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M. an R.
Kreuznach, im September
1843
Es freut mich, dass Sie
entschlossen sind und von den Rückblicken auf das Vergangene Ihre Gedanken zu
einem neuen Unternehmen vorwärts wenden. Also in Paris, der alten Hochschule
der Philosophie, absit omen! (möge es nichts Schlimmes bedeuten!)
und der neuen Hauptstadt der neuen Welt. Was notwendig ist, das fügt sich. Ich
zweifle daher nicht, dass sich alle Hindernisse, deren Gewicht ich nicht verkenne,
beseitigen lassen.
Das Unternehmen mag
aber zustande kommen oder nicht; jedenfalls werde ich Ende dieses Monats in
Paris sein, da die hiesige Luft leibeigen macht und ich in Deutschland durchaus
keinen Spielraum für eine freie Tätigkeit sehe.
In Deutschland wird
alles gewaltsam unterdrückt, eine wahre Anarchie des Geistes, das Regiment der
Dummheit selbst ist hereingebrochen, und Zürich gehorcht den Befehlen aus
Berlin; es wird daher immer klarer, dass ein neuer Sammelpunkt für die wirklich
denkenden und unabhängigen Köpfe gesucht werden muss. Ich bin überzeugt, durch
unsern Plan würde einem wirklichen Bedürfnis entsprochen werden, und die
wirklichen Bedürfnisse müssen sich doch auch wirklich erfüllen lassen. Ich
zweifle also nicht an dem Unternehmen, sobald damit ernst gemacht wird.
Größer noch als die
äussern Hindernisse scheinen beinahe die inneren Schwierigkeiten zu sein. Denn
wenn auch kein Zweifel über das „Woher", so herrscht desto mehr Konfusion über
das „Wohin". Nicht nur, dass eine allgemeine Anarchie unter den Reformern
ausgebrochen ist, so wird jeder sich selbst gestehen müssen, das er keine
exakte Anschauung von dem hat, was werden soll. Indessen ist das gerade wieder
der Vorzug der neuen Richtung, dass wir nicht dogmatisch die Welt antizipieren,
sondern erst aus der Kritik der alten Welt die neue finden wollen. Bisher
hatten die Philosophen die Auflösung aller Rätsel in ihrem Pulte liegen, und
die dumme exoterische Welt hatte nur das Maul aufzusperren, damit ihr die
gebratenen Tauben der absoluten Wissenschaft in den Mund flogen. Die
Philosophie hat sich verweltlicht, und der schlagendste Beweis dafür ist, dass
das philosophische Bewusstsein selbst in die Qual des Kampfes nicht nur
äußerlich, sondern auch innerlich hineingezogen ist. Ist die Konstruktion der
Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto
gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose
Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, dass die
Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte
mit den vorhandenen Mächten.
Ich bin daher nicht
dafür, dass wir eine dogmatische Fahne aufpflanzen, im Gegenteil. Wir müssen
den Dogmatikern nachzuhelfen suchen, dass sie ihre Sätze sich klarmachen. So
ist namentlich der Kommunismus eine dogmatische Abstraktion, wobei ich
aber nicht irgendeinen eingebildeten und möglichen, sondern den wirklich
existierenden Kommunismus, wie ihn Cabet, Dézamy, Weitling etc. lehren, im Sinn
habe. Dieser Kommunismus ist selbst nur eine aparte, von seinem Gegensatz, dem
Privatwesen, infizierte Erscheinung des humanistischen Prinzips. Aufhebung des
Privateigentums und Kommunismus sind daher keineswegs identisch, und der
Kommunismus hat andre sozialistische Lehren, wie die von Fourier, Proudhon
etc., nicht zufällig, sondern notwendig sich gegenüber entstehn sehn, weil er
selbst nur eine besondre, einseitige Verwirklichung des sozialistischen
Prinzips ist.
Und das ganze
sozialistische Prinzip ist wieder nur die eine Seite, welche die Realität
des wahren menschlichen Wesens betrifft. Wir haben uns ebensowohl um die andre
Seite, um die theoretische Existenz des Menschen zu kümmern, also Religion,
Wissenschaft etc. zum Gegenstande unserer Kritik zu machen. Außerdem wollen wir
auf unsere Zeitgenossen wirken, und zwar auf unsre deutschen Zeitgenossen. Es
fragt sich, wie ist das anzustellen? Zweierlei Fakta lassen sich nicht
ableugnen. Einmal die Religion, dann die Politik sind Gegenstände, welche das
Hauptinteresse des jetzigen Deutschlands bilden. An diese, wie sie auch sind,
ist anzuknüpfen, nicht irgendein System wie etwa die „Voyage en Icarie"
ihnen fertig entgegenzusetzen.
Die Vernunft hat immer
existiert, nur nicht immer in der vernünftigen Form. Der Kritiker kann also an
jede Form des theoretischen und praktischen Bewusstseins anknüpfen und aus den eigenen
Formen der existierenden Wirklichkeit die wahre Wirklichkeit als ihr Sollen
und ihren Endzweck entwickeln. Was nun das wirkliche Leben betrifft, so enthält
grade der politische Staat, auch wo er von den sozialistischen
Forderungen noch nicht bewussterweise erfüllt ist, in allen seinen modernen
Formen die Forderungen der Vernunft. Und er bleibt dabei nicht stehn. Er
unterstellt überall die Vernunft als realisiert. Er gerät aber ebenso überall
in den Widerspruch seiner ideellen Bestimmung mit seinen realen Voraussetzungen.
Aus diesem Konflikt des
politischen Staates mit sich selbst lässt sich daher überall die soziale
Wahrheit entwickeln. Wie die Religion das Inhaltsverzeichnis von den theoretischen
Kämpfen der Menschheit, so ist es der politische Staat von ihren
praktischen. Der politische Staat drückt also innerhalb seiner Form sub
specie rei publicael (als einer besonderen Staatsform) alle sozialen
Kämpfe, Bedürfnisse, Wahrheiten aus. Es ist also durchaus nicht unter der hauteur
des principes (dem Niveau der Prinzipien), die speziellste
politische Frage - etwa den Unterschied von ständischem und repräsentativem
System - zum Gegenstand der Kritik zu machen. Denn diese Frage drückt nur auf politische
Weise den Unterschied von der Herrschaft des Menschen und der Herrschaft des
Privateigentums aus. Der Kritiker kann also nicht nur, er muss in diese
politischen Fragen (die nach der Ansicht der krassen Sozialisten unter aller
Würde sind) eingehn. Indem er den Vorzug des repräsentativen Systems vor dem
ständischen entwickelt, interessiert er praktisch eine große
Partei. Indem er das repräsentative System aus seiner politischen Form zu der
allgemeinen Form erhebt und die wahre Bedeutung, die ihm zugrunde liegt,
geltend macht, zwingt er zugleich diese Partei, über sich selbst hinauszugehn,
denn ihr Sieg ist zugleich ihr Verlust.
Es hindert uns also
nichts, unsre Kritik an die Kritik der Politik, an die Parteinahme in der
Politik, also an wirkliche Kämpfe anzuknüpfen und mit ihnen zu
identifizieren. Wir treten dann nicht der Welt doktrinär mit einem neuen
Prinzip entgegen: Hier ist die Wahrheit, hier kniee nieder! Wir entwickeln der
Welt aus den Prinzipien der Welt neue Prinzipien. Wir sagen ihr nicht: Lass ab
von deinen Kämpfen, sie sind dummes Zeug; wir wollen dir die wahre Parole des
Kampfes zuschrein. Wir zeigen ihr nur, warum sie eigentlich kämpft, und das
Bewusstsein ist eine Sache, die sie sich aneignen muss, wenn sie auch
nicht will.
Die Reform des Bewusstseins
besteht nur darin, dass man die Welt ihr Bewusstsein innewerden lässt,
dass man sie aus dem Traum über sich selbst aufweckt, dass man ihre eignen
Aktionen ihr erklärt. Unser ganzer Zweck kann in nichts anderem bestehn,
wie dies auch bei Feuerbachs Kritik der Religion der Fall ist, als dass die
religiösen und politischen Fragen in die selbstbewusste menschliche Form
gebracht werden.
Unser Wahlspruch muss
also sein: Reform des Bewusstseins nicht durch Dogmen, sondern durch Analysierung
des mystischen, sich selbst unklaren Bewusstsein, trete es nun religiös oder
politisch auf. Es wird sich dann zeigen, dass die Welt längst den Traum von
einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie
wirklich zu besitzen. Es wird sich zeigen, dass es sich nicht um einen großen
Gedankenstrich zwischen Vergangenheit und Zukunft handelt, sondern um die Vollziehung
der Gedanken der Vergangenheit. Es wird sich endlich zeigen, dass die
Menschheit keine neue Arbeit beginnt, sondern mit Bewusstsein ihre alte
Arbeit zustande bringt.
Wir können also die
Tendenz unsers Blattes in ein Wort fassen: Selbstverständigung (kritische
Philosophie) der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche. Dies ist eine Arbeit für
die Welt und für uns. Sie kann nur das Werk vereinter Kräfte sein. Es handelt
sich um eine Beichte, um weiter nichts. Um sich ihre Sünden vergeben zu
lassen, braucht die Menschheit sie nur für das zu erklären, was sie sind.