Diskussionsveranstaltung: Ist der Kommunismus möglich?

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 Am 25. Mai 1992 lud die IKS erneut zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung nach Köln ein. Dieses Mal lautete das Thema: "Ist der Kommunismus möglich oder nicht?". Obwohl es sicherlich keine Massenveranstaltung war, zeugte die Tat­sache, daß relativ viele Leute aus den ver­schiedensten Orten dafür von weit her an­gereist waren, davon, daß bei ihnen die bürgerliche Lüge, derzufolge im zusam­mengebrochenen Osten der Kommunismus Schiffbruch erlitten habe, trotzdem nicht ankommt. Der Versuch, jeglichen Ansatz einer marxistischen Diskussion über eine klassenlose Gesellschaft zu überstimmen, gelingt bei ihnen nicht.

WARUM DER KOMMUNISMUS MÖGLICH IST

Das Einleitungsre­ferat der IKS zeigte auf, daß der Kommu­nismus keine Erfindung von Marx ist, sondern als Idee so alt ist wie die Klassen­gesellschaft selbst. Aber die Träume der ausgebeuteten Klassen von einer Welt ohne Ausbeutung waren nicht realisierbar, weil jahrtausendelang die wirtschaftliche Vorbedingung dafür, d.h. die Produktivität der menschlichen Arbeit, nicht aus­reichte. Wie der Marxismus aufzeigt, kann die Klassengesellschaft nur dadurch über­wunden werden, indem der Kampf ums Dasein durch die Überwindung des Man­gels und die Herstellung eines Überflusses an den lebensnotwendigen Dingen über­flüssig wird. Damit hat paradoxerweise erst der Kapitalismus die Voraussetzungen für den Kommunismus geschaffen. Dies sind vornehmlich zwei:

- die revolutionäre Steigerung der Produk­tivität

- sowie das Entstehen einer revolutio­nären, zugleich ausgebeuteten Klasse, das Proletariat - und dies auf Weltebene.

Erst der Kapitalismus schuf die Vorausset­zung einer kommunistischen Weltgesell­schaft, indem sie eine gegenseitige Abhän­gigkeit aller Weltteile voneinander herbei­führte. Und deshalb gehört es zu den er­sten Prinzipien des Marxismus, daß die kommunistische Revolution nur auf Weltebene siegen kann. Deshalb führte trotz der Machtergreifung der Arbeiter­klasse 1917 in Rußland vor allem die Nie­derlage der Weltrevolution (insbesondere das Scheitern der Ausdehnung nach Deutschland) notwendigerweise zur bür­gerlichen Konterrevolution innerhalb Rußlands und später auch international. Die Tatsache, daß diese Konterrevolution nicht von "Außen" kam (die gegen das Proletariat in Rußland einfallenden weißen Armeen wurden zurückgeworfen), sondern durch eine Entartung von Innen, unter Beibehaltung des Namens und der Sprache der Revolution, gibt der herrschenden Klasse heute die Möglichkeit, den Zu­sammenbruch des Stalinismus als das Scheitern des Kommunismus und des Marxismus schlechthin zu verkaufen. In Wirklichkeit war der Stalinismus der Hen­ker der kommunistischen Revolution. Und sein aufgrund der Isolation Rußlands un­vermeidbarer Sieg bestätigte in Wirklich­keit die These des Marxismus, daß die Revolution nur weltweit siegen kann. Heute, so wurde am Ende des Referates betont, gehört von daher die Verteidigung der Perspektive des Kommunismus gegen die Verleumdungen der Herrschenden zu den vorrangigsten Aufgaben der Marxi­sten.

In der anschließenden Diskussion be­merkte einer der Teilnehmer geradeheraus, er sei erstaunt darüber, daß man es heute überhaupt noch wagt, in der Öffentlichkeit über dieses Thema zu reden. Und er zwei­felte an dem Nutzen einer solchen Diskussion. Denn selbst wenn es stimmt, daß das Fiasko des Stalinismus den Kommunismus nicht trifft, so ist diese Gleichsetzung von Stalinismus und Kommunismus in den Köpfen fast aller Arbeiter der Welt heute so vollständig, daß diese Perspektive auf ewig abgeschrieben erscheint.

SOZIALISMUS ODER BARBAREI

Die Erwiderungen darauf bestritten kei­neswegs die gegenwärtigen Auswirkungen dieser antikommunistischen Kampagne in den Köpfen der Arbeiter. Es wurde aber entschieden bestritten, daß dadurch der Kommunismus und der Marxismus auf alle Ewigkeit hin erledigt seien. Zum einen wurde darauf hingewiesen, daß durch den Zusammenbruch des Ostens und dem da­mit verbundenen ideologischen Sieg des Kapitals der Klassenkampf keineswegs be­seitigt worden ist. Im Gegenteil: der Klas­senkampf besteht weiterhin als unaus­löschbarer Ausdruck des Gespaltenseins dieser Gesellschaft in einander feindlich gegenüberstehende Klassen. Mit der ge­genwärtigen Verschärfung der Krise des Kapitalismus können diese Klassengegen­sätze nur zunehmen. Damit wäre es aber mehr als verfrüht, den Marxismus endgül­tig abschreiben zu wollen. Denn der Mar­xismus ist die Theorie des Klassen­kampfes vom Standpunkt des Proletariats aus gesehen. Und der Kommunismus sei­nerseits als gesellschaftliches Ziel ist das Resultat der Existenz der Arbeiterklasse als eigenständige Klasse mit Interessen, welche innerhalb des Kapitalismus nicht erfüllt werden können. Zudem: egal wie die Arbeiter heute darüber denken, und egal ob sie den Stalinismus für ein Kind des Marxismus halten oder nicht, wird der Kapitalismus in seiner westlichen Spielart sich als ebenso bankrottes Gesellschaftssy­stem erweisen. Millionen von Arbeiter werden in den kommenden Jahren wahr­nehmen und begreifen müssen, daß der Kapitalismus gerade in seiner "klassischen" marktwirtschaftlichen Form nicht nur unfähig ist, die Probleme der Menschheit zu lösen, sondern nicht mal imstande ist, das Überleben der Mensch­heit zu sichern, sondern es immer mehr bedroht. Sobald diese Tatsache für die Masse der Arbeiter offensichtlich wird, wird auch die Notwendigkeit, Lösungen außerhalb des Systems zu suchen, zur Massenfrage. In Wahrheit ist es die Situa­tion des Kapitalismus selbst, welche die Frage des Kommunismus stellt, und nicht etwa eine Handvoll "ewig gestriger Marxi­sten". Die Frage nach einer Gesellschaft, die diese Barbarei überwindet, also eine neue Gesellschaft, d.h. der Kommunis­mus, ist das aktuellste und brennendste Thema der Menschheit überhaupt. Dies bleibt auch dann der Fall, wenn die mei­sten Arbeiter dies noch nicht erkannt ha­ben. Wie ein Teilnehmer anmerkte, geht es heute für die Menschheit um die Alter­native "Sozialismus oder Barbarei", "Weltrevolution oder Niedergang". Es gibt keine dritte Alternative.

NUR DER KOMMUNISMUS KANN DIE HEUTIGEN PROBLEME DER MENSCHHEIT LÖSEN

Bei einem anderen Teil der Diskussion ging es darum aufzuzeigen, daß der Kom­munismus nicht nur eine Notwendigkeit darstellt, sondern auch möglich ist. Das alte Argument, der Kommunismus sei nicht möglich, weil die Menschen "schlecht" und die Gesellschaft "zu kom­pliziert geworden" ist, feiert heute neue Triumphe. Auch hier stellt man gerne Strohpuppen auf, d.h. Argumente, die mit dem Marxismus nichts zu tun haben, um sie dann triumphierend umzuwerfen. Der Marxismus ist nämlich niemals davon aus­gegangen, daß die Menschen "von Grund auf gut" sind. Der Marxismus weiß sehr wohl, den Menschen in seiner Wider­sprüchlichkeit zu sehen. Und er weiß aus der Geschichte nur allzu gut, zu welchen Grausamkeiten die Gattung Mensch im­stande ist. Es war gerade das Verdienst von Marx, darauf hinzuweisen, daß es unmöglich ist, eine klassenlose Gesell­schaft durch Appelle an menschliche Güte herbeizuführen. Der Kommunismus kann nur dann zur Möglichkeit werden, wenn der Existenzkampf durch die Befreiung der Produktivkräfte von den Fesseln des Ka­pitalismus überflüssig und hinfällig wird. Ebenso wenig läßt der Marxismus die Komplexität der heutigen Gesellschaft au­ßer Acht. Und er will nicht diese Komple­xität abschaffen, sondern die Anarchie der kapitalistischen Marktgesetze. Als Beispiel für die Möglichkeit des Kommunismus heute wurde unter anderem das Beispiel Widerspruch zwischen Stadt und Land aufgeführt. Die Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land ist eine der am frühesten in der Menschheitsgeschichte entstandenen Teilung. In der vorkapitalistischen Gesell­schaft war die Stadt der Herrschaft des Landes und der Agrarwirtschaft unterwor­fen. Erst der Kapitalismus hat dieses Ver­hältnis völlig umgekehrt. Durch die Zen­tralisierung der Produktion und durch die Konzentration der Produktionsmittel in Riesenfabriken und der Reichtümer der Gesellschaft in akkumulierendes Privatka­pital entstand die hochzentralisierte Welt von heute. Die Rohstoffe, Transportmittel, die Arbeitskräfte usw., alles wurde dort zusammengeballt, wo die kapitalistische Produktion stattfand. Aber dieser Fort­schritt hat neue, im Rahmen des Kapita­lismus schier unlösbare Probleme und Wi­dersprüche herbeigeführt. Dies sind unter anderem die Entstehung der Megastädte, der Massenverarmung auf dem Lande und die damit verbundene Landflucht, sowie die Entwicklung eines weltweit gespann­ten, aber immer anarchischer, auf die Umwelt sich verheerend auswirkendes Transportsystem.

Auf der Umweltmesse zur Umweltkonfe­renz von Rio werden gegenwärtig biologi­sche und ökologische Technik und Wis­senschaft vorgestellt, die es auf modernste Weise ermöglichen, auf höchster Produk­tivitätsstufe alle Bedürfnisse der Mensch­heit im Agrarbereich wieder direkt von Bauern, wie im Mittelalter, herstellen zu lassen. Dadurch kann nicht nur die Menschheit ohne Zerstörung der Umwelt ausreichend ernährt werden, sondern der Gegensatz zwischen Stadt und Land mit all seinen verheerenden Folgen aufgehoben werden. Aber wie diese Unternehmer sel­ber beklagen: sie kommen nicht zum Zuge, weil diese Umwandlung der Gesell­schaft von den mächtigen Kapitalinteressen abgewürgt wird. Während früher gerne die These von Marx, daß im Kommunismus der Gegensatz zwischen Stadt und Land aufgehoben werden muß, als schlagendster Beweis benutzt wurde, um zu behaupten, der "Mann sei ein wirklichkeitsfremder Träumer", stellt sich jetzt unleugbar her­aus, wer die wirklichen Utopisten sind. Es sind nämlich diejenigen, die diese und alle anderen brennenden Probleme der Menschheit INNERHALB des Kapitalis­mus glauben zu lösen können.

KOMMUNISMUS KANN NUR DAS WERK DER ARBEITERKLASSE SEIN

Gegen Ende des Treffens wurde folgende Frage "provokativ" an uns gerichtet: "Wenn ihr die Lösung habt, warum habt ihr dann keine größere Anhängerschaft?" Nun, die Kommunisten sind keine bürger­lichen Marktschreier, die nur zu verkün­den brauchen: "Wählt uns, damit wir eure Probleme für euch lösen können". Im Ge­genteil. Die Kommunisten verkünden sehr unbequeme Wahrheiten, welche die mei­sten nicht gerne hören möchten und viel­leicht gar erst mal abschrecken. Wir sa­gen: es gibt unmittelbar hier und heute keine Lösungen für die Probleme der Menschheit. Diese Probleme können in­nerhalb des bestehenden Systems über­haupt nicht gelöst werden. Kein einziges dieser Probleme kann im nationalen Rah­men gelöst werden. Mehr noch: die Kom­munisten haben zwar eine Perspektive zu verteidigen, aber sie haben keine Lösun­gen. Denn nur die Arbeiterklasse kann diese gigantische Aufgabe der Umwand­lung der Gesellschaft in Angriff nehmen. Und weil die Arbeiterklasse keine wirt­schaftliche Macht innerhalb dieser Gesell­schaft besitzt, kann die Lösung der Pro­bleme auch nur beginnen durch die welt­weite Machtergreifung durch die Arbeiter­räte. Der wissenschaftliche Sozialismus, im Gegensatz zum vormarxistischen utopi­schen Sozialismus hält überhaupt nichts von ausgetüftelten Projekten, wie die Zu­kunftsgesellschaft auszusehen habe. Der Kommunismus, wie Engels sagte, ist die "Lehre von der Befreiung des Proleta­riats". Deshalb waren wir auch nicht ein­verstanden mit einem in der Diskussion aufgekommenen Vorschlag, daß wir uns zuerst darauf zu einigen haben, wie diese Zukunftsgesellschaft auszusehen hat. Richtig an dieser Sorge war natürlich die Vorrangigkeit, inhaltliche Fragen zu klä­ren. Aber das Ziel des Kommunismus können wir nur in den groben Zügen, so­zusagen negativ definieren. D.h. als Ab­grenzung gegenüber dem, was es nicht ist, oder keinesfalls sein darf - z.B. der Stali­nismus, d.h. Staatskapitalismus wie in der ehemaligen UdSSR. Aber der Kommunis­mus kann nur das Werk der Arbeitermas­sen sein. Er kann nur entstehen durch die Kreativität und kollektive Mitarbeit von Millionen und Abermillionen. Von daher - wie auch bei dieser Veranstaltung - ist die Frage des Kommunismus untrennbar mit einem anderen Grundsatz des Marxismus verbunden, daß die Arbeiterklasse heute noch die revolutionäre Kraft in dieser Ge­sellschaft darstellt.

DIE AUFGABEN DER KOMMUNISTEN

Am Ende wurde auch die Frage nach dem Zweck dieser Diskussion gestellt. Und wofür müssen es denn überhaupt Kommu­nisten geben? Wie oben aufgezeigt, wird notwendigerweise durch den Zusammen­bruch des Kapitalismus die Frage nach ei­nem Ausweg sich stellen müssen, welche über den Kapitalismus hinausführt. Aber diese Frage bedeutet keineswegs, daß automatisch auch eine Antwort darauf ge­funden werden könne. Es besteht die Ge­fahr, daß die Arbeiterklasse im entschei­denden Augenblick nicht in der Lage sein mag, eine Alternative zum Kapitalismus finden zu können. Und ein solches Versa­gen müßte aufs engste damit zusammen­hängen, daß die Perspektive des Kommu­nismus und des Marxismus durch die bür­gerliche Gleichsetzung mit dem Stalinis­mus zu stark in Mißkredit geraten ist. Von daher wird es für die Menschheit lebens­notwendig sein, daß es in einer solchen Situation Marxisten gibt, die gegenüber dem Suchen der Millionen von Arbeitern in der Lage sein werden, die Perspektive des Kommunismus deutlich und überzeu­gend verteidigen zu können. Um uns auf diese Aufgabe vorzubereiten, dazu dienen Auseinandersetzungen wie bei dieser Dis­kussionsveranstaltung.