11. Kongress: Resolution zur internationalen Situation

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1) Das Begreifen des historisch zeitlich begrenzten Charakters der kapitalistischen Produktionsform, der Unüberwindbarkeit der Krise des Systems ist für die Kommunisten die felsenfeste Grundlage, auf der wir die revolutionäre Perspektive des Kampfes der Arbeiterklasse aufbauen. Deshalb stellen alle Versuche, so wie sie heute die Bourgeoisie und ihre Fürsprecher betreiben, zu verbreiten, die Weltwirtschaft sei dabei, ‘die Krise zu überwinden’, oder daß einige ‘Schwellenländer’  anstelle der alten, am Boden liegenden Wirtschaftsbereiche treten könnten, einen klaren Angriff gegen das Bewußtsein der Arbeiterklasse dar.

Das Scheitern der kapitalistischen Weltwirtschaft

2) Die offiziellen Reden über ‘den Wiederaufschwung’ machen ein großes Aufheben über die Entwicklung der Industrieproduktion oder das Ansteigen der Profite der Unternehmen. Während es in der Tat in den angelsächsischen Ländern solch eine Entwicklung gegeben hat, müssen wir sofort die Grundlagen dieser Entwicklung aufzeigen:

- wenn Firmen jetzt wieder davon reden, daß sie erneut Profite machen, insbesondere große Firmen, dann weil sie vor allem Geld bei Spekulationsgeschäften verdient haben. Dem steht ein erneutes Anschwellen der öffentlichen Verschuldung gegenüber sowie ein Absägen der ‘toten Äste’ in vielen Firmen, d.h. ein Überbordwerfen der am wenigsten produktiven Bereiche;

- der Fortschritt der industriellen Produktion ist zum Großteil auf eine bedeutsame Steigerung der Arbeitsproduktivität zurückzuführen, hinter der der massive Einsatz von Automation und Informatik steckt.

Deshalb besteht eine der Haupteigenschaften dieses ‘Wiederaufschwungs’ darin, daß er keine neuen Arbeitsplätze schafft oder die Arbeitslosigkeit in bedeutendem Maße zurückdrängt. Prekäre Arbeit hat sich weiter ausgedehnt, denn das Kapital achtet ständig darauf, wann immer notwendig, überflüssige Arbeitskräfte auf die Straße schmeißen zu können.

3) Während die Arbeitslosigkeit vor allem einen Angriff gegen die Arbeiterklasse und einen brutalen Faktor der Entfaltung der Armut und des Ausschlusses aus der Gesellschaft darstellt, legt die Arbeitslosigkeit auch das Scheitern des Kapitalismus bloß. Das Kapital lebt von der Ausbeutung der lebendigen Arbeit: dazu gehört ebenso die Brachlegung ganzer Industriebereiche, und daß  immer größere Teile der Arbeiterklasse arbeitslos werden. All das stellt eine Selbstverstümmelung des Kapitals dar. Es zeigt das endgültige Scheitern der kapitalistischen Produktionsweise auf, dessen historische Funktion gerade darin bestand, die Lohnarbeit weltweit auszudehnen. Dieser Bankrott des Kapitalismus äußert sich auch durch die dramatische Verschuldung der Staaten, die in den letzten Jahren erneut angestiegen ist: zwischen 1989 und 1994 ist die öffentliche Verschuldung von 53% auf 65% des BIP der USA, von 57% auf 73% in Europa angestiegen, in Belgien erreicht sie gar 142%. Tatsächlich sind die kapitalistischen Staaten zahlungsunfähig geworden. Wenn sie den gleichen Gesetzen unterworfen wären wie die Privatkapitalisten, hätten sie schon längst Pleite anmelden müssen. Diese Situation spiegelt nur die Tatsache wider, daß der Staatskapitalismus die Reaktion des Systems auf dessen Sackgasse darstellt; aber diese Antwort ist keinesfalls eine Lösung und sie kann auch nicht ewig von Bestand sein.

4) Die oft zweistelligen Wachstumsraten der berühmten ‘Schwellenländer’ widerlegen keinesfalls das allgemeine Scheitern der Weltwirtschaft. Diese Wachstumszahlen sind auf einen großen Kapitalstrom infolge unglaublich billiger Lohnkosten zurückzuführen, was die Bourgeoisie beschämt ‘Verlagerung’ von Produktionsstätten nennt. Das bedeutet, daß diese wirtschaftliche Entwicklung die Produktion der am meisten fortgeschrittenen Länder nur negativ beeinflussen kann; und so werden sich diese Staaten wiederum gegen die ‘unfairen Handelspraktiken der Schwellenländer’ wehren. Darüber hinaus steckt hinter den spektakulären Leistungen oft ein Verfall ganzer Wirtschaftsbereiche dieser Länder: hinter dem ‘Wirtschaftswunder’ Chinas stecken mehr als 250 Mio. Arbeitslose im Jahre 2.000. Der neulich aufgetretene Finanzkrach bei einem anderen Modellfall, ‘Mexiko’, dessen Währung mehr als die Hälfte ihres Wertes von heute auf morgen verlor, und eine dringende Finanzspritze von nahezu 50 Mrd. Dollar an Sofortkrediten erforderlich machte (bei weitem die größte ‘Rettungsoperation’ in der Geschichte des Kapitalismus), faßt die Wirklichkeit des Wunders zusammen, das sich hinter vielen ‘Schwellenländern’ der 3. Welt verbirgt. Die ‘Schwellenländer’ sind nicht der neue Hoffnungsträger der Weltwirtschaft. Sie sind nur der, wenn auch zerbrechliche und verrückte Ausdruck eines wahnsinnigen Systems. Diese Wirklichkeit wird durch die Lage in Osteuropa nicht widerlegt, denn Osteuropa sollte ja unter dem Glanz des Liberalismus aufblühen. Während einige Länder (wie Polen) es bislang geschafft haben, das Schlimmste zu verhindern, ist das Chaos, das sich in Rußland breitgemacht hat (die Produktion ist um mehr als 30% in den letzten beiden Jahren gefallen, mehr als 2.000% Inflation in der gleichen Zeit), ein Beweis dafür, wie sehr die Reden, die seit 1989 gehalten wurden, nur Lügen waren. Die Lage in der russischen Wirtschaft ist dermaßen katastrophal, daß die Mafia, die einen großen Teil des Räderwerks kontrolliert, nicht als Parasit auftritt, wie in vielen westeuropäischen Ländern, sondern als ein Stützpfeiler, der ein Mindestmaß an Stabilität mit einbringt.

5) Schließlich führt der potentielle Bankrott des Kapitalismus, die Tatsache, daß er nicht endlos lange leben kann, indem er ständig nur Wechsel auf die Zukunft ausstellt, und die allgemeine und endgültige Sättigung der Märkte durch eine Flucht in die Verschuldung zu umgehen versucht, zu immer größeren Bedrohungen für das gesamte internationale Finanzsystem. Die durch den Bankrott der britischen Barings Bank hervorgerufene Aufregung, als sich ein ‘golden boy’ in der Währungsakrobatik verspekuliert hatte, sowie die Angst, die nach der Ankündigung der Krise des mexikanischen Pesos folgte, die in keinem Verhältnis zum Gewicht der mexikanischen Wirtschaft in der Weltwirtschaft stand, sind unleugbare Indizien der wirklichen Angst, von der die herrschende Klasse gepackt wird in Anbetracht der Perspektive einer ‘wirklich weltweiten Katastrophe’ ihrer Finanzen - wie es der Direktor des Internationalen Währungsfonds formulierte. Aber dieser Finanzkrach ist nichts anderes als eine Bloßlegung der Katastrophe der gesamten kapitalistischen Produktionsform selber, die die ganze Welt in immer tiefergreifende Erschütterungen in der Geschichte reinreißt.

Zuspitzung des weltweiten Chaos und der imperialistischen Zusammenstösse

6) Die Bühne, auf der diese Erschütterungen am deutlichsten zum Ausdruck kamen, sind die imperialistischen Zusammenstöße. Es sind noch keine 5 Jahre seit dem Zusammenbruch des Ostblocks vergangen, seit den Versprechungen einer ‘neuen Weltordnung’, die von den Führern der größten westlichen Industriestaaten abgegeben worden, und schon ist das Chaos in den Beziehungen zwischen den Staaten so offensichtlich geworden. Obgleich sie sich auf der Androhung einer furchtbaren Konfrontation zwischen den Atommächten stützte, und obgleich ihre beiden Supermächte ständig durch Stellvertreterkriege aufeinanderprallten, enthielt die ‘Ordnung von Jalta’ dennoch ein gewisses Element von ‘Ordnung’. Weil die Möglichkeit eines neuen Weltkrieges nicht gegeben war, da die Arbeiterklasse in den zentralen Ländern nicht mobilisiert werden konnte, mußten die beiden Weltgendarmen die imperialistischen Zusammenstöße innerhalb eines ‘akzeptablen’ Rahmens beschränken. Sie mußten insbesondere vermeiden, daß das Chaos und Zerstörung in den fortgeschrittenen Ländern zu starke Ausmaße annahm, vor allem in Europa, dem Schauplatz zweier Weltkriege. Diese Rahmenbedingungen sind jetzt zusammengebrochen. Mit den blutigen Zusammenstößen im ehemaligen Jugoslawien ist Europa nicht mehr ein ‘unangetastetes Gebiet. Gleichzeitig haben diese Konfrontationen gezeigt, wie schwierig es ist, ein neues ‘Gleichgewicht’, eine neue ‘Weltordnung’ als Nachfolge des Jalta-Abkommens zu errichten.

7) Während der Zusammenbruch des Ostblocks zum Großteil unvorhersehbar war, traf das nicht zu auf das Verschwinden des westlichen rivalisierenden Blocks. Man brauchte nichts vom Marxismus zu verstehen (und Kautskys Theorie des ‘Superimperialismus’ zu folgen, die von den Revolutionären im 1. Weltkrieg widerlegt wurde), um zu erkennen, daß ein einziger Block nicht allein bestehen konnte. Alle Bourgeoisien sind grundsätzlich untereinander Rivalen. Man kann dies deutlich im Handel sehen, wo ‘der Krieg eines jeden gegen jeden’ vorherrscht. Diplomatische und militärische Allianzen sind nichts anderes als eine Verdeutlichung der Tatsache, daß die Bourgeoisie keine Möglichkeit hat, ihre strategischen Interessen alleine gegen andere durchzusetzen. Der gemeinsame Gegner ist das einzige bindende Element solcher Allianzen und keinesfalls die ‘Freundschaft zwischen den Völkern’. Wir können heute sehen, wie unverbindlich und unehrlich solche Formeln sind, da die Feinde von gestern (wie beispielsweise Rußland und die USA) plötzlich zu einer neuen ‘Freundschaft’ gefunden haben und jahrzehntelange ‘Freundschaften’ (wie zwischen Deutschland und den USA) werden jetzt durch Streit untereinander abgelöst.

Während die Ereignisse von 1989 das Ende der Spaltung der Welt als ein Ergebnis des 2. Weltkrieges mit sich brachten, wodurch Rußland endgültig nicht mehr Lage ist, einen imperialistischen Block zu führen, haben die Ereignisse seit 1989 die Tendenz hervorgebracht, daß sich neue imperialistische Konstellationen entwickeln. Während seine Wirtschaftsmacht und seine geographische Stellung Deutschland dazu auserwählt, als einziges Land die Nachfolge Rußlands anzutreten, die Rolle eines möglichen zukünftigen Blockgegners gegen die USA  zu übernehmen, sind die militärischen Voraussetzungen, die Deutschland solch eine Ambition durchzusetzen erlaubten, bei weitem noch nicht erfüllt. Und weil es noch keine neuen imperialistischen Bündnisse gibt, die an die Stelle der 1989 zerstörten Bündnisse treten könnten, wird die Welt aufgrund der noch nie erreichten Tragweite und Tiefe der Wirtschaftskrise, welche die militärischen Spannungen nach dem Motto ‘jeder für sich’ anschwellen läßt, von einem Chaos erschüttert, das den allgemeinen Zerfall der kapitalistischen Produktionsweise noch mehr zuspitzt.

8) Die Lage, die durch das Ende der beiden Blöcke des ‘kalten Krieges’ entstanden ist, wird somit durch zwei widersprüchliche Tendenzen geprägt:

- auf der einen Seite Chaos, Instabilität bei den Allianzen zwischen den Staaten,

- auf der anderen Seite gibt es den Prozeß des Aufbaus von zwei neuen Blöcken. Diese ergänzen sich jedoch gegenseitig, da die zweite Tendenz die erste nur zuspitzen kann. Die Erfahrung aus den letzten 3 Jahren verdeutlicht dies:

* die Krise und der Golfkrieg 1990-91, die von den USA ausgelöst wurde, waren ein Teil eines Versuches des US-Gendarmen, seine Vorherrschaft über die ehemaligen Verbündeten aus der Zeit des kalten Krieges aufrechtzuerhalten. Diese Vorherrschaft wird ständig von den früheren Verbündeten infragegestellt, nachdem die sowjetische Bedrohung nicht mehr besteht.

* der Krieg im ehemaligen Jugoslawien ist das direkte Ergebnis der neuen deutschen Ambitionen. Deutschland war der Drahtzieher der Loslösung Sloweniens und Kroatiens von Jugoslawien, wodurch das Pulverfaß auf dem Balkan in Brand geriet.

*die Fortsetzung dieses Krieges sät Zwietracht im deutsch-französischen Verhältnis, das die gemeinsame Führung der Europäischen Union übernommen hatte (die der erste Eckpfeiler für den Aufbau eines potentiellen neuen imperialistischen Blockes darstellt), und diese Zwietracht entsteht auch im englisch-amerikanischen Verhältnis, das das älteste und treueste Bündnis ist, das es in diesem Jahrhundert gegeben hat.

9) Mehr noch als das Hickhack zwischen dem französischen Hahn und dem deutschen Adler zeigt die gegenwärtige mangelnde ‘Treue’ zwischen England und Uncle Sam den Grad an Chaos auf, von dem heute die internationalen Beziehungen geprägt werden. Während die britische Bourgeoisie nach 1989 sich anfangs als  treueste Verbündete der amerikanischen Bourgeoisie erwies, insbesondere während des Golfkriegs, waren es die sehr mageren Vorteile, die aus dieser Treue entstanden, sowie die Verteidigung ihrer spezifischen Interessen am Mittelmeer und auf dem Balkan, wo sie eine pro-serbische Politik verfolgte, die sie dazu führten, sich von dem amerikanischen Verbündeten beträchtlich zu entfernen. Seitdem hat die britische Bourgeoisie systematisch die Politik der USA, Bosnien zu unterstützen, sabotiert. Dank dieser Politik hat es die britische Bourgeoisie geschafft, eine solide taktische Allianz mit der französischen Bourgeoisie zu errichten, mit dem Ziel, die Unstimmigkeiten zwischen dem deutsch-französischen Tandem weiter zu vertiefen. Die französische Bourgeoisie steht dieser Vorgehensweise positiv gegenüber, weil die wachsende Macht Deutschlands sie beunruhigt. Diese neue Situation wird zunehmend durch eine Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit zwischen der britischen und französischen Bourgeoisie verdeutlicht, z.B. die vorgesehene Aufstellung gemeinsamer Luftwaffenkampfverbände und vor allem mit dem Abkommen, eine gemeine inter-afrikanische Interventionstruppe aufzubauen, die ‘in Afrika den Frieden bewahren und Krisen vermeiden’ soll. Damit hat Großbritannien eine spektakuläre Wende in seiner Haltung nach der Unterstützung der Politik der USA in Ruanda vollzogen, die darauf abzielte, den französischen Einfluß in diesem Land zu reduzieren.

10) Diese Entwicklung der Haltung Großbritanniens gegenüber seinem Verbündeten, dessen Unzufriedenheit besonders stark am 17. März 1995 zum Ausdruck gebracht wurde, als Clinton den Führer der Sinn Fein Gerry Adams empfing, ist eines der bemerkenswertesten Ereignisse in der letzten Zeit. Dies offenbart das Ausmaß der Niederlage, die die USA durch den Gang der Dinge im ehemaligen Jugoslawien haben hinnehmen müssen, wo die direkte Besetzung des Terrains durch die britische und französische Armee in Gestalt der UNPROFOR stark dazu beigetragen hat, daß die Versuche der USA, in der Region mit Hilfe des bosnischen Verbündeten Fuß zu fassen, vereitelt wurden.

Es fällt auf, daß die erste Weltmacht auf immer mehr Schwierigkeiten stößt, ihre Rolle als weltweiter Gendarm wahrzunehmen. Diese Rolle wird immer weniger von den anderen Bourgeoisien unterstützt; die Lage ist nicht mehr wie früher, als die von der Sowjetunion ausgehende Bedrohung sie zwang, sich den Befehlen Washingtons zu unterwerfen. Es gibt gegenwärtig eine ernsthafte Schwächung, gar eine Krise der amerikanischen Führung, die überall auf der Welt zu sehen ist, und von dem der erbärmliche Abzug der GI’s aus Somalia zwei Jahre nach ihrem in den Medien groß herausgeputzten Einmarsch ein entsprechendes Bild liefert. Die Führungskrise der USA liefert die Erklärung dafür, weshalb andere Mächte in den US-amerikanischen Hinterhof nach Lateinamerika vorgestoßen sind:

- der Versuch der spanischen und französischen Bourgeoisie, einen ‘demokratischen Übergang’ in Kuba mit Castro zu fördern und nicht ohne ihn, wie Uncle Sam es gerne hätte.

- die Annäherung der peruanischen Bourgeoisie an Japan, die durch die Wiederwahl Fujimoris bestätigt wurde.

- die Unterstützung der Bewegung der zapatistischen Guerilla in Mexiko, durch die europäische Bourgeoisie, insbesondere seitens der Kirche.

11) Diese ernsthafte Schwächung der amerikanischen Führung kommt durch die Tatsache zum Vorschein, daß die vorherrschende Tendenz gegenwärtig nicht die einer neuen Blockbildung ist, sondern  ‘jeder kämpft für sich’. Für die erste Weltmacht, mit einer überwältigenden militärischen Überlegenheit ausgestattet, ist es viel schwerer, die durch allgemeine Instabilität geprägte Lage zu beherrschen, wo es überall nur zerbrechliche Allianzen gibt, als zu einer Zeit, wo es eine obligatorische Disziplin seitens der Staaten gab, in Anbetracht der Bedrohung durch große imperialistische Mächte und die Gefahr einer atomaren Vernichtung. In solch einer Situation der Instabilität ist es für jedes Land einfacher, für Unruhe zu sorgen und dem Gegner Ärger zu bereiten, die Bündnisse zu untergraben, die es bedrohen, als selbst solide Bündnisse aufzubauen und für Stabilität im eigenen Herrschaftsgebiet zu sorgen. Solch eine Situation fördert natürlich die Machenschaften zweitrangiger Mächte, daß es immer einfacher ist, Unruhe zu stiften als für Stabilität zu sorgen. Dies wird noch durch die Tatsache verstärkt, daß die kapitalistische Gesellschaft  immer mehr zerfällt. Deshalb werden die USA noch viel stärker diese Politik betreiben müssen. So können wir zum Beispiel die US-amerikanische Unterstützung für die neulich von der Türkei durchgeführte Offensive gegen die kurdischen Nationalisten im Nordirak erklären. Diese Offensive wurde vom traditionellen Verbündeten der Türkei, Deutschland, als eine Provokation aufgefaßt und verurteilt. Dabei handelt es sich nicht um ein ‘Ende des Bündnisses’ zwischen Deutschland und der Türkei, sondern um einen (großen) Knüppel, der diesem Bündnis in die Beine geworfen wurde und wodurch die Bedeutung der Türkei für die zwei imperialistischen Paten deutlich wurde. Diese Situation kommt auch dadurch zum Vorschein, daß die USA in einem Land wie Algerien zum Beispiel die gleichen Waffen einsetzen wie Ghaddafi oder Khomeini: Unterstützung des Terrorismus und der islamischen Fundamentalisten.  Jedoch gibt es bei der jeweiligen Praxis der Destabilisierung der Positionen der anderen durch die USA und die Rivalen keine Gleichheit. Während die US-Diplomatie es sich leisten kann, in den innenpolitischen Auseinandersetzungen in Ländern wie Italien einzugreifen (Unterstützung Berlusconis), Spanien (der GAL-Skandal wurde von den USA eingefädelt), Belgien (die Augusta-Affäre) oder Großbritannien (die Opposition gegen Major seitens der ‘Euroskeptiker’), trifft das Gegenteil nicht zu. So können die Probleme, die innerhalb der US-Bourgeoisie aufgrund des diplomatischen Scheiterns oder in den internen Debatten um umstrittene strategische Entscheidungen (z.B. um ihr Bündnis mit Rußland) auftauchen, nicht auf die gleiche Ebene gestellt werden wie die politischen Erschütterungen, die in anderen Ländern auftreten. So waren z.B. die Unstimmigkeiten anläßlich des Einsatzes von US-Truppen in Haiti hauptsächlich das Ergebnis einer Arbeitsteilung zwischen bürgerlichen Flügeln und nicht wirkliche Spaltungen innerhalb der US-Bourgeoisie.

12) Trotz ihrer gewaltigen militärischen Überlegenheit und der Tatsache, daß dieser Vorteil nicht mehr im gleichen Maße zum Einsatz kommen kann wie früher, trotz der Tatsache, daß aufgrund der Haushaltsdefizite die USA gezwungen waren, ihre Militärausgaben zu reduzieren, haben die USA die Modernisierung ihrer Rüstung nicht aufgegeben. Es werden immer neue, noch ausgefeiltere Waffensysteme entwickelt. Insbesondere wird das ‘Star Wars’ Projekt fortgesetzt. Der Einsatz oder die Androhung von schlichter Gewalt ist jetzt das Hauptmittel der USA, um die Durchsetzung ihrer Autorität sicherzustellen (obgleich sie nicht zögern, die wirtschaftliche Waffe einzusetzen, Druck auf internationale Institutionen wie die Welthandelsorganisation, Handelssanktionen usw.). Die Tatsache, daß diese Waffe sich als machtlos erwiesen hat, oder gar als Faktor herausgestellt hat, der das Chaos erhöht, wie nach dem Golfkrieg und den Ereignissen in Somalia deutlich wurde, kann nur die unüberwindbare Krise der kapitalistischen Welt bestätigen. Die Aufrüstung von Ländern wie China und Japan, die zur Zeit stattfindet, und die als Rivale der USA in Südostasien und im Pazifik auftreten, können die USA nur dazu treiben, ihre Waffen noch mehr weiterzuentwickeln und sie einzusetzen.

13) Das blutige Chaos bei den imperialistischen Beziehungen, das die Weltlage prägt, ist besonders stark entfaltet in den peripheren Ländern, aber das Beispiel des früheren Jugoslawien, das nur einige Hundert Kilometer von den großen Industriezentren Europas entfernt liegt, zeigt, daß dieses Chaos sich auch dem Zentrum Europas immer mehr nähert. Den Zehntausenden Toten in _Algerien während der letzten Jahre, der Million Toten in Ruanda müssen wir die Hunderttausenden Toten in Kroatien und Bosnien hinzufügen. Tatsächlich gibt es jetzt Dutzende von blutigen Zusammenstößen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Sie alle sind Teil dieses unbeschreiblichen Chaos, das die verfaulende kapitalistische Welt hervorbringt. So bringt die mehr oder weniger allgemeine Komplizenschaft gegenüber den Massakern in Tschetschenien, die dort von der russischen Armee verübt wurden, welche verzweifelt versucht, das Auseinanderbrechen Rußlands nach dem Auseinanderbrechen der alten UdSSR zu verhindern, die Angst der herrschenden Klasse vor dem wachsenden Chaos und zum Ausdruck. Wir müssen es deutlich sagen: nur der Sturz des Kapitalismus durch die Arbeiterklasse kann verhindern, daß dieses wachsende Chaos zur Zerstörung der Menschheit führt.

Die Perspektive des Wiedererstarkens des Klassenkampfes

14) Mehr als je zuvor stellt der Kampf des Proletariats die einzige Hoffnung für die Zukunft der Menschheit dar. Diese Kämpfe, die Ende der 60er Jahre mit großer Wucht ausgebrochen waren und die schrecklichste Konterrevolution, unter der die Arbeiterklasse zu leiden gehabt hatte, beendeten, sind in einen umfangreichen Rückfluß nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime, den damit verbundenen ideologischen Kampagnen und Ereignissen (Golfkrieg, Balkankrieg usw.) eingetreten. Der massive Rückfluß war auf zwei Ebenen deutlich zu spüren: auf der Ebene der Kampfbereitschaft und des Klassenbewußtseins, ohne daß dies jedoch gleichzeitig - wie die IKS schon damals hervorhob - den historischen Kurs hin zu Klassenzusammenstößen umgeschmissen hat. Die in den letzten Jahren vom Proletariat geführten Kämpfe haben dies bestätigt. Sie haben insbesondere seit 1992 die Fähigkeit des Proletariats unter Beweis gestellt, den Weg des Klassenkampfes wieder einzuschlagen, womit bestätigt wurde, daß der historische Kurs nicht umgekehrt wurde. Diese Kämpfe haben jedoch auch die großen Schwierigkeiten der Klasse aufgrund der Tiefe und des Ausmaßes des Rückflusses aufgezeigt. Die Arbeiterkämpfe entwickeln sich mit Fort- und Rückschritten in einer auf- und ab Bewegung.

15) Die massiven Kämpfe in Italien im Herbst 1992, 1993 in Deutschland und viele andere Beispiele haben das brachliegende Kampfpotential deutlich werden lassen, das in der Arbeiterklasse heranreift. Seitdem hat man diese Kampfbereitschaft langsam aufbrechen sehen, wiederum mit langen Ruhepausen, aber sie ist seitdem nicht verschwunden. Die massiven Mobilisierungen im Herbst 1994 in Italien, die Reihe von Streiks im öffentlichen Dienst im Frühjahr 1995 in Frankreich sind unter vielen anderen Belegen ein Ausdruck dieser Kampfbereitschaft. Aber man muß sofort darauf hinweisen, daß die Tendenz hin zur Infragestellung der Gewerkschaften, die 1992 in Italien zu sehen gewesen war, seitdem nicht bestätigt wurde; im Gegenteil: die Massendemonstration 1994 in Rom war ein Meisterwerk gewerkschaftlicher Kontrolle gewesen. Die Tendenz zur spontanen Vereinigung, die (zwar noch auf embryonale Weise) erst in Ansätzen im Herbst 1993 an der Ruhr in Deutschland zu sehen war, ist seitdem auch großen gewerkschaftlichen Manövern gewichen, wie der ‘Streik’ im Metallbereich Anfang 1995 bewies, der voll von der Bourgeoisie kontrolliert wurde. Die neulich in Frankreich stattgefundenen Streiks, die tatsächlich gewerkschaftliche Aktionstage sind, waren ein Erfolg für die Gewerkschaften.

16) Neben der Tiefe des Rückflusses seit 1989 sind die Schwierigkeiten, vor denen die Arbeiterklasse steht, um auf ihrem Boden voranzuschreiten, zurückzuführen auf eine Reihe von zusätzlichen Hindernissen, die die Feindesklasse aufgestellt und geschickt ausgenützt hat. Diese Schwierigkeiten müssen im Zusammenhang mit den negativen Auswirkungen der Phase des Zerfalls des Kapitalismus auf das Bewußtsein gesehen werden, wodurch das Selbstvertrauen der Arbeiter und auch die  Perspektive ihrer Kämpfe angekratzt wird. Die Massenarbeitslosigkeit, mittlerweile zu einem ständigen Phänomen geworden, zeigt zwar unleugbar den Bankrott des Kapitalismus auf, aber sie bringt auch eine starke Demoralisierung, eine starke Hoffnungslosigkeit unter vielen Arbeitern mit sich, von denen viele ins Abseits gedrängt werden und gar ins Lumpenproletariat überwechseln. Die Arbeitslosigkeit ist ebenfalls ein Mittel zur Erpressung und Unterdrückung durch die Bourgeoisie gegenüber den Arbeitern, die noch eine Beschäftigung haben. Das Gerede vom ‘Aufschwung’ und die wenigen positiven Ergebnisse (gemessen am Profit und Wachstum) in den Industriestaaten werden ausgeschlachtet, um den Gewerkschaften mit ihren Reden Gehör zu verschaffen, die sagen: ‘Die Arbeitgeber können zahlen, sie haben das Geld!’. Dieses Gerede ist deshalb so gefährlich, weil es die reformistischen Illusionen der Arbeiter verstärkt, und die Arbeiter damit um so anfälliger werden gegenüber den gewerkschaftlichen Kontrollversuchen. Auch steckt dahinter die Idee, ‘wenn die Bosse nicht zahlen können’, lohnt es sich nicht zu kämpfen, was wiederum ein zusätzlicher Spaltungsfaktor ist (neben der Spaltung zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten) zwischen den Beschäftigten, die in Branchen arbeiten, die von der Krise unterschiedlich erfaßt sind.

17) Diese Hindernisse haben die verstärkte Kontrolle der Gewerkschaften über die Kampfbereitschaft und deren Kanalisierung in von ihnen vollständig kontrollierten ‘Aktionen’ ermöglicht. Aber die gegenwärtigen Manöver der Gewerkschaften sind auch und vor allem ein vorbeugendes Mittel: sie müssen ihre Kontrolle über die Arbeiter ausdehnen, bevor diese ihre Kampfbereitschaft noch stärker entfalten, denn diese Kampfbereitschaft wird aufgrund der immer härteren Angriffe der Krise noch zunehmen. Auch müssen wir den veränderten Ton in den Reden einiger Teile der herrschenden Klasse sehen. Während in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch des Ostens die Kampagne mit dem Thema ‘der Kommunismus ist tot’ und ‘die Revolution ist unmöglich’ vorherrschte, hört man heute teilweise wieder ‘Lobreden’ auf den ‘Marxismus’, die ‘Revolution’, den ‘Kommunismus’ von den Vertretern der extremen politischen Linken natürlich aber auch von anderen Kreisen. Es handelt sich auch deshalb um eine vorbeugende Maßnahme seitens der Bourgeoisie, die dazu dient, die Diskussionen und das Nachdenken in der Klasse abzuwürgen, obgleich in Anbetracht des immer offener werdenden Scheiterns der kapitalistischen Produktionsform dieses Nachdenken immer mehr zunehmen wird. Die Revolutionäre müssen in ihren Interventionen  die heimtückischen Manöver der Gewerkschaften wie auch die angeblich ‘revolutionären’ Reden entblößen. Sie müssen die wirkliche Perspektive der proletarischen Revolution und des Kommunismus aufzeigen als den einzigen Ausweg zur Rettung der Menschheit und als Endergebnis der Arbeiterkämpfe.

IKS, April 1995.

 

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