Oktoberrevolution 1917: Das in den Arbeiterräten organisierte Proletariat übernimmt die Macht

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Der Haß der Weltbourgeoisie auf die Russische Revolution, auf die Machtübernahme durch die Arbeitermassen, die im Oktober 1917 in ihren Arbeiterräten  organisiert waren, entsprach der gewaltigen Hoffnung und dem Echo, das dieses grandiose Ereignis in der Weltarbeiterklasse hervorgerufen hat. Deshalb versuchen seit nunmehr 80 Jahren die Vertreter der herrschenden Klasse, ihre Historiker und Ideologen besessen die wirkliche Bedeutung dieser ersten bewußten Revolution der Geschichte der Menschheit zu entstellen.

Die Sowjets - Speerspitze des Wegs zur Machtübernahme

Wir haben schon in unserer Presse über die verschiedenen Etappen des revolutionären Prozesses berichtet, der Anfang Februar 1917 in Rußland anfing.(1) Infolge der schrecklichen Leiden, den der imperialistische Weltkrieg seit mehr als zweieinhalb Jahren den ärmsten Schichten der Bevölkerung auferlegte, nämlich der Bauernschaft und der Arbeiterklasse, infolge der Massaker, zu deren Zielscheibe sie an der Front geworden waren, hatte der Aufstand der Arbeiter und Soldaten in Petrograd innerhalb von wenigen Tagen das Zarenregime beiseitegefegt. Aber weder die Organisation noch das Bewußtsein der Arbeiterklasse noch der Grad der politischen Schwächung der Bourgeoisie reichten aus, dem Proletariat die Macht zu übertragen. Die Macht war von 'demokratischen' und 'liberalen' Teilen der Bourgeoisie an sich gerissen worden, mit der 'provisorischen Regierung' an ihrer Spitze, die für die Fortsetzung des imperialistischen Krieges durch Rußland eintrat und sich eifrig an ihm beteiligte. Mehrere Monate lang herrschten innerhalb der Arbeiterklasse und auch innerhalb der Bolschewistischen Partei Illusionen über diese Regierung vor, die die Erarbeitung klarer Perspektiven über den weiter einzuschlagenden Weg verhinderten. Erst von April an, nachdem Lenin seine Thesen 'Über die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution' (2) vorgelegt hatte, wurde diese Perspektive von den Bolschewiki aufgezeigt: der Sturz der provisorischen Regierung, Übernahme der Macht durch die Arbeiterräte als erster Schritt der proletarischen Weltrevolution. Zu diesem Zeitpunkt vertraten nur die am meisten fortgeschrittenen Teile der Klasse solch eine Perspektive. Die neue, am 18. Juni von der provisorischen Regierung eingeleitete militärische Offensive verschärfte die Wut der in den Arbeiterräten der Hauptstadt organisierten Massen und führte zu den aufständischen Tagen des Juli 1917. Aber dieser verfrühte Aufstand in Petrograd war eine von der Bourgeoisie gestellte Falle. Die Bourgeoisie versuchte das Proletariat der Hauptstadt für das Scheitern der militärischen Offensive verantwortlich zu machen, um militärisch gegen die Arbeiter und die Bolschewiki vorzugehen, während die Bedingungen für die Revolution in den anderen Landesteilen noch nicht reif waren. Gegenüber dieser mächtigen Bewegung schafften es die Bolschewiki, die sich ihres verfrühten Charakters bewußt waren, deren Spitze zu übernehmen, und einen verfrühten Aufstand zu verhindern, der für den weiteren Fortschritt des revolutionären Prozesses fatal gewesen wäre. Dennoch folgte eine brutale Repression, die trotz alledem relativ begrenzt war; die Bolschewiki wurden für illegal erklärt, Lenin beschuldigt, im Dienste der deutschen Regierung zu stehen, womit man den Ruf der Bolschewiki in den Augen der Arbeiterklasse schädigen wollte.(3)

Die Juli-Niederlage trieb die Bourgeoisie zwischen August und September dazu, dem 'revolutionären Schreckgespenst' den Garaus zu machen. Sie teilte sich diese Drecksarbeit auf zwischen dem 'demokratischen' Block um Kerenski und dem offen reaktionären Block um Kornilow, dem Armeechef. Sie organisierte dessen Staatsstreich, bei dem Kosakenregimenter und Truppen aus dem Kaukasus mitwirkten, die der bürgerlichen Macht noch treu geblieben zu sein schienen und die gegen Petrograd geschickt werden sollten. Die Mobilisierung der Arbeitermassen, die Weigerung der Soldaten, Kornilows Anweisungen zu folgen, führte zum Scheitern dieses Putsches. 'Der verfehlte Staatsstreich Kornilows bewirkte eine neue Mobilisierung des Proletariats; die Lage spitzte sich weiter zu, bis sie gar für die Arbeiterklasse wegen der immer größeren Entbehrungen immer verzweifelter wurde. Auch für die Bauern spitzte sich die Lage zu, denn die von den an der Macht befindlichen Sozialrevolutionären versprochene Agrarrevolution wurde immer wieder verschoben. Sie spitzte sich schließlich in der Armee und in der Flotte zu, die im Dienste der Feindesklasse einen aussichtslosen Krieg fortsetzen sollten.' (Victor Serge, Das Jahr Eins der Russischen Revolution) Dieses Wiedererstarken der Arbeitermobilisierung seit Mitte August drehte sich um die Erneuerung der Sowjets, die von den bürgerlichen Kräften der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre verzerrt und untergraben worden waren. Die Arbeiter waren immer mehr überzeugt, daß sie nicht mehr ihren Interessen entsprachen. Eine intensive Aktivität entfaltete sich in den Arbeitermassen und in den Sowjets, Resolutionen wurden verabschiedet, die zur Wahl von revolutionären Mehrheiten führten, die aus bolschewistischen Delegierten, internationalistischen Menschewiki, linken Sozialrevolutionären (in Helsingfor, Ural, Kronstadt, Reval, der Ostseeflotte usw.) bestanden. Am 31. August in Petrograd und Anfang September in Moskau verbuchten die Anträge der Bolschewiki zum ersten Mal eine Mehrheit. Die Bedingungen für die Revolution waren gereift. Von Mitte September an wurden immer mehr Resolutionen von den örtlichen oder regionalen Sowjets (Kronstadt, Jekaterinburg usw.) verabschiedet, die die Machtübernahme forderten. Von seinem Versteck in Finnland aus rief Lenin das Zentralkomitee der Bolschewiki dazu auf, sofort alles auf die Vorbereitung der Räte für den Aufstand auszurichten, bevor es der Bourgeoisie gelingen sollte, sich wieder zusammenzufinden und eine neue Konteroffensive im Stile der Kornilowschen zu starten. Trotz eines anfänglich starken Widerstandes innerhalb des Zentralkomitees der Bolschewiki wurde am 10. Oktober eine Resolution zur unmittelbaren Vorbereitung des Aufstands verabschiedet. Von diesem Zeitpunkt an wurde eine systematische Agitation zugunsten des Aufstands in den Fabriken, den Kasernen, den Versammlungen, den Sowjettreffen betrieben. Am Vorabend, am 9. Oktober, war das MRK (Militärisches Revolutionskomitee) des Petrograder Sowjets mit Trotzki an seiner Spitze gebildet worden, dessen Aufgabe in der 'Verteidigung der Hauptstadt mit aktiver Unterstützung der Arbeiter bestand.'

Im Gegensatz zu den heimtückischen Bezichtigungen der verschiedensten Teile der Bourgeoisie bezüglich eines sogenannten Komplotts und Putsches, unterstreichen wir den massiven, offenen und kollektiven Entscheidungsprozeß und den Willen der Arbeiter, die mit den Bolschewiki in ihren Reihen den Aufstand in Angriff genommen haben. Dies bringt die schöpferische Initiative der Massen zum Ausdruck, die angetrieben wurden durch die bewußte Verzögerungstaktik der provisorischen Regierung gegenüber ihren nie eingehaltenen Versprechungen, durch die nie dagewesene Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiter und Bauernmassen. Die Revolten der Bauern im September waren ein wichtiger Schritt  der revolutionären Reifung und ließen sie auf die Seite der Arbeiter überwechseln. Die ganze Reifung war möglich dank einer einfachen und bewundernswerten Organisation, dank Diskussionen und Debatten, die Resolutionen hervorbrachten, in denen das von den Massen erreichte Bewußtsein zusammengefaßt wurde. Dabei wurde nicht mit Zwang und Druck, sondern mit Überzeugung gearbeitet. Die kurz bevorstehende Auslösung des Aufstands war ein offenes Geheimnis für jeden: der Kongreß der Sowjets der nördlichen Region, der vom 11.-13. Oktober zusammentrat, rief offen zum Aufstand auf, ebenso in Minsk, der sich gleichermaßen äußerte.

Die Ereignisse des Oktober 1917

Am 22. Oktober war die 'Tagung des Petrograder Sowjets' vorgesehen. Bei diesem Anlaß strömten gewaltige Arbeiter- und Soldatenmassen an verschiedenen öffentlichen Plätzen zusammen, um sich an Versammlungen zu beteiligen, wo die am meisten aufgestellten Forderungen lauteten: 'Nieder mit der Kerenski-Regierung', 'Nieder mit dem Krieg', 'Alle Macht den Räten'. Es war ein gigantischer Aufmarsch, wo Arbeiter, Beschäftigte, Soldaten, Frauen, Kinder offen ihre Bereitschaft zum Aufstand äußerten. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre und die anderen bürgerlichen Kräfte täuschten sich nicht bei der Unvermeidbarkeit der Endphase der Revolution, die die Machtübernahme durch die Arbeiterräte darstellte. Ein letztes Mal schafften sie es, die Abhaltung des 2. Allrussischen Sowjetkongresses, dessen Tagung anfänglich für den 15. Oktober vorgesehen war, auf den 25. Oktober zu verschieben, d.h. ein Aufschub um 10 Tage. 'Damit legen Sie das Datum der Revolution fest' - sagten die Menschewiki den Bolschewiki, was die ungeheure Lüge eines angeblich geheim vorbereiteten Putsches aufgedeckt! Schließlich überschlugen sich die Ereignisse: am 23. Oktober setzte das Militärische Revolutionskomitee (MRK) zur Eroberung der noch zögernden Truppen an, insbesondere der Truppen der Peter-Paul-Festung; am 24. Oktober wurden die entscheidenden Positionen der Macht (die Telefonzentrale, die Staatsbank usw.) übernommen. Schließlich wurde wie vorgesehen am 25. Oktober die Provisorische Regierung im Winterpalast umzingelt, womit der 2. Sowjetkongreß die Macht übernehmen konnte. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Bourgeoisie ergriffen die Bolschewiki nicht die Macht im Rücken des Sowjetkongresses und sie stellten ihn auch nicht vor vollendete Tatsachen. Wie wir in der Internationalen Revue Nr. 15 schrieben: 'So schuf das Proletariat selbst die Kraft, die Mittel - die allgemeine Bewaffnung der Arbeiter, die Bildung des MRK, der Aufstand - damit der Sowjetkongreß wirklich die Macht übernehmen könnte. Hätte der Kongreß der Sowjets entschieden, die 'Macht zu übernehmen', ohne vorher diese Maßnahmen durchzuführen, wäre dies nur eine leere, inhaltslose Geste geblieben, die leicht durch die Feinde der Revolution hätte zerschlagen werden können. Es ist nicht möglich, den Aufstand als eine isolierte, formale Handlung zu betrachten. Er muß als Teil einer umfassenden Dynamik der ganzen Klasse gesehen werden, konkret in einem Prozeß auf internationaler Ebene, auf der sich die Bedingungen für die Revolution entwickelten. Aber auch in Rußland, wo unzählige örtliche Sowjets die Machtergreifung forderten: die Sowjets von Petrograd, Moskau, Tula, im Ural, in Sibirien, in Jukow - führten sie den siegreichen Aufstand gemeinsam durch.' (Internationale Revue Nr. 15, S. 9)

Die Rolle der Bolschewistischen Partei

Während der Aufstand das Werk der Sowjets war, hätten sie diesen nie erfolgreich durchführen können, wenn die Bolschewistische Partei nicht eine entscheidende Rolle gespielt hätte, denn während des ganzen revolutionären Prozesses hat diese in Symbiose mit der ganzen Klasse gehandelt. Ihr Handeln richtete sich vor allem aus auf die zentrale Achse der Entwicklung des Klassenbewußtseins: 'ein geduldiges Bestreben der Klärung des Bewußtseinsprozesses des Proletariats und des Zusammengehens der Arbeiter in den Städten mit den Arbeitern vom Land.' Gleichzeitig vertrauten sie der Fähigkeit des Proletariats sich zusammenzuschließen und sich selbst zu organisieren. 'Glaubt nicht an Worte. Laßt euch nicht von Versprechungen ködern. Überschätzt eure Kräfte nicht. Organisiert euch in jedem Betrieb, in jedem Regiment, in jeder Kompanie, in jedem Häuserblock. Arbeitet täglich und stündlich an der Organisation, arbeitet daran selber, diese Arbeit darf man niemand anderem anvertrauen.' (Lenin, Einleitung zu den Resolutionen der 7. Gesamtrussischen Konferenz der SDAPR, Bd. 2, S. 156)

Der Sieg der Revolution ist darauf zurückzuführen, daß die Bolschewiki die Interessen der Arbeiterklasse erkannt und aufgegriffen hatten. Im Gegensatz zur Bourgeoisie und deren spezifischem Platz in der Gesellschaft besitzt das Proletariat keine ökonomischen oder politischen Machtbasen in der Gesellschaft. Seine einzigen Waffen sind sein Bewußtsein (die das Ergebnis der Lehren sind, die aus seiner historischen Erfahrung des Kampfes gegen den Kapitalismus hervorgehen und als aktiver Faktor in diesem Kampf wirken) und seine Organisation (einerseits seine Einheitsorgane, die Arbeiterräte, und andererseits seine politischen Organisationen, die Partei, die die bewußtesten Elemente zusammenfaßt). Die später eintretende Niederlage der in Rußland begonnenen Revolution ist in erster Linie auf die Niederlage der Weltrevolution (hauptsächlich das Scheitern der Revolution in Deutschland) zurückzuführen und auf die Isolierung der ersten proletarischen Bastion. Hinsichtlich der Kunst des Aufstandes sagte Lenin.

'Um erfolgreich zu sein, darf sich der Aufstand nicht auf eine Verschwörung, nicht auf eine Partei stützen; er muß sich auf die fortgeschrittenste Klasse stützen. Dies zum ersten. Der Aufstand muß sich auf den revolutionären Aufschwung des Volkes stützen. Dies zum zweiten. Der Aufstand muß sich auf einen solchen Wendepunkt in der Geschichte der anwachsenden Revolution stützen, wo die Aktivität der vordersten Reihen des Volkes am größten ist, wo die Schwankungen in den Reihen der Feinde und in den Reihen der schwachen, halben, unentschlossenen Freunde der Revolution am stärksten sind. Dies zum dritten. Durch diese drei Bedingungen eben unterscheidet sich der Marxismus in der Behandlung der Frage des Aufstands vom Blanquismus.' Lenin, Marxismus und Aufstand, Ges. Werke, Bd. 26, S.5, 13.Sept. 1917) In dieser Hinsicht lebt der proletarische Oktober weiterhin durch das Beispiel, das er uns durch die Notwendigkeit, die Möglichkeit und die Mittel  liefert, um die kommunistische Weltrevolution zu verwirklichen.

Der Zusammenbruch des Ostblocks 1989 hat die Entfaltung der Lügen über die proletarische Oktoberrevolution von 1917 verstärkt. Die heimtückischste dieser Lügen ist, daß der Zusammenbruch der Regime im Ostblock, dieses endgültige Scheitern des Stalinismus, das Scheitern der Oktoberrevolution von 1917 gewesen wäre. 'Der Kommunismus ist tot' - wiederholen sie unaufhörlich. Indem sie den Kommunismus mit dem Stalinismus gleichsetzen, wobei der Stalinismus doch nur der Totengräber der Revolution war und eine besonders dekadente Form des Kapitalismus, blasen die Demokraten und Stalinisten sowie die trotzkistischen Gruppen unabhängig von ihren jeweiligen Gegensätzen ins gleiche Horn und bilden somit eine heilige Allianz, um den Arbeitern einzubleuen, daß trotz all seiner Entartungen der Sozialismus in Osteuropa geherrscht habe. Die Bourgeoisie versucht deshalb mit allen Mitteln heute diese unglaubliche Lüge aufrechtzuerhalten. Sie muß den Arbeitern unbedingt eintrichtern, daß es außerhalb des Kapitalismus keine Lösung geben kann. Wenn der bürgerlichen Propaganda zufolge Revolution gleich Gulag bedeutet, dann weil der Oktober 1917 nichts anderes als ein Staatsstreich war, der von den 'bösen Bolschewiki' angezettelt wurde. Diese zynische Verfälschung zeigt auf, in welchem Maße die Weltbourgeoisie vor allem die Wiederholung des Oktobers fürchtet, wo Millionen von Proletarier und in ihrem Fahrwasser alle anderen ausgebeuteten Schichten der Gesellschaft, es schafften, sich zu bewußt zu vereinigen und gemeinsam zu handeln, um Meister ihres eigenen Schicksals zu werden. Tatsächlich bleibt die Oktoberrevolution von 1917 in Rußland und die ihre nachfolgende weltweite revolutionäre Welle Anfang der 20er Jahre bis heute der einzige Zeitpunkt der Geschichte, wo die bürgerliche Herrschaft von der Arbeiterklasse gestürzt wurde (in Rußland 1917) oder von ihr wirklich bedroht wurde (wie in Deutschland 1919).     SB

Geschichte der Arbeiterbewegung: