Die Wahlen in Österreich – Zeichen einer Desillusionierung

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Nicht nur Kanzler Schüssel zeigte sich schockiert über den Ausgang der sicher geglaubten Wahlen (und die für österreichische Verhältnisse sehr niedrige Wahlbeteiligung). Auch international zeigten sich die Herrschenden sehr beunruhigt. Wieso aber diese Unruhe? Bei Wahlen gibt es doch stets Gewinner wie Verlierer. In der Tat, doch das scheinbar Überraschende an den Wahlen in Österreich ist die Tatsache, dass eine Regierung von der Bevölkerung „abgestraft“ wurde, die aus Sicht der Bourgeoise alles richtig gemacht hat. Auch wenn dies in den deutschen Medien kaum gesagt wurde, weil man wie eifersüchtig die „Erfolgsgeschichte“ des kleinen Bruders nur ungern erwähnte, so wird doch Österreich allgemein wie etwa Schweden als Musterland präsentiert. Österreich hat Vieles bereits umgesetzt, was in Deutschland noch kommen wird, um möglichst konkurrenzfähig zu bleiben. Reformen wurden durchgesetzt, es wurden Anreize für Unternehmen geschaffen, das jährliche Staatsdefizit entspricht den Maatrichter Kriterien und die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie lange nicht mehr. So kann man es in den bürgerlichen Medien nachlesen.

Doch die ArbeiterInnen müssen mit diesen Reformen tagtäglich leben und sehen ganz einfach, was dies konkret bedeutet: Auch wenn es der Wirtschaft besser geht, so geht es uns aber immer schlechter. Hier zeigt sich, dass große Teile der Gewinne der Unternehmen auf Senkung des Faktors Arbeitskraft (variables Kapital) beruhen. Es geht den Unternehmen also besser, wenn sie die ArbeiterInnen zu mehr unbezahlter Mehrarbeit, insbesondere zu Zeitarbeitsverträgen erpressen. Sonst droht der Verlust des Arbeitsplatzes. Selbst der ARD-Korrespondent für Österreich schreibt: „Die Arbeitslosigkeit ist beneidenswert niedrig, dafür verdienen aber auch viele Menschen wenig und nur sehr wenige viel. Und alle haben sehr unsichere Arbeitsplätze. Und sie zahlen hohe Abgaben und Steuern, während die Unternehmenssteuern gesenkt wurden.“ (Online Nachrichten ARD) Die Mär, das wenn es der Wirtschaft, den Unternehmen besser geht, es auch mehr sichere Arbeitsplätze gibt, von denen man seine Familie ernähren kann, bekommt tiefe Risse. Im Übrigen ist die Krise des Kapitalismus auch in Österreich damit keineswegs gelöst. Vielmehr sind die „Reformen“ in der einstigen „Insel der Seligen“ Ausdruck der, durch die Krise erzeugten, ungeheueren Verschärfung der internationalen Konkurrenz.

Österreich – Teil einer internationalen Entwicklung

Eigentlich sind die Wahlen ein Hauptinstrument der Herrschenden, um uns ideologisch zu bearbeiten und uns das Gefühl zu geben, dass wir mit der Stimmabgabe etwas bewirken können, doch die Wahlen in Österreich (und nicht nur dort) zeigen, dass die Überzeugung der arbeitenden Bevölkerung schwindet. Heute sehen wir mehr und mehr, dass Wahlen nicht Ausdruck einer positiven Entscheidung für eine Partei, sondern negativer Ausdruck eines Abstrafens sind. In diesem Licht muss man auch das bessere Abschneiden der rechten Randparteien sehen. Sie sind ebenfalls Teil des kapitalistischen Systems. Aber mehr Glaube an die anderen Parteien besteht oft eigentlich auch nicht.

Tatsächlich ist dies eine internationale Entwicklung. Vor wenigen Wochen erst wurde im nördlichen Musterland Schweden die „Erfolgsregierung“ um Persson ebenfalls abgestraft, denn der so genannte Erfolg geht auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung. Auch die Vorzeigeländer des ehemaligen Ostblocks Ungarn und die Slowakei brechen derzeit ein. So war der Lügenskandal in Ungarn nicht nur, dass die Bevölkerung vor den Wahlen angelogen wurde, sondern auch, dass Ungarn die Zahlen für die EU fingiert hat. Tatsächlich beträgt das jährliche Staatdefizit um die 10%! Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der arbeitenden Bevölkerung sind dort besonders hart.

Wie überraschend war das Wahlergebnis in Österreich also wirklich? Vieles spricht dafür, dass die sozialdemokratische SPÖ – die Hauptgewinnerin dieser Wahl – weniger überrascht war als die Anführerin der abgelösten Regierungskoalition, die ÖVP. Jedenfalls war es auffallend, dass die SPÖ allen für sie negativen Umfragen zum trotz zuversichtlich in den Wahlkampf zog. Die Wahlen sind vor allem für die traditionell konservativen Fraktionen wie die ÖVP in Österreich oder die Fraktion um Merkel in Deutschland als Stimmungsbarometer von Bedeutung, während die Sozialdemokraten mittels ihrer Verbindung zu den Gewerkschaften über viel bessere und kontinuierlicher arbeitende Überwacher der Stimmungen innerhalb der Arbeiterklasse verfügen. So scheint die ÖVP erst nach der Wahl begriffen zu haben, dass der Vormarsch der Krise heute ein anderes ideologisches Vorgehen nötig macht, welches die Verarmung der arbeitenden Bevölkerung nicht mehr einfach leugnet.

Zugleich zeigt das Wahrergebnis, dass es der österreichischen Bourgeoisie nicht gelungen ist, die Partei Jörg Haiders als relativ verantwortungslosen, populistisch-politischen Ausdruck der herrschenden Klasse durch die Regierungsbeteiligung zu bändigen. Heute gibt es nicht eine, sondern gleich zwei solcher Parteien. Dennoch: Die Wahlen haben vor allem gezeigt, dass das Proletariat zwar Illusionen gegenüber der kapitalistischen Krise einbüsst, dass aber die Täuschungsmittel der Demokratie selbst – der sinkenden Wahlbeteiligung zum trotz – immer noch gut funktioniert. Denn das „Abstrafen“ tut zwar den abgestraften Politikern weh, nicht aber der herrschenden Klasse insgesamt. Aber auch damit kann man die Bevölkerung für die Stimmabgabe mobilisieren und vom Wege des Klassenkampfes ablenken. Und das Auftreten der Haiderpartei sowie der ehemaligen Haiderpartei FPÖ erlaubt der Bourgeoisie einerseits durch eine ganz offen ausländerfeindliche Hetze die Arbeiterklasse zu spalten, und gleichzeitig eine „anti-faschistische“ Anti-Haider-Stimmung zu erzeugen, welche Stimmung für die bürgerliche Demokratie macht.

Dies zeigt, dass die Abstrafung der Regierung in Österreich durch die Arbeiterklasse Teil einer allgemeinen und wichtigen Entwicklung ist. In den Medien wurde darüber spekuliert, ob Schüssel den Fehler gemacht hat, alles schön zu reden. Er hätte lieber der Bevölkerung die Wahrheit sagen sollen. Da muss man unwillkürlich an die Wahlstrategie Merkels denken, die aus einer zwischenzeitlichen absoluten Mehrheit in den Umfragen, dank eben dieser „Wahrheitsstrategie“ beinahe noch die Wahlen verloren hätte. Dies zeigt das Dilemma der Herrschenden. Wie soll man diese gesellschaftliche Sackgasse am Besten verkaufen, so dass die Arbeiterklasse all diese Angriffe selbstgenügsam erträgt? Wichtig für uns ist aber das Erkennen, dass die soziale Frage wieder in den Blickpunkt tritt. Es handelt sich um ein allmähliches Dämmern bei der arbeitenden Bevölkerung, dass diese Gesellschaftsordnung eine Sackgasse bedeutet. Die Desillusionierung und die Unzufriedenheit über die Wahlen und über das kapitalistische System insgesamt wachsen. Erst 2003 gab es in Österreich ja große Proteste gegen die so genannte Rentenreform. Der Kampfeswille der Arbeiterklasse ist also keine große Unbekannte.

IKS, 10.10.2006

 

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