1973-93: Die Gewerkschaften: Spezialisten für die Sabotage der Arbeiterkämpfe

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 Die Arbeiterkämpfe im Mai 1968 in Paris und die Kämpfe im ‘heißen Herbst’ 1969 in Italien, aber auch in Deutschland -Zeichen des historischen Wiedererstarken der Arbeiterklasse- stellten nach 50 Jahren Konterrevolution eine erste Erfahrung in der Konfrontation mit der gewerkschaftlichen Sabotage dar. Von Anfang an wurden die Gewerkschaften wegen ihrer Manöver und ihrer Zusammenarbeit mit der Regierung stark in Frage gestellt. In Frankreich wie in Italien zerrissen Zehntausende Arbeiter ihre Gewerkschaftsmitgliedsausweise. Aber diese vereinzelten Wutausbrüche der Arbeiter 1968/69 waren noch nichts im Vergleich zu der Erfahrung, die die Arbeiter in den Kämpfen der 70er und 80er Jahre im Zusammenstoß mit den Gewerkschaften machen sollten.


1973-75: Wie die Gewerkschaften den Arbeiterkämpfen entgegentraten

Nach der Erfahrung aus dem Mai 68 in Frankreich hatte die Bourgeoisie nur eine Sorge: verhindern, daß sich die Arbeiter in großen Massen auf der Straße zusammenfinden. Die Gewerkschaften sollten dabei das Hauptmittel sein - indem sie die Arbeiter in den Fabriken einzusperren versuchten. Die Fabrikbesetzung der Uhrenwerke in Lip 1973 war beispielhaft für diese Strategie. Die Gewerkschaften schlugen vor, die vom Bankrott bedrohte Fabrik sollte von den Arbeitern übernommen und selbstverwaltet werden. Indem das Beispiel Lip als Sieg verkauft wurde, sollte die Verteidigung des ‘eigenen Betriebes’ als nachzuahmendes Vorbild propagiert werden. Beim Streik der Ford-Arbeiter in Köln im Herbst 1973 taten die Gewerkschaften alles für die Isolierung der Streikenden. Beim Streik der Postbeschäftigten 1974 in Frankreich haben die Gewerkschaften die Arbeiter auf die ‘Verteidigung des öffentlichen Dienstes’ und gegen die ‘Privatisierungen’ einzuschwören versucht. Im Frühjahr 1975 sollten die Beschäftigten bei Renault in einem Streik wiederum für die Verteidigung ‘ihrer Fabrik’ und für die Verstaatlichung mobilisiert werden. Die Beschäftigten wurden jedes Mal von den Gewerkschaften gegeneinander ausgespielt, indem heute hier, morgen dort zum Streik, manchmal auch nur zum Bummelstreik aufgerufen wurde. Oberstes Ziel: verhindern, daß die Beschäftigten gemeinsam zum gleichen Zeitpunkt kämpfen.

Die gleiche Vorgehensweise der Gewerkschaften im August 1975 in Italien bei den Eisenbahnen, wo in den ‘langen Verhandlungen’ eine Produktivitätssteigerung zugunsten des Kapitals durchgesetzt wurde. Der Vorsitzende der Gewerkschaft SFI-CGIL kritisierte gar die Polizei, nichts gegen die Streikenden unternommen zu haben. In Spanien lenkten die Commissiones Obreras und die KP die Streiks in die Sackgasse der Verteidigung der Demokratie gegen das Regime Francos. In Portugal wurden 1974-75 die streikenden Arbeiter immer wieder von der damals an der Regierung befindlichen KP aufgefordert, ihre Kämpfe einzustellen und Opfer zu bringen. Die Transportbeschäftigten bekamen es dann mit der Polizei zu tun. Beim Druckerstreik 1976 in Deutschland auch hier ein Meisterwerk der Isolierung dieses Teils der Arbeiterklasse durch die Gewerkschaften vom Rest der Klasse.

Die Gewerkschaften wollten überall den Arbeitern glauben machen, wenn sie für die linken Parteien bei den Wahlen stimmten, würde die Krise überwunden. Vor allem indem die linken Parteien in einigen Ländern die Regierung übernahmen, wurde der Fortsetzung dieser ersten Welle von Kämpfen ein Ende gesetzt.

Von 1974-1978 flachte der Klassenkampf wieder ab, um dann in einer Reihe von Ländern explosiv auszubrechen.


1978-1979: Die Arbeiter fingen an, die gewerkschaftlichen Zwangsjacken zu sprengen

Die Ankündigung von 20.000 Entlassungen im Stahlbereich wirkte in Frankreich wie eine Bombe. Die Reaktion der Arbeiter im Norden Frankreichs - in Denain und Longwy - kam im Jan. 1979 sofort. Zunächst akzeptierten die Gewerkschaften wie überall die Entlassungspläne. Aber die Arbeiter waren nicht bereit, diese Pläne hinzunehmen. Sie verstanden, daß sie auf die Straße ziehen mußten, um es mit dem Staat aufzunehmen, denn in den Fabriken zu verharren, wäre gewesen, als ob man sich in einem Gefängnis eingeschlossen hätte. Von Anfang an denunzierten die Gewerkschaften die Gewalt der „Provokateure“ und der „unkontrollierten Elemente“. Tatsächlich griffen die kämpferischen Arbeiter Polizeikommissariate an, besetzten Verwaltungssitze, schlossen leitende Angestellte ein. Die Gewerkschaften organisierten Aktionstage nach dem Motto ‘tote Stadt’, schafften es jedoch damit nicht, die Wut der Arbeiter einzudämmen. Am 20.Februar 1979 erklärte ein Verantwortlicher der CGT: ‘Wir fürchten jetzt vor allem, daß die Arbeiter sich selber organisieren und, ohne uns zu fragen, losschlagen, weil sie wissen, daß sie nicht mehr mit unserer Unterstützung rechnen können.’ Gleichzeitig meinte ein Delegierter der CFDT: ‘Die Arbeiter müssen sich austoben können, dafür haben wir eine Reihe von Aktionen vorgesehen.’

Als in Frankreich eine Reihe von Streiks in anderen Bereichen ausbrachen, unternahmen die Gewerkschaften auch hier wieder wie im Mai 68 alles, um die Bewegung zu sabotieren. Bei der Post, den Krankenhäusern und Banken traten sie für die Wiederaufnahme der Arbeit ein; nachdem dies geschafft war, organisierten sie am 23. März 1979 den ‘Marsch auf Paris’. Arbeitsteilig sorgten die CFDT und CGT dafür, daß die Arbeiter davon abgehalten wurden, ihre Solidarität in Paris zum Ausdruck zu bringen. Niemand wußte bis zum Schluß, wann und wo die Stahlkocher in Paris ankommen würden. Bei ihrer Ankunft in Paris sorgte ein Ordnungsdienst der Gewerkschaften und der KP dafür, daß die Demonstration im Sande verlief. Die Route der Demo wurde geändert, um ein Zusammenkommen von Stahlarbeitern und anderen Beschäftigten zu verhindern; schließlich wurde die Demonstration in der größten Zersplitterung aufgelöst. Gewerkschaftliche Ordner und Bereitschaftspolizei wirkten Hand in Hand, um die Arbeiter daran zu hindern, nach der Demonstration zusammenzukommen und Diskussionen abzuhalten.

Die KP und die CGT riefen spalterische und nationalistische Slogans: ‘Retten wir die nationale Unabhängigkeit! Schützen wir uns vor der deutschen Konkurrenz!’ Die Gewerkschaften hatten ihr ganzes Gewicht in die Waagschale geworfen, um die Arbeiter zu erschöpfen und weichzukneten, damit sie die Sparpläne des Staates akzeptieren.

In diesem zweiten Schub von Kämpfen, die zwischen 1978/79 und 1983 entflammten, gab es überall eine Infragestellung der Gewerkschaften. Überall traten Arbeiter aus den Gewerkschaften aus (insbesondere in Italien, Frankreich und Belgien). In den Betrieben, den Vollversammlungen, den Demos deckten immer mehr Arbeiter den Verrat der Gewerkschaften auf. Deren Führer wurden unzählige Male ausgepfiffen und beschimpft. In den Medien sprach man gar von einer ‘Krise der Gewerkschaften’.

Anfang der 80er Jahre ebbte schließlich diese Kampfwelle ab, nachdem die Arbeiter in Polen eine Niederlage hatten einstecken müssen.

Dabei hatten die Arbeiter in Polen im Sommer 1980 der ganzen Welt die Stärke der Arbeiterklasse gezeigt, daß sie fähig ist, ihre Kämpfe in die Hände zu nehmen, sich selbst in Vollversammlungen (MKS) zu organisieren, den Kampf über alle Fabrikgrenzen hinweg auszudehnen. Dadurch waren die Arbeiter in allen Ländern ermutigt worden. Aber die Errichtung der Gewerkschaft Solidarnosc (wobei die Gewerkschaften aus dem Westen große Schützenhilfe geleistet haben) führte vor allem, nachdem die Arbeiter durch diese neugegründete Gewerkschaft im Dezember 1981 in die Arme der Repression getrieben wurden, zu einer Verwirrung in den Reihen der Arbeiter. Eine relative Ruhepause trat ein, bevor dann 1983 erneut der Klassenkampf sich in Anbetracht der zahlreichen Sparpakete wieder aufheizte. Ab Sommer 1983 gab es spontane Kämpfe, wobei die Reaktion der Arbeiter in Belgien den Auftakt darstellte. Vielerorts gab es spontane Reaktionen der Arbeiter, die sich nicht an die gewerkschaftliche Stillhaltetaktik hielten. Nicht nur war das Mißtrauen gegenüber den Gewerkschaften gewachsen, sondern die Arbeiter verspürten auch ein größeres Selbstvertrauen. Das Beispiel der polnischen Arbeiter vom Sommer 1980 (wo die Arbeiter vor der Schaffung der Gewerkschaft Solidarnosc die Regierung zum Nachgeben gezwungen hatten) hatte angefangen, Schule zu machen.


1983-1988:

Die Bourgeoisie schärft die Waffe der Gewerkschaften gegen die Arbeiterklasse

Von Anfang an stand für viele Arbeiter fest, daß sie nicht mehr isoliert voneinander in den Betrieben kämpfen, sondern diesen Kampf auf die anderen Arbeiter ausdehnen wollten. So stellten im Frühjahr 1986 die Bergarbeiter im belgischen Limburg große Delegationen auf, die sich zu anderen Arbeiterzentren begaben. Insgesamt gab es zwischen 1984-88 in Großbritannien, Schweden, Dänemark, Spanien, Italien, Deutschland usw. Versuche, den Kampf nicht in den Händen der Gewerkschaften zu lassen.

In Anbetracht des Willens der Arbeiter, die Isolierung zu durchbrechen, um geeint dem kapitalistischen Staat entgegenzutreten, mußten anfänglich die Gewerkschaften auf den Zug aufspringen, um ihn wieder kontrollieren zu können und jede Solidarität zu verhindern. Während sie zuvor offen gegen die Kämpfe auftraten und immer von der ‘Notwendigkeit zu verhandeln’ sprachen, nahmen sie nun eine andere Sprache an. Um den Arbeitern Sand in die Augen zu streuen, taten sie so, als ob sie ‘offene Opposition’ betrieben und traten mit einer radikalen Sprache gegenüber der Regierung auf. Sie verstanden es geschickt, die Bestrebungen der Arbeiter zur Vereinigung zu untergraben.

1983 verhinderten sie in Belgien den Zusammenschluß zwischen dem öffentlichen und privaten Bereich, indem verschiedene Gewerkschaften ‘aufeinanderprallten’, voneinander getrennte Demonstrationen organisiert wurden.

1984: in Großbritannien beharrte die Bergarbeitergewerkschaft (NUM) auf der Ausdehnung der Streiks nur auf die Bergwerke - während es in anderen Branchen brodelte und in der Automobilindustrie und im Stahlbereich schon Streiks gab. Die NUM unternahm alles, um die Arbeiter daran zu hindern, den Kampf selber in die Hand zu nehmen. Insbesondere wurden die Arbeiter von der NUM in sinnlose Konfrontationen mit der Polizei getrieben und in Streikende und Nichtstreikende gespalten. Schließlich versandete der Streik im deprimierendsten Berufsegoismus; anstatt Ausdehnung und Verbindung mit anderen Branchen stand das Geldsammeln im Vordergrund. In einem solchen langen und isolierten Streik kann die Arbeiterklasse nur verlieren. Eine ähnliche Vorgehensweise der IG-Metall 1984, als sie in der Autoindustrie durch ihre ‘Nadelstichtaktik’ verhinderte, daß die Arbeiter wirklichen Druck gegenüber den Kapitalisten entfalteten.

In Anbetracht der steigenden Kampfbereitschaft mußten die Gewerkschaften Mitte der 80er Jahre ihre Sprache weiter radikalisieren. Überall spucken sie große Töne, reden von der Notwendigkeit ‘massiver und vereinter’ Reaktionen der Arbeiter. An vielen Orten werden Aktionen durchgeführt, die dazu dienen, Luft abzulassen, aber vor allem das Image der Gewerkschaften aufpolieren sollen. Aber seitdem die Arbeiterklasse sich mit ihren Kämpfen seit Mai 68 wieder aus der langen Konterrevolution erhoben hatte, war der Verlust der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften während dieser 20 Jahre sehr groß und tiefgreifend gewesen und die Arbeiter drängten immer häufiger auf eigenständige Aktionen.

Die Reaktion der Arbeiter in Duisburg-Rheinhausen im Dez. 1987 war keine Ausnahme, sondern Teil einer internationalen Bewegung der Klasse. Die Lehre aus dem britischen Bergarbeiterstreik aufgreifend, forderten die Beschäftigten bei Krupp nach der Ankündigung der Werksstillegung die Beschäftigten der ganzen Stadt auf, sich ihrem Abwehrkampf anzuschließen. Mehrere Tausend Beschäftigte aus Duisburg schlossen sich anfänglich gegen den Willen der Gewerkschaften den Stahlarbeitern an.

Die herrschende Klasse Europas mußte demgegenüber reagieren. Die Gewerkschaften alleine waren nicht mehr in der Lage, die Arbeiter zu kontrollieren. Die Kräfte der Extremen Linken mußten auf den Plan treten (Trotzkisten und Anarchisten). Das Kapital mußte die Waffe der Basisgewerkschafter einsetzen, es schuf neue ‘Kampfstrukturen’, Koordinationen, deren einzige Funktion darin bestand, scheinbar unabhängig und außerhalb der Gewerkschaften den Kampf in die Hand zu nehmen. Tatsächlich jedoch entfernten sie sich keinen Zentimeter von den Kampfmethoden der Gewerkschaften, sabotierten die Vollversammlungen und verhinderten Versuche der Ausdehnung und des Zusammenschlusses. Der Streik der Eisenbahner Ende 1986 und der der Krankenhausbeschäftigten 1988 in Frankreich sind ein gutes Beispiel dafür.

Als der Ostblock 1989 zusammenbrach, fiel auch diese dritte Welle von Kämpfen, die seit 1983 in Gang war, in sich zusammen. Die Bourgeoisie nutzte sofort den Zusammenbruch des Ostblocks aus, um die Arbeiter ideologisch zu behämmern und leierte eine Kampagne an vom ‘Tod des Kommunismus’. Es gebe keine Gesellschaft außerhalb der kapitalistischen und jeder Kampf gegen den Kapitalismus führe nur zu Terror und Chaos. Durch diese Kampagne wurde die Arbeiterklasse stark verwirrt, ihr Bewußtsein und ihre Kampfbereitschaft angeschlagen.

Ungeachtet all der ideologischen Manipulationen der Bourgeoisie haben die brutale Beschleuni­gung der Krise und die damit einhergehenden kapitalistischen Angriffe der Arbeiterklasse wieder vor Augen geführt, daß sie keine andere Wahl hat als zu kämpfen, daß sie gezwungen ist, den Kampf wieder aufzunehmen. Die mas­sive Reaktion der Arbeiter in Italien gegen den Amato-Plan im Herbst 1992 zeigte, daß die Arbeiterklasse nicht zu Boden geworfen ist. Dabei wurde wieder deutlich, daß in Italien wie anderswo die Arbeiter ständig mit den geschick­testen Verteidigern des Kapitals zusammenpral­len. Wenn sie ihre Interessen konsequent vertei­digen wollen, stoßen sie immer wieder auf die Gewerkschaften und ihren ‘basisgewerkschaftlichen’ Flügel. Dieser ‘radikale’ Flügel sorgt dafür, daß die Arbeiter nicht aus den Gewerkschaften ausbrechen, in ‘alternativen’ und ‘demokratischeren’ Gewerk­schaftsstrukturen festgehalten werden. Um sich gegen die Angriffe des Kapitals zur Wehr zu setzen, um die eigene Perspektive zu entwickeln, muß die Arbeiterklasse die Lehren aus den Kämpfen der letzten 20 Jahren wieder aufgreifen und erneut erkennen, daß sie nur auf ihre eigenen Kräfte bauen kann. Camille


Erbe der kommunistischen Linke: