Bahn, Telekom - Nur gemeinsam sind wir stark!

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Wie passt dies zusammen? In den letzten Wochen und Monaten waren die Medien voll von Berichten, dass die Arbeitslosenzahlen endlich deutlich sinken; die Wirtschaftswachstumsprognosen werden kräftig nach oben korrigiert. Gebetsmühlenartig wird die Botschaft gepredigt: Es geht endlich aufwärts – für alle!

 

Für alle? Irgendwie passt hier etwas nicht ins Bild! Wenn doch für alle Menschen in dieser sich verbessernden kapitalistischen Gesellschaft eine echte Zukunft greifbar wird, weshalb erleben wir dann immer mehr Streiks und dazu noch in Branchen, in denen bisher kaum oder gar nicht gestreikt wurde, wie bei der Telekom, der Bahn, bei Airbus oder letztes Jahr die Krankenhausärzte. Es sei nur am Rande auf die zunehmende Gewalt an Schulen und die rasante Erhöhung privater Insolvenzen verwiesen – ist dies die Sprache der hoffnungsvollen Zukunft in dieser Gesellschaft? Werfen wir einmal einen exemplarischen Blick auf die aktuelle Lage der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland, und zwar ohne die Brille der Verblendung durch die Medien.

Die Kampfbereitschaft wächst

Nun, zweifelsohne kann man festhalten, dass die Telekom-MitarbeiterInnen Recht behalten haben, als sie sich auf ihre selbstgemachten Transparente die Prognose schrieben: „Heute wir, morgen ihr!“ Bezüglich der Telekom waren die Forderungen des Unternehmens besonders offensichtlich ein Angriff auf die ArbeiterInnen, um auf deren Kosten das Unternehmen wettbewerbsfähig zu halten. 50.000 ArbeiterInnen sollten mehr arbeiten, und dies für weniger Geld. Die einzig richtige Antwort der MitarbeiterInnen lautete: Streik. Wochenlang zog er sich hin und am Ende lenkte die Gewerkschaft plötzlich ein. Die Unternehmensforderungen wurden mit Zustimmung der Gewerkschaft fast vollständig angenommen. Die Reaktionen der Streikenden waren klar vernehmbar: Wut und Enttäuschung. Manche fragten: „Hat sich der wochenlange Kampf überhaupt gelohnt? Unsere Niederlage ist doch so offensichtlich!“ Unsere Antwort: der Kampf hat sich gelohnt, wenn auch nicht auf der unmittelbaren Ebene, in Form einer Abwendung der Angriffe der kapitalistischen Marktgesetze. Und dennoch: die Telekom-ArbeiterInnen haben wichtige Kampferfahrungen gesammelt, haben eine große Sympathie von Seiten der restlichen arbeitenden Bevölkerung erfahren. Und was besonders wichtig ist: sie haben erfahren, dass die gewerkschaftlichen Kampfmethoden und der ganze Apparat der Gewerkschaften offenbar doch nicht ihren Interessen entsprechen. Kämpfen lohnt sich, aber man wird sich das nächste Mal überlegen müssen, wie man selbst seinen Kampf organisieren kann, um nicht mehr allein auf weiter Flur zu sein.

 

Wie es kürzlich eine Radiosprecherin ausdrückte: Jetzt treten die MitarbeiterInnen der Bahn in die Fußstapfen der Telekom-MitarbeiterInnen und streiken. Nachdem in den Medien in den ersten Tagen fast ausschließlich Bahnkunden zu Worte kamen, die sich sehr negativ über den Streik äußerten, musste in den folgenden Tagen das Bild offensichtlich nuancierter dargestellt werden, weil auch hier ein relativ großes Verständnis und Zustimmung zu vernehmen war und ist. Besonders entsetzt zeigten sich viele befragte ArbeiterInnen darüber, dass bei der Bahn die Beschäftigten, trotz ihrer enormen Verantwortung im Beruf, so wenig verdienen, wie etwa die Lokführer mit ihren familienfeindlichen Schichtplänen und knapp 1800 Euro Monatsgehalt. Was ist nun der Stand der Dinge in diesem Streik? Inzwischen haben die Gewerkschaften Transnet und die Gewerkschaft der Bahnangestellten (GDBA) einen neuen Tarifabschluss mit der Bahn vereinbart. Im Vergleich zum Streik bei der Telekom kam dieser Tarifabschluss relativ rasch zu Stande. Erfüllt die Gewerkschaft doch eine sinnvolle Aufgabe für die ArbeiterInnen? Das Argument bei den Verhandlungen war, dass die Bahn Rekordgewinne einfahre und diese daher selbstverständlich auch an die Mitarbeiter weitergeben müssen. Stolz präsentierte man dann auch den Tarifabschluss, den „höchsten seit Kriegsende“: 4,5 Prozent mehr Lohn, eine Einmalzahlung von ca. 600 Euro für eine Laufzeit von 19 Monaten. Was bleibt davon aber am Ende im Geldbeutel der Beschäftigen? Die Hälfte davon geht schon mal an den Staat, der bis 53 Prozent des Bruttolohns für Steuern und Sozialabgaben einkassiert, die gestiegene Mehrwertsteuer kommt noch hinzu – ganz zu Schweigen von der allgemeine Teuerungsrate, die offiziell mit 1,5 Prozent veranschlagt wird. Damit hätte man gerade so verhindert, dass sich die Arbeits- und Lebensbedingungen noch weiter massiv verschlechtern – fürs Erste.

 

Ist schwarz jetzt weiß? Ist Spaltung jetzt Solidarität?

Doch die Lage bei der Bahn wird nun noch etwas unübersichtlicher, denn es gibt ja noch eine Gewerkschaft, nämlich die der Lokführer (GDL). Die GDL ist ausgeschert und will ihren eigenen Tarifabschluss erringen. Forderung: 31 Prozent mehr Lohn. Argument: die Verantwortung der Lokführer ist mit der eines Piloten vergleichbar, doch verdienen speziell die Lokführer viel zu wenig. Hier sind wir mit einem ernsten Problem konfrontiert, das wir auch schon bei den Streiks des Flugpersonals und Krankenhauspersonals sehen konnten. Die besonders hoch qualifizierten Berufe wie Ärzte, Piloten und Lokführer fordern mit ihrer eigenen Gewerkschaft mehr Lohn als die anderen Mitarbeiter, indem sie die Unterschiede unter den Beschäftigten hervorheben. Dies aber führt zu einer Spaltung der Beschäftigten. Dies wird in den Medien auch dankbar aufgegriffen. So wird in der FAZ der Professor für Arbeitsrecht, Picker, zitiert: „Wie zuvor bei den Klinikärzten und Fluglotsen hätte sich eine ‚Elitegruppe’ innerhalb der Arbeitnehmerschaft, in diesem Fall die Lokführer, eine gesonderte tarifliche Stellung erkämpft.“ (9.7.2007) So wird dann weiter von „Elitestreiks“ gesprochen, wo es angeblich einzig und allein um eigene, „gesonderte Vorteile“ gehe. Aber nicht die hohe Forderung ist eine Frechheit, sondern allein die Tatsache, dass sie für eine Berufsgruppe allein gefordert wird, während fast alle Bahnbeschäftigten mittlerweile  zu der stets anschwellenden Armee der „working poor“ zählen. Während die Lokführergewerkschaft die Lokführer von ihren KollegInnen absondert, klagen die übrigen Gewerkschaften nicht etwa die Kapitalseite an, sondern hetzen im Gleichklang mit Bahnchef Mehdorn gegen die Lokführer. Statt auf die gewerkschaftliche Spaltung hereinzufallen und auf Teile der Belegschaft sauer zu sein, sollte man sich lieber fragen, was die wirklichen Ursachen für die immer schlechteren Arbeits- und Lebensbedingungen für die Beschäftigten sind. Es ist das kapitalistische Wirtschaftssystem, das Diktat der Konkurrenz, die Anarchie der Produktion um des Profits willen. Dem wird alles untergeordnet, ganz gleich, ob Menschen dabei auf der Strecke bleiben oder nicht. Und jede Institution welche uns, wie die Gewerkschaften, glauben machen will, dass ein bestimmter Teil der Belegschaft der Übeltäter ist oder dass wir als ArbeiterInnen im Kapitalismus doch eine Zukunft haben, kettet uns in Wahrheit nur noch mehr an diese Ausbeutung und Entfremdung.

 

Was also sehen wir, wenn wir die Brille der Verblendung abstreifen, die uns die Medien und die Gewerkschaften vor die Augen setzen? Wir sehen: Kämpfen lohnt sich! Denn wenn wir uns nicht wehren, greifen die Bossen uns umso härter an. Mehr noch, und sogar wichtiger, können wir viel an Kampferfahrung hinzugewinnen. So etwa, beim Telekomstreik, wo die Gewerkschaften ihr wahres Gesicht zeigen mussten. Nicht um die Interessen der Beschäftigten ging es den Gewerkschaften, sondern um etwas dem geradezu Entgegengesetztes: Das Wiedererlangen der Konkurrenzfähigkeit des betroffenen Unternehmens. Insgesamt zeigt uns ein  genauerer Blick auf den Tarifabschluss der Bahn mit Transnet und GDBA nicht etwa, dass die „Arbeitnehmer“ am „Aufschwung angemessen beteiligt“ seien, wie von allen Seiten behauptet, sondern dass wir um Kopf und Kragen kämpfen müssen. Es geht eigentlich nur noch darum, sich Verschlechterungen zu erwehren. Selbst bei den Lokführern der Bahn ist das so, wo die angeblich so hohen Forderungen nicht mal reichen, um die Verschlechterungen der letzten Jahre auch nur ansatzweise wettzumachen. So erzählen uns Lokführer, selbst wenn deren Forderungen durchgesetzt werden, damit rechnen, nur 150 Euro monatlich mehr herauszukriegen. Die Lokführer mussten die Erfahrung machen, dass in „unserer Demokratie“ doch nicht jeder einfach das Recht zum Streiken hat. So wurden ihre Warnstreiks zunächst gerichtlich verboten, was deutlich macht, dass der Staat sicher nicht die Interessen aller Bürger vertritt, sondern die des Kapitals.

Suche aus dem Labyrinth

 

Was wir heute erleben, sind erste zaghafte Keime massiver Kämpfe. Auch wenn die Kämpfe noch nicht über die Branchen hinweg ausgedehnt werden, so werden die Abstände zwischen den Kämpfen immer kürzer und die Solidaritätsbekundungen der übrigen Bevölkerung vernehmbarer. Es gibt zunehmend ein Bewusstsein dafür, dass die ArbeiterInnen alle in einem Boot sitzen und wir uns nur gemeinsam erfolgreich zur Wehr setzen können. Gemeinsam zur Wehr setzen heißt aber auch, ohne und gegen die Gewerkschaften zu agieren, denn diese Organe identifizieren sich längst mit dem kapitalistischen System und sind ein Teil dessen Logik geworden. Diese spalterische, weil die kapitalistische Konkurrenz nicht in Frage stellende Sichtweise muss überwunden werden, wenn wir als arbeitende Bevölkerung eine Tendenz aufhalten wollen, die immer deutlicher wird: die Tendenz zum working poor. Oder mit den Worten von Marx: Neben der relativen tritt nun auch die absolute Verarmung der ArbeiterInnen. Es ist wohl etwas dran, dass heute die Arbeitslosenzahlen sinken, aber zu welchem Preis? Die Löhne werden immer mehr gedrückt, viele Neubeschäftigte sind ZeitarbeiterInnen, also prekär beschäftigt. Der so genannte Sozialstaat wird immer weiter abgebaut, so dass die Armut nicht nur der Hartz IV-Empfänger, sondern auch der Beschäftigten stetig zunimmt. Die Altersarmut wächst ebenfalls mit. Die Zukunft sieht also nicht sehr rosig aus, wenn wir dies alles so hinnehmen würden. Aber man sollte auch nicht resignieren; denn schon heute sieht man immer mehr Versuche der arbeitenden Bevölkerung, sich zur Wehr zu setzen, und mit diesen Kampferfahrungen können wir den Weg gemeinsam beschreiten, der uns in eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Profit und Elend führen wird.    20.07.07