Die Theorie der Dekadenz im Zentrum des historischen Materialismus

Printer-friendly version

Von Marx zur Kommunistischen Linken: Die Positionen der 3. Internationale

Im ersten Artikel dieser Serie, der in der Internationalen Revue Nr. 34 veröffentlicht wurde, zeigten wir, dass die Dekadenztheorie sich im eigentlichen Zentrum des historischen Materialismus bei der Analyse der Evolution der Produktionsweisen durch Marx und Engels befindet. Sie steht an zentraler Stelle in den programmatischen Texten der Organisationen der Arbeiterbewegung. Im zweiten Artikel, der in der Internationalen Revue Nr. 35 erschien, sahen wir, wie die Organisationen der Arbeiterbewegung, beginnend mit der Zeit von Marx und Engels über die Zweite Internationale und ihre marxistische Linke bis hin zur Kommunistischen Internationale, diese Analyse zum Grundstein ihres Verständnisses der Evolution des Kapitalismus machten und sich so in die Lage versetzten, die Prioritäten für die Periode zu bestimmen. Tatsächlich stellten Marx und Engels stets sehr deutlich fest, dass die Perspektive der kommunistischen Revolution von der objektiven, historischen und globalen Entwicklung des Kapitalismus abhängt. Besonders die Dritte Internationale machte diese Analyse zum allgemeinen Rahmen ihres Verständnisses der neuen Epoche, die mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges eingeleitet wurde. Alle politischen Strömungen, die die Dritte Internationale bildeten, erkannten, dass der erste globale Krieg den Beginn der dekadenten Phase des Kapitalismus markierte. Wir setzen hier nun unseren historischen Überblick über die wichtigsten Ausdrücke der Arbeiterbewegung fort, indem wir die spezifischen politischen Positionen der Kommunistischen Internationale in der Frage des Parlamentarismus und der Gewerkschaften, für die der Eintritt des Systems in seine Niedergangsphase wichtige Auswirkungen hatte, näher untersuchen.

Der Erste Kongress der Kommunistischen Internationale wurde vom 2. – 6. März 1919 abgehalten, auf dem Höhepunkt der internationalen revolutionären Welle, die über die großen Arbeiterkonzentrationen in Europa dahinfegte. Die junge Sowjetrepublik in Russland war kaum zwei Jahre an der Macht. Im September 1918 fand ein wichtiger Aufstand in Bulgarien statt. Deutschland befand sich auf dem Höhepunkt der gesellschaftlichen Gärung, überall wurden Arbeiterräte gebildet, und zwischen November 1918 und Februar 1919 fand in Berlin eine große Erhebung statt. In Bayern wurde im November 1918 sogar eine Räterepublik gegründet; tragischerweise sollte sie nur bis zum Februar 1919 überleben. In Ungarn brach eine sozialistische Revolution aus und widerstand sechs Monate lang, von März bis August 1919, erfolgreich den Anschlägen der konterrevolutionären Kräfte. Infolge der Kriegsgräuel und der Probleme nach Kriegsende erschütterten wichtige gesellschaftliche Bewegungen auch alle anderen Länder Europas.

Zur gleichen Zeit befanden sich die revolutionären Kräfte aufgrund des Verrats der Sozialdemokratie, die beim Ausbruch des Krieges im August 1914 auf die Seite der herrschenden Klasse gewechselt war, im Prozess der Reorganisierung. Neue Formationen, die aus dem schwierigen Reifungsprozess entstanden, strebten danach, die Prinzipien und die größten Errungenschaften der alten Parteien zu sichern. Die Konferenzen von Zimmerwald (September 1915) und Kienthal (April 1916) haben mit der Regruppierung aller Gegner des imperialistischen Krieges nachdrücklich zu dieser Reifung beigetragen und ermöglicht, dass das Fundament einer neuen Internationale gelegt wurde.

   Im letzten Artikel sahen wir, wie infolge des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs diese neue Internationale den Eintritt des Kapitalismus in eine neue historische Epoche zum Rahmen ihres Verständnisses der unmittelbaren Aufgaben machte. Wir wollen nun untersuchen, wie dieser Rahmen direkt oder indirekt bei der Erarbeitung der programmatischen Positionen berücksichtigt wurde. Wir werden ebenfalls zeigen, dass die Schnelligkeit der Ereignisse und die komplizierten Bedingungen seinerzeit den Revolutionären nicht erlaubte, alle politischen Implikationen aus dem Eintritt des Kapitalismus in seine dekadente Phase in Bezug auf den Inhalt und die Form des Kampfes der Arbeiterklasse zu erkennen.

Die Gewerkschaftsfrage

Als der Erste Kongress der Dritten Internationale im März 1919 abgehalten wurde, war die erste Frage, der sich die entstehenden kommunistischen Organisationen gegenüberstanden, jene nach dem Inhalt, der Form und der Perspektiven der revolutionären Bewegung, die sich fast überall in Europa entwickelte. In dem Maße, wie die unmittelbaren Aufgaben nicht mehr die Erlangung fortschrittlicher Reformen im Rahmen eines sich im Aufstieg befindlichen Kapitalismus waren, sondern die Eroberung der Macht angesichts einer Produktionsweise, die zur Jahrhundertwende, mit dem Ausbruch des Weltkrieges[1], ihren historischen Bankrott offenbart hatte, korrespondierte auch die Form, die der Klassenkampf annahm, mit seinem neuen Inhalt und Ziel. Die Organisierung in Gewerkschaften - im Wesentlichen ökonomische Organe, die eine Minderheit der Arbeiterklasse um sich scharten – war den Zielen der Bewegung in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus angepasst, aber sie entsprach nicht der Machtergreifung. Daher schuf die Arbeiterklasse, beginnend mit den Massenstreiks in Russland 1905[2], die Sowjets (Arbeiterräte), die Organe verkörpern, welche alle Arbeiter im Kampf um sich sammeln, deren Inhalt sowohl ökonomischer als auch politischer Natur ist[3], und deren fundamentales Ziel darin besteht, die Machtergreifung vorzubereiten. „Nur muss eine praktische Form gefunden werden, die das Proletariat in den Stand setzt, seine Herrschaft zu verwirklichen. Diese Form ist das Sowjetsystem mit der Diktatur des Proletariats. Diktatur des Proletariats! Das war bisher Latein für die Massen. Mit der Ausbreitung des Sowjetsystems in der ganzen Welt ist dieses Latein in alle Sprachen übersetzt worden: die praktische Form der Diktatur ist durch die Arbeitermassen gefunden. Sie ist den grossen Arbeitermassen verständlich geworden durch die Sowjetmacht in Russland, durch die Spartakisten in Deutschland und ähnliche Bewegungen in anderen Ländern (…).“ („Rede Lenins zur Eröffnung des Ersten Kongresses der Kommunistischen Internationale“)

Basierend auf der Erfahrung der Russischen Revolution und dem breiten Auftreten der Arbeiterräte in allen Aufständen in Europa, war sich die Kommunistische Internationale auf ihrem Ersten Kongress sehr wohl bewusst, dass große Arbeiterkämpfe nicht mehr im gewerkschaftlichen Rahmen stattfinden werden, sondern im Rahmen der neuen Einheitsorgane, der Arbeiterräte: „Der Sieg kann nur dann als gesichert gelten, wenn nicht nur die städtischen Arbeiter, sondern auch die ländlichen Proletarier organisiert sind, und zwar organisiert nicht wie früher in Gewerkschaften und Genossenschaften, sondern in Sowjets.“ („Thesen und Referat Lenins über bürgerliche Demokratie und Diktatur des Proletariates“, Erster Kongress der Komintern). Außerdem bestand die Hauptlehre, die der Erste Kongress der Dritten Internationale gezogen hatte, in Lenins Worten darin: „Aber ich glaube, dass wir nach fast zwei Jahren Revolution die Frage nicht so stellen dürfen, sondern direkte Vorschläge machen müssen, denn die Ausbreitung des Rätesystems ist für uns, besonders für die meisten westeuropäischen Länder, die wichtigste Aufgabe. (…) Ich habe einen praktischen Vorschlag zu machen, der dahin geht, eine Resolution anzunehmen, in der speziell drei Punkte angenommen werden.  Erstens: Eine der wichtigsten Aufgaben für die Genossen der westeuropäischen Länder besteht darin, die Massen über die Bedeutung, die Wichtigkeit und die Notwendigkeit des Rätesystems aufzuklären. (…) Drittens müssen wir sagen, dass die Eroberung einer kommunistischen Mehrheit in den Räten die Hauptaufgabe in allen Ländern ist, in denen die Sowjetmacht noch nicht gesiegt hat.“ (ebenda).

  Die Arbeiterklasse schuf nicht nur neue Kampforgane – die Arbeiterräte -, die den neuen Zielen und dem neuen Inhalt des Kampfes in der Dekadenz des Kapitalismus angepasst waren. Darüber hinaus machte der Erste Kongress den Revolutionären klar, dass das Proletariat sich auch den Gewerkschaften stellen musste, die mit Sack und Pack ins Lager der Bourgeoisie übergegangen waren, wie aus den Berichten der Delegierten der verschiedenen Ländern ersichtlich wird. So sagte Albert, ein Delegierter aus Deutschland, in seinem Bericht über die Lage in Deutschland: „Für uns ist von Bedeutung, dass durch diese Betriebsräte die bisher in Deutschland so sehr einflussreichen Gewerkschaften an die Wand gedrückt worden sind, die Gewerkschaften, die mit den Gelben eins waren, die den Arbeitern verboten hatten zu streiken, die gegen jede offene Bewegung der Arbeiter waren, die den Arbeitern überall in den Rücken gefallen sind. Diese Gewerkschaften sind seit dem 9. November vollständig ausgeschaltet. Alle Lohnbewegungen seit dem 9. November wurden ohne, ja gegen die Gewerkschaften geführt, die selbst keine einzige Lohnforderung der Arbeiter durchgedrückt hatten.“ („Protokolle des Ersten Kongresses der Kommunistischen Internationale“). Dasselbe gilt auch für Plattens Bericht aus der Schweiz: „Die gewerkschaftliche Bewegung in der Schweiz hat dieselben Krankheiten aufzuweisen wie die deutsche. (…) Die Arbeiter in der Schweiz haben frühzeitig erkannt, dass sie ihre materielle Lage nur verbessern können, wenn sie über die Statuten der Gewerkschaften hinaus einfach zum Kampf schreiten, nicht unter der Führung des alten Gewerkschaftsbundes, sondern unter selbst gewählter Leitung. Es kam zur Gründung eines Arbeiterkongresses und eines Arbeiterrats (…) Der Arbeiterkongress kam zustande trotz des Widerstandes des Gewerkschaftsbundes (…)“ (ebenda). Diese Realität einer oft gewaltsamen Konfrontation zwischen der in Räten organisierten Arbeiterbewegung und den Gewerkschaften, die zur letzten Verteidigungslinie des Kapitalismus geworden waren, ist eine Erfahrung, die sich mehr oder weniger deutlich durch die Berichte aller Delegierten zieht.[4]

Die Realität der mächtigen konterrevolutionären Rolle der Gewerkschaften war neu für die bolschewistische Partei: In seinem Bericht über Russland konnte Sinowjew noch immer sagen: „Die Gewerkschaften haben bei uns eine andere Entwicklung durchgemacht als in Deutschland. Sie haben während der Jahre 1904-1905 eine grosse revolutionäre Rolle gespielt, und sie gehen parallel mit unserem Kampf für den Sozialismus. (…) Die grösste Mehrheit der Mitglieder vertritt den Standpunkt unserer Partei, und alle Beschlüsse werden nur im Geiste unserer Partei gefasst.“ Auch sagte Bucharin, Mitverfasser und Co-Rapporteur der Plattform, die verabschiedet wurde: „Genossen! Meine Aufgabe besteht darin, die von uns vorgelegten Richtlinien zu analysieren. (…) Wenn wir für die Russen schreiben würden, so hätten wir die Rolle der Gewerkschaften in dem revolutionären Umwandlungsprozess beschrieben. Aber nach der Erfahrung der deutschen Kommunisten ist dies unmöglich, denn die dortigen Genossen erzählen uns, dass die Stellung der dortigen Gewerkschaften der unseren völlig entgegengesetzt ist. Bei uns spielen die Gewerkschaften im Prozess der positiven Arbeit die Hauptrolle; die Sowjetmacht stütz sich gerade auf sie, in Deutschland ist es umgekehrt.“ (ebenda).

Dies ist wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass die Gewerkschaften bis 1905 nicht wirklich in Russland in Erscheinung traten, dass sie erst durch die Sowjets angespornt wurden. Als die Bewegung nach dem Scheitern der Revolution abebbte, neigten die Gewerkschaften ebenfalls dazu, zu verschwinden. Die relative Schwäche des zaristischen Staates ließ es im Gegensatz zu den westlichen Ländern nicht zu, dass die Gewerkschaften in den Staat integriert werden konnten. In den meisten entwickelten, westlichen Ländern wie Deutschland, England oder Frankreich hatten sich die Gewerkschaften durch ihre Beteiligung in verschiedensten Organismen und Schlichtungskommissionen immer mehr in die Verwaltung der Gesellschaft eingegliedert. Der Ausbruch des Krieges beschleunigte diese Tendenz und die Gewerkschaften mussten ihr Lager definitiv wählen. Dies machten sie in den angeführten Ländern, indem sie die Arbeiterklasse verrieten, einschliesslich der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CGT in Frankreich[5]. In Russland wurden die Gewerkschaften durch den Klassenkampf, ausgelöst durch die Privatisierungen und die Schrecken des Krieges, aktiviert. Ihre Rolle beschränkte sich jedoch mehr auf Anhängsel der Sowjets, wie schon 1905. Es muss jedoch festgehalten werden, dass trotz ihrer geringeren Integration in den Staat einige Gewerkschaften in Russland zur Zeit der revolutionären Periode von 1917 eine reaktionäre Rolle spielten, so die Eisenbahnergewerkschaft.

Diese unterschiedlichen Erfahrungen in der Arbeiterschaft sollten mit der nachlassenden Dynamik der revolutionären Welle und mit der Isolierung Russlands (zu diesem Zeitpunkt behauptete noch niemand, dass die bolschewistische Partei die Speerspitze der Konterrevolution sei) die Fähigkeit der Internationale beeinträchtigen, alle Lehren und Erfahrungen des Proletariats weltweit zu ziehen und zu vereinheitlichen. Die Stärke der revolutionären Bewegung, die zur Zeit des Ersten Kongresses beträchtlich war, wie auch die Übereinstimmung der Erfahrungen aller Delegierten aus den höchst entwickelten kapitalistischen Ländern in der Gewerkschaftsfrage ließ diese Frage offen. Genosse Albert zog somit für das Präsidium und als Co-Rapporteur in der Gewerkschaftsfrage folgende Schlussfolgerung: „Ich komme gleich auf eine sehr wichtige Frage, die in den Richtlinien nicht behandelt ist, das ist die gewerkschaftliche Bewegung. Wir haben uns lange mit dieser Frage beschäftigt. Wir haben die Vertreter der einzelnen Länder über die gewerkschaftliche Bewegung ausgefragt und müssen feststellen, dass es heute unmöglich ist, zu dieser Frage in den Richtlinien international Stellung zu nehmen, da die Stellung des Proletariat in den einzelnen Ländern völlig verschieden ist. (…) Das alles sind Verhältnisse, die in den einzelnen Ländern verschieden sind, so dass es uns unmöglich erscheint, den Arbeitern klare internationale Richtlinien zu geben. Weil dies nicht möglich ist, können wir diese Frage heute nicht entscheiden, wir müssen es den einzelnen Landesorganisationen überlassen, zu ihr Stellung zu nehmen.“ (ebenda). Auf die Idee der Revolutionierung der Gewerkschaften, die von Reinstein, einem ehemaligen Mitglied der amerikanischen sozialistischen Arbeiterpartei, der als Delegierter der Vereinigten Staaten anerkannt wurde[6], vorgebracht wurde, entgegnete Albert, Delegierter der Kommunistischen Partei Deutschlands: „Man könnte leicht sagen: ihr müsst sie revolutionieren, an Stelle der gelben Führer revolutionäre setzen. Aber das lässt sich nicht so ohne weiteres machen, weil die ganzen Organisationsformen der Gewerkschaften dem alten Staat angepasst sind, weil das Rätesystem auf der Grundlage der Fachverbände nicht durchführbar ist. (ebenda).

Das Kriegsende, eine gewisse „Sieges-Euphorie“ in den Siegerländern und die Fähigkeit der Bourgeoisie, mit der unerschütterlichen Unterstützung durch die sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften eine heftige Repression gegen gesellschaftliche Bewegungen zu entfesseln und gleichzeitig wichtige wirtschaftliche und politische Zugeständnisse gegenüber der Arbeiterklasse (wie das allgemeine Wahlrecht und den Achtstundentag) zu machen, ermöglichten es Stück für Stück, die sozioökonomische Lage in allen Ländern zu stabilisieren. Dies verursachte einen fortschreitenden Verfall in der Intensität der revolutionären Welle, die gerade wegen der Kriegsgräuel und deren Folgen entstanden war. Die Erschöpfung des revolutionären Elans und der Beginn einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage lastete schwer auf der Fähigkeit der revolutionären Bewegung, die Lehren aus all den Kampferfahrungen auf internationaler Ebene zu ziehen und ihr Verständnis aller Folgen des historischen Wandels für die Formen und den Inhalt des proletarischen Kampfes zu vereinheitlichen. Mit der Isolierung der Russischen Revolution wurde die Kommunistische Internationale immer stärker von den Positionen der bolschewistischen Partei dominiert. Diese wurde unter dem fürchterlichen Druck der Ereignisse in wachsendem Maße dazu gezwungen, Zugeständnisse zu machen, um zu versuchen, Zeit zu gewinnen und aus dem Schraubstock auszubrechen, in dem sie gezwängt worden war. Drei wichtige Ereignisse in dieser Rückentwicklung fanden zwischen dem Ersten und Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale (Juli 1920) statt. Kurz vor ihrem Zweiten Kongress 1920 schuf die KI eine Rote Gewerkschaftsinternationale, die in Konkurrenz zur Internationale der „gelben“ Gewerkschaften in Amsterdam (die mit den verräterischen sozialdemokratischen Parteien verknüpft waren) stand. Im April 1920 löste die Exekutivkommission der KI ihr Amsterdamer Büro für Westeuropa auf, das die radikalen Positionen der westeuropäischen Parteien gegen einige der Orientierungen der KI, insbesondere in der Frage der Gewerkschaften und des Parlamentarismus, artikuliert hatte. Und schließlich verfasste Lenin im April - Mai 1920 eines seiner schwächsten Werke: Der Linksradikalismus, eine Kinderkrankheit des Kommunismus, in dem er in ungerechtfertigter Weise all jene kritisierte, die er „Linksradikale“ nannte und die genau jene Ausdrücke der Linken waren, welche die Erfahrungen der geballtesten und fortgeschrittensten Bastionen des europäischen Proletariats zum Ausdruck brachten[7]. Statt die Diskussion, die Konfrontation und Vereinheitlichung der unterschiedlichen Erfahrungen des internationalen Kampfes des Proletariats weiterzuverfolgen, öffnete dieser Wechsel in der Perspektive und Stellung die Tür zum Rückzug zu den alten Positionen der radikalen Sozialdemokraten[8].

Trotz des immer ungünstigeren Verlaufs der Ereignisse bewies die Kommunistische Internationale in ihren Leitsätzen zur Gewerkschaftsfrage, die auf dem Zweiten Kongress angenommen wurden, dass sie ihre Fähigkeit zur theoretischen Klärung noch nicht ganz verloren hatte. Dank der Auseinandersetzung mit den Erfahrungen aus dem Kampf in allen Ländern und einer Annäherung an die Lehren aus der konterrevolutionären Rolle der Gewerkschaften, gelangte sie zur Überzeugung, dass Letztere, trotz der entgegen gesetzten Erfahrungen in Russland, während des Ersten Weltkriegs auf die Seite der Bourgeoisie übergewechselt waren. „Aus denselben Gründen, denen zufolge die internationale Sozialdemokratie sich mit geringen Ausnahmen nicht als Werkzeug des revolutionären Kampfes des Proletariats zum Sturz des Kapitalismus, sondern als eine Organisation erwies, die das Proletariat im Interesse der Bourgeoisie von der Revolution zurückhält, erwiesen sich die Gewerkschaften während des Krieges in den meisten Fällen als Teil des Kriegsapparates der Bourgeoise und halfen dieser, aus der Arbeiterklasse möglichst viel Schweiss auszupressen, zwecks möglichst energischer Kriegsführung für die Interessen des kapitalistischen Gewinns.“ („Leitsätze über die Gewerkschaftsbewegung, Betriebsräte und die Kommunistische Internationale“). Im Gegensatz zu ihren eigenen Erfahrungen in Russland akzeptierten die Bolschewiki auch, dass von nun an die Gewerkschaften im Wesentlichen eine negative Rolle spielten und eine mächtige Bremse gegen die Entwicklung des Klassenkampfes bildeten, da sie genauso wie die Sozialdemokratie vom Reformismus kontaminiert waren.

Jedoch führte der fürchterliche Druck der Ereignisse – das Umschlagen der revolutionären Welle, die sozioökonomische Stabilisierung des Kapitalismus und die Isolation der Russischen Revolution – die Komintern dazu, unter Federführung der Bolschewiki an den alten radikalen sozialdemokratischen Positionen festzuhalten, statt die politische Vertiefung zu vervollständigen, die notwendig war, um den Wandel in der Dynamik, im Inhalt und in der Form des Klassenkampfes in der dekadenten Phase des Kapitalismus zu verstehen. So wundert es nicht, dass die programmatischen Leitsätze, die gegen den Widerstand vieler kommunistischer Organisationen und nicht zuletzt der Repräsentanten der fortgeschrittensten Fraktionen des westeuropäischen Proletariats vom Zweiten Kongress der Komintern verabschiedet wurden, einen Rückschritt darstellen. Ohne jegliche Argumente und in völligem Widerspruch zur allgemeinen Orientierung, die auf dem Ersten Kongress entwickelt worden war, aber auch zur konkreten Realität des Kampfes vertraten die Bolschewiki die Idee: „Die Gewerkschaften, die während es Krieges zu Organen für die Beeinflussung der Arbeitermassen im Interesse der Bourgeoisie geworden waren, werden jetzt zu Organen der Zerstörung des Kapitalismus“ (ebenda). Diese Behauptung wurde zwar sofort stark modifiziert[9], doch die Tür war nun offen für alle möglichen taktischen Mittel, um die Gewerkschaften „wiederzuerobern“, sie „in die Enge zu treiben“ und die Taktik der Einheitsfront zu entwickeln, etc. – alles unter dem Vorwand, dass die Kommunisten noch immer eine Minderheit seien, dass die Situation immer ungünstiger werde, dass es notwendig sei, „mit den Massen zu gehen“, etc.

Die Entwicklung in der Gewerkschaftsfrage, die wir oben kurz umrissen haben, ähnelte in vielen Details dem Werdegang der anderen politischen Positionen der Kommunistischen Internationale. Nachdem sie wichtige Fortschritte und eine theoretische Klärung erzielt hatte, entwickelte sie sich mit dem Rückgang der internationalen revolutionären Welle zurück. Es ist nicht an uns, den Richter der Geschichte zu spielen und Zensuren zu verteilen, sondern einen Prozess zu verstehen, an dem alle mit ihren Stärken und Schwächen teilhatten. Angesichts einer wachsenden Isolation und des Drucks durch den Rückzug sozialer Bewegungen versuchte jede Partei, Verhaltensweisen und Positionen anzunehmen, die von den spezifischen Erfahrungen der Arbeiterklasse in den einzelnen Ländern bestimmt wurden. Der vorherrschende Einfluss der Bolschewiki in der Kommunistischen Internationale, einst ein aktiver Faktor bei ihrer Gründung, war allmählich in eine Behinderung des Klärungsprozesses umgeschlagen, indem ihre Positionen im Wesentlichen aus der Erfahrung der Russischen Revolution allein abgeleitet wurden[10].

Die Frage des Parlamentarismus

Die Position zur Parlamentspolitik entwickelte sich wie auch jene zur Gewerkschaftsfrage von einem Bestreben zur Klärung, einschließlich der Leitsätze über den Parlamentarismus, die auf dem Zweiten Kongress der Komintern angenommen wurden, hin zu einer zweiten Periode. Diese zeichnete sich durch die Leitsätze aus, diese Thesen wieder zurückzunehmen[11]. Doch mehr noch als die Gewerkschaftsfrage, auf die wir uns in diesem Artikel konzentriert haben, wurde die Parlamentarismusfrage im Rahmen der Entwicklung des Kapitalismus von seiner aufsteigenden zu seiner dekadenten Phase betrachtet. So können wir in den Leitsätzen des Zweiten Kongresses lesen: „Der Kommunismus muss von einer klaren theoretischen Einschätzung des Charakters der gegenwärtigen Epoche ausgehen (Höhepunkt des Kapitalismus; seine imperialistische Selbstverneinung und Selbstvernichtung; ununterbrochenes Anwachsen des Bürgerkrieges usw.) (…) Die Stellung der III. Internationale zum Parlamentarismus wird nicht durch eine neue Doktrin, sondern durch die Änderungen der Rolle des Parlamentarismus selbst bestimmt. In der vergangenen Epoche hat das Parlament als Instrument des sich entwickelnden Kapitalismus in gewissem Sinne eine historisch fortschrittliche Arbeit geleistet. Aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen, unter dem zügellosen Imperialismus, ist das Parlament zu einem Werkzeug der Lüge, des Betrugs, der Gewalttat und des entnervten Geschwätzes geworden. Angesichts der imperialistischen Verheerungen, Plünderungen, Gewalttaten, Räubereien und Zerstörungen verlieren die jeder Planmässigkeit und Festigkeit baren parlamentarischen Reformen für die werktätigen Massen jede praktische Bedeutung. (…) Gegenwärtig kann das Parlament für die Kommunisten auf keinen Fall ein Schauplatz des Kampfes um Reformen, um Verbesserung der Lage der Arbeiter sein, wie das in gewissen Augenblicken der vergangenen Periode der Fall war. Der Schwerpunkt des politischen Lebens hat sich vollkommen aus dem Parlament verschoben, und zwar endgültig. (…) Dabei muss man stets die relative Unwichtigkeit dieser Frage im Auge behalten. Da der Schwerpunkt in dem ausserparlamentarischen Kampf um die Staatsmacht liegt, so versteht es sich von selbst, dass die Frage der proletarischen Diktatur und des Kampfes der Massen für diese Diktatur mit der Teilfrage der Ausnutzung des Parlamentarismus nicht gleichzusetzen ist.“ („Leitsätze über die kommunistischen Parteien und den Parlamentarismus“). Leider standen diese Leitsätze nicht in einem Zusammenhang mit ihren eigenen theoretischen Untermauerungen. Trotz dieser klaren Stellungnahmen hatte die Kommunistische Internationale insofern nicht alle Auswirkungen mit einbezog, als sie von allen Kommunistischen Parteien verlangte, weiterhin „revolutionäre“ Propaganda auf der parlamentarischen Tribüne und in den Wahlen zu betreiben.

Die nationale Frage

Das Manifest, das vom Ersten Kongress der Kommunistischen Internationale verabschiedet wurde, war besonders in der nationalen Frage sehr weitsichtig, als es angesichts der neuen Periode, die vom Ersten Weltkrieg eingeleitet wurde, verkündete: Der nationale Staat, der der kapitalistischen Entwicklung einen mächtigen Impuls gegeben hat, ist für die Fortentwicklung der Produktivkräfte zu eng geworden. Die Folge: „Um so unhaltbarer wurde die Lage der unter den Grossmächten Europas und anderer Weltteile verstreuten kleinen Staaten.“ Bis zu dem Punkt, wo die kleinen Staaten sich selbst genötigt sehen, ihre eigene imperialistische Politik zu entwickeln. „Diese Kleinstaaten, die zu verschiedenen Zeiten als Bruchstücke von grossen Staaten, als Scheidemünze zu Bezahlung verschiedener Dienstleistungen, als strategische Puffer entstanden sind, haben ihre Dynastien, ihre herrschenden Banden, ihre imperialistischen Ansprüche, ihre diplomatischen Machenschaften. (…) Gleichzeitig ist die Zahl der Kleinstaaten gestiegen: aus dem Bestand der österreichisch-ungarischen Monarchie, aus den Teilen des Zarenreichs sondern sich neue Staatswesen ab, die, kaum in die Welt gesetzt, sich gegenseitig wegen der staatlichen Grenzen an die Kehle springen.“ Unter Berücksichtigung dieser Schwächen im Rahmen eines Systems, das für die Expansion der Produktivkräfte zu klein geworden ist, wird die nationale Unabhängigkeit als „illusorisch“ beschrieben. Den kleinen Nationen bleibe keine andere Wahl, als das Spiel der Großmächte mitzuspielen und sich so teuer wie möglich in den interimperialistischen Beziehungen zu verkaufen. „Ihre illusorische Unabhängigkeit hatte bis zum Kriege dieselben Stützen wie das europäische Gleichgewicht: den ununterbrochenen Gegensatz zwischen den beiden imperialistischen Lagern. Der Krieg hat dieses Gleichgewicht zerstört. Indem der Krieg anfänglich Deutschland ein gewaltiges Übergewicht verlieh, zwang er die Kleinstaaten, Heil und Rettung in der Grossmut des deutschen Militarismus zu suchen. Nachdem Deutschland geschlagen wurde, wandte sich die Bourgeoisie der Kleinstaaten gemeinsam mit ihren patriotischen „Sozialisten“ dem siegreichen Imperialismus der Verbündeten zu und begann in den heuchlerischen Punkten des Wilsonschen Programms Sicherungen für ihr weiteres selbständiges Fortbestehen zu suchen. (…) Unterdessen bereiteten die alliierten Imperialisten solche Kombinationen von neuen und alten Staaten vor, um sie durch die Haftpflicht des gegenseitigen Hasses und allgemeiner Ohnmacht zu binden.“ („Manifest an das Proletariat der ganzen Welt“, Erster Kongress der Kommunistischen Internationale).

Diese Klarheit wurde unglücklicherweise seit dem Zweiten Kongress, mit der Annahme der „Leitsätze über die Nationalitäten- und Kolonialfrage“, Zug um Zug preisgegeben, als nicht mehr davon ausgegangen wurde, dass alle Nationen, ob groß oder klein, gezwungen waren, eine imperialistische Politik zu praktizieren und sich selbst an die Strategie der Großmächte zu binden. Tatsächlich wurden die Nationen in zwei Gruppen aufgeteilt: „(…) genaue Trennung der unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten Nationen von den unterdrückenden, ausbeutenden, vollberechtigten Nationen (…)“ („Leitsätze über die Nationalitäten- und Kolonialfrage“) Was beinhaltete: „Jede Partei die der III. Internationale anzugehören wünscht, ist verpflichtet (…) jede Freiheitsbewegung in den Kolonien nicht nur mit Worten, sondern auch durch Taten zu unterstützen (…) Parteimitglieder, die die von der Kommunistischen Internationale aufgestellten Verpflichtungen und Leitsätze grundsätzlich ablehnen, müssen aus der Partei ausgeschlossen werden.“ („Leitsätze über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale“). Darüber hinaus – und im Gegensatz zu dem, was richtigerweise im „Manifest“ des Ersten Kongresses festgestellt wurde – wurde der Nationalstaat nicht mehr betrachtet als „zu eng geworden für die Fortentwicklung der Produktivkräfte“, denn „die Fremdherrschaft hemmt beständig die Entwicklung des sozialen Lebens; daher muss der erste Schritt der Revolution die Beseitigung dieser Fremdherrschaft sein.“ („Ergänzungsthesen über die Nationalitäten- und Kolonialfrage“, Punkt 6). Hier können wir sehen, dass durch den Verzicht auf eine Vertiefung der Konsequenzen aus der Analyse über den Eintritt des kapitalistischen Systems in die Dekadenz die Kommunistische Internationale schnell auf das dünne Eis des Opportunismus geriet.

Schlussfolgerungen

Wir erheben nicht den Anspruch, dass die Kommunistische Internationale ein vollständiges Verständnis der Dekadenz der kapitalistischen Produktionsweise hätte haben müssen. Wie wir im nächsten Artikel sehen werden, waren sich die Dritte Internationale und ihre Parteien sicherlich mehr oder weniger bewusst darüber, dass eine neue Epoche angebrochen war, dass der Kapitalismus ausgedient hatte, dass die unmittelbare Aufgabe darin bestand, nicht mehr Reformen, sondern die Macht zu erringen, und dass die Klasse, die den Kapitalismus verkörpert, die Bourgeoisie, reaktionär geworden ist, zumindest in den zentralen Ländern. Es war eine der Schwächen der Komintern, dass sie nicht imstande war, alle Lehren aus der neuen Epoche zu ziehen, die durch den Ersten Weltkrieg eingeleitet worden war, Lehren über den Inhalt und die Form des proletarischen Kampfes. Weit entfernt davon, ausschließlich auf die Komintern und ihre Parteien beschränkt gewesen zu sein, war diese Schwäche vielmehr die Frucht allgemeiner Schwierigkeiten, die die Arbeiterbewegung als solche hatte: die tiefe Spaltung der Revolutionäre zum Zeitpunkt des Verrats durch die Sozialdemokratie und die Notwendigkeit ihres Wiederaufbaus unter den schwierigen Umständen des Krieges und der unmittelbaren Nachkriegsperiode; die Spaltung zwischen Sieger- und Verliererländern, die keine günstigen Bedingungen für die Generalisierung der revolutionären Bewegung schuf; der rapide Rückgang der Bewegungen und Kämpfe, als die einzelnen Länder wieder soweit waren, die wirtschaftliche und soziale Lage nach dem Krieg zu stabilisieren, etc. Diese Schwäche konnte nur wachsen, und es fiel den linken Fraktionen zu, die sich von der Komintern trennten, die Arbeit fortzusetzen, die es noch zu machen galt.

C. Mcl.


[1] „Die 2. Internationale hat ihren Teil an nützlicher Vorarbeit geleistet, um die proletarischen Massen zunächst während der langen „friedlichen“ Periode härtester kapitalistischer Sklaverei und raschesten kapitalistischen Fortschritts im letzten Drittel des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts zu organisieren. Der 3. Internationale steht die Aufgabe bevor die Kräfte des Proletariats zum revolutionären Ansturm  gegen die kapitalistischen Regierungen zu organisieren, zum Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie aller Länder, für die proletarische Macht, für den Sieg des Sozialismus!“ (Lenin, „Lage und Aufgaben der Sozialistischen Internationale“, Werke, Band, 21)             

[2] siehe die dreiteilige Artikelserie „Die Revolution von 1905 in Russland“, Internationale Revue Nr. 36-38

[3] „Der wirtschaftliche Kampf des Proletariats verwandelt sich in der Epoche des Zerfalls des Kapitalismus viel schneller in einen politischen Kampf, als dies im Zeitalter der friedlichen Entwicklung des Kapitalismus geschehen konnte. Jeder grosse wirtschaftliche Zusammenstoss kann die Arbeiter unmittelbar vor die Frage der Revolution stellen.“ („Leitsätze über die Gewerkschaftsbewegung, die Betriebsräte und die Kommunistische Internationale“, 2. Kongress der Komintern) „Lohnkämpfe der Arbeiter bringen  – auch wenn sie erfolgreich sind – nicht die erhoffte Hebung der Lebenslage, da der sprungweise sich erhöhende Kaufpreis aller Bedarfsgüter jeden Erfolg illusorisch macht. Die Lebenslage der Arbeiter kann nur dann gehoben werden, wenn nicht die Bourgeoise, sondern das Proletariat selbst die Produktion beherrscht. Die gewaltigen Lohnkämpfe der Arbeiter in allen Ländern, in denen deutlich die verzweifelte Lage zum Ausdruck kommt, machen durch ihre elementare Wucht und Tendenz der Verallgemeinerung die Fortführung der kapitalistischen Produktionsweise unmöglich.“ („Richtlinien der Kommunistischen Internationale“, 1. Kongress der Komintern)

[4] Auch der Bericht von Feinberg über England unterstreicht: „Die Gewerkschaften gaben die Errungenschaften, die sie in langjährigem Kampf erobert hatten, auf, und das Zentralkomitee der Gewerkschaften schloss den Burgfrieden mit der Bourgeoisie. Aber das Leben, die Verstärkung der Ausbeutung, die Erhöhung der Lebensmittelpreise zwangen die Arbeiter, sich gegen die Kapitalisten, die den Burgfrieden zu ihren Ausbeutungszwecken ausnützen, zu wehren. Sie sahen sich gezwungen, erhöhte Arbeitslöhne zu verlangen und diese Forderungen durch Streik zu unterstützen. Das Zentralkomitee der Gewerkschaften und die früheren Führer der Bewegung hatten der Regierung versprochen, die Arbeiter im Zaum zu halten, und deshalb versuchten sie die Bewegung zurückzuhalten und desavouierten die Streiks. Dennoch fanden die Streiks „unoffiziell“ statt.“ („Protokoll des Ersten Kongresses der Kommunistischen Internationale“). Der Bericht von Reinstein über die USA hob hervor: „Nur muss man hier betonen, dass die amerikanische kapitalistische Klasse praktisch und schlau genug war, einen praktischen und tatkräftigen Blitzableiter für sich zu schaffen, und dieser bestand in der Entwicklung einer antisozialistischen grossen gewerkschaftlichen Organisation unter der Führung von Gompers. (…) Gompers ist aber eher ein amerikanischer Subatow (…) (Subatow war der Organisator der „gelben“ Gewerkschaften für die zaristische Polizei). Kuusinen, der Delegierte für Finnland, ging in der Diskussion über die „Richtlinien der Kommunistischen Internationale“ in dieselbe Richtung: „Es gibt eine Anmerkung zu machen bezüglich des Abschnitts „Demokratie und Diktatur“, bei dem es um die revolutionären Gewerkschaften und Genossenschaften geht. In Finnland haben wir weder revolutionäre Gewerkschaften als auch keine revolutionären Genossenschaften und wir zweifeln auch daran, dass es solche jemals in unserem Land geben wird. Die Struktur dieser Gewerkschaften und Genossenschaften überzeugt uns, dass nach der Revolution die neue soziale Ordnung besser aufgebaut werden kann ohne diese Organisationen.“

[5] Dies war auch der Grund, weshalb die CGT in Spanien 1914 nicht sofort ins Lager der Bourgeoisie überwechselte, was sie später dann tat. Da Spanien nicht am Ersten Weltkrieg teilnahm, wurde sie nicht auf die Feuerprobe gestellt zwischen den Lagern des Proletariates und der Bourgeoise zu wählen.   

[6] Dieser Delegierte schlug einen Anhang in diesem Sinne zur den „Richtlinien“ vor, der vom Kongress abgelehnt wurde.

[7] Lenin ging soweit, dass er schrieb: „Aus all dem ergibt sich die Notwendigkeit, die absolute Notwendigkeit für die kommunistische Partei, die Vorhut des Proletariats, zu lavieren, Absprachen zu machen, Kompromisse zu schliessen, mit den verschiedenen Gruppen von Arbeitern, mit den verschiedenen Parteien der Arbeiter und denen anderer Unterdrückter.“

[8] „ (…) so kann die zweite Aufgabe, die nun zur nächsten wird und die in der Fähigkeit besteht, die Massen heranzuführen an die neuen Positionen, die den Sieg der Vorhut in der Revolution zu sichern vermag – so kann diese nächste Aufgabe nicht erfüllt werden, ohne dass man mit dem linken Doktrinarismus aufräumt, ohne dass man seine Fehler völlig überwindet und sich von ihnen frei macht.“

[9] Die „Leitsätze“ merkten an: „Diese Änderung des Charakters der Gewerkschaften wird von der alten Gewerkschaftsbürokratie und durch die alten Organisationsformen der Gewerkschaften auf jede Weise behindert.“

[10] „Der 2. Kongress  der Kommunistischen Internationale erkennt als unrichtig die Ansichten über die Beziehungen der Partei zu Klasse und Masse, über die Unverbindlichkeit der Teilnahme der kommunistischen Parteien an den bürgerlichen Parlamenten und reaktionärsten Gewerkschaften an, die in besonderen Beschlüssen des 2. Kongresses eingehend widerlegt sind und am vollständigsten durch die „Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands“ (KAPD) verteidigt werden, sowie teilweise von der „Kommunistischen Partei der Schweiz“, dem Organ des Osteuropäischen Sekretariats der Kommunistischen Internationale „Der Kommunismus“ in Wien, und einigen holländischen Genossen, ferner von einigen kommunistischen Organisationen in England, z.B. der „Sozialistischen Arbeiterföderation“ u. a., sowie von den „Industriearbeitern der Welt“ (IWW) in Amerika und von den Shop Stewards Committees in England usw. („Leitsätze über die Grundaufgaben der Kommunistischen Internationale“, Punkt 18)               

[11] Nachdem wir in der Gewerkschaftsfrage ins Detail gegangen sind, können wir dies im Rahmen dieses Artikels über die Dekadenz nicht auch noch in der Frage des Parlamentarismus machen. Wir verweisen französischsprachige Leser auf unsere Artikelsammlung „Mobilisation électorale – demobilisation de la classe ouvrière“, die zwei Untersuchungen über diese Frage wieder veröffentlichten, die in Révolution Internationale Nr. 2, Februar 1973, unter dem Titel „Les Barricades de la bourgeoisie“ und in Révolution Internationale Nr. 10, Juli 1974, unter dem Titel „Les élections contre la classe ouvrière“ erschienen. Der letztgenannte Artikel erschien auf Englisch in World Revolution Nr. 2, November 1974, unter dem Titel „Elections: the discreet charm of the bourgeoisie“.

Erbe der kommunistischen Linke: