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Internationale Revue 16

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11. Kongress der IKS: Der Kampf zur Verteidigung und zum Aufbau der Organisation

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Im April hat die IKS ihren 11. Internationalen Kongreß abgehalten. Da die kommunistischen Organisationen ein Teil des Proletariats, ein historisches Erzeugnis desselben sowie ein lebendiger Bestandteil und aktiver Faktor des Kampfes der Arbeiterklasse für ihre Befreiung sind, ist ihr Kongreß als höchstes Organ von herausragender Bedeutung für das Proletariat. Deshalb ist es die Aufgabe der Kommunisten, von diesem wesentlichen Moment des Lebens ihrer Organisation zu berichten.

Mehrere Tage lang haben Delegationen aus 12 Ländern1kg/16#_edn1" name="_ednref1">[i], in denen mehr als anderthalb Milliarden Menschen und vor allem die größten Arbeiterkonzentrationen der Welt leben (Westeuropa und Nordamerika), debattiert, Lehren gezogen, Orientierungen zu den Hauptfragen eingeschlagen, vor denen heute unsere Organisation steht. Auf der Tagesordnung des Kongresses standen hauptsächlich zwei Punkte: die Aktivitäten und die Funktionsweise unserer Organisation, die internationale Situation1kg/16#_edn2" name="_ednref2">[ii]. Die Aktivitäten und Funktionsweise der IKS haben uns in den Sitzungen am meisten beschäftigt und die leidenschaftlichsten Debatten hervorgerufen. Der Grund: die IKS stand vor großen organisatorischen Schwierigkeiten, die eine besonders starke Mobilisierung aller Sektionen und aller Mitglieder erforderlich machten.

Die Organisationsprobleme in der Geschichte der Arbeiterbewegung...

Die historische Erfahrung der revolutionären Organisationen des Proletariats zeigt, daß die Fragen der Funktionsweise eigenständige politische Fragen sind, die die größte Aufmerksamkeit erfordern. Wenn man beispielsweise die Erfahrung der ersten internationalen Organisation des Proletariats, die IAA (Internationale Arbeiterassoziation) sowie des 2.Kongresses der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAPR) von 1903 untersucht, kann man feststellen, daß die Debatten und Resolutionen über die Organisation im Mittelpunkt ihres Wirkens standen.

Die Erfahrung der 1.Internationale

Die I. Internationale wurde im September 1864 aufgrund der Initiative von französischen und englischen Arbeitern in London gegründet. Von Anfang an arbeitete sie zentralisiert mit einem Zentralrat an ihrer Spitze, der nach dem Genfer Kongreß von 1867 als der ‘Generalrat’ bekannt wurde. Marx sollte im Generalrat eine führende Rolle spielen, da er die Aufgabe übernahm, bedeutende Grundlagentexte zu schreiben wie beispielsweise die Inauguraladresse, ihre Statuten und die Adresse des Generalrates zur  Pariser Kommune (Bürgerkrieg in Frankreich, Mai 1871). Die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) oder die Internationale, wie die Arbeiter sie nannten, wurde schnell zu einer Macht in den fortgeschrittenen Ländern (insbesondere in Westeuropa). Bis zur Pariser Kommune 1871 umfaßte sie eine wachsende Anzahl von Arbeitern und wurde zu einem führenden Faktor bei der Entwicklung der beiden Hauptwaffen des Proletariats: seine Organisation und sein Bewußtsein. Deshalb war die Internationale zunehmend erbitterten Angriffen seitens der Bourgeoisie ausgesetzt: Verleumdungen in der Presse, Eindringen in ihre Reihen von Informationen, Verfolgung ihrer Mitglieder usw.. Aber die IAA war durch die Angriffe einiger ihrer Mitglieder der größten Gefahr ausgesetzt, die sich gegen die Funktionsweise der Internationale selber richteten. Schon als die IAA gegründet wurde, wurden die provisorischen Funktionsregeln von der Pariser Sektion übersetzt; diese waren stark von den föderalistischen Auffassungen Proudhons beeinflußt worden, wodurch der zentralisierte Charakter der Internationale beträchtlich geschwächt wurde. Aber die gefährlichsten Angriffe sollten erst später stattfinden, als die Kräfte der ‘Allianz der sozialistischen Demokratie’, die von Bakunin gegründet worden war, in die Internationale eintreten wollte. Die ‘Allianz der Demokratie’ sollte in einigen Sektionen der Internationale fruchtbaren Nährboden aufgrund deren Schwächen finden, die wiederum das Ergebnis der Schwäche des Proletariats zu einem Zeitpunkt war, da das Proletariat selbst noch nicht die Schwächen der vorherigen Stufe überwunden hatte.’Die erste Phase in dem Kampfe des Proletariats gegen die Bourgeoisie ist durch die Sektenbewegung bezeichnet. Diese ist berechtigt zu einer Zeit, in der das Proletariat sich noch nicht hinreichend entwickelt hat, um als Klasse zu handeln. Vereinzelte Denker unterwerfen die sozialen Gegensätze einer Kritik und geben zugleich eine phantastische Lösung derselben, welche die Masse der Arbeiter nur anzunehmen, zu verbreiten und praktisch ins Werk zu setzen braucht. Es liegt schon in der Natur dieser durch die Initiative Einzelner gebildeten Sekten, daß sie sich jeder wirklichen Tätigkeit, der Politik, den Streiks, den Gewerksgenossenschaften, mit einem Wort, jeder Gesamtbewegung gegenüber fremd und abgeschlossen verhalten. Die Masse des Proletariats bleibt stets ihrer Propaganda gegenüber gleichgültig, ja selbst feindlich. (...) Die Sekten, im Anfange Hebel der Bewegung, werden ein Hindernis, sowie diese sie überholt; sie werden dann reaktionär; (...) Kurz, sie stellen die Kindheit der Proletarierbewegung dar, wie die Astrologie und Alchimie die Kindheit der Wissenschaft. Damit die Gründung der Internationalen zur Möglichkeit wurde, mußte das Proletariat diese Entwicklungsstufe überschritten haben’ (MEW Bd. 18, S. 32 ff, ‘Die angeblichen Spaltungen in der Internationale’).

Im Gegensatz zu den Sekten ist die Internationale eine wirkliche, militante Organisation der Arbeiterklasse eines jeden Landes, zusammengeschmiedet in ihrem gemeinsamen Kampf gegen die Kapitalisten, Grundbesitzer und deren Klassenmacht, die sich im Staat zusammengefaßt haben. Die Statuten der Internationale erkannten   deshalb nur einige Arbeitervereine an, die jeweils das gleiche Ziel verfolgten und alle das gleiche Programm vertraten, das sich darauf beschränkt, die Hauptzüge der proletarischen Bewegung zu umreißen. Die theoretische Ausarbeitung soll dem Anstoß überlassen werden, der durch die Erfordernisse des Klassenkampfes ausgeht. Dies geschieht durch den Austausch der Ideen in den Sektionen, wobei alle sozialistischen Auffassungen in ihren Publikationen und Kongressen akzeptiert werden.

‘Wie in jeder neuen historischen Phase die alten Irrtümer für einen Augenblick von neuem auftauchen, um bald danach wieder zu verschwinden, so hat auch die Internationale in ihrem Schoße sektiererische Sektionen entstehen sehen...’ (MEW 18, S. 34, ‘Die angeblichen Spaltungen in der Internationale’)

Diese Schwäche wurde am deutlichsten in den rückständigsten Teilen des europäischen Proletariats, die gerade aus der Bauernschaft und den Handwerkergruppen hervorgegangen waren. Bakunin, der 1868 nach dem Zusammenbruch der ‘Ligue de la Paix et de la Liberté’ (Friedens- und Freiheitsliga) (die bürgerliche Republikaner zusammenfaßte und an deren Spitze er stand), benutzte diese Schwäche, um zu versuchen, die Internationale seinen anarchistischen Auffassungen zu unterwerfen und sie unter seine Kontrolle zu bringen. Die Allianz der sozialistischen Demokratie wurde dabei für ihn ein Mittel zum Zweck; er hatte sie als eine Minderheit in der Friedens- und Freiheitsliga gegründet. Die Allianz war sowohl eine öffentliche als auch eine Geheimgesellschaft, die beabsichtigte, eine Internationale innerhalb der Internationale zu gründen. Ihre geheime Struktur und Geheimabsprachen unter ihren Mitgliedern sollten Bakunins Einfluß auf möglichst viele Sektionen der IAA sicherstellen, insbesondere in den Sektionen, in denen die anarchistischen Auffassungen auf das stärkste Echo stießen. Die Existenz von verschiedenen Gedankenströmungen innerhalb der Internationale stellte als solches noch kein Problem dar1kg/16#_edn3" name="_ednref3">[iii]. Dagegen sollte die Aktivität der Allianz, die darauf abzielte, die offizielle Struktur der Internationale zu ersetzen, zur Desorganisierung beitragen und die Existenz der Internationale selbst bedrohen. Die Allianz versuchte zum ersten Mal die Kontrolle der Internationale im Sept. 1869 auf ihrem Baseler Kongreß zu übernehmen. Mit diesem Ziel vor Augen unterstützten vor allem Bakunin und James Guillaume eine Resolution, die die Macht des Generalrates stärken sollte. Weil sie jedoch bei diesem Versuch scheiterten, begann die Allianz (die selbst geheime Statuten entwickelt hatte, welche sich auf eine extreme Zentralisierung stützten1kg/16#_edn4" name="_ednref4">[iv], eine Kampagne ‘gegen die Diktatur des Generalrates’, die darauf abzielte, daß der Generalrat zu einem ‘statistischen’ und ‘Korrespondenzbüro’ werden sollte, wie es die Allianz wollte, oder wie Marx sagte, zu einem einfachen Briefkasten werden sollte. Gegen das Prinzip der Zentralisierung als ein Ausdruck der internationalen Einheit des Proletariats trat die Allianz für den Föderalismus ein, die vollständige ‘Selbständigkeit der Sektionen’ und den nicht bindenden Charakter der Entscheidungen der Kongresse. Tatsächlich wollte die Allianz in den Sektionen, wo sie die Kontrolle hatte, immer das tun, was ihr am liebsten war. Dadurch sollte die  vollständige Desorganisierung der IAA ermöglicht werden. Vor dieser Gefahr stand 1872 der Haager Kongreß, der die Frage der Allianz auf der Grundlage eines Berichtes einer Untersuchungskommission diskutieren sollte. Schließlich wurde der Ausschluß Bakunins und James Guillaumes, des Führers der Föderation Jura beschlossen, die voll unter der Kontrolle der Allianz steckte. Dieser Kongreß war der Höhepunkt der IAA (es war der einzige Kongreß, an dem sich Marx direkt beteiligte, wodurch wir ablesen können, für wie wichtig er diesen Kongreß hielt). Aber er stand auch unter dem Vorzeichen der erdrückenden Niederlage der Pariser Kommune und der Demoralisierung, die diese innerhalb der Arbeiterklasse hervorgerufen hatte. Marx und Engels waren sich all dessen bewußt. Deshalb schlugen sie neben den Maßnahmen, die darauf abzielten, die IAA nicht in die Hände der Allianz geraten zu lassen, vor, daß der Generalrat nach New York verlagert werden sollten, weit entfernt also von den Konflikten, die die Internationale spalteten. Das sollte auch ein Mittel sein, damit die Internationale eines natürlichen Todes sterben sollte (was durch die Konferenz von Philadelphia 1876 bestätigt wurde), ohne daß ihr Prestige durch das Treiben Bakunins geschädigt wurde. Bakunins Anhänger und die Anarchisten haben diese Legende später immer weiter verbreitet, daß Marx und der Generalrat Bakunin und Guillaume aufgrund deren unterschiedlicher Auffassungen zur Frage des Staates ausgeschlossen hätten1kg/16#_edn5" name="_ednref5">[v]. Oder sie stellten den Konflikt dar als einen Zusammenprall zwischen den Persönlichkeiten Marxens und Bakunins. Kurzum, Marx wurde vorgeworfen, eine Divergenz bei generellen theoretischen Fragen mit administrativen Maßnahmen aus der Welt geschafft zu haben. Aber nichts widerspricht mehr der Wahrheit als das.

Der Haager Kongreß ergriff keine Maßnahmen gegen die Mitglieder der spanischen Sektion, die Bakunins Ideen teilten und Mitglieder der Allianz gewesen waren, aber erklärten, dies nicht mehr zu sein.

Auch setzte sich die ‘antiautoritäre’ IAA, die nach dem Haager Kongreß aus den Föderationen zusammengesetzt war, welche die Kongreßbeschlüsse nicht akzeptieren wollten, nicht nur aus Anarchisten zusammen, da ihnen auch deutsche Lassalleaner beigetreten waren, die große Anhänger des ‘Staatssozialismus’ waren, wie Marx es nannte. Tatsächlich fand der wirkliche Kampf in der IAA zwischen denjenigen statt, die für die Einheit der Arbeiterbewegung eintraten - und damit den bindenden Charakter der Kongreßbeschlüsse- und denjenigen, die forderten, daß sie all das tun könnten, was immer ihnen in den Sinn kam, daß jeder für sich handeln könnte und die Kongresse einfach als eine Versammlung aufgefaßt werden könnten, wo jeder seinen Standpunkt austauschen könnte, ohne daß aber verbindliche Beschlüsse gefaßt würden. Mit dieser informellen Organisationsweise wollte die Allianz versuchen, insgeheim eine wirkliche Bündelung der Föderationen vorzunehmen, wie es die Korrespondenz Bakunins ausdrücklich zum Ausdruck brachte. Die Durchsetzung dieser  ‘antiautoritären’ Auffassungen innerhalb der Internationale wäre das sicherste Mittel gewesen, sie zum Opfer der Intrigen und der versteckten und unkontrollierten Machtallianz werden zu lassen. Mit anderen Worten, sie den Abenteurern zu überlassen, die die Allianz beherrschten.

Die Lehren der russischen Sozialdemokratie

Der 2. Kongreß der SDAPR 1903 war auch der Ort einer ähnlichen Auseinandersetzung zwischen Anhängern einer proletarischen und denen einer kleinbürgerlichen Auffassung zur Organisation. Es gab Ähnlichkeiten zwischen der Lage der Arbeiterbewegung zur Zeit der I. Internationale und der Bewegung in Rußland um die Jahrhundertwende. In beiden Fällen steckte die Arbeiterbewegung noch in ihren Kinderschuhen, und das Hinterherhinken der russischen Arbeiterbewegung war vor allem zurückzuführen auf die späte russische Industrialisierung. Das Ziel der IAA bestand darin, eine vereinte Organisation aufzubauen,  die verschiedenen Arbeitervereinigungen, die die Entwicklung der Arbeiterklasse hervorgebracht hatte, zusammenzufassen. Ähnlich bestand das Ziel des 2. Kongresses der SDAPR  darin, die verschiedenen Zirkel und Gruppen der Sozialdemokratie, die sich in Rußland sowie im Exil entfaltet hatten, zusammenzuführen. Nach der Auflösung des Zentralkomitees, das auf dem 1. Kongreß der SDAPR  1897 gebildet worden war, gab es fast keine förmlichen Beziehungen mehr zwischen diesen verschiedenen Formationen. Auf dem 2. Kongreß gab es deshalb seinerzeit in der IAA einen Zusammenprall zwischen den Auffassungen zur Organisationsfrage, die die Vergangenheit der Bewegung zum Ausdruck brachten (welche von den Menschewiki - der Minderheit - vertreten wurden) und einer Auffassung, die den Bedürfnissen der neuen Situation entsprach (Bolschewiki - der Mehrheit). ‘Unter dem Namen der ‘Minderheit’ haben sich die unterschiedlichsten Leute in der Partei zusammengeschlossen, die von dem Wunsch - ob bewußt oder nicht - getragen werden, die Zirkelbeziehungen aufrechtzuerhalten, d.h. die vorherige Organisationsform der Partei. Einige bedeutende Mitglieder der einflußreichsten alten Zirkel, die die organisatorischen Verhaltensregeln nicht einhalten wollen, welche die Partei einführen muß, neigen dazu, die allgemeinen Interessen der Partei und die Interessen von Zirkeln, die in der Zirkelphase zusammenfallen können, mechanisch durcheinanderzubringen’ (Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück).

Wie später deutlich werden sollte, war die Herangehensweise der Menschewiki (in der Revolution von 1905 und mehr noch in der Revolution von 1917, als die Menschewiki auf die Seite der Bourgeoisie wechselten) bestimmt worden durch das Eindringen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideologie innerhalb der russischen Sozialdemokratie. Insbesondere wie Lenin feststellte, bestand der Großteil der Opposition (d.h. der Menschewiki) aus den Intellektuellen in der Partei, die somit zum Träger der kleinbürgerlichen Auffassungen hinsichtlich Organisationsfragen wurden. Diese Leute revoltieren gegen die Organisationsprinzipien und erheben den spontanen Anarchismus zu einem Prinzip des Kampfes, fordern ‘Toleranz’ usw. Es gibt in der Tat viele Ähnlichkeiten zwischen dem Verhalten der Menschewiki und der Anarchisten in der IAA (Lenin sprach mehrmals von dem ‘aristokratischen’ Anarchismus der Menschewiki). Wie die Anarchisten nach dem Haager Kongreß weigerten sich die Menschewiki die Entscheidungen des 2. Kongresses der SDAPR  anzuerkennen und sie anzuwenden. Sie erklärten, daß der Kongreß keine Gottheit und deshalb die Beschlüsse nicht ‘unantastbar’ seien. Genauso wie die Bakunisten gegen das Prinzip der Zentralisierung und der Diktatur des Generalrates zu Felde zogen, nachdem sie ihn nicht unter ihre Kontrolle hatten bringen können, bestand einer der Gründe dafür, daß die Menschewiki die Zentralisierung nach dem Kongreß verwarfen, darin, daß einige ihrer Mitglieder aus dem Zentralorgan, welches vom Kongreß gewählt worden war, entfernt worden waren. Es gibt

viele Parallelen bei der Art und Weise, wie die Menschewiki gegen die ‘persönliche Diktatur Lenins und seine eiserne Faust’ eine Kampagne betrieben, und der Art und Weise, wie Bakunin Marx ‘der Diktatur gegen den Generalrat’ beschuldigte.

‘Betrachte ich das Verhalten der Martowleute nach dem Parteitag (...) so kann ich nur sagen, daß das ein irrsinniger, eines Parteimitglieds unwürdiger Versuch ist, die Partei zu sprengen... und weshalb? Nur weil man unzufrieden ist mit der Zusammensetzung der Zentralstellen, denn objektiv war das die einzige Frage, in der wir uns trennten, die subjektiven Urteile aber (wie Kränkung, Beleidigung, Hinauswurf, Beseitigung, Verunglimpfung etc. etc.) sind die Frucht gekränkter Eigenliebe und krankhafter Phantasie. Diese krankhafte Phantasie und diese gekränkte Eigenliebe führen geradewegs zu schändlichen Klatschereien, nämlich dazu, daß man, ohne die Tätigkeit der neuen Zentralstellen kennengelernt und ohne sie gesehen zu haben, Gerüchte verbreitet über ihre ‘Arbeitsunfähigkeit’, über die ‘eiserne Hand’ eines Iwan Iwanowitsch, die ‘Faust’ eines Iwan Nikiforowitsch usw.... Die russische Sozialdemokratie muß den letzten schwierigen Übergang vollziehen vom Zirkelwesen zum Parteiprinzip, vom Spießertum zur Erkenntnis der revolutionären Pflicht, vom Handeln auf Grund von Klatschereien und Zirkeleinflüssen zur Disziplin’ (Lenin, Schilderung des 2. Parteitags der SDAPR, Bd 7, S. 20).

In Anbetracht der Beispiele der IAA und des. 2. Kongresses der SDAPR  wird die Wichtigkeit der Fragen der Funktionsweise der revolutionären Organisationen deutlich. Tatsächlich brachten diese Entscheidungen die erste grundlegende Abtrennung zwischen der proletarischen Strömung auf der einen Seite und der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Strömung auf der anderen Seite. Dahinter steckte kein Zufall. Diese Abtrennung ist im Gegenteil gerade auf die Tatsache zurückzuführen, daß einer der Hauptwege, über den die dem Proletariat fremde Ideologie in dieses durch die Frage der Funktionsweise eindringt.

Die Geschichte der Arbeiterbewegung liefert uns viele Beispiele dafür. Wir haben hier z.T. aus Platzgründen nur diese beiden letzten Fälle aufgegriffen, aber auch weil es verblüffende Ähnlichkeiten gibt zwischen der Art und Weise, wie die IAA, die SDAPR  und die IKS gegründet wurden.

...und die Geschichte der IKS

Die IKS hat sich schon mehrmals mit dieser Art Fragen befassen müssen. Das war beispielsweise während unseres Gründungskongresses im Jan. 1975 der Fall, als wir uns mit der internationalen Zentralisierung  befaßten (siehe dazu ‘Bericht zur Organisationsfrage unserer Strömung’ in International Review). Ein Jahr später sind wir wieder auf unserem ersten Kongreß bei der Diskussion der Statuten darauf zurückgekommen (siehe den Artikel ‘Die Statuten der revolutionären Organisation des Proletariats’ in International Review Nr. 5). Schließlich hat die IKS im Jan. 1982 speziell eine Außerordentliche Konferenz zu dieser Frage nach der Krise von 1981 einberufen1kg/16#_edn6" name="_ednref6">[vi]. Gegenüber der Arbeiterklasse und dem proletarischen politischen Milieu haben wir unsere Schwierigkeiten Anfang der 80er Jahre nicht verheimlicht. In der Resolution des 5. Kongresses schrieben wir in der International Review Nr. 35 : ‘Seit ihrem 4. Kongreß (1981) hat die IKS in der schwersten Krise seit ihrem Bestehen gesteckt. Diese Krise hat abgesehen von der ‘Affäre Chenier’ (4) die Organisation zutiefst erschüttert; wir sind knapp am Auseinanderbrechen vorbeigeschlittert, als Folge daraus sind direkt oder indirekt ca. 40 Mitglieder ausgetreten, die Hälfte unserer territorialen Sektion in England hat uns verlassen. Diese Krise hatte eine Vernebelung, eine Desorientierung hervorgebracht, wie es zuvor in der IKS noch nie vorgekommen war.  Diese Krise erforderte zu ihrer Überwindung den Einsatz außergewöhnlicher Mittel: die Einberufung einer Internationalen Außerordentlichen Konferenz, die Diskussion und Verabschiedung von Grundsatzorientierungstexten zur Funktion und Funktionsweise der revolutionären Organisation, die Verabschiedung neuer Statuten’.

Solch eine Haltung der Transparenz gegenüber den Schwierigkeiten unserer Organisation war überhaupt kein Ausdruck irgendeines ‘Exhibitionismus’. Die Erfahrung kommunistischer Organisationen ist ein tiefgreifender Bestandteil der Erfahrung der Arbeiterklasse. Deshalb hat ein großer Revolutionär wie Lenin ein ganzes Buch ‘Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück’ darauf verwendet, die politischen Lehren des 2. Kongresses der SDAPR zu ziehen. Indem wir von unserem Organisationsleben berichten, übernimmt die IKS nur ihre Verantwortung gegenüber der Arbeiterklasse.

Wenn eine revolutionäre Organisation ihre Probleme und internen Diskussionen bekanntmacht, stürzen sich natürlich alle Gegner darauf, um die Organisation zu verleumden. Dies ist natürlich insbesondere mit der IKS der Fall. Natürlich werden wir kein Lob in der bürgerlichen Presse ernten aufgrund der Schwierigkeiten,  mit denen unsere Organisation jetzt kämpft. Die IKS ist noch zu klein - sowohl was Größe und Einfluß innerhalb der Arbeiterklasse angeht, so daß die Bourgeoisie noch kein Interesse daran hat, von uns zu sprechen und uns diskreditieren will. Die Bourgeoisie zieht es vor, eine Mauer des Schweigens aufzubauen um unsere Positionen und die Existenz revolutionärer Organisationen überhaupt. Deshalb sind die Verleumdung und die Sabotage unserer Intervention das Steckenpferd einer ganzen Reihe von Gruppen und parasitären Elementen, deren Funktion darin besteht, diejenigen abzuschrecken, die sich auf Klassenpositionen zubewegen, damit in ihnen ein Gefühl der Abscheu gegenüber der Mitarbeit an der Entwicklung des proletarischen Milieus entsteht.

Alle kommunistischen Gruppen  sind zur Zielscheibe von Angriffen der Parasiten geworden. Aber insbesondere die IKS ist stark davon betroffen gewesen, weil wir heute die größte Gruppe im proletarischen Milieu sind. Innerhalb der parasitären Bewegung gibt es heute voll entwickelte Gruppen wie die Gruppe Groupe Communiste Internationaliste (GCI) und ihre Abspaltung (wie ‘Gegen den Strom’), die jetzt aufgelöste Communist Bulletin Group (CBG) (aus Großbritannien ) und die Abspaltung der ehemaligen ‘Externen Fraktion der IKS’,  die alle aus  Abspaltungen von der IKS hervorgingen. Aber das Parasitentum ist nicht auf solche Gruppen beschränkt. Es wird auch von unorganisierten Elementen getragen, die sich von Zeit zu Zeit zu Diskussionen treffen und deren Hauptsorge darin besteht, alles mögliche Gerede über unsere Organisation in Umlauf zu bringen. Zu diesen Leuten gehören oft ehemalige Mitglieder der IKS, die sich dem Druck der kleinbürgerlichen Ideologie ergeben und sich als unfähig erwiesen haben, ihr Engagement in der Organisation aufrechtzuhalten, oder die darüber frustriert sind, daß die Organisation ihnen nicht die  ‘Anerkennung’ liefert, die sie meinten, zu ‘verdienten’. Oder sie hielten es nicht aus, sich der Kritik der Organisation zu stellen. Zu diesen Leuten gehören auch ehemalige Sympathisanten der Organisation, die wir nicht integrieren wollten, weil sie nicht über ausreichend Klarheit verfügten, oder ihre militante Sorge über Bord warfen, sobald sie spürten, daß ihre ‘Individualität innerhalb des kollektiven Rahmens verloren ginge. Dies trifft beispielsweise auf die Gruppe Colectivo Alptraum in Mexiko zu sowie  auf Kamunist Kranti in Indien. Es handelt sich jeweils um Elemente, deren Frustration über ihren eigenen Mangel an Mut, ihre Schlaffheit und ihre Unfähigkeit zu einer systematischen Feindschaft gegenüber unserer Organisation geworden ist. Offensichtlich sind diese Leute völlig unfähig, irgend etwas Konstruktives aufzubauen. Dagegen sind sie sehr wirksam, wenn es darum geht, ihr Gerede zu verbreiten und das mit Schutz zu besudeln, das zu zerstören und diskreditieren, was die Organisation dabei ist aufzubauen. Aber das Treiben der Parasiten wird die IKS nicht davon abhalten, gegenüber dem gesamten proletarischen Milieu unsere Erfahrungen kundzutun. In dem Vorwort zu ‘Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte rückwärts’ schrieb Lenin: ‘Sie (unsere Gegner) feixen und sind schadenfroh über unsere Streitigkeiten; sie werden sich natürlich bemühen, einzelne Stellen aus meiner Broschüre, die den Mängeln und Unzulänglichkeiten unserer Partei gewidmet ist, für ihre Zwecke aus dem Zusammenhang zu reißen. Die russischen Sozialdemokraten haben bereits genügend im Kugelregen der Schlachten gestanden, um sich durch diese Nadelstiche nicht beirren zu lassen, um dessenungeachtet ihre Arbeit der Selbstkritik und rücksichtslosen Enthüllung der eigenen Mängel fortzusetzen, die durch das Wachstum der Arbeiterbewegung unbedingt und unvermeidlich ihre Überwindung finden werden. Die Herren Gegner aber mögen versuchen, uns ein Bild der wahren Sachlage in ihren ‘Parteien’ zu zeigen, das auch nur im entferntesten dem Bild ähnelt, das die Protokolle unseres zweiten Parteitags bieten’ (Mai 1904).

Genau mit diesem gleichen Geist wollen wir unseren Lesern einige Hauptauszüge aus der Resolution des 11.Kongresses bekannt machen. Dies ist kein Zeichen der Schwäche der IKS sondern legt Zeugnis ab von  unserer Stärke.

Die Probleme der IKS in der letzten Zeit

‘Der 11. Kongreß der IKS unterstreicht deutlich: die IKS befand sich in einer latenten Krise, die tiefgreifender war als die Krise Anfang der 80er Jahre. Wenn die Wurzeln dieser Krise nicht identifiziert worden wären, hätte die Gefahr der Zerstörung der Organisation bestanden.’ (Aktivitätsresolution, Punkt 1).

‘Die Ursachen der Krise, die die Organisation zu ersticken drohten, sind vielfältig, aber man kann einige Hauptfaktoren aufzählen:

- die Tatsache, daß die Außerordentliche Konferenz vom Jan. 1982, die uns aus der Krise von 1981 helfen sollte, nicht bis auf den Grund der Dinge gegangen ist,  die Schwächen der IKS nicht tiefgreifend genug angepackt hat;

- mehr noch, die Tatsache, daß die IKS die Errungenschaften dieser Konferenz selber nicht ausreichend genug verarbeitet hat...

- der gewachsene zerstörerische Einfluß des Zerfalls des Kapitalismus innerhalb der Arbeiterklasse und in den Reihen der kommunistischen Organisationen.

Deshalb bestand die einzige Art und Weise, wie die IKS wirksam der tödlichen Gefahr entgegentreten konnte, die uns bedrohte, :

-in der Identifizierung des Ausmaßes dieser Gefahr ...

- in der Mobilisierung der gesamten IKS, der Militanten, der Sektionen und der Zentralorgane um die Priorität der Verteidigung der Organisation,.

- in der Wiederaneignung der Errungenschaften der Konferenz von 1982,

-in der Vertiefung dieser Errungenschaften auf der Grundlage des Rahmens, den dieser uns bot (Punkt 2).

Der Kampf für die Wiederaufrichtung der IKS fing im Herbst 1993 durch die Diskussion eines Orientierungstextes in der ganzen Organisation an. Dieser Orientierungstext erinnerte und aktualisierte die Lehren von 1982, wobei wir uns besonders mit den historischen Ursprüngen unserer Schwächen befaßten. Im Mittelpunkt unserer Vorgehensweise standen die folgenden Bestrebungen: die Wiederaneignung der Errungenschaften unserer eigenen Organisation und der gesamten Arbeiterbewegung, die Kontinuität mit der Arbeiterbewegung und insbesondere der Kampf gegen das Eindringen  bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideologie, die der Arbeiterklasse fremd und feindlich sind.

‘Der Rahmen für das Begreifen des Ursprungs der Schwächen ist eingebettet in den vom Marxismus geführten historischen Kampf gegen den Einfluß der kleinbürgerlichen Ideologie, der in den Organisationen des Proletariats zu spüren ist. Insbesondere bezieht er den Kampf  der IAA gegen das Treiben Bakunins und seiner Anhänger ein, wie auch das Wirken Lenins und der Bolschewiki gegen die opportunistischen und anarchisierenden Auffassungen der Menschewiki auf dem 2. Kongreß der SDAPR und der Zeit danach. Insbesondere ging es darum, daß die Organisation in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten genau wie die Bolschewiki von 1903 an den Kampf gegen den Zirkelgeist und für den Aufbau des Parteigeistes stellt. Diese Priorität des Kampfes war durch das Wesen der Schwächen selber gegeben, die auf der IKS lasteten, weil die IKS aus Zirkeln hervorgegangen ist, die in der Phase  des historischen Wiedererstarkens der Arbeiterklasse Ende der 60er Jahre entstanden waren. Diese Zirkel waren seinerzeit stark geprägt durch das Gewicht der alles anfechtenden, alles in Frage stellenden  individualistischen  Haltung, kurzum anarchisierender Auffassungen, die besonders von den Studentenrevolten gezeichnet waren, und die mit dem Wiedererstarken der Arbeiterklasse einhergingen und diese dann negativ beeinflußten. Deshalb war die Feststellung des Vorhandenseins eines starken Zirkelgeistes in unserer Anfangsphase ein Teil unserer allgemeinen Analyse, die wir seit langem erarbeitet hatten, und die die Wurzeln unserer Schwächen auf den organischen Bruch der kommunistischen Organisationen zurückführte, welcher durch die Konterrevolution seit dem Ende der 20 Jahre entstanden war. Diese Feststellung erlaubte uns jedoch einen Schritt weiterzugehen als die früheren Ergebnisse und tiefer an die Wurzeln unserer Schwächen heranzukommen. Dadurch haben wir besser das Phänomen verstanden, das wir früher schon aufgedeckt aber unzureichend angepackt hatten, nämlich die Bildung von Clans innerhalb der Organisation. Diese Clans waren tatsächlich das Ergebnis des grassierenden Zirkelgeistes, der sich länger am Leben hielt als die Phase, in der die Zirkel eine unvermeidbare Etappe bei der Neugründung der kommunistischen Avantgarde gewesen waren. Dadurch wurden die Zirkel wiederum zu einem aktiven Faktor und massiven Stützpfeiler des Zirkelgeistes innerhalb der Organisation’ (Punkt 4).

Hier bezieht sich die Resolution auf einen Punkt des Orientierungstextes vom Herbst 1993, der die folgende Frage behandelt:

‘Eine große ständige Gefahr für die Organisation, die ihre Einheit infragestellt und zu ihrer Zerstörung führen kann, ist die Bildung von ‘Clans’ - auch wenn das nicht absichtlich oder bewußt geschieht. Bei einer Clan-Dynamik wird das Handelns nicht bestimmt  durch eine wirkliche politische Übereinstimmung sondern durch Freundschaftsbeziehungen, Treue, der Konvergenz besonderer ‘persönlicher’ Interessen oder geteilter Frustrationen. Da solch eine Dynamik sich nicht auf eine wirklich politische Konvergenz stützt, kommt es oft zum Erscheinen von ‘Gurus’, ‘Anführern von Cliquen’, die die Einheit des Clans sicherstellen und die ihre Macht stützen entweder auf ein besonderes Charisma (welches gar die politischen Fähigkeiten und das Urteilsvermögen anderer Militanter ersticken können) oder auf die Tatsache, daß sie als ‘Opfer’ einer bestimmten Politik der Organisation dargestellt werden oder als solche auftreten. Wenn solch eine Dynamik in Erscheinung tritt, werden das Verhalten oder die Entscheidungen der Clanmitglieder oder Sympathisanten eines Clans nicht mehr bestimmt durch eine bewußte Entscheidung, die auf den allgemeinen Interessen der Organisation fußt, sondern wo die Sichtweise und die Interessen des Clans überwiegen, und die dazu neigen, sich als im Widerspruch mit dem Rest der Organisation zu sehen’.

Diese Analyse stützte sich auf die Erfahrung der Arbeiterbewegung (z.B. die Haltung der alten Redakteure der Iskra, auf die Gruppe um Martov, welcher aus Unzufriedenheit mit den Entscheidungen des 2. Kongresses der SDAPR die menschewistische Fraktion gebildet hatte), aber auch auf Erfahrungen in der IKS. Wir können hier nicht in Einzelheiten gehen, aber hervorheben, daß die ‘Tendenzen’, die es in der IKS gegeben hat (die Tendenz, die 1978 die Groupe Communiste Internationaliste (GCI) schuf, 1981 die ‘Tendenz Chenier’1kg/16#_edn7" name="_ednref7">[vii], die ‘Tendenz’, die auf dem 6. Kongreß der IKS austrat, um die ‘Externe Fraktion der IKS’ -EFIKS- zu bilden), viel eher auf eine jeweilige Clandynamik zurückzuführen waren als auf eine wirkliche Tendenz, die sich auf eine alternative positive Orientierung stützten. Die Haupttriebkraft dieser ‘Tendenzen’ wurden nicht aufgrund von Divergenzen ihrer Mitglieder mit den Orientierungen der Organisation gebildet (diese Divergenzen waren sehr vielschichtig, wie es der spätere Werdegang der jeweiligen Tendenzen aufzeigte), sondern eher durch einen Zusammenschluß der Unzufriedenen und der Frustrierten mit den Zentralorganen und die persönliche Gefolgschaft gegenüber den Elementen, die sich als ‘Verfolgte’ oder als unzureichend ‘anerkannt’ ansahen.

Die Wiederaufrichtung der IKS

Während die Existenz von Clans in der Organisation nicht mehr den gleichen spektakulären Charakter wie in der Vergangenheit hatte, nagte deren Existenz jedoch ständig und dramatisch am Organisationsnetz. Insbesondere hat die gesamte IKS (und direkt beteiligte Genossen haben das ebenfalls so geschildert) aufgedeckt, daß sie mit einem Clan konfrontiert war, der an zentraler Stelle der Organisation saß und der ‘eine Vielzahl der gefährlichen Merkmale in sich konzentrierte und bündelte, mit denen die Organisation zu kämpfen hatte und deren gemeinsamer Nenner der Anarchismus war...’(Aktivitätsresolution Punkt 5).

Deshalb ‘haben wir nach Begreifen des Phänomens der Clans und ihrer besonders zerstörerischen Rolle eine Reihe von schlechten Funktionsweisen aufdecken können, unter denen die meisten territorialen Sektionen litten... Wir haben dadurch ebenfalls die Ursachen für das Abhandenkommen des ‘Geistes der Umgruppierung’ erkannt, den der 10. Kongreß in seinem Aktivitätsbericht aufgezeigt hatte, und der in den Gründerjahren der IKS vorhanden gewesen war...’ (Punkt 5).

Nach mehreren Tagen sehr lebhafter Debatte mit einer tiefgreifenden Beteiligung aller Delegationen und mit einer großen Einheit hat der 11. Kongreß der IKS die folgenden Schlußfolgerungen ziehen können:

‘...der Kongreß stellt den globalen Erfolg des von der IKS seit Herbst 1993 begonnenen Kampfes fest.... Die manchmal spektakuläre Genesung der von den organisatorischen Schwierigkeiten seit 1993 betroffenen Sektionen...., die von zahlreichen Teilen der IKS eingebrachten Vertiefungen..., all diese Tatsachen bestätigen die uneingeschränkte Gültigkeit des begonnenen Kampfes, seiner Methode, seiner theoretischen Grundlagen wie auch seiner konkreten Aspekte... Der Kongreß unterstreicht insbesondere die Vertiefung beim Begreifen einer Reihe von Fragen, vor denen wir standen und mit denen sich die Organisationen der Klasse auseinanderzusetzen haben: ein vertieftes Verständnis des Kampfes von Marx und des Generalrates der I. Internationale gegen die Allianz, des Kampfes von Lenin und der Bolschewiki gegen die Menschewiki, des Phänomens des politischen Abenteuertums in der Arbeiterbewegung (verkörpert vor allem von Gestalten wie Bakunin und Lassalle), das von deklassierten Elementen getragen wird, und die nicht unbedingt im Dienst des kapitalistischen Staates stehen, aber dennoch gefährlicher sind als die von ihm infiltrierten Agenten’ (Punkt 10).

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse stellt der 11. Kongreß fest, daß die IKS heute wesentlich stärker ist als zur Zeit des 10. Kongresses, und daß wir besser gerüstet sind, um unsere Verantwortung in den zukünftigen Kämpfen der Klasse zu übernehmen, obgleich die Organisation natürlich noch in einer ‘Genesungsphase’ steckt’.

Die Feststellung des positiven Ausgangs dieses von uns seit dem Herbst 1993 geführten Kampfes hat jedoch kein Gefühl der Euphorie auf dem Kongreß aufkommen lassen. Die IKS hat mittlerweile gelernt, sich vor Überschwenglichkeiten zu hüten, die eher ein Zeichen des Eindringens der kleinbürgerlichen Ungeduld in die Reihen der Kommunisten sind als ein proletarisches Verhalten. Der von den kommunistischen Organisationen und Militanten geführte Kampf ist langwierig, der viel Geduld erfordert, oft unscheinbar ist, und der wirkliche Enthusiasmus, den wir alle als Militante haben müssen, darf nicht gemessen werden an euphorischen Höhenflügen, sondern an der Fähigkeit, allen Höhen und Tiefen zu widerstehen, dem schädlichen Druck der Ideologie der Feindesklasse standzuhalten. Deshalb hat uns der erfolgreich geführte Kampf keinesfalls triumphalistisch werden lassen.

‘Das heißt nicht, daß der von uns geführte Kampf jetzt aufhören müsse... Die IKS muß ihn jederzeit mit der größten Wachsamkeit fortsetzen, mit der Entschlossenheit, jede Schwäche aufzudecken und sie ohne zu zögern anpacken... Tatsächlich zeigt uns die Geschichte der Arbeiterbewegung und auch die der IKS, wie die jetzt abgeschlossene Debatte einleuchtend verdeutlicht hat, daß der Kampf für die Verteidigung der Organisation ein ständiger, pausenloser Kampf ist. Insbesondere muß sich die IKS vor Augen halten, daß der von den Bolschewiki geführte Kampf gegen den Zirkelgeist für die Einführung des Parteigeistes Jahre gedauert hat. Das gleiche trifft für unsere Organisation zu, die jede Demoralisierung überwinden und jedem Gefühl der Hilflosigkeit infolge der Dauer des Kampfes entgegentreten muß’ (Punkt 13).

Bevor wir diesen Teil zur Organisationsfrage abschließen, wollen wir hervorheben, daß die Debatte, die die Organisation 18 Monate lang geführt hat, zu keiner Abspaltung führte (im Gegensatz zur Entwicklung auf dem 6. Kongreß z.B. oder 1981). Das ist darauf zurückzuführen, daß es in der Organisation von Anfang an eine Übereinstimmung gab zur theoretischen Grundlage für das Begreifen der Schwierigkeiten, auf die wir gestoßen sind. Weil es bei diesem Rahmen keine Divergenz gab, war es möglich, die Herausbildung einer ‘Tendenz’ oder gar einer ‘Minderheit’ zu verhindern, die ihre eigenen Besonderheiten theoretisch verankert hätte. Ein großer Teil dieser Diskussionen drehte sich um die Frage der täglichen Funktionsweise der IKS, mit einer ständigen Sorge, diese Konkretisierungen mit der Erfahrung der Arbeiterbewegung zu verbinden. Die Tatsache, daß es keine Abspaltungen gegeben hat, ist ein Zeugnis der Stärke der IKS, unserer größeren Reife, der Entschlossenheit der Mehrheit unserer Mitglieder, den Kampf für die Verteidigung der Organisation fortzusetzen und das organisatorische Gewebe zu erneuern, den Zirkelgeist zu überwinden und all die anarchistischen Auffassungen über Bord zu schmeißen, die die Organisation als eine Summe von Individuen oder als kleine Gruppen, die sich auf Affinität stützen, betrachten.

Die Perspektiven der internationalen Situation

Die kommunistische Organisation besteht natürlich nicht nur für sich selbst.

Sie ist kein Zuschauer sondern handelt in den Kämpfen der Arbeiterklasse, und die Verteidigung der Organisation dient gerade dazu, daß sie ihre Rolle im Klassenkampf übernehmen kann. Mit diesem Ziel vor Augen hat sich der Kongreß in einem Teil der Debatte mit der Analyse der internationalen Lage befaßt. Mehrere Berichte zu dieser Frage wurden diskutiert und verabschiedet sowie eine Resolution, die unsere Analyse zusammenfaßt und in dieser Internationalen Revue veröffentlicht ist.

Deshalb werden wir uns hier nicht ausführlicher mit diesem Aspekt unseres Kongresses befassen. Wir wollen hier nur kurz den dritten Aspekt (Entwicklung der Wirtschaftskrise, imperialistische Konflikte und das Kräfteverhältnis) der internationalen Situation aufgreifen. Diese Resolution unterstreicht, daß ‘mehr als je zuvor der Kampf des Proletariats die einzige Hoffnung für die Zukunft der Menschheit darstellt’ (Punkt 14).

Jedoch unterstreicht der Kongreß, was die IKS seit dem Herbst 1989 schon herausgestellt hatte: ‘Diese Kämpfe, die Ende der 60er Jahre wieder kräftig entbrannt waren, beendeten die furchtbarste Konterrevolution, die Arbeiterklasse durchlebt hatte. Jedoch ist nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime,  der damit eingeleiteten ideologischen Kampagne und den darauffolgenden Ereignissen (Golfkrieg, Krieg auf dem Balkan usw.) ein Rückfluß des Kampfes eingetreten’ (ebenda). Deshalb ‘entwickelt sich der Arbeiterkampf heute nicht geradlinig, sondern mit Fort- und Rückschritten, in einer auf- und abwärts Bewegung’ (ebenda).

Die Bourgeoisie versteht jedoch sehr wohl, daß die Zuspitzung der Angriffe gegen die Arbeiterklasse nur neue und bewußtere Kämpfe hervorbringen wird. Sie bereitet sich darauf vor, indem sie eine Reihe von gewerkschaftlichen Manövern anzettelt, und indem einige ihrer Vertreter die Initiative ergriffen haben, ‘Beweihräucherungsreden’ auf die ‘Revolution’ , den ‘Kommunismus’ und den ‘Marxismus’ zu halten. Deshalb ist es ‘die Aufgabe der Revolutionäre in ihrer Intervention, so deutlich und energisch wie möglich die tückischen Manöver der Gewerkschaften zu entblößen wie auch die angeblich ‘revolutionären Reden’ der Sprachrohre der Herrschenden. Sie müssen die wirkliche Perspektive der proletarischen Revolution und des Kommunismus als einzig möglichen Ausweg aufzeigen, der die Menschheit retten kann und durch die Arbeiterkämpfe erst möglich wird’ (Punkt 17).

Nachdem die IKS ihre Kräfte wieder zusammengefügt und gesammelt hat, sind wir nach dem 11. Kongreß erneut bereit, diese Verantwortung zu übernehmen.



1kg/16#_ednref1" name="_edn1">[i] Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Italien, Mexiko, Niederlande, Schweden, Spanien, USA, Venezuela.

1kg/16#_ednref2" name="_edn2">[ii] Eine Analyse des proletarischen politischen Milieus, das ein ständiges Anliegen ist,  stand ebenfalls auf der Tagesordnung. Aus Zeitgründen haben wir diesen Punkt fallenlassen müssen, aber das heißt nicht, daß wir unsere Aufmerksamkeit gegenüber dem Milieu vernachlässigen wollten. Im Gegenteil: indem wir unsere eigenen organisatorischen Schwierigkeiten überwunden haben, können wir einen besseren Beitrag zur Entwicklung des gesamten proletarischen Milieus leisten.

1kg/16#_ednref3" name="_edn3">[iii] ‘Da die Bedingungen für die Arbeitersektionen in jedem Lande und für die Arbeiterklasse in den verschiedenen Ländern sowie auch ihre gegenwärtigen Entwicklungsstufen sehr verschieden sind, so folgt daraus notwendig, daß ihre theoretischen Ansichten, welche die reelle Bewegung widerspiegeln ebenso verschieden sind.

Die Gemeinsamkeit der Aktion, welche die Internationale Arbeiterassoziation ins Leben ruft, der durch die Organe der verschiedenen nationalen Sektionen erleichterte Ideenaustausch und die unmittelbare Debatte auf den allgemeinen Kongressen werden indes nicht verfehlen, nach und nach ein gemeinsames theoretisches Programm zu schaffen’ (MEW 16, S. 348, ‘Der Generalrat der IAA an das Zentralbüro der Allianz der sozialistischen Demokratie’, 9.3.1869).

Die Allianz wollte zunächst mit ihren eigenen Statuten beitragen, wobei vorgesehen war, daß sie eine internationale Struktur haben würde, die sich mit der der IAA decken würde (mit einem Generalrat  und Kongreß, die getrennt von denen der IAA durchzuführen wären). Der Generalrat verwarf diesen Antrag; er unterstrich, daß die Statuten der Allianz im Gegensatz standen zu denen der IAA. Er hob hervor, daß er bereit war, die Sektionen der Allianz aufzunehmen, falls die Allianz ihre internationale Struktur aufgab. Die Allianz akzeptierte diese Bedingungen, aber hielt dennoch ihre geheimen Statuten verborgen aufrecht.

1kg/16#_ednref4" name="_edn4">[iv] In einem Aufruf ‘An die Offiziere der russischen Armee’ lobt Bakunin die Vorteile einer geheimen Organisation, deren ‘Stärke in der Disziplin liegt, in leidenschaftlicher Aufopferung und Selbstverleugnung der Mitglieder und in blindem Gehorsam gegenüber der Zentrale, die alles weiß und die niemand kennt’.

1kg/16#_ednref5" name="_edn5">[v] Die Anarchisten treten ein für die sofortige Abschaffung des Staates direkt nach der Revolution. Dies weicht der Frage aus: der Marxismus hat gezeigt, daß der Staat überleben wird, obgleich offensichtlich in einer anderen Form als im kapitalistischen Staat, bis zum vollständigen Verschwinden der gesellschaftlichen Klassen.

1kg/16#_ednref6" name="_edn6">[vi] Siehe dazu die Artikel ‘Die Krise des revolutionären Milieus’, ‘Bericht zur Struktur und Funktionsweise der revolutionären Organisation’, ‘Vorstellung des 5. Kongresses der IKS’ in unserer Internationalen Revue.

1kg/16#_ednref7" name="_edn7">[vii] Chenier, der unsere Wachsamkeit ausgenutzt hatte, war 1978 Mitglied der IKS in Frankreich geworden. Von 1980 hatte er Unterwanderungsarbeit mit dem Ziel der Zerstörung unserer Organisation betrieben. Zu diesem Zwecke hatte er sehr clever sowohl unsere mangelnde organisatorische Wachsamkeit wie auch die Spannungen, die es damals in unserer Sektion in Großbritannien gab, ausgeschlachtet. Diese Lage hatte zur Bildung von zwei entgegengesetzten Clans in dieser Sektion geführt, mit der Folge der Blockierung der Arbeit und dem Austritt der Hälfte der Mitglieder in dieser Sektion sowie Austritten in anderen Sektionen. Chenier war im Sept. 1981 aus der IKS ausgeschlossen worden, und wir hatten damals in unserer Presse ein Kommuniqué mit einer Warnung vor ihm an das proletarische politische Milieu veröffentlicht, da es sich um ein ‘undurchsichtiges und verdächtiges’ Element handelt. Kurz danach begann Chenier eine Karriere in den Gewerkschaften, der Sozialistischen Partei und dem Staatsapparat, für den er wahrscheinlich schon seit langem arbeitete.

Erbe der kommunistischen Linke: 

  • Die revolutionäre Organisation [1]

11. Kongress: Resolution zur internationalen Situation

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1) Das Begreifen des historisch zeitlich begrenzten Charakters der kapitalistischen Produktionsform, der Unüberwindbarkeit der Krise des Systems ist für die Kommunisten die felsenfeste Grundlage, auf der wir die revolutionäre Perspektive des Kampfes der Arbeiterklasse aufbauen. Deshalb stellen alle Versuche, so wie sie heute die Bourgeoisie und ihre Fürsprecher betreiben, zu verbreiten, die Weltwirtschaft sei dabei, ‘die Krise zu überwinden’, oder daß einige ‘Schwellenländer’  anstelle der alten, am Boden liegenden Wirtschaftsbereiche treten könnten, einen klaren Angriff gegen das Bewußtsein der Arbeiterklasse dar.

Das Scheitern der kapitalistischen Weltwirtschaft

2) Die offiziellen Reden über ‘den Wiederaufschwung’ machen ein großes Aufheben über die Entwicklung der Industrieproduktion oder das Ansteigen der Profite der Unternehmen. Während es in der Tat in den angelsächsischen Ländern solch eine Entwicklung gegeben hat, müssen wir sofort die Grundlagen dieser Entwicklung aufzeigen:

- wenn Firmen jetzt wieder davon reden, daß sie erneut Profite machen, insbesondere große Firmen, dann weil sie vor allem Geld bei Spekulationsgeschäften verdient haben. Dem steht ein erneutes Anschwellen der öffentlichen Verschuldung gegenüber sowie ein Absägen der ‘toten Äste’ in vielen Firmen, d.h. ein Überbordwerfen der am wenigsten produktiven Bereiche;

- der Fortschritt der industriellen Produktion ist zum Großteil auf eine bedeutsame Steigerung der Arbeitsproduktivität zurückzuführen, hinter der der massive Einsatz von Automation und Informatik steckt.

Deshalb besteht eine der Haupteigenschaften dieses ‘Wiederaufschwungs’ darin, daß er keine neuen Arbeitsplätze schafft oder die Arbeitslosigkeit in bedeutendem Maße zurückdrängt. Prekäre Arbeit hat sich weiter ausgedehnt, denn das Kapital achtet ständig darauf, wann immer notwendig, überflüssige Arbeitskräfte auf die Straße schmeißen zu können.

3) Während die Arbeitslosigkeit vor allem einen Angriff gegen die Arbeiterklasse und einen brutalen Faktor der Entfaltung der Armut und des Ausschlusses aus der Gesellschaft darstellt, legt die Arbeitslosigkeit auch das Scheitern des Kapitalismus bloß. Das Kapital lebt von der Ausbeutung der lebendigen Arbeit: dazu gehört ebenso die Brachlegung ganzer Industriebereiche, und daß  immer größere Teile der Arbeiterklasse arbeitslos werden. All das stellt eine Selbstverstümmelung des Kapitals dar. Es zeigt das endgültige Scheitern der kapitalistischen Produktionsweise auf, dessen historische Funktion gerade darin bestand, die Lohnarbeit weltweit auszudehnen. Dieser Bankrott des Kapitalismus äußert sich auch durch die dramatische Verschuldung der Staaten, die in den letzten Jahren erneut angestiegen ist: zwischen 1989 und 1994 ist die öffentliche Verschuldung von 53% auf 65% des BIP der USA, von 57% auf 73% in Europa angestiegen, in Belgien erreicht sie gar 142%. Tatsächlich sind die kapitalistischen Staaten zahlungsunfähig geworden. Wenn sie den gleichen Gesetzen unterworfen wären wie die Privatkapitalisten, hätten sie schon längst Pleite anmelden müssen. Diese Situation spiegelt nur die Tatsache wider, daß der Staatskapitalismus die Reaktion des Systems auf dessen Sackgasse darstellt; aber diese Antwort ist keinesfalls eine Lösung und sie kann auch nicht ewig von Bestand sein.

4) Die oft zweistelligen Wachstumsraten der berühmten ‘Schwellenländer’ widerlegen keinesfalls das allgemeine Scheitern der Weltwirtschaft. Diese Wachstumszahlen sind auf einen großen Kapitalstrom infolge unglaublich billiger Lohnkosten zurückzuführen, was die Bourgeoisie beschämt ‘Verlagerung’ von Produktionsstätten nennt. Das bedeutet, daß diese wirtschaftliche Entwicklung die Produktion der am meisten fortgeschrittenen Länder nur negativ beeinflussen kann; und so werden sich diese Staaten wiederum gegen die ‘unfairen Handelspraktiken der Schwellenländer’ wehren. Darüber hinaus steckt hinter den spektakulären Leistungen oft ein Verfall ganzer Wirtschaftsbereiche dieser Länder: hinter dem ‘Wirtschaftswunder’ Chinas stecken mehr als 250 Mio. Arbeitslose im Jahre 2.000. Der neulich aufgetretene Finanzkrach bei einem anderen Modellfall, ‘Mexiko’, dessen Währung mehr als die Hälfte ihres Wertes von heute auf morgen verlor, und eine dringende Finanzspritze von nahezu 50 Mrd. Dollar an Sofortkrediten erforderlich machte (bei weitem die größte ‘Rettungsoperation’ in der Geschichte des Kapitalismus), faßt die Wirklichkeit des Wunders zusammen, das sich hinter vielen ‘Schwellenländern’ der 3. Welt verbirgt. Die ‘Schwellenländer’ sind nicht der neue Hoffnungsträger der Weltwirtschaft. Sie sind nur der, wenn auch zerbrechliche und verrückte Ausdruck eines wahnsinnigen Systems. Diese Wirklichkeit wird durch die Lage in Osteuropa nicht widerlegt, denn Osteuropa sollte ja unter dem Glanz des Liberalismus aufblühen. Während einige Länder (wie Polen) es bislang geschafft haben, das Schlimmste zu verhindern, ist das Chaos, das sich in Rußland breitgemacht hat (die Produktion ist um mehr als 30% in den letzten beiden Jahren gefallen, mehr als 2.000% Inflation in der gleichen Zeit), ein Beweis dafür, wie sehr die Reden, die seit 1989 gehalten wurden, nur Lügen waren. Die Lage in der russischen Wirtschaft ist dermaßen katastrophal, daß die Mafia, die einen großen Teil des Räderwerks kontrolliert, nicht als Parasit auftritt, wie in vielen westeuropäischen Ländern, sondern als ein Stützpfeiler, der ein Mindestmaß an Stabilität mit einbringt.

5) Schließlich führt der potentielle Bankrott des Kapitalismus, die Tatsache, daß er nicht endlos lange leben kann, indem er ständig nur Wechsel auf die Zukunft ausstellt, und die allgemeine und endgültige Sättigung der Märkte durch eine Flucht in die Verschuldung zu umgehen versucht, zu immer größeren Bedrohungen für das gesamte internationale Finanzsystem. Die durch den Bankrott der britischen Barings Bank hervorgerufene Aufregung, als sich ein ‘golden boy’ in der Währungsakrobatik verspekuliert hatte, sowie die Angst, die nach der Ankündigung der Krise des mexikanischen Pesos folgte, die in keinem Verhältnis zum Gewicht der mexikanischen Wirtschaft in der Weltwirtschaft stand, sind unleugbare Indizien der wirklichen Angst, von der die herrschende Klasse gepackt wird in Anbetracht der Perspektive einer ‘wirklich weltweiten Katastrophe’ ihrer Finanzen - wie es der Direktor des Internationalen Währungsfonds formulierte. Aber dieser Finanzkrach ist nichts anderes als eine Bloßlegung der Katastrophe der gesamten kapitalistischen Produktionsform selber, die die ganze Welt in immer tiefergreifende Erschütterungen in der Geschichte reinreißt.

Zuspitzung des weltweiten Chaos und der imperialistischen Zusammenstösse

6) Die Bühne, auf der diese Erschütterungen am deutlichsten zum Ausdruck kamen, sind die imperialistischen Zusammenstöße. Es sind noch keine 5 Jahre seit dem Zusammenbruch des Ostblocks vergangen, seit den Versprechungen einer ‘neuen Weltordnung’, die von den Führern der größten westlichen Industriestaaten abgegeben worden, und schon ist das Chaos in den Beziehungen zwischen den Staaten so offensichtlich geworden. Obgleich sie sich auf der Androhung einer furchtbaren Konfrontation zwischen den Atommächten stützte, und obgleich ihre beiden Supermächte ständig durch Stellvertreterkriege aufeinanderprallten, enthielt die ‘Ordnung von Jalta’ dennoch ein gewisses Element von ‘Ordnung’. Weil die Möglichkeit eines neuen Weltkrieges nicht gegeben war, da die Arbeiterklasse in den zentralen Ländern nicht mobilisiert werden konnte, mußten die beiden Weltgendarmen die imperialistischen Zusammenstöße innerhalb eines ‘akzeptablen’ Rahmens beschränken. Sie mußten insbesondere vermeiden, daß das Chaos und Zerstörung in den fortgeschrittenen Ländern zu starke Ausmaße annahm, vor allem in Europa, dem Schauplatz zweier Weltkriege. Diese Rahmenbedingungen sind jetzt zusammengebrochen. Mit den blutigen Zusammenstößen im ehemaligen Jugoslawien ist Europa nicht mehr ein ‘unangetastetes Gebiet. Gleichzeitig haben diese Konfrontationen gezeigt, wie schwierig es ist, ein neues ‘Gleichgewicht’, eine neue ‘Weltordnung’ als Nachfolge des Jalta-Abkommens zu errichten.

7) Während der Zusammenbruch des Ostblocks zum Großteil unvorhersehbar war, traf das nicht zu auf das Verschwinden des westlichen rivalisierenden Blocks. Man brauchte nichts vom Marxismus zu verstehen (und Kautskys Theorie des ‘Superimperialismus’ zu folgen, die von den Revolutionären im 1. Weltkrieg widerlegt wurde), um zu erkennen, daß ein einziger Block nicht allein bestehen konnte. Alle Bourgeoisien sind grundsätzlich untereinander Rivalen. Man kann dies deutlich im Handel sehen, wo ‘der Krieg eines jeden gegen jeden’ vorherrscht. Diplomatische und militärische Allianzen sind nichts anderes als eine Verdeutlichung der Tatsache, daß die Bourgeoisie keine Möglichkeit hat, ihre strategischen Interessen alleine gegen andere durchzusetzen. Der gemeinsame Gegner ist das einzige bindende Element solcher Allianzen und keinesfalls die ‘Freundschaft zwischen den Völkern’. Wir können heute sehen, wie unverbindlich und unehrlich solche Formeln sind, da die Feinde von gestern (wie beispielsweise Rußland und die USA) plötzlich zu einer neuen ‘Freundschaft’ gefunden haben und jahrzehntelange ‘Freundschaften’ (wie zwischen Deutschland und den USA) werden jetzt durch Streit untereinander abgelöst.

Während die Ereignisse von 1989 das Ende der Spaltung der Welt als ein Ergebnis des 2. Weltkrieges mit sich brachten, wodurch Rußland endgültig nicht mehr Lage ist, einen imperialistischen Block zu führen, haben die Ereignisse seit 1989 die Tendenz hervorgebracht, daß sich neue imperialistische Konstellationen entwickeln. Während seine Wirtschaftsmacht und seine geographische Stellung Deutschland dazu auserwählt, als einziges Land die Nachfolge Rußlands anzutreten, die Rolle eines möglichen zukünftigen Blockgegners gegen die USA  zu übernehmen, sind die militärischen Voraussetzungen, die Deutschland solch eine Ambition durchzusetzen erlaubten, bei weitem noch nicht erfüllt. Und weil es noch keine neuen imperialistischen Bündnisse gibt, die an die Stelle der 1989 zerstörten Bündnisse treten könnten, wird die Welt aufgrund der noch nie erreichten Tragweite und Tiefe der Wirtschaftskrise, welche die militärischen Spannungen nach dem Motto ‘jeder für sich’ anschwellen läßt, von einem Chaos erschüttert, das den allgemeinen Zerfall der kapitalistischen Produktionsweise noch mehr zuspitzt.

8) Die Lage, die durch das Ende der beiden Blöcke des ‘kalten Krieges’ entstanden ist, wird somit durch zwei widersprüchliche Tendenzen geprägt:

- auf der einen Seite Chaos, Instabilität bei den Allianzen zwischen den Staaten,

- auf der anderen Seite gibt es den Prozeß des Aufbaus von zwei neuen Blöcken. Diese ergänzen sich jedoch gegenseitig, da die zweite Tendenz die erste nur zuspitzen kann. Die Erfahrung aus den letzten 3 Jahren verdeutlicht dies:

* die Krise und der Golfkrieg 1990-91, die von den USA ausgelöst wurde, waren ein Teil eines Versuches des US-Gendarmen, seine Vorherrschaft über die ehemaligen Verbündeten aus der Zeit des kalten Krieges aufrechtzuerhalten. Diese Vorherrschaft wird ständig von den früheren Verbündeten infragegestellt, nachdem die sowjetische Bedrohung nicht mehr besteht.

* der Krieg im ehemaligen Jugoslawien ist das direkte Ergebnis der neuen deutschen Ambitionen. Deutschland war der Drahtzieher der Loslösung Sloweniens und Kroatiens von Jugoslawien, wodurch das Pulverfaß auf dem Balkan in Brand geriet.

*die Fortsetzung dieses Krieges sät Zwietracht im deutsch-französischen Verhältnis, das die gemeinsame Führung der Europäischen Union übernommen hatte (die der erste Eckpfeiler für den Aufbau eines potentiellen neuen imperialistischen Blockes darstellt), und diese Zwietracht entsteht auch im englisch-amerikanischen Verhältnis, das das älteste und treueste Bündnis ist, das es in diesem Jahrhundert gegeben hat.

9) Mehr noch als das Hickhack zwischen dem französischen Hahn und dem deutschen Adler zeigt die gegenwärtige mangelnde ‘Treue’ zwischen England und Uncle Sam den Grad an Chaos auf, von dem heute die internationalen Beziehungen geprägt werden. Während die britische Bourgeoisie nach 1989 sich anfangs als  treueste Verbündete der amerikanischen Bourgeoisie erwies, insbesondere während des Golfkriegs, waren es die sehr mageren Vorteile, die aus dieser Treue entstanden, sowie die Verteidigung ihrer spezifischen Interessen am Mittelmeer und auf dem Balkan, wo sie eine pro-serbische Politik verfolgte, die sie dazu führten, sich von dem amerikanischen Verbündeten beträchtlich zu entfernen. Seitdem hat die britische Bourgeoisie systematisch die Politik der USA, Bosnien zu unterstützen, sabotiert. Dank dieser Politik hat es die britische Bourgeoisie geschafft, eine solide taktische Allianz mit der französischen Bourgeoisie zu errichten, mit dem Ziel, die Unstimmigkeiten zwischen dem deutsch-französischen Tandem weiter zu vertiefen. Die französische Bourgeoisie steht dieser Vorgehensweise positiv gegenüber, weil die wachsende Macht Deutschlands sie beunruhigt. Diese neue Situation wird zunehmend durch eine Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit zwischen der britischen und französischen Bourgeoisie verdeutlicht, z.B. die vorgesehene Aufstellung gemeinsamer Luftwaffenkampfverbände und vor allem mit dem Abkommen, eine gemeine inter-afrikanische Interventionstruppe aufzubauen, die ‘in Afrika den Frieden bewahren und Krisen vermeiden’ soll. Damit hat Großbritannien eine spektakuläre Wende in seiner Haltung nach der Unterstützung der Politik der USA in Ruanda vollzogen, die darauf abzielte, den französischen Einfluß in diesem Land zu reduzieren.

10) Diese Entwicklung der Haltung Großbritanniens gegenüber seinem Verbündeten, dessen Unzufriedenheit besonders stark am 17. März 1995 zum Ausdruck gebracht wurde, als Clinton den Führer der Sinn Fein Gerry Adams empfing, ist eines der bemerkenswertesten Ereignisse in der letzten Zeit. Dies offenbart das Ausmaß der Niederlage, die die USA durch den Gang der Dinge im ehemaligen Jugoslawien haben hinnehmen müssen, wo die direkte Besetzung des Terrains durch die britische und französische Armee in Gestalt der UNPROFOR stark dazu beigetragen hat, daß die Versuche der USA, in der Region mit Hilfe des bosnischen Verbündeten Fuß zu fassen, vereitelt wurden.

Es fällt auf, daß die erste Weltmacht auf immer mehr Schwierigkeiten stößt, ihre Rolle als weltweiter Gendarm wahrzunehmen. Diese Rolle wird immer weniger von den anderen Bourgeoisien unterstützt; die Lage ist nicht mehr wie früher, als die von der Sowjetunion ausgehende Bedrohung sie zwang, sich den Befehlen Washingtons zu unterwerfen. Es gibt gegenwärtig eine ernsthafte Schwächung, gar eine Krise der amerikanischen Führung, die überall auf der Welt zu sehen ist, und von dem der erbärmliche Abzug der GI’s aus Somalia zwei Jahre nach ihrem in den Medien groß herausgeputzten Einmarsch ein entsprechendes Bild liefert. Die Führungskrise der USA liefert die Erklärung dafür, weshalb andere Mächte in den US-amerikanischen Hinterhof nach Lateinamerika vorgestoßen sind:

- der Versuch der spanischen und französischen Bourgeoisie, einen ‘demokratischen Übergang’ in Kuba mit Castro zu fördern und nicht ohne ihn, wie Uncle Sam es gerne hätte.

- die Annäherung der peruanischen Bourgeoisie an Japan, die durch die Wiederwahl Fujimoris bestätigt wurde.

- die Unterstützung der Bewegung der zapatistischen Guerilla in Mexiko, durch die europäische Bourgeoisie, insbesondere seitens der Kirche.

11) Diese ernsthafte Schwächung der amerikanischen Führung kommt durch die Tatsache zum Vorschein, daß die vorherrschende Tendenz gegenwärtig nicht die einer neuen Blockbildung ist, sondern  ‘jeder kämpft für sich’. Für die erste Weltmacht, mit einer überwältigenden militärischen Überlegenheit ausgestattet, ist es viel schwerer, die durch allgemeine Instabilität geprägte Lage zu beherrschen, wo es überall nur zerbrechliche Allianzen gibt, als zu einer Zeit, wo es eine obligatorische Disziplin seitens der Staaten gab, in Anbetracht der Bedrohung durch große imperialistische Mächte und die Gefahr einer atomaren Vernichtung. In solch einer Situation der Instabilität ist es für jedes Land einfacher, für Unruhe zu sorgen und dem Gegner Ärger zu bereiten, die Bündnisse zu untergraben, die es bedrohen, als selbst solide Bündnisse aufzubauen und für Stabilität im eigenen Herrschaftsgebiet zu sorgen. Solch eine Situation fördert natürlich die Machenschaften zweitrangiger Mächte, daß es immer einfacher ist, Unruhe zu stiften als für Stabilität zu sorgen. Dies wird noch durch die Tatsache verstärkt, daß die kapitalistische Gesellschaft  immer mehr zerfällt. Deshalb werden die USA noch viel stärker diese Politik betreiben müssen. So können wir zum Beispiel die US-amerikanische Unterstützung für die neulich von der Türkei durchgeführte Offensive gegen die kurdischen Nationalisten im Nordirak erklären. Diese Offensive wurde vom traditionellen Verbündeten der Türkei, Deutschland, als eine Provokation aufgefaßt und verurteilt. Dabei handelt es sich nicht um ein ‘Ende des Bündnisses’ zwischen Deutschland und der Türkei, sondern um einen (großen) Knüppel, der diesem Bündnis in die Beine geworfen wurde und wodurch die Bedeutung der Türkei für die zwei imperialistischen Paten deutlich wurde. Diese Situation kommt auch dadurch zum Vorschein, daß die USA in einem Land wie Algerien zum Beispiel die gleichen Waffen einsetzen wie Ghaddafi oder Khomeini: Unterstützung des Terrorismus und der islamischen Fundamentalisten.  Jedoch gibt es bei der jeweiligen Praxis der Destabilisierung der Positionen der anderen durch die USA und die Rivalen keine Gleichheit. Während die US-Diplomatie es sich leisten kann, in den innenpolitischen Auseinandersetzungen in Ländern wie Italien einzugreifen (Unterstützung Berlusconis), Spanien (der GAL-Skandal wurde von den USA eingefädelt), Belgien (die Augusta-Affäre) oder Großbritannien (die Opposition gegen Major seitens der ‘Euroskeptiker’), trifft das Gegenteil nicht zu. So können die Probleme, die innerhalb der US-Bourgeoisie aufgrund des diplomatischen Scheiterns oder in den internen Debatten um umstrittene strategische Entscheidungen (z.B. um ihr Bündnis mit Rußland) auftauchen, nicht auf die gleiche Ebene gestellt werden wie die politischen Erschütterungen, die in anderen Ländern auftreten. So waren z.B. die Unstimmigkeiten anläßlich des Einsatzes von US-Truppen in Haiti hauptsächlich das Ergebnis einer Arbeitsteilung zwischen bürgerlichen Flügeln und nicht wirkliche Spaltungen innerhalb der US-Bourgeoisie.

12) Trotz ihrer gewaltigen militärischen Überlegenheit und der Tatsache, daß dieser Vorteil nicht mehr im gleichen Maße zum Einsatz kommen kann wie früher, trotz der Tatsache, daß aufgrund der Haushaltsdefizite die USA gezwungen waren, ihre Militärausgaben zu reduzieren, haben die USA die Modernisierung ihrer Rüstung nicht aufgegeben. Es werden immer neue, noch ausgefeiltere Waffensysteme entwickelt. Insbesondere wird das ‘Star Wars’ Projekt fortgesetzt. Der Einsatz oder die Androhung von schlichter Gewalt ist jetzt das Hauptmittel der USA, um die Durchsetzung ihrer Autorität sicherzustellen (obgleich sie nicht zögern, die wirtschaftliche Waffe einzusetzen, Druck auf internationale Institutionen wie die Welthandelsorganisation, Handelssanktionen usw.). Die Tatsache, daß diese Waffe sich als machtlos erwiesen hat, oder gar als Faktor herausgestellt hat, der das Chaos erhöht, wie nach dem Golfkrieg und den Ereignissen in Somalia deutlich wurde, kann nur die unüberwindbare Krise der kapitalistischen Welt bestätigen. Die Aufrüstung von Ländern wie China und Japan, die zur Zeit stattfindet, und die als Rivale der USA in Südostasien und im Pazifik auftreten, können die USA nur dazu treiben, ihre Waffen noch mehr weiterzuentwickeln und sie einzusetzen.

13) Das blutige Chaos bei den imperialistischen Beziehungen, das die Weltlage prägt, ist besonders stark entfaltet in den peripheren Ländern, aber das Beispiel des früheren Jugoslawien, das nur einige Hundert Kilometer von den großen Industriezentren Europas entfernt liegt, zeigt, daß dieses Chaos sich auch dem Zentrum Europas immer mehr nähert. Den Zehntausenden Toten in _Algerien während der letzten Jahre, der Million Toten in Ruanda müssen wir die Hunderttausenden Toten in Kroatien und Bosnien hinzufügen. Tatsächlich gibt es jetzt Dutzende von blutigen Zusammenstößen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Sie alle sind Teil dieses unbeschreiblichen Chaos, das die verfaulende kapitalistische Welt hervorbringt. So bringt die mehr oder weniger allgemeine Komplizenschaft gegenüber den Massakern in Tschetschenien, die dort von der russischen Armee verübt wurden, welche verzweifelt versucht, das Auseinanderbrechen Rußlands nach dem Auseinanderbrechen der alten UdSSR zu verhindern, die Angst der herrschenden Klasse vor dem wachsenden Chaos und zum Ausdruck. Wir müssen es deutlich sagen: nur der Sturz des Kapitalismus durch die Arbeiterklasse kann verhindern, daß dieses wachsende Chaos zur Zerstörung der Menschheit führt.

Die Perspektive des Wiedererstarkens des Klassenkampfes

14) Mehr als je zuvor stellt der Kampf des Proletariats die einzige Hoffnung für die Zukunft der Menschheit dar. Diese Kämpfe, die Ende der 60er Jahre mit großer Wucht ausgebrochen waren und die schrecklichste Konterrevolution, unter der die Arbeiterklasse zu leiden gehabt hatte, beendeten, sind in einen umfangreichen Rückfluß nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime, den damit verbundenen ideologischen Kampagnen und Ereignissen (Golfkrieg, Balkankrieg usw.) eingetreten. Der massive Rückfluß war auf zwei Ebenen deutlich zu spüren: auf der Ebene der Kampfbereitschaft und des Klassenbewußtseins, ohne daß dies jedoch gleichzeitig - wie die IKS schon damals hervorhob - den historischen Kurs hin zu Klassenzusammenstößen umgeschmissen hat. Die in den letzten Jahren vom Proletariat geführten Kämpfe haben dies bestätigt. Sie haben insbesondere seit 1992 die Fähigkeit des Proletariats unter Beweis gestellt, den Weg des Klassenkampfes wieder einzuschlagen, womit bestätigt wurde, daß der historische Kurs nicht umgekehrt wurde. Diese Kämpfe haben jedoch auch die großen Schwierigkeiten der Klasse aufgrund der Tiefe und des Ausmaßes des Rückflusses aufgezeigt. Die Arbeiterkämpfe entwickeln sich mit Fort- und Rückschritten in einer auf- und ab Bewegung.

15) Die massiven Kämpfe in Italien im Herbst 1992, 1993 in Deutschland und viele andere Beispiele haben das brachliegende Kampfpotential deutlich werden lassen, das in der Arbeiterklasse heranreift. Seitdem hat man diese Kampfbereitschaft langsam aufbrechen sehen, wiederum mit langen Ruhepausen, aber sie ist seitdem nicht verschwunden. Die massiven Mobilisierungen im Herbst 1994 in Italien, die Reihe von Streiks im öffentlichen Dienst im Frühjahr 1995 in Frankreich sind unter vielen anderen Belegen ein Ausdruck dieser Kampfbereitschaft. Aber man muß sofort darauf hinweisen, daß die Tendenz hin zur Infragestellung der Gewerkschaften, die 1992 in Italien zu sehen gewesen war, seitdem nicht bestätigt wurde; im Gegenteil: die Massendemonstration 1994 in Rom war ein Meisterwerk gewerkschaftlicher Kontrolle gewesen. Die Tendenz zur spontanen Vereinigung, die (zwar noch auf embryonale Weise) erst in Ansätzen im Herbst 1993 an der Ruhr in Deutschland zu sehen war, ist seitdem auch großen gewerkschaftlichen Manövern gewichen, wie der ‘Streik’ im Metallbereich Anfang 1995 bewies, der voll von der Bourgeoisie kontrolliert wurde. Die neulich in Frankreich stattgefundenen Streiks, die tatsächlich gewerkschaftliche Aktionstage sind, waren ein Erfolg für die Gewerkschaften.

16) Neben der Tiefe des Rückflusses seit 1989 sind die Schwierigkeiten, vor denen die Arbeiterklasse steht, um auf ihrem Boden voranzuschreiten, zurückzuführen auf eine Reihe von zusätzlichen Hindernissen, die die Feindesklasse aufgestellt und geschickt ausgenützt hat. Diese Schwierigkeiten müssen im Zusammenhang mit den negativen Auswirkungen der Phase des Zerfalls des Kapitalismus auf das Bewußtsein gesehen werden, wodurch das Selbstvertrauen der Arbeiter und auch die  Perspektive ihrer Kämpfe angekratzt wird. Die Massenarbeitslosigkeit, mittlerweile zu einem ständigen Phänomen geworden, zeigt zwar unleugbar den Bankrott des Kapitalismus auf, aber sie bringt auch eine starke Demoralisierung, eine starke Hoffnungslosigkeit unter vielen Arbeitern mit sich, von denen viele ins Abseits gedrängt werden und gar ins Lumpenproletariat überwechseln. Die Arbeitslosigkeit ist ebenfalls ein Mittel zur Erpressung und Unterdrückung durch die Bourgeoisie gegenüber den Arbeitern, die noch eine Beschäftigung haben. Das Gerede vom ‘Aufschwung’ und die wenigen positiven Ergebnisse (gemessen am Profit und Wachstum) in den Industriestaaten werden ausgeschlachtet, um den Gewerkschaften mit ihren Reden Gehör zu verschaffen, die sagen: ‘Die Arbeitgeber können zahlen, sie haben das Geld!’. Dieses Gerede ist deshalb so gefährlich, weil es die reformistischen Illusionen der Arbeiter verstärkt, und die Arbeiter damit um so anfälliger werden gegenüber den gewerkschaftlichen Kontrollversuchen. Auch steckt dahinter die Idee, ‘wenn die Bosse nicht zahlen können’, lohnt es sich nicht zu kämpfen, was wiederum ein zusätzlicher Spaltungsfaktor ist (neben der Spaltung zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten) zwischen den Beschäftigten, die in Branchen arbeiten, die von der Krise unterschiedlich erfaßt sind.

17) Diese Hindernisse haben die verstärkte Kontrolle der Gewerkschaften über die Kampfbereitschaft und deren Kanalisierung in von ihnen vollständig kontrollierten ‘Aktionen’ ermöglicht. Aber die gegenwärtigen Manöver der Gewerkschaften sind auch und vor allem ein vorbeugendes Mittel: sie müssen ihre Kontrolle über die Arbeiter ausdehnen, bevor diese ihre Kampfbereitschaft noch stärker entfalten, denn diese Kampfbereitschaft wird aufgrund der immer härteren Angriffe der Krise noch zunehmen. Auch müssen wir den veränderten Ton in den Reden einiger Teile der herrschenden Klasse sehen. Während in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch des Ostens die Kampagne mit dem Thema ‘der Kommunismus ist tot’ und ‘die Revolution ist unmöglich’ vorherrschte, hört man heute teilweise wieder ‘Lobreden’ auf den ‘Marxismus’, die ‘Revolution’, den ‘Kommunismus’ von den Vertretern der extremen politischen Linken natürlich aber auch von anderen Kreisen. Es handelt sich auch deshalb um eine vorbeugende Maßnahme seitens der Bourgeoisie, die dazu dient, die Diskussionen und das Nachdenken in der Klasse abzuwürgen, obgleich in Anbetracht des immer offener werdenden Scheiterns der kapitalistischen Produktionsform dieses Nachdenken immer mehr zunehmen wird. Die Revolutionäre müssen in ihren Interventionen  die heimtückischen Manöver der Gewerkschaften wie auch die angeblich ‘revolutionären’ Reden entblößen. Sie müssen die wirkliche Perspektive der proletarischen Revolution und des Kommunismus aufzeigen als den einzigen Ausweg zur Rettung der Menschheit und als Endergebnis der Arbeiterkämpfe.

IKS, April 1995.

 

Theoretische Fragen: 

  • Arbeiterklasse [2]

20 JAHRE INTERNATIONALE KOMMUNISTISCHE STRÖMUNG

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20 JAHRE INTERNATIONALE KOMMUNISTISCHE STRÖMUNG

 

Die Internationale Kommunistische Strömung wurde vor 20 Jahren, im Januar 1975, gegründet. Dies ist für eine internationale proletarische Organisation eine beträchtlich lange Dauer, wenn man bedenkt, dass die drei Internationalen, die Internationale Arbeiterassoziation 12 Jahre (1864-1876), die Sozialistische Internationale 25 Jahre (1889-1914) und die Kommunistische Internationale 9 Jahre (1919-1928) bestanden. Natürlich sagen wir nicht, dass unsere Organisation eine vergleichbare Rolle wie die drei Arbeiterinternationalen hat. Trotzdem gehört unsere 20jährige Erfahrung ganz zur Erfahrung der Arbeiterklasse und ist genauso deren Ergebnis wie die drei Internationalen und die anderen Organisationen, die heute proletarische Positionen verteidigen. In diesem Sinne ist es unsere Aufgabe  - und dieser Jahrestag gibt uns die Gelegenheit dazu -  unserer Klasse einige Lehren zu vermitteln, die wir aus diesem zwei Jahrzehnte dauernden Kampf gezogen haben.

 

Vergleicht man die IKS mit den Organisationen, welche die Geschichte der Arbeiterbewegung hervorgebracht hat, im besonderen mit den drei Internationalen, dann sticht uns sofort folgendes ins Auge: Während diese Organisationen Millionen, ja gar Dutzende von Millionen von Arbeitern organisierten oder beeinflussten, so ist die IKS weltweit nur bei einer geringen Minderheit in der Arbeiterklasse überhaupt bekannt. Diese Situation, welche heute auch das Los all der anderen revolutionären Organisationen ist, sollte uns eigentlich zu Bescheidenheit veranlassen. Trotzdem ist dies für uns mitnichten ein Grund, unsere Arbeit zu unterschätzen oder uns entmutigen zu lassen. Die geschichtliche Erfahrung des Proletariats in den letzten 150 Jahren, seit es als aktive Klasse auf die Bühne der sozialen Auseinandersetzungen getreten ist, zeigt uns, dass die Perioden, in denen die revolutionären Positionen einen wirklichen Einfluss in der Arbeiterklasse ausüben konnten, relativ beschränkt waren. Und es ist übrigens genau diese Realität, auf die sich die bürgerlichen Ideologen berufen, um zu behaupten, die proletarische Revolution sei eine reine Utopie, da die Mehrheit der Arbeiter nicht glaube, dass eine Revolution notwendig und möglich sei. Aber dieses Phänomen des oft Lange Zeit geringfügigen Einflusses revolutionärer Positionen im Proletariat, welches seit der Existenz von Arbeiter-Massenparteien immer vorhanden war, wie am Ende des letzten und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, verstärkte sich nach der Niederlage der revolutionären Welle, welche auf den Ersten Weltkrieg folgte.

 

Nachdem die Arbeiterklasse die Bourgeoisie weltweit hatte erzittern lassen, rächte sich diese, indem sie die Arbeiter der längsten und gründlichsten je in ihrer Geschichte erlittenen Konterrevolution unterwarf. Und es waren genau die Organisationen, die sich die Arbeiterklasse für ihren Kampf gegeben hatte, die Gewerkschaften sowie die sozialistischen und kommunistischen Parteien, welche die Speerspitze der Konterrevolution bildeten, als sie ins Lager der Bourgeoisie überwechselten. Die sozialistischen Parteien hatten sich schon vorher mehrheitlich in den Dienst der Bourgeoisie gestellt, riefen die Arbeiter während des Krieges zur "nationalen Einheit" auf und beteiligten sich gar in verschiedenen Ländern an den Regierungen, welche die imperialistische Schlächterei eröffneten. Als sich dann die revolutionäre Welle in der Folge der Oktoberrevolution 1917 in Russland entfaltete, machten sich dieselben Parteien zu Henkersknechten der Bourgeoisie: so zum Beispiel mit der entschlossenen Sabotage der Kampfbewegung 1920 in Italien oder 1919 in Deutschland mit den Massakern an Arbeitern und Revolutionären als "Bluthunde" im Dienst der herrschenden Klasse. Später gingen die Kommunistischen Parteien, die sich formiert um jene Fraktionen der sozialdemokratischen Parteien, die sich weigerten die imperialistischen Kriegsbemühungen zu unterstützen, und die die Führung in der revolutionären Welle übernahmen und sich in der Kommunistischen Internationalen zusammentaten. Durch die Niederlage der Weltrevolution und die Degenerierung der Revolution in Russland mitgerissen, wechselten sie ins bürgerliche Lager, wo sie während der 30er Jahre im Namen des Antifaschismus und der "Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes" zu den erfolgreichsten Anwerbern für den Zweiten Weltkrieg wurden. Nachdem sie schon die Hauptrolle bei der Bildung von "Widerstandsbewegungen" gegen die deutschen und japanischen Besatzungsarmeen gespielt hatten, führten sie ihr schmutziges Handwerk mittels einer eisernen Kontrolle über die Arbeiter in der Wiederaufbauperiode der ruinierten kapitalistischen Wirtschaft fort.

 

Während dieser ganzen Periode nahm der Einfluss, den die "sozialistischen" und "kommunistischen" Parteien in der Arbeiterklasse hatten, die Form eines ideologischen Gefängnisses an, welches das Bewusstsein der Arbeiter erstickte. Sie trieben die Arbeiter in den Chauvinismus, raubten ihnen darüber hinaus jegliche Perspektive zur Überwindung des Kapitalismus, vernebelten diese Perspektive mit der Stärkung der demokratischen Bourgeoisie oder mit der Lüge, dass die kapitalistischen Staaten des Ostblocks die Verkörperung des "Sozialismus" seien. Während dieser "Mitternacht des Jahrhunderts" befanden sich die wirklich kommunistischen Kräfte, die aus der Kommunistischen Internationale ausgeschlossen worden waren, in einer enormen Isolation, wenn sie nicht schon vorher durch stalinistische oder faschistische Agenten der Konterrevolution ausgerottet worden waren. Die Handvoll Genossen, die dem Schiffbruch der Kommunistischen Internationale entgehen konnten, leisteten eine unabdingbare Verteidigungsarbeit der kommunistischen Prinzipien, um damit das zukünftige Wiedererwachen des Proletariates in der Geschichte vorzubereiten. Viele dieser Genossen liessen dabei ihr Leben oder gaben erschöpft auf, als ihre Organisationen, die Fraktionen und Gruppen der kommunistischen Linken, verschwanden oder wurden durch Sklerose handlungsunfähig.

 

Die schreckliche Konterrevolution, welche die Arbeiterklasse nach ihren mächtigen Kämpfen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg niederschlug, dauerte 40 Jahre. Doch als die letzten Flammen des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg erloschen und der Kapitalismus von neuem mit einer offenen ökonomischen Krise konfrontiert war, erhob das Proletariat das Haupt. Mai 68 in Frankreich, der "schleichende Mai" 1969 in Italien, die Kämpfe der polnischen Arbeiter im Winter 1970 und eine ganze Serie von Kämpfen in Europa und auf anderen Kontinenten bedeuteten das Ende der Konterrevolution. Und der beste Beweis für diesen grundlegenden Wechsel des historischen Kurses war das Auftauchen und Heranwachsen von Gruppen in verschiedenen Teilen der Welt, die sich, zwar oft in einer konfusen Art und Weise, in der Tradition und auf den Positionen der Kommunistischen Linken sahen. Die IKS wurde 1975 als eine Umgruppierung einiger solcher Gruppen gegründet, welche durch die historische Wiederbelebung der Arbeiterklasse entstanden waren. Die Tatsache, dass sich die IKS seit damals nicht nur behaupten, sondern auf das Doppelte an territorialen Sektionen vergrössern konnte, ist der beste Beleg für das historische Wiedererwachen des Proletariats, das beste Indiz dafür, dass die Arbeiterklasse nicht geschlagen, und der historische Kurs offen ist für Klassenkonfrontationen. Dies ist die erste Lehre, die es aus 20 Jahren IKS zu ziehen gilt, entgegen der von vielen Gruppierungen der Kommunistischen Linken aufgestellten Behauptung, die Arbeiterklasse habe die Konterrevolution noch nicht überwunden.

 

In der "Internationalen Revue", Nr.40, (engl., franz., span., auf deutsch siehe Internationale Revue Nr.9) haben wir aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der IKS schon einige Lehren aus unserer Erfahrung in dieser ersten Periode gezogen. Wir wiederholen sie hier in kurzen Worten, um gewisse Schlussfolgerungen, die wir aus der darauf folgenden Zeit gezogen haben, zu unterstreichen. Doch bevor wir hier eine solche Bilanz ziehen, müssen wir kurz auf die Geschichte der IKS zurückkommen. Für Leser, die den vor zehn Jahren veröffentlichten Artikel nicht kennen, drucken wir hier lange Teile davon, die genau diese Geschichte beschreiben, wieder ab.

 

Das Entstehen eines internationalen Umgruppierungspols

Die "Vorgeschichte" der IKS

"Der erste organisierte Ausdruck unserer Strömung entstand 1964 in Venezuela. Er bestand aus einem kleinen Kern sehr junger Elemente, die anfingen, sich durch Diskussionen mit einem älteren Genossen (es handelt sich um den Genossen Marc, von dem wir später noch sprechen werden) auf Klassenpositionen hinzubewegen. Dieser ältere Genosse besass eine umfangreiche militante Erfahrung aus seiner Tätigkeit in der Kommunistischen Internationale, in den Linkskommunistischen Fraktionen, die am Ende der 20er Jahre aus der Komintern ausgeschlossen worden waren, insbesondere in der Fraktion der Linken der Kommunistischen Partei Italiens. Auch war er Mitglied der Kommunistischen Linke Frankreichs gewesen, die sich 1952 auflöste. Von Anfang an stützte sich diese kleine Gruppe in Venezuela, die zwischen 1964 und 1968 ein Dutzend Nummern der Revue "Internacionalismo" veröffentlichte, auf eine politische Kontinuität mit den Positionen der Kommunistischen Linken und insbesondere der Kommunistischen Linke Frankreichs. Dies kam vor allem durch eine klare Verwerfung der Unterstützung der sogenannten "nationalen Befreiungskämpfe" zum Ausdruck, deren Mythos in diesem lateinamerikanischen Land sehr stark auf Elementen lastete, die sich den Klassenpositionen zu nähern versuchten. Ebenso spiegelte sich dies in einer Öffnungshaltung und Kontaktaufnahme mit anderen kommunistischen Gruppen wieder, eine Eigenschaft, die schon die Internationale Kommunistische Linke vor dem 2. Weltkrieg und auch später die Fraktion der Kommunistischen Linke in Frankreich ausgezeichnet hatte. So versuchte die Gruppe "Internacionalismo" mit der amerikanischen Gruppe "News and Letters" Kontakte und Diskussionen zu entwickeln......, das Gleiche geschah in Europa mit einer Reihe von Gruppen, die Klassenpositionen verteidigten (...) Nach der Abreise mehrerer dieser Elemente nach Frankreich in den Jahren 1967 und 1968 unterbrach diese Gruppe einige Jahre lang ihre Veröffentlichungen, bevor "Internacionalismo" (Neue Serie) 1974 wieder erschien und 1975 zu einem der konstituierenden Bestandteile der IKS wurde.

 

Der zweite organisierte Ausdruck dieser Strömung erschien in Frankreich mit dem Schwung des Generalstreiks vom Mai 1968, der das historische Wiedererstarken des Weltproletariats nach mehr als 40 Jahren Konterrevolution verdeutlichte. In Toulouse entwickelte sich ein kleiner Kern um einen Militanten, der Mitglied von Internacionalismo gewesen war. Dieser Kern nahm aktiv an den lebendigen Diskussionen im Frühjahr 1968 teil, verabschiedete eine "Prinzipienerklärung" im Juni 1968 und veröffentlichte die erste Nummer der "Revue Révolution" Internationale am Ende des gleichen Jahres. Diese Gruppe setzte sofort die Politik "Internacionalismo's" fort, Kontakte und Diskussionen mit den anderen Gruppen des proletarischen Milieus sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene zu suchen (...) Von 1970 an wurden engere Kontakte geknüpft zu zwei Gruppen, die sich trotz des allgemeinen Zerfalls der rätekommunistischen Gruppen, die nach dem Mai 68 entstanden waren, über Wasser hielten: die "Organisation Conseilliste de Clermont-Ferrand" und "Cahiers du Communisme du Conseil" (Marseille). Versuche, mit dem GLAT ("Groupe de Liaison pour l'Action des Travailleures") zu diskutieren, waren fehlgeschlagen, weil diese Gruppe sich immer mehr vom Marxismus entfernte. Dagegen erwies sich die Diskussion mit den beiden erwähnten Gruppen als viel fruchtbarer; nach einer Reihe von Treffen, wo auf systematische Weise die Grundsatzpositionen der Kommunistischen Linke diskutiert wurden, wurde eine Vereinigung dieser Gruppen beschlossen. So entstand eine neue Gruppe aus Révolution Internationale, "Organisation Conseilliste de Clermont-Ferrand" und "Cahiers du Communisme de Conseil" um eine Plattform, welche auf präzisere und detailliertere Weise die Prinzipienerklärung von "Révolution International"e aus dem Jahr 1968 wieder aufgriff. Diese Gruppe veröffentlichte die "Révolution Internationale (Neue Serie)", das "Bulletin d'Etude et de Discussion" und spielte die treibende Kraft bei der Kontaktarbeit und den internationalen Diskussionen in Europa bis zur Gründung der IKS zweieinhalb Jahre später.

 

Auf dem amerikanischen Kontinent hatten die zwischen "Internacionalismo" und "News and Letters" angefangenen Diskussionen ihre Früchte getragen, denn 1970 wurde in New York eine Gruppe auf der Grundlage eines Orientierungstextes gegründet, der die gleichen Grundsatzpositionen wie "Internacionalismo" und "Révolution Internationale" vertrat. Diese Gruppe fing an, "Internationalism" zu veröffentlichen und schlug die gleiche Orientierung bei den Diskussionen mit anderen politischen Gruppen ein. So wurde der Kontakt und die Diskussionen mit Root and Branch aus Boston (eine von rätekommunistischen Ideen inspirierte Gruppe um Paul Mattick) aufrechterhalten, die sich aber nachher als Fehlschlag erwiesen, weil diese Gruppe den Weg zu einem marxologischen Zirkel einschlug. So schickte "Internationalism" 1972 an ca. 20 Gruppen einen Vorschlag, eine internationale Korrespondenz aufzubauen. Darin hiess es:

 

"(...) Nach dem Erwachen der Arbeiterklasse entstanden und entfalteten sich revolutionäre Gruppen, die eine internationale kommunistische Perspektive vertreten. Jedoch wurden die Kontakte und die Korrespondenz zwischen den Gruppen leider vernachlässigt und dem Zufall überlassen. Deshalb schlägt "Internationalism" im Hinblick auf einen regelmässigen und erweiterten Kontakt eine fortlaufende Korrespondenz zwischen Gruppen vor, die eine internationale kommunistische Perspektive vertreten..."

 

In seiner positiven Antwort präzisierte Révolution Internationale : "Wie Ihr stimmen wir darin überein, dass es notwendig ist, dass die Aktivitäten und das Leben unserer Gruppen ebenso solch einen internationalen Charakter haben wie die gegenwärtigen Kämpfe der Arbeiter selber. Deshalb haben wir direkten oder brieflichen Kontakt mit vielen europäischen Gruppen aufgenommen, denen wir direkt Euren Vorschlag geschickt haben (...) Wir meinen, Eure Initiative wird es ermöglichen, den Kreis dieser Kontakte zu erweitern und zumindest sicherstellen, dass wir unsere jeweiligen Positionen besser kennen und verstehen lernen. Wir sind auch der Ansicht, dass die Perspektive einer möglichst internationalen Konferenz die logische Folge des Aufbaus dieser ständigen politischen Korrespondenz ist (...)"

 

In seiner Anwort unterstrich also "Révolution Internationale" die Notwendigkeit, auf die Abhaltung von internationalen Konferenzen der Gruppen der Kommunistischen Linke hinzuarbeiten. Dieser Vorschlag stellt eine Kontinuität der wiederholten Vorschläge von 1968, 69, 71 dar, die an die "Partito Comunista Internazionalista" (Battaglia) gerichtet worden waren, um solche Konferenzen zu organisieren. Damals stellte diese Organisation die beteutendste und ernsthafteste Organisation im Lager der Kommunistischen Linke dar (neben PCI-Programma Comunista, die sich mit ihrer "ausgezeichneten Isolierung" zufrieden gab). Aber diese Vorschläge waren trotz der offenen und brüderlichen Einstellung von Battaglia jedesmal abgelehnt worden...

 

Schliesslich führte die Initiative von "Internationalism" und der Vorschlag von "Révolution Internationale"(R.I.) 1973 und 74 zu einer Reihe von Treffen und Konferenzen in England und Frankreich, in denen eine Klärung und ein Loslösungsprozess stattfand, wobei die englische Gruppe "World Revolution" (die aus einer Spaltung von "Solidarity-London" hervorgegangen war) sich auf die Positionen von R.I. und "Internationalism" hinbewegte und die erste Nummer ihrer Zeitung im Mai 1974 veröffentlichte. Diese Klärung und Herausbildung einer Trennungslinie legten die Grundlagen für die Bildung der IKS im Januar 1975. Während dieser Zeit hatte R.I. ihre Kontakte und Diskussionsarbeit auf internationaler Ebene weitergeführt, nicht nur mit den organisierten Gruppen, sondern auch mit isolierten Lesern unserer Presse und Sympathisanten unserer Organisation. Diese Arbeit hatte die Gründung kleiner Kerne in Spanien und Italien auf der Grundlage dieser gleichen Positionen ermöglicht. Diese Kerne fingen 1974 mit der Veröffentlichung von "Accion Proletaria" und "Rivoluzione Internazionale" an.

 

So waren bei der Konferenz im Januar 1975 "Internacionalismo", "Révolution Internationale", "Internationalism", "World Revolution", "Accion Proletaria" und "Rivoluzione Internazionale" anwesend; sie alle teilten die politischen Orientierungen, die 1964 von "Internacionalismo" entwickelt worden waren. Anwesend waren ebenfalls "Revolutionary Perspectives" (die an den Konferenzen von 1973-74 teilgenommen hatten), die "Revolutionary Workers Group" aus Chicago (mit der R.I.- Internationalism 1974 Diskussionen angefangen hatten) und "Pour une Intervention Communiste" (die die Revue "Jeune Taupe" (Junger Maulwurf) veröffentlichte und aus Genossen bestand, die 1973 R.I. verlassen hatten...). Die Gruppe "Workers Voice", die aktiv an den vorherigen Diskussionskonferenzen teilgenommen hatte, hatte die Einladung zu dieser Konferenz verworfen, weil sie nunmehr davon ausging, dass "R.I.", "World Revolution" usw. bürgerliche Gruppen seien (!) aufgrund der Mehrheitsposition der Genossen dieser Organisationen (...) zur Frage des Staates in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus. Diese Frage stand übrigens auf der Tagesordnung der Januarkonferenz von 1975... Jedoch wurde sie letztlich nicht debattiert, da die Konferenz es vorzog, soviel Zeit und Aufmerksamkeit wie möglich zum damaligen Zeitpunkt wichtigeren Fragen zu widmen: die Analyse der internationalen Situation; die Aufgaben der Revolutionäre; die Organisierung der internationalen Strömung.

 

Schliesslich beschlossen die sechs Gruppen, deren Plattformen auf den gleichen Orientierungen fussten, sich zu einer einzigen internationalen Organisation mit einem internationalen Zentralorgan zu vereinigen und eine Vierteljahreszeitschrift in drei Sprachen - englisch, französich, spanisch- zu veröffentlichen (...)Damit wurde das "Bulletin d'Etudes et de Discussion" von" Révolution Internationale" abgelöst. Die IKS war gegründet. Wie wir in der Einleitung zur ersten Nummer der Révue Internationale schrieben: "Ein grosser Schritt ist soeben vollzogen worden". In der Tat war die Gründung der IKS das Ergebnis einer langen und umfangreichen Kontakt- und Diskussionsarbeit, in der die Positionen der verschiedenen Gruppen diskutiert wurden, welche durch den Wiederaufschwung des Klassenkampfes hervorgebracht worden waren... Aber vor allem schaffte sie die Grundlage für eine noch grössere Arbeit."

 

Die ersten zehn Jahre der IKS: Die Festigung eines internationalen Umgruppierungspoles

"Diese Arbeit haben die Leser unserer Internationalen Revue sowie unserer territorialen Presse seit nunmehr 10 Jahren verfolgen können. All das bestätigt, was wir in der Einleitung zur ersten Revue schrieben: "Viele denken, die Gründung der IKS und die Herausgabe der Internationalen Revue seien eine überstürzte Handlung. Aber man kennt uns genug, um zu wissen, dass wir nichts mit den aktivistischen Schwätzern zu tun haben, deren Aktivitäten nur auf einem vorübergehenden und hochtrabenden Voluntarismus fussen." (1) "(...) Während ihres nunmehr zehnjährigen Bestehens ist die IKS natürlich auf viele Schwierigkeiten gestossen, musste viele Schwächen überwinden, von denen die meisten mit dem Bruch der organischen Kontinuität mit den kommunistischen Organisationen der Vergangenheit, dem Verschwinden oder dem Zerfall der Fraktionen der Linken, die aus der Komintern während deren Degenereszenz hervorgingen, zusammenhängen. Sie musste ebenfalls den gefährlichen Einfluss bekämpfen, der aus dem Zerfall und aus der Revolte in den Schichten der kleinbürgerlichen Intellektuellen herrührt, und der vor allem nach 1968 infolge der Studentenbewegung sehr stark war. Diese Schwierigkeiten und Schwächen sind zum Beispiel durch einige Spaltungen zum Ausdruck gekommen - von denen wir in unserer Presse berichtet haben - sowie durch einige wichtige Umwälzungen wie die von 1981, die ja das ganze revolutionäre Milieu erfassten, und die u.a. zum Verlust der Hälfte der Sektion in Grossbritannien führte. In Anbetracht unserer Schwierigkeiten im Jahre 1981 haben wir eine ausserordentliche Konferenz im Januar 1982 abgehalten, um unsere programmatischen Grundlagen zu bestätigen und zu präzisieren, insbesondere hinsichtlich der Funktion und der Struktur der revolutionären Organisation. Ebenso sind einige Ziele, die wir uns gesteckt hatten, nicht erreicht worden. So blieb die Verbreitung unserer Presse hinter unseren Erwartungen zurück. (...)"

 

"Wenn man jedoch eine globale Bilanz der letzten zehn Jahre zieht, ist diese eindeutig positiv. Insbesondere dann, wenn man sie mit denen anderer kommunistischer Organisationen vergleicht, die 1968 existierten oder danach ins Leben gerufen wurden. So sind die Gruppen der rätekommunistischen Strömung - selbst die, die sich bemüht hatten, sich gegenüber der internationalen Arbeit zu öffnen, wie ICO - entweder verschwunden oder in Lethargie verfallen: GLAT, ICO, die "Situationistische Internationale", der "Spartacusbond", "Root and Branch", PIC, die rätekommunistischen Gruppen in Skandinavien, die Liste ist lang (und nicht vollständig...) Die Organisationen, die sich mit der Italienischen Linken verbunden fühlen, und die sich alle zur "Partei" erklärt haben, sind entweder nicht aus ihrem Provinzialismus herausgekommen, oder sie haben haben sich aufgelöst oder sind linksextreme Gruppen geworden wie "Programme Communiste" ("Kommunistisches Programm" in der BRD (2) oder sie versuchen heute noch das nachzuahmen, was die IKS schon vor zehn Jahren tat, wie das bei der CWO und bei Battaglia Comunista (mit dem BIPR) der Fall ist. Nach dem kartenhausmässigen Zusammenbruch der sogenannten "Internationalen Kommunistischen Partei" , nach dem Scheitern von "Fomento Obrero Revolutionario" (FOR) in den USA (Focus), ist heute die IKS die einzige Organisation, die auch international besteht."

 

"Seit unserer Gründung im Jahre 1975 haben wir nicht nur unsere damals schon bestehenden Sektionen verstärkt, sondern auch neue gegründet. Die Fortsetzung der Arbeit mit den Kontakten und dieDiskussionen auf internationaler Ebene, die Bemühungen um die Umgruppierungsarbeit der Revolutionäre haben die Gründung neuer Sektionen der IKS ermöglicht:

 

- 1975, Gründung der Sektion der IKS in Belgien, die in zwei Sprachen (französisch und flämisch) eine Zeitschrift veröffentlicht, dann die Zeitung" Internationalisme", die die Lücke schliesst, welche nach dem Krieg durch das Verschwinden der belgischen Fraktion der Internationalen Kommunistischen Linke entstanden war.

 

- 1977, Gründung des Kerns in den Niederlanden, der die Veröffentlichung der Zeitung "Wereld Revolutie" in Angriff nimmt. In einem Land mit starker rätekommunistischer Tradition ist dies von besonderer Bedeutung.

 

- 1978, Gründung der Sektion in der BRD, Beginn der Herausgabe der "Internationalen Revue" auf deutsch und im nachfolgenden Jahr der territorialen Zeitung "Weltrevolution". In Anbetracht der Rolle des Proletariats in Deutschland in der Vergangenheit und in der Zukunft ist die Gründung einer kommunistischen Organisation dort ausserordentlich wichtig.

 

- 1980, Gründung der Sektion in Schweden, die die Zeitung "Internationell Revolution" herausbringt (...)."

 

"Wenn wir den Gegensatz zwischen dem relativen Erfolg unserer Aktivitäten und dem Scheitern der anderen Organisationen hervorheben, wollen wir damit unterstreichen, dass unsere Orientierungen während der letzten 20 Jahre (seit 1964) unserer Arbeit der Umgruppierung der Revolutionäre, des Aufbaus einer kommunistischen Organisation, sich als richtig herausgestellt haben. Und diese Orientierungen müssen wir aus unserer Verantwortung heraus gegenüber dem gesamten Milieu vertreten und uns dafür einsetzen (...)."

 

Die grundlegenden Lehren der ersten zehn Jahre

"Die Grundlagen, auf welchen unsere Strömung schon vor ihrer formellen Gründung ihre Umgruppierungsarbeit vorantrieb, sind nicht neu. Sie haben in der Vergangenheit schon immer die Stützpfeiler dieser Arbeit dargestellt. Wir können sie folgendermassen zusammenfassen:

 

- die Notwendigkeit, die revolutionäre Aktivität an die historischen Errungenschaften der Klasse anzuknüpfen, an die Erfahrung vorangegangener kommunistischer Organisationen, und so die gegenwärtige Organisation als ein Verbindungsglied in der Kette vergangener und zukünftiger Organe der Klasse zu sehen;

 

- die Notwendigkeit, kommunistische Positionen und Analysen nicht als ein totes Dogma anzusehen, sondern als ein lebendiges Programm, welches ständig bereichert und vertieft wird;

 

- die Notwendigkeit, mit einer klaren und soliden Auffassung über die revolutionäre Organisation bewaffnet zu sein, über ihre Struktur und ihre Funktion innerhalb der Klasse."

 

Diese Lehren, die wir vor zehn Jahren zogen (die in der Internationalen Revue, Nr.40, (engl., franz., span.) weiter ausgeführt sind und zu deren Lektüre wir unsere Leser auffordern) bleiben heute genauso gültig, und unsere Organisation hat ständig darauf achtgegeben, sie in die Praxis umzusetzen. Während es in den ersten zehn Jahren die Hauptaufgabe war, einen internationalen Umgruppierungspol revolutionärer Kräfte zu bilden, so lag die Hauptverantwortung in der darauffolgenden Periode darin, einer Reihe von Zerreissproben zu widerstehen ("Feuerproben" in einem gewissen Sinne), welche insbesondere aus Erschütterungen auf internationaler Ebene herrührten.

 

Die Feuerprobe

Auf dem sechsten Kongress der IKS im November 1985, nur einige Monate nach unserem zehnjährigen Bestehen, sagten wir:

 

"Zu Beginn der Achtzigerjahre bezeichnete die IKS diese als die "Jahre der Wahrheit", Jahre, in denen sich in brutalster Form enthüllt, was für die ganze Gesellschaft auf dem Spiel steht. In der Mitte des Jahrzehnts hat die Entwicklung der internationalen Situation diese Analyse nun voll bestätigt:

 

- durch eine erneute Zuspitzung der Krise der Weltwirtschaft, welche sich seit Anfang der Achtzigerjahre durch eine seit den Dreissigerjahren in dieser Tiefe nicht mehr dagewesene Rezession bemerkbar macht;

 

- durch eine Intensivierung der Spannungen zwischen den imperialistischen Blöcken in diesen Jahren, die sich durch beträchtliche Erhöhungen der militärischen Ausgaben sowie durch lautstarke Kriegskampagnen, angeführt von Reagan, dem Chef des stärkeren Blockes, ausdrückten;

 

- durch die Wiederaufnahme des Klassenkampfes während der zweiten Hälfte des Jahres 1983, nach dem momentanen Rückfluss zwischen 1981 und 1983 am Vorabend und nach der Repression gegen die Arbeiter in Polen. Eine Wiederaufnahme, die sich vor allem durch eine in der Vergangenheit noch nie dagewesene Gleichzeitigkeit der Kämpfe auszeichnete, im besonderen in den wichtigen Zentren des Kapitalismus und der Arbeiterklasse Westeuropas." (Resolution über die internationale Situation, Internationale Revue Nr. 44, engl., franz., span.).

 

Dieser Rahmen blieb bis Ende der Achtzigerjahre bestehen, auch wenn die Bourgeoisie alles daran setzte, den "Wiederaufschwung" zwischen 1983 und 1990, der in Wirklichkeit auf der Verschuldung der Nummer eins unter den Weltmächten, den USA, basierte, als das "definitive Ende" der Krise darzustellen. Doch die Tatsachen sind hartnäckig, wie Lenin sagte, und seit Beginn der Neunzigerjahre haben die kapitalistischen Mogeleien zum Ausbruch einer offenen Rezession geführt, die länger und brutaler ist als die vorangegangenen und welche die Euphorie der Bourgeoisie in eine tiefe Depression verwandelt hat.

 

Die Welle von Arbeiterkämpfen, die 1983 begann, dauerte, mit Phasen des Rückflusses und Phasen grösserer Intensität, bis 1989 an, was die Bourgeoisie dazu zwang, verschiedene Formen von Basisgewerkschaften (wie z.B. die "Coordinations" in Frankreich) ins Leben zu rufen, um einen Ersatz für die immer stärker diskreditierten offiziellen Gewerkschaften zu finden.

 

Ein Aspekt dieses generellen Rahmens wurde 1989 in dramatischer Weise aktuell: die imperialistischen Konflikte. Nicht, dass die marxistische Theorie sich durch die "Überwindung" solcher Konflikte als überholt erwiesen hätte, nein, sondern dass einer der Hauptkriegstreiber, der Ostblock, auf dramatische Art zusammenbrach. Was wir als die "Jahre der Wahrheit" bezeichnet hatten, erwiesen sich alsfatal für dieses anormale Regime, aufgebaut auf den Ruinen der Revolution von 1917, und für den ganzen Block, den es dominierte. Ein historisches Ereignis von solchem Umfang, das die ganze Weltkarte umkrempelte und eine neue, in der Geschichte der imperialistischen Konflikte noch nie dagewesene Situation schuf. Diese Konflikte sind nicht verschwunden, aber sie haben bis dahin unbekannte Formen angenommen und die Revolutionäre haben die Verantwortung, diese zu analysieren und zu verstehen.

 

Gleichzeitig brachten die Umwälzungen in den Ländern, die sich als "sozialistisch" ausgegeben hatten, einen schweren Rückschlag im Bewusstsein und der Kampfkraft der internationalen Arbeiterklasse mit sich, die nun mit dem schwersten Rückfluss seit ihrem historischen Wiedererwachen Ende der Sechzigerjahre konfrontiert war.

 

Somit hat die internationale Situation in den letzten zehn Jahren die IKS dazu gezwungen, zu folgenden Herausforderungen Position zu beziehen:

 

- ein aktiver Faktor in den Klassenkämpfen sein, die sich zwischen 1983 und 1989 entfalteten;

 

- die Natur der Ereignisse von 1989 verstehen sowie deren Konsequenzen auf dem Gebiet der imperialistischen Konflikte und auf der Ebene des Klassenkampfes.

 

- und mehr generell, die Entwicklung eines Rahmens, um die Periode des Kapitalismus zu verstehen, wovon der Zusammenbruch des Ostblocks der erste grosse Ausdruck war.

 

Ein aktiver Faktor im Klassenkampf sein

Nach dem sechsten Kongress der Sektion in Frankreich (der grössten IKS-Sektion) 1984 setzte der sechste Kongress der IKS diese Anliegen primär auf die Tagesordnung. Die Bemühungen jedoch, die unsere internationale Organisation seit mehreren Monaten unternahm, um ihre Verantwortung gegenüber der Klasse voll wahrzunehmen, stiessen seit Beginn des Jahres 1984 auf hartnäckigen Widerstand in unseren eigenen Reihen, auf Auffassungen, welche die Funktion der Organisation der Revolutionäre als aktiven Faktor im proletarischen Kampf unterschätzten. Die IKS erkannte diese Auffassungen als Resultat eines zentristischen Abgleitens hin zum Rätismus. Dies war zu einem guten Teil Produkt der historischen Bedingungen zur Gründungszeit der IKS, da unter den Gruppen und Elementen, die sich daran beteiligt hatten, ein starkes Misstrauen gegenüber allem, was nur irgendwie nach Stalinismus aussah, herrschte. Wie der Rätismus tendierten diese Elemente dazu, Lenins Organisationsauffasungen und selbst die Idee der proletarischen Partei mit dem Stalinismus gleichzusetzen. Während der Siebzigerjahre hatte die IKS Kritiken gegenüber den rätistischen Konzeptionen formuliert, welche aber nicht tiefgreifend genug waren, und so lasteten diese Auffassungen noch auf Teilen der Organisation. Als Ende 1983 der Kampf gegen die Spuren des Rätismus begann, weigerte sich eine Anzahl Genossen, die Existenz ihrer rätistischen Schwächen zu erkennen und bezichtigten die IKS mit viel Phantasie einer "Hexenjagd". Um dem Problem, das sich tatsächlich stellte, nämlich ihrem Zentrismus hin zu rätistischen Auffassungen, auszuweichen, machten sie nun die "Entdeckung", dass der Zentrismus in der dekadenten Periode des Kapitalismus gar nicht mehr existieren könne. (3) Zu diesem politischen Unverständnis der Genossen, die meisten waren Intellektuelle und unwillens Kritik zu akzeptieren, gesellte sich noch ein verletzter Stolz sowie eine "Solidarität" gegenüber ihren auch "zu unrecht angegriffenen" Freunden. Dies war in einem gewissen Sinne eine "Wiederholung" des zweiten Kongresses der SDAPR (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands), wie wir es schon im Artikel in der Internationalen Revue Nr. 45 herausstrichen, wo der Zentrismus in der Frage der Organisation und das Gewicht des Zirkelgeists, bei dem persönliche Affinitäten eine grössere Rolle spielen als politische Verbindungen, die Menschewiki zur Abspaltung führte. Die "Tendenz", welche sich zu Beginn des Jahres 1985 bildete, sollte denselben Weg gehen und trennte sich zur Zeit des sechsten Kongresses der IKS von ihr ab, um eine eigene Organisation zu gründen; die "Externe Fraktion der IKS" (EFIKS). Dennoch gibt es einen gewichtigen Unterschied zwischen der menschewistischen Fraktion und der EFIKS. Die Menschewiki waren als ein Zusammenschluss der opportunistischsten Teile der russischen Sozialdemokratie gross geworden, um schliesslich im Lager der Bourgeoisie zu enden, die EFIKS aber begnügte sich damit, die Rolle eines Parasiten zu spielen, und widmete ihre Energien hauptsächlich der Diskreditierung kommunistischer Positionen und Organisationen, ohne fähig zu sein, etwas aufzubauen. Zum Schluss verwarf die EFIKS die Plattform der IKS, obwohl sie zum Zeitpunkt ihrer Gründung die Verteidigung dieser Plattform als ihre Hauptaufgabe erklärt hatte, da die IKS, nach ihren Worten, dabei war zu"degenerieren" und sich anschickte, ihre eigene Plattform zu verraten.

 

Zur gleichen Zeit, als die IKS diesen Kampf im Innern gegen die rätistischen Tendenzen führte, nahm sie aktiv an den Kämpfen der Arbeiterklasse teil, wie aus unserer Presse in dieser Zeit deutlich hervorgeht. Trotz ihrer geringen Kräften war unsere Organisation in den verschiedenen Kämpfen präsent. Wir verbreiteten dort nicht nur unsere Presse und Flugblätter, sondern nahmen jedesmal, wenn es möglich war, auch an den Versammlungen der Arbeiter teil, um einerseits die Notwendigkeit der Ausbreitung der Kämpfe aufzuzeigen, sowie die Arbeiter aufzufordern, die Kontrolle ihrer Kämpfe in die eigenen Hände zu nehmen, ausserhalb jeglicher gewerkschaftlicher Formen, seien es nun "offizielle" Gewerkschaften oder "Basis"- Gewerkschaften. So hatte die Intervention und Präsenz unserer Genossen in den COBAS (Basiskomitees) 1987 während der Streiks an den Schulen in Italien einen nicht zu unterschätzenden Einfluss, bevor diese Organe, mit dem Rückfluss der Bewegung, vom Basisgewerkschaftsgeist wiedererobert wurden.

 

Einer der deutlichsten Beweise, dass unsere Positionen unter den Arbeitern an Einfluss gewannen, war die Tatsache, dass die IKS der "Hauptfeind" einiger linken Gruppierungen geworden war. Besonders in Frankreich war dies der Fall, wo während des Eisenbahnerstreiks Ende 1986 und der Streiks in den Krankenhäusern im Herbst 1988 die trotzkistische Gruppe "Lutte Ouvrière" ihre "Muskelmänner" mobilisierte, um unsere Genossen an der Intervention in den Vollversammlungen, welche durch die "Coordinations" einberufen wurden, zu hindern. Gleichzeitig nahmen IKS-Genossen aktiv an verschiedenen Kampfkomitees teil - und nicht selten hatten gerade sie die Initiative dazu ergriffen; diese Komitees waren Zusammenschlüsse von Arbeitern, die das Bedürfnis hatten, sich ausserhalb der Gewerkschaften zu versammeln, um den Kampf vorwärtszutreiben.

 

Sicherlich geht es hier nicht darum, den Einfluss, den die Revolutionäre und unsere Organisation im speziellen in den Arbeiterkämpfen zwischen 1983 und 1989 hatten, zu überzeichnen. Diese Bewegung blieb im grossen und ganzen eine Gefangene der Gewerkschaften, und dort, wo die offiziellen Gewerkschaften allzusehr diskreditiert waren, übernahmen die verschiedenen Varianten von "Basis"-Gewerkschaften ihre Rolle. Unser Einfluss blieb sehr lokal, da unsere Kräfte immer noch sehr gering sind. Doch eine Lehre müssen wir aus dieser Erfahrung ziehen: Wenn sich Kämpfe entwickeln, finden Revolutionäre, dort wo sie präsent sind, deshalb ein Echo, weil die Positionen, die sie verteidigen, und die Perspektiven, die sie aufzeigen, eben gerade Antworten auf die Fragen sind, die sich die Arbeiter stellen. Und dies ist auch der Grund, weshalb Revolutionäre ihre Positionen nicht verbergen sollen oder auch nicht die geringste Konzession an die Illusionen machen dürfen, die oft auf dem Bewusstsein der Arbeiter lasten, besonders was die Rolle der Gewerkschaften angeht. Dies ist eine wichtige Lehre für alle revolutionären Gruppen, die, konfrontiert mit Arbeiterkämpfen, oft gelähmt sind, da diese Kämpfe die Frage der Überwindung des Kapitalismus noch nicht auf die Tagesordnung setzen. So fühlen sie sich, um "Gehör zu finden", gezwungen, in den basisgewerkschaftlichen Strukturen zu arbeiten, was diesen kapitalistischen Organen in den Augen der Arbeiter wieder Glaubwürdigkeit verleiht.

 

Das Wesen der Ereignisse von 1989 verstehen

So wie es zur Verantwortung der Revolutionäre gehört, in Zeiten von Arbeiterkämpfen "auf dem Posten" zu stehen, kommt ihnen auch die Aufgabe zu, in jedem Moment fähig zu sein, der Gesamtheit der Arbeiterklasse einen klaren Rahmen für die Analyse der Ereignisse zu geben, die sich in der Welt zutragen.

 

Diese Aufgabe betrifft in erster Linie das Verständnis der wirtschaftlichen Widersprüche des kapitalistischen Systems: Die revolutionären Gruppen, die den unauflöslichen Charakter der Krise nicht aufzuzeigen vermochten, in die dieses System getaucht ist, und dadurch gezeigt haben, dass sie den Marxismus nicht verstanden haben, auf den sie sich aber beziehen, haben der Arbeiterklasse keinen Nutzen gebracht. Das ist beispielsweise der Fall gewesen bei einer Gruppe wie dem "Fomento Obrero Revolucionario", die sich sogar geweigert hat, zu anerkennen, dass es eine Krise gibt. Sie hat ihre Augen auf die besonderen Charakteristika der Krise von 1929 fixiert und dabei die offensichtliche Tatsache der gegenwärtigen Krise jahrelang abgestritten ... bis die Gruppe selber verschwunden ist.

 

Zu den Aufgaben der Revolutionäre gehört auch, dass sie in der Lage sind, die einzelnen Schritte in der Bewegung der Klasse einzuschätzen, die Momente des Vorwärtsschreitens wie auch des Rückzugs zu erkennen. Diese Analyse ist eine Voraussetzung für die richtige Intervention, die sie unter den Arbeitern führen, denn ihre Verantwortung besteht darin, die Bewegung möglichst voranzutreiben, wenn sie vorwärtsschreitet, insbesondere zur Ausweitung aufzurufen. Umgekehrt bedeutet der Aufruf zum Kampf in Momenten des Rückzugs die sichere Niederlage: Die Arbeiter müssen sich dann in der Isolierung schlagen; in diesem Moment zur Ausweitung aufzurufen, trägt zur Ausweitung der Niederlage bei. Es ist im übrigen oft gerade dieser Moment, in dem die Gewerkschaften ihrerseits zur Ausweitung des Kampfes aufrufen.

 

Schliesslich stellen auch die Beobachtung und das Verständnis der verschiedenen imperialistischen Konflikte eine grosse Verantwortung für die Kommunisten dar. Ein Fehler in diesem Bereich kann dramatische Folgen haben. So meinte Ende der 30er Jahre die Mehrheit der Italienischen Kommunistischen Fraktion mit ihrer treibenden Kraft Vercesi an der Spitze, dass die verschiedenen Kriege der Epoche, namentlich der Spanienkrieg, keineswegs einen verallgemeinerten Konflikt einläuteten. Der Ausbruch des Weltkriegs im September 1939 liess die Fraktion in vollständiger Ratlosigkeit zurück. Sie benötigte zwei Jahre, bis sie sich in Südfrankreich neu zusammenfinden und die militante Arbeit wieder aufnehmen konnte.

 

Was die heutige Zeit betrifft, so ist es von grösster Wichtigkeit gewesen, klar das Wesen der Ereignisse im Sommer und Herbst 1989 in den Ländern des Ostblocks zu verstehen. Was die IKS betrifft hat sie Anstrengungen unternommen, um zu verstehen, was sich von der Zeit an ereignete als Solidarnosc mitten im Sommer an die Macht kam, zu einer Jahreszeit, in der solche Ereignisse normalerweise 'in Ferien' sind. (4) Die IKS stellte sich auf den Standpunkt, dass das, was in Polen geschah, darauf hindeutete, dass alle stalinistischen Systeme in Europa in eine äusserst schwere Krise eintreten, die sich qualitativ von den vorangegangenen unterscheidet: "Die Perspektive für die Gesamtheit der stalinistischen Regimes ist ... überhaupt nicht diejenige einer "friedlichen Demokratisierung" noch diejenige einer "Wiederbelebung" der Wirtschaft. Mit der Vertiefung der weltweiten Krise des Kapitalismus sind diese Länder in eine Phase der Erschütterungen eingetreten, die in ihrer Dimension nicht vergleichbar sind mit denjenigen der Vergangenheit, obwohl es da nicht an heftigen Erschütterungen fehlte." (Revue Internationale (frz./engl./span.), Nr. 59, "Convulsions capitalistes et luttes ouvrières") Dieser Gedanke ist ausgeführt in den "Thesen zur ökonomischen und politischen Krise in der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern", die am 15. September 1989 geschrieben (fast 2 Monate vor dem Fall der Berliner Mauer) und Anfang Oktober durch die IKS angenommen worden sind. In diesen Thesen kann man lesen (vgl. Internationale Revue, Nr. 12):

 

"... In dem Masse, wie der praktisch einzige Faktor des Zusammenhalts des russischen Blocks die Armee ist, birgt jede Politik des Zurückdrängens der Armee die Gefahr des Aufbrechens des Blocks in sich. Jetzt schon sieht man wachsende Auflösungserscheinungen des Ostblocks. ... In dieser Region sind die zentrifugalen Tendenzen so stark, dass sie durchdrehen, sobald man ihnen freien Lauf lässt. (...)

 

Ein ähnliches Phänomen kann man in den Randrepubliken der UdSSR beobachten. ... Die nationalistischen Bewegungen, die aufgrund des nachlassenden Drucks der zentralen Kontrolle der russischen Partei Auftrieb erhalten, entfalten sich dort jetzt ... Sie beinhalten eine Dynamik der Loslösung von Russland." (Punkt 18)

 

"... unabhängig von der zukünftigen Entwicklung der Lage in den osteuropäischen Ländern decken die gegenwärtigen Ereignisse die historische Krise, den endgültigen Zusammenbruch des Stalinismus auf ... Diese Länder sind jetzt in einem Zeitraum der bislang nie dagewesenen Instabilität, Erschütterungen, grosser Beben, des Chaos eingetreten, deren Auswirkungen weit über ihre eigenen Grenzen hinaus wirken werden. Insbesondere wird der Zusammenbruch des russischen Blocks eine Destabilisierung des Systems der internationalen Beziehungen, der imperialistischen Bündnisse mit sich bringen, die das Ergebnis des 2. Weltkriegs nach dem Abkommen von Jalta waren." (Punkt 20).

 

Einige Monate später (im Januar 1990) findet dieser Gedanke folgende Präzisierung:

 

"Die geopolitische Landschaft, die seit dem 2. Weltkrieg bestanden hatte, ist nunmehr durch die Ereignisse in der 2. Hälfte des Jahres 1989 vollkommen in Frage gestellt worden. Heute gibt es keine zwei imperialistischen Blöcke mehr, die die Welt unter sich aufgeteilt haben. Es liegt auf der Hand (...): Der Ostblock existiert nicht mehr. (...)

 

Bedeutet dieses Verschwinden des Ostblocks nunmehr, dass die Welt von einem einzigen imperialistischen Block regiert wird oder dass es im Kapitalismus keine imperialistischen Zusammenstösse mehr geben wird? Solche Auffassungen stehen im Gegensatz zu denen des Marxismus. (...) Der Zusammenbruch dieses Blockes kann heute solchen Analysen keineswegs zu neuer Glaubwürdigkeit verhelfen: dieser Zusammenbruch führt mit der Zeit zum Zusammenbruch auch des westlichen Blocks. (...)

 

Das Verschwinden des russischen imperialistischen Gendarmen und damit auch die Auflösung der Gendarmenrolle des amerikanischen Imperialismus gegenüber seinen 'Hauptpartnern' von früher öffnet die Tür für das Aufbrechen einer ganzen Reihe von lokalen Rivalitäten. Diese Rivalitäten und Zusammenstösse können gegenwärtig nicht in einen Weltkrieg ausarten (...) Weil die vom Block aufgezwungene Disziplin nicht mehr gegeben ist, werden diese Konflikte dagegen häufiger und gewalttätiger werden, insbesondere in den Gegenden, wo die Arbeiterklasse am schwächsten ist.

 

(...) Die Auflösung der imperialistischen Konstellation, welche aus dem 2. Weltkrieg hervorgegangen war, bringt gleichzeitig die Tendenz zur Bildung von zwei neuen Blöcken mit sich. Heute steht dies jedoch noch nicht auf der Tagesordnung ..." (Revue Internationale, Nr. 61, "Après l'effondrement du bloc de l'Est, déstabilisation et chaos" - deutsch in Internationale Revue, Nr. 12, "Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks: Destabilisierung und Chaos").

 

Die Ereignisse seitdem, insbesondere die Krise und der Krieg am Golf 1990/91, haben unsere Analyse bestätigt. Heute beweist die Gesamtheit der internationalen Lage, insbesondere das, was sich in Ex-Jugoslawien zuträgt, mehr als zur Genüge, dass jeder imperialistische Block vollständig verschwunden ist. Zugleich versuchen gewisse Länder in Europa, namentlich Frankreich und Deutschland, angestrengt, die Bildung eines neuen Blocks voranzutreiben, der auf der Europäischen Union beruht und der amerikanischen Macht die Stirn bieten könnte.

 

Was die Entwicklung des Klassenkampfes betrifft, sind die "Thesen" vom Sommer 1989 ebenfalls bestätigt worden:

 

"Selbst bei seinem Tod erweist der Stalinismus der kapitalistischen Herrschaft noch einen letzten Dienst: Bei seinem Zerfall vergiftet sein Körper weiterhin noch die Luft, die das Proletariat atmen muss. ... Deshalb kann man mit einem vorübergehenden Rückgang des Bewusstseins der Arbeiterklasse rechnen ... Insbesondere die reformistische Ideologie wird noch sehr stark auf den Kämpfen in der nächsten Zeit lasten, wodurch die Aktionen der Gewerkschaften begünstigt werden.

 

Aufgrund der geschichtlichen Bedeutung der genannten Faktoren wird der gegenwärtige Rückfluss des Klassenkampfes - ungeachtet der Tatsache, dass er den historischen Kurs, die allgemeine Perspektive breiterer Zusammenstösse zwischen den Klassen, nicht infragestellt - weiterreichend sein als der Rückfluss, der die Niederlage von 1981 in Polen begleitet hatte." (Punkt 22)

 

Auch in dieser Hinsicht haben die letzten fünf Jahre völlig unsere Prognose bestätigt. Seit 1989 sind wir Zeugen des grössten Rückzugs der Arbeiterklasse seit ihrem historischen Wiedererscheinen Ende der 60er Jahre geworden. Das ist eine Situation, auf die die Revolutionäre vorbereitet sein mussten, um ihre Intervention anpassen zu können und v.a. nicht "das Kind mit dem Bade auszuschütten", indem sie etwa davon ausgehen, dass der lange Rückzug die Fähigkeit des Proletariats, seine Kämpfe gegen den Kapitalismus zu führen und zu entwickeln, definitiv in Frage stelle. Insbesondere durften die Zeichen des Wiedererstarkens der Kampfbereitschaft, v.a. im Herbst 1992 in Italien und im Herbst 1993 in Deutschland (vgl. Revue Internationale, Nr. 72 und Nr. 75), weder überschätzt (man muss die Tiefe des proletarischen Rückzugs im Auge behalten) noch unterschätzt werden. Sie kündigen die unvermeidbare Wiederaufnahme der Kämpfe und der Entwicklung des Klassenbewusstseins in allen industrialisierten Ländern an.

 

Der Marxismus ist eine wissenschaftliche Methode. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften kann er aber die Gültigkeit seiner Thesen nicht überprüfen, indem er sie dem Experiment im Labor unterwirft, genauere Messgeräte beizieht. Sein "Labor" ist die gesellschaftliche Wirklichkeit, und er beweist seine Gültigkeit durch die Fähigkeit, die Entwicklung dieser Wirklichkeit vorauszusehen. So ist die Tatsache, dass die IKS fähig gewesen ist, seit dem Auftauchen der ersten Symptome des Zusammenbruchs des Ostens die wichtigsten Ereignisse vorauszusehen, die die Welt in den nächsten 5 Jahren erschüttern sollten, nicht einer besonderen Begabung, im Kaffeesatz zu lesen oder die Sternbilder zu interpretieren, zuzuschreiben. Sie ist ganz einfach ein Beweis für ihre Verbundenheit mit der marxistischen Methode, und dieser ist deshalb die Richtigkeit unserer Voraussagen geschuldet.

 

Doch die Berufung auf den Marxismus befähigt andererseits nicht automatisch zu seiner erfolgreichen Anwendung. Unsere Fähigkeit, schnell die Veränderungen der internationalen Situation zu begreifen, beruhte auf der Anwendung der Methode, die wir von "Bilan" übernommen hatten. Schon vor zehn Jahren unterstrichen wir eine der Hauptlehren unserer eigenen Erfahrung: die Notwendigkeit, sich strikt an die Errungenschaften der Vergangenheit zu halten, die Notwendigkeit, die kommunistischen Positionen und Analysen nicht als ein totes Dogma, sondern als ein lebendiges Programm zu betrachten.

 

So beginnen die Thesen von 1989 in den ersten zehn Punkten zum besseren Verständnis der Charakteristika der Länder des Ostblocks damit, den Rahmen, den sich unsere Organisation zu Beginn der 80er Jahre nach den Ereignissen in Polen gegeben hatte, in Erinnerung zu rufen. Aufgrund dieser Analyse waren wir in der Lage, nachzuweisen, dass es mit den stalinistischen Regimes in Europa und mit dem Ostblock zu Ende war. Und auf der Grundlage einer noch älteren Erkenntnis der Arbeiterbewegung (wie namentlich Lenin gegen Kautsky bewiesen hatte) - dass nämlich die Existenz eines imperialistischen Blockes allein nicht möglich ist - haben wir vorausgesagt, dass der Zusammenbruch des Ostblocks die Tür aufstösst zur Auflösung auch des westlichen Blocks.

 

Um die Ereignisse zu verstehen, mussten wir das Schema, das während mehr als vierzig Jahren gegolten hatte, in Frage stellen: die Aufteilung der Welt zwischen dem von den USA angeführten westlichen Block und dem Ostblock unter der Führung der UdSSR. Wir mussten ebenfalls fähig sein zu erkennen, dass dieses Land, das seit Peter dem Grossen nach und nach aufgebaut worden war, den Zusammenbruch seines Reiches selber nicht überleben würde. Noch einmal: Die Fähigkeit zur Infragestellung der vergangenen Schemata ist nicht unser besonderes Verdienst. Diese Methode haben nicht wir erfunden. Sie ist uns gelehrt worden durch die lebendige Erfahrung der Arbeiterbewegung und v.a. durch ihre Hauptkämpfer: Marx, Engels, Rosa Luxemburg, Lenin ...

 

Schliesslich musste das Verständnis der Umwälzungen Ende der 80er Jahre in eine allgemeine Analyse der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Dekadenz eingeordnet werden.

 

Der Rahmen zum Verständnis der gegenwärtigen Phase des Kapitalismus

Diese Arbeit hatten wir 1986 begonnen, als wir feststellten und darauf hinwiesen, dass wir in eine neue Phase der kapitalistischen Dekadenz eingetreten waren, nämlich diejenige des Zerfalls des Systems. Diese Analyse ist zu Beginn des Jahres 1989 mit folgenden Worten präzisiert worden:

 

"Bislang haben sich die Klassenkämpfe seit den letzten 20 Jahren auf allen Kontinenten stark entwickelt und den dekadenten Kapitalismus daran gehindert, seine Antwort auf die Sackgasse seiner Wirtschaft durchzusetzen: die Auflösung der höchsten Stufe seiner Barbarei, einen neuen Weltkrieg. Dennoch ist die Arbeiterklasse noch nicht in der Lage, durch revolutionäre Kämpfe ihre eigene Perspektive durchzusetzen, und auch kann sie noch nicht dem Rest der Menschheit diese Zukunft verdeutlichen, die sie in sich trägt.

 

Gerade diese gegenwärtige Pattsituation, wo im Augenblick weder die bürgerliche noch die proletarische Alternative sich offen durchsetzen können, liegt an der Wurzel dieses Phänomens des Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft und erklärt das besondere Ausmass und die Schärfe der Barbarei der Dekadenz dieses Systems. Und je mehr sich die Wirtschaftskrise zuspitzt, desto stärker wird auch dieser Fäulnisprozess zunehmen." (Internationale Revue, Nr. 11, "Der Zerfall der kapitalistischen Gesellschaft")

 

Sobald sich der Zusammenbruch des Ostblocks ankündigte, ordneten wir ein solches Ereignis natürlich in den Rahmen des Zerfalls ein:

 

"Tatsächlich stellt der gegenwärtige Zusammenbruch des Ostblocks eine Erscheinungsweise des allgemeinen Zerfalls der kapitalistischen Gesellschaft dar, deren Ursprung gerade im Unvermögen der Bourgeoisie liegt, ihre eigene Antwort auf die offene Krise der Weltwirtschaft, den Weltkrieg, aufzuzwingen." (Internationale Revue, Nr. 12, "Thesen ...", Punkt 20)

 

Ebenso haben wir im Januar 1990 auf die Auswirkungen hingewiesen, die dieser Zerfall und die neue Konstellation auf der imperialistischen Bühne für das Proletariat mit sich bringen:

 

"Auf solch einem Hintergrund des Verlustes der Kontrolle über die Lage durch die Weltbourgeoisie ist es ungewiss, ob die stärksten Teile unter ihr heute dazu in der Lage sind, die Organisierung und notwendige Disziplin für die Bildung von militärischen Blöcken aufzubringen. ... Deshalb muss man heute unbedingt aufzeigen: Während die Lösung der Arbeiterklasse - die kommunistische Revolution - als einzige dazu in der Lage ist, sich der Zerstörung der Menschheit entgegenzusetzen (dies ist die einzige "Antwort" des Kapitals auf die Krise),braucht diese Zerstörung nicht notwendigerweise durch einen 3. Weltkrieg geschehen. Sie könnte ebenso durch den fortgesetzten, bis in sein Extrem getriebenen Zerfall erfolgen (ökologische Katastrophen, Epidemien, Hungersnöte, fortgesetzte lokale Kriege usw.). ...

 

(...) die Fortsetzung und Zuspitzung all der Verfallserscheinungen der Gesellschaft (werden) mehr noch als während der 80er Jahre ihre schädlichen Wirkungen auf das Klassenbewusstsein haben. Aufgrund der allgemeinen Stimmung der Hoffnungslosigkeit in der ganzen Gesellschaft, aufgrund des Zerfalls der bürgerlichen Ideologie selbst, deren Auswüchse die Atmosphäre noch mehr verpesten werden, in der die Arbeiter leben, wird die Arbeiterklasse bis zur Phase vor der Revolution auf zusätzliche Schwierigkeiten bei ihrem Weg zur Bewusstwerdung stossen." (Internationale Revue, Nr. 12, "Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks: Destabilisierung und Chaos")

 

So ermöglicht uns unsere Analyse über den Zerfall, die äusserste Ernsthaftigkeit dessen aufzuzeigen, was auf dem Spiel steht in der gegenwärtigen geschichtlichen Situation. Insbesondere führt sie uns dazu, zu unterstreichen, dass der Weg des Proletariats zur kommunistischen Revolution viel schwieriger sein wird, als dies die Revolutionäre in der Vergangenheit haben voraussehen können. Hier gilt es auch noch eine andere Lehre aus den Erfahrungen der IKS in den letzten zehn Jahren zu ziehen, die sich mit einer Sorge trifft, die Marx in der Mitte des letzten Jahrhunderts beschäftigte: Die Revolutionäre haben nicht die Aufgabe, die Arbeiterklasse zu trösten, sondern im Gegenteil die absolute Notwendigkeit ihres historischen Kampfes wie auch dessen Schwierigkeiten zu unterstreichen. Nur mit einem klaren Bewusstsein über diese Schwierigkeit ist das Proletariat (und damit auch die Revolutionäre) in der Lage, sich angesichts der Hindernisse, auf die es stossen wird, nicht entmutigen zu lassen und die Kraft und die klare Sicht zu finden, um sie zu überwinden bis zur Beseitigung der Ausbeutungsgesellschaft. (6)

 

Bei der Bilanz der letzten zehn Jahre der IKS können wir zwei sehr wichtige Tatsachen unseres organisatorischen Lebens nicht übergehen.

 

Die erste Tatsache ist sehr positiv. Es handelt sich um die Ausbreitung der territorialen Präsenz der IKS im Jahre 1989 mit der Gründung eines Kerns in Indien, der "Communist Internationalist" auf Hindi publiziert, und einer neuen Sektion in Mexiko, einem Land von grösster Wichtigkeit auf dem amerikanischen Kontinent; diese Sektion publiziert "Revolución Mundial".

 

Die zweite Tatsache ist eine traurige: Es ist der Tod unseres Genossen Marc am 20. Dezember 1990. Wir werden hier nicht auf die entscheidende Rolle zurückkommen, die er bei der Gründung der IKS und vorher im Kampf der kommunistischen Fraktionen in den Zeiten der finstersten Konterrevolution gespielt hat. Die "Revue Internationale" (Nr. 65 und 66) hat diesem Thema einen langen Artikel gewidmet. Sagen wir einfach, dass für uns, abgesehen von der 'Feuerprobe', die die Erschütterungen des Weltkapitalismus seit 1989 für die IKS ebenso wie für die Gesamtheit des revolutionären Milieus dargestellt haben, der Verlust unseres Genossen eine weitere 'Feuerprobe' gewesen ist. Viele Gruppen der kommunistischen Linken haben das Verschwinden ihres Hauptinitiators nicht überlebt. Das war zum Beispiel der Fall beim "Fomento Obrero Revolucionario". Und im übrigen haben uns gewisse 'Freunde' mit 'Besorgnis' vorausgesagt, dass die IKS Marc nicht überleben werde. Dennoch ist die IKS noch da und hat ihren Kurs trotz allen Stürmen halten können.

 

Auch hier schreiben wir uns kein besonderes Verdienst zu: Die revolutionäre Organisation existiert nicht dank einem bestimmten Genossen, so wertvoll er auch sein mag. Sie ist ein historisches Produkt des Proletariats, und wenn ihr Überleben von einem einzelnen Genossen abhängt, bedeutet dies, dass sie die Verantwortung, die ihr die Klasse gegeben hat, nicht richtig wahrgenommen und dass dieser Militante selber in einer gewissen Hinsicht versagt hat. Wenn es der IKS gelungen ist, diese Proben mit Erfolg zu bestehen, so v.a. wegen ihrer dauernden Sorge um die Anknüpfung an die Erfahrung der vorausgegangenen kommunistischen Organisationen, die Erfahrung, dass ihre Rolle in einem langfristigen Kampf besteht und nicht auf unmittelbare 'Erfolge' ausgerichtet sein soll. Seit dem letzten Jahrhundert ist diese Sichtweise diejenige der klarsten und standfestesten revolutionären Militanten gewesen: Wir beziehen uns auf diese Geschichte, und es war zu einem grossen Teil Marc, der uns dies lehrte. Er zeigte uns auch durch sein Beispiel, was militante Hingabe heisst, ohne die eine revolutionäre Organisation nicht überleben kann.

 

"Seinen grossen Stolz hat er nicht darin gesehen, dass er einen ausserordentlichen Beitrag geleistet hat, sondern in der Tatsache, dass er bis zum Schluss mit seiner ganzen Seele dem Kampf des Proletariats treu geblieben ist. Und dies ist auch eine wertvolle Lehre gewesen für die neuen Generationen von Militanten, die nicht die Möglichkeit gehabt haben, die enorme Hingabe der früheren Generationen an die revolutionäre Sache kennenzulernen. V.a. in dieser Hinsicht wollen wir auf der Höhe des Kampfes sein, den wir, wenn auch ohne seine wachsame, klare, warme und leidenschaftliche Präsenz, entschlossen sind weiterzuführen." ("Marc", Revue Internationale, Nr. 66 - frz./engl./span.)

 

FM

 

Auch zwanzig Jahre nach der Gründung der IKS führen wir diesen Kampf weiter.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Antwort an das IBRP (1995)

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Das Wesen des imperialistischen Krieges

 

Das IBRP hat in seiner ‘International Communist Review’ Nr. 13 auf unsere Polemik ‘Die Auffassung des IBRP zur Dekadenz des Kapitalismus’, die in der Internationalen Revue der IKS Nr. 79  engl.Ausgabe erschienen war, geantwortet. In dieser Antwort stellt das IBRP deutlich seine Positionen dar. Somit liefert ihr Artikel einen Beitrag zur notwendigen Debatte, die zwischen den Organisationen der kommunistischen Linken geführt werden muß, welche eine entscheidende Verantwortung in dem Kampf für die Gründung der kommunistischen Partei des Proletariats tragen.

Die Debatte zwischen dem IBRP und der IKS findet innerhalb des Rahmens der kommunistischen Linken statt:

- es handelt sich um keine akademische oder abstrakte Debatte, sondern um eine militante Polemik, um klare Positionen zu entwickeln, bei denen es keine Zweideutigkeiten oder Konzessionen gegenüber der bürgerlichen Ideologie gibt, insbesondere hinsichtlich Fragen wie das Wesen der imperialistischen Kriege und der materiellen Grundlagen der Notwendigkeit der kommunistischen Revolution,

- es handelt sich um eine Debatte zwischen Anhängern der Analyse der Dekadenz des Kapitalismus. Seit dem Anfang des Jahrhunderts ist das System in eine ausweglose Krise hineingeraten, die eine wachsende Bedrohung der Auslöschung der Menschheit  und der Zerstörung des Planeten mit sich bringt.

Innerhalb dieses Rahmens besteht der Artikel des IBRP auf der Auffassung des imperialistischen Krieges als ein Mittel der Entwertung des Kapitals und der Erneuerung des Akkumulationszyklus. Diese Position wird mit einer Erklärung der historischen Krise des Kapitalismus gerechtfertigt, die sich stützt auf das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate. Diese beiden Fragen sind Gegenstand unserer Antwort auf den Artikel des IBRP ( ([1]).

Was uns mit dem IBRP verbindet

In einer Polemik zwischen Revolutionären und insbesondere wegen des militanten Charakters müssen wir von dem ausgehen, was uns verbindet, um innerhalb dieses globalen Rahmens zu behandeln, was uns trennt. Dies ist die Methode, die die IKS immer in Anlehnung an Marx, Lenin, Bilan usw. angewendet hat, und die wir auch in unserer Polemik mit der IKP (Programma ([2]) benutzten, als wir die gleiche Frage behandelten, die wir jetzt in unserer Antwort an das IBRP aufgreifen. Es ist uns wichtig, dies zu unterstreichen, weil erstens die Polemiken unter den Revolutionären nicht immer den Kampf um die Klärung und die Umgruppierung mit der Perspektive der Bildung der Partei des Weltproletariats als einen roten Faden haben. Zweitens weil das, was zwischen der IKS und dem IBRP an Gemeinsamkeiten vorhanden ist, wichtiger ist als das uns Trennende, ohne dabei die Bedeutung und die Konsequenzen der Divergenzen hinsichtlich des Begreifens des imperialistischen Wesens des Krieges zu leugnen oder abzuschwächen:

1) Aus der Sicht des IBRP gibt es bei imperialistischen Kriegen keine objektiven Grenzen, sondern es handelt sich um totale Kriege, deren Konsequenzen bei weitem die Folgen der Kriege in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus[i] übersteigen.

2) Die imperialistischen Kriege bündeln die wirtschaftlichen und politischen Faktoren in einem unauflösbaren Ganzen zusammen.

3) Das IBRP verwirft die Idee, daß der Militarismus und die Rüstungsproduktion als ein Mittel der ‘Akkumulation des Kapitals  (3) fungieren könnte.

4) Als ein Ausdruck der Dekadenz des Kapitalismus beinhalten die imperialistischen Kriege die wachsende Bedrohung der Zerstörung der Menschheit.

5) Im heutigen Kapitalismus gibt es starke Tendenzen hin zu Chaos und Zerfall, obgleich, wie wir später sehen werden, das IBRP diesen Tendenzen nicht die gleiche Bedeutung beimißt wie die IKS.

Diese Elemente der Übereinstimmung spiegeln die gemeinsame Fähigkeit wider, die imperialistischen Kriege als den Gipfel der historischen Krise des Kapitalismus zu entblößen und zu bekämpfen und die Arbeiterklasse dazu aufzurufen, nicht zwischen zwei imperialistischen Wölfen zu wählen. Des weiteren die Fähigkeit, die Weltrevolution als die einzige Lösung für die Überwindung der blutigen Sackgasse aufzuzeigen, in die der Kapitalismus die Menschheit geführt hat, womit wir das pazifistische Opium bekämpfen und die kapitalistischen Lügen verwerfen, denen zufolge ‘wir jetzt dabei sind, die Krise zu überwinden’.

Diese Elemente, die der Ausdruck der gemeinsamen Tradition der Kommunistischen Linken sind, machen es notwendig und möglich, daß gegenüber Ereignissen von großer Tragweite wie der Krieg am Golf oder im ehemaligen Jugoslawien sich die Gruppen der Kommunistischen Linken gemeinsam äußern, die gegenüber der Arbeiterklasse die vereinigte Stimme der Revolutionäre zum Ausdruck bringen. Zu diesem Zweck schlugen wir innerhalb des Rahmens der Internationalen Konferenzen von 1977-80 eine gemeinsame Erklärung gegen den Afghanistankrieg vor, und wir beklagten, daß weder Battaglia Comunista noch die CWO (die kurze Zeit später das gegenwärtige Internationale Büro der Revolutionären Partei - IBRP gründeten)  dieser Initiative nicht zugestimmt hatten. Diese Initiativen sind keineswegs ein Vorschlag für einen vorübergehenden und opportunistischen Zusammenschluß, sondern Instrumente des Kampfes für die Abgrenzung und Klärung der Positionen innerhalb der Kommunistischen Linke, da sie einen konkreten und militanten Rahmen (das Engagement für die Arbeiterklasse gegenüber wichtigen Situationen der historischen Entwicklung darstellen) innerhalb dessen die Divergenzen ernsthaft diskutiert werden können. Dies war die Methode Marxens und Lenins: obwohl es in Zimmerwald viel größere Divergenzen gab als die gegenwärtig existierenden zwischen der IKS und dem IBRP war Lenin bereit, dem Manifest von Zimmerwald zuzustimmen. Gleichzeitig gab es zum Zeitpunkt der Gründung der Kommunistischen Internationale unter den Gründerparteien schwergewichtige Divergenzen nicht nur hinsichtlich der Analyse des imperialistischen Krieges sondern auch hinsichtlich Fragen wie die Ausnutzung des Parlamentes und der Gewerkschaften. Jedoch hinderte sie dies nicht daran, sich zusammenzuschließen und für die Revolution in den weltweiten revolutionären Kämpfen einzutreten. Dieser gemeinsame Kampf war kein [ii]Rahmen, um die Divergenzen zum Schweigen zu bringen, sondern im Gegenteil die militante Plattform, auf der nicht akademisch oder je nach sektiererischen Gelüsten diskutiert,  sondern diese ernsthaft aufgegriffen werden konnten.

Die Funktion des imperialistischen Krieges

Die Divergenzen zwischen dem IBRP und der IKS betreffen nicht die allgemeinen Ursachen des imperialistischen Krieges. Wir vertreten beide das gemeinsame Erbe der kommunistischen Linke und betrachten den imperialistischen Krieg als einen Ausdruck der historischen Krise des Kapitalismus. Die Divergenz taucht jedoch dann auf, wenn es darum geht, die Rolle des imperialistischen Krieges innerhalb des dekadenten Kapitalismus zu analysieren. Das IBRP meint, daß der imperialistische Krieg eine ökonomische Funktion erfüllt: er würde eine massive Entwertung des Kapitals erlauben, und somit die Möglichkeit eröffnen, daß der Kapitalismus in einen neuen Zyklus der Akkumulation eintritt. Dieses Einschätzung erscheint ganz logisch: denn gab es nicht vor dem Weltkrieg eine Weltwirtschaftskrise wie beispielsweise die von 1929? Da sie eine Überproduktionskrise von Menschen und Waren ist, ist da der imperialistische Krieg keine ‘Lösung’ mittels der Zerstörung im großen Maßstab von Arbeitern und Maschinen? Beginnt nicht von neuem der Wiederaufbau und wird damit nicht die Krise überwunden? Jedoch ist diese Einschätzung, die auf den ersten Blick so einleuchtend und kohärent erscheint, zutiefst oberflächlich. Sie greift einen Teil des Problems auf (in der Tat hat der dekadente Kapitalismus durch einen höllischen Zyklus von Krise-Krieg-Wiederaufbau - neuer Krise überlebt. Aber diese Einschätzung geht nicht auf den Kern des Problems ein. Der Krieg ist viel mehr als ein einfaches Mittel der Wiederherstellung des Zyklus der kapitalistischen Akkumulation. Und andererseits wird dieser Zyklus zutiefst deformiert, entartet und ist sehr weit davon entfernt, der klassische Zyklus der aufsteigenden Phase zu sein.

Diese oberflächliche Betrachtungsweise des imperialistischen Krieges hat schwerwiegende Auswirkungen für die militante Arbeit, die das IBRP nicht erkennt. Wenn der Krieg  in der Tat den Mechanismus der kapitalistischen Akkumulation wiederherstellt, sagt man damit tatsächlich, daß der Kapitalismus immer wieder durch den schmerzhaften und brutalen Prozeß des Kriegs immer wieder aus der Krise herauskommen könnte. Diese Auffassung wird ja im Grunde auch von der herrschenden Klasse vertreten: der Krieg sei eine schreckliche Angelegenheit, die keiner Regierung gefalle, aber er sei immerhin ein unvermeidbares Mittel, welches einen neuen Zeitraum von Frieden und Wohlstand eröffnet. Das IBRP entblößt solche Lügen, ist sich aber nicht bewußt, daß diese Entblößung durch seine Theorie des Krieges als ‘Mittel der Entwertung des Kapitals’ geschwächt wird. Um die gefährlichen Konsequenzen dieser Position zu begreifen, müßte das IBRP diese Erklärung der IKP (Programma) untersuchen:

‘Die Krise hat ihren Ursprung in der Unmöglichkeit der Fortsetzung der Akkumulation. Dies äußert sich, wenn das Wachstum der Produktionsmasse es nicht mehr schafft, den Fall der Profitrate auszugleichen. Die Masse der gesamten Mehrarbeit reicht nicht mehr, dem vorgeschossenen Kapital Profit zu garantieren, und um die Bedingungen für die Rentabilität der Investitionen zu schaffen. Durch die Zerstörung des konstanten Kapitals (tote Arbeit) in großem Maßstab spielt der Krieg eine wirtschaftlich wesentliche Rolle. Dank der schrecklichen Zerstörungen des Produktionsapparates ermöglicht der Krieg eine gewaltige zukünftige Ausdehnung zur Ersetzung der zerstörten Anlagen, also eine parallele Ausdehnung des Profits, des gesamten Mehrwerts, d.h. der Mehrarbeit... Die Bedingungen für den Wiederaufschwung sind somit hergestellt. Der Wirtschaftskreislauf fängt von neuem an... Das weltweite kapitalistische System tritt veraltet in den Krieg ein, aber verjüngt sich in dem Blutbad, durch das es eine neue Jugend erhält, insgesamt geht es daraus mit der Vitalität eines kräftigen Neugeborenen hervor’ (Programme Communiste, Nr. 90, S. 24- aus Internationale Revue Nr. 15, S. 13).

Zu behaupten, daß der Kapitalismus wieder seine Jugend zurückgewinnen kann, wenn es einen Weltkrieg gegeben hat, beinhaltet sehr klare revisionistische Folgen. Der Weltkrieg würde dadurch die Notwendigkeit der proletarischen Revolution nicht auf die Tagesordnung stellen, sondern den Wiederaufbau des Kapitalismus, der wieder zu seiner Anfangsphase zurückkehrt. Damit wird die Analyse der 3. Internationale verworfen, die eindeutig  in den ‘Richtlinien der Komintern’ von der ‘Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seiner inneren Zersetzung’ sprach. ‘Die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats’. Dies bedeutet einfach und klar mit einer grundlegenden Position des Marxismus zu brechen. Der Kapitalismus ist kein ewig bestehendes System, sondern eine Produktionsform, deren historischen Grenzen diesem System einen Zeitraum der Dekadenz aufzwingen, in dem  die kommunistische Revolution auf der Tagesordnung steht. Wir zitierten und kritisierten in unserer Polemik zum Thema ‘Die Auffassung vom Krieg und der Dekadenz der IKP’ in der Internationalen Revue Nr. 15 & 78. Von dem IBRP wird dies außer Acht gelassen. Ja, in seiner Antwort scheint das IBRP Programma zu verteidigen, wenn das Büro behauptet:

‘Die Debatte der IKS mit den Bordigisten konzentriert sich auf den scheinbaren Standpunkt der Bordigisten, daß es keinen mechanischen kausalen Zusammenhang zwischen Krieg und dem Akkumulationszyklus gibt. Wir sagen ‘scheinbar’, denn die IKS zitiert wie üblich keine Textstelle um zu beweisen, daß die Bordigisten die Geschichte so schematisch auffassen. Wir neigen sogar noch viel weniger dazu, die Behauptung hinsichtlich von Programma Comunista zu akzeptieren, wenn wir sehen, wie sie unsere Auffassung interpretieren’ (ihre Antwort in ‘Die materiellen Grundlagen des imperialistischen Kriegs’, International Communist Review, Nr. 13, S. 29).

Das Zitat, das wir in der Internationalen Revue Nr. 15 brachten, spricht für sich selbst und belegt, daß es bei der Position der IKP (Programma) etwas mehr als nur ‘schematisches’ gibt. Wenn das Büro die Frage vermeidet und über unsere ‘schlechten Interpretationen’ jammert, dann geschieht das, weil  - auch wenn das Büro es nicht wagt, die verrückten Aussagen der IKP zu wiederholen - seine Zweideutigkeiten zu den gleichen Schlußfolgerungen führen: ‘Wir behaupten, daß die ökonomische Funktion des Weltkrieges, d.h. dessen Folgen für den Kapitalismus darin besteht, Kapital als ein notwendiger Auftakt für einen neuen Zyklus der Akkumulation zu entwerten’. (International Communist Review Nr. 13).

Diese Auffassung von der ‘ökonomischen Funktion des imperialistischen Krieges’ stammt von Bukarin. In seinem Buch ‘Imperialismus und Weltwirtschaft’, das er 1915 schrieb, und einen Beitrag zu Fragen wie Staatskapitalismus und der nationalen Befreiung lieferte, hatte sich jedoch ein wichtiger Fehler eingeschlichen, da er die imperialistischen Kriege als ein Instrument der kapitalistischen Entwicklung betrachtete. ‘Kann der Krieg somit den allgemeinen Gang der Entwicklung des Weltkapitals nicht aufhalten, drückt er im Gegenteil die maximale Ausdehnung des Zentralisationsprozesses aus... In seinen wirtschaftlichen Auswirkungen erinnert der Krieg in vielem an die industriellen Krisen, wobei er sich natürlich von diesen durch die größere Intensität der Erschütterungen und Verwüstungen unterscheidet’ (S. 166, Kapitel: Der Krieg und die wirtschaftliche Entwicklung).

Der imperialistische Krieg ist kein Mittel der Entwertung des Kapitals, sondern ein Ausdruck des historischen Prozesses der Zerstörung, der Sterilisierung der Produktionsmittel und des Lebens, die ein Merkmal des dekadenten Kapitalismus sind.

Zerstörung und Sterilisierung des Kapitals sind aber nicht gleichbedeutend mit Entwertung des Kapitals. In der aufsteigenden Phase des Kapitalismus gab es periodische, zyklische Krisen, die zu Perioden der Entwertung des Kapitals führten. Diese Bewegung wurde von Marx aufgezeigt:

‘Gleichzeitig mit dem Fall der Profitrate wächst die Masse der Kapitale, und geht Hand in Hand mit ihr eine Entwertung des vorhandnen Kapitals, welche diesen Fall aufhält und der Akkumulation von Kapitalwert einen beschleunigenden Antrieb gibt... Die periodische Entwertung des vorhandnen Kapitals, die ein der kapitalistischen Produktionsweise immanentes Mittel ist, den Fall der Profitrate aufzuhalten und die Akkumulation von Kapitalwert durch Bildung von Neukapital zu beschleunigen, stört die gegebnen Verhältnisse, worin sich der Zirkulations- und Reproduktionsprozeß des Kapitals vollzieht, und ist daher begleitet von plötzlichen Stockungen und Krisen des Produktionsprozesses’ (Das Kapital, 3. Band, III. Abschnitt, Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate, 15.Kapitel, Entfaltung der inneren Widersprüche, II. Konflikt zwischen Ausdehnung der Produktion und Verwertung S. 259).

Aufgrund seines ihm eigenen Wesens bringt der Kapitalismus ständig sowohl in der aufsteigenden Phase wie in der Dekadenz eine Überproduktion hervor, und auf diesem Hintergrund sind diese blutigen Zeiträume für das Kapital notwendig, um mit größerer Kraft seine normale Produktions- und Zirkulationsbewegung der Waren wieder in Gang zu bringen.

In der aufsteigenden Phase führte jede Stufe der Entwertung des Kapitals zu einer Expansion auf höherer Stufenleiter der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Dies war möglich, weil der Kapitalismus in neue vorkapitalistische Gebiete vorstoßen konnte, die er in seine Produktionsverhältnisse eingliedern konnte, indem er sie den Verhältnissen der Lohnarbeit und der Warenwirtschaft unterwarf. Aus diesem Grund waren ‘die Krisen des 19. Jahrhunderts, welche Marx analysierte, damals noch Wachstumskrisen. Es handelte sich um Krisen, aus denen das Kapital gestärkt hervorging.... Nach jeder Krise gab es immer noch neue Märkte für die kapitalistischen Länder zu erobern (8).

In der dekadenten Phase des Kapitalismus setzen sich die Entwertungskrisen des Kapitals fort und werden mehr oder weniger zu chronischen Krisen (9). Jedoch zu diesem, dem Kapitalismus immanenten und seinem innersten Wesen entsprechenden Merkmal tritt noch eine andere Eigenschaft in der Phase der Dekadenz hinzu, die sich sozusagen aufzwingt, sie sozusagen überlagert und ein Ergebnis der schwerwiegenden Zuspitzung der Widersprüche der kapitalistischen Dekadenz ist: die Tendenz zur Zerstörung und Sterilisierung des Kapitals.

Diese Tendenz wird hervorgebracht durch die historische Sackgasse, in die der dekadente Kapitalismus geraten ist, und diese Phase kennzeichnet: ‘Was ist der imperialistische Weltkrieg? Es handelt sich um den Kampf mit Gewalt, den die verschiedenen kapitalistischen Gruppen führen müssen, nicht um neue Märkte zu erobern, und neue Rohstoffquellen zu erschließen, sondern um schon vorhandene unter sich aufzuteilen. Bei dieser Aufteilung gewinnen die einen auf Kosten der anderen. Der Krieg hat seine Wurzeln in der allgemeinen und ständigen Wirtschaftskrise, die grassiert und aufzeigt, daß das kapitalistische System auf das Ende seiner historischen Entwicklungsmöglichkeiten gestoßen ist’ (Der Renegat Vercesi, Mai 1944, in ‘Internationales Bulletin der Italienischen Fraktion der Kommunistischen Linken Nr. 5). ‘Der dekadente Kapitalismus ist in der Phase, in der die Produktion nur unter der Voraussetzung weitergeführt werden kann, wenn sie die materielle Form von Produkten und Produktionsmitteln annimmt,  die kein Wachstum und  eine Erweiterung der Produktion mit sich bringen, sondern ihre Eindämmung und Zerstörung (ebenda).

In der Dekadenz hat sich das Wesen des Kapitalismus überhaupt nicht geändert. Der Kapitalismus bleibt weiterhin ein System der Ausbeutung, und er leidet auch noch in einem viel größeren Maße unter der Tendenz zur Entwertung des Kapitals - die gar zu einer ständigen Tendenz wird. Das Wesen der Dekadenz ist jedoch die historische Sackgasse des Systems, die diese starke Tendenz hin zu Zerstörung und Chaos hervorgebracht hat. ‘ Wenn es keine revolutionäre Klasse gibt,  die die historischen Möglichkeiten in sich trägt, um den Aufbau eines Wirtschaftssystems zu bewerkstelligen, das den historischen Notwendigkeiten entspricht, gerät die Gesellschaft und die Zivilisation in eine Sackgasse, wo der Zusammenbruch und die ständige Auflösung, das Auseinanderbrechen unvermeidbar sind. Marx zeigte das Beispiel einer ähnlichen historischen Sackgasse:  die  römischen und griechischen Zivilisationen der Antike. Engels wandte diese These auf die bürgerliche Gesellschaft an und kam zu der Schlußfolgerung, wenn das Proletariat unfähig wäre, dieses Problem zu lösen,  würden die Widersprüche, die in der Gesellschaft vorhanden sind, zu keinem anderen Ergebnis führen als zur Barbarei’(ebenda).

Die Position der Kommunistischen Internationale zum imperialistischen Krieg

Das IBRP will sich über die IKS lächerlich machen, wenn wir diesen Wesenszug des dekadenten Kapitalismus hervorheben: ‘Aus der Sicht der IKS reduziert sich alles auf Chaos und Zerfall, und damit brauchen wir uns nicht länger den Kopf darüber zerbrechen, eine detaillierte Untersuchung der Lage anzufertigen. Dies ist der Schlüssel ihrer Position’ (10). Wir werden auf diese Frage zurückkommen. An dieser Stelle möchten wir jedoch betonen, daß diese Beschuldigung der Vereinfachung, die der Meinung des IBRP nichts anderes als eine Verwerfung des Marxismus als eine Untersuchungsmethode der Wirklichkeit beinhaltet, ebenfalls an den 1. Kongress der Komintern, an Lenin, Rosa Luxemburg gerichtet werden muss.

Das Ziel dieses Artikels ist nicht, die Grenzen und Schwächen der Position der Komintern aufzuzeigen, wenn wir uns nicht vorher auf die klaren Aussagen dieser Position stützen. In den Grundsatztexten der Komintern gibt es klare Hinweise darauf, daß die Idee vom Krieg als eine Lösung der Wirtschaftskrise verworfen wird, wie auch die Auffassung, daß es einen Kapitalismus gäbe, der nach dem Krieg ‘wieder normal’ funktionierte, genau wie in den Akkumulationszyklen während der aufsteigenden Phase.

‘Die ‘Friedenspolitik’ der Entente enthüllt hier endgültig vor dem internationalen Proletariat das Wesen des Ententeimperialismus und des Imperialismus im allgemeinen. Gleichzeitig beweist sie, daß die imperialistischen Regierungen unfähig sind, einen ‘gerechten und dauernden’ Frieden zu schließen, und daß das Finanzkapital nicht imstande ist, die zerstörte Volkswirtschaft wiederherzustellen. Die weitere Herrschaft des Finanzkapitals würde entweder zur völligen Vernichtung der zivilisierten Gesellschaft oder zu einer Steigerung der Ausbeutung, der Versklavung, der politischen Reaktion, der Rüstungspolitik und schließlich zu neuen vernichtenden Kriegen führen’ (Die Kommunistische Internationale, 1919, Nr. 1, S. 51) Thesen über die internationale Lage und die Politik der Entente, angenommen auf dem 1. Kongreß der Komintern am 6.3. 1919).

Die Komintern hob deutlich hervor, daß das Kapital die zerstörte Wirtschaft nicht wiederherstellen kann, d.h. daß es nach dem Kriege keinen ‘normalen, gesunden’ Akkumulationszyklus herbeiführen kann, und daß das Kapital sich keine neue Jugend verschaffen kann, wie die IKP meint. Aber mehr noch: eine Rückkehr zu solch einer Wiederherstellung würde zutiefst geprägt und deformiert sein durch die Entwicklung der Rüstungsindustrie, einer reaktionären Politik und der Verschärfung der Ausbeutung. In dem Manifest des 1. Kongresses erklärt  die Komintern: ‘Die Verteilung der Rohstoffe, die Ausnutzung des Petroleums von Baku oder Rumänien, der Donezkohle, des ukrainischen Getreides, das Schicksal der deutschen Lokomotiven, Eisenbahnwagen, Automobile, die Versorgung des hungernden Europas mit Blut und Fleisch - all diese Grundfragen des wirtschaftlichen Lebens der Welt werden nicht durch den freien Wettbewerb, nicht durch Kombination nationaler und internationaler Trusts und Konsortien geregelt, sondern durch direkte Anwendung von militärischer Gewalt im Interesse ihrer weiteren Erhaltung. Hat die völlige Unterordnung der Staatsmacht unter die Gewalt des Finanzkapitals die Menschheit zur imperialistischen Schlachtbank geführt, so hat das Finanzkapital durch diese Massenabschlachtung nicht nur den Staat, sondern auch sich selbst vollends militarisiert und ist nicht mehr fähig, seine wesentlichen ökonomischen Funktionen anders als mittels Blut und Eisen zu erfüllen’ (Manifest an das Proletariat der ganzen Welt, angenommen auf dem 1. Kongreß der Komintern am 6.3.1919).

Die Perspektive, die die Komintern aufzeigt, ist die einer ‘Militarisierung der Wirtschaft’, und alle marxistischen Analysen fassen dies als einen Beweis für die Zuspitzung der kapitalistischen Widersprüche auf und nicht als deren Linderung und Abschwächung, egal wie stark sie zeitlich begrenzt sein mag. Das IBRP verwirft den Militarismus als ein Akkumulationsinstrument. Die Komintern betont ebenfalls, daß die Weltwirtschaft nicht mehr zu der Zeit des Liberalismus und auch nicht mehr zu den Trusts zurückkehren könnte. Schließlich wird hervorgehoben, daß der Kapitalismus nicht ‘mehr fähig ist, seine wesentlichen ökonomischen Funktionen anders als mittels Blut und Eisen zu erfüllen. Dies kann nur folgendermaßen verstanden werden. Nach dem Krieg kann der Mechanismus der Akkumulation nicht mehr normal funktionieren. Um dies zu tun, benötigt, er vielmehr Blut und Eisen. Die Komintern zeigte dann auch, daß die Perspektive in der Zeit nach dem Krieg vielmehr die einer Zuspitzung der Kriege war. ‘Die Opportunisten, die vor dem Weltkriege die Arbeiter zur Mäßigkeit im Namen des allmählichen Übergangs zum Sozialismus aufforderten, die während des Krieges Klassendemut im Namen des Burgfriedens und der Vaterlandsverteidigung verlangten, fordern wiederum vom Proletariat Selbstverleugnung zur Überwindung der entsetzlichen Folgen des Krieges. Fände diese Predigt bei den Arbeitermassen Gehör, so würde die kapitalistische Entwicklung auf den Knochen mehrerer Generationen in neuer, noch konzentrierterer und ungeheuerlicherer Form ihre Wiederaufrichtung feiern mit der Aussicht eines neuen, unausbleiblichen Weltkrieges’ (Manifest, ebenda,).

Es war eine historische Tragödie, daß die Komintern nicht dazu in der Lage war, diesen klaren Rahmen der Analyse weiter auszubauen, und daß sie in ihrer Niedergangsphase dieser Analyse widersprüchliche Aussagen insofern entgegensetzte, als sie die Auffassung entwickelte, daß der Kapitalismus wieder zu seiner Normalität zurückkehrte, und daß die Analyse des Niedergangs und der Barbarei des Systems nur mehr rhetorische Erklärungen waren. Die Aufgabe der Kommunistischen Linken besteht jedoch darin, die allgemeine Aussage, die die Komintern machte, zu vertiefen und voranzutreiben. Aus den oben erwähnten Zitaten geht hervor, daß die Schlußfolgerung nicht eine Orientierung war, wo der Kapitalismus in einen konstanten Zyklus von Akkumulation - Krise - Krieg - Entwertung - neue Akkumulation eingetreten ist, sondern in eine zutiefst geänderte Weltwirtschaft, die nicht dazu in der Lage ist, zu den Bedingungen der normalen Akkumulation zurückzukehren, sondern neuen Erschütterungen und Zerstörungen unterworfen ist.

Die Irrationalität des imperialistischen Krieges

Daß die Analyse der Kommunistischen Internationale (und damit die Position von Rosa Luxemburg und Lenin) unterschätzt wird, wird klar, wenn das IBRP unseren Begriff der Irrationalität des Krieges verwirft. ‘Aber der Artikel der IKS lenkt vom Thema ab durch den nächsten Kommentar, denn dies würde bedeuten, daß wir damit übereinstimmten, daß es ‘eine ökonomische Rationalität hinter dem Phänomen Weltkrieg’ gibt. Dies hieße, daß wir die Zerstörung von Werten als ein Ziel des Kapitalismus auffaßten, d.h. dies wäre die direkte Kriegsursache. Aber Ursachen sind nicht das gleich wie die Konsequenzen. Die herrschende Klasse der imperialistischen Staaten zieht aber nicht bewußt in den Krieg, um Kapital zu entwerten’ (15).

In der aufsteigenden Phase des Kapitalismus wurden die zyklischen Krisen nicht bewußt durch die herrschende Klasse hervorgerufen. Jedoch besaßen die zyklischen Krisen eine ‘ökonomische Rationalität’: sie erlaubten eine Entwertung des Kapitals, und infolgedessen einen Neuanfang der kapitalistischen Akkumulation auf einer neuen Ebene. Das IBRP meint, daß die Weltkriege der kapitalistischen Dekadenz eine Rolle der Entwertung des Kapitals und der Erneuerung der Akkumulation spielen. Das heißt, es schreibt den Kriegen eine ökonomische Rationalität der gleichen Art zu wie die zyklischen Krisen in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus.

Hier liegt genau der zentrale Fehler, und wie wir schon gegenüber der CWO vor 16 Jahren sagten, als wir in einem Artikel ‘Ökonomische Theorie und Kampf für den Sozialismus’ schrieben: ‘Wir können sehen, daß der Fehler Bukarins von der CWO in ihrer Analyse  wiederholt wird. Der CWO zufolge führt jede Krise  (durch den Krieg) zu einer Entwertung des konstanten Kapitals, wodurch die Profitrate gesteigert wird und der Zyklus von Wiederaufbau - Boom - Krise und Krieg erneut wiederholt werden kann’ (zitiert aus der Zeitung der CWO - Revolutionary Perspectives, Nr. 6, S. 18, Die Akkumulation der Widersprüche). Daher faßt die CWO die Krisen im dekadenten Kapitalismus in wirtschaftlichen Begriffen als die zyklischen Krisen des aufsteigenden Kapitalismus auf einer höheren Ebene auf’ (International Review, Nr. 16, S. 15). 

Das IBRP sieht den Unterschied zwischen aufsteigender und Niedergangsphase ausschließlich in dem Umfang und dem Ausmaß der periodischen Unterbrechungen des Akkumulationszyklus.

‘Die Kriegsursachen sind auf die Bemühungen der Bourgeoisie zurückzuführen, diese Kapitalwerte gegen die Rivalen zu verteidigen. Im aufsteigenden Kapitalismus spielten sich diese Rivalitäten hauptsächlich auf ökonomischer Ebene ab und zwischen rivalisierenden Betrieben. Diejenigen, die einen höheren Grad an Kapitalkonzentration durchsetzen konnten (die Tendenz des Kapitals zu Zentralisierung und Monopolbildung) waren dadurch in die Lage versetzt,... ihre Gegner in die Enge zu treiben. Diese Rivalitäten führten auch zu einer Überakkumulation von Kapital, die die Krisen im 10-Jahresrhythmus im 19. Jahrhunderten mit sich brachten. Die schwächeren Betriebe brachen zusammen, oder sie wurden von den stärkeren Rivalen übernommen. Das Kapital wurde in jeder Krise entwertet und eine neue Runde Akkumulation konnte beginnen, aber jedes Mal stiegen Konzentration und Zentralisierung des Kapitals... In der Epoche des Monopolkapitalismus jedoch hat die Konzentration die Ebene des Nationalstaates erreicht. Das Ökonomische und Politische sind jetzt eng miteinander in der imperialistischen oder dekadenten Stufe des Kapitalismus verwoben... In dieser Epoche ist für die Verteidigung der Kapitalwerte die Intervention des Staates selber erforderlich; damit werden die Rivalitäten zwischen den imperialistischen Mächten verschärft’ (S. 29-30). Infolgedessen ‘haben imperialistische Kriege nicht solch beschränkten Ziele (wie in der aufsteigenden Phase). Sobald die Bourgeoisie diese Kriege anfängt, gibt es nur einen Kampf um Zerstörung, Auslöschung, bis eine Nation oder ein Block von Nationen militärisch und wirtschaftlich zerstört ist. Die Folgen des Krieges sind dann, daß Kapital nicht nur physisch zerstört wurde, sondern daß es auch eine massive Entwertung von bestehendem Kapital gegeben hat’ (ebenda).

Geht man dieser Analyse auf den Grund, findet man einen starken Ökonomismus, der den Krieg nur als ein unmittelbares und mechanisches Ergebnis der wirtschaftlichen Entwicklung auffaßt. In unserem Artikel in der Internationalen Revue Nr. 15 & 79 haben wir aufgezeigt, daß der Krieg eine globale ökonomische Wurzel hat (die historische Krise des Kapitalismus), daß man daraus nicht ableiten kann, daß jeder Krieg aus einem direkten ökonomischen Grund geführt werde. Das IBRP wollte hinter dem Golfkrieg eine ökonomische Erklärung suchen und argumentierte auf vulgäre ökonomistische Art und Weise, daß es sich um einen Krieg um die Erdölfelder handelte. Der Balkankrieg wird auch durch den Appetit seitens der Großmächte nach irgendwelchen Märkten erklärt (19). Es stimmt allerdings, daß unter dem Druck unserer Kritik und den empirischen Beweisen das IBRP diese Analyse korrigiert hat, aber es hat noch nicht geschafft, diesen vulgären Ökonomismus infragezustellen, demzufolge der Krieg eine unmittelbare und ökonomische ökonomische Wurzel habe (20).

Das IBRP verwechselt wirtschaftliche Konkurrenz  und imperialistische Rivalität, die nicht notwendigerweise gleich sind. Die imperialistische Rivalität hat als Hintergrund eine wirtschaftliche Situation mit einer allgemeinen Sättigung des Weltmarktes, aber das heißt nicht, daß man  als direkten Ursprung die reine Handelskonkurrenz nennen kann. Ihr Ursprung ist wirtschaftlich, strategisch und militärisch und darin bündeln sich politische und geschichtliche Faktoren.

In der aufsteigenden Phase hatten die Kriege (der nationalen oder kolonialen Befreiung) zwar ein globales ökonomisches Ziel (die Bildung von neuen Nationen oder die Ausdehnung des Kapitalismus mittels der Bildung von Kolonien), dennoch entstanden sie nicht direkt aus ökonomischer Konkurrenz. Der französisch-preußische Krieg beispielsweise hatte dynastische und strategische Wurzeln, aber er hatte keine unüberwindbare Wirtschaftskrise zum Hintergrund und auch keine besondere ökonomische Rivalität zwischen den beiden Kontrahenten. Das IBRP versteht diesen Punkt bis zu einem gewissen Punkt, wenn es schreibt:

‘Während es in den post-napoleanischen Kriegen im 19. Jahrhundert großes Elend und Gewalt gab (wie die IKS richtigerweise erkennt), lag der wirkliche Unterschied darin, daß für spezifische Ziele gekämpft wurde, die ermöglichten, schnelle und durch Verhandlungen erzielte Lösungen durchzusetzen. Die Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts hatte noch die programmatische Aufgabe der Zerstörung der Überreste der alten Produktionsweise und der Schaffung wirklicher Nationen (21). Darüber hinaus sieht das IBRP wohl den Unterschied zur dekadenten Phase: ‘Die Kosten der größeren kapitalistischen Entwicklung der Produktivkräfte waren nicht länger unvermeidbar. Ja, diese Kosten haben solche Ausmaße erreicht, daß sie drohen, das zivilisierte Leben sowohl kurzfristig (Umweltzerstörung, Hungersnöte, Völkermord) als auch langfristig (Weltkriege) zu zerstören’ (S. 31).

Die Feststellungen des IBRP sind richtig, und wir teilen sie voll und ganz, aber wir möchten eine einfache Frage stellen: was bedeutet es, daß die Kriege der Dekadenz ‘totale Ziele’ haben, und daß der Aufwand für die Aufrechterhaltung des Kapitalismus schon soweit entwickelt ist, daß dies bis zur Zerstörung der Menschheit geht? Gab es solche Situationen der Erschütterungen und der Zerstörung, die das IBRP als qualitativ unterschiedlich von denen der aufsteigenden Phase betrachtet, in einer wirtschaftlichen Situation der normalen und ‘gesunden’
Reproduktion der Akkumulation des Kapitals in der aufsteigenden Phase?

Die tödliche Krankheit des dekadenten Kapitalismus sieht das IBRP nur in den Zeiten der Weltkriege, aber nicht in den scheinbar ‘normalen’ Zeiten, d.h. in den Zeiten, wo es dem IBRP zufolge eine Entwicklung des Zyklus der Akkumulation des Kapitals gibt. Dies führt das IBRP zu einem gefährlichen Zwiespalt: einerseits meinen sie, gebe es Zeiten der Entwicklung des normalen Zykluses der Kapitalakkumulation, wo es wirkliches wirtschaftliches Wachstum gibt, das ‘technologische Revolutionen’ hervorbringt und ein Anwachsen der Arbeiterklasse. In diesen Zeiten des vollen Funktionierens des Akkumluationszykluses scheint der Kapitalismus zu seinen Ursprüngen zurückzukehren, sein Wachstum scheint wieder Zahlen  wie in seiner Jugendzeit zu erzielen (das IBRP wagt dies nicht zu sagen, aber die IKP (Programa) behauptet dies offen). Auf der anderen Seite gibt es die Zeit der Weltkriege, wo die Barbarei des dekadenten Kapitalismus in all ihrer Brutalität und Gewalt deutlich ans Tageslicht tritt.

Dieser Zwiespalt erinnert stark an die Position von Kautsky und seiner These vom ‘Superimperialismus’. Einerseits erkannte Kautsky, daß der Kapitalismus nach dem 1. Weltkrieg in eine Phase eingetreten war, in der es große Katastrophen und Erschütterungen geben könnte, aber er behauptete gleichzeitig, daß es eine ‘objektive’ Tendenz zur höchsten Konzentration des Kapitalismus hin zu einem imperialistischen Trust gäbe, wodurch der Kapitalismus friedlich werden könnte.

In dem Vorwort zu dem eingangs zitierten Buch von Bukarin (Weltwirtschaft und Imperialismus) legte Lenin diesen zentristischen Widerspruch Kautskys bloß:

‘Kautsky hatte das Versprechen gegeben, Marxist zu sein in der herannahenden akuten Katastrophenepoche, die er in seinem 1909 beschriebenen Werk über diese Epoche mit aller Bestimmtheit hatte prophezeien und positiv ins Auge fassen müssen. Heute, da bereits absolut feststeht, daß diese Epoche angebrochen ist, gibt Kautsky abermals nur das Versprechen, in einer zukünftigen, - wer weiß, ob überhaupt realisierbaren - Epoche des Ultraimperialismus Marxist zu sein! Kurz und gut - Versprechungen, soviel ihr wollt: in einer anderen Epoche Marxist zu sein, aber nur nicht heute, nur nicht unter den gegenwärtigen Bedingungen, nur nicht zu dieser Stunde’ (Lenin, Dez. 1915, S. 10)

Wir wollen damit nicht behaupten, daß das gleiche mit dem IBRP passiert. Sie halten stark fest an der Analyse der Dekadenz, wenn sie von den Kriegszeiten sprechen, während sie in den Zeiten der Akkumulation mit einer Analyse aufwarten, die Konzessionen an die bürgerlichen Lügen vom ‘Wachstum’ und ‘Wohlstand’ dieses Systems macht.

Die Unterschätzung der Tragweite des Prozesses des Zerfalls des Kapitalismus

Diese Tendenz, die marxistische Analyse der Dekadenz nur hinsichtlich der Zeit der Weltkriege zu verteidigen, erklärt die Schwierigkeit des IBRP, die gegenwärtige historische Phase des Kapitalismus zu begreifen:

‘ Seit ihrer Gründung vor 20 Jahren hat die IKS ein konsistentes Verhalten: sie hat alle Versuche abgelehnt zu untersuchen, wie die Kapitalisten bislang mit der Krise umgegangen sind. Die IKS scheint zu meinen, daß jeder Versuch, die besonderen historischen Aspekte der jetzigen Krise zu analysieren, gleich bedeutet zu sagen, daß der Kapitalismus die Krise überwunden hat. Dies ist aber nicht der Fall. Die Marxisten müssen jetzt begreifen, warum die gegenwärtige Krise die Dauer der großen Depression von 1873-1896 übertrifft. Während diese große Krise zu einer Zeit auftrat, als der Kapitalismus in seine Monopolphase eintrat, und während diese Krise noch durch eine ökonomische Entwertung überwindbar war, bedroht die heutige Krise die Menschheit mit einer viel größeren Katastrophe’ (Antwort des IBRP S. 34).

Das IBRP scheint sicher zu sein, behaupten zu können, die IKS habe auf eine Untersuchung der gegenwärtigen Krise verzichtet. Das IBRP kann sich davon überzeugen, wenn es die Artikel liest, die wir regelmäßig in jeder Nummer unserer Internationalen Revue veröffentlichen, wobei wir die Krise in all ihren Aspekten untersuchen. Aus unserer Sicht ist die 1967 wieder offen aufgebrochene Krise eine chronische und ständige Krise des Kapitalismus in seiner Niedergangsphase. Sie stellt eine große, immer weniger kontrollierbare  Fessel für den kapitalistischen Akkumulationsprozeß dar.  Die ‘spezifischen Aspekte’ der gegenwärtigen Krise sind zurückzuführen auf die verschiedenen Versuche des Kapitals, mittels der verstärkten Staatsintervention, die Flucht in die Verschuldung und die monetären und kommerziellen Manipulationen zu versuchen, eine unkontrollierbare Explosion ihrer zutiefst verwurzelten Krise zu verhindern. Gleichzeitig wird das Scheitern dieser Lösungen und der entgegengesetzten Wirkungen deutlich, wie sie alle die unheilbare Krankheit des Kapitalismus nur noch verschlimmern.

Das IBRP stellt als ‘große Aufgabe’ der Marxisten die Erklärung der langen Dauer der Krise dar. Es überrascht uns nicht, daß das IBRP sich über die lange Dauer dieser Krise wundert, weil die Genossen des IBRP  das grundlegende Problem nicht verstehen. Es gibt zur Zeit nämlich nicht das Ende eines Akkumulationszyklus, sondern eine historische Situation der Sackgasse, eine blockierte Lage, wo die Akkumulationsmechanismen zutiefst umgewälzt werden. Es handelt sich um eine Situation, in der der Kapitalismus seine wesentlichen ökonomischen Funktionen - wie die Komintern sagte - nur noch durch Eisen und Blut aufrechterhalten kann.

Das Kernproblem des IBRP bringt sie wieder einmal dazu, sich ironisch über unsere Position zur gegenwärtigen historischen Situation des Chaos und des Zerfalls des Kapitalismus zu äußern. ‘Während wir damit einverstanden sein können, daß es Tendenzen zum Zerfall und zum Chaos gibt (seitdem der Akkumulatinoszyklus seit  20 Jahren zu Ende gegangen ist, ist es schwierig sich vorzustellen, wie es anders sein könnte), kann dies jedoch kein Anlaß sein, dies als Slogan zu verwenden, um eine konkrete Analyse der gegenwärtigen Ereignisse zu umgehen’ (24).

Wie man sieht, befaßt sich das IBRP lieber mit unserer angeblichen ‘Vereinfachung’, eine Art ‘intellektueller Faulheit’, die sich in radikale Parolen flüchtet über den Ernst der Lage und das Chaos im Kapitalismus, damit man keine konkrete Untersuchung der Wirklichkeit vornimmt.

Die Sorge des IBRP ist richtig. Marxisten müssen sich und werden sich damit befassen müssen (dies ist eine unserer Aufgaben im Kampf der Arbeiterklasse), die Ereignisse in ihren Einzelheiten zu untersuchen anstatt rhetorische Verallgemeinerungen zu produzieren im Stile eines Longuets, der dies mit seinem ‘orthodoxen Marxismus’ in Frankreich betrieb, oder allgemeinen anarchistischen Aussagen zu verfallen, die vielen passen, aber in entscheidenden Augenblicken zu opportunistischen Abweichungen, wenn nicht gar zu offenem Verrat führen.

 

Aber um eine konkrete Untersuchung der Ereignisse anzufertigen, ist es notwendig, einen klaren globalen Rahmen zu haben - und da stößt das IBRP auf Schwierigkeiten. Da es den Ernst der Lage und die Tragweite der Erschütterungen, der Widersprüche des Kapitalismus in den ‘normalen’ Zeiten der Phase des Zyklus der Akkumulation nicht versteht, begreift es auch nicht den Prozeß des Zerfalls und des Chaos im Weltkapitalismus, und warum sich dieser Prozeß seit 1989 seit dem Zusammenbruch des Ostblocks beschleunigt hat.

Das IBRP sollte sich an den jämmerlichen Unfug erinnern, den sie sagten, als die stalinistischen Regime zusammenbrachen. Sie spekulierten damals über die neu entstandenen ‘phantastischen Märkte’, die diese Ruinen dem Westen bieten würden und glaubten, daß dadurch eine Abschwächung der kapitalistischen Krise möglich sein werde. Seitdem hat das IBRP in Anbetracht der empirischen Beweise und aufgrund unserer Kritik seine Position hierzu geändert. Dies ist sehr gut und zeigt sein Verantwortungsbewußtsein und Ernsthaftigkeit gegenüber der Arbeiterklasse. Aber das IBRP muß dennoch zum Kern des Problems vorstoßen: warum solche Fehltritte? Warum mußte das IBRP erst seine Einschätzung nach Erkenntnis der Ereignisse selber ändern? Welche Avantgarde ist das, die erst durch den Lauf der Ereignisse dazu gebracht wird, ihre Position zu ändern, anstatt diese Ereignisse vorherzusehen? Das IBRP sollte aufmerksam die Texte lesen, in denen wir die allgemeine Entwicklung des Kapitalismus und seines Zerfalls aufzeigen (25). Dann könnte das IBRP sehen, daß wir keine ’Vereinfachungen’ betreiben, sondern daß es eine Langsamkeit und Inkohärenz bei der Analyse des IBRP gibt.

Diese Probleme werden erneut ersichtlich bei der folgenden Spekulation des IBRP: ‘Wenn ein weiterer Beweis des Idealismus der IKS erforderlich wäre, ihre letzte Beschuldigung gegen das Büro ist, daß wir keine ‘einheitliche und globale Auffassung vom Krieg’ haben, wodurch eine ‘Blindheit und Unverantwortung’ (sic) entsteht und wir ‘nicht begreifen, daß der nächste Krieg nichts anders als die vollständige Zerstörung des Planeten’ bedeuten würde. Die IKS mag recht haben, obgleich wir gerne die wissenschaftliche Grundlage gesehen hätten, auf die sie sich bei dieser Aussage stützt. Wir unsererseits haben immer gesagt, daß der nächste Krieg ‘die Fortsetzung der Existenz der Menschheit’ infragestellt. Aber es gibt keine Sicherheit darüber, daß alles ausgelöscht werden wird. Der nächste imperialistische Krieg mag tatsächlich zur endgültigen Zerstörung der Menschheit führen. Es gibt Massenvernichtungswaffen, die in bisherigen Kriegen noch nicht zum Einsatz kamen (z.B. biologische und chemische Waffen), und es gibt keine Garantie, daß ein nukleares Holocaust das nächste Mal den ganzen Planeten treffen würde. Tatsächlich sehen die gegenwärtigen Kriegsvorbereitungen der imperialistischen Mächte den Abbau von Massenvernichtungsmitteln vor, während sog. konventionelle Waffen weiter entwickelt werden. Selbst die Bourgeoisie begreift, daß ein zerstörter Planet für niemanden etwas wert ist (selbst wenn die Kräfte, die zum Krieg führen und das Wesen des Krieges letzten Endes außer ihrer Kontrolle sind)’ (S. 35-36).

Das IBRP sollte ein wenig aus der Geschichte lernen. Im 1. Weltkrieg benutzten alle Räuber diese zerstörerischen Kräfte, wobei sie gleichzeitig immer mörderischere Waffensysteme entwickelten. Nachdem Deutschland im 2. Weltkrieg schon besiegt war, beschloß man die Flächenbombardierungen von Dresden und anderen Städten, wobei Brandbomben und Streubomben zum Einsatz kamen, und die USA warfen die Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki, nachdem Japan schon besiegt war. Seitdem übertrafen die Bombardierungen von Hanoi 1971 an einem Abend all die Bombenangriffe, die 1945 auf Deutschland geflogen worden waren. Die Flächenbombardierungen von Bagdad im Jahre 1991 übertrafen dann wiederum den traurigen Rekord von Hanoi. Im gleichen Golfkrieg wurden dann neue chemische und atomare konventionelle Waffen an US-amerikanischen Soldaten von den USA ausprobiert. Es ist mittlerweile bekannt geworden, daß die USA in den 50er Jahren an der eigenen Bevölkerung Experimente mit bakteriologischen Waffen vornahmen. In Anbetracht dieser Massen an Beweisen zeigt das IBRP, das diese Informationen in jeder bürgerlichen Publikation finden kann, eine Unehrlichkeit und Ignoranz, wenn es über den Grad der Kontrolle der Bourgeoisie über ihre Waffensysteme spekuliert, über deren ‘Interesse’, ein vollständiges Holocaust zu vermeiden. Selbtmörderisch träumt das IBRP davon, daß ‘weniger zerstörerische Waffen eingesetzt würden’, obgleich die letzten 80 Jahre zeigen, daß genau das Gegenteil der Fall ist.

Bei dieser sinnlosen Spekulation begreift das IBRP nicht nur nicht die Theorie, sondern verschließt die Augen vor der niederschmetternden und unleugbaren Beweiskraft der Tatsachen. Es muß das schwerwiegende und revisionistische Wesen dieser stupiden Illusionen der machtlosen Kleinbürger begreifen, die sich wie an einem Strohhalm an der Idee festhalten, daß ‘gar die Bourgeoisie begreift, daß ein zerstörter Planet niemandem nützt’.

Das IBRP muß seinen Zentrismus überwinden, seine Schwankungen zwischen einer kohärenten Position zum Krieg und zur Dekadenz des Kapitalismus und seinen spekulativen Theoretisierungen, die wir kritisiert haben, vom Krieg als ein Mittel der Entwertung des Kapitals und der Erneuerung des Akkumulationszykluses. Diese Fehler bewirken, daß das IBRP selbst nicht seine eigene Analyse ernst nimmt und sie als ein kohärentes Instrument einsetzt. So schreibt das IBRP: ’die Kräfte, die zum Krieg führen und das Wesen des Krieges stehen letztendlich außerhalb der Kontrolle der Bourgeoisie’.

Für das IBRP ist dieser Satz ein rein rhetorischer Einschub. Aber wenn das Büro wirklich der Methode und der Arbeit der Kommunistischen Linke treu sein und die geschichtliche Wirklichkeit begreifen will, müßte dieser Satz als Kompaß bei der Analyse wirken, Achse ihres Denkens sein, um konkret die Tatsachen und die historischen Tendenzen des heutigen Kapitalismus zu begreifen.

Adalen   27.05.95


[1]In seiner Antwort geht das IBRP auch auf andere Fragen ein wie eine besondere Auffassung zum Staatskapitalismus, die wir hier nicht behandeln.

[2]Siehe Internationale Revue Nr. 15 ‘Die Verwerfung der Auffassung der Dekadenz führt zur Schwächung der Arbeiterklasse gegenüber dem Krieg.


[i][i]In seiner Antwort geht das IBRP auch auf andere Fragen ein wie eine besondere Auffassung zum Staatskapitalismus, die wir hier nicht behandeln.

[i]Siehe Internationale Revue Nr. 15 ‘Die Verwerfung der Auffassung der Dekadenz führt zur Schwächung der Arbeiterklasse gegenüber dem Krieg.

[ii]

Politische Strömungen und Verweise: 

  • Internationales Büro für die Revolutionäre Partei [3]

Jahresfeiern 1944: 50 Jahre imperialistischer Lügen (2. Teil)

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Im ersten Teil dieses Artikels haben wir den verabscheuungswürdigen Charakter der Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag der Landung der Alliierten im Jahr 1944 dargestellt. Die Landung bedeutete keinerlei soziale Befreiung für das Proletariat, sondern ein zugespitztes Massaker während des letzten Kriegsjahres sowie Elend und Terror in den Jahren des Wiederaufbaus. Die Gesamtheit des in sich zerstrittenen Kapitals war verantwortlich für den Krieg, der nach einer Neuaufteilung der Welt unter den grossen Mächten beendet wurde. Wie wir bei mehreren Gelegenheiten in dieser Revue aufgezeigt haben, ist die Arbeiterklasse im Gegensatz zum 1. Weltkrieg nicht auf der gesellschaftlichen Bühne erschienen. Die Arbeiter aller Länder sind vom kapitalistischen Terror gelähmt geblieben. Aber wenn auch die Arbeiterklasse sich nicht auf die Höhe ihrer historischen Fähigkeiten schwingen konnte, um die Bourgeoisie zu bekämpfen, so bedeutet dies keineswegs, dass sie verschwunden wäre oder dass sie ihre Kampfkraft vollständig verloren hätte. Ebensowenig sind die revolutionären Minderheiten vollständig gelähmt geblieben.

Die Arbeiterklasse ist die einzige Kraft, die fähig ist, sich der Entfesselung der imperialistischen Barbarei zu widersetzen, wie sie es in unbestreitbarer Weise im Ersten Weltkrieg bewiesen hat. Die herrschende Klasse hat sich nicht in den Krieg geworfen, bevor sie die Bedingungen der Zerstückelung und Lähmung der internationalen Arbeiterklasse geschaffen hatte, und die demokratische Bourgeoisie von heute kann hochtrabend von ihrer Befreiung reden. Ihre Vorgänger hatten mit Vorsicht alle Massnahmen ergriffen, um vor, während und nach dem Krieg zu vermeiden, dass das Proletariat erneut das barbarische System in seinen Grundfesten erschütterte, wie es dies 1917 in Russland und 1918 in Deutschland getan hatte. Die sich gegen den Krieg entwickelnde revolutionäre Welle zeigte auf, dass die Bourgeoisie keineswegs eine allmächtige Klasse ist, denn der Kampf der Arbeitermassen, der in den Aufstand mündet, ist eine soziale Bombe, die tausendmal lähmender ist als die von den Nazis entwickelte und unter den demokratischen und stalinistischen Regimes vollendete Atombombe. Der ganze Ablauf des Zweiten Weltkriegs zeigt, wenn man sich einmal von der ideologischen Bearbeitung über die einzelnen militärischen Schlachten gegen das "Uebel" Hitler gelöst hat, dass die Arbeiterklasse eine der zentralen Sorgen der Bourgeoisie in den sich feindlich gegenüberstehenden Lagern war. Dies bedeutet keineswegs, dass die Arbeiterklasse darbei gewesen wäre, die bestehende Ordnung wie zwanzig Jahre davor zu bedrohen, jedoch dass sie eine Hauptsorge der Bourgeoisie insofern war, als sie die Reichtümer der Gesellschaft produziert und deshalb nicht vollständig liquidiert werden durfte. Man musste ihr Bewusstsein und selbst den Gedanken über ihre Existenz als soziale Klasse, deren Interessen der "Nation" entgegenstehen, zerstören. Den Arbeitern musste der Gedanke daran, dass sie als vereinte Klasse dazu befähigt sind, den Kurs der Geschichte zu ändern, ausgetrieben werden.

Wir wollen hier kurz in Erinnerung rufen, dass bei jeder Drohung des Proletariats, sich zusammenzuschliessen und als Klasse zu behaupten, die Heilige Allianz der Imperialisten sich über die Frontlinien hinweg bildete. Die nationalsozialistische, demokratische oder stalinistische Bourgeoisie hat jeweils unausgesprochen, oft ohne Koordination untereinander reagiert, um die kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten und die Immunkräfte des reaktionären Gesellschaftssystems werden spontan moblisiert. Das Proletariat muss ein halbes Jahrhundert später aus dieser langen Niederlage, aus der Fähigkeit der dekadenten Bourgeoisie zur Verteidigung ihrer Schreckensherrschaft seine Lehren ziehen.

1. Die Vorkriegszeit

Der Krieg von 1939 bis 1945 war nur möglich, weil das Proletariat in den dreissiger Jahren nicht mehr genügend Kraft hatte, den weltweiten Konflikt zu verhindern. Es hatte das Bewusstsein über seine Klassenidentität verloren. Dies war das Ergebnis von drei Etappen in der Eindämmung der proletarischen Drohung:

- Die Erschöpfung der grossen revolutionären Welle nach 1917, abgeschlossen durch den Sieg des Stalinismus und die von der Komintern angenommene Theorie des "Sozialismus in einem Land".

- Die Liquidierung der sozialen Erhebungen im entscheidenden Zentrum, wo sich die Frage nach der Alternative Kapitalismus oder Sozialismus stellte: Diese Aufgabe hatte in Deutschland die Sozialdemokratie erfüllt; der Nationalsozialismus vollendete deren Arbeit mit der Ausübung eines bis dahin beispiellosen Terrors.

- Die totale Verwirrung der Arbeiterbewegung in den demokratischen Ländern unter der Maske der "Freiheit angesichts des Faschismus", mit der Ideologie der Volksfronten, die dazu diente, die Arbeiter der Industrieländer auf weitaus subtilere Art und Weise zu lähmen als mit der "Vaterlandsverteidigung" von 1914.

In Europa war die Losung der Volksfront nichts anderes als die Vorwegnahme der nationalen Front der KPs sowie anderer linker Parteien während des Krieges. Den Arbeitern der entwickelten Länder wurde die Wahl zwischen Faschismus und Antifaschismus gelassen. Die beiden spiegelbildlichen Ideologien unterwarfen die Arbeiterklasse der Verteidigung des nationalen Interesses, d.h. des Imperialismus ihrer jeweiligen Bourgeoisie. In den dreissiger Jahren waren die deutschen Arbeiter nicht die Opfer des Vertrages von Versailles, wie ihnen ihre Regierungen ständig einredeten, sondern sie waren Opfer derselben Krise, die auch ihre Klassenbrüder der ganzen Welt betraf. Die Arbeiter Westeuropas und der Vereinigten Staaten waren ebensowenig Opfer Hitlers, dem angeblich einzigen Kriegsverursacher, sondern vielmehr ihrer eigenen demokratischen Bourgeoisien, die darauf bedacht waren, ihre eigenen imperialistischen Interessen zu verteidigen. 1936 waren die Mystifikationen der Verteidigung der Demokratie und des Antifaschismus derart stark, dass sie die Arbeiter dazu trieben, Stellung  zwischen den rivalisierenden Fraktionen der Bourgeoisie zu beziehen: zwischen Faschismus/Antifaschismus, Rechts/Links, Franco/Republik. In den meisten europäischen Ländern waren es linke Regierungen oder linke Oppositionsparteien mit der ideologischen Unterstützung des stalinistischen Russland, die die Ideologie der Volksfront hervorbrachten. Die Volksfront diente dazu, die Arbeiter mit dieser neuen Version der Allianz von feindlichen Klassen zur Duldung von ungeheuren Opfern zu bringen.

Der Krieg in Spanien war mit der Konfrontation der verschiedenen Imperialismen, die sich um die Fraktionen der spanischen Bourgeoisie scharten, die Generalprobe für den Weltkrieg. Er war hauptsächlich das Labor zur Erprobung der Volksfronten und erlaubte die Konkretisierung und Bestimmung des Feindes, nämlich des Faschismus, gegen den die Arbeiter Westeuropas hinter der Bourgeoisie mobilisiert wurden. Hunderttausende von massakrierten spanischen Arbeitern sollten ein Beweis der Notwendigkeit des demokratischen Krieges sein, ein besserer Beweis als die Ermordung eines Thronfolgers in Sarajewo zwanzig Jahre zuvor.

Die Bourgeoisie konnte den Krieg nur mit einer Täuschung der Arbeiter führen. Es musste ihnen eingebleut werden, dass dies auch ihr Krieg war:

"Die Bourgeoisie erreichte mit der Zwischenschaltung seiner Agenten in der Arbeiterklasse das Ende des Klassenkampfes, oder genauer gesagt die Zerstörung der Macht der Arbeiterklasse, die Zerstörung ihres Bewusstseins, die Irreleitung ihrer Kämpfe. Der Inhalt ihres Kampfes wurde vom revolutionären Anspruch entleert, sie wurde auf dem Terrain des Nationalismus und Reformismus festgenagelt. Dieses Terrain ist die letzte und entscheidende Bedingung zur Auslösung des imperialistischen Krieges.". Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn1" name="_ednref1">[i]

Tatsächlich zog die Bourgeoisie aus der Tatsache, dass aus dem Ersten Weltkrieg eine revolutionäre Welle hervorgegangen war, ihre Lehren: Bevor sie sich in den Zweiten Weltkrieg warf, besiegte sie die Arbeiterklasse vollständig und unterwarf sie in einem Ausmass, wie es die Zeit vor der Auslösung des "Grossen Krieges" nicht gesehen hatte.

Insbesondere muss man in bezug auf die politische Avantgarde des Proletariats festhalten, dass in dieser der Opportunismus viel offensichtlicher als 1914 schon einige Jahre vor Ausbruch des Konflikts triumphiert und so die Arbeiterparteien in Agenten des bürgerlichen Staates verwandelt hatte. 1914 hatten in der Mehrheit der Länder noch revolutionäre Strömungen innerhalb der Parteien der Zweiten Internationale bestanden. Die russischen Bolschewiki beispielsweise oder die deutschen Spartakisten waren Teile der sozialdemokratischen Parteien und führten den Kampf innerhalb dieser Parteien. Als der Krieg ausbrach, stand nicht die gesamte Sozialdemokratie hinter der bürgerlichen Ordnung: Es zeigten sich noch immer proletarische Regungen, die den Internationalismus hochhielten. Dies zeigte sich insbesondere an den Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal. Dagegen endeten die Parteien der Dritten Internationale im Laufe der dreissiger Jahre auf dem bürgerlichen Terrain, also schon einige Jahre vor Ausbruch des Weltkrieges, für den sie denn auch die Arbeiter rekrutieren sollten. Und sie profitierten schliesslich gar von der Verstärkung durch die trotzkistischen Organisationen, die zu dieser Zeit völlig ins bürgerliche Lager übergingen, weil sie sich dem einen imperialistischen Lager im Kampf gegen das andere angeschlossen hatten (im Namen der Verteidigung der UdSSR, des Antifaschismus und anderer mörderischer Aufgaben). Der Ausbruch des Krieges sowie die extreme Isolation der revolutionären Minderheiten schliesslich bestätigten die Schwere der Niederlage, die das Proletariat erlitten hatte.

Da die Arbeiter wegen des Verrats der Parteien, die in ihrem Namen sprachen, sowie wegen des Fehlens einer kommunistischen Avantgarde politisch atomisiert waren, reagierten sie auf den Kriegsbeginn mit allgemeiner Auflösung.

2. Während des Krieges

Wie anlässlich des Ersten Weltkrieges brauchte es auch dieses Mal wenigstens zwei oder drei Jahre, bevor die geschlagene Arbeiterklasse ihr Kampfterrain wiederfinden konnte. Trotz der schrecklichen Bedingungen des Weltkrieges und insbesondere des Terrors, der nun herrschte, zeigte sich die Arbeiterklasse imstande, ihr Terrain wiederzufinden. Die Tatsache jedoch, dass die Arbeiterklasse vor dem Krieg eine schwere Niederlage erlitten hatte, führte dazu, dass die Mehrzahl ihrer Kämpfe keine derartige Tiefe aufwies, u m mittelfristig den Weg zur Revolution zu weisen, oder auch nur die Bourgeoisie ernsthaft zu beunruhigen. Die meisten Bewegungen waren zerstreut und abgeschnitten von den Lehren der früheren Kämpfe. Auch fehlte noch die tiefgründige Reflexion über die Ursachen der Niederlage in der internationalen revolutionären Welle, die 1917 in Russland ausgebrochen war.

Unter den schlechtesten Bedingungen zeigten sich die Arbeiter trotzdem in den meisten kriegführenden Ländern als fähig, das Haupt zu erheben. Aber die Zensur und die hämmernde Propaganda des Radios waren allgegenwärtig, wenn es überhaupt noch eine Presse gab. Die Arbeiter tendierten in den bombardierten Fabriken, in den Gefangenenlagern und in den Quartieren dazu, ihre klassischen Protestmethoden wiederzufinden. In Frankreich beispielsweise zählte man seit der zweiten Hälfte des Jahres 1941 Dutzende von Lohnforderungs- und Arbeitszeitverkürzungs-Kämpfen. Die Arbeiter tendierten dazu, jeglicher Beteiligung am Krieg den Rücken zu kehren (obwohl das Land zur Hälfte besetzt war): "...das Klassengefühl blieb stärker als jegliche nationale Verpflichtung.". Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn2" name="_ednref2">[ii] Der Streik der Minenarbeiter von Pas-de-Calais ist in dieser Hinsicht bedeutsam. Sie machten einzig die französischen Fabrikbesitzer für die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen verantwortlich und hörten nicht auf die stalinistischen Ordnungsrufe zugunsten des patriotischen Kampfes. Die Beschreibung dieses Streiks ist ergreifend:

"Der Streik vom 7. in Dourges brach aus wie die Streiks in allen Gruben, seit sie bestehen. Unzufriedenheit herrschte. Man hatte genug von den schlechten Arbeitsbedingungen. Die Arbeiter haben ebensowenig wie 1941, 1936 oder 1902 in den Gesetzen nachgeschlagen. Sie haben sich nicht  darum gekümmert, ob es eine Kompagnie von Infanteristen gab, ob eine Volksfrontregierung an der Macht war oder Nationalsozialisten bereit standen, sie zu deportieren. Sie haben sich selbst zusammengesetzt und ihre Probleme besprochen. Sie schrien: 'Es lebe der Streik.'  Und sie haben mit beklommener Stimme gesungen, mit Tränen in den Augen, mit den Tränen der Freude und des Erfolgs.". Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn3" name="_ednref3">[iii]

Die Bewegung breitete sich während mehrerer Tage auf 70 000 Minenarbeiter aus und liess die deutschen Soldaten vorerst machtlos. Erst dann wurde die Bewegung brutal niedergeschlagen.. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn4" name="_ednref4">[iv]

Das Jahr 1942 brachte weitere Arbeiterkämpfe, einige von ihnen mit Strassenkundgebungen. Die Einführung der "Relève" ("Ablösung" - Zwangsarbeit in Deutschland), zog sogar Streiks mit Besetzungen nach sich, bevor sie die PCF und die Trotzkisten in nationale Bahnen lenken konnten. Dennoch muss man festhalten, dass diese Streiks und Kundgebungen auf die ökonomische Ebene, gegen die Rationierung der Lebensmittel, begrenzt waren. Der Monat Januar war in Borinage, Belgien, von einer Reihe von Streiks und Protestbewegungen in den Kohlegruben gekennzeichnet. Im Juni brach in der staatlichen Fabrik Herstal ein Streik aus und Hausfrauen versammelten sich zu Kundgebungen vor dem Rathaus von Lüttich. Angesichts der Ankündigung der obligatorischen Deportation von Tausenden von Arbeitern im Winter 1942 begannen in Lüttich nochmals 10. 000 Arbeiter zu streiken. Diesem Streik schlossen sich weitere 20.000 Arbeiter an. Zur gleichen Zeit gab es in einer grossen Flugzeugfabrik einen Streik von italienischen Arbeitern. Anfangs 1943 streikten in Essen ausländische Arbeiter.

Das Proletariat konnte seine Kämpfe nicht wie in Russland 1917 zu einem frontalen Kampf gegen den Krieg ausdehnen. So blieben die Forderungskämpfe, die sich nicht verallgemeinerten, einzig ein Protest gegen die Arbeitgeber und die als Streikbrecher fungierenden Gewerkschaften. Dies erlaubte eine effektivere Fortführung des Krieges durch die Regierungen, weil die Bourgeoisie Lohnzugeständnisse machte (in den USA und in Grossbritannien beispielsweise). Hier ist die Gefahr der nationalistischen Ideologie der Befreiung anzusiedeln. Schon vor der Einführung der obligatorischen Arbeit in Frankreich (die gesegnetes Brot für die Union Nationale im Jahr 1942/43 darstellte) verfügte die Bourgeoisie Grossbritanniens mit der Kommunistischen Partei über eine fanatische Anhängerin der obligatorischen Arbeitszeit. Die KP wurde nach dem Angriff Deutschlands auf Russland Mitte 1941 hysterisch. Von da an war es in Uebereinstimmung mit den Trotzkisten in den Gewerkschaften nicht mehr angesagt zu streiken, sondern die Produktion mit dem Ziel zu entwickeln, die Kriegsanstrengungen zu Gunsten der russischen imperialistischen Bastion zu unterstützen.. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn5" name="_ednref5">[v]

Wie man anhand der sich ausbreitenden Streiks in England erkennen kann, wirkte die Weiterführung des Krieges trotz der enormen Schwäche des Proletariates gegen die Bourgeoisie. Bei Kriegsausbruch hatte es einen drastischen Rückgang von Streiks gegeben, doch ab 1941 bis zum Jahre 1944 brachen dann wieder in zunehmendem Masse Kämpfe aus, eine Entwicklung die erst nach dem "Sieg" erneut stark zurückging.

In ihren Feststellungen über die damalige Zeit während des Krieges anerkannte die Kommunistische Linke Frankreichs die Wichtigkeit dieser Streiks und unterstützte sie auch nach ihren Möglichkeiten. Sie war jedoch dadurch "nicht geblendet, da die Bedeutung und Reichweite dieser Kämpfe immer noch sehr begrenzt war.". Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn6" name="_ednref6">[vi] Angesichts all dieser aufgrund der herrschenden militärischen Zensur relativ verstreuten und isolierten Arbeiterkämpfe, unternahm die internationale Bourgeoisie, sowohl die deutsche als auch die alliierte Seite, alles, um ihre Radikalisierung zu vermeiden. Oft geschah dies durch unbedeutende ökonomische Zugeständnisse, aber immer auch mittels der Gewerkschaften, welche, trotz unterschiedlicher Formen, ein Instrument des bürgerlichen Staates waren und es weiterhin blieben. Die sozialen Verhältnisse konnten in einer Kriegszeit, während der die Inflation ständig anstieg, nicht lange friedlich bleiben.

Der Ernst der damaligen Situation lässt uns verstehen, weshalb die revolutionären Minderheiten dazu neigten, mehr an die Möglichkeit einer Revolution zu glauben, als dies aufgrund des realen Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen tatsächlich möglich gewesen wäre. Ganz Europa "lebte von Kohlrüben" und nur Arbeiter, die fähig waren, fünfzehn bis zwanzig Überstunden wöchentlich zu arbeiten, konnten sich Lebensmittel kaufen, deren Preise sich in drei Jahren alle vervielfacht hatten. In dieser von Entbehrung und Hass - ein Hass angesichts all der Machtlosigkeit gegenüber den Internierungen und Deportationen - geprägten Zeit führte der Kampf von nahezu zwei Millionen italienischen Arbeitern, der im März 1943 ausbrach und mehrere Monate dauerte, der internationalen Bourgeoisie mehr noch als die in verschiedenen Ländern ausgebrochenen Streiks vor Augen, dass es nun Zeit war, die Lüge der "Befreiung" vorzubereiten: Die "Befreiung" sei der einzig mögliche Ausweg aus dem Krieg. Wir dürfen die Möglichkeiten dieser damaligen Kampfbewegung in der Arbeiterklasse nicht überschätzen. Doch müssen wir klar sehen, dass angesichts der autonomen, sich auf ihrem Klassenterrain befindenden Aktion der Arbeiterklasse in Italien, die italienische Bourgeoisie sofort Massnahmen ergriff und die gesamte Weltbourgeoisie, die damit ihre Wachsamkeit aus der Vorkriegsperiode nur bestätigte, sie darin kräftig unterstützte.   

Ende März traten in Turin 50 000 Arbeiter in den Streik und forderten, ohne sich darum zu scheren, wie Mussolini darüber dachte, eine Entschädigung für die ertragenen Bombardierungen sowie die Erhöhung  der Lebensmittelrationen. Der schnelle Erfolg dieses Kampfes ermunterte in ganz Norditalien zu einer Klassenaktion gegen die Nachtarbeit, welche durch die Beleuchtung der Arbeitsplätze eine grosse Gefahr von Bombardierungen beinhaltete. Diese Bewegung triumphierte im Handumdrehen. Die gemachten Zugeständnisse vermochten die Arbeiterklasse nicht zum Schweigen zu bringen, und es brach, begleitet von Antikriegs-Demonstrationen, eine ganze Reihe neuer Streiks aus. Die italienische Bourgeoisie bekam Angst und änderte ihren Kurs abrupt innerhalb von 24 Stunden, doch die alliierte Bourgeoisie war auf der Hut und besetzte im Herbst 1943 Süditalien. Es wurde nun versucht, dieses Wiedererwachen des Proletariates mittels der "nationalen Einheit" auf einer royalistisch-demokratischen Grundlage zu ersticken. Victor-Emmanuel kroch, verbündet mit alten faschistischen Halunken wie Grandi und Ciano, die nun zum Antifaschismus übergewechselt waren, wieder aus seinem Versteck hervor, um Mussolini zu verhaften. Trotzdem gingen die Massendemonstrationen weiter, begannen sich auf Turin, Mailand und Bologna auszubreiten, und unter Eisenbahnarbeitern brachen umfangreiche Streiks aus. Die provisorische Badoglio-Regierung flüchtete wegen des Ausmasses dieser Bewegung nach Sizilien mit der Absicht, Mussolini, der von Hitler wieder befreit worden war, zusammen mit den Nazis und in stillschweigendem Einverständnis Churchills, die Arbeiter niederschlagen zu lassen. Schonungslos warf das deutsche Militär nun Bomben auf die Arbeiterstädte. Churchill, der offen gesagt hatte, dass man "die Italiener in ihrem eigenen Saft schmoren lassen solle", erklärte, er werde nur mit einer ordentlichen Regierung Verhandlungen führen. Die Arbeiterklasse trat hier klar als Befreier auf (natürlich nur solange sie auf ihrem eigenen Terrain forwärtsschreiten konnte), und um dies zu stoppen und die Fäden wieder in die eigenen Hände zu bekommen, wechselten die angelsächsischen Alliierten nun ihre Taktik. Nachdem die schreckliche Repression gegen die Arbeiter vollendet war und die bürgerlichen Partisanenbanden an Einfluss gewannen, rückten die Alliierten weiter von Süden her vor, um den Norden zu "befreien" und die Regierung Badoglios an die Macht zu bringen.. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn7" name="_ednref7">[vii] Der Bourgeoisie gelang es, die geschlagenen italienischen Arbeiter bis zum Kriegsende mit der Ideologie der nationalen Einheit aufs bürgerliche Terrain zu ziehen, wobei die stalinistischen Milizen und die Mafia die Sache fest im Griff hatten, wie sie das in Frankreich schon mittels des Kampfes gegen den Arbeitszwang geschafft hatte.

Diese beeindruckende Bewegung, welche im März 1943 begonnen hatte, war weder ein Unfall noch eine Rarität inmitten des globalen Holocausts. Wie wir bereits festgestellt haben, gab es während des Jahres 1943 eine ganze Welle der schüchternen Wiederaufnahme von Arbeiterkämpfen auf internationaler Ebene, über die es offensichtlich aber sehr wenige Informationen gibt. Nur um einige Beispiele zu nennen: Ein Streik in den Coqueril-Werken von Lüttich; 3.500 Arbeiter im Kampf in den Flugzeugwerken von Clyde und Streiks unter Minenarbeitern in der Nähe von Doncaster in England (Mai 43); ein Streik von ausländischen Arbeitern in einem Messerschmitt Betrieb in Deutschland; Streik bei AEG, einer wichtigen Fabrik in der Nähe Berlins, wo holländische Arbeiter, im Kampf gegen das schlechte Essen in den Kantinen, belgische, französische und selbst deutsche Arbeiter mit in den Kampf ziehen konnten; Streiks und Demonstrationen von Hausfrauen in Athen; 2.000 Arbeiter traten im Dezember 1943 in Schottland in den Streik......usw.   

Der Massenstreik blieb auf Italien beschränkt und wurde von der Partisanen-Widerstandsbewegung ihres Klassencharakters beraubt. Dass diese Bewegung in einem Massaker endete, ist auch auf die Situation der Arbeiterklasse inmitten eines Krieges zurückzuführen: Das Proletariat liess sich vom Nationalismus einlullen und durch die Kriegsschlächtereien stark dezimieren. Es ist in solchen Situationen eine bewährte Taktik der Bourgeoisie, nach Aktionen der Arbeiter Terrorwellen auszulösen. Sie hatte den Krieg noch nicht beendet und wollte sich mindestens bis dahin die Hände freihalten, im speziellen auch auf Schauplätzen ausserhalb Europas.

In Osteuropa, wo ebenfalls die Gefahr von Erhebungen der Arbeiterklasse drohte, auch wenn diese keine revolutionäre Perspektive hatten, wandte die Bourgeoisie die vorbeugende Politik der "verbrannten Erde" an.    

Während des Sommers 1944 wurden die Arbeiter Warschaus von der polnischen Sozialdemokratie, welche ihren Hauptsitz in London hatte, kontrolliert. Sie beteiligten sich am Aufstand, der von der Résistance angezettelt worden war, als sie erfuhren, dass die Rote Armee in die Aussenbezirke der Stadt auf der anderen Seite der Weichsel eingedrungen war. Mit stillschweigender Zustimmung der Alliierten und wegen der absichtlichen Passivität der Stalinisten konnte nun der deutsche Staat seine Rolle als Polizist und Schlächter vollenden, brachte dabei zehntausende von Arbeitern um und legte die Stadt in Schutt und Asche. Acht Tage später glich Warschau einem Friedhof. Desgleichen in Budapest, wo die Rote Armee solche Massaker auch zuliess und nach ihrem Einzug in die Stadt nur noch eine Totengräberrolle hatte.

Die "Befreier"- Bourgeoisie der westlichen Mächte wollte ihrerseits in den Verliererländern kein Risiko sozialer Explosionen gegen den Krieg eingehen. Um dies zu verhindern, griff sie zu grauenhaften Bombardierungen deutscher Städte. Bombenabwürfe, die praktisch keine militärische Logik enthielten, sondern vor allem die Arbeiterviertel auszulöschen versuchten (Im Februar 1945 gab es in Dresden nahezu 150.000 Tote, fast doppelt soviel wie in Hiroshima). Das Ziel war es, soviele Arbeiter wie möglich auszurotten und die Überlebenden dermassen zu terrorisieren, dass sie auf keinen Fall wieder revolutionäre Kämpfe führen konnten wie zwischen 1918 und 1923. Gleichfalls gab sich die "demokratische" Bourgeoisie die Mittel, um systematisch die Gebiete zu besetzen und zu kontrollieren, aus denen sich die Nazis zurückgezogen hatten. Es kam für sie auch überhaupt nicht in Frage, das besiegte Deutschland selbst eine Nachfolgeregierung nach den Nazis aufstellen zu lassen, und so wurden denn auch alle Verhandlungs- und Waffenstillstandsangebote von deutschen Gegnern Hitlers rundweg abgelehnt. Im besiegten Deutschland der Bildung einer neuen Regierung einfach tatenlos zuzusehen, hätte Figuren wie Churchill, Roosevelt und Stalin nicht mehr ruhig schlafen lassen, da dies natürlich eine grosse Gefahr in sich barg. Gleich wie 1918 wäre ein besiegter deutscher Staat gegenüber einer gegen Massenmorde und die ganze Misere revoltierenden Arbeiterklasse sowie auch gegenüber den Soldaten der aufgelösten Armee sehr schwach gewesen. Die alliierten Armeen übernahmen deshalb auf unbestimmte Zeit selbst die Kontrolle über ganz Deutschland (blieben dort schliesslich, wenn auch aus anderen Gründen, bis 1994) und bereiteten so den Boden für eine der grössten Lügen dieses Jahrhunderts: Die "Kollektivschuld" der deutschen Bevölkerung.   

3. Hin zur "Befreiung"  

Während der letzten Kriegsmonate brach in Deutschland eine Reihe von Meutereien, Desertionen und Streiks aus, doch in dieser ganzen Hölle von Bombardierungen erübrigte sich eine demokratische Strohpuppe wie Badoglio in Italien. Die deutsche Arbeiterklasse wurde terrorisiert und von den alliierten Armeen und dem ins Land eindringenden russischen Militär in die  Zange genommen. Entlang der Rückzugsrouten der geschlagenen deutschen Armeen waren Deserteure aufgehängt worden, um die Soldaten abzuschrecken. Es bestand tatsächlich auch die Gefahr einer sehr instabilen Lage, hätte die Bourgeoisie nicht sofort damit begonnen, sich auf die Zeit nach dem Krieg vorzubereiten. Ihre brutale Repression hatte Erfolg, und der soziale Friede wurde durch die Besetzung und Aufteilung Deutschlands gewährleistet. Auch wenn es durchaus richtig war, sich über die Reaktionen des deutschen Proletariates zu freuen, überschätzten unsere Genossen zu dieser Zeit den Widerstand, mit dem die Bourgeoisie damals konfrontiert war:

"Wenn die Soldaten sich weigern, weiter zu kämpfen, und an verschiedenen Orten fast Bürgerkrieg führen, wenn die Matrosen ihre Waffen gegen den Krieg erheben, wenn Hausfrauen, der "Volkssturm" und die Gefangenen die unsichere Situation in Deutschland noch verstärken, dann zerfällt auch der beste Militär- und Polizeiapparat, und die Revolte wird eine reelle Perspektive. Von Rundstedt greift nun die Politik Eberts aus dem Jahre 1918 wieder auf und versucht mittels eines Friedens, den Bürgerkrieg zu verhindern. Die Alliierten ihrerseits haben die revolutionäre Drohung der 1943 in Italien ausgebrochenen Ereignisse erkannt. Der jetzige Friede bedeutet, einer über ganz Europa hereinbrechenden Krise gegenüberzustehen, ohne die Waffen, um diese Widersprüche zu überdecken, in der Hand zu haben. Widersprüche, welche durch den Klassenkampf gelöst werden. Die Anforderungen des Krieges, die braune Pest und die Kasernen können nicht länger als ein Vorwand dienen, um die krankhaft aufgeblasene Industrie aufrecht zu erhalten oder um die Arbeiterklasse im gegenwärtigen Zustand der Sklaverei und Hungersnot zu halten. Was die Bourgeoisie fürchtet, das ist die künftige Rückkehr der deutschen Soldaten in ihre zerstörten Städte und die damit unvermeidliche Wiederholung der Revolution von 1918. Die Verrückten sind bereit für heroische Aufgaben: Das Zerstören, Töten, Aushungern, Vernichten der deutschen Arbeiterklasse. Wir haben die braune Pest längst überwunden, doch sind wir noch weiter weg von den Friedensversprechungen der Kapitalisten. Die Demokratie hat bewiesen, dass sie fähiger ist, die bürgerlichen Interessen zu verteidigen als der Faschismus.". Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn8" name="_ednref8">[viii]             

In den besiegten Ländern wie Deutschland war das amerikanische und russische Militär dauernd präsent, um ja nie irgendwo in den eroberten Städten ein "Niemandsland" entstehen zu lassen und um sofort jegliche Regung proletarischen Widerstands ersticken zu können. In den Siegerländern dagegen breitete sich ein unglaublicher Chauvinismus aus, der noch viel schlimmer war als zur Zeit des Ersten Weltkrieges. Wie die kleine Minderheit von Revolutionären vermutet hatte, fürchtete sich die demokratische Bourgeoisie nun angesichts der vielen Freudensbekundungen, ihre Helme wegschmeissender demoblisierter deutscher Soldaten, wie man es in alten Filmen sehen kann, und beschloss, sie in Frankreich und England zu internieren. Teile der aufgelösten deutschen Armee wurden in der Fremde zurückbehalten. 400. 000 kriegsgefangene Soldaten wurden nach England gebracht und dort für einige Jahre über das Kriegsende hinaus interniert, um zu verhindern, dass sie eine Revolution anstiften könnten, wie dies einst ihre Väter taten, als sie in ihr Land und das ganze Elend der Nachkriegsjahre zurückkehrten.. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn9" name="_ednref9">[ix]

Die Mehrheit der revolutionären Gruppierungen nahm diese Ereignisse enthusiastisch auf, noch mit dem Bild der siegreichen Revolution in Russland vor Augen, bei welcher der Widerstand des Proletariates gegen den Krieg eine zündende Rolle gespielt hatte. Doch die Geschichte wiederholt sich selten auf dieselbe Weise. Es existierten nicht mehr die gleichen Bedingungen wie 1917, da die Bourgeoisie ihre Lehren aus den damaligen Ereignissen gezogen hatte.

Doch auch die klarsten Teile der revolutionären Minderheiten brauchten nach der herausragenden Bewegung innerhalb der italienischen Arbeiterklasse 1943 fast zwei Jahre, um diese Niederlage des Proletariates auf internationaler Ebene, mit dem Ziel zu bilanzieren, die drastischen Bedingungen des Weltkrieges erneut für eine Orientierung hin zur Revolution auszunutzen. Die Bourgeoisie jedoch behielt weiterhin die Initiative und profitierte in dieser Situation von der Abwesenheit revolutionärer Parteien.     

    

"Bereichert durch die Erfahrung des Ersten Weltkrieges und wesentlich besser auf die drohende Möglichkeit einer revolutionären Erhebung vorbereitet, reagierte der internationale Kapitalismus einheitlich und mit einer ausserordentlichen Geschicklichkeit und Vorsicht gegenüber einem seiner Avantgarde beraubten Proletariat. Ab 1943 wandelte sich der Krieg in einen Bürgerkrieg. Wenn wir dies feststellen, dann heisst das nicht, dass die innerimperialistischen Gegensätze verschwunden wären oder während der Fortführung des Krieges auf die Seite gelegt werden könnten. Diese Gegensätze bleiben weiter bestehen und werden sich nur verschärfen können. Dies jedoch in einem geringeren Masse als bisher, und sie werden, verglichen mit der Gefahr, welche die drohende revolutionäre Explosion für die kapitalistische Welt darstellt, einen zweitrangigen Charakter erhalten. Die revolutionäre Drohung wird das Zentrum der Sorge und Unruhe in den zwei kapitalistischen Blöcken sein, und es ist genau diese Furcht, welche die Richtung, die Strategie und praktische Ausführung der militärischen Operationen bestimmen wird.(...) Im ersten imperialistischen Weltkrieg behielt das Proletariat, einmal auf den Kurs hin zur Revolution eingetreten, die Initiative in seinen Händen, und zwang die Bourgeoisie, den Krieg zu beenden. Im Gegensatz dazu behielt der Kapitalismus in diesem Krieg seit dem ersten revolutionären Signal 1943 in Italien die Initiative und führte einen unerbittlichen Bürgerkrieg gegen das Proletariat, verhinderte mit Gewalt jede Sammlung der proletarischen Kraft und beendete den Krieg nicht, auch wenn Deutschland nach dem Abtreten der Hitler-Regierung wiederholt um einen Waffenstillstand bat. Stattdessen versicherten sie sich mit einer monströsen Schlächterei und einem vorbeugenden, schonungslosen Massaker gegen jegliche nach Revolution riechende Regung im deutschen Proletariat.(...) Die Revolten der Arbeiter und Soldaten, welche in einigen Städten die Faschisten in die Knie zwangen, drängten die Alliierten dazu, ihren Vormarsch zu beschleunigen und diesen Ausrottungskrieg schneller als vorgesehen zu beenden.". Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn10" name="_ednref10">[x]       

Die Praxis der revolutionären Minderheiten

Wir haben gesehen, dass der Krieg nur ausbrechen konnte, weil der Degenerierungsprozess der 3. Internationale und der Übertritt der Kommunistischen Parteien ins bürgerliche Lager abgeschlossen war. Die revolutionären Minderheiten, die den Aufstieg des Stalinismus und des Faschismus vom Klassenstandpunkt aus bekämpft hatten, waren alle besiegt worden, ausgeschlossen in den demokratischen Ländern, eliminiert und deportiert in Russland und Deutschland. Von der weltweiten Einheit, die die Internationalen in jeder Epoche dargestellt hatten, blieben nur noch Bruchstücke, Fraktionen, verstreute Minderheiten, die oft keine Verbindung untereinander hatten. Die Bewegung der Linksopposition um Trotzki, die eine Strömung des Kampfes gegen die Degenerierung der Revolution in Russland dargestellt hatte, verstrickte sich mehr und mehr in opportunistische Positionen zur Volksfront (Möglichkeit eines Bündnisses mit den Parteien der bürgerlichen Linken) und in deren Fortsetzung, dem Antifaschismus. Als Trotzki am Anfang des zweiten Welt-Holocausts starb, wie Jaurès ermordet (weil er in den Augen der Weltbourgeoisie die proletarische Gefahr repräsentierte, noch mehr als der grosse Tribun der 2. Internationale), unterschieden sich seine Anhänger kaum von den Sozialchauvinisten zu Beginn des Jahrhunderts, denn sie nahmen Partei für ein imperialistisches Lager: dasjenige Russlands und dasjenige der Résistance.

Die meisten Minderheiten, die ohnehin nur dünne Strohhalme in der allgemeinen Ratlosigkeit des Proletariats waren, lösten sich im Krieg auf. Nur die Italienische Fraktion um die Zeitschrift Bilan hatte schon seit den 30er Jahren angekündigt, dass die Arbeiterbewegung in eine Periode der Niederlagen eingetreten war, die zum Krieg führen musste. . Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn11" name="_ednref11">11

Dass die Genossen in den Untergrund abtauchen mussten, zog zunächst eine Verzettelung und einen Verlust der wertvollen, jahrelang aufgebauten Kontakte nach sich. In Italien existierte keine organisierte Gruppe mehr. In Frankreich gruppierten sich erst 1942, mitten im imperialistischen Krieg, wieder Militante zusammen, die in der nach Frankreich geflüchteten Italienischen Fraktion gekämpft und gegenüber dem Opportunismus der trotzkistischen Organisationen politische Klassenpositionen abgesteckt hatten. Sie nannten sich Französischer Kern der Kommunistischen Linken. Diese mutigen Militanten gaben eine Prinzipienerklärung heraus, die die "Verteidigung der UdSSR" klar ablehnte:

"Der sowjetische Staat, ein Werkzeug der internationalen Bourgeoisie, übt eine konterrevolutionäre Funktion aus. Die Verteidigung der UdSSR im Namen dessen, was von den Errungenschaften des Oktobers übrig bleibe, muss abgelehnt und ersetzt werden durch den kompromisslosen Kampf gegen die stalinistischen Agenten der herrschenden Klasse (...). Die Demokratie und der Faschismus sind zwei Aspekte der Diktatur der Bourgeoisie, die den wirtschaftlichen und politischen Bedürfnissen der herrschenden Klasse in den gegebenen Zeiten entsprechen. Folglich darf die Arbeiterklasse, die ihre eigene Diktatur errichten muss, nachdem sie den kapitalistischen Staat zerschlagen hat, nicht für die eine oder andere dieser Formen Partei ergreifen."

Kontakte wurden wieder geknüpft zu Elementen der revolutionären Strömung in Belgien, Holland und mit österreichischen Revolutionären, die nach Frankreich geflüchtet waren. Unter den sehr gefährlichen Bedingungen der illegalen Arbeit wurden von Marseille aus sehr wichtige Debatten geführt über die Ursachen des neuen Misserfolgs der Arbeiterbewegung, über die neue Absteckung der Klassengrenzen. Diese revolutionäre Minderheit setzte die Intervention gegen den kapitalistischen Krieg, für die Befreiung des Proletariats fort. Ihr Kampf war die Weiterführung desjenigen der 3. Internationale in ihren Anfängen. Andere Gruppen, die ebenfalls die Verteidigung der UdSSR und jede Art von Chauvinismus ablehnten, kamen mehr oder weniger klar aus dem trotzkistischen Schoss: die spanische Gruppe von Munis, die österreichischen Revolutionären Kommunisten Deutschlands und holländische rätistische Gruppen. Ihre Flugblätter gegen den Krieg, die sie heimlich verteilten, auf die Sitzbänke in den Zügen legten, wurden durch die Bourgeoisie der "Résistance", von den Stalinisten bis zu den Demokraten, als "hitler-trotzkistisch" verunglimpft. Diejenigen, die sie verteilten, riskierten, auf der Stelle erschossen zu werden.

In Italien gruppierten sich die verstreuten Elemente der kommunistischen Linken nach der starken Kampfbewegung von 1943 neu um Onorato Damen und schliesslich um die mythische Figur von Amadeo Bordiga, einer Persönlichkeit der Linken sowohl in der 2. als auch der 3. Internationale. Sie gründeten im Juli 1943 die Internationalistische Kommunistische Partei; sie glaubten wie die meisten Revolutionäre an einen bevorstehenden Aufstand der Arbeiterklasse, mussten aber die bürgerliche "Befreiung" erleben und zeigten trotz ihres Mutes grosse Schwierigkeiten, gegenüber den Arbeitern, die sich von den Sirenengesängen der Bourgeoisie verlocken liessen, klare Positionen zu verteidigen.. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn12" name="_ednref12">12 Sie erwiesen sich als unfähig, der Umgruppierung der Revoutionäre auf Weltebene den Vorrang zu geben, und mussten nach dem Krieg feststellen, dass sie eine verschwindend kleine Minderheit geblieben waren. Insbesondere lehnten sie jede ernsthafte Arbeit zusammen mit dem französischen Kern ab, der sich von nun an Kommunistische Linke Frankreichs (Gauche Communiste de France) nannte.. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn13" name="_ednref13">13

Trotz ihrer mutigen Haltung konnten die revolutionären Gruppen, die Klassenpositionen vertraten und während des 2. Weltkrieges internationalistisch blieben, den Lauf der Dinge nicht beeinflussen angesichts der schrecklichen Niederlage, die das Proletariat erlitten hatte, und der Fähigkeit der Bourgeoisie, ihm systematisch zuvorzukommen und die Entwicklung jeder wirklich bedrohlichen Klassenbewegung zu verhindern. Aber ihr Beitrag zum historischen Kampf des Proletariats erschöpfte sich nicht darin. Er bestand vor allem in einer Reflexion, die es erlaubte, die Lehren aus den schwerwiegenden Ereignissen der Epoche zu ziehen, eine Reflexion, die es bis heute fortzusetzen gilt.

Welche Lehren für die Revolutionäre

Wenn wir die marxistische Tradition respektieren, die diese Gruppen aufrechterhielten, müssen wir fähig sein, ihre kritische Methode weiterzuführen, ihre Fehler selber genau unter die Lupe zu nehmen. Nur so bleiben wir ihrem Kampf treu. Während die Kommunistische Linke Frankreichs es verstand, ihre fehlerhafte Einschätzung über die Möglichkeit einer Umkehr des Kurses von der Niederlage zum Weltkrieg zu korrigieren, ohne allerdings alle Konsequenzen aus dem Umstand zu ziehen, dass der Weltkrieg nicht mehr günstige Voraussetzungen für die Revolution schafft, hielten die anderen Gruppen, v.a. diejenigen in Italien, an der schematischen Sichtweise des "revolutionären Defätismus" fest.

Als die italienischen Revolutionäre auf voluntaristische und abenteuerliche Weise um Bordiga und Damen, die Persönlichkeiten der Komintern, eine Partei gründeten, gaben sie sich nicht wahrhaftig die Mittel, um die "Prinzipien zu restaurieren", geschweige denn die wirklichen Lehren aus der erlebten Geschichte zu ziehen. Diese Internationalistische Kommunistische Partei erlitt nicht nur Schiffbruch - indem sie rasch auf die Dimension einer Sekte zusammenschmolz -, sondern verwarf die Methode der marxistischen Analyse zugunsten eines unfruchtbaren Dogmatismus, der nur die Schemata der Vergangenheit, insbesondere in der Frage des Krieges, wiederholte. Die IKP beharrte auf der "Befreiung" und glaubte an den Beginn einer revolutionären Welle, in dem sie Lenin parodierte: "Die Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg beginnt nach dem Ende des Krieges".. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn14" name="_ednref14">14 Sie griff die Analyse von Lenin wieder auf, wonach jedes Proletariat "die Niederlage seiner eigenen Bourgeoisie" als Sprungbrett zur Revolution herbeiwünschen müsse. Diese Position war schon zu Lenins Zeiten falsch, da sie zum Schluss führt, dass die Arbeiter der Siegernationen über dieses Sprungbrett nicht verfügen. Diese Theorie wieder aufzugreifen, die den Erfolg der Revolution vom Misserfolg der eigenen Bourgeoisie abhängen lässt, bedeutet, von einem abstrakten Automatismus auszugehen. Schon in der ersten revolutionären Welle führte der Krieg, nachdem er zuerst ein wichtiger Keim bei der Mobilisierung des Proletariats gewesen war, zu einer Spaltung desselben in die Arbeiter der besiegten Länder einerseits, die am kämpferischsten und klarsten waren, und diejenigen der siegreichen Länder andererseits, bei denen es der Bourgeoisie gelang, ihren Kampf und ihre Bewusstseinsreifung unter der Euphorie des "Sieges" zu ersticken. Darüber hinaus zeigte die Erfahrung von 1917/18, dass die Bourgeoisie gegenüber einer revolutionären Bewegung, die sich aus dem Weltkrieg entwickelt, immer einen Trumpf in der Hand hat. Sie liess es sich denn auch nicht nehmen, diese Karte im November 1918 zu spielen, als die Revolution in Deutschland ausbrach: den Krieg zu beenden, d.h. die Haupttriebkraft für die Aktion und die Bewusstseinsreifung des Proletariats zu beseitigen.

Unsere Genossen der Kommunistischen Linken täuschten sich, als sie ausgehend vom Beispiel der russischen Revolution die für das Proletariat lähmenden Folgen des imperialistischen Weltkrieges unterschätzten. Der Zweite Weltkrieg lieferte die Grundlage für eine bessere Analyse dieser entscheidenden Frage. Heute die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen, bedeutet, den wirklichen Prozess hin zu Zusammenstössen der Klassen zu behindern, und zwar insofern, als die Betreffenden sich als unfähig erweisen, die marxistische Methode zu bereichern, da es ihnen unmöglich ist, die notwendige Führung des Proletariats zu übernehmen, wie es leider diejenigen beweisen, die vorgeben, die einzigen Nachfolger der Italienischen Kommunistischen Linken zu sein.. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn15" name="_ednref15">15

Die Frage des Krieges war immer eine der wichtigsten in der Arbeiterbewegung. Gleich wie die Ausbeutung und die Angriffe im Gefolge der wirtschaftlichen Krise bleibt der imperialistische Krieg ein gewichtiger Faktor bei der Bewusstwerdung über die Notwendigkeit der Revolution. Es ist offensichtlich, dass die andauernden Kriege in der dekadenten Phase des Kapitalismus ein ausgezeichneter Ansatzpunkt für die Reflexion sein müssen. Heute, nachdem der Zusammenbruch des Ostblocks, des Teufels, die Möglichkeit eines Weltkrieges für einen Augenblick beiseite geschoben hat, darf diese Reflexion nicht aufhören. Die Kriege, die wir an den Grenzen Europas beobachten, sind da, um das Proletariat daran zu erinnern, dass "diejenigen, die den Krieg vergessen, ihn eines Tages erfahren werden".. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_edn16" name="_ednref16">16 Dem Proletariat obliegt die grosse Verantwortung dafür, sich gegen diese sich im Zerfall befindliche Gesellschaft zu erheben. Die Perspektive einer anderen Gesellschaft unter der Kontrolle des Proletariats hängt notwendigerweise von der Reifung des Bewusstseins ab: Es muss auf seinem gesellschaftlichen Terrain kämpfen und dort seine Macht entfalten. Der zunehmende Kampf des Proletariats steht im Gegensatz zum Staat und deshalb auch im Gegensatz zu den militärischen Zielen der Bourgeoisie.

Trotz den Lobgesängen über die 1989 eingerichtete neue Weltordnung, darf sich die Arbeiterklasse keinen Illusionen darüber hingeben, dasdie nächsten Kriege lange auf sich warten lassen. Diesen Untergang würde uns die Bourgeoisie unvermeidlich bereiten; sei es als Folge eines dritten Weltkrieges im Fall, dass sich ein neues System von imperialistischen Blöcken bildet, sei es als ein Prozess des Verfaulens der Gesellschaft, begleitet von Hungersnöten, Epidemien und einer Vervielfachung der kriegerischen Konflikte, in denen die heute auf die ganze Welt verbreiteten Atomwaffen wieder eingesetzt würden.

Die Alternative lautet also nach wie vor: kommunistische Revolution oder Zerstörung der Menschheit. Vereint und entschlossen kann das Proletariat die Minderheit, die die Fäden zieht, entwaffnen und selbst die Atombomben entschärfen. So müssen wir unnachgiebig das bürgerliche, pazifistische Argument bekämpfen, wonach eine so moderne Technik von nun an jede proletarische Revolution verunmögliche. Die Technik wird durch die Menschen gemacht, sie gehorcht einer bestimmten Politik. Die Führung der imperialistischen Politik bleibt eng gebunden an die Unterwerfung der Arbeiterklasse, was uns die Entwicklung des zweiten Weltkrieges gezeigt hat. Nun nach dem historischen Wiedererwachen des Proletariats Ende der 60er Jahre steht alles gleichzeitig auf dem Spiel, auch wenn das Proletariat daraus noch nicht alle Lehren gezogen hat. Da, wo der Krieg nicht wütet, vertieft sich die wirtschaftliche Krise immer mehr, verzehnfacht das Elend und offenbart den Bankrott des Kapitalismus.

Die revolutionären Minderheiten müssen deshalb die früheren Erfahrungen genau untersuchen. Es war "Mitternacht des Jahrhunderts" im Herzen des grössten Verbrechens, das die Menschheit je gesehen hatte, aber es wäre noch verbrecherischer, daran zu glauben, dass die Menschheit die Gefahr der totalen Zerstörung gebannt hätte. Die gegenwärtigen Kriege zu denunzieren, genügt nicht, die revolutionären Minderheiten müssen fähig sein, die Machenschaften der imperialistischen Politik der Weltbourgeoisie zu analysieren, nicht um vorzugeben, es mit einem Militarismus aufzunehmen, der die Welt heute in unzähligen Kriegen verwüstet, sondern um dem Proletariat zu zeigen, dass der Kampf vielmehr im Hinterland als an der Front geführt wird.

Den allgegenwärtigen imperialistischen Krieg bekämpfen, sich gegen die Angriffe der bürgerlichen Wirtschaftskrise wehren, bedeutet, eine Reihe von Kämpfen und Erfahrungen zu entwickeln, die zur Phase des revolutionären Bürgerkriegs führen werden, dorthin, wo sich die Bourgeoisie im Frieden wähnt. Eine lange Periode von Klassenkämpfen ist noch notwendig, nichts wird einfach sein.

Das Proletariat hat keine Wahl. Der Kapitalismus führt die Menschheit unweigerlich in den Untergang, wenn sich das Proletariat erneut als unfähig erweist, ihn zu zerstören.

Damien



. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref1" name="_edn1">[i] Bericht der Konferenz der Gauche Communiste de France im Juli 1945 über die internationale Situation, in: Revue Internationale, Nr. 59.

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref2" name="_edn2">[ii]Grégoire Madjarian, Conflits, pouvoirs et société à la Libération, weiter ist auch die Arbeit von Stéphane Courtois, Le PCF dans la guerre, interessant.

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref3" name="_edn3">[iii] Erinnerungen von Auguste Lecoeur, ehemalige rechte Hand des französischen Stalinistenchefs Thorez, nach dem Krieg ausgeschlossen und dadurch freier in der Beschreibung der Kämpfe als zur Zeit, da er mit den anderen über die Notwendigkeit des nationalen Kampfes log.

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref4" name="_edn4">[iv] Die Bewegung war verfrüht und isoliert ausgebrochen, sie konnte keine derartige Resonanz wie die massiven Kämpfe der italienischen Arbeiter 1943 finden. Man muss dennoch den Unterschied zwischen der ängstlichen Besetzung durch die deutschen Soldaten (die Offiziere wagten niemals, in die Minen hinabzusteigen) und der durch die PCF ausgeübten Diktatur über die Minenarbeiter bei der Befreiung erkennen. Eine Fernsehsendung des dritten französischen Kanals im Monat August 94 zeigte verblüffende Enthüllungen einiger Minenarbeiter, die die Produktionsschlacht überlebt hatten. Valets von der gaullistischen Regierung und die stalinistischen Minister forderten eine beträchtliche Anstrengung, sodass es ein richtiges Blutbad wurde ... und dies in der Nachkriegszeit. Tausende ihrer Kumpel waren an Staublunge gestorben. Dies war auf die zunehmende Mechanisierung und Ausbeutung zurückzuführen. Die Arbeiter wurden also weder Opfer der Deutschen noch des Kampfes gegen die Deutschen, sondern der Anordnungen für den nationalen Wiederaufbau des stalinistischen Ministers Thorez. Dieser zögerte nicht zu sagen: "Wenn die Minenarbeiter an der Arbeit sterben, so ersetzen sie ihre Frauen." Es war also nicht nur im totalitären Russland so, dass die Lebenserwartung von sehr kurzer Dauer war.

 . Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref5" name="_edn5">[v]Mark Shipway, Anti-Parliamentary Communism: The Movement for Workers' Councils 1917-45.

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref6" name="_edn6">[vi] "Rapport sur la situation internationale", Juli 1945,(in R.I. Nr.59)

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref7" name="_edn7">[vii] In der "Revue International" Nr.75 (engl./franz./span.) sind wir genauer auf diese Ereignisse 1943 in Italien eingegangen.

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref8" name="_edn8">[viii] "La Paix" in "L'Etincelle" Nr.5, Mai 1945, Organ der Gauche Communiste de France. 

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref9" name="_edn9">[ix] "La rééducation des prisonniers allemands en Angleterre, de 1945 à 1948", Henry Faulk, Chatto & Windus, London 1977.

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref10" name="_edn10">[x] Auszüge aus dem "Rapport sur la situation internationale", Gauche Communiste de France, Juli 1945, wiederveröffentlicht in der "Revue Internationale", Nr.59, 1989.

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref11" name="_edn11">11 Es ist hier nicht der Ort, um im Detail auf die Debatten in der Italienischen Fraktion oder die Meinungsverschiedenheiten zwischen den verschiedenen Gruppen einzugehen, aber die Geschichte der Kommunistischen Linken Italiens steht unseren Lesern zur Verfügung

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref12" name="_edn12">12 Vgl. die Artikel in der engl./frz./span. Ausgabe der Internationale Revue: "Les ambiguïtés de Battaglia Comunista sur la question des 'partisans'", Revue internationale Nr. 8, Dez. 1976, "Le PCI à ses origines: tel qu'il prétend être, tel qu'il est", Revue Internationale Nr. 32, 1. Quartal 1983 und "A propos des origines du PCI", Revue internationale Nr. 34, 3. Quartal 1983.

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref13" name="_edn13">13 Zur Geschichte dieser Gruppen vgl. Die Italienische Kommunistische Linke und die Revue internationale (engl./frz./span.) Nr. 34, 35, 38, 39, 64, 65, 66.

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref14" name="_edn14">14 Zitiert in Internationalisme Nr. 36, 1948, reprint in der Revue Internationale Nr. 36, 1. Quartal 1984.

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref15" name="_edn15">15 Zur Zeit des Golfkrieges haben wir gezeigt, welch schlechten Gebrauch vom "revolutionären Defätismus" die Strömungen machen können, die sich auf die Italienische Linke beziehen und aufrufen zur "Verbrüderung zwischen irakischen und westlichen Soldaten" (vgl. unseren Artikel "Le milieu politique prolétarien face à la guerre du Golfe" in der engl./franz./span. Revue internationale Nr. 64, 1. Quartal 1991). In einer Region und unter Bedingungen, wo das das Proletariat äusserst schwach ist, kommt es anarchistischem Voluntarismus gleich, solche Parolen in den Luft zu lassen, die bestenfalls individuelle Desertionen im Wert steigern können. Diese Genossen sollten sich fragen, warum die Bourgeoisie in der Lage ist, lokale Kriege zu führen, ohne durch das Proletariat gestört zu werden, und warum sie umgekehrt nicht in der Lage ist, einen Krieg im Herzen der Metropole zu beginnen. Im schlimmeren Fall dienen diese Parolen, die gerne von allen Sekten der bürgerlichen Linken aufgegriffen werden, als Feigenblatt für die Unterstützung des Imperialismus der kleinen Länder, die durch die grossen unterdrückt werden. So titelte der Prolétaire in seiner Nr. 427 scheinheilig: "Impérialisme français hors d'Afrique et du Rwanda!" ("Französischer Imperialismus raus aus Afrika und Ruanda!") und meinte dies als Parole. Dass der französische Imperialismus ein Schlächter ist in seinem Widerstand gegen die Fusstritte, mit denen ihm der amerikanische Imperialismus in den Rücken fällt, und dass er dabei die schwerste Verantwortung für das Massaker an den 500.000 Menschenleben in Ruanda trägt, das anzuprangern sind wir die ersten. Aber wir hätten Hemmungen die Parole aufzugreifen, die sich der amerikanische Imperialismus zu eigen gemacht hat! Eine solche Parole hat für die IKP sicher einen sehr "defätistischen" Unterton - und dann? Der französische Imperialismus ist in der Tat in Ruanda "défait" (hier angeschlagen), aber hat das das Klassenbewusstsein der Arbeiter in Frankreich auch nur einen Schritt vorangebracht?

. Weltkrieg, Krieg, Jahrestag#_ednref16" name="_edn16">16 Albert Camus

Historische Ereignisse: 

  • Zweiter Weltkrieg [4]

Russische Revolution -Die Isolierung ist der Tod der Revolution

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In der "INTERNATIONALEN REVUE" Nr.14 und 15 veröffentlichten wir die ersten zwei Artikel dieser Serie. Wir zeigten darin auf, dass die proletarische Revolution 1917 das Resultat der bewussten und massiven Aktion der Arbeiter war. Ebenso war sie das Ergebnis ihres Kampfes gegen die Organisationen der Bourgeoisie (Menschewiki, Sozialrevolutionäre), welche das Proletariat zu sabotieren versuchten und die Arbeiter im 1.Weltkrieg für die Verteidigung der imperialistischen Interessen Russlands einspannen wollten. Wir haben auch aufgezeigt, wie die Bolschewiki in diesem gewaltigen Entwicklungsprozess des Klassenbewusstseins und der Kampfkraft klar eine Vorreiterrolle spielten. Sie waren der Kristallisationspunkt dieser immensen revolutionären Energie, die den bürgerlichen Staat im Aufstand vom 24. und 25. Oktober 1917 zerstörte. Der Stalinismus war nicht die Fortsetzung dieses reissenden Stromes befreiender Energie, sondern das Gegenteil: die brutale Erwürgung allen Lebens im Proletariat; die Konterrevolution (1).

Angesichts der Degenerierung, welche durch den Stalinismus verkörpert wird, glauben viele Arbeiter den von der herrschenden Klasse verbreiteten Lügen, die behaupten, dass die Russische Revolution ‘von innen her verfaulte’ und die Bolschewiki die russischen Arbeiter missbraucht hätten, um an die Macht zu gelangen (2). Eine solche Darstellung der Oktoberrevolution, wie sie die Bourgeoisie verbreitet, widerspiegelt lediglich ihre eigene Vorstellung der Politik: Lügen und Massenmanipulation. Wie auch immer, der Kurs zur Oktoberrevolution wurde von geschichtlichen Gesetzmässigkeiten gesteuert und nicht durch die machiavellistische Politik der Bourgeoisie. "Die Russische Revolution hat hier nur die Grundlehre jeder grossen Revolution bestätigt, deren Lebensgesetz lautet: Entweder muss sie sehr rasch und entschlossen vorwärtsstürmen, mit eiserner Hand alle Hindernisse niederwerfen und ihre Ziele immer weiter stecken, oder sie wird sehr bald hinter ihren schwächlichen Ausgangspunkt zurückgeworfen und von der Konterrevolution erdrückt." (Rosa Luxemburg, "Zur Russischen Revolution", Ges. Werke, Bd.4, Seite 339).

Die gewaltige Fülle an Erfahrungen, die in der Zeit von Februar bis Oktober 1917 gemacht wurden, zeigt den Arbeitern, dass die Zerstörung des bürgerlichen Staatsapparates möglich ist. Doch die tragische Degenerierung der Russischen Revolution führt uns eine andere, genau so wichtige Lehre vor Augen: Die proletarische Revolution kann nur dann siegreich sein, wenn sie sich über den ganzen Planeten ausbreitet.

Die russische Revolution hat mit ihrer ganzen Kraft für die Ausbreitung auf andere Länder gekämpft

"Die Revolution Russlands war in ihren Schicksalen völlig von den internationalen Ereignissen abhängig. Dass die Bolschewiki ihre Politik gänzlich auf die Weltrevolution des Proletariats stellten, ist gerade das glänzendste Zeugnis ihres politischen Weitblicks und ihrer grundsätzlichen Treue, des kühnen Wurfs ihrer Politik." (Rosa Luxemburg, "Zur Russischen Revolution", Ges. Werke, Bd.4, Seite 334).  

Tatsächlich waren die Bolschewiki die Vorhut der ganzen revolutionären Arbeiterbewegung, als sie 1914 bei Ausbruch des 1.Weltkrieges, der ein klares Zeichen für den Beginn der dekadenten Periode des Kapitalismus war, erklärten, dass die einzige Alternative gegenüber dem Weltkrieg nur die Weltrevolution sei. Mit dieser standhaft internationalistischen Orientierung sahen Lenin und die Bolschewiki in der Russischen Revolution nichts anderes als "den ersten Schritt der proletarischen Revolution, die unvermeidliche Konsequenz aus dem Krieg". Für das russische Proletariat hing der Ausgang der Revolution in erster Linie von den Erhebungen der Arbeiter anderer Länder, allen voran in den europäischen Staaten, ab.

Doch die Russische Revolution überliess ihr Schicksal nicht passiv der Entwicklung im Proletariat der übrigen Staaten. Sie unternahm trotz allen Schwierigkeiten, mit der sie in Russland konfrontiert war, permanent den Versuch, die Revolution auszuweiten. Der aus der Revolution hervorgegangene Staat wurde denn auch als ein erster Schritt hin zur internationalen Sowjet-Republik gesehen, welche sich nicht durch die künstlichen Grenzen der kapitalistischen Nationen, sondern die Klassengrenzen definiert. So wurde zum Beispiel gegenüber Kriegsgefangenen systematische Propaganda betrieben, mit der Absicht, diese zur Unterstützung der internationalen Revolution aufzufordern. Kriegsgefangenen gab man die Möglichkeit, Sowjetbürger zu werden (3). Ein Resultat dieser Propaganda war die "Sozialdemokratische Organisation russischer Kriegsgefangener". Sie rief die Arbeiter Deutschlands, Österreichs, der Türkei und anderer Länder dazu auf, sich zu erheben, und so dem Krieg ein Ende zu setzen, und die Revolution auszubreiten.

Deutschland war der Dreh- und Angelpunkt für die Ausbreitung der Revolution und deshalb wurde gerade zur Unterstützung des deutschen Proletariates die ganze Energie der Revolution eingesetzt. Als im April 1918 eine Russische Botschaft in Berlin eingerichtet war, wurde sie sofort in ein ‘Hauptquartier’ der Deutschen Revolution umgewandelt. Der russische Botschafter Joffe kaufte von deutschen Beamten geheime Informationen und gab sie deutschen Revolutionären weiter, in der Absicht, die imperialistische Politik der deutschen Regierung zu entlarven. Joffe kaufte auch Waffen für die revolutionären Arbeiter in Deutschland und liess tonnenweise Propagandaschriften in der Botschaft drucken. Regelmässig nachts trafen sich dort auch heimlich deutsche Revolutionäre, um die Voraussetzungen der Revolution zu diskutieren und den Aufstand vorzubereiten.

Es war diese Klarheit über die absolute Vordringlichkeit der Weltrevolution, die das russische Proletariat trotz des Hungers, den es erleiden musste, dazu brachte, den Arbeitern in Deutschland drei vollbeladene Züge mit Weizen als Unterstützung zu schicken.

Es ist lehrreich zu hören, wie die Stimmung in Russland während der ersten Periode der Deutschen Revolution war. Sie gipfelte in einer beeindruckenden Demonstration der Arbeiter vor dem Kreml: "Zehntausende von Arbeitern fielen in einen wilden Begeisterungssturm. Noch nie zuvor hatte ich so etwas gesehen. Bis spät in den Abend hinein zogen Arbeiter und Soldaten der Roten Armee vorbei. Die Weltrevolution war endlich da. Die Massen spürten ihren eisernen Schritt. Unsere Isolation ist gebrochen! (Radek, zitiert in E.H. Carr:"The Bolshevik Revolution", Bd.3, Seite 104). Ein anderer Beitrag zur Unterstützung der Weltrevolution war der leider etwas verspätete 1.Kongress der Kommunistischen Internationalen, der im März 1919 in Moskau stattfand. Die Internationale verstand, dass "es unsere Aufgabe ist, die revolutionären Erfahrungen der Arbeiterklasse zu verbreiten, so die Kräfte aller wirklich revolutionären Parteien zu stärken, und damit die Arbeiterklasse vom hemmenden Einfluss des Opportunismus und Sozialpatriotismus zu säubern. Damit werden wir den Sieg der kommunistischen Revolution erleichtern und vorantreiben." ("Manifest der Komintern an die Arbeiter der ganzen Welt").

Nachdem jedoch das Proletariat in Berlin, Wien, Budapest und München massakriert worden war, begann die Kommunistische Internationale (K.I.) gegenüber dem Parlamentarismus, dem gewerkschaftlichen Kampf  und den "nationalen Befreiungskämpfen" Konzessionen zu machen, welche in den sog. "21 Aufnahmebedingungen" festgehalten wurden. Gleichfalls wurde nun die Position der Ausbreitung der Revolution mittels des "Revolutionären Krieges" aufgestellt, eine Position, welche die Bolschewiki zur Zeit des Vertrages von Brest-Litowsk 1918 klar verworfen hatten. (4) Ein weiterer Schritt, der die Degenerierung der K.I. anzeigte, war die Propagierung der unheiligen "Einheitsfront"-Parole im Dezember 1920. Sie basierte auf der Überzeugung, dass die Bedingungen für die Revolution in Europa nicht mehr gegeben seien.

Die fatalistische Logik geht ähnlich wie die bürgerliche Philosophie davon aus, dass ‘eine Sache nur so sein kann wie die Wurzeln, von denen sie herrührt’. So wird uns die Kommunistische Internationale, gleich wie alle anderen grossen Errungenschaften der Arbeiterklasse, als ein von Beginn an von den "machiavellistischen" Bolschewiki geplantes Manöver dargestellt, als ein Werkzeug zur Verteidigung des russischen kapitalistischen Staates. Doch dies ist wie gesagt nur die Logik der Bourgeoisie. Für das Proletariat ist im Gegensatz dazu die Degeneration der Russischen Revolution und der Kommunistischen Internationalen ein Resultat der Niederlage der Arbeiterklasse nach langem Kampf gegen die grausame Reaktion des Weltkapitals. Wenn diese Degeneration nur eine "Frage der Zeit" gewesen wäre, wie uns das die Bourgeoisie heute einzureden versucht, weshalb schloss sich dann das Weltkapital zusammen mit dem Ziel, die Russische Revolution niederzuwerfen?

Die Belagerung der russischen Revolution durch den Kapitalismus

Zwischen 1917 und 1923, also bis zur vollständigen Niederlage der weltrevolutionären Welle, vereinigte sich das Kapital in einem internationalen Feldzug unter der Parole "Nieder mit dem Bolschewismus!". Der deutsche Imperialismus, die zaristischen Generale und die westlichen Demokratien der Entente, die sich nur einige Monate vorher noch in der ersten grossen imperialistischen Schlächterei gegenübergestanden hatten, beteiligten sich alle am Kreuzzug gegen die Russische Revolution. Dies ist die klare Bestätigung einer wichtigen Lehre für die Arbeiterbewegung: Wenn die Arbeiterklasse den Kapitalismus in seiner Existenz bedroht, ist die Ausbeuterklasse fähig, ihre Streitigkeiten beiseite zu legen, um die Revolution zu unterdrücken.

Der deutsche Imperialismus

Das erste Hindernis, auf welches die Russische Revolution stiess und welches ihre Ausbreitung verhinderte, war die Belagerung durch die Armeen des deutschen Kaisers. Wenn einerseits die Revolution in Russland und die gesamte damalige revolutionäre Welle eine Antwort des Proletariates auf den 1. Weltkrieg war, so schuf andererseits der Krieg, wie es Rosa Luxemburg treffend ausdrückte, "die schwierigsten und abnormalsten Bedingungen" für eine Ausbreitung der Revolution.

Ein schneller Friedensschluss, eine Beendigung des Krieges, war eine absolute Notwendigkeit und hatte demnach auch absoluten Vorrang in der Revolution. Am 19. November 1917 begannen die Friedensgespräche von Brest-Litowsk. Sie wurden jede Nacht über das Radio ausgestrahlt, nicht nur für die Arbeiterklasse in Deutschland, sondern auch für die Kriegsgefangenen und die Arbeiter in anderen Ländern. Dies bedeutete jedoch keinesfalls, dass die Bolschewiki in Brest-Litowsk Vertrauen in irgendwelche "friedlichen" Absichten des deutschen Imperialismus hatten: "Wir verheimlichen vor niemandem, dass wir den heutigen kapitalistischen Regierungen keinen demokratischen Frieden zutrauen. Einzig und allein der revolutionäre Kampf der arbeitenden Massen gegen ihre Regierungen kann Europa in die Nähe eines solchen Friedens bringen. Doch ein wirklicher Frieden kann nur durch eine siegreiche proletarische Revolution in allen kapitalistischen Ländern erreicht werden (Trotzki, zitiert in E.H.Carr, Bd.3, Seite 41).

Zu Beginn des Jahres 1918 traf die Nachricht von Streiks und Meutereien in Deutschland, Österreich und Ungarn (5) ein, welche die Bolschewiki dazu ermunterten, die Friedensverhandlungen in die Länge zu ziehen. Doch die Niederschlagung dieser Aufstände brachte Lenin -  wieder einmal in der Minderheitsposition innerhalb der Bolschewiki - dazu, die unbedingte Notwendigkeit einer schnellstmöglichen Unterzeichnung dieser Friedensverträge zu verteidigen. Die Ausbreitung der Revolution, für die die Bolschewiki unerschrocken kämpften, darf nicht mit der Losung des "Revolutionären Krieges", welche von den "Linkskommunisten" aufgestellt wurde, verwechselt werden (6). Diese Ausbreitung hing alleine von der Reifung und dem Erfolg der Revolution in Deutschland ab: "Es ist vollkommen statthaft, dass unter solchen Vorzeichen die Möglichkeit der Niederlage und der Verlust der Sowjetmacht nicht nur als "passend", sondern als absolut notwendig zu akzeptieren wären. Dennoch ist es klar, dass diese Vorzeichen nicht existieren. Die Deutsche Revolution reift heran, sie ist aber noch nicht deutlich ausgebrochen. Es ist offensichtlich, dass wir diesen Reifungsprozess nicht unterstützen, sondern blockieren würden, wenn wir den Verlust der Sowjetmacht einfach hinnehmen würden. Dies würde nur der Reaktion in Deutschland in die Hände spielen, der sozialistischen Bewegung Deutschlands Schwierigkeiten aufbürden, und wir würden damit die sozialistische Bewegung in den proletarischen und halbproletarischen Massen aufspalten. Eine Bewegung, die den Sozialismus bis jetzt noch nicht durchgesetzt hat, und die durch die Niederlage Sowjetrusslands eingeschüchtert würde, so wie damals die Niederlage der Pariser Kommune 1871 die englischen Arbeiter entmutigt hat. (Lenin)

 Lenin beschrieb damit das Dilemma, in dem sich eine proletarische Bastion befindet, in der die Arbeiterklasse die Macht übernommen hat, aber solange isoliert bleibt, bis die Revolution sich durch siegreiche Aufstände in anderen Ländern ausbreitet. Was tun? Aufgeben oder verhandeln? Kapitulieren angesichts der feindlichen militärischen Übermacht, um so die proletarische Bastion aufrechterhalten und damit die Weltrevolution zu unterstützen?

Rosa Luxemburg, die mit den Verhandlungen von Brest-Litowsk nicht einverstanden war, zeigte mit erstaunlicher Klarheit auf, dass alleine der Kampf des deutschen Proletariates diesen Widerspruch im Sinne der Revolution hätte lösen können: "Die ganze Rechnung des russischen Friedenskampfes beruhte nämlich auf der stillschweigenden Voraussetzung, dass die Revolution in Russland das Signal zur revolutionären Erhebung des Proletariats im Westen: in Frankreich, England und Italien, vor allem aber in Deutschland, werden sollte. In diesem Falle allein, dann aber unzweifelhaft, wäre die Russische Revolution der Anfang zum allgemeinen Frieden geworden. Dies blieb bis jetzt aus. Die Russische Revolution ist, abgesehen von einigen tapferen Anstrengungen des italienischen Proletariats (Generalstreik am 22.August in Turin), von den Proletariern aller Länder im Stich gelassen worden. Die Klassenpolitik des Proletariats, von Hause aus und in ihrem Kernwesen international, wie sie ist, kann aber nur international verwirklicht werden (Rosa Luxemburg, "Die geschichtliche Verantwortung", Ges.Werke, Bd.4, Seite 377).

Überraschenderweise verstärkte das Oberkommando der deutschen Streitkräfte am 18. Februar 1918 die militärische Offensive. (Lenin bezeichnete dies als:"Schnelle, unberechenbare Bocksprünge dieses wilden Ungeheuers“). Innerhalb weniger Wochen standen die deutschen Armeen vor den Toren Petrograds, und die russische Regierung musste nun wohl oder übel einen Frieden zu schlechteren Bedingungen akzeptieren. Deutschland besetzte die ehemaligen baltischen Provinzen, den grössten Teil Weissrusslands (Region um Minsk), die gesamte Ukraine und den nördlichen Kaukasus. Später kam noch die Eroberung der Krim und des Trans-Kaukasus dazu (ausgenommen Baku und Turkestan), was ein klarer Bruch der Verträge von Brest-Litowsk war.  

Wie die Italienische Kommunistische Linke (7) vertreten wir nicht die Auffassung, dass der Gewaltfrieden von Brest-Litowsk einen Rückschritt für die Revolution bedeutete, sondern dass er durch diesen Widerspruch zwischen Verteidigung der proletarischen Bastion und Ausbreitung der Revolution aufgezwungen wurde. Die Lösung dieses Problems lag weder am Verhandlungstisch noch an der militärischen Front, sondern in der Antwort des Weltproletariates. Im April 1922, als die Bourgeoisie die weltrevolutionäre Welle schon fast gänzlich niedergeschlagen hatte und die russische Regierung die Aussenpolitik der kapitalistischen Staaten durch den Vertrag von Rapallo akzeptierte, hatte ihre Politik nichts mehr Gemeinsames mit dem Frieden von Brest-Litowsk oder der revolutionären Politik des Proletariates. Weder der Form nach, Rapallo 1922 war ein Geheimvertrag, noch im Inhalt, da dieser Vertrag militärische Hilfeleistungen Russlands an die deutsche Regierung beinhaltete. Als die Kommunistische Internationale, schon voll im Degenerationsprozess begriffen, im Oktober 1923 das deutsche Proletariat zu verzweifelten Aktionen aufrief, wurden die Arbeiter in Deutschland mit Waffen massakriert, welche die russische Regierung an Deutschland verkauft hatte.

Die Zermürbungsstrategie der westlichen ‘Demokratien’

Die verbündeten Staaten der Entente, die ‘fortschrittlichen’ westlichen ‘Demokratien’, liessen sich in ihrer Absicht, die Russische Revolution zu ersticken, kein Mittel entgehen. England und Frankreich installierten in der Ukraine, Finnland, den baltischen Staaten und in Bessarabien Regimes, welche die konterrevolutionären Weissen Truppen unterstützten. Doch damit nicht genug; sie entschlossen sich, direkt in Russland einzufallen. Japanische Truppen gingen am 3.April in Wladiwostok an Land und kurz darauf schlossen sich ihnen auch französische, britische und amerikanische Truppenverbände an. "Vom Beginn der Novemberrevolution an haben die Ententemächte sich auf die Seite der gegenrevolutionären Parteien und Regierungen Russlands gestellt. Mit Hilfe der bürgerlichen Gegenrevolutionäre haben sie Sibirien, den Ural, die Küsten des europäischen Russlands, den Kaukasus und einen Teil von Turkestan annektiert. Aus den annektierten Gebieten entwenden sie Rohstoffe (Holz, Naphtha, Manganerze u.a.). Mit Hilfe der besoldeten tschechoslowakischen Banden haben sie den Goldvorrat des russischen Reiches geraubt. Unter Leitung des englischen Diplomaten Lockhart bereiteten englische und französische Spione die Sprengung der Brücken, Zerstörung der Eisenbahnen vor und versuchten, die Versorgung mit Lebensmitteln zu verhindern. Die Entente unterstützte die reaktionären Generäle Denikin, Koltschak und Krasnow, die in Rostow, Jusowka, Noworossijsk, Omsk usw. Tausende von Arbeitern und Bauern gehängt und erschossen haben, mit Geld, Waffen und militärischer Hilfe." ( "Thesen über die internationale Lage und die Politik der Entente", 1. Kongress der K.I., 6.März 1919).

Seit Beginn des Jahres 1919, also genau zur Zeit des Ausbruchs der Revolution in Deutschland, war Russland total isoliert und mit der grössten je von den westlichen ‘Demokratien’ gestarteten Truppenoffensive konfrontiert. Dazu kamen noch die Weissen Armeen. Die Bolschewiki unternahmen gegenüber den feindlichen Truppen, die von den Kapitalisten zur Niederschlagung der Revolution gesandt worden waren, Aufrufe zum proletarischen Internationalismus, revolutionäre Propaganda: "Ihr werdet nicht gegen eure Feinde kämpfen, sondern gegen Arbeiter wie ihr selbst. Wir fragen euch: Wollt ihr uns niedermetzeln? Seid euren Klassengenossen treu und verweigert dieses schmutzige Handwerk für eure Herren." (Aus einem Flugblatt an britische und amerikanische Truppen in Archangelsk, in: E.H.Carr "The Bolshevik Revolution").

Erneut hatten die Aufrufe der Bolschewiki (in Zeitschriften wie "The Call" auf englisch oder "La Laterne" auf französisch) einen Einfluss auf die zur Niederschlagung der Revolution eingesetzten Truppen. "Am 1.März 1919 brach unter französischen Truppen eine Meuterei aus. Einige Tage zuvor hatte eine britische Infanterieabteilung ihre Verlegung an die Front verweigert, und kurz darauf verweigerte auch eine amerikanische Kompanie eine Zeitlang ihre Rückkehr an die Frontlinien.“ (E.H.Carr). Im April 1919 mussten französische Truppen und die Flotte abgezogen werden, weil die Hinrichtung von Jeanne Labourbe, einer militanten Kommunistin, die Propagandamaterial verbreitet hatte, das zur Verbrüderung zwischen französischen und russischen Truppen aufrief, grosse Entrüstung unter den Soldaten hervorrief. Ebenso mussten britische und italienische Truppen zurückgezogen werden, weil in England und Italien Arbeiter gegen die Entsendung von Truppen und gegen Waffenlieferungen an die konterrevolutionären Armeen demonstrierten. Aufgrund dieser Ereignisse sahen sich die westlichen ‘Demokratien’ gezwungen, ihre Taktik zu ändern und setzten von nun an vor allem die Truppen der auf den Ruinen des alten russischen Imperiums gebildeten Nationen als Schutzwall gegen die Ausbreitung der Revolution ein. Im April 1919 besetzten polnische Truppen Teile von Weissrussland und Litauen. Im April 1920 besetzten sie Kiew in der Ukraine, und schlussendlich kontrollierte ab Mai/Juni 1920 die polnische Regierung, unterstützt vom weissen General Denikin, fast die gesamte Ukraine. Enver Pascha, der Führer der jungen türkischen ‘antifeudalen’ Revolution wurde der Anführer einer Revolte gegen die Sowjets im Oktober 1921 in Turkestan.

Die reaktionären Kräfte in Russland

Unmittelbar nach dem Aufstand im Oktober 1917 und der Machtübernahme durch die Sowjets in ganz Russland begannen die Reste der Bourgeoisie, der Armee und der reaktionären Offizierskaste, alle ihre Kräfte hinter der Flagge der provisorischen Regierung zusammenzurotten (merkwürdigerweise genau dieselbe Flagge, unter der Jelzin in den Kreml einzog). So entstand die erste Weisse Armee unter dem Kommando Kaledins, dem Führer der Donkosaken. Das immense Chaos und die Armut, in der das isolierte Russland versank, die Selbstauflösung der letzten Überreste der zaristischen Armee, die nur dürftige Bewaffnung der revolutionären Sowjets, die Sabotage durch den deutschen Imperialismus und die westlichen Demokratien, unterstützt von den Weissen Armeen, all dies führte gradlinig in Richtung Bürgerkrieg. Bis Mitte des Jahres 1918 war das Gebiet, in welchem die Sowjets die Kontrolle behalten konnten, auf das ehemalige feudale Fürstentum Moskau reduziert worden, und die Revolution war darüber hinaus noch mit der Revolte der "Tschechischen Legion" und der antibolschewistischen Regierung in Samara (8), welche die Verbindungslinien zu Sibirien abschnitt, konfrontiert. Dazu kamen noch die Kosaken Krasnows (ein in den ersten Tagen der Revolution in Pulkow besiegter General, der später von den Bolschewiki freigelassen worden war), Denikins Armeen im Süden, Kaledin im Dongebiet, Koltschak im Osten und Yudenitsch im Norden. Alles in allem blutige Orgien des Terrors, der Massaker, Ermordungen und Greueltaten, die von den ‘Demokratien’ bejubelt wurden und durch die ‘Sozialisten’, welche in Deutschland, Österreich und Ungarn Arbeiteraufstände niederschlugen, Rückendeckung fanden.

Die bürgerliche Geschichtsschreibung stellt die Grausamkeiten dieses Bürgerkrieges als "etwas in allen Kriegen Vorhandenes", als eine Folge der "menschlichen Bestialität" dar. Doch der grausame Bürgerkrieg, der drei Jahre wütete, und der zusammen mit den Epidemien und Hungersnöten, welche durch die Wirtschaftsblockaden hervorgerufen wurden, mehr als sieben Millionen Tote forderte, war der Bevölkerung Russlands durch den Weltkapitalismus aufgezwungen worden.

Den Offensiven der westlichen imperialistischen Staaten und der Weissen Truppen fügten sich Sabotageakte und konterrevolutionäre Verschwörungen der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums an. Im Juli 1918 zettelte Savinkow (9) mit der Unterstützung des französischen Botschafters Noulens in Yaroslaw eine Meuterei an, die zwei Wochen lang eine wahre Rache und Terrorwelle gegen alles, was nach Proletariat oder revolutionärem Bolschewismus roch, auslöste.

Gleichfalls im Juli, nur einige Tage nach der Landung französischer und britischer Truppen in Murmansk, versuchten die linken Sozialrevolutionäre einen Staatsstreich zu organisieren. Der deutsche Botschafter Mirbach wurde ermordet, mit der Absicht einen militärischen Zusammenstoss mit Deutschland zu provozieren. Lenin bezeichnete dies "als einen weiteren hinterhältigen Schlag der Kleinbourgeoisie", denn das Letzte, was die Revolution in dieser Situation noch brauchte, war ein erneuter offener Krieg mit Deutschland!

Die Revolution kämpfte buchstäblich ums Überleben. Sich zu behaupten hing vollends vom Erfolg der Revolution in Europa ab und forderte nicht nur auf ökonomischer Ebene wie schon beschrieben, sondern auch politisch endlose Opfer. In diesem Artikel wollen wir nicht auf Fragen wie den Repressionsapparat oder die reguläre Rote Armee (10) eingehen, Fragen, auf welche die Russische Revolution fast endlose Lehren erteilt hat. Dennoch ist es wichtig, hier hervorzuheben, dass der Prozess von einer revolutionären Gewalt hin zu offenem Terror, die Unterordnung der Arbeitermilizen unter eine hierarchische Armee, oder die wachsende Autonomie des Staatsapparates gegenüber der Kontrolle durch die Arbeiterräte hauptsächlich das Ergebnis der Isolierung der Revolution waren. Sie waren das Resultat eines zunehmend ungünstigen Kräfteverhältnisses zwischen Bourgeoisie und Proletariat auf internationaler Ebene, welches die Niederlage dieser nur in einem Land ‘siegreichen’ Revolution endgültig besiegelte.

Es gibt absolut keine logische Entwicklung von der im November 1917 gegründeten Tscheka (welche damals nur knapp 120 Mann zählte und nicht einmal Autos besass, um damit Verhaftungen vornehmen zu können) hin zum monströsen politischen Apparat der GPU, welche von Stalin gegen die Bolschewiki eingesetzt wurde. Diese Entwicklung war das direkte Resultat der tiefgreifenden Degeneration der Revolution aufgrund ihrer Niederlage. So gab es auch keine vorhersehbare Kontinuität zwischen den Roten Garden, welche die militärischen Einheitsorgane waren und durch die Arbeiterräte kontrolliert wurden, und der regulären Armee, welche im April 1919 die obligatorische Wehrpflicht, die Kasernendisziplin und militärische Grussregeln wieder einführte. Im August 1920 zählte die Rote Armee schon 315000 "Militärspezialisten", Überreste aus der alten zaristischen Armee. Diese Degenerierung war das Resultat aus dem Kampf zwischen einer proletarischen Bastion, welche unbedingt die Unterstützung der internationalen Revolution brauchte, und der fürchterlichen weltweiten Konterrevolution, die mit jeder Niederlage, die sie dem Proletariat zufügte, ein immer grösseres Übergewicht erhielt.

Die ökonomische Erstickung

Unter dem Druck der Isolierung, der permanenten Blockade durch das Weltkapital, der Sabotage im Lande selbst und unabhängig von allen Illusionen, welche die Bolschewiki über die Möglichkeiten der Einführung einer neuen Logik in der Wirtschaft hatten, war die Realität zwischen 1918 und 1921 genau die, welche Lenin als "belagerte Festung" beschrieb. Russland war eine proletarische Bastion, welche versuchte, unter den schlechtesten Bedingungen und mit der Hoffnung auf die Ausbreitung der Revolution durchzuhalten.

Wir haben schon in verschiedenen Nummern der "Internationalen Revue" (auf engl., franz., span.) versucht aufzuzeigen, dass in Russland nie eine sozialistische Gesellschaft existiert hat, da als erster Schritt dazu die Machtergreifung des Proletariats im weltweiten Rahmen erforderlich ist. Die Wirtschaftspolitik, die innerhalb einer isolierten "revolutionären Bastion" betrieben werden konnte, war deshalb notwendigerweise durch die Herrschaft des Kapitals auf Weltebene diktiert. Die Idee des "Sozialismus in einem Lande" ist von den Revolutionären immer als eine ideologische Maske der stalinistischen Konterrevolution verworfen worden.

Was wir in diesem Artikel herausstreichen wollen, ist einerseits die Tatsache, dass die schreckliche Armut, unter der das revolutionäre Russland litt, nicht ein Ergebnis des Sozialismus war und andererseits die Unmöglichkeit, diese Misere zu beseitigen, solange die Revolution isoliert bleibt. Der Unterschied zwischen diesen beiden Aspekten ist folgender: Die Bourgeoisie versucht mit der Behauptung, die Armut sei ein direktes Ergebnis der Revolution gewesen, zu erreichen, dass die Arbeiter daraus die Lehre ziehen: "Es ist besser auf die Revolution zu verzichten um überleben zu können". Aber auf der anderen Seite ist es für uns dennoch absolut unabdingbar, in jeder Situation, vom Streik in der kleinsten Fabrik bis hin zur Revolution, die ein ganzes Land erfasst, darauf hinzuweisen, dass, "wenn sich die Kämpfe nicht ausbreiten und die Revolution isoliert bleibt, der Kapitalismus nicht überwunden werden kann".

Die Russische Revolution brach als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg aus und war deshalb auch geprägt vom ökonomischen Chaos, den Rationalisierungen und der Unterordnung der Produktion unter die Bedürfnisse des Krieges. Ihre Isolation brachte zusätzlich noch die Last des Bürgerkrieges und der militärischen Interventionen der westlichen ‘Demokratien’ mit sich. Dieselben, welche sich in Versailles unter der Parole "Leben und leben lassen" eine humanitäre Maske aufgesetzt hatten, zögerten keinen Moment lang, vom März 1918 bis Anfang 1919 (einige Monate vor der definitiven Niederlage von Wrangels Weisser Armee) gegen Russland eine einschneidende ökonomische Blockade zu verhängen, welche selbst die Unterbindung der Solidaritätslieferungen von Arbeitern und Arbeiterinnen anderer Länder an ihre Klassenbrüder in Russland beinhaltete. Die Bevölkerung litt stark unter all den Entbehrungen, die sie zu ertragen hatte. Ein Beispiel ist der Mangel an Heiz- und Brennmaterial. Die winterliche Kälte übersäte Russland buchstäblich mit Leichen. Der Zugang zur Kohle aus der Ukraine war bis 1920 abgeschnitten und die Ölquellen in Baku und im Kaukasus waren aufgrund der Belagerung durch das Weltkapital zwischen Sommer 1918 und Ende 1919 in den Händen Englands. Insgesamt standen in den russischen Städten in dieser Zeit lediglich 10% des vor dem Ersten Weltkrieg erhältlichen Brennmaterials zur Verfügung.

Bittere Hungersnöte herrschten in den Städten. Brot und Zucker waren seit Beginn des imperialistischen Krieges rationiert worden. Während des Bürgerkrieges erreichten diese Rationierungen aufgrund der ökonomischen Blockaden und der Sabotage der Bauern, welche einen Teil ihrer Ernte verbargen, um sie später auf dem Schwarzen Markt teuer zu verkaufen, unmenschliche Ausmasse. Als im August 1918 die Warenbestände in den städtischen Läden aufgebraucht waren, wurde die Zuteilung unterschiedlicher Rationen eingeführt:

 - Die Arbeiter und Arbeiterinnen der Schwerindustrie erhielten die grössten Rationen, welche lediglich 1200 bis ca.1900 Kalorien pro Tag ausmachten und somit nur etwa 25% ihres tatsächlichen täglichen Bedarfs enthielten. Diese Rationen wurden während des Bürgerkrieges auf die Familien von Angehörigen der Roten Armee ausgeweitet.

 - Die kleinste Ration, welche nur etwa 1/4 des Nährwertes der Obengenannten enthielt, wurde der übriggebliebenen Bourgeoisie zugeteilt.

 - Die restlichen Arbeiter erhielten die "mittlere Ration" die etwa dreimal mehr Kalorien als die kleine Ration enthielt.

Trotzki beschrieb die Bevölkerung Petrograds, welche im Oktober 1919 die Attacken der Weissen Armee unter General Yudenitsch vor den Toren der Stadt abzuwehren hatte, als eine Armee von Gespenstern: "Die Arbeiter Petrograds waren in einem erbärmlichen Zustand; ihre Gesichter waren grau vor Unterernährung; ihre Kleider waren Lumpen; ihre Schuhe, welche oft gar keine Sohlen mehr hatten, durchlöchert." (Trotzki, "Mein Leben").

Obwohl der Bürgerkrieg im Januar 1921 beendet war, betrug die Schwarzbrotration für Arbeiter in Betrieben mit laufender Produktion nur 800 Gramm und für Teilzeitarbeiter 600 Gramm. Die Ration für Arbeiter mit der "B-Karte" (Arbeitslose) musste bis auf 200 Gramm Schwarzbrot reduziert werden. Hering, der in der Vergangenheit oft geholfen hatte, Nahrungsmittelengpässe zu überwinden, war nicht erhältlich. Kartoffeln waren meist gefroren, wenn sie mit den Zügen, welche in einem katastrophalen Zustand waren, in den Städten eintrafen (es war nur noch ca. 20% des Vorkriegsbestandes an Wagen und Lokomotiven vorhanden). Anfang Sommer 1921 begann in den östlichen Provinzen und der Wolgaregion eine schreckliche Dürre. Während dieser Zeit waren zwischen 22 und 27 Millionen Menschen in Not, litten unter Hunger, Kälte, Typhus, Diphtherie oder Grippe (11), wie der Sowjetkongress festhielt. Zu dieser miserablen Versorgung kam noch die Spekulation hinzu. Um die offiziellen Rationen zu verbessern, war es notwendig, auf dem Schwarzmarkt, der "Sujarewka", einzukaufen (benannt nach dem Sujarewski-Platz in Moskau, wo dieser Schwarzhandel halb legal stattfand). Nur rund die Hälfte des Korns, welches in die Städte geliefert wurde, kam vom Lebensmittelversorgungs-Kommissariat, die andere Hälfte vom Schwarzmarkt, jedoch zum zehnfachen Preis der normalen Lieferungen. Es existierte noch eine andere Form von Schwarzmarkt: Der illegale Transport von Fertigwaren aufs Land, wo sie bei den Bauern gegen Lebensmittel ausgetauscht wurden. Die Revolution brachte bald eine neue Figur, die "Taschenmänner", hervor, welche auf klapprigen Güterzügen Salz, Streichhölzer, manchmal Schuhe oder mit Öl gefüllte Flaschen in die Dörfer brachten, um sie dort gegen einige Kilogramm Kartoffeln oder Mehl zu tauschen. Im September 1918 anerkannte die Regierung den Schwarzmarkt aus taktischen Gründen als offiziell und limitierte ihn auf 1.5 Pfund (ca. 25 Kilogramm) für Weizen. Von da an wurden die "Taschenmänner", welche weiterhin Wuchergeschäfte trieben, "Eineinhalb-Pfund Männer" genannt. Als dann auch Fabriken begannen, mit den von ihnen produzierten Gütern Tauschhandel zu treiben, machte dies die Arbeiter selbst oft zu solchen "Taschenmännern", da sie in den Dörfern Gürtel, Riemen, Werkzeuge usw. Gegen Lebensmittel eintauschten.

Auch die Arbeitsbedingungen hatten sich durch die gewaltige Misere, die Isolation der Revolution und den Bürgerkrieg sehr verschlimmert. Damit wurden sämtliche Forderungen der Arbeiter und die von der Regierung eingeführten Arbeitsschutzmassnahmen zur Wahrung der Interessen der Arbeiter übergangen: "Vier Tage nach der Revolution war ein Dekret erlassen worden, das die Prinzipien des 8-Stunden Tages und der 48-Stunden Woche enthielt. Es wurden darin klare Grenzen über die Arbeit von Frauen und Jugendlichen erlassen sowie die Einstellung von Kindern unter 14 Jahren verboten. Ein Jahr später musste die "Narkomtrud" (das Volkskommissariat der Arbeit) den obligatorischen Charakter dieses Dekrets zurücknehmen. Solche Verbote hatten in dieser Notstandszeit während des Bürgerkrieges, wo Arbeitskräfte überall fehlten, sowieso nur eine geringe Wirkung." (E.H. Carr, Bd.2). Derselbe Lenin, welcher den Taylorismus, die Theoretisierung der Fliessbandarbeit, als "die Versklavung des Menschen unter die Maschine" angeklagt hatte, musste der Notwendigkeit, die Produktion zu steigern, nachgeben. Er unterstützte die Einführung "Kommunistischer Samstage", für welche die Arbeiter kaum Lebensmittel erhielten und unbezahlt waren, da diese Samstage als eine Unterstützung der Revolution angesehen wurden. Im Bewusstsein, dass die Revolution in Europa nahe bevorstand, waren die kämpferischsten und bewusstesten Teile der russischen Arbeiterklasse bereit, die proletarische Bastion mit dieser Perspektive um jeden Preis zu verteidigen. Ihrer Sowjets, Arbeiterversammlungen und ihres Kampfes gegen die kapitalistische Unterjochung beraubt, waren die Arbeiter in Russland nun zunehmend den brutalsten Formen kapitalistischer Ausbeutung ausgeliefert.

Trotzdem, oder eben gerade als Resultat dieser Überausbeutung produzierten die russischen Fabriken weniger. Die Gründe des Produktivitätsrückgangs lagen in einer unterernährten Arbeiterklasse und dem Chaos in der russischen Ökonomie. Noch 1923, drei Jahre nach der Beendigung des Bürgerkrieges, verfügte die russische Industrie lediglich über 30% ihrer Kapazität von 1912. Nur in der Kleinindustrie betrug die Arbeitsproduktivität 57% derjenigen von 1913. Diese Kleinindustrie, welche vor allem 1919 errichtet wurde, war zum grossen Teil ländlich (die Produktion umfasste vor allem Werkzeuge, Seile und Möbel für den lokalen bäuerlichen Markt), und die darin Beschäftigten arbeiteten, was die Arbeitsstunden anging, unter Bedingungen, wie sie in der Landwirtschaft üblich waren. Aufgrund der schrecklichen Lebensbedingungen in den Städten, wie wir sie oben bereits beschrieben haben, wanderte ein grosser Teil der Arbeiter in ländliche Gebiete aus und wurde dort in die Kleinindustrie integriert. Selbst in grossen Fabriken Beschäftigte verliessen die Städte, um auf dem Land von den in kleinen Werkstätten hergestellten Sachen, die an die Bauern verkauft wurden, einige Bissen zu erhalten. 1920 waren insgesamt 2.2 Millionen Arbeiter in der Industrie beschäftigt, von denen lediglich 1.4 Millionen in Betrieben mit mehr als 30 Arbeitern angestellt waren.

Mit der Einführung der NEP (Neue Ökonomische Politik) 1921 wurden staatliche Betriebe im Wettbewerb mit "privaten" russischen Kapitalisten, welche in kürzester Zeit ausländische Investoren hatten, konfrontiert, und aufgrund dessen, so wie in jeder kapitalistischen Wirtschaft, musste der "staatliche Boss" laufend viel billiger produzieren (12). Mit der Demobilisierung der Armee nach dem Bürgerkrieg und der Einführung der NEP entstand eine grosse Arbeitslosigkeit. Bei den Eisenbahnen zum Beispiel wurde mehr als die Hälfte der Angestellten entlassen und die Arbeitslosigkeit stieg ab 1921 schnell an. 1923 gab es in Russland bereits eine Million registrierte Arbeitslose.

Die Bauernfrage

Rund 80% der Bevölkerung Russlands waren Bauern. Der Sowjetkongress hatte während des Aufstandes das "Landdekret" erlassen, welches auf das Bedürfnis von Millionen von Bauern nach einem eigenen Stück Land, mit dem sie sich selbst ernähren konnten, einging. Auf der anderen Seite ordnete es die Abschaffung der Grossgrundbesitzer an, welche nicht nur für die Bauern eine Geissel waren, sondern vor allem auch ein Teil der Konterrevolution. Welche Massnahmen auch immer ergriffen wurden, sie konnten keinen echten Beitrag zur Bildung grosser Arbeitervereinigungen leisten, mit denen die Landarbeiter wenigstens ein Minimum an Kontrolle hätten ausüben können. Ganz im Gegenteil, trotz all den Versuchen wie "Landarbeiterkomitees", Kolchosen (kollektive Höfe), Sowchosen (Höfe in Staatsbesitz, auch "Sozialistische Getreidefabriken" genannt, denn ihre Aufgabe war die Versorgung des Stadtproletariates mit Getreide), was sich ausbreitete, war die Kleinbauernwirtschaft mit lächerlich kleinen Höfen, von denen sich die Bauern kaum ernähren konnten. 1917 waren 58% aller Bauernhöfe kleiner als 5 Hektar, 1920 waren schon 86% des kultivierbaren Landes in solche Kleinbetriebe aufgeteilt, und solche Betriebe konnten den Hunger in den Städten natürlich keinesfalls lindern. Die Zwangsmassnahmen, mit denen die Bolschewiki versuchten, Lebensmittel für das Proletariat und die Soldaten der Roten Armee einzutreiben, führten nicht nur bezüglich der kläglichen Mengen, die eingesammelt werden konnten, zu einem Fiasko, sondern sie trieben eine grosse Zahl von Bauern in die feindlichen Weissen Armeen oder in die bewaffneten Banden, welche, wie zum Beispiel die anarchistische Machno-Bewegung in der Ukraine, oft gegen die Weissen Armeen und die Bolschewiki gleichzeitig Krieg führten.

Ab Sommer 1918 versuchte der russische Staat die mittleren Bauern zu unterstützen, um so bessere Erträge zu erzielen. Im ersten Jahr nach der Revolution hatte das Versorgungs-Kommissariat nur knapp 780 000 Tonnen Korn einsammeln können. Zwischen August 1918 und August 1919 betrug diese Menge schon 2 Millionen Tonnen. Doch die Bauern mit mittelgrossen Betrieben waren nicht zu einer Zusammenarbeit geneigt: "Der Mittelbauer produziert mehr Lebensmittel als er selber braucht und wird durch seine Überschüsse an Korn zum Ausbeuter der hungernden Arbeiter. Hier liegt unsere vordringlichste Aufgabe und der grundlegende Widerspruch. Der Bauer als Geschundener, als Mann, der von seiner mühseligen Arbeit lebt und das Joch des Kapitalismus spürt, ein solcher Bauer steht auf der Seite des Arbeiters. Doch der Bauer als Eigentümer, der seine Überschüsse an Korn besitzt, ist gewöhnt, diese als sein Eigentum anzusehen, welches er frei verkaufen kann. (Lenin, zitiert in E.H.Carr Bd.2).

Auch in dieser Frage konnten die Bolschewiki keine andere Politik verfolgen als die, welche durch das ungünstige Kräfteverhältnis zwischen der proletarischen Revolution und der Herrschaft des Kapitalismus diktiert wurde. Die Lösung dieses Berges von Widersprüchen lag weder in den Händen des russischen Staates, noch lag sie im Verhältnis zwischen Proletariat und Bauernschaft in Russland. Die Lösung lag einzig und alleine in den Händen des internationalen Proletariates: "Auf dem 9.Parteitag im März 1919, auf dem die Politik der Versöhnung mit dem Mittelbauern proklamiert wurde, unterstrich Lenin einen wunden Punkt in der kollektiven Landwirtschaft. Der Mittelbauer würde nur über die kommunistische Gesellschaftsordnung gewonnen werden,"nur wenn wir die ökonomischen Bedingungen, in denen er lebt, verbessern und erleichtern können“. Doch genau dort war der springende Punkt: "Wenn wir ihnen morgen 100 000 erstklassige Traktoren geben könnten, sie mit Mechanikern und Benzin unterstützen könnten, und ihr wisst genau, dass dies im Moment reine Phantasie ist, dann würde der Mittelbauer sagen: "Ich bin für das Kollektiv (also für den Kommunismus)". Aber um dies zu verwirklichen, müssen wir erst die internationale Bourgeoisie besiegen, um sie dann zwingen zu können, uns die Traktoren zu geben. "Den Sozialismus in Russland zu errichten, war ohne kollektive Landwirtschaft unmöglich; die Landwirtschaft zu kollektivieren, war ohne Traktoren unmöglich; Traktoren zu erhalten, war ohne die internationale proletarische Revolution unmöglich." (E.H. Carr, Bd.2, Seite 169). Weder während der Periode des "Kriegskommunismus" noch während der Zeit der NEP konnte die russische Wirtschaft je als sozialistisch bezeichnet werden. Vielmehr war sie geprägt vom erstickenden Druck, der aufgrund der isolierten Situation Russlands auf ihr lastete.

"Wir müssen davon ausgehen, dass, wenn die europäische Arbeiterklasse die Macht vorher ergriffen hätte, wir unser rückständiges Land hätten umwandeln können - ökonomisch sowie kulturell. Wir hätten dies mit technischer und organisatorischer Unterstützung tun können, was uns erlaubt hätte, unseren Kriegskommunismus teilweise oder gänzlich zu korrigieren oder umzugestalten und uns in Richtung einer wirklich sozialistischen Gesellschaft geführt hätte. (Lenin, "Die NEP und die Revolution").     

Die Niederlage der revolutionären Kampfwelle des Weltproletariates führte schlussendlich auch zum Untergang der proletarischen Bastion in Russland, und mit dem Tod der Revolution entstand eine neue Bourgeoisie in Russland:

"Die neue Bourgeoisie entstand durch die Degenerierung der Revolution von innen und nicht aus Überresten der alten herrschenden Klasse des Zarismus, welche 1917 vom Proletariat eliminiert worden war. Diese neue Bourgeoisie bildete sich auf der Grundlage der parasitären Bürokratie des Staatsapparates, der unter Stalin immer mehr mit der bolschewistischen Partei identisch wurde. Die Bürokratie dieses Partei-Staates eliminierte Ende 1920 alle Teile der Gesellschaft, welche fähig gewesen wären, eine neue Privatbourgeoisie hervorzubringen (Spekulanten und Landbesitzer der NEP) und mit denen sie vorher verbündet gewesen war. So gelang es ihr, die Kontrolle über die Wirtschaft zu erhalten. (aus unserer Broschüre "Stalinism and democracy: two faces of capitalist terror").

Die Entmachtung der Arbeiterräte

Die Isolierung der Revolution brachte nicht nur Hunger und Krieg, sondern gleichfalls einen stetigen Verlust der Hauptwaffe, des Herzstücks der Revolution: Die Massenaktion und das Bewusstsein der Arbeiterklasse, welche sich zwischen Februar und Oktober 1917 so enorm ausgebreitet und vertieft hatten. (Siehe dazu unseren Artikel in der "Internationalen Revue" Nr.71, engl., franz., span.). Ende 1918 betrug die Zahl der in Petrograd lebenden Arbeiter nur noch 50% derjenigen von Ende 1916, und bis Herbst 1920, dem Ende des Bürgerkrieges, hatte die Geburtsstätte der Revolution 58% ihrer Bevölkerung verloren. Moskau, die neue Hauptstadt, war zu 45% und die restlichen Provinzhauptstädte zu 33% entvölkert worden. Die Mehrheit dieser Arbeiter war in ländliche Gebiete gezogen, wo die Lebensbedingungen etwas weniger hart waren, und eine beträchtliche Zahl war in die Rote Armee eingetreten oder im Staatsdienst beschäftigt. "Als die Lage an der Front schlecht stand, wandten wir uns an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und an den Vorstand des Zentralrates der Gewerkschaften. Diese beiden Quellen schickten nun erstrangige Arbeiter an die Front, die sich dort eine Rote Armee nach ihrem eigenen Bilde schufen" (Trotzki, zitiert in E.H.Carr, Bd.2, Seite 206).

Immer wenn die Rote Armee, welche hauptsächlich aus Bauern bestand, Niederlagen erlitten hatte, oder wenn sich Desertionen häuften, wurden ganze Brigaden von entschlossensten und bewusstesten Arbeitern rekrutiert, um eine Vorhut bei militärischen Operationen zu spielen oder als "Schutzwall" gegen die Desertionen der Bauernsoldaten zu wirken. Sie mussten aber auch dauernd Sabotageakte unterdrücken und die chaotische Versorgungslage organisieren. Die Bolschewiki bezogen sich in solchen Situationen auf den Ausspruch Lenins: "Was wir hier brauchen, ist proletarische Energie!" Doch diese "proletarische Energie" wurde so aus den Zentren des Landes entfernt, dort wo sie geboren war und sich Arbeiterräte und Sowjets entwickelt hatten. Sie wurde immer mehr in den Dienst des Staates und in die parasitäre Bürokratie integriert, welche das Organ der Konterrevolution werden sollte (13). Die tragische Folge davon war eine zunehmende Schwächung, eine Ausblutung der Sowjets:

"Da es die wichtigste Aufgabe der Regierung war, angesichts des Feindes den Widerstand zu organisieren und wir verpflichtet waren, alle Angriffe zurückzuschlagen, wurde die Kontrolle fast ausschliesslich durch Befehle ausgeübt. So nahm die Diktatur des Proletariats fast natürlich die Form einer proletarisch-militärischen Diktatur an. Somit verschwanden auch die offenen Organe der Sowjetmacht, die Räteversammlungen, fast vollständig und die Kontrolle wurde direkt durch die Exekutivkomitees ausgeübt, die auf drei bis fünf Personen beschränkte Organe waren. Speziell in den Regionen nahe der Front wurden die "offiziellen" Machtorgane, die durch die Arbeiter gewählt worden waren, durch lokale "Revolutionäre Komitees" ersetzt, welche anstatt die Probleme der Diskussion in den Massenversammlungen vorzulegen, sie auf ihre eigene Initiative hin zu lösen versuchten" (Trotzki, "Die Permanente Revolution").

Dieser Verlust einer gemeinsamen Reflexion und Diskussion war nicht nur in den Versammlungen und den lokalen Sowjets, sondern auch in den Fabrikräten zu spüren. Ab 1918 fand der landesweite Sowjetkongress, der eigentlich alle drei Monate vorgesehen war, nur noch einmal pro Jahr statt, und selbst das Zentralkomitee der Sowjets war nicht mehr in der Lage, gemeinsame Diskussionen zu führen oder Entscheidungen zu fällen. Als der Abgeordnete des "Bundes" (Jüdische Kommunistische Partei) auf dem 7. Sowjetkongress im Dezember 1919 fragte, was das Zentrale Exekutivkomitee mache, antwortete Trotzki: "Das ZEKKI ist an der Front".

 Schlussendlich lagen die Entscheidungen und das ganze politische Leben in den Händen der bolschewistischen Partei, wie Kamenjew es auf dem 9. Parteikongress der Bolschewiki ausdrückte: "Wir verwalten Russland, und es ist unmöglich, es anders als durch die Kommunisten zu verwalten" (Hervorhebung durch uns).

Wir sind derselben Meinung wie Rosa Luxemburg, die in ihrem Text "Zur Russischen Revolution" folgende Kritik formulierte: "Dank dem offenen und unmittelbaren Kampf um die Regierungsgewalt........" Hier widerlegt Trotzki sich selbst und seine eigenen Parteifreunde aufs treffendste. Eben weil dies zutrifft, haben sie durch Erdrückung des öffentlichen Lebens die Quelle der politischen Erfahrung und das Steigen der Entwicklung verstopft. Oder aber müsste man annehmen, dass Erfahrung und Entwicklung bis zur Machtergreifung der Bolschewiki nötig war, den höchsten Grad erreicht hatte und von nun an überflüssig wurde. In Wirklichkeit umgekehrt! Gerade die riesigen Aufgaben, an die die Bolschewiki mit Mut und Entschlossenheit herantraten, erforderten die intensivste politische Schulung der Massen und Sammlung der Erfahrung" (Ges.Werke, Bd.4, Seite 359).

Die Italienische Kommunistische Linke drückte sich im selben Sinne aus, als sie die Gründe für die Niederlage der Russischen Revolution untersuchte: "Marx und Engels, und vor allem Lenin, haben immer die Notwendigkeit hervorgehoben, dem Staat das proletarische Gegengift entgegenzuhalten, welches als einziges die nahende Degenerierung aufhalten kann. Die Russische Revolution, weit entfernt von der Einsicht über die Aufrechterhaltung und Lebendigkeit der proletarischen Klassenorgane, integrierte sie in den Staatsapparat und verschlang damit ihre eigene Substanz." (Bilan, Nr.28).

Es half wenig, das Gewicht der Arbeiterklasse im Staat durch Gesetze aufrechterhalten zu wollen (1 Delegierter auf 25 000 Arbeiter, während auf 125 000 Bauern ebenfalls ein Delegierter kam), wenn das Problem gerade in der Aufsaugung dieser Arbeiter durch den konservativen Staatsapparat lag. Und als die proletarische Revolution in Europa definitiv niedergeschlagen war, konnte nichts, nicht einmal die eiserne Kontrolle der bolschewistischen Partei über die Gesellschaft, verhindern, dass der auf Weltebene sowie in Russland dominierende Kapitalismus die Kontrolle über den Staat ausübte und ihn in die direkt entgegengesetzte Richtung führte, als die Kommunisten es versucht hatten:

"Das Steuer entgleitet den Händen: Scheinbar sitzt ein Mensch da, der den Wagen lenkt, aber der Wagen fährt nicht dorthin, wohin er in lenkt, sondern dorthin, wohin ein anderer ihn lenkt - jemand, der illegal ist, der gesetzwidrig handelt, der von Gott weiss woher kommt, Spekulanten oder Privatkapitalisten, oder die einen und die anderen zugleich - , jedenfalls fährt der Wagen nicht ganz so und sehr häufig ganz und gar nicht so, wie derjenige, der am Steuer des Wagens sitzt, sich einbildet." (Lenin, 11.Parteitag der KPR(B), 27.3.1922, Werke Bd.33, Seite 266).

"Die Bolschewiki fürchteten, die Konterrevolution komme vor allem von den Weissen Armeen und anderen direkten Instrumenten der Bourgeoisie, und sie verteidigten deshalb die Revolution gegenüber diesen Gefahren. Sie fürchteten die Rückkehr des Privateigentums durch das Fortdauern der Kleinproduktion und vor allem durch die Bauernschaft. Doch die wirkliche Gefahr der Konterrevolution kam nicht von den Kulaken, nicht von den auf schreckliche Weise in Kronstadt massakrierten Arbeitern, nicht von den Verschwörungen der "Weissen", wie es die Bolschewiki fürchteten. Der Weg der Konterrevolution führte über die Leichen der 1919 in Deutschland massakrierten Arbeiter und über den bürokratischen Apparat, der sich als angeblicher "Halbstaat" des Proletariats ausgab, und in dem sich die Konterrevolution am deutlichsten ausdrückte." (Einführung zur Broschüre der IKS "Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus", engl., franz., span.).

Die Lösung für die Situation, welche im Oktoberaufstand 1917 ihren Anfang genommen hatte, lag, wie es Rosa Luxemburg ausdrückte, nicht in Russland selbst: "In Russland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Russland gelöst werden, es kann nur international gelöst werden." Der Schlüssel dazu lag in den Händen der internationalen Arbeiterklasse. Und im gleichen Masse wie die weltrevolutionäre Welle, die auf den Ersten Weltkrieg folgte, niedergeschlagen wurde, häuften sich in Russland die Widersprüche und die verzweifelte Suche nach Lösungen. Doch keine dieser scheinbaren Lösungen vermochte den Gordischen Knoten zu zerschlagen und die Revolution auszubreiten.

"Die fatale Lage jedoch, in der sich die Bolschewiki heute befinden, ist mitsamt den meisten ihrer Fehler selbst eine Folge der grundsätzlichen Unlösbarkeit des Problems, vor das sie durch das internationale, in erster Linie durch das deutsche Proletariat gestellt worden sind. Die proletarische Diktatur und sozialistische Umwälzung in einem einzelnen Lande durchführen, das von starrer imperialistischer Herrschaft umgeben und vom blutigsten Weltkriege der menschlichen Geschichte umtobt ist, das ist eine Quadratur des Zirkels. Jede sozialistische Partei müsste an dieser Aufgabe scheitern und zugrunde gehen - ob sie den Willen zum Sieg und den Glauben an den internationalen Sozialismus oder aber den Selbstverzicht zum Leitstern ihrer Politik macht." (Rosa Luxemburg, "Die russische Tragödie", Ges. Werke Nr.4, Seite 391).

Die Russische Revolution ist die wichtigste Erfahrung in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Die zukünftigen revolutionären Kämpfe des Proletariats dürfen keine Mühe scheuen, sich all die Lehren daraus anzueignen. Und zweifellos ist die erste davon die Bestätigung des alten marxistischen Schlachtrufes: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!". Dies ist nicht eine "schöne Idee", sondern die notwendige Bedingung für den Sieg der kommunistischen Revolution. Die internationale Isolierung ist der Tod der Revolution.

Etsoem, aus "International Review", Nr. 75, 4.Quartal 1993

(auf deutsch veröffentlicht in Internationale Revue Nr.16,1995) 

(1) Siehe dazu unsere Broschüre "Communism is not dead, but its worst enemy, Stalinism".

(2) Aufgrund der schweren Enttäuschung, die sich durch die Niederlage der Russischen Revolution unter den Kommunisten ausgebreitet hatte, entstanden Theorien wie der Rätismus, welche in der Russischen Revolution eine bürgerliche Revolution sahen und die Bolschewiki als eine bürgerliche Partei bezeichneten. Auch der Bordigismus schreibt der Russischen Revolution einen Doppelcharakter zu (auf der einen Seite bürgerlich, auf der anderen proletarisch). Siehe dazu unsere Kritiken in der "Internationalen Revue" (deutsch) Nr.5 und 6: "Oktober 1917: Anfang der Proletarischen Revolution".

(3) Die erste Sowjet-Verfassung erteilte das Bürgerrecht "allen Ausländern, welche sich innerhalb des Territoriums der Vereinigten Sowjetrepubliken aufhalten, vorausgesetzt, dass sie zur Arbeiterklasse gehören oder Bauern sind, welche nicht die Arbeit anderer ausbeuten".

(4) Die Sitzungen des 2. Kongresses der Kommunistischen Internationalen wurden vor einer Landkarte durchgeführt, auf der die Gebietsgewinne der Roten Armee während ihres Gegenangriffs auf Polen im Sommer 1920 eingezeichnet waren. Bekanntlich drängte dieser militärische Einfall das polnische Proletariat dazu, sich mit der eigenen Bourgeoisie zu verbünden und endete in der Niederlage der Roten Armee vor den Toren Warschaus.

(5) Im Januar 1918 brach in Berlin ein Streik aus, an dem sich ca. eine halbe Million Arbeiter beteiligten und der sich sofort auf Hamburg, Kiel und das Ruhrgebiet ausweitete. Während dieses Streiks wurden die ersten Arbeiterräte in Deutschland gebildet. Zur selben Zeit fanden in Wien und Budapest Arbeiteraufstände statt, und selbst die Mehrheit der bürgerlichen Journalisten bezeichnete sie als eine Reaktion auf die Russische Revolution und vor allem auf die Verhandlungen von Brest-Litowsk.

(6) Siehe unsere Broschüre „Die russische Revolution“: „Die kommunistische Linke in Russland“

(7) Siehe ‘Internationale Revue’ (deutsch) Nr.5 und6 und den Artikel ‘Die kommunistische Linke in Russland’ in unserer Broschüre ‘Die russische Revolution’. Sowie unsere Broschüre "Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus", in der wir anhand der russischen Erfahrung die Frage von Verhandlungen zwischen proletarischen Bastionen und kapitalistischen Regierungen untersuchen.

(8) Diese Regierung kontrollierte das ganze Gebiet der mittleren und unteren Wolga. Im Oktober 1918 fand ein Aufstand von zirka 400 000 "Wolgadeutschen" statt, die in diesem Gebiet eine Arbeiterkommune ausriefen. Die sogenannte "Tschechische Legion" waren tschechische Kriegsgefangene, welche von der russischen Regierung die Erlaubnis erhalten hatten, Russland via Wladiwostok zu verlassen. Während ihrer Reise meuterten 60 000 dieser 200.000 Soldaten und bildeten bewaffnete Banden, welche Plünderungen und Terror verübten. Es muss aber auch angefügt werden, dass rund 12.000 Soldaten dieser "Tschechischen Legion" in die Rote Armee eintraten.

(9) Dieser ehemalige Sozialrevolutionär wirkte im September 1917 als geheimer Verbindungsmann zwischen Kerenski und Kornilow. Im Januar 1918 organisierte er einen Mordanschlag auf Lenin. Er war ebenfalls der Vertreter der "Weissen" in Paris, wo er nicht nur mit den Geheimdiensten der Alliierten in Kontakt stand, sondern auch mit Ministern und Generälen, von denen er als Belohnung für seine "Dienste für die Demokratie" die Führung über Sabotagekommandos, die sog. "Grünen", erhielt.  

(10) Siehe ‘Internationale Revue’ (deutsch) Nr.5 und6 ‘Oktober 1917’ und die Artikel ‘Der Niedergang der russischen Revolution’ und ‘Die kommunistische Linke in Russland’ in unserer Broschüre ‘Die russische Revolution’.

(11) Diese Typhusepidemien waren dermassen verbreitet und brachen nicht ab, so dass Lenin erklärte: "Entweder wird die Revolution diese Laus (die den Typhuserreger verbreitet) vernichten, oder dann wird die Laus die Revolution zerstören".

(12) Die NEP war nicht, wie viele Genossen der Kommunistischen Linken in Russland dachten, die Rückkehr des Kapitalismus, da in Russland nie eine sozialistische Ökonomie existiert hatte. Wir haben unsere Position zu dieser Frage in der "International Review" No.2 "Answer to Workers Voice" und in dem Artikel „Die kommunistische Linke in Russland“ in unserer Broschüre  ‘Die russische Revolution’ dargelegt.

(13) Unsere Position zur Rolle des Staates in der Übergangsperiode und zum Verhältnis der Arbeiterräte zu diesem Übergangsstaat, basierend auf den Erfahrungen der Russischen Revolution, sind nachzulesen in unserer Broschüre "Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus" und in der "International Review" Nr. 8, 11, 15 und 18. Zur Auffassung, dass die Partei im Namen der Arbeiterklasse die Macht ergreift, siehe unsere Kritik in "International Review" Nr. 23, 34 und 3

Theorie und Praxis: 

  • Die Russische Revolution [5]

Quell-URL:https://de.internationalism.org/content/790/internationale-revue-16

Links
[1] https://de.internationalism.org/tag/2/39/die-revolution-re-organisation [2] https://de.internationalism.org/tag/theoretische-fragen/arbeiterklasse [3] https://de.internationalism.org/tag/politische-stromungen-und-verweise/internationales-buro-fur-die-revolutionare-partei [4] https://de.internationalism.org/tag/historische-ereignisse/zweiter-weltkrieg [5] https://de.internationalism.org/tag/1/209/die-russische-revolution