktion, während der die Sowjets als revolutionäre Organisationen der gesamten Klasse zu neuem Leben erwacht waren, entdeckten die Arbeiter, daß die Provisorische Regierung von Petrograd unter der Führung des Sozialrevolutionärs Kerenski und der Menschewiki selbst im konterrevolutionären Komplott verhängt war. Von diesem Moment an verstanden die Arbeiter, daß diese Parteien zu einem eigentlichen “linken Flügel des Kapitals” geworden waren, und sie begannen, sich hinter den Bolschewiki zu vereinigen. “Die ganze taktische Kunst besteht darin, den Moment zu erfassen, wo die Gesamtheit der Bedingungen für uns am günstigsten ist. Der Kornilowsche Aufstand schuf diese Bedingungen. Die Massen, die das Vertrauen zu den Parteien verloren hatten, sahen die konkrete Gefahr der Gegenrevolution. Sie glaubten, daß jetzt die Bolschewiki berufen seien, diese Gefahr zu bannen.”7 [15] Der größte einzelne Test über die Qualität einer Arbeiterpartei ist, ob sie fähig ist, die Machtfrage richtig und zeitig zu stellen. “Die gewaltigste Umstellung ist aber die, wenn die proletarische Partei von der Vorbereitung, der Propaganda, der Organisation, der Agitation übergeht zum unmittelbaren Kampf um die Macht, zum bewaffneten Aufstand gegen die Bourgeoisie. Alles, was in der Partei vorhanden ist an unentschlossenen, skeptischen, opportunistischen, menschewistischen Elementen, erhebt sich gegen den Aufstand.”8 [15] Die bolschewistische Partei überwand diese Krise und zeigte sich entschlossen, den bewaffneten Kampf vorwärtszutreiben, und bewies damit ihre beispiellose Qualität.
Im Februar 1917 hatte sich eine Situation der “Doppelmacht” entwickelt. Nebst dem bürgerlichen Staat und gegen ihn erschienen die Arbeiterräte als eine Alternative, als eine potentielle Regierung der Arbeiterklasse. Da zwei entgegengesetzte Kräfte, zwei verfeindete Klassen, nicht nebeneinander bestehen können und weil die eine zwangsläufig die andere zerstören muß, um sich in der Gesellschaft durchzusetzen, ist eine derartige Periode der “Doppelmacht” notwendigerweise sehr kurz und instabil. Eine solche Phase ist sicherlich nicht durch “friedliche Koexistenz” und gegenseitige Toleranz gekennzeichnet. Sie kann zuerst den Anschein einer sozialen Ausgeglichenheit haben, doch in Wirklichkeit ist es eine entscheidende Stufe im Bürgerkrieg zwischen Kapital und Arbeit.
Die bürgerlichen Geschichtsfälschungen sind dazu gezwungen, den Todeskampf der Klassen, der sich zwischen Februar und Oktober 1917 abspielte, zu verschleiern und die Oktoberrevolution als einen “bolschewistischen Putsch” darzustellen. Die “ungewöhnliche” Verlängerung dieser Periode der “Doppelmacht” hätte notwendigerweise das Ende der Revolution und ihrer Organe bedeutet. Der Sowjet ist “nur als Organ des Aufstandes, nur als Organ der revolutionären Macht real (...). Außerhalb dieser Aufgabe sind die Sowjets ein bloßes Spielzeug, das unvermeidlich zur Apathie, Gleichgültigkeit und Enttäuschung der Massen führt, denen die endlose Wiederholung von Resolutionen und Protesten mit vollem Recht zuwider geworden ist.”9 [15] Wenn der proletarische Aufstand nicht spontaner war als ein konterrevolutionärer militärischer Staatsstreich - während der Monate vor dem Oktober hatten die zwei Klassen in wiederholter Weise ihre spontane Tendenz zum Kampf um die Macht zum Ausdruck gebracht. Die Julitage und der Kornilov-Putsch waren dabei die klarsten Ausdrücke. Der Oktoberaufstand begann in Wirklichkeit nicht auf ein Signal der bolschewistischen Partei hin, sondern auf den Versuch der bürgerlichen Regierung die revolutionärsten Truppen (2/3 der Petrograder Garnison) an die Front zu schicken und sie in der Hauptstadt durch konterrevolutionäre Bataillone zu ersetzen. Mit anderen Worten: Die Bourgeoisie machte, und dies lediglich einige Wochen nach Kornilow, einen erneuten Versuch, die Revolution zu zermalmen. Ein Versuch, der das Proletariat dazu trieb, zum Aufstand zu schreiten, um sie zu retten.
“Und doch war der Ausgang des Aufstandes vom 25. Oktober zu drei Viertel, wenn nicht mehr, in dem Moment entschieden, als wir uns der Absendung der Truppen entgegenstemmten, das kriegsrevolutionäre Komitee bildeten (16. Oktober), in allen Truppenteilen und Organisationen unsere Kommissare ernannten und dadurch nicht nur den Stab des Petrograder Militärbezirks, sondern auch die Regierung gänzlich isolierten. (...) Mit dem Moment, da die Bataillone auf den Befehl des kriegsrevolutionären Komitees sich weigerten, die Stadt zu verlassen und sie auch nicht verließen, hatten wir in der Hauptstadt einen siegreichen Aufstand (...).1 [15]0
Noch mehr, dieses Militärrevolutionäre Komitee, welches die entscheidenden militärischen Aktionen des 25. Oktobers leiten sollte - alles andere als ein Organ der Bolschewiki - war ursprünglich von den konterrevolutionären Parteien der “Linken” als ein Mittel zum Abzug der revolutionären Truppen der Hauptstadt unter Umgehung der Sowjets eingeführt worden. Doch es wurde sofort durch den Sowjet zu seinem Instrument umgewandelt, nicht nur um sich dieser Maßnahme zu widersetzen, sondern um den Kampf um die Macht zu organisieren.
“Nein, die Macht der Sowjets war keine Schimäre, keine von Parteitheoretikern erklügelte, willkürliche Konstruktion. Sie wuchs unaufhaltsam von unten auf, aus dem Wirtschaftszerfall, Ohnmacht der Besitzenden, aus den Nöten der Massen; die Sowjets wurden in der Tat zur Macht - für Arbeiter, Soldaten, Bauern blieb kein anderer Weg übrig. Es war nicht mehr an der Zeit über die Sowjetmacht zu klügeln und zu streiten: es hieß sie verwirklichen.”1 [15]1 Die Legende eines bolschewistischen Putsches ist eine der größten Lügen der Geschichte. In Wirklichkeit wurde der Aufstand im vornherein von den gewählten revolutionären Delegierten öffentlich angekündigt. Die Rede Trotzkis an der Konferenz der Garnison von Petrograd am 18. Oktober illustriert es: “Es ist der Bourgeoisie bekannt, daß der Petrograder Sowjet dem Sowjetkongress vorschlagen wird, die Macht in seine Hände zu nehmen...Und nun versuchen die bürgerlichen Klassen, in Voraussicht des unvermeidlichen Kampfes, Petrograd zu entwaffnen (...) Beim ersten Versuch der Konterrevolution, den Kongreß zu sprengen, werden wir mit einer Gegenoffensive antworten, die unbarmherzig sein wird und die wir restlos durchführen weden.”1 [15]2 Punkt 3 der durch die Konferenz der Garnison angenommenen Resolution lautet: “Der Gesamtrussische Sowjetkongress muß die Macht in die Hände nehmen und dem Volk Frieden, Land und Brot verschaffen.” Um sicher zu gehen, daß das gesamte Proletariat den Kampf um die Macht unterstützt, beschloß diese Garnisonskonferenz, sich auf friedliche Weise noch vor dem Kongreß der Sowjets in Petrograd und gestützt auf Massenversammlungen und Debatten einen Überblick über die eigenen Kräfte zu verschaffen. “Zehntausende umspülten das gigantische Gebäude des Volkshauses (...) An ehernen Säulen und Fenstern hingen Girlanden und Trauben menschlicher Köpfe, Beine, Arme. Die Luft war von jener elektrischen Spannung erfüllt, die eine nahe Entladung anzeigt. Nieder mit Kerenski! Nieder mit dem Krieg! Alle Macht den Sowjets! Nicht einer der Versöhnler wagte nunmehr vor dieser bis zum Rotglühen erhitzten Menge mit Entgegnungen oder Warnungen aufzutreten. Das Wort gehörte den Bolschewiki.” Trotzki führt weiter an: “Die Erfahrung der Revolution, des Krieges, des schweren Kampfes, des ganzen bitteren Lebens ersteht aus der Tiefe der Erinnerung eines jeden von Not bedrückten Menschen und geht in diese einfachen und gebieterischen Parolen ein. So kann es nicht weitergehen. Es muß ein Ausgang in die Zukunft durchbrochen werden.”1 [15]3
Die Partei hatte den “Willen zur Machtergreifung” der Massen nicht erfunden. Sie hatte ihn jedoch inspiriert, und ihm Vertrauen in seine Fähigkeit gegeben, die Klasse zu führen. Wie Lenin nach dem Putsch von Kornilow schrieb: “Mögen alle Kleinmütigen aus diesem historischen Beispiel lernen. Mögen sich diejenigen schämen, die sagen: “Wir haben keinen Apparat, der den alten, unweigerlich zur Verteidigung der Bourgeoisie neigenden ersetzen könnte.” Denn dieser Apparat ist vorhanden. Das sind gerade die Sowjets. Fürchtet nicht die Initiative und Selbständigkeit der Massen, vertraut den revolutionären Organisationen der Massen, und ihr werdet auf allen Gebieten des staatlichen Lebens dieselbe Kraft, dieselbe Unbesiegbarkeit der Arbeiter und Bauern sehen, die sie in ihrem gemeinsamen Handeln, in ihrem Elan gegen den Kornilowputsch offenbart haben.”1 [15]4
Der Aufstand ist eines der entscheidendsten, komplexesten und anspruchsvollsten Probleme, welches das Proletariat zu lösen hat, um seine historische Aufgabe zu erfüllen. In der bürgerlichen Revolution war diese Frage viel weniger entscheidend, da sich die Bourgeoisie in ihrem Kampf um die Macht auf das stützen konnte, was sie sich auf ökonomischer und politischer Ebene innerhalb der feudalen Gesellschaft bereits erobert hatte. Während ihrer Revolution ließ die Bourgeoisie das Kleinbürgertum und die junge Arbeiterklasse für sich kämpfen. Sobald der Rauch der Schlacht abgezogen war, bevorzugte sie meist ihre frisch eroberte Macht in die Hände einer feudalen und nun verbürgerlichten, heimischen Klasse zurückzugeben, da diese die Autorität der Tradition auf ihrer Seite hatte. Im Gegensatz dazu besitzt das Proletariat innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft keinerlei Eigentum oder ökonomische Macht. Es kann deshalb weder den Kampf um die Macht noch die Verteidigung seiner einmal erworbenen Klassenherrschaft einer anderen Klasse oder einem anderen Sektor der Gesellschaft überlassen. Das Proletariat muß die Macht selbst ergreifen, indem es die anderen Schichten unter seine Führung stellt, indem es die gesamte Verantwortung trägt, und die Konsequenzen und Gefahren seines Kampfes auf sich nimmt. Während des Aufstandes erwacht das Proletariat und entdeckt sich, viel klarer als in irgendeinem vorangegangenen Moment, selbst, entdeckt das “Geheimnis” seiner eigenen Existenz als erste und letzte sowohl ausgebeutete als auch revolutionäre Klasse in der Geschichte. Aus diesem Grunde darf man keineswegs erstaunt sein, daß die Bourgeoisie dermaßen bestrebt ist, die Erinnerung an den Oktober auszulöschen!
Von größter Bedeutung in der Revolution war seit dem Februar 1917 die Aufgabe des Proletariates, die Herzen und Gedanken derjenigen Sektoren zu erobern, welche für die Seite des Proletariates gewonnen werden konnten, aber zugleich auch gegen die Revolution hätten mißbraucht werden können: die Soldaten, die Bauern, die Beamten, die Angestellten des Transportwesens, bis zu denjenigen, welche im Hausdienst der Bourgeoisie standen. Am Vorabend des Aufstandes mußte diese Aufgabe erfüllt werden.
Die Aufgabe des Aufstandes selbst war etwas ganz anderes: Er beinhaltete das Zerbrechen des Widerstandes derjenigen Teile des Staates und Teile der Armee, welche nicht gewonnen werden konnten, deren Weiterbestehen aber den Keim der barbarischen Konterrevolution beinhalteten. Um diesen Widerstand zu brechen, um den bürgerlichen Staat zu zerstören, mußte das Proletariat eine bewaffnete Kraft bilden, welche der eisernen Disziplin der Klasse unterstand. Deshalb waren die bewaffneten Kräfte des 25. Oktobers ausschließlich aus Soldaten gebildet, welche der Leitung des Proletariates voll und ganz Folge leisteten. “Die Oktoberrevolution war der Kampf des Proletariates gegen die Bourgeoisie um die Macht. Aber den Ausgang des Kampfes entschied letzten Endes der Muschik. (...) Was hier der Umwälzung den Charakter eines kurzen Schlages mit minimalster Zahl an Opfern verlieh, war die Verbindung der revolutionären Verschwörung, des proletarischen Aufstandes mit dem Kampf der Bauerngarnison um die Selbsterhaltung. Geleitet wurde die Umwälzung von der Partei; die wichtigste treibende Kraft war das Proletariat; die bewaffneten Arbeiterabteilungen bildeten die Faust des Aufstandes; doch den Ausgang des Kampfes entschied die schwerwiegende Bauerngarnison.”1 [15]5 So war es in Tat und Wahrheit dem Proletariat gelungen, die Macht zu ergreifen, weil es fähig war, die anderen nichtausbeutenden Schichten hinter sein eigenes Klassenziel zu mobilisieren. Also haargenau das Gegenteil eines “Putsches”!
“Demonstrationen, Strassenkämpfe, Barrikaden, alles, was in den gewohnten Begriff des Aufstandes fällt, gab es fast nicht: die Revolution hatte nicht nötig, die bereits gelöste Aufgabe zu lösen. Die Eroberung des Regierungsapparates ließ sich planmäßig durchführen, mit Hilfe verhältnismäßig weniger, von einem Zentrum aus geleiteter bewaffneter Abteilungen. (...) Die Ruhe in den Oktoberstrassen, das Fehlen von Massen und Kämpfen gaben den Gegnern Anlaß, von Verschwörung einer verschwindenden Minderheit, von Abenteuer eines Häufleins Bolschewiki zu sprechen. (...) In Wirklichkeit konnten die Bolschewiki im letzten Moment den Kampf um die Macht auf eine “Verschwörung” beschränken, nicht weil sie eine kleine Minderheit waren, sondern im Gegenteil, weil sie in den Arbeitervierteln und Kasernen eine erdrückende, geschlossene, organisierte und disziplinierte Mehrheit hinter sich hatten.”1 [15]6
Von einem technischen Standpunkt aus betrachtet ist der kommunistische Aufstand nichts anderes als eine Frage der Organisation und Strategie. Politisch jedoch ist es wohl die anspruchsvollste Aufgabe, die man sich vorstellen kann. Die schwierigste aller Aufgaben, welche auch am meisten Probleme mit sich bringt, ist die Wahl des richtigen Zeitpunktes zur Eröffnung des Kampfes um die Macht: nicht zu früh, nicht zu spät. Im Juli 1917, sowie auch schon im August beim Kornilow-Putsch, als die Bolschewiki die Klasse zurückhielten, welche bereit für den Kampf um die Macht war, bestand die größte Gefahr in einem verfrühten Aufstand. Schon im September rief Lenin ohne Unterbruch zur Vorbereitung eines bewaffneten Kampfes auf, indem er erklärte: “Jetzt oder nie!”
“Eine revolutionäre Situation läßt sich nicht willkürlich konservieren. Hätten die Bolschewiki im Oktober-November die Macht nicht genommen, sie hätten sie aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt nicht genommen. Statt fester Führung hätten die Massen bei den Bolschewiki das gleiche, ihnen schon verhaßt gewordene Auseinandergehen von Wort und Tat gefunden und sich von der Partei, die ihre Hoffnung betrogen, im Laufe von zwei - drei Monaten abgewandt, wie sie sich vorher von den Sozialrevolutionären und Menschewiki abgewandt hatten”1 [15]7 Dies war der Grund, weshalb Lenin in seinem Einsatz gegen die Gefahr des Zurückstellens des Kampfes um die Macht nicht nur die konterrevolutionären Vorbereitungen der Weltbourgeoisie unterstrich, sondern er zog auch die verheerenden Auswirkungen von Zweifeln unter den Arbeitern selbst in Betracht, welche “fast ohne Hoffnung sind”. Die Hungernden könnten beginnen, “alles kurz und klein zu schlagen”, “ja sogar rein anarchistisch, wenn die Bolschewiki es nicht verstehen, sie im letzten Gefecht zu führen.” “Man kann nicht weiter warten, ohne Gefahr zu laufen, das Komplott Rodsjankos mit Wilhelm zu fördern und den völligen Zerfall bei einer Massenflucht der Soldaten zu erleben, wenn sie (die schon nahezu verzweifelt sind) völlig verzweifeln und alles seinem Schicksal überlassen.”1 [15]8
Den richtigen Zeitpunkt wählen erfordert nicht nur eine exakte Einschätzung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen, sondern es bedarf auch einer sorgfältigen Einschätzung der Dynamik der Zwischenschichten. “Eine revolutionäre Situation ist nicht von ewiger Dauer. Die schwankendste Voraussetzung der Umwälzung ist die Stimmung der Kleinbourgeoisie. Während nationaler Krisen geht sie hinter jener Klasse, die ihr nicht durch Worte, sondern auch durch Taten Vertrauen einflößt. Fähig zum impulsiven Aufstieg, sogar zur revolutionären Raserei, fehlt der Kleinbourgeoisie Ausdauer, sie verliert bei Mißerfolg leicht den Mut und fällt aus flammender Hoffnung in Enttäuschung. Die scharfen und jähen Wechsel ihrer Stimmungen verleihen eben jeder revolutionären Situation eine solche Unbeständigkeit. Ist die proletarische Partei nicht genügend entschlossen, um die Erwartungen und Hoffnungen der Volksmassen rechtzeitig in revolutionäre Handlungen umzusetzen, wird die Flut schnell von der Ebbe abgelöst: die Zwischenschichten wenden ihre Blicke von der Revolution ab und suchen die Retter im feindlichen Lager.”1 [15]9
In seinem Kampf zur Überzeugung der eigenen Partei von der dringenden Notwendigkeit eines unmittelbaren Aufstandes, griff Lenin auf Marxens hervorragende Argumentation in dessen Werk “Revolution und Konterrevolution in Deutschland” zurück. Über den Aufstand, der “eine Kunst ist, genauso wie der Krieg und andere Formen der Kunst. Er ist bestimmten Regeln unterworfen, deren Unterlassung zur Niederlage und die versäumende Partei zur Mitschuld führt.” Die wichtigsten dieser Regeln sind laut Marx, einen begonnenen Aufstand niemals auf halbem Wege abzubrechen und immer in der Offensive zu bleiben, da “die Defensive der Tod der bewaffneten Erhebung ist”; den Feind zu überraschen und durch alltägliche Erfolge zu demoralisieren, “selbst mit kleinen”, welche ihn zum Rückzug zwingen; “(...) mit den Worten Dantons, des größten bisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik, so zusammengefaßt: ‘Kühnheit, Kühnheit, abermals Kühnheit!’” Und wie Lenin es sagte: “Am entscheidenden Ort und im entscheidenden Augenblick muß ein großes Übergewicht an Kräften konzentriert werden, denn sonst wird der Feind, der besser ausgebildet und organisiert ist, den Aufstand vernichten.” Lenin fügte an: “Wir wollen hoffen, daß wenn die Aktion beschlossen wird, die Führer mit Erfolg das große Vermächtnis von Danton und Marx befolgen werden. Der Erfolg der russischen sowohl wie der Weltrevolution hängt von zwei, drei Tagen des Kampfes ab.”2 [15]0
In dieser Perspektive hatte das Proletariat die Organe seines Kampfes um die Macht zu formieren: ein Militärrevolutionäres Komitee und bewaffnete Truppen. “Wie es dem Schmied nicht gegeben ist, mit bloßen Händen glühendes Eisen anzufassen, so kann das Proletariat nicht mit bloßen Händen die Macht ergreifen: es braucht eine für diese Aufgabe geeignete Organisation. In der Verknüpfung von Massenaufstand und Verschwörung, der Unterordnung der Verschwörung unter den Aufstand, der Organisierung des Aufstandes durch die Verschwörung, besteht jedes komplizierte und verantwortliche Gebiet der revolutionären Politik, das Marx und Engels “die Kunst des Aufstandes” nannten.”2 [15]1
Es ist diese zentralisierte, koordinierte und wohlüberlegte Art und Weise, die es dem Proletariat ermöglichte, den letzten bewaffneten Widerstand der herrschenden Klasse zu brechen. Die Bourgeoisie hat diesen Schlag, den ihr das Proletariat versetzt hatte, bis heute nie vergessen. “Als elementaren Aufstand bezeichnen Historiker und Politiker gewöhnlich eine solche Massenbewegung, die - geeint durch Feindschaft gegen das alte Regime - weder klare Ziele, noch ausgearbeitete Kampfmethoden, noch eine bewußt zum Sieg führende Leitung besitzt. Der elementare Aufstand genießt die wohlwollende Anerkennung der offiziellen Historiker, wenigstens der demokratischen, als unabwendbares Übel, für das die Verantwortung auf das alte Regime fällt. (...) Was sie als “Blanquismus” oder noch schlimmer als Bolschewismus verneint, ist die bewußte Vorbereitung der Umwälzung, der Plan, die Verschwörung.”2 [15]2
Das ist es, was die Bourgeoisie so wütend macht: die Kühnheit, mit der ihr die Arbeiterklasse die Macht aus den Händen riß. Die Bourgeoisie auf der ganzen Welt wußte, daß ein Aufstand bevorsteht. Aber sie wußte nicht, wann und wo der Feind zuschlagen würde. Bei seinem entscheidenden Schlag profitierte das Proletariat voll und ganz vom Überraschungseffekt, daß es den Zeitpunkt und das Kampfterrain selbst wählte. Die Bourgeoisie hoffte, ihr Feind sei so naiv und “demokratiegläubig”, öffentlich, auf den Allrussischen Sowjetkongress in Petrograd in Gegenwart der herrschenden Klasse, anzukündigen, wann und wo er losschlägt. Dort gedachte sie, die Entscheidung und Durchführung des Aufstandes sabotieren und beeinflussen zu können. Aber als die Kongressdelegierten in der Hauptstadt ankamen, war der Aufstand schon voll im Gange, die Herrschaft der Ausbeuter wankte schon. Das Petrograder Proletariat übergab mittels seines Militärischen Revolutionskomitees dem Sowjetkongress die Macht, und die Bourgeoisie war dagegen machtlos. Putsch! Verschwörung! schrie die Bourgeoisie und schreit es noch heute. Lenins Antwort war: Putsch, Nein! Verschwörung, Ja! Aber eine Verschwörung, die dem Willen der Massen und den Notwendigkeiten des Aufstandes untergeordnet ist. Und Trotzki fügte hinzu: “Je höher die revolutionäre Bewegung ihrem politischen Niveau nach ist, je ernster ihre Führung, einen um so größeren Raum nimmt die Verschwörung im Volksaufstande ein.”
Ist der Bolschewismus eine Form des Blanquismus? Diese Anklage wird auch heute wieder von den Herrschenden erhoben. “Die Bolschewiki mußten mehr als einmal, schon lange vor der Oktoberumwälzung, die von den Gegnern gegen sie gerichtete Beschuldigung des Verschwörertums und Blanquismus widerlegen. Indes hat niemand einen so unversöhnlichen Kampf gegen das System der reinen Verschwörung geführt wie Lenin. Die Opportunisten der internationalen Sozialdemokratie haben mehr als einmal die alte sozialrevolutionäre Taktik des individuellen Terrors gegen die Agenten des Zarismus in Schutz genommen vor der erbarmungslosen Kritik der Bolschewiki, die dem individualistischen Abenteurertum der Intelligenz den Kurs auf den Massenaufstand entgegenstellten. Während er jedoch alle Abarten des Blanquismus und Anarchismus verwarf, hat Lenin sich keine Minute vor der ‘Heiligkeit’ des Massenaufstandes gebeugt.” Dazu fügte Trotzki weiter an: “Die Verschwörung ersetzt den Aufstand nicht. Die aktive Minderheit des Proletariates, so gut sie auch organisiert sein mag, ist nicht fähig, unabhängig vom Gesamtzustand des Landes die Macht zu ergreifen: in diesem Sinne hat die Geschichte über den Blanquismus ihr Urteil gesprochen. Aber nur in diesem Sinne. Das direkte Theorem behält seine volle Geltung. Zur Machteroberung genügt dem Proletariat nicht der elementare Aufstand. Nötig ist die entsprechende Organisation, nötig der Plan, nötig die Verschwörung. So ist die Leninsche Fragestellung.”2 [15]3
Es ist wohlbekannt, daß Lenin der erste war, der die volle Klarheit über die Notwendigkeit des Kampfes um die Macht im Oktober aufwies. Er arbeitete an mehreren Aufstandsplänen: Der eine konzentrierte sich auf Finnland und die baltische Flotte, ein anderer auf Moskau. Er trat dafür ein, daß die bolschewistische Partei, und nicht ein Organ der Sowjets den Aufstand organisieren sollte. Die Ereignisse haben allerdings bewiesen, daß die Organisation und die Führung des Aufstands durch ein Organ der Sowjets, konkret durch das militärische Revolutionskomitee, in dem die Partei offensichtlich den dominierenden Einfluss ausübte, den besten Erfolg für das Gelingen des Unternehmens garantierte, da sich die Klasse als ganzes, und nicht lediglich Sympathisanten der Partei durch die revolutionären Einheitsorgane vertreten sah.
Gemäß den bürgerlichen Historikern offenbarte allerdings der Vorschlag Lenins, daß für ihn die Revolution nicht die Angelegenheit der Massen, sondern eine Privatsache der Partei gewesen sei. Weshalb, so fragen sie, habe er sich so sehr gegen ein Abwarten des Sowjetkongresses zur Entscheidung des Aufstandes zur Wehr gesetzt. Lenins Haltung war in völliger Übereinstimmung mit der von Marx und fußte auf einem historisch begründeten tiefen Vertrauen in die proletarischen Massen. “Es wäre verderblich oder ein rein formales Herangehen, wollten wir die unsichere Abstimmung am 25. Oktober abwarten, das Volk hat das Recht und die Pflicht, solche Fragen nicht durch Abstimmungen, sondern durch Gewalt zu entscheiden; das Volk hat das Recht und die Pflicht, in kritischen Augenblicken der Revolution seinen Vertretern, selbst seinen besten Vertreter, die Richtung zu weisen und nicht auf sie zu warten. Das hat die Geschichte aller Revolutionen bewiesen, und maßlos wäre das Verbrechen der Revolutionäre, wenn sie den Augenblick vorübergehen ließen, obwohl sie wissen, daß die Rettung der Revolution, das Friedensangebot, die Rettung Petrograds, die Rettung vor dem Hunger, die Übergabe des Grund und Bodens an die Bauern von ihnen abhängen. Die Regierung wankt. Man muß ihr den Rest geben, koste es, was es wolle!”2 [15]4
In Tat und Wahrheit stimmten alle Führer der Bolschewiki darin überein, die kaum eroberte Macht unmittelbar an den Sowjetkongress ganz Rußlands zu übergeben, wer auch immer der Dirigent des Aufstandes sei. Die Partei war sich sehr wohl bewußt, daß die Revolution weder das Werk der Partei allein noch einzelner Arbeiter von Petrograd, sondern der gesamten Arbeiterklasse ist. Was jedoch die Frage der Inszenierung des Aufstandes selbst betrifft, so hat Lenin richtigerweise hervorgehoben, daß hier die geeignetsten Klassenorgane eine zentrale Rolle spielen sollten, nämlich diejenigen, die befähigt waren, die Aufgabe politisch und militärisch zu planen und die politische Führung der Kämpfe zu übernehmen. Die Ereignisse haben bewiesen, daß Trotzki richtig lag, als er für diese Aufgabe die Bildung eines speziellen Organs der Sowjets vorschlug, in dem die Partei direkten Einfluß ausüben konnte. Es handelte sich hier nicht nur um eine prinzipielle Auseinandersetzung, sondern um die vitale Frage der politischen Effizienz. Lenin wollte nicht den Sowjetapparat als ganzes mit dem Aufstand betrauen, weil dies den Aufstand fatal verzögert und dem Feind die Pläne enthüllt hätte. Diese tiefe Sorge Lenins war vollkommen richtig. Die schmerzhafte Erfahrung der Russischen Revolution war notwendig, damit die Kommunistische Linke einige Jahre später klar festhalten konnte, daß zwar die Partei die politische Führung sowohl im Kampf um die Macht als auch in der Diktatur des Proletariats ausüben müsse, nicht aber die Macht übernehmen dürfe. In dieser Frage wiesen 1917 weder Lenin und die anderen Bolschewiki noch die Spartakisten in Deutschland Klarheit auf, und sie waren dazu auch noch nicht in der Lage. Was jedoch die ”Kunst des Aufstands” selbst betrifft, so gibt es heute keinen Revolutionär, von dem man mehr lernen könnte als von Lenin, insbesondere was die revolutionäre Geduld, die Vorsicht bei der Vermeidung verfrühter Auseinandersetzungen sowie die revolutionäre Kühnheit bei der Machtergreifung anbelangt. Lenin lag richtig, als er die Rolle der Partei im eigentlichen Aufstand thematisierte: Die Massen übernehmen die Macht, die Sowjets garantieren die Organisation, die Partei jedoch ist die unentbehrlichste Waffe im Kampf um die Macht. Im Juli 1917 ersparte die Partei der Klasse eine entscheidende Niederlage. Im Oktober 1917 führte die Partei die Klasse auf dem Weg zur Machtergreifung. Ohne diese unentbehrliche Führung hätte es keine Machtergreifung gegeben.
Die Bourgeoisie streicht schließlich ihr Hauptargument hervor: Die Oktoberrevolution habe ja zum Stalinismus geführt. Es waren jedoch die bürgerliche Konterrevolution, die Niederlage der Weltrevolution in Westeuropa, die Invasion und internationale Isolierung der Sowjetunion, die Unterstützung der nationalistischen Bürokratie in Rußland gegen die Arbeiterklasse und die Bolschewiki durch die Weltbourgeoisie, die zum Stalinismus führten. Man muß sich unbedingt vergegenwärtigen, daß sich sowohl in den entscheidenden Wochen des Oktobers 1917 als auch bereits in den Monaten zuvor innerhalb der bolschewistischen Partei eine Strömung manifestierte, die das Gewicht der bürgerlichen Ideologie widerspiegelte und sich gegen den Aufstand stellte. Stalin war zu jener Zeit bereits ein gefährlicher Exponent dieser Strömung. Im März 1917 war Stalin das Sprachrohr derjenigen Strömung innerhalb der Partei, die die internationalistische Position verlassen, die provisorische Regierung mit ihrer kriegtreiberischen Politik unterstützen und schließlich die Fusion mit den Menschewiki herbeiführen wollte. Als sich Lenin in den Wochen vor dem Aufstand öffentlich dafür aussprach, ließ Stalin in seiner Funktion als Herausgeber der Parteipresse die Artikel von Lenin absichtlich verspätet erscheinen, während er die Beiträge von Sinowjew und Kamenew, die gegen den Aufstand gerichtet waren, vorzog und so den Eindruck erweckte, als würden sie die Position des Bolschewismus repräsentieren. Lenin drohte daraufhin sogar mit seinem Rücktritt aus dem Zentralkomitee. Stalin fuhr jedoch mit seinem Manöver fort und behauptete, daß Lenin, Sinowjew und Kamenew dieselbe Position vertreten würden, während ersterer die Gesamtheit der Partei in der Frage des unmittelbaren Aufstandes hinter sich hatte, sabotierten letztere offen die Entscheide der Partei. Während des Aufstandes selbst verschwand Stalin von der Bildfläche, um abzuwarten, auf welche Seite der Wind drehen würde, ohne sich vorher zu stark zu exponieren. Der Kampf Lenins und der Partei gegen den ”Stalinismus”, gegen die Manipulationen, gegen die hinterhältige Sabotage des Aufstandes (im Unterschied zu Sinowjew und Kamenew, die wenigstens offen agierten) wurde innerhalb der Partei in Lenins letzten Lebensjahren wieder aufgenommen, allerdings unter historisch unendlich schlechteren Bedingungen.
Weit davon entfernt ein simpler Staatsstreich zu sein, wie dies die herrschende Klasse lügnerisch behauptet, war die Oktoberrevolution der Kulminationspunkt der bisherigen Menschheitsgeschichte. Erstmals in der Geschichte zeigte eine ausgebeutete Klasse den Mut und die Fähigkeit, den Ausbeutern die Macht zu entreißen und die proletarische Weltrevolution einzuleiten. Obgleich zwar die Revolution bald Niederlagen erlitt, zuerst in Berlin, dann in Budapest und Turin, und obgleich die Arbeiterklasse einen schrecklichen Preis für diese Niederlagen bezahlen mußte (Horror der Konterrevolution, weiterer Weltkrieg, allgemeine Barbarei), gelang es der Bourgeoisie dennoch nicht, dieses außergewöhnliche Ereignis und seine Lehren aus dem Gedächtnis der Arbeiterklasse zu löschen. In der heutigen Zeit existieren in der herrschenden Klasse nur noch die schlimmsten Ideologien und Zerfallsgedanken wie der zügellose Individualismus, der Nihilismus, Obskurantismus. Es blühen reaktionäre Visionen wie der Rassismus und Nationalismus, der Mystizismus und der Oekologismus. In einer Zeit, in der die letzten Spuren eines Glaubens an den Fortschritt der Menschheit verschwunden sind, zeigt uns der Scheinwerfer des Roten Oktobers nach wie vor den Weg. Die Erinnerung an den Oktober ist da, um der Arbeiterklasse zu vergegenwärtigen, daß die Zukunft der Menschheit in ihren Händen ruht und daß sie die große Aufgabe lösen kann. Den Klassenkampf des Proletariats, die Wiederaneignung der eigenen Geschichte, die Verteidigung und die Entwicklung der wissenschaftlichen Methode des Marxismus beinhaltet das Programm des Oktobers. Dies ist das Programm für die Zukunft der Menschheit. Wie Trotzki im Schlußwort seiner großen Geschichte der Russischen Revolution schreibt: “Den historischen Aufstieg der Menschheit kann man, im ganzen genommen, resümieren als eine Kette von Siegen des Bewußtseins über die blinden Kräfte - in Natur, Gesellschaft und im Menschen selbst. Der kritische und schöpferische Gedanke konnte sich bis auf den heutigen Tag der größten Erfolge rühmen im Kampfe mit der Natur. Die physikalisch-chemischen Wissenschaften sind bereits an dem Punkt angelangt, wo der Mensch sich offensichtlich anschickt, Herr der Materie zu werden. Die gesellschaftlichen Beziehungen jedoch gestalten sich noch immer in der Art von Koralleninseln. Der Parlamentarismus hat ein Licht nur auf die Oberfläche der Gesellschaft geworfen, und auch da nur ein recht künstliches Licht. Im Vergleich zur Monarchie und anderen Erbschaften von Menschenfresserei und wildem Höhlenzustand stellt die Demokratie gewiß eine große Errungenschaft dar. Doch läßt sie das blinde Spiel der Kräfte in den sozialen Wechselbeziehungen der Menschen unberührt. Gerade gegen dieses tiefste Gebiet des Unbewußten erhob zum erstenmal die Hand die Oktoberumwälzung. Das Sowjetsystem will Ziel und Plan hineintragen in das Fundament der Gesellschaft, wo bis jetzt nur angehäufte Folgen herrschten.”
Kr.
(aus Internationale Revue Nr. 20, Herbst 1997)
1 [15] Lenin, Ges. Werke, Bd. 26, S. 14
6 [15] Lenin, a.a.O. S. 130 f., “Brief an die Petrograder Stadtkonferenz”
7 [15] Trotzki, “Die Lehren des Oktobers”, 1924, Kap. “Vom Oktoberumsturz”
8 [15] Trotzki, a.a.O., Kap. “Es ist notwendig, den Oktoberumsturz zu studieren”
9 [15] Lenin, “Thesen zum Referat in der Konferenz der Petersburger Organisation am 8. Oktober”, Ges. Werke, Bd. 26, Seite 128
10 [15] Trotzki, “Die Lehren des Oktobers”, Kapitel: “Die Oktoberrevolution und die “Legalität” der Sowjets”
11 [15] Trotzki, “Geschichte der Russischen Revolution”, Fischer Taschenbuchausgabe 1973, Seite 758
12 [15] Trotzki, ebenda, Seite 780
13 [15] Trotzki, ebenda, Seite 788 f.
14 [15] Lenin, “Eine der Kernfragen der Revolution”, Ges. Werke, Bd. 25, Seite 382
15 [15] Trotzki, ebenda, Seite 933 f.
16 [15] Trotzki, ebenda, Seite 935 ff.
17 [15] Trotzki, ebenda, Seite 821
18 [15] Lenin, Ges. Werke, Bd. 26, Seite 198 und 195
19 [15] Trotzki, ebenda, Seite 839
20 [15] Lenin, “Ratschläge eines Außenstehenden”, Ges. Werke, Bd. 26, Seite 167-168
21 [15] Trotzki, ebenda, Seite. 833
22 [15] Trotzki, ebenda, Seite 833
23 [15] Trotzki, ebenda, Seiten 832 ff.
24 [15] Lenin, Ges. Werke, Bd. 26, S. 224
Die CWO hingegen hat für die organisatorischen Schwierigkeiten der IKS eine andere Erklärung bereit: „(...) die gegenwärtige Krise der IKS ist (...) das Resultat (...) einer politischen Demoralisierung. Der wahre Grund dafür ist der, daß die Perspektiven, auf denen die IKS gegründet wurde, nun schlußendlich, angesichts der Realität, welche die IKS jahrelang immer zu ignorieren versucht hat, zusammengebrochen sind. Tatsächlich paßt das, was wir schon zur früheren Abspaltung von 1981 gesagt hatten auch zur heutigen Krise: „Die Gründe der gegenwärtigen Krise sind über einige Jahre hinweg entstanden und sind in den Grundsatzpositionen der Gruppe zu suchen. Die IKS behauptet, daß die ökonomische Krise mit all ihren Widersprüchen „hier ist“, und dies bereits seit mehr als 12 Jahren. Sie sehen revolutionäres Bewußtsein direkt und spontan aus den Kämpfen der Arbeiter gegen die Auswirkungen der Krise entspringen. Es überrascht uns deshalb nicht, daß wenn die Krise nicht das von der IKS prophezeite Niveau von Klassenkämpfen hervorruft, es zu Spaltungen in der Organisation kommt.“ (Workers Voice Nr. 5)
Seit damals hat sich die Lage der Arbeiterklasse verschlechtert, und sie wurde in die Defensive gedrängt. Statt dies zuzugeben, behauptete die IKS während der 80er Jahre, wir würden durch die „Jahre der Wahrheit“ schreiten, welche uns hin zu immer größeren Klassenkonfrontationen führen (...). Der offensichtliche Widerspruch zwischen der IKS-Perspektive und der kapitalistischen Realität hätte die momentane Krise schon früher ausgelöst, wäre nicht der Zusammenbruch des Stalinismus dazwischen gekommen. Dieses einmalige historische Ereignis ließ die Diskussion über den historischen Kurs in dem Masse vollständig untergehen, wie eine Erschütterung von solchem Umfang für eine bestimmte Zeit den Kurs der Bourgeoisie in Richtung Krieg zurückgestoßen hat und gleichzeitig der Arbeiterklasse erlaubte, mehr Zeit zu haben, um sich wieder zu formieren, bevor die neuen Angriffe des Kapitals wieder breite soziale Konflikte auf internationaler Ebene notwendig machten. Es gab der IKS ebenso eine Chance, sich vor den Konsequenzen der „Jahre-der-Wahrheit“-Perspektiven zu drücken. Wie auch immer, die Probleme sind in ihrem Ursprung nicht gelöst. Für die IKS endete 1968 die Konterrevolution und eröffnete die Phase, in der das Proletariat seine historische Rolle übernehmen könne. Wohin hat diese Konfrontation fast 30 Jahre später (d.h. mehr als eine Generation!) geführt? Dies war die Frage, die wir der IKS 1981 gestellt hatten und die ihr noch heute wie ein Gespenst im Nacken sitzt.
Die IKS weiß dies, und in der Absicht, weitere Demoralisierungen zu vermeiden, ist sie auf der Suche nach einem altbewährten Sündenbock. Die IKS ist nicht bereit, ihre aktuelle Krise als ein Ergebnis ihrer eigenen politischen Irrtümer zu betrachten. Deshalb hat sie, und dies nicht zum ersten Mal, versucht, die Realität auf den Kopf zu stellen und beharrt darauf, daß die Probleme mit denen sie konfrontiert ist, von „parsitären“ Elementen außerhalb der Organisation kommen, die sie organisatorisch unterwandern würden.“
Die Leser unserer Presse konnten jedoch immer feststellen, daß wir in Wirklichkeit unsere internen organisatorischen Schwierigkeiten niemals den Aktivitäten von parasitären Elementen zugeschoben haben. Entweder lügt die CWO absichtlich (und in diesem Fall würden wir sie fragen weshalb?) oder sie hat das, was wir geschrieben haben sehr oberflächlich gelesen (und in diesem Falle würden wir ihren Genossen raten, sich neue Brillen zu kaufen). Auf jeden Fall ist eine solche Behauptung erdrückender Beweis für das Fehlen einer Genauigkeit, die in der politischen Debatte absolut erforderlich ist. Dies wollen wir jedoch beiseite lassen und zum Kern der Differenzen zwischen der IKS und der CWO (und dem Internationalen Büro für die Revolutionäre Partei, IBRP) kommen. Vor allem aber wollen wir in diesem Artikel die Frage aufgreifen, ob die Perspektiven der IKS für den Klassenkampf gescheitert sind.[iii] [18]
Um über die Gültigkeit der Perspektive, die wir für die 80er Jahre aufgezeichnet haben, zu entscheiden, ist es notwendig, zu betrachten was wir zu Beginn des Jahrzehnts geschrieben hatten:
„(...) solange die Lösung der Krise möglich schien, hat sie (die Bourgeoisie) die Ausgebeuteten mit illusorischen Versprechungen eingeschläfert: „akzeptiert heute die Austeritätsmassnahmen und morgen wird`s besser gehen“ (...)
Da heute die Versprechungen einer „goldenen Zukunft“ niemanden mehr täuschen, hat die herrschende Klasse andere Register gezogen. Jetzt fängt sie an, das Gegenteil zu versprechen, indem sie laut behauptet, das Schlimmste stände noch vor uns. Man könne aber daran nichts ausrichten, es sei „die Schuld der anderen“, daß es keinen anderen Ausweg gebe (...). So ist die Bourgeoisie - während sie ihre eigenen Illusionen verliert - gleichzeitig immer mehr dazu gezwungen, der Arbeiterklasse gegenüber klar von der Zukunft zu reden, die sie ihr anzubieten hat.
(...) Wenn die Bourgeoisie einerseits der Menschheit keine andere Zukunft als den totalen Krieg anbieten kann, so zeigen andererseits die sich heute entwickelnden Kämpfe, daß das Proletariat nicht willens ist, der Bourgeoisie freien Spielraum zu lassen und daß es eine andere Zukunft anzubieten hat. Eine Zukunft, in der es weder Krieg noch Ausbeutung geben wird: den Kommunismus.
In dem jetzt angebrochenen Jahrzehnt wird sich somit diese Alternative entscheiden: entweder setzt das Proletariat seine Offensive fort, lähmt weiterhin die Mörderhand des zugrundegehenden Kapitalismus und sammelt seine Kräfte für dessen Umsturz, oder es läßt sich in der Falle fangen, erschöpfen, und durch die Reden und die Unterdrückung seitens der Bourgeoise demoralisieren. Somit wäre der Weg frei zu einem neuen Holocaust, der die ganze menschliche Gesellschaft auszulöschen droht. Wenn die 70er Jahre sowohl für die Bourgeoise wie auch für das Proletariat die Jahre der Illusionen waren, so werden die 80er Jahre die Jahre der Wahrheit sein, weil sich die Wirklichkeit dieser Welt vollständig entblößen, und weil sich in diesen Jahren zum Großteil die Zukunft der Menschheit entscheiden wird.“ [iv] [19]
Wie die CWO schreibt, haben wir diese Analyse durch die ganzen 80er Jahre hindurch aufrechterhalten. Dabei war jeder internationale Kongreß, den wir in dieser Periode abgehalten haben, eine Gelegenheit für die IKS, die Gültigkeit dieser Analyse zu bestätigen.
„Zu Anfang der 80er Jahre bezeichneten wir das neue Jahrzehnt als die „Jahre der Wahrheit“ (...) Nach den ersten drei Jahren dieses Jahrzehnts kann man feststellen, daß sich diese Aussage voll bestätigt hat: noch nie war die Sackgasse, in der sich die kapitalistische Wirtschaft befindet, seit den 30er Jahren so deutlich vor Augen getreten; noch nie hat die Bourgeoisie seit dem letzten Weltkrieg solche Waffenarsenale entwickelt, soviel für die Produktion von Zerstörungsmitteln mobilisiert, und seit den 20er Jahren hat das Proletariat noch nie solche Kämpfe mit der Schlagkraft entfaltet wie 1980-81(...).“[v] [20]
Während dieses Kongresses unterstrichen wir aber auch gleichzeitig die Tatsache, daß das Weltproletariat durch den staatlichen Ausnahmezustand in Polen soeben eine große Niederlage erlitten hatte:
„Während die Jahre 1978 bis 80 durch ein weltweites Auftreten von Arbeiterstreiks gekennzeichnet waren (Streiks der Rotterdamer Hafenarbeiter, Stahlarbeiter in Großbritannien, Metallarbeiter in der BRD und Brasilien, die Zusammenstöße in Denain-Longwy in Frankreich, die Massenstreiks in Polen), gab es 1981 und 82 einen deutlichen Rückfluß im Klassenkampf. Dieses Phänomen hat sich besonders in den „klassischen“ kapitalistischen Ländern wie zum Beispiel in Großbritannien gezeigt, wo es 1981 die geringste Zahl von Streiktagen seit 1945 gab, wogegen sie 1979 mit 29 Millionen Streiktagen einen Höchststand seit dem Jahr des Generalstreiks von 1926 erreicht hatten. So kamen die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen sowie die gewaltige Repression nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Der tiefste Punkt der Niederlage der Arbeiter nach dem Sommer 1980, die Kriegserklärung im Dezember 1981, war Teil einer Niederlage des gesamten Proletariats. (...)
Egal wie schwerwiegend die Niederlage der Arbeiterklasse während der letzten Jahre war, sie stellt den historischen Kurs nicht in Frage, da:
- die entscheidenden Bataillone des Weltproletariats nicht an vorderster Front standen:
- die Krise, die nun voll in den Metropolen des Kapitalismus zuschlägt, das Proletariat dieser Metropolen zwingen wird, ihre Kampfreserven, die nämlich bislang noch nicht entscheidend gefordert wurden, voll zur Geltung zu bringen.“
Schon drei Monate später sollte diese Prognose bestätigt werden. Im September 1983 in Belgien und kurz darauf in Holland traten die Arbeiter der öffentlichen Dienste massiv in den Kampf[vi] [21]. Diese Kämpfe blieben nicht isoliert. Nur einige Monate später ergriffen soziale Bewegungen die Mehrheit der fortgeschrittenen Länder: Deutschland, Großbritannien, Frankreich, USA, Schweden, Spanien, Italien und Japan[vii] [22]. Selten konnte man eine derartige internationale Gleichzeitigkeit in den Klassenauseinandersetzungen beobachten, und die Bourgeoisie organisierte in all diesen Ländern ein fast totales Blackout über diese Bewegungen. Ganz offensichtlich hielt sich die herrschende Klasse nicht mit verschränkten Armen zurück, sondern organisierte eine ganze Reihe von Kampagnen und Manövern. Dies vor allem mittels der Gewerkschaften, indem sie die Arbeiter entmutigten, ihre Kämpfe zerstückelten und sie in koorporatistische und sektorielle Sackgassen lenkten. Dies führte während des Jahres 1985 zu einem Rückgang der Arbeiterkämpfe in den wichtigsten europäischen Ländern, vor allem dort, wo die Kämpfe in den vorangegangenen Jahren am heftigsten gewesen waren. Gleichzeitig verstärkten aber all diese Manöver das steigende Mißtrauen gegenüber den Gewerkschaften im Proletariat der meisten fortgeschrittenen Ländern noch. Dies stellte schon immer ein bedeutender Faktor im Bewusstseinsprozess der Arbeiterklasse dar, seit die Gewerkschaften ihr schlimmster Feind sind, der die Aufgabe hat, die Kämpfe des Proletariats von innen zu sabotieren.
„Aus all diesen Gründen, ist das sich entwickelnde Mißtrauen gegenüber den Gewerkschaften ein wichtiges Element im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, und damit der gesamten historischen Situation. Dieses Mißtrauen selbst ist ein entscheidender Grund für den Rückgang der Kämpfe in verschiedenen Ländern. Vor allem dort, wo die Gewerkschaften am meisten diskreditiert sind (wie in Frankreich, infolge der ungewollten Regierungsübernahme durch die Linke 1981). Wenn die Arbeiter während Jahrzehnten die Illusion hatten, es seien nur Kämpfe im Rahmen der Gewerkschaften und mit deren Unterstützung möglich, so ist der Verlust von Vertrauen in diese Organe für den Moment mit einem Verlust auch in die eigene Stärke verbunden und bringt sie dazu, all den sogenannten „Aufrufen zum Kampf“ mit Passivität zu begegnen[viii] [23]. Die wichtigen Kämpfe, die sich wenig später in zwei Ländern entwickelten, die noch 1985 durch eine geringe Kampfbereitschaft aufgefallen waren, Frankreich (vor allem die Eisenbahnerstreiks im Dezember 1986) und Italien 1987 (dort vor allem im Ausbildungsbereich, aber auch bei den Transportarbeitern) waren der Beweis dafür, daß die Kampfwelle, die im September 1983 in Belgien begonnen hatte, sich fortsetzte. Dies wurde sechs Monate später genau in Belgien durch eine sechs Wochen andauernde Bewegung von Kämpfen bestätigt (April - Mai 86). Die wohl bedeutendste Welle seit Ende des Zweiten Weltkrieges, da sie den öffentlichen Sektor, den privaten Sektor und auch die Arbeitslosen umfaßte, das ökonomische Leben fast vollständig blockierte und damit die Regierung zwang, eine Reihe von Angriffen, die sie vorbereitet hatte, zurückzustellen. Während derselben Periode (1986-87) entfalteten sich auch in den skandinavischen Ländern bedeutende Kämpfe (in Finnland und Norwegen zu Beginn des Jahres 1986, und in Schweden im Herbst 1986), in den USA (im Sommer 1986), in Brasilien (eineinhalb Millionen Streikende im Oktober 1986 und massive Kämpfe vom April bis Mai 1987), in Griechenland (2 Millionen Streikende im Januar 1987), in Jugoslawien (Frühling 1987), in Mexiko, in Südafrika, usw. Auch den spontanen Streik von 140`000 Beschäftigten bei British Telecom Ende Januar 1987, der außerhalb der Gewerkschaften stattfand, gilt es hervorzuheben.
Die Bourgeoisie reagierte auf diese Kampfbereitschaft erneut mit ausgedehnten Manövern. Das Ziel dabei war die Spaltung mittels aufgeblähter ideologischer Kampagnen über den „islamischen Terrorismus“, den „Frieden“ zwischen den Großmächten (Unterzeichnung der SALT Verträge zur Reduzierung der Atomwaffen), das Trachten des Volkes nach „Freiheit und Demokratie“ (die internationale „Glasnost“ Kampagne Gorbatschows), die Ökologie und über die „humanitären“ militärischen Interventionen in der Dritten Welt[ix] [24]. Daneben wurden aber auch Kampagnen gestartet, um den Mißkredit gegenüber klassischen Gewerkschaften mittels neuer gewerkschaftlicher Formen („Kampf-“ und „Basisgewerkschaften“, ect.) wieder gut zu machen. Der bedeutendste Ausdruck dieses bürgerlichen Manövers (meist von linken Organisationen, oft aber auch von Gewerkschaftern und traditionellen linken Parteien, wie den Stalinisten oder der Sozialdemokratie, inszeniert) war die Bildung der „Koordinationen“ in den zwei Ländern, in denen die klassischen Gewerkschaften am stärksten angeschlagen waren: in Italien (dort vor allem in Transportsektor) und in Frankreich (an erster Stelle während des wichtigen Streiks in den Krankenhäusern, im Herbst 1988)[x] [25]. Eine der Funktionen dieser Organisationen, die sich als „Ausdruck der Basis“ und als „Gegen-Gewerkschaften“ ausgaben, war das einschleichen des korporatistsichen Giftes in die Reihen der Arbeiterklasse, mit dem Argument, die Gewerkschaften würden die Interessen der Arbeiter deshalb nicht vertreten, weil sie nach Branchen und nicht nach Berufen organisiert seien.
Diese Manöver hatten eine Wirkung, die wir damals beschrieben: „Dank dieser Manövrierfähigkeit der Bourgeoisie hat sie es bislang geschafft, den Prozeß der Ausdehnung und Vereinigung, der im Mittelpunkt dieser Kampfwelle steht, einzudämmen.“[xi] [26] Bezüglich der Schwierigkeiten, mit denen die Arbeiterklasse zu kämpfen hatte, erinnerten wir an „das Gewicht des ideologischen Zerfalls der Gesellschaft, auf das sich die Manöver der Bourgeoisie stützen und noch mehr stützen werden, um die Atomisierung, das „Jeder für sich“ noch mehr zu verstärken und das wachsende Selbstvertrauen der Arbeiter in ihre eigene Kraft und die Zukunft ihres Kampfes zu schwächen.“ (dito)
Wir hoben ebenfalls hervor, daß, auch wenn „das Phänomen des Zerfalls ein schwerwiegendes Gewicht in der heutigen Periode darstellt, dies auch in Zukunft bleiben wird,“ und „dies eine große Gefahr für die Arbeiterklasse ist, (...) diese Feststellung jedoch keinesfalls eine Quelle der Entmutigung und Skepsis sein darf.“ Denn „während der 80er Jahre war das Proletariat fähig, auch trotz dieses negativen Gewichts des Zerfalls, das systematisch von der herrschenden Klasse ausgenützt wurde, seine Kämpfe als eine Antwort auf die Folgen der Vertiefung der Krise zu entwickeln...“ [xii] [27]
Diese Analyse vom Stand des Klassenkampfes machten wir nur einige Monate vor einem der wohl bedeutendsten Ereignisse der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg: dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime in Europa und der UdSSR.
Die IKS hat dieses Ereignis nicht vorausgesehen (so wie auch die anderen Organisationen des revolutionären Milieus oder die „Experten“ der Bourgeoise nicht). Trotzdem waren wir im September 1989, zwei Monate vor den Fall der Berliner Mauer, eine der ersten, die diese Ereignisse einordnen konnten[xiii] [28]. Wir beschrieben den Zusammenbruch des Ostblocks als den bisher klarsten Ausdruck des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft. In diesem Sinne gingen wir sofort davon aus, daß dieses Ereignis „die Arbeiterklasse vor eine schwierige Lage“[xiv] [29] stellen würde. In Übereinstimmung mit unseren bisherigen Analysen schrieben wir: „Die systematische Gleichstellung des Kommunismus mit Stalinismus, die tausendmal wiederholte und auch heute noch verbreitete Lüge, derzufolge die proletarische Revolution nur scheitern kann, wird mit dem Zusammenbruch des Stalinismus noch eine Zeitlang eine Wirkung in den Reihen der Arbeiterklasse haben. Deshalb kann man mit einem vorübergehendes Rückgang des Bewußtseins der Arbeiter rechnen (...) Insbesondere die reformistische Ideologie wird noch sehr stark auf den Kämpfen der nächsten Zeit lasten, wodurch die Aktionen der Gewerkschaften begünstigt werden. Aufgrund der geschichtlichen Bedeutung der genannten Faktoren wird der gegenwärtige Rückfluß des Klassenkampfes - ungeachtet der Tatsache, daß er den historischen Kurs, die allgemeine Perspektive breiter Zusammenstöße zwischen den Klassen, nicht in Frage stellt - weitreichender sein als der Rückfluß, der die Niederlage in Polen 1981 begleitet hatte.“[xv] [30].
Es ist in der Tat ein wenig leichtfertig, wenn die CWO behauptet, daß der Zusammenbruch des Stalinismus „der IKS erlaubt hat, sich mit Verrenkungen aus den Konsequenzen der Perspektive der „Jahre der Wahrheit“ herauszuwinden.“ In keiner Weise, etwa um ein Scheitern unserer Analyse über die Kämpfe der 80er Jahren zu übertünchen, haben wir erklärt, daß die Ereignisse von 1989 einen Rückschlag für die Arbeiterklasse mit sich bringen werden. Wie schon aufgezeigt, haben wir uns diese These nicht einfach aufgesetzt wie einem Hasen einen Hut, sondern sie steht in absoluter Übereinstimmung mit dem generellen Rahmen unserer Analyse. Wenn die 80er Jahre mit einer Reihe von Niederlagen für die Arbeiterklasse zu Ende gingen, so beweist dies keineswegs etwa die Falschheit unserer Analyse über die historische Periode, wie die CWO behauptet.
Erstens kann man sich bei einer solchen Behauptung nicht auf das Auftauchen eines Ereignisses stützen, das niemand voraussehen konnte (auch wenn der Marxismus es erlaubt, im nachhinein eine Erklärung zu liefern). Haben die Revolutionäre des 19. Jahrhunderts eines der wohl bedeutendsten Ereignisse ihres Jahrhunderts vorhersehen können: die Pariser Kommune von 1870? Hat Lenin vorhersehen können, was einige Wochen später, die Februarrevolution 1917 in Rußland, Vorläufer des Roten Oktobers, geschah, als er zu jungen Arbeitern in der Schweiz sagte: „Wir, die Alten, werden vielleicht die entscheidenden Kämpfe dieser kommenden Revolution nicht erleben“ („Ein Vortrag über die Revolution von 1905“, 9. Januar 1917, MEW Bd. 23, S. 261) In jedem Falle jedoch ist es die Aufgabe der Marxisten, rasch auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren und unverzüglich Lehren und Konsequenzen daraus zu ziehen. Dies tat auch Marx, noch bevor die Kommune niedergeschlagen war („Der Bürgerkrieg in Frankreich“). Und auch Lenin, sobald er Neuigkeiten über die Februarrevolution erhalten hatte, schrieb seine „Briefe aus der Ferne“ und die „Aprilthesen“. Wir selbst haben seit Ende Sommer 1989 hervorgehoben, welche Auswirkungen die Ereignisse im Osten sowohl auf die imperialistischen Widersprüche als auch auf die Entwicklung des Klassenkampfes haben werden.
Dies bedeutet, daß die wenn auch unvorhergesehenen Erschütterungen von 1989 unsere Analyse von Ende 1979 nicht in Frage stellen: „so werden die 80er Jahre die Jahre der Wahrheit sein, (...) weil sich in diesen Jahren zum Großteil die Zukunft der Menschheit entscheiden wird“.
Tatsächlich stand in dieser Periode ein Teil der historischen Perspektive auf dem Spiel. Zu Beginn der 80er Jahre führte die Bourgeoise - vor allem im Westen - gleichzeitig von einer massiven Aufrüstung begleitet, enorme Kampagnen durch, um die Arbeiterklasse mit dem Ziel eines neuen Weltkrieges hinter sich zu scharen. Dabei versuchte die herrschende Klasse, von der Niederlage der polnischen Arbeiter 1981 zu profitieren, die erstens eine große Verwirrung unter den Arbeitern im Westen auslöste und es ihr möglich machte, das „Reich des Teufels“ anzuklagen (wie Reagan es ausdrückte). Die Kampfwelle von 1983 hat dies zunichte gemacht. Noch weniger als in den 70er Jahren, war die Arbeiterklasse der zentralen Länder bereit, sich für einen generalisierten Krieg mobilisieren zu lassen.
Die Unfähigkeit der Bourgeoisie, ihre eigene Antwort auf die Krise ihres Systems zu geben - der imperialistische Krieg - und die Tatsache, daß die Arbeiterklasse gleichzeitig auch nicht in der Lage war, ihre eigene revolutionäre Perspektive zu entfalten, hat die kapitalistische Gesellschaft in die Phase des Zerfalls geführt[xvi] [31]. Einer der deutlichsten Ausdrücke davon war eben gerade der Kollaps des stalinistischen Regime, der auch die Möglichkeit eines neuen Weltkrieges deutlich verringert hat.
Die 80er Jahre endeten unerwarteterweise mit den Zusammenbruch des Ostblocks und all seinen Auswirkungen, mit einer unvorhergesehnen Bestätigung der Realität des dekadenten Kapitalismus: ein unbeschreibliches Chaos und eine Barbarei, die sich tagtäglich verschärft.
Wie man sehen kann, steht die These der CWO über den „Bankrott der Perspektiven der IKS“ nicht auf dem Boden der Tatsachen und auch nicht auf unserer eigenen Analyse. Wenn es eine Organisation gibt, die gegenüber den Ereignissen der 80er Jahre blind war, so ist dies nicht die IKS, sondern die CWO (und das IBRP) selbst. Eine Organisation, welche die Ereignisse der damaligen Periode mit folgenden Worten beschreibt:
„(...) 1976 gelang es der herrschenden Klasse mittels den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie, den sozialen Frieden wieder herzustellen. Dies war ein sozialer Frieden, der durch große Kämpfe der Arbeiterklasse unterbrochen wurde (Polen 1980-81, die belgischen Hafenarbeiter 1983 und der Streik der britischen Bergarbeiter 1984-85). Wie auch immer, es gab keine internationale Welle von Streiks wie 1968-74, und all diese Bewegungen endeten in einem noch größeren Rückzug der Arbeiterklasse gegenüber den kapitalistischen Angriffen.“ [xvii] [32]
Eine solche Behauptung macht geradezu sprachlos. Nur um einige Beispiele zu geben: Die CWO erinnert lediglich an den Streik der Hafenarbeiter 1983 in Belgien und vergißt dabei, daß der gesamte öffentliche Sektor miteinbezogen war. Für sie existieren offenbar die Kämpfe im Frühling 1986 nicht, die im selben Land ausbrachen und eine viel größere Bedeutung hatten (1 Million Arbeiter beteiligten sich daran, in einem Land, das weniger als 10 Millionen Einwohner zählt). Desgleichen die Streiks im öffentlichen Sektor in Holland im Herbst 1983, die wichtigsten seit 1903, sie wurden von der CWO offensichtlich gar nicht bemerkt. Man könnte meinen, daß die Blindheit der CWO daher rührt, daß sie selbst, wie auch die andere Organisation des IBRP, Battaglia Comunista, in diesen Ländern nicht präsent ist, und dass sie, wie die große Mehrheit des Weltproletariates, Opfer der international durch die Medien der Bourgeoise organisierten Nachrichtensperre waren, indem diese die sich entfaltenden sozialen Bewegungen verschwiegen. Selbst wenn dies der Fall wäre, eine Entschuldigung ist es keineswegs: Eine revolutionäre Organisation darf sich, um die Situation des Klassenkampfes zu analysieren, nicht nur damit zufriedengeben, die Zeitungen in den Ländern zu lesen, in denen sie präsent ist. Sie soll sich auch auf die Informationen aus der Presse anderer revolutionärer Organisationen stützen, beispielsweise der unseren, welche über solche Ereignisse berichtet. Und genau dort liegt auch das Problem: es ist nicht die IKS, die mit „den objektiven Widersprüchen zwischen (ihren) Perspektiven und der kapitalistischen Realität“ konfrontiert ist. Es ist auch nicht die IKS, die „während Jahren versucht hat die Realität zu ignorieren“ um die Irrtümer ihrer Perspektive zu vertuschen, wie es die CWO behauptet - es ist die CWO selbst. Der beste Beweis dafür: Wenn die CWO über die „großen Kämpfe der Arbeiterklasse“ redet, welche in Großbritannien den „sozialen Frieden unterbrochen haben“, dann beziehen sie sich lediglich auf den Bergarbeiterstreik von 1984-85 und ignorieren vollständig die herausragenden Mobilisierungen von 1979, die größten seit einem halben Jahrhundert. Auch beziehen sie sich auch nicht auf die wichtige Bewegung in den Schulen Italiens 1987, selbst wenn die Schwesterorganisation der CWO, Battaglia Comunista, sich dabei an vorderster Front befand.
Wie läßt sich die Blindheit oder mehr noch der Unwille der CWO, die Realität zu sehen, erklären? Es ist die CWO, die uns eine Antwort darauf gibt (indem sie dies der IKS unterstellt), weil diese Realität ihre eigenen Perspektiven widerlegt hat. Vor allem aber hat die CWO, sowie auch das IBRP, die Frage des historischen Kurses nie wirklich begriffen.
Der Polemik mit dem IBRP über den historischen Kurs hat die IKS, vor allem in der Internationalen Revue, schon zahlreiche Artikel gewidmet[xviii] [33]. Wir wollen hier nicht auf alles bei diesen Gelegenheiten Geschriebene zurückkommen, bei dem es vor allem um das Fehlen einer Methode beim IBRP geht, die historische Periode einzuschätzen, in der die heutigen Arbeiterkämpfe stattfinden. Eines soll jedoch kurz gesagt sein: Das IBRP verwirft sogar den Begriff des historischen Kurses, so wie er während der 30er Jahre von der Linken Fraktion der Kommunistischen Partei Italiens entwickelt worden war. Nur so konnte die Fraktion damals verstehen, daß der Kurs Richtung Krieg und der Kurs in Richtung Klassenkonfrontationen nicht parallel laufen können, sondern sich gegenseitig ausschließen. Und somit konnte die Fraktion in einer Phase der tiefen Konterrevolution, sobald der Kapitalismus 1929 in eine neue offene ökonomische Krise fiel, auch die Unabwendbarkeit eines zweiten Weltkrieges voraussehen.
Für das IBRP „geht der Akkumulationszyklus, der nach den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte, seinem Ende zu. Der Aufschwung nach dem Krieg hat seit langem der globalen Krise Platz gemacht. Erneut steht die Frage des imperialistischen Krieges oder der proletarischen Revolution auf der Tagesordnung der Geschichte.“ (Plattform des IBRP von 1994, übersetzt durch uns) Aber gleichzeitig anerkennt das IBRP heute (was damals nicht der Fall war), daß „auf internationaler Ebene eine massive Antwort der Arbeiter auf die Angriffe der kapitalistischen Krise Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre“ stattfand. („Perspectives of the CWO“, Revolutionary Perspectives Nr. 5 ) Dennoch hat sich das IBRP immer geweigert zu anerkennen, daß der Kapitalismus Ende der 60er Jahre deshalb nicht in einen neuen imperialistischen Weltkrieg gefallen ist, weil die Antwort der Arbeiterklasse auf die ersten Attacken der Krise ein Beweis dafür ist, daß diese nicht bereit ist, sich wie in den 30er Jahren in einen neuen Holocaust mobilisieren zu lassen. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage „weshalb der Weltkrieg noch nicht ausgebrochen ist“, auch wenn „auf objektiver Ebene alle Gründe für das Auslösen eines generalisierten Krieges vorhanden sind“, beginnt die theoretische Zeitschrift von Battaglia Comunista Prometeo (Nr. 11, Dezember 1987) mit der Behauptung: „Es ist klar, daß nie ein Krieg geführt werden konnte ohne die Bereitschaft des Proletariats und der anderen arbeitenden Klassen, sowohl zum Kampf als auch zur Kriegsproduktion. Es ist offensichtlich: Ohne williges und kontrolliertes Proletariat wird kein Krieg möglich sein. Und es ist ebenfalls offensichtlich, daß ein Proletariat, das voll im Begriff ist, den Kampf wieder aufzunehmen, Zeichen des Aufstiegs einer Gegentendenz ist: Zeichen der Antithese des Krieges, des Marsches hin zur sozialistischen Revolution.“ Dies ist haargenau die Art und Weise, wie auch wir, die IKS, uns die Frage stellen. Doch ist es ebenfalls genau dieselbe Methode, welche in einem in Battaglia Comunista Nr. 83 (März 1987) veröffentlichten und in Englisch im Organ des IBRP Communist Review Nr. 5 unter dem Titel „Die IKS und der „historische Kurs“: eine falsche Methode“ wiederaufgenommenen Artikel kritisiert wird. In diesem Artikel kann man unter anderem folgendes lesen: „Die Form des Krieges, seine technischen Mittel, sein Tempo, seine Charakteristiken im Vergleich zur Bevölkerung als Ganzes, haben sich stark geändert seit 1939. Genauer, der Krieg braucht heute weniger den Konsens oder die Passivität der Arbeiterklasse als die Kriege von gestern (...) Kriegsaktionen sind möglich ohne die Zustimmung des Proletariates.“ Verstehe dies wer wolle! Vor allem ist nun offensichtlich, daß das IBRP nicht genau weiß, wovon es spricht. Zusammenhänge sind auf jeden Fall nicht gerade das Steckenpferd des IBRP.
Auch die Art und Weise, wie das IBRP auf die Krise die zum Golfkrieg 1991 führte, reagiert hat, ist ein weiterer Beweis dieses Mangels an Kohärenz. In der Englischen Ausführung eines Aufrufs des IBRP zu diesen Ereignissen (die Italienische Version ist nicht identisch!) kann man folgendes lesen: „Wir müssen die Kriegspläne und Vorbereitungen (unseres „eigenen“ Staates) bekämpfen (...) Allen Versuchen, neue Streitkräfte zu schicken, muss zum Beispiel mit Streiks in den Häfen und Flughäfen begegnet werden (...) wir rufen die britischen Ölarbeiter in der Nordsee dazu auf, ihren Kampf zu verstärken und die Bosse an einer Erweiterung der Produktion zu hindern. Dieser Streik muss auf alle Ölarbeiter ausgeweitet werden und auch auf alle anderen Arbeiter.“ (Workers Voice, Nr. 53) Wenn jedoch „Kriegsaktionen möglich sind, ohne die Zustimmung des Proletariates“, welchen Sinn macht dann ein solcher Aufruf? Kann uns die CWO dies erklären?
Kommen wir zurück auf den Artikel in Prometeo Nr. 11, in dem zu Beginn noch mit denselben Worten wie bei der IKS an diese Frage herangegangen wird. Dort steht folgendes: „Die Tendenz Richtung Krieg schreitet rasch voran, das Niveau der Klassenauseinandersetzung jedoch ist absolut unter dem Stand, den es zum Zurückschlagen der schweren Angriffe gegen das internationale Proletariat erfordert.“ Für das IBRP ist es demnach nicht der Klassenkampf, der eine Antwort auf die von ihm selbst gestellte Frage „weshalb ist der Weltkrieg noch nicht ausgebrochen?“ eine Antwort gibt. Die zwei Antworten, die das IBRP, gibt sind folgende:
- die militärischen Bündnisse sind noch nicht genug entwickelt und instabil;
- die Atomwaffen sind für die herrschende Klasse ein abschreckender Faktor, da sie für das Überleben der Menschheit eine Bedrohung darstellen[xix] [34].
In der Internationalen Revue Nr. 54 (engl,. franz,. span.) haben wir auf diese „Argumente“ eine ausführliche Antwort gegeben. Wir beschränken uns hier darauf, zu erinnern, daß das zweite Argument eine für Marxisten absolut unzulängliche Konzession an die bürgerlichen Kampagnen ist, die Atomwaffen immer als einen Garanten für den Weltfrieden darstellen. Ihr erstes Argument wurde durch das IBRP selbst verworfen, indem sie bei Ausbruch des Golfkrieges schrieben: „Der Dritte Weltkrieg hat am 17. Januar begonnen“ (Battaglia Comunista, vom Januar 1991), obwohl die Bündnisse, welche die Erde mehr als ein halbes Jahrhundert dominiert hatten, zu diesem Zeitpunkt gerade am Auseinanderfallen waren. Das IBRP kam später erneut auf diese Analyse des bevorstehenden Krieges zurück. In den Perspektiven der CWO zum Beispiel steht heute: „Ein generalisierter Krieg zwischen den führenden imperialistischen Mächten ist hinausgeschoben worden.“ Das Problem liegt bei der unglücklichen Gewohnheit des IBRP, widersprüchliche Analysen zu machen. Offensichtlich schützt sie dies vor solchen Fehlern, wie die an der IKS kritisierte Aufrechterhaltung derselben Analyse während der gesamten 80er Jahre. Nun, ein Zeichen von Überlegenheit gegenüber der Methode der IKS ist das aber wohl kaum.
Die CWO wird uns vermutlich erneut der Lügen beschuldigen, so wie sie das schon des öfteren in ihren Polemiken getan hat. Sie wird vielleicht den großen Regenschirm der „Dialektik“ öffnen, um zu beweisen, daß alles was sie (oder das IBRP) sagt, mitnichten widersprüchlich sei. Beim IBRP hat die „Dialektik“ ein dickes Fell. Doch in der marxistischen Methode hat Dialektik nie bedeutet, eine Sache zu behaupten und gleichzeitig genau dessen Gegenteil.
„Verfälschung“ wird die CWO rufen. Doch laßt uns noch ein Beispiel nicht bezüglich einer zweitrangigen oder zufälligen Frage geben (wo Widersprüche leichter verzeihbar sind), sondern anhand einer ganz grundsätzlichen Frage: Ist die Konterrevolution zu Ende, welche nach der Niederlage der revolutionären Welle nach dem Ersten Weltkrieg auf die Arbeiter niederprasselte?
Gehen wir davon aus, daß eine Antwort auf die soeben von uns gestellte Frage vorhanden ist, dies auch wenn das IBRP nicht fähig ist, eine klare und kohärente Antwort auf die Frage des historischen Kurses zu geben[xx] [35].
Eine solche Antwort findet man jedoch weder in der Plattform des IBRP von 1994, noch in den „Perspektiven“ der CWO vom Dezember 1996. Beides Orte, an denen dafür Platz hätte eingeräumt werden müssen. In anderen Texten aber sind wir der Antworten fündig geworden:
- Im Artikel von Revolutionary Perspectives Nr. 5, aus dem wir schon zitiert haben, scheint die CWO zu behaupten, daß die Konterrevolution noch nicht beendet ist, weil sie die Idee der IKS verwirft, nach der „der Mai 1968 der Konterrevolution ein Ende gesetzt hat“;
- diese Behauptung scheint mit den Thesen übereinzustimmen, welche vom 5. Kongreß von Battaglia Comunista, auch wenn nicht klar ausgedrückt, 1982 angenommen wurden (siehe Prometeo Nr. 7): „wenn das Proletariat heute, mit der Tiefe der Krise konfrontiert und den wiederholten Angriffen der Bourgeoisie ausgesetzt, sich noch nicht als fähig gezeigt hat zu antworten, dann heißt dies ganz einfach, daß die langandauernde Arbeit der weltweiten Konterrevolution noch im Bewußtsein der Arbeiter aktiv ist.“
Hält man sich an diese zwei Texte, so könnte man sagen, es herrsche eine gewisse Gradlinigkeit in der Vision des IBRP: das Proletariat hat die Konterrevolution noch nicht überwunden. Nun besteht aber das Problem darin, daß man 1987 in „Die IKS und der historische Kurs: eine verwirrte Methode“ (Communist Review, Nr. 5) folgendes lesen kann: „Die Periode der Konterevolution, welche auf die Niederlage der Oktoberrevolution folgte, ist zu Ende“, und „es gibt keine fehlenden Zeichen einer Wiederaufnahme des Kampfes, und wir müssen diese auch nicht hervorheben.“
So gibt es offenbar auch auf eine so einfache Frage nicht eine Position des IBRP, sondern mehrere Positionen. Versuchen wir die verschiedenen veröffentlichten Texte der Organisationen, die das IBRP bilden, zusammenzufassen, so läßt sich ihre Analyse folgendermaßen umschreiben:
- „Die Bewegungen, die sich 1968 in Frankreich, 1969 in Italien, sowie in anderen Ländern entfaltet haben, sind in ihrem Wesen Revolten des Kleinbürgertums“ (Position von Battaglia Comunista zu jener Zeit), aber sie sind dennoch „eine massive internationale Antwort der Arbeiter auf die Angriffe der kapitalistischen Krise“ (CWO, Dezember 1996);
- „die lange Arbeit der Konterrevolution ist im Bewußtsein der Arbeiter noch aktiv“ (Battaglia Comunista, 1982), doch ist „die Periode der Konterevolution, welche auf die Niederlage der Oktoberrevolution folgte zu Ende“ (Battaglia Comunista 1987), was mitnichten in Frage stellt, daß die gegenwärtige Periode „eine Fortsetzung der kapitalistischen Herrschaft ist, welche, nur sporadisch angegriffen, seit Ende der revolutionären Welle, die dem Ersten Weltkrieg folgte, regiert.“ (CWO 1988, in einem an die CBG geschickten und in deren Bulletin Nr. 13 veröffentlichten Brief);
- „seit 1976 (und bis heute) war die herrschende Klasse (...) fähig, erneut den sozialen Frieden einzuführen“ (CWO, Dezember 1996), wohingegen „diese Kämpfe (die Bewegung der COBAS 1987 in den Schulen in Italien und die Streiks im selben Jahr in Großbritannien) Bestätigungen für den Beginn einer Periode sind, die durch ein Hervortreten der Klassenkonflikte gezeichnet ist“. (Battaglia Comunista, Nr. 3, März 1988)
Auf den ersten Blick könnte man nun davon ausgehen, daß diese verschiedenen widersprüchlichen Positionen auf bestehende Divergenzen zwischen der CWO und Battaglia Comunista zurückzuführen sind. Seit solche Feststellungen jedoch offenbar „Verleumdungen“ der IKS sind, die dazu einladen „ihr den Mund zu stopfen“, wenn sie solche Ideen verbreitet („Sekten, Lügen und die verlorene Perspektive der IKS“, RP Nr. 5), dürfen wir solche Sachen natürlich nicht mehr sagen! Seit es offenbar keine Differenzen mehr gibt zwischen den zwei Organisationen, müssen wir nun eben davon ausgehen, daß im Kopf jedes Militanten des IBRP solche widersprüchlichen Positionen vorhanden sind. Wir selbst zweifeln daran, doch ist es die Aufgabe der CWO, uns dies zu beweisen.
Sollten all diese Widersprüche für die Militanten des IBRP nicht ein Anstoß zum Nachdenken sein? Diese Genossen sind fähig zu klaren und kohärenten Gedanken. Doch weshalb enden sie beim Versuch, die gegenwärtige Periode zu analysieren, in einem solchen Durcheinander? Ist es nicht gerade aufgrund ihres unzweckmäßigen Rahmens, und weil sie im Namen der „Dialektik“ die marxistische Genauigkeit hinter sich lassen, um dafür im Immediatismus und Empirismus zu versinken, wie wir das schon in anderen Polemiken aufgezeigt haben.
Es steckt aber auch noch etwas anderes hinter den Schwierigkeiten des IBRP, den gegenwärtigen Stand des Klassenkampfes kohärent und klar anzupacken: eine konfuse Analyse der Gewerkschaftsfrage, die sie unfähig macht, zum Beispiel gerade die Wichtigkeit des Phänomens des Imageverlustes der Gewerkschaften während der 80er Jahre zu begreifen. Wir werden auch auf diese Frage in einem späteren Artikel zurückkommen.
Im Moment können wir der CWO jedoch schon folgende Antwort geben: Die IKS machte nicht aufgrund ihrer Analyse der gegenwärtigen historischen Periode oder des Standes des Klassenkampfes die Krise durch, von der wir in unserer Presse berichtet haben. Für eine revolutionäre Organisation gibt es - im Gegensatz zu dem was die CWO, welche seit 1981 immerfort dieselbe Diagnose stellt, denkt - auch andere Faktoren der Krise. Dabei im speziellen organisatorische Fragen. Dies hat uns, nebst vielen anderen Beispielen, die Krise der SDAPR (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands) nach ihrem 2. Kongreß 1903 gezeigt. Wie auch immer, wir erlauben uns, die CWO (und auch das IBRP) brüderlich zu warnen: Wenn für sie eine fehlerhafte Analyse der historischen Situation der alleinige oder wichtigste Grund für die Krise einer Organisation darstellt (möglicherweise aufgrund ihrer eigenen Erfahrung), dann sollten sie sehr vorsichtig sein. Durch die Anhäufung von Ungenauigkeiten in ihrer eigenen Analyse befinden sie sich demnach in größter Gefahr.
Dies ist gewiß nicht unser Wunsch. Wir hoffen, daß die CWO und das IBRP ein für alle Mal mit ihrem Immediatismus und Empirismus brechen und die besten Traditionen der Kommunistischen Linken und des Marxismus wieder aufnehmen.
Fabienne
[i] [36] Siehe unseren Artikel über den 11. Kongreß der IKS in der Internationalen Revue Nr. 16.
[ii] [37] a. a. O.
[iii] [38] Wir wollen die CWO darauf hinweisen, daß wenn sie die Probleme, mit denen die IKS konfrontiert war, aufgreifen will, es für sie ratsam wäre, die Analyse, welche wir davon gemacht haben, zuerst seriös zu studieren und nicht ihre eigenen Vermutungen als Ausgangspunkt zu verwenden. Die Analyse der organisatorischen Krise der IKS wurde in unserer Presse veröffentlicht. Falls die CWO glaubt, mehr darüber zu wissen als wir selbst, sollten sie zumindest (falls sie dazu fähig sind) aufzeigen, wo diese Analyse fehlerhaft ist.
[iv] [39] Internationale Revue Nr. 5: „Die 80er Jahre: Jahre der Wahrheit“
[v] [40] „Resolution zur internationalen Lage“, 5. Kongreß der IKS, Juli 1983, Weltrevolution Nr. 12
[vi] [41] Siehe den Artikel: „Belgien - Holland, Krise und Klassenkampf“ , Internationale Revue Nr. 38 (engl., franz., span.)
[vii] [42] Zu den Charakteristiken und der Ausdehnung dieser Kämpfe, siehe unseren Artikel „Gleichzeitigkeit der Arbeiterkämpfe: welche Perspektive?“ Internationale Revue Nr. 38 (engl., franz., span.)
[viii] [43] „Resolution zur internationalen Lage“, angenommen am 6. Kongreß der IKS, Internationale Revue Nr. 44 (engl., franz., span.)
[ix] [44] Siehe dazu unseren Artikel „Die Manöver der Bourgeoisie gegen die Vereinigung der Arbeiterkämpfe“, Internationale Revue Nr. 58 (engl., franz., span.)
[x] [45] Siehe unseren Artikel „Frankreich, die „Koordinationen“ als Speerspitze der Sabotage der Kämpfe“, Internationale Revue Nr. 58 (engl., franz., span.)
[xi] [46] „Resolution zur internationalen Situation“ vom 8. Kongreß der IKS, Internationale Revue Nr. 11
[xii] [47] „Präsentation der Resolution zur internationalen Lage“, Internationale Revue Nr. 59 (engl., franz., span.)
[xiii] [48] Siehe: „Thesen zur ökonomischen und politischen Krise in der SU und den osteuropäischen Ländern“, Internationale Revue Nr. 12
[xiv] [49] Titel eines Artikels vom November 1989 in der Internationalen Revue Nr. 12
[xv] [50] Aus den „Thesen“, Punkt 22. Auch wenn wir im Herbst 1989 den Rückfluß des Klassenbewußtsein vorausgesagt hatten, was sich seither bestätigte und auch in unserer Presse unterstrichen wurde, erlaubt sich die CWO in der Antwort an einen Leser folgendes zu schreiben: „Sie (die IKS), glaubt immer noch, entgegen allen Offensichtlichkeiten, daß wir uns in einer Phase des hohen Klassenbewußtseins befinden. Alles was die Revolutionäre zu tun hätten, sei die Arbeiter über den Mythos der Gewerkschaften aufzuklären, und der Weg zur Revolution sei offen.“ Offenbar ist es einfacher die Argumente des Gegenübers zu entstellen und verfälschen, um sie widerlegen zu können. Nur ist dies für die Debatte nicht sehr hilfreich!
[xvi] [51] Siehe dazu unsere Analyse des Zerfalls des Kapitalismus: „Der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft“, Internationale Revue Nr. 13
[xvii] [52] „Perspektiven der CWO“, angenommen durch die Generalversammlung der CWO im Dezember 1996, Revolutionary Perspectives Nr. 5
[xviii] [53] Internationale Revue Nr. 36, 41, 50, 54, 55, 59, 72. (engl., franz., span.)
[xix] [54] Um es auf den Punkt zu bringen geht Battaglia sogar soweit, zu schreiben: daß „ „ Am Tag nach der Unterzeichnung des Vertrags über den Verzicht auf Atomwaffen wird der Krieg erklärt werden“ - dies ist ein noch gerade klassischer Witz unter uns, der den Geschmack der Wahrheit in sich hat“. (BC,.4, April 1986) Als wäre die Bourgeoisie eine Klasse der „Fairness“, welche ihre Versprechen und Unterschriften auf dem Papier einhalten würde!
[xx] [55] Das IBRP schreibt in ihrem Artikel „Die IKS und der „historische Kurs“: eine verwirrte Methode“, mit dem es zugleich jegliche Verteidigung eines historischen Kurses verwirft: „Im Gegensatz zu dem von der IKS gestellten Problem, genaue Propheten der Zukunft zu werden, besteht die Schwierigkeit darin, daß die Subjektivität nicht mechanisch den objektiven Bewegungen folgt (...) Niemand kann glauben, daß die Reifung des Bewußtseins (...) exakt auf ein absehbares Datum vorbestimmt ist.“ Wir erwarten keinesfalls von Revolutionären „genaue Propheten der Zukunft zu werden“ oder daß sie „das Bewußtsein auf ein exaktes Datum vorbestimmen“, sondern lediglich, daß sie auf folgende Frage ein Antwort geben können: „Sind die Kämpfe welche sich seit 1968 entwickelt haben nun ein Zeichen dafür, daß die Arbeiterklasse nicht bereit ist, sich in einen Dritten Weltkrieg mobilisieren zu lassen, oder sind sie es nicht? Diese Fragestellung auf den Kopf stellend, beweist das IBRP, entweder nichts verstanden zu haben oder keine Antwort darauf geben zu können.
“Mehr noch als in der Wirtschaft hat das dem Zerfall eigene Chaos Auswirkungen auf die politischen Beziehungen zwischen den Staaten. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs des Ostblocks, der zur Auflösung der Allianzen führte, die aus dem 2. Weltkrieg hervorgegangen waren, schrieb die IKS:
- daß diese Lage die Bildung neuer Blöcke auf die Tagesordnung setzte, auch wenn dies noch nicht sofort möglich würde, wobei einer der Blöcke von den USA, der andere von Deutschland angeführt würde;
- daß die neue Lage sofort zu einer Reihe von Zusammenstößen führen würde, die zuvor durch das Abkommen von Jalta in einem für die beiden Gendarmen der Welt in einem “annehmbaren” Rahmen gehalten werden konnten. (...)
“Seitdem ist diese Tendenz des “Jeder gegen Jeden”, des Chaos in den Beziehungen zwischen den Staaten mit seiner Reihe von zeitlich begrenzten und kurzweiligen Bündnissen nicht in Frage gestellt worden, sondern genau das Gegenteil ist eingetreten” (...)
“...dann hat die Tendenz des “Jeder für sich” ziemlich schnell Überhand gewonnen im Verhältnis der Tendenz zur Bildung von festen Blöcken, die als Grundlage zukünftiger imperialistischer Blöcke dienen könnten, wodurch wiederum die militärischen Zusammenstöße zugenommen haben.” (“Resolution über die internationale Lage”, Internationale Revue Nr. 19)
Dies sind die Worte, mit welchen die IKS an ihrem 12. Kongreß die internationale imperialistische Situation beschrieben hat, eine Auffassung, die in den letzten Monaten durch zahlreiche Ereignisse veranschaulicht und bestätigt worden ist. Die wachsende Instabilität der kapitalistischen Welt drückt sich vor allem in einer Vervielfachung von mörderischen Konflikten an allen Ecken der Welt aus. Diese Verschärfung der kapitalistischen Barbarei ist vor allem das Werk der Großmächte, welche nicht aufhören, uns einerseits “eine Welt des Friedens und Wachstums” zu versprechen, deren immer heftigere und offenere Rivalitäten der Menschheit jedoch immer mehr Tote und eine Verallgemeinerung des Terrors und der Misere bescheren.
“Seitdem die Teilung der Welt in zwei Blöcke aufgehoben ist, wird die Autorität der ersten Großmacht der Welt ständig durch ihre ehemaligen Verbündeten herausgefordert.” Deshalb war diese gezwungen, gegenüber ihren Rivalen und deren imperialistische Interessen in der vergangenen Periode eine “massive Gegenoffensive” zu starten, vor allem im ehemaligen Jugoslawien und in Afrika. Nichtsdestotrotz fahren die ehemaligen Verbündeten der USA fort, diese gerade in deren Jagdgründen wie Lateinamerika und dem Nahen Osten herauszufordern.
Wir können hier nicht alle Zonen der Welt anschneiden, welche unter den Auswirkungen der Tendenz des “Jeder gegen Jeden” und der Zuspitzung der imperialistischen Rivalitäten unter den Großmächten zu leiden haben. Doch wollen wir hier einige Beispiele aufzeigen, welche diese Analyse klar verdeutlichen und die in der letzter Zeit erneut drastisch aufgelodert sind.
In der oben zitierten Resolution stellten wir fest, daß die führende Weltmacht “dem Land, das sie am offensten herausgefordert hat, Frankreich, einen Schlag in dem Gebiet versetzen können, das Frankreich bislang als seinen “Hinterhof” bezeichnen konnte - Afrika.” Diese Tatsachen erlaubten uns zu sagen: “Nach dem Zurückdrängen des französischen Einflusses in Ruanda entgleitet jetzt vor allem der Hauptstützpfeiler Frankreichs auf dem Kontinent, Zaire, seiner Kontrolle. Das Regime Mobutus zerfällt immer mehr unter den Auswirkungen der “Rebellion” Kabilas, der massiv von Ruanda und Uganda, d.h. von den USA, unterstützt wird.”
Seither haben Kabilas Horden Mobutu verjagt und in Kinshasa die Macht ergriffen. Durch diesen Sieg und die enormen Massaker an der Zivilbevölkerung, die er mit sich gebracht hatte, ist die direkte und offensive Rolle der USA, vor allem durch die zahlreichen “Berater”, die sie Kabila zur Verfügung gestellt hatten, mittlerweile ein offenes Geheimnis geworden. Gestern war es noch der französische Imperialismus, der die Banden der Hutus bewaffnet und beraten hatte, verantwortlich für die Massaker in Ruanda und zur Destabilisierung des pro-amerikanischen Regimes von Kigali; heute tut Washington dasselbe mit den Tutsi-”Rebellen” Kabilas gegen die Interessen Frankreichs. Zaire ist somit ebenfalls in die Hand der USA gefallen. Frankreich hat dadurch eine entscheidende Bastion verloren, was seine gänzliche Verdrängung aus der “Region der Großen Seen” bedeutet.
Noch mehr, diese Situation hat sofort eine Kettenreaktion von Destabilisierungen in den Nachbarländern hervorgerufen, welche ebenfalls unter der Kontrolle Frankreichs sind. Die Autorität und Glaubwürdigkeit des “französischen Paten” hat in der Region einen schweren Schlag erlitten, was die USA möglichst auszunützen versuchen. Seit einigen Wochen ist auch Kongo-Brazzaville durch einen Krieg zerrissen, den sich die zwei ehemaligen Präsidenten, alle beide “Geschöpfe” Frankreichs, liefern. Der Druck und die zahlreichen Verhandlungsbemühungen aus Paris brachten bisher keinerlei Erfolg. In Zentralafrika, einem Lande das zurzeit einem blutigen Chaos unterworfen ist, zeigt sich dieselbe Machtlosigkeit. Trotz zweier entschlossener militärischer Interventionen und der Bildung einer “Afrikanischen Eingreiftruppe” zu seiner Stärkung, gelingt es dem französischen Imperialismus nicht, seine Stellungen zu halten. Hinzu kommt noch, daß der zentralafrikanische Präsident Ange Patassé, ein weiteres “Geschöpf” Frankreichs, jetzt mit einer Inanspruchnahme der amerikanischen Hilfe droht, was das Mißtrauen gegenüber dem bisherigen Beschützer zum Ausdruck bringt. Dieser Vertrauensverlust dehnt sich heute über ganz Schwarzafrika aus und droht schließlich auch die treusten Bastionen Frankreichs einzuholen. Der Einfluß Frankreichs schwindet auf dem gesamten Kontinent, wie es zum Beispiel der letzte Jahresbericht der UNO, wo die wichtigen “französischen Vorschläge” zurückgewiesen wurden, deutlich gezeigt hat:
- Einer der Vorschläge betraf die Anerkennung der neuen Macht in Kinshasa, die Paris zurückstellen und an Bedingungen knüpfen wollte: Durch den Druck der USA und deren afrikanische Verbündete erhielt Kabila nicht nur eine sofortige Anerkennung, sondern ebenfalls wirtschaftliche Unterstützung “für den Wiederaufbau seines Landes.”
- Der andere betraf die Ernennung einer neuen Leitung des afrikanischen UNO-Apparates: Der “Kandidat” Frankreichs mußte sich, von seinen “Freunden” im Stich gelassen, noch vor der Wahl zurückziehen.
Der französische Imperialismus verzeichnet gegenwärtig unter den Schlägen und zum Vorteil des amerikanischen Imperialismus auf dem ganzen Kontinent eine Serie von schweren Rückschlägen, und es scheint für Frankreich eine historische Niederlage zu bedeuten, in einem Gebiet, das bis vor kurzem sein Hinterhof war.
“Damit erhält Frankreich von den USA eine besonders harte Bestrafung. Die USA wollen somit exemplarisch gegenüber allen anderen Ländern handeln, die genauso wie Frankreich ständig die USA herausfordern möchten.” (ebenda)
Doch trotz seines Niedergangs hat der französische Imperialismus seine Kräfte zur Verteidigung seiner Interessen nicht gänzlich verloren und verfügt noch über Trümpfe, die er gegen die im Moment erfolgreiche amerikanische Offensive einsetzen kann. Dies vor allem durch das strategische Neuformieren seiner militärischen Kräfte in Afrika. Auch wenn Paris (wie andere) auf diesem Terrain weit davon entfernt ist, mit Washington die Kräfte messen zu können, bedeutet es, daß Frankreich keinesfalls die Hände in den Schoß gelegt hat. Zumindest wird es wie bisher all seine Kraft in Störaktionen zur Behinderung der amerikanischen Politik und deren Interessen einzusetzen wissen. Die Bevölkerung Afrikas hat ihr Leiden unter dem Ringen der großen imperialistischen Gangster noch nicht beendet.
Algerien ist ein weiteres Schlachtfeld, das unter der Peitsche des Zerfalls des Kapitalismus zu leiden hat und auf dem die unerbittlichen Interessengegensätze zwischen den Großmächten ausgetragen werden. So versinkt dieses Land seit nahezu fünf Jahren in ein immer blutigeres und barbarischeres Chaos. Die serienmäßigen Abrechnungen, die unaufhörlichen Massaker an der Zivilbevölkerung, die zahlreichen mörderischen Attentate selbst in der Hauptstadt stürzen dieses Land in den Horror und einen alltäglich stattfindenden Terror. Seit 1992, dem Beginn dessen, was die bürgerlichen Medien scheinheilig die “Algerienkrise” nennen, hat die Zahl der Toten zweifellos 100’000 überschritten. Wenn es eine Bevölkerung (und somit ein Proletariat) gibt, die im Krieg zwischen den Fraktionen der herrschenden Klasse regelrecht als Geisel genommen wird, so ist es wahrlich in Algerien. Diejenigen, welche heute täglich morden, welche direkt verantwortlich sind für den Tod von Tausenden von Männern, Frauen, Kindern und alten Leuten, sind ohne Zweifel die bewaffneten Banden im Dienste der verschiedenen heute bestehenden bürgerlichen Lager:
- Die Islamisten, deren unnachgiebigste und fanatischste Fraktion, der GIA, saugt vor allem eine zersetzte, ermüdete und perspektivlose Jugend auf, welche in die Kriminalität zu versinken droht. Perspektivlos aufgrund der heutigen dramatischen Wirtschaftslage Algeriens, die eine Mehrheit der Bevölkerung zu Arbeitslosigkeit, Misere und Hunger verurteilt. Al Wasat, die in London herausgegebene Presse der saudiarabischen Bourgeoisie räumt ein: “Diese Jugend hat zuerst einen Motor dargestellt, dessen sich der FIS bediente um alle einzuschüchtern, welche sich ihm auf seinem Weg zur Übernahme der Macht entgegenstellten”, aber mehr und mehr sei sie ihm entwichen.
- Der algerische Staat, der, wie jedermann klar erkennen kann, selbst direkt in zahlreiche Massaker verwickelt ist, welche er den “islamischen Terroristen” in die Schuhe schiebt. Die gesammelten Zeugenaussagen über die Schlächterei von Rais, einem Vorort von Algier, mit 200-300 Toten Ende August, beweisen, daß das Regime von Zéroual alles andere als unschuldig ist: “Es dauerte von 22.30 Uhr bis 2.30 Uhr. Sie (die Mörder) konnten sich Zeit lassen. (...) Keine Hilfe ist aufgetaucht. Dies obwohl die Sicherheitskräfte sehr nahe sind. Die ersten, die dann an diesem Morgen erschienen, waren die Feuerwehrleute.” (Zeugenaussagen zitiert aus der Zeitung Le Monde) Es ist heute offensichtlich, daß ein Großteil der sich wiederholenden Schlächterein in Algerien entweder das Werk der staatlichen Sicherheitsdienste oder der “Selbstverteidigungsmilizen” sind, welche von demselben Staat bewaffnet und kontrolliert werden. Diese Milizen sind nicht dazu beauftragt, “über die Sicherheit der Dörfer zu wachen”, wie das Regime glauben machen will, sondern sie stellen für den Staat ein Mittel zur Abriegelung der Bevölkerung dar, eine fürchterliche Waffe zur Eliminierung der Opposition und Durchsetzung seiner Macht mittels Terror.
Gegenüber dieser entsetzlichen Situation hat die “Weltöffentlichkeit”, das heißt vor allem die westlichen Großmächte, begonnen, ihre “Gefühle” zu zeigen. Als der Generalsekretär der UNO, Kofi Annan, versucht, “an die Toleranz und den Dialog” zu appellieren und zu einer “dringenden Lösung” aufruft, bekundet Washington, das sich “entsetzt” zeigt, sofort seine Unterstützung. Der französische Staat auf der anderen Seite, gibt sich mitleidig, verbietet sich jedoch eine “Einmischung in die Angelegenheiten Algeriens”. Die Scheinheiligkeit dieser “großen Demokratien” ist absolut widerlich, da sie immer schlechter ihre Verantwortung am Massaker, welches dieses Land heimsucht, verdecken können. Mit den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse Algeriens als Mittelsmänner liefern sich vor allem die USA und Frankreich seit dem Verschwinden der großen imperialistischen Blöcke einen gnadenlosen Krieg. Ziel dieser schmutzigen Rivalität ist für Frankreich der Verbleib Algeriens in seinem Schosse und für Washington dessen Eroberung zu seinen eigenen Gunsten, oder zumindest das Zurückdrängen des Einflusses seines Rivalen.
Der erste Schachzug in diesem Kampf wurde vom amerikanischen Imperialismus geführt durch seine versteckte Unterstützung der fundamentalistischen Fraktion des FIS (welche ihr mittels der Unterstützung Saudi-Arabiens hörig wurde) bis zu dem Punkt, als diese 1992 die Macht zu ergreifen drohte. Und es war ein regelrechter Staatsstreich des bestehenden Regimes in Algier mit der Unterstützung Frankreichs, der es ermöglichte, die Gefahr, welche für die die Regierung ausübenden Fraktionen und die Interessen Frankreichs bestand, zu beseitigen. Seither hat die Politik des algerischen Staates, vor allem durch das Verbot des FIS und die Jagd und Einkerkerung einer Vielzahl seiner Führer und Militanten, dessen Einfluß in Algerien verringert. Aber auch wenn diese Politik insgesamt erfolgreich war, so ist sie doch eben gerade für das momentane Chaos verantwortlich. Genau dies hat die verschiedenen Fraktionen des FIS in die Illegalität, den Untergrundkampf und ihre terroristischen Aktionen geführt. Heute sind die Islamisten wegen ihrer zahlreichen und abscheulichen Greueltaten in Verruf geraten. Somit kann man feststellen, daß das Regime von Zéroual durch die Unterstützung aus Paris im Moment seine Ziele erreicht hat. Auch der französische Imperialismus machte einen ersten erfolgreichen Schritt der Offensive, der führenden Weltmacht zu widerstehen und seine Interessen in Algerien zu verteidigen. Der Preis dieses “Erfolges” ist die Bevölkerung, welche heute und auch noch morgen dafür den Kopf hinhalten muss. Wenn die USA kürzlich davon gesprochen haben, ihre ganze Unterstützung dem “persönlichen Einsatz” Kofi Annans entgegenzubringen, so bedeutet dies nur, Algerien nicht ohne weiteres aufgeben zu wollen, worauf Chirac auch sofort damit antwortete, jegliche Politik “der Einmischung in die algerischen Angelegenheiten” schon im voraus zu verurteilen, um so die Bereitschaft zur Verteidigung seines Einflußgebietes klarzustellen.
Auch wenn die zweitrangigen imperialistischen Mächte wie Frankreich Probleme haben, ihre Autorität in ihren traditionellen Einflußgebieten aufrecht zu erhalten und dort unter den Schlägen der USA Rückschritte erleiden, so bleibt auch Amerika nicht vor Schwierigkeiten, gerade in seinen Jagdgründen wie dem Nahen Osten, verschont. Diese Region, über die es seit dem Golfkrieg eine fast ausnahmslose Alleinherrschaft ausübt, ist einer wachsenden Instabilität unterworfen, welche die “pax americana” und die Autorität der USA in Frage stellt. In unserer in diesem Text zitierten Resolution, haben wir eine Reihe von Beispielen angeführt, welche die Anfechtung der amerikanischen Führungsrolle in einigen ihrer Vasallenstaaten dieser Region verdeutlichen. So kam es vor allem im Herbst 1996 zu einer “nahezu einhelligen Verwerfung der Bombardierung des Iraks durch 44 Marschflugkörper”, einer Ablehnung sogar durch sonstige “Getreue” wie Ägypten und Saudi-Arabien. Ein anderes bemerkenswertes Beispiel: “die Regierungsübernahme der Rechten in Israel, die gegen den Willen der USA geschah; seitdem hat die rechte Regierung alles unternommen um den Friedensprozess mit den Palästinensern zu sabotieren, der einer der größten Erfolge der US-Diplomatie war.” Die seither entstandene Lage hat diese Analyse genauestens bestätigt.
Seit letztem März erlitt der “Friedensprozess” mit dem Abbruch der israelisch-palästinensischen Verhandlungen und der durch die Regierung Netanyahou eingeführten zynischen Politik der Kolonisierung der besetzten Gebiete einen entscheidenden Rückschlag. Seither sind die Spannungen in dieser Region angewachsen. Sie zeichneten sich in diesem Sommer vor allem durch eine Reihe von Selbstmordattentaten der Hamas in ganz Jerusalem aus, was dem israelischen Staat Gelegenheit gab, seine Repression gegen die palästinensische Bevölkerung zu verstärken und eine “Blockade der befreiten Gebiete” aufzubauen. Zusätzlich wurde auch eine Serie von zerstörerischen und mörderischen Angriffen der Armee gegen die Hisbollah im Südlibanon durchgeführt. Aufgrund der zunehmenden Entgleisung der Situation bemühte sich das Weiße Haus mit dem Einsatz seiner zwei Hauptdiplomaten Denis Ross und Madeleine Albright, jedoch ohne großen Erfolg. Letztere hat sogar zugegeben, “keine Methode gefunden zu haben, um den Friedensprozess wieder auf die Beine zu bringen”. Tatsächlich bleibt Netanyahou trotz starkem Druck Washingtons taub und führt seine aggressive Politik gegenüber den Palästinensern fort, mit der er die Autorität Arafats ins Wanken bringt und damit dessen Möglichkeiten, Kontrolle über die Palästinenser auszuüben. Von den arabischen Staaten bringen immer mehr ihren Unwillen gegenüber der amerikanischen Politik zum Ausdruck, welche sie beschuldigen, die arabischen Interessen zugunsten Israels zu opfern. Unter den sich der Autorität der USA entgegenstellenden Ländern befindet sich Syrien, welches zur Zeit daran ist, seine wirtschaftlichen und militärischen Beziehungen zu Teheran auszubauen, und gleichzeitig seine Grenzen zum Irak öffnen will. Und selbst was bis vor kurzen noch unvorstellbar schien, ist mittlerweile im Gange: Saudi-Arabien, “der treuste Verbündete” Amerikas, aber auch bisher der größte Widersacher des “Regimes der Mullahs”, erneuert seine Beziehungen mit dem Iran. Diese neue Haltung gegenüber dem Iran und dem Irak, zwei Hauptzielscheiben der US-Politik in den letzten Jahren, bedeutet für die USA nicht anderes als eine Herausforderung und schwere Kränkung.
Im Rahmen dieser anwachsenden Schwierigkeiten, mit denen ihr Rivale auf der anderen Seite des Atlantiks konfrontiert ist, zögern die europäischen Bourgeoisien nicht, Öl ins Feuer zu gießen. Schon unsere Resolution hat diesen Aspekt hervorgehoben, und unterstrichen, daß die Anfechtung der amerikanischen Führungsrolle bestätigt wird, “auf der allgemeinen Ebene durch den Verlust der alleinigen Kontrolle in dieser entscheidenden Region, dem Nahen Osten. Die Aufwertung Frankreichs verdeutlicht dies, denn Frankreich hat sich als zweite Kraft bei der Lösung des Konfliktes zwischen Israel und dem Libanon Ende 1995 aufgedrängt”. So konnte man auch während des Sommers beobachten, wie die EU Denis Ross übers Ohr haute und durch seinen “Sondergesandten”, der die Bildung eines “permanenten Sicherheitskomitees” vorschlug, um Israel und der PLO “eine permanente und nicht nur unregelmäßige Zusammenarbeit zu ermöglichen”, einen Keil in die Risse der amerikanischen Diplomatie schlug. Kürzlich heizte auch der französische Außenminister Védrine wieder ein, indem er die Politik Netanyahous als “katastrophal” bezeichnete und damit gleichzeitig die amerikanische Politik angriff. Zusätzlich stellte er deutlich fest, daß der “Friedensprozess gescheitert” sei und “keine Perspektive mehr existiert”. Dies scheint zumindest eine Aufforderung an die Adresse der Palästinenser und alle arabischen Staaten zu sein, sich von den USA und ihrer “pax americana” abzuwenden.
“Deshalb kann man die Erfolge der gegenwärtigen Konteroffensive der USA keinesfalls als endgültig ansehen oder als Überwindung ihrer Führungskrise. Und auch wenn “die rohe Gewalt, die Manöver zur Destabilisierung ihrer Konkurrenten (wie heute in Zaire) mit all den tragischen Folgen deshalb weiter von den USA zum Einsatz kommen”, haben diese Konkurrenten selbst mitnichten aufgehört, all ihre Möglichkeiten zur Sabotage der Politik der Weltmacht in Richtung Alleinherrschaft auszuspielen.
Heutzutage ist kein Imperialismus, selbst der stärkste, vor Sabotageakten seiner Konkurrenten gefeit. Die sicheren Einflusszonen und Jagdgründe drohen zu verschwinden. Es gibt auf diesem Planeten keine “sicheren” Zonen mehr. Mehr als bisher ist die Welt dem zügellosen Gesetz des “Jeder gegen Jeden” ausgeliefert. All dies trägt zu Ausbreitung und Verstärkung des blutigen Chaos bei, in dem der Kapitalismus zu versinken droht.
Elfe, 20. September 1997
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